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Last Nightmare

Harvey kehrt zurück
von

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Hölle namens Zuhause

Beyond zeigte seinem neuen Freund das ganze Haus und Harvey staunte nicht schlecht. „Ein schönes Haus hast du, ich könnte echt neidisch werden.“ „Aber jetzt wohnst du ja auch hier.“ Damit stieg Beyond die Treppen hinauf und führte ihn in sein Zimmer. Es war spartanisch eingerichtet und erinnerte schon fast an eine Gefängniszelle. Das Bett bestand auf einem rostigen Gestell mit einer muffigen Matratze und einem Schrank, neben dem ein Schreibtisch vom Sperrmüll mit altem Stuhl stand. Poster, Fotos oder andere Bilder hingen hier nicht, die Wände waren weiß gestrichen und der Teppichboden fleckig. Harvey wirkte nicht sehr begeistert aber er sagte nichts Negatives dazu. „Warum hast du das Zimmer nicht schön dekoriert? Du könntest doch lustige Bilder malen.“

„Meine Eltern wollen das nicht. Ich könnte die Tapete beschädigen.“

„Ach was, das ist doch Unsinn. Ist es ein Kinderzimmer oder ein Erwachsenenzimmer?“

„Ein Kinderzimmer.“

„Na also. Das heißt auch, dass es dir gehört. Also kannst du auch Bilder aufhängen.“ Was Harvey da sagte, klang eigentlich ganz logisch. Warum sollte er das Zimmer so kahl lassen, wenn es doch sein eigenes Zimmer war? Gemeinsam begannen sie nun Bilder zu malen und diese dann an die Wand zu kleben. Auch Fotos heftete Beyond an die Pinnwand und wenig später war ein bisschen mehr Farbe im Zimmer. Schließlich kam Harvey auf eine weitere Idee und zwar mit dem Sammeln interessanter Gegenstände, die es wert waren aufbewahrt zu werden. „Daraus kann man wirklich lustige Sachen basteln. Manche verdienen einen Haufen Geld damit. Ein Typ hat sogar aus hunderten von Eisstielen eine Lampe gebastelt.“

„Aber ich habe so etwas noch nie gemacht.“

„Das ist kein Problem. Ich helfe dir und außerdem braucht man nur genügend Kreativität.“

„Woher weißt du all diese Sachen? Etwa auch aus meinem Unterbewusstsein?“ Der kleine Hase schwieg eine Weile und sah Beyond nur mit seinen großen Hasenaugen an. Dann aber sagte er schließlich „Du bist nicht der Einzige, der mit mir gesprochen hat. Da gab es noch jemand anderen.“

„Etwa diese Edna Konrad?“

„Ja, aber die hat mich in die Kiste gesperrt und seitdem habe ich sie nicht mehr gesehen.“ Beyond zuckte nur mit den Achseln. Er verstand sowieso nicht, was das zu bedeuten hatte und so ging er mit Harvey schließlich wieder raus und dieses Mal zur Bushaltestelle. Sie fuhren ein paar Haltestellen und erreichten schließlich die Müllhalde, die nicht gerade gut bewacht war. Dort befanden sich viele Sachen, die eventuell interessant sein könnten. Harvey hielt Beyond in der anderen Hand und legte ihn nur ab, wenn er beide Hände gebrauchte. Sie fanden einen Spiegel und zerschlugen ihn. Die Scherben wurden eingesammelt und in eine Tasche gelegt. Als sie genug Scherben gesammelt hatten, wollte Beyond wieder gehen, da blitzte irgendetwas unter dem Schrotthaufen hervor. Etwas Glänzendes. Es glänzte so hell als wolle es sagen „Hey, heb mich auf!“ Vorsichtig stieg Beyond über einen Haufen kaputter Rohre und Bleche und zog das glänzende Ding heraus. Es war jedoch kein Gold und kein Silber sondern die Klinge einer Machete. „Boah cool!“ rief Harvey begeistert, als er die Waffe sah. „Damit kann man sicher viel kaputt machen. Randale!!!“ Irgendwie war diese Machete Beyond unheimlich und eigentlich hätte er sie sofort wieder weggeworfen. Er wusste, wie gefährlich solche Dinger waren und dass man damit Menschen verletzen konnte. Aber irgendetwas hielt ihn davon ab, die Machete wegzulegen. Etwas an dieser Waffe faszinierte ihn. „Das ist ein ziemlich komisches Schwert…“

„Das ist eine Machete du Dummerchen. Damit kann man im Urwald die ganzen Äste und Blätter abschneiden, die im Wege sind.“ An der Klinge waren dunkle rotbraune Flecken und das war kein Rost. Vorsichtig kratzte Beyond daran und sah, dass die Flecken getrocknet waren und sich ablösen ließen. Irgendwie wurde ihm ein wenig seltsam zumute. „Was sind das denn für Flecken?“

„Aber Beyond, das weißt du doch selbst schon.“

„Du… du meinst das ist…“ Sofort ließ Beyond die Machete fallen, als hätte er sich verbrannt und entsetzt wich er zurück. Innerlich hoffte er, dass es nur Tierblut war und er spürte, wie sich sein Magen zu verkrampfen schien. Mit einem Male fühlte er sich einfach nur noch schmutzig und abstoßend. Er hatte das Gefühl, dass das Blut auch an seinen Händen klebte, an seiner Kleidung, wirklich überall. Aber etwas an dieser Waffe faszinierte ihn dennoch. Was es war, konnte er nicht genau sagen aber Harvey entging es nicht. „Waffen sind doch irgendwie cool, oder?“

„Nein, Waffen verletzen und töten Menschen!“

„Aber Beyond, so etwas kann man auch mit anderen Gegenständen. Man könnte einem mit einem Messer oder einer Gabel das Auge ausstechen. Sogar mit einer Nagelschere. Es kommt ganz darauf an, wie diese Dinge benutzt werden. Eine Machete zum Beispiel wird für Bäume und Sträucher verwendet.“

„Du willst damit also sagen, dass Waffen nicht unbedingt schlimm sind?“

„Genau! Solange man sie richtig einsetzt.“ Wenn Beyond so darüber nachdachte, dann hatte Harvey gar nicht mal so Unrecht. Im Grunde konnte man alles als Waffe benutzen.

Aber warum machten dann die Erwachsenen vor den Kindern immer so ein Theater. Genau diese Frage stellte er dem blauen Hasen, der nur mit den Achseln zuckte. Die Erwachsenen sind schon sehr merkwürdig. Die muss man nicht unbedingt verstehen. Aber lass uns besser zurückgehen, bevor du noch Ärger bekommst. Wir haben ja was wir brauchen.“ Beyond nahm die Tasche mit den eingesammelten Spiegelscherben und verließ den Schrottplatz neben der Mülldeponie. Durch ein Loch im Zaun konnten sie durchkriechen und kamen etwas verdreckt an die Bushaltestelle an. Es würde in einer Stunde dunkel werden und seine Eltern würden durchdrehen, wenn er später nach Hause kam als vereinbart und darauf hatte er nun wirklich keine Lust. Als er in den Bus einstieg, erwartete ihn ein hässlicher fetter verschwitzter Mann mit gelben Zähnen, der genauso gut ein Obdachloser hätte sein können. Aus bösen Augen sah er Beyond an, der vor dem Mann Angst bekam und Harvey fester an sich drückte. „Wilsu mitfahrn odä widdä ausstoign?“ Der Mann klang als hätte er ordentlich einen sitzen, genau wie Beyonds Vater. Seine Angst wurde größer und er blieb wie angewurzelt stehen. „Ick hob di wat gefragt du Zwerch. Willsu nu mitfahrn odä net?“

„Keine Angst, der Fettsack kann dir nichts tun!“ redete nun Harvey beruhigend auf ihn ein. Doch Beyonds Angst war größer und fluchtartig verließ er den Bus und rannte so schnell er konnte von dem Bus weg. Die Tasche auf dem Rücken, Harvey in den Armen, rannte er die Straße runter als würde es um sein Leben gehen. Erst als er völlig aus der Puste war, blieb er stehen und sah, wie der Bus losfuhr. Zitternd sank er in die Knie und begann zu weinen. Harvey umarmte ihn mit seinen Stoffärmchen um ihn ein wenig zu trösten. „Es ist alles okay. Du brauchst keine Angst zu haben. Komm, setz dich doch erst einmal irgendwo hin und beruhige dich.“ Jedes Mal, wenn er jemanden sah, der seinem Vater ähnlich sah oder betrunken war, bekam er einfach nur Angst. Er hatte dann Angst, wieder geschlagen zu werden. Am ganzen Körper hatte er blaue Flecke, Verstauchungen oder sogar Knochenbrüche hatte er bereits hinter sich. Ihm helfen tat niemand. Weder dieses so genannte Jugendamt noch irgendwelche anderen Erwachsenen. Zwar tuschelten die heimlich über die Familie Birthday und erzählten sich die schlimmsten Geschichten, aber bis jetzt hatte niemand die Polizei gerufen. In der Stadt herrschte eine gewisse Gleichgültigkeit seinen Mitmenschen gegenüber und selbst wenn es auf Leben und Tod gegangen wäre, hätten die Leute einfach Augen und Ohren verschlossen und wären ihrem Alltag nachgegangen. Beyond hasste diese Stadt, er hasste jeden seiner Bewohner und er hasste sich selbst. Im Grunde wurde er nur so herumgeschupst und verprügelt, weil er nicht wie andere Kinder war. Während Kinder seiner Altersklasse Fußball spielten, auf Spielplätzen herumtobten oder andere Spiele spielten, beschäftigte er sich mit internationaler klassischer Literatur. Angefangen über Goethe bis hin zu Oscar Wilde. Er sah keinen Sinn darin, nur herumzuspielen und er hatte die besten Noten in der Schule. Man stellte bei ihm Hochbegabung fest, die aber nie gefördert wurde und weil er manchmal sogar den Lehrern etwas beibringen konnte, langweilte er sich und verbrachte den größten Teil des Unterrichts damit, zu malen oder zu lesen. Aber das war noch nicht der einzige Grund, warum alle etwas gegen ihn hatten: Es lag daran, dass er sehen konnte, wann Leute sterben würden. Eine Aura des Todes umgab ihn und die Menschen reagierten dementsprechend wie Tiere, die instinktiv eine Gefahr spürten. Sobald er in ihre Nähe kam, reagierten sie abweisend und aggressiv. Hunde drehten durch und zerrten an den Leinen, fletschten die Zähne und knurrten wenn Beyond in ihre Nähe kam und es gab keinen Mensch und kein Tier, der diese unsichtbare Todesaura nicht spürte, die Beyond auszustrahlen schien. Er selbst spürte sie nicht, er selbst schien vollkommen abgestumpft dagegen zu sein wie jemand, der seinen eigenen Gestank nicht mehr wahrnahm. Nur Stoffhase Harvey war der Einzige, der nicht von Beyonds Wesen abgeschreckt war.

Beyond setzte sich auf eine Bank, legte die Tasche beiseite und sah Harvey aus von Tränen geröteten Augen an. „Du wirst mich niemals verlassen, oder Harvey?“

„Natürlich nicht. Wir sind doch Freunde. Und Freunde halten zusammen!“ Beyond war froh, dass er Jemanden hatte, mit dem er reden konnte. Wie gut, dass er in die Hütte gegangen war. Einen Freund wie Harvey hatte er echt gebraucht. „Danke Harvey.“

Beyond saß eine ganze Zeit lang auf der Bank und nahm den nächsten Bus, wo eine rotlockige Kaugummi kauende Frau saß, an der sich Beyond doch eher vorbeitraute. Die Fahrt selbst dauerte knapp eine halbe Stunde, bis Beyond endlich die Agonystreet erreichte, wo er wohnte. Um keinen Ärger zu bekommen, kletterte er den Baum hoch und den Ast entlang, bis er sein Zimmerfenster erreichte. Es war nicht verschlossen und so war es ein leichtes für ihn, durchs Fenster zu klettern nachdem er zunächst Harvey hindurchgeworfen hatte. Danach verschloss er das Fenster und legte seine Tasche ab.

„Du kannst ja echt gut klettern. Machst du so etwas öfters?“

„Nur wenn ich später als vereinbart nach Hause komme. Mein Vater ist eh wieder in der Kneipe und Mama ist sicher gerade beim Bügeln. Sie kommt gleich rein um die Wäsche zu bringen.“ Vorsichtig holte Beyond die Spiegelscherben heraus und begann sie zu polieren. „Und was genau kann man damit anfangen?“

„Ganz einfach: Du klebst sie an die Wand zu einem bestimmten Muster zusammen. Am besten geht das mit einem richtig guten Kleber.“

„Ich hab Sekundenkleber da.“

„Au ja, das geht super!“ Nachdem Beyond die Scherben alle zurechtgelegt hatte, begann er nun damit, einzelne Stücke mit Kleber zu bestreichen und dann an die kahle Wand zu kleben. Das Motiv sollte ein Sichelmond werden und er brauchte überraschenderweise nicht so lange, wie er zunächst gedacht hatte. Fast zwei Stunden arbeitete er daran und schnitt sich dabei an einigen Stellen in die Finger, weswegen er immer wieder ins Badezimmer gehen musste um Pflaster zu holen. Das Endergebnis an der Wand sah wirklich toll aus, seine Hände eher nicht. An jedem Finger hatte er Pflaster und mit einer Pinzette hatte er auch eine Scherbe aus seiner Handfläche ziehen müssen, aber sonst war er zufrieden. Stolz betrachtete er seinen Sichelmond aus Spiegelscherben, den er an der Wand modelliert hatte. Auch Harvey war begeistert. „Wow, du bist echt ein Künstler Beyond. Jetzt sieht das Zimmer doch viel schöner aus!“

„Da hast du Recht Harvey. Danke für deine Hilfe.“ Der Hase blinzelte ihm lächelnd zu. „Das habe ich doch gerne gemacht.“ Zum ersten Mal seit langem konnte Beyond endlich wieder lachen und er war einfach glücklich, dass er einen Freund an seiner Seite hatte.

Plötzlich ging die Tür auf und seine Mutter, Cassandra Birthday kam herein. Sie war eine magere und schwächliche Frau mit kränklicher Blässe und tief eingefallenen schwarzen Augen. Ihre schwarzen Augenränder ließen ihr Gesicht wie einen Totenschädel aussehen und ihr schwarzes langes Haar erinnerten an diese Horrorfiguren aus „The Ring“ und „The Grudge“. Cassandra Birthday, obwohl erst 29 Jahre alt, hatte das Leben schon längst hinter sich. Äußerlich sah sie aus wie es ihrem Alter entsprach und zugleich doppelt und dreifach und hundert Mal so alt, nämlich wie die Mumie eines Mädchens. Das abgeleitete Zitat aus dem Roman „Das Parfüm“ war die perfekte Beschreibung für die Gestalt namens Cassandra Birthday. Sonst war sie eine große Frau von stolzen 188cm Größe aber da sie eigentlich nur noch Haut und Knochen war, sah sie aus wie ein Gerippe aus einem Tim Burton Film. Deswegen umarmte Beyond sie auch nicht mehr, weil es ihn einfach nur erschreckte als auch anekelte, dieses Gerippe zu umarmen. Außerdem hatte er Angst, dass es in der Mitte durchbrechen könnte. Genauso zerbrechlich, wie Cassandra Birthday äußerlich aussah, so war sie auch innerlich. Sie war sehr depressiv und schluckte schon ungesunde Dosen an Antidepressiva. Drei Suizidversuche hatte sie schon hinter sich und alle waren sie fehlgeschlagen. Das erste Mal hatte sie sich im Badezimmer eingeschlossen und sich die Pulsadern aufgeschlitzt. Zumindest hatte sie es versucht, allerdings die Adern verfehlt. Die Schlaftabletten, die sie genommen hatte, versetzten sie lediglich in einen stundenlang anhaltenden Lähmungszustand und sie litt zwei Tage an Halluzinationen und Angstzuständen, aber sonst war sie wohlauf. Auch der Versuch, sich mit Auspuffgasen in der Garage zu vergiften, verlief nicht wie geplant, da ein Fenster eingeschlagen wurde und sie daran hinderte. Sie selbst sah ihr Leben als eine Tortur an und deswegen war es ihr auch gleich, ob sie nach ihrem Tode in die Hölle kam. Ihr Leben war bereits eine, da konnte die echte nicht so schlimm sein.

Diese innerlich völlig erschöpfte und tote Person fühlte keine Liebe mehr für ihren Mann, der sie fast täglich zusammenschlug wenn er betrunken war. Man konnte nicht mehr sagen, dass diese Frau noch lebte. Sie vegetierte nur noch dahin. Dementsprechend hatte sie auch kaum noch Liebe für ihr eigenes Kind übrig. Schon damals, als Beyond zur Welt kam, hatte sie sich geweigert ihn zu stillen woraufhin er fast gestorben wäre. Auch konnte er sich nicht erinnern, jemals von ihr geküsst oder in den Arm genommen worden zu sein. „Hier deine Wäsche. Abendessen ist gleich fertig.“

Damit reichte Mrs. Birthday ihm die Hosen und Pullover und sah dabei den blauen Stoffhasen. Sie nahm ihn und sah ihn sich an. „Woher hast du ihn?“

Beyond hielt es für besser zu lügen, weil seine Mutter es überhaupt nicht gut fand, wenn er in die Hütte am See ging. Es war strengstens verboten und wenn sie es erfahren würde, dann gab es wieder nur Streit und Theater. „Ich habe ihn geschenkt bekommen.“

„Von wem?“ Sie sah den Namen am Fuß des Hasen und sah ihren Sohn streng an. Aber Beyond war ein geschickter Lügner und erzählte, dass ein Mädchen aus der Schule den Stoffhasen ihrer Cousine geschenkt bekommen hatte, allerdings nichts mit dem Stofftier anfangen konnte und ihn verschenken wollte. Beyond hatte ihn dann genommen. Da Cassandra auch kein großes Interesse hatte, woher ihr Sohn das Stofftier hatte, fragte sie auch nicht nach. Sie war nur froh, dass sie nichts dafür bezahlen musste. „Bevor du Abendessen bekommst, gehst du duschen! So dreckig lasse ich dich nicht an den Tisch!“ Damit ging das lebende Gerippe auch schon wieder und knallte die Tür hinter sich zu. Beyond lief jedes Mal einen Schauer über den Rücken, wenn seine Mutter wie eine Erscheinung in sein Zimmer hereingegeistert kam. Normalerweise liebten Kinder ihre Eltern aber er fand seine Mutter nur unheimlich. Sie sah aus, als hätte man alles Leben aus ihr herausgesaugt und was von ihr übrig war, waren nur noch ihre sterblichen Überreste. Manche Kinder aus seiner Nachbarschaft nannten sie auch „Mommy Death“, weil sie wie der lebende Tod aussah. Und Beyond ekelte sich, sie anzufassen. Allein schon ihre knochige eiskalte Hand fühlte sich wie die einer Leiche an.

„Uäh, die ist ja mal gruselig. Die könnte glatt aus einem Horrorfilm stammen.“

„Hm…“

Beyond sah langsam zu Harvey und seufzte. „Wenn ich ihre Lebenszeit nicht sehen würde dann würde ich glauben, sie könnte jeden Moment das Zeitliche segnen.“

„Echt ey, die braucht mal Urlaub.“

„Nein, das hilft auch nicht. Der hilft nur noch ein Wunder.“

„Oder ein schnelles Ende“ ergänzte Harvey, der Beyonds Gedanken schon zu erraten schien. Beyond sagte dazu nichts sondern räumte erst mal die gebügelte Wäsche ein. Eine der wenigen Dinge, die sie überhaupt noch für ihn machte. Manchmal kam es vor, dass sie gar nichts kochte oder Lebensmittel verschimmeln ließ und nicht einkaufen ging. Meistens ging Beyond dann zu den Abfallcontainern des Supermarktes um dort nach Essbarem zu suchen, wenn sein Taschengeld nicht mehr reichte oder er im Portemonnaie seiner Mutter kein Geld fand. Wenn sie kochte, dann nur wenn ihr Mann noch da war. Beyond war in ihren Augen nur jemand, der im Haus wohnte, mehr nicht. Für den Jungen selbst war es inzwischen egal geworden, er hatte nie etwas anderes gekannt und für die Frau, die er „Mutter“ nannte, hatte er sowieso keine Liebe übrig.

„Halt du hier die Stellung Harvey, ich geh ins Bad.“

„Dann bis später!“
 

Nach einer heißen Dusche ging Beyond die Treppe runter in die Küche, wo der Tisch fürs Abendessen gedeckt war. Doch… ganz so appetitlich war das nicht wirklich. An den Brotscheiben hatte sich bereits erster Schimmel gebildet und die Wurst war trocken und sah nicht mehr so ganz gut aus. Sie roch auch unangenehm. Das Einzige, was noch gut war, war die Erdbeermarmelade. Ein normaler Mensch würde diese ganzen Lebensmittel sofort entsorgen und sie keinem Kinde zumuten, aber im Falle der Birthdays war das nicht so. Hier wurde gegessen, was noch da war bevor etwas Frisches gekauft wurde. Beyond ekelten diese Lebensmittel zwar an, doch sein Hunger war größer und selbst das ganze Marmeladenglas würde ihn nicht satt machen. Also schnitt er die verschimmelten Stellen im Brot weg, strich Butter drauf und legte ein Stück Wurst drauf, die ein wenig wässrig aussah. Es schmeckte nicht sehr gut, war aber noch essbar. Diese Lebensbedingungen, die Beyond ausgesetzt war, hatten ihn sowieso abgestumpft. Er konnte schlechte Lebensmittel essen ohne krank zu werden, konnte den Verzehr von verdorbenem Fleisch wegstecken und auch körperlich wurde er immer resistenter. Hatte ihn sein Vater mit einem Sturz von der Treppe den Arm gebrochen, so hatte er einen Sturz aus dem zweiten Stock relativ gut weggesteckt ohne irgendwelche Knochenbrüche oder andere schwere Verletzungen davonzutragen. Mit fünf hatte er bereits die Windpocken, mit sieben Jahren die Masern und mit neun Jahren eine schwere Lungenentzündung überlebt, obwohl die Ärzte ihn bereits abgeschrieben hatten. Er hatte ein Talent dafür, am Leben zu bleiben, egal wie schwer die Bedingungen auch waren. Als er in den Keller gegangen war um seinem Vater sein Bier zu bringen, war ihm eine schwere Kiste auf den Kopf gefallen und hatte eine tiefe Platzwunde am Hinterkopf verursacht. Obwohl man ihn schnell ins Krankenhaus gebracht hatte, sah es für ihn alles andere als gut aus und auch hier war sein Überleben ungewiss. Beyond schien wirklich gar nichts umbringen zu können. Und doch bekam ihm dieses verdorbene Abendbrot wohl ganz und gar nicht und so erbrach er sein Abendessen wenig später im Badezimmer und bekam hohes Fieber.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  RK9OO
2012-06-10T15:48:04+00:00 10.06.2012 17:48
Iiiihh... Beyonds Mutter ist gruselig D:
Von dem vergammeltem Zeug wuerd ich nix essen... kein Wunder, dass er Fieber bekommt


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