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Erzählungen aus Asgard

One-Shots
von

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Die Frauen (Humor)

Es hätte wohl nicht weniger Lärm gegeben, wäre eine ganze Horde Schweine durch sein Zimmer gejagt. Allerdings war es nur sein Bruder, der hereinstürmte, ehe die Wachen oder irgendwer auch nur etwas sagen konnten. Die schweren Flügel der Tür krachten links und rechts gegen die Wand und durch das Zimmer fuhr ein kurzer, aber kräftiger Luftstoß, der ein paar Blätter vom Tisch zu Boden flattern ließ. Wahrscheinlich war Thors überschäumender Elan für diese Wettererscheinung in einem überdachten Raum verantwortlich.
 

Loki klappte sein Buch zu und strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr, die der Wind gelöst hatte. Er ersparte sich einen Kommentar und sah seinen Bruder stattdessen herausfordernd an.

„Loki!“ Mit ausgebreiteten Armen kam Thor auf den Diwan zu, auf dem er saß.

„So heiße ich“, entgegnete er, „Was willst du?“

„Brüderchen!“ Ehe Thor noch weitersprechen konnte, sagte er klar und deutlich: „Nein.“
 

Sein Gegenüber klappte den Mund zu und sofort wieder auf. „Aber du weißt doch noch gar nicht, was ich sagen will!“, sagte er und ließ sich neben ihm auf das Polster fallen.

„Natürlich weiß ich das.“ Unbeeindruckt schlug Loki das Buch wieder auf, um anzuzeigen, dass die Konversation für ihn schon beendet war. „Du nennst mich nur ‚Brüderchen‘, wenn es um Frauen geht. Lass mich raten: Groß, blond, Augen wie Sterne und Brüste aus Gold? Und entweder frisch vermählt oder kurz davor oder mit einem Vater gesegnet, der dich an den Ohren vor Odins Thron schleifen würde, würde er dich bei seiner Tochter erwischen.“

„Du kennst mich eben am besten!“, rief Thor aus, der schon wieder seine Freude zurückgewonnen hatte, „Hilfst du mir also?“

„Nein.“
 

„Aber warum nicht?“, donnerte Thor. Um Lokis Konzentration war es danach völlig geschehen. Und nicht nur das: Es sah ganz danach aus, als würde sein Bruder sich in seinen Gemächern häuslich einrichten, bis er endlich nachgab. Thor bediente sich bereits an dem Obst, das vor ihnen auf einem niedrigen Tisch stand, und stopfte sich ein paar Kissen in den Rücken.

„Hast du nichts Besseres zu tun?“, fragte er routiniert, „Reiten? Jagen? Dich mit deinen glorreichen drei Kämpfern prügeln? Oder nein, warte, der allmonatliche Anstands- und Entschuldigungsbesuch bei Lady Sif steht auch noch aus. Wenn du das nicht bald erledigst, wird sie dich wieder ignorieren. Und dann wirst du wieder unerträglich sein“, fügte er etwas leiser hinzu und blätterte eine Seite um, damit es wenigstens so aussah, als wäre er mit etwas weitaus Wichtigerem beschäftigt. Die Wahrheit war leider, dass er vor Langeweile beinahe einging. Hätte Thor ihn tatsächlich gefragt, ob er Lust auf einen Ausritt oder eine kleine Jagd hätte, er wäre mit Freuden darauf eingegangen.
 

„Loki…“ Thor zog den letzten Vokal seines Namens in eine unerträgliche Länge, sodass er sich beinahe anhörte, wie ein bettelnder Hund. Für einen Asen seiner Ausmaße konnte er einen Welpen verdammt gut imitieren. Pech für ihn, dass Loki nichts für Hunde übrig hatte.

„Nein“, sagte er noch einmal.

„Es geht doch nur um ein kleines Ablenkungsmanöver, damit ich sie aus dem Haus holen kann. Irgendwas, das die Eltern beschäftigt…“ Ah, also war es doch der Vater.

Viel energischer als beim letzten Mal schlug Loki das Buch zu. Als er sprach, sah er nicht seinen Bruder an, sondern das Regal auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes. „Solche Spielerein sind eine bloße Verschwendung meiner Kräfte, Thor, das wäre, als würdest du mit Mjölnir… Ach, ich vergaß. Das tust du ja schon.“ Er stand auf und ging auf das Regal zu.

„Was?“, rief Thor ihm hinterher, „Was mache ich mit Mjölnir?“

„Sinnlos um dich schlagen.“
 

Danach herrschte ein paar Augenblicke Stille. Wenn es um Mjölnir ging, war Thor schnell beleidigt. Wahrscheinlich stopfte er sich gerade hinter Lokis Rücken Weintrauben in den Mund und dachte fiebrig über eine gemeine Erwiderung nach. Ein Seufzen kündigte an, dass er aufgab, und Loki grinste in sich hinein, während er so tat, als suche er nach einem anderen Buch.

„Hör mal, Loki“, sagte Thor schließlich, „Ich weiß wirklich nicht, was ich noch machen soll. Ich bin ihr komplett verfallen und sie würde mich erhören, wenn ihr Vater nicht wäre. Würde ich jemand anderes kennen, der mir helfen kann, ich würde ihn aufsuchen und dich in Ruhe lassen. Aber es gibt niemanden mit deinen Fähigkeiten. Du bist nun einmal ein Meister der Magie, niemand ist dir gewachsen, und ich weiß genau, dass alles, was du tust, gelingen wird –im Gegensatz zu manch anderen Personen in Odins Halle, die sich Magier schimpfen.“
 

Wo Thor Recht hatte… Zu seinem eigenen Erstaunen merkte Loki irgendwann in den folgenden Momenten, dass er bereits darüber nachsann, wie er die Eltern der Maid eine Weile in Schach halten konnte. Sein Bruder hatte es doch tatsächlich geschafft, ihn mit seinen Schmeicheleien einzulullen. Wieder einmal, müsste man sagen.

Aber so schnell gab er nicht nach. Schwungvoll drehte er sich um und sah seinen Bruder quer durch das Zimmer geradeaus an. „Was bekomme ich dafür?“
 


 

„Du hast mich reingelegt“, sagte Loki später und hob zur Bekräftigung seiner Aussage eine Augenbraue.

„Wieso?“, fragte Thor, der neben ihm stand und eine Miene zur Schau trug, als wolle er sich gleich seinen Helm aufsetzen und in die Schlacht reiten.

„Wenn ich gewusst hätte, dass du die Tochter des Hauptmanns der Leibgarde unseres Vaters beglücken willst, hätte ich viel mehr als Gegenleistung verlangt.“

„Mach dir nicht in die Hosen, Brüderchen.“

„Und du fang endlich an, mit etwas anderem zu denken als mit dem, was du in der Hose hast“, entgegnete Loki und musterte noch einmal das große Gebäude, das vor ihnen aufragte und in dem besagte Familie hauste. Er hatte sich auf dem Weg hierher Gedanken gemacht, wie ein Ablenkungsmanöver vonstattengehen konnte, doch musste er alle seine Pläne über den Haufen werfen, als klar wurde, wer genau Thors Auserwählte war. Der Hauptmann war jeden Tag in Odins Halle zugegen und würde Lokis Tricks erkennen, wenn er sie sah. Und Thor hatte sich nicht gerade den besten Tag für sein Schäferstündchen ausgesucht, denn gerade heute war der Mann zu Hause, obwohl er sonst viele Tage und Nächte nicht von Odins Seite wich.

„Willst du nicht bis morgen warten?“, fragte er.

„Seit wann schreckst du vor einer Herausforderung zurück?“, stellte Thor die Gegenfrage und traf damit einen wunden Punkt. Natürlich sagte Loki zu so etwas niemals nein, denn wenn er es tat, durfte er sich weitere Sticheleien anhören, die auf den Nutzen seiner Fähigkeiten abzielten. Er stieß resigniert die Luft aus.
 

„Setz dich da hin“, wies er Thor an und deutete auf eine Steinbank im Schatten der Mauer, „Und halt den Mund. Ich will sehen, was ich tun kann.“

Er begann, im Schatten des Hauses auf und ab zu gehen. Es dunkelte. Die Straßen waren leer. Irgendwann ging drinnen ein Licht an, genau in dem Augenblick, als Loki seine fünfte Idee wieder verwarf. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Thor rhythmisch mit den Fingern auf sein Knie trommelte, doch er wagte nicht, ihn zu stören, da Loki sich sonst einfach umdrehen und wieder gehen würde. Sie hatten so etwas schon öfter getan, als er zählen konnte: Thor verliebte sich Hals über Kopf in ein Mädchen und bettelte Loki an, damit er ihm half, alle Hindernisse auf dem Weg in ihr (oder sein) Schlafzimmer zu umgehen. Sobald die Nacht um war, vergaß Thor das Mädchen wieder und Loki hatte eine Weile Ruhe –es sei denn, die verschmähte Geliebte kam zu ihm und bettelte ihn an, damit er einen Liebeszauber über Thor warf. Natürlich wies er sie jedes Mal ab, doch sein Ruf wurde dadurch nicht besser.

Warum tue ich das?, fragte er sich. Bruderliebe, ach ja. Im Grunde konnte er Thor keinen Wunsch abschlagen. Er würde ihm bis nach Jötunheim folgen, wenn er ihn darum bat.
 

Loki blieb stehen und sah an der glatten Wand hoch. Drinnen hatte sich die Maid bestimmt gerade in ihr Zimmer zurückgezogen und die Eltern waren im Wohnraum. Er musste in eine ganz andere Richtung denken. Das hier war eigentlich eine einfache Angelegenheit, also brauchte er gar keine Komplizierten Intrigen aushecken. Himmel, so grob gestrickt hatte er seit einer halben Ewigkeit nicht mehr denken müssen!

Also gut. Er versuchte sich zu erinnern, welche Streiche er als junger Lehrling gespielt hatte. Da gab es ein paar Sachen, die jeder Magier vollbringen konnte und demzufolge nicht Lokis charakteristische Züge aufweisen würden. Zwar gab es in jedem Haus Schutzzeichen gegen diese leichte Magie, doch meistens waren sie falsch oder ungenau gemalt, sodass man sie umgehen konnte.

Er musste kurz die Augen schließen und den Kopf schütteln, als ihm aufging, wie lange er gebraucht hatte, um auf diese einfache Lösung zu kommen. Dann wischte er alle diese Gedanken beiseite und machte sich bereit, einen kleinen Zauber zu wirken.
 

Einen Moment später brach im Haus ein Tumult aus.

„Was hast du getan?“ Plötzlich stand Thor neben ihm und musterte besorgt das Gebäude, aus dem einige Kreischer drangen. Loki hob nur die Schultern. „Ich lasse es regnen. Jetzt muss irgendwer zu einem der Magier laufen und ihn herholen, damit er es beendet. Und du weißt ja, wie ungern sich die Magier nachts wecken lassen. Du dürftest genug Zeit haben, um…zu tun, was du tun musst.“

Auf Thors Gesicht breitete sich ein Grinsen aus und er schlug Loki kräftig auf die Schulter. „Brüderchen, du bist wahrhaftig der klügste, beste und trickreichste Magier in ganz Asgard, ach was, in allen Welten!“

„Ich wünschte, du würdest das sagen, wenn ich dir mal wieder in einer Schlacht deinen göttlichen Hintern gerettet habe“, murmelte Loki, aber Thor hörte ihn schon nicht mehr. Er war dabei, über Mauervorsprünge und Firste zum Fenster seiner Angebeteten zu klettern.
 


 

Am nächsten Morgen fand Loki bei seinem Spaziergang durch die Gärten eine verstörte, in Tränen aufgelöste Maid auf einer Bank sitzend vor. Seufzend verdrehte er die Augen zum Himmel, doch da hatte sie ihn schon gesehen und musterte ihn mit einem Blick, der dem eines geschlagenen Hundes glich. „Ihr seid der Bruder von Thor“, sagte sie, die Stimme belegt vom Weinen. Loki überlegte, ob er schnell ein paar Falten in seinem Gesicht entstehen lassen sollte, um dann so zu tun, als läge eine Verwechslung vor. Doch dazu stand er schon zu nah bei ihr.
 

„Dein Vater vermisst dich“, sagte er schließlich, „Er ist ganz außer sich vor Sorge.“ Tatsächlich hatte Odin dem Hauptmann einen Tag frei geben müssen, damit er nach seiner Tochter suchen konnte, die am Vorabend während eines magischen Angriffs auf sein Haus verschwunden war.

„Oh!“, machte sie und schlug sich in einer theatralischen Geste die Hände vors Gesicht, „Oh! Ich kann ihm doch nicht unter die Augen treten! Nicht nachdem- ! Himmel, wer weiß, vielleicht bin ich…“ In diesem Moment stutzte sie und sah Loki erneut an, als hätte sie jetzt erst bemerkt, wer er wirklich war. Er zog die Augenbrauen hoch, doch dann dämmerte ihm, was sie wollen könnte. Es war wirklich alles wie immer…
 

„Eine Freundin“, sagte sie, „Aldis… Nun, sie hat mir von Thor erzählt.“ Er schnaubte kurz. Es war klar, was genau Aldis erzählt hatte. „Und sie hat mir auch erzählt, dass Ihr ihr danach geholfen habt…“

Ja, was sollte er auch anderes tun? Ohne sein Eingreifen hätte Thor schon aberdutzende Bastarde in ganz Asgard!

„Das Mittel ist sehr stark“, sagte er, „Es kann dich unfruchtbar machen. Hat diese Aldis dir nicht auch davon erzählt?“

Das Mädchen wurde blass.

„Wie heißt du?“, fragte er.

„Feila…“

„Also gut, Feila. Machen wir nicht allzu viel Wind um die Sache. Du wirst das Mittel kriegen, doch sollte es zu stark für dich sein, gib nicht mir die Schuld. Es ist dein Fehler, dass du jetzt in dieser Situation bist. Also wirst du allein die Konsequenzen tragen. Verstanden?“ Sie nickte, eingeschüchtert von seiner kalten Stimme. „Gut. Und jetzt gehe zurück zu deiner Familie. Ich werde heute Abend hier auf dich warten.“
 


 

„Du wirst mich noch mal an den Rand des Wahnsinns bringen, Bruder“, seufzte Loki. Sie hielten sich in Thors Gemächern auf, die ganz anders gestaltet waren, als seine eigenen: sehr offen und eher karg, wie das Feldlager eines Kriegers, doch trotzdem edel. Keine Bücher oder Vorhänge, dafür reich bestickte Kissen und immer eine Karaffe kostbaren Weins auf dem Tisch. Aus dieser goss Thor ihnen in zwei goldene Becher ein; mit einer beschwichigenden Geste reichte er Loki den Trunk. „Es tut mir leid“, sagte er, „Du kennst mich. Ich kann nicht klar denken in Anwesenheit schöner Frauen.“

„Du solltest wirklich etwas dagegen tun.“ Loki trank und merkte, dass er Thor schon nicht mehr böse war. Das klappte nie lange. Natürlich, er würde noch die Nachwehen der Tat seines Bruders ertragen müssen und Feila das Mittel geben, doch danach war es ausgestanden, oder etwa nicht?
 

In diesem Moment klopfte es nachdrücklich an der Tür. Ehe Thor etwas sagen konnte, trat ein Diener, flankiert von den beiden Türwachen, ein. „Der Allvater bittet seine Söhne zu sich.“

Thor und Loki tauschten einen Blick und Loki musste all seinen Willen aufbringen, um nicht die Hand an die Stirn zu legen.

Während sie dem Diener durch die Gänge folgten, rückte er ein Stück näher zu Thor. „Jetzt bist du dran“, raunte er ihm zu, „uns da heil wieder rauszukriegen.“ Er sah, wie Thor schluckte und sich unwohl bewegte, aber er wusste, in dieser Situation war es besser, wenn er sich heraushielt. Und warum auch nicht? Die ganze Sache war die Idee seines großen Bruders gewesen.
 

Odin hatte seine ganz eigene Art, seine Söhne zu erziehen. Er imponierte ihnen fortwährend mit seiner Macht, sodass sie selbst dann noch grenzenlosen Respekt vor ihm hatten, wenn er sehr liebevoll zu ihnen war. Das Problem war, dass man sich nie sicher sein konnte, wann er explodierte. Er konnte grundlos aus der Haut fahren oder war ganz berechnend damit –überraschend kam es trotzdem jedes Mal.

Heute fing es bedrohlich leise an. Loki hielt sich von Anfang an bedeckt, doch Thor besaß den Mut (oder die Dummheit), die Fragen ihres Vaters provozierend zu beantworten. Und dann passierte es: Mit einem Mal hob Odin die Stimme und schrie Thor geradeaus an. Thor brüllte zurück; und dann begann eine lange Reihe von Beleidigungen, Anschuldigungen und Vorwürfen. Die beiden wussten wahrscheinlich gar nicht, wie ähnlich sie sich dabei sahen. Loki stand stumm zwischen ihnen und ließ den Blick von einem zum anderen wandern. Er fühlte sich fehl am Platz; eigentlich wurde er immer erst dann in die Diskussion involviert, wenn eine der Parteien ein bestätigendes Nicken von ihm sehen wollte. Meistens war das Thor.

Doch heute sollte es anders kommen.
 

„Und DU!“ Odin wirbelte auf einmal zu ihm herum und deutete mit dem Finger auf ihn, als wollte er ihn erstechen, „Was hast du dir bloß dabei gedacht? Ich dachte immer, du bist der Klügere von euch beiden! Wieso hältst du deinen dämlichen Bruder nicht davon ab, jede Frau zu rammeln, die er kriegen kann?“

„Vater, ich bin ein Magier“, sagte er, „Ich muss mich ausprobieren. Es war eine gute Gelegenheit, dachte ich. Und warum nicht meinem Bruder eine Freude machen? Du selbst hast ihm schon einmal Mädchen geschickt, nach einer gewonnenen Schlacht.“

„Ja, warum nicht, warum nicht, Loki, das fragst du?! Musste es denn gerade DIESE Frau sein?“

„Aber du musst zugeben, Vater, dass Thor einen guten Geschmack hat.“
 

„Das steht außer Frage, er ist mein Sohn.“ Odin konnte wohl nicht anders, als seinem Ältesten nun doch einen wohlwollenden Blick zuzuwerfen, den dieser dankbar an Loki weitergab. Die Gemüter kochten herunter und Odins wütender Gesichtsausdruck wandelte sich in Nachdenklichkeit. „Nun, aber was ist jetzt zu tun, mein Sohn? Du hast eine Frau entehrt und sie muss dafür entschädigt werden. Sie mit Gold zu bezahlen würde sie an die Stelle einer Hure setzen, aber ich kann sie dir auch nicht geben, Thor, sie ist deiner nicht würdig.“ Nun war es ihr Vater, der sie abwechselnd musterte. „Willst du sie?“, fragte er plötzlich an Loki gewandt, der aus allen Wolken fiel. „Nein“, sagte er steif. Er hatte nicht das geringste Bedürfnis, sich mit irgendeinem Asen so lange herumzuschlagen, ausgenommen natürlich mit seiner Familie.

„Warum nicht?“

„Ich nehme keine Frau, die mein Bruder zugeritten hat“, sagte er und wählte die scharfen Worte mit Absicht. Wenn sein Vater auf solche Ideen kam, musste er von Anfang an hart argumentieren. Tatsächlich hob Odin die Schultern. „Wo du Recht hast…"
 

„Ich kann nicht glauben, wie dumm ihr Männer seid.“ Sie wandten sich geschlossen um und erblickten Frigga, gekleidet in ein goldenes Gewandt, beinahe von derselben Farbe wie ihr Haar, das kunstvoll hochgesteckt war. Sie schritt gemächlich auf sie zu und nahm sich die Zeit, ihre beiden Söhne zur Begrüßung zu küssen, bevor sie weitersprach. „Ich mache sie zu meiner Gesellschafterin, zu einer von meinen Maiden, was meint ihr?“

„Mutter!“ Thor klang überrascht und dankbar zugleich. „Das wäre wunderbar.“

„Es ist nur selbstverständlich, dass ich deinen Fehler bereinige“, sagte Frigga, „Wer weiß, was dem armen Kind widerführe, wenn ihr hier noch weiter eure Ränke schmiedet. Eine Frau scheint für euch außerhalb des Bettes keinen Sinn zu haben, nicht wahr? Vielleicht sollte ich Lady Sif davon erzählen? Sie hat dazu bestimmt auch noch ein Wörtchen zu sagen.“
 


 

Das hatte sie tatsächlich. Sif kam am nächsten Tag in den Raum der Heilung gestürmt, wohin Loki sich zurückgezogen hatte, um zu entspannen. „Wo ist er?“, rief sie, „Dieser aufgeblasene Eber!“

„Thor?“, fragte Loki und richtete sich aus seiner halb-liegenden Position auf, „Ausgeritten mit Fandral, soweit ich weiß.“

„Oh na schön! Dann zuerst zu dir!“ Erneut fand er sich Angesicht zu Angesicht mit einem ausgestreckten Zeigefinger wieder. Sif begann eine lange Tirade, die eine gute Mischung aus denen seiner Eltern darstellte, mit ein wenig mehr Nachdruck auf den Anteilen, in denen es um die Ehre der Frau ging. „Ich kann einfach nicht glauben, dass du ihn ausgerechnet bei so etwas unterstützt, wo du ihn doch normalerweise von allen Dummheiten abhältst!“, schloss sie.

„Das ist nicht ganz richtig“, entgegnete Loki, „Ich verhindere lediglich, dass er sich aus Versehen selbst umbringt. So etwas kann ihm in seinem Alter während des Schäferstündchens aber noch nicht passieren, denke ich.“ Daraufhin sah sie ihn an, als würde sie ihm am Liebsten eine Ohrfeige geben. Er erwiderte den Blick gelassen, denn so eine Situation entstand oft zwischen ihnen und es gab zwei Gründe für Sif, ihm nicht zu nahe zu kommen: Erstens, er war ein Magier. Und zweitens, er war Odins Sohn.

Nachdem sie sich eine Weile angestarrt hatten, stieß sie einen entnervten Laut aus, drehte sich auf dem Absatz um und ging.
 

Doch seine Ruhe sollte Loki an diesem Tag einfach nicht genießen können. Er hatte sich gerade wieder auf den Rücken gelegt, die Arme hinterm Kopf verschränkt und die Augen geschlossen, als er spürte, wie etwas weiches sein Gesicht berührte. Als er aufsah, blickte er in das verschmitzte Gesicht einer jungen Frau, die noch eine Strähne ihres dunklen Haares über ihn hielt. „Sigyn“, sagte er und zog die Augenbrauen zusammen, „Was ist denn jetzt schon wieder?“

„Ich muss mit dir reden.“ Ihre dunkle Stimme klang immer noch ein wenig belustigt und sie kam um den Diwan herum, um sich neben ihn zu setzen. Erneut musste er sich aufrichten, und sie lehnte sich an ihn, sobald er saß. Loki ließ es zu, weil er sie irgendwie mochte, vielleicht, weil sie sich recht ähnlich waren. Er wusste, dass sie ihn anhimmelte, es war eigentlich gar nicht zu übersehen, aber er hielt sie trotz allem gerne auf Abstand, wie er alle auf Abstand hielt. Ihre schmachtenden Blicke waren ihm manchmal nicht ganz geheuer.
 

„Ich brauche deine Hilfe“, sagte Sigyn, „Eines von Friggas Mädchen hat ein Problem…du weißt schon…“

„Ist es Feila?“, fragte er und erntete einen milde erstaunten Blick.

„Also hat sie es doch mit Thor getrieben“, stellte Sigyn fest, „Ja, sie ist es. Sie braucht das Mittel, sagt sie. Dabei kann sie noch gar nicht wissen, ob sie ein Kind erwartet. Dummes Ding.“

„Besser, wir geben es ihr jetzt, bevor irgendwas zu merken ist“, sagte er.

„Aber es ist Gift. Was, wenn es sie unfruchtbar macht?“

„Ich weiß, dass es Gift ist“, entgegnete er, „Ich kenne mich mit diesen Dingen besser aus, als du, meine Liebe. Selbst Feila ist sich dessen bewusst. Wenn sie es will, soll sie es haben.“ Ungeachtet ihres Gewichts, das immer noch an seiner Seite ruhte, stand er auf. „Komm mit.“

„In dein Gemach, Loki?“, fragte Sigyn, während sie hinter ihm herlief, sodass er ihre anzügliche Miene vor seinem inneren Auge sehen konnte. Er wusste, sie stichelte nur, weil sie wusste, dass er nicht mit ihr ins Bett gehen würde. Also grinste er nur in sich hinein.
 

Thor und Sif waren schon von weitem zu hören. Sie standen vor der Tür zu Thors Schlafgemach und schrien sich an. Loki und Sigyn hielten kurz inne, um in den betreffenden Gang hineinzuspähen und sicherzugehen, dass keine Waffen gezückt worden waren. Doch es schien ein rein verbaler Schlagabtausch zu sein; zwar mit sich wiederholenden und plakativen Argumenten, wie Loki bald feststellte, aber nicht besorgniserregend. Vermutlich bereute Thor es im Moment, nicht weiter geritten zu sein. Aber wenn sie sich erst eine Weile angebrüllt hatten, verpuffte der Frust zwischen ihnen meistens sehr schnell wieder.

„Er sollte sie endlich in sein Bett bringen“, murmelte Sigyn, „Danach wäre sie sicher entspannter.“

„Himmel, gib, dass Asgard auch in Zukunft keine anderen Probleme zu lösen haben wird, als die Frage nach dem Wer mit Wem und Wann“, sagte Loki. Sie hob nur die Schultern und hakte sich für das letzte Stück ihres Weges bei ihm ein. Zwei Biegungen weiter befanden sich seine Räumlichkeiten, die an der Rückseite zu denen Thors grenzten. Er und Sif musste ihren Streit wohl dort fortführen, denn durch die Wand hörte man immer noch ihre lauten Stimmen.
 

Sigyn ließ sich auf sein Bett fallen, lag wie hingegossen auf den dunklen Laken, doch Loki besaß die praktische Gabe, so etwas vollkommen ausblenden zu können. Er ging in einen Nebenraum, wo er eine kleine Phiole aus einer Truhe nahm, die mit einer zähen, dunklen Flüssigkeit gefüllt war. Wenn Thor weiterhin so liebessüchtig war, musste er den Trank bald neu brauen oder einfach darauf hoffen, dass es bei den nächsten Mädchen kein so böses Nachspiel haben würde. Aber Loki plante lieber, als auf sein Glück zu vertrauen.
 

Er ging zurück und beugte sich über Sigyn, hielt ihr die Phiole hin. „Bring du es zu ihr.“ Doch anstatt das Fläschchen zu nehmen, griff sie nach seinem Handgelenk und zog ihn zu sich aufs Bett, kichernd wie ein kleines Mädchen. Loki seufzte, ließ jedoch zu, dass sie sich an ihn schmiegte. Er war immer wieder erstaunt, wie weich ihr Körper war, aber es war wirklich mehr Erstaunen, als alles andere. Er betrachtete und berührte sie mit der gleichen Neugier, mit der er als Kind einen Frosch seziert hatte.
 

„Thor weiß gar nicht, was du alles für ihn tust“, sagte Sigyn plötzlich.

„Na und?“, fragte er und ließ spielerisch seine Hand durch ihr dunkles Haar gleiten.

„Es ist ungerecht“, sagte sie, „Er merkt es nicht einmal. Dabei liebst du ihn doch mehr, als alles andere.“

„Stimmt“, sagte er, „Aber trotz allem bin ich mir auch seiner Liebe sicher.“ Da rutschte sie ein Stück von ihm weg, damit sie sich ansehen konnten. Auf ihrem Gesicht lag wieder der belustigt-ungläubige Ausdruck, mit dem sie Loki musterte, wenn sie ihn nicht gerade anschmachtete, und der ihm bei weitem am besten bei ihr gefiel. „Ihr beiden Brüder“, sagte sie, „Ich werde euch niemals verstehen.“ Dann griff sie nach seinem Kinn und zog ihn zu sich, um ihn kurz zu küssen. Loki ließ die Augen geöffnet und wartete geduldig, bis sie sich wieder von ihm löste und aufstand. „Nun, ich muss einen Botengang erledigen“, sagte sie und schwenkte die Phiole, bevor sie das Zimmer verließ. Loki drehte sich auf den Rücken und streckt sich.

Endlich Ruhe.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Tengel
2013-08-08T18:58:15+00:00 08.08.2013 20:58
:D Ja, ich habe mit dem letzten Kapitel angefangen. xD Ich liebe es und hoffe, dass noch mehr Kapitel folgen. Ich finde du hast alle Charaktere wunderbar getroffen, außer das Loki ja eigentlich auch eine männliche Hure ist xD
Von:  Risa
2012-07-30T21:43:05+00:00 30.07.2012 23:43
Ich habe gerade nach einer FF mit Loki als Hauptchara gesucht und bin dabei auf diese hier gestoßen. Mir gefällt dein Schreibstil wirklich sehr sehr gut. Es wäre klasse, wenn es noch weitere Kapitel geben würde. Möchte wissen, wie es mit Loki weiter geht. X3 Ich hab erst vor kurzem 'Thor' gesehen und er ist ein echt toller Chara. Und du hast die Geschichte sprachlich sehr schön beschrieben und umgesetzt. Es liest sich wie ein richtiges Buch. Dein Deutsch ist herrlich... Manchmal fragt man sich ja sonst echt schon, ob die deutsche Sprache verloren geht aber Autoren wie du machen mir Hoffnung! Weiter so!
LG Risa
Von:  Azuela
2012-07-28T21:42:25+00:00 28.07.2012 23:42
ich les mich hier grad so ein bisschen durch die thor-fanfictions, zwei davon haben mir sehr gut gefallen.. und jetzt erst merke ich dass beide von derselben autorin sind^^
du schreibst wirklich super, witzig und doch spannend. teilweise erinnert mich dein stil an terry pratchett, aber nie so fest dass es wie nachahmung wirkt


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