Zum Inhalt der Seite

Die Tochter des Puppenmachers

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Falle

Wie vereinbart trafen sich Matt, Mello und Near in der Bibliothek des Waisenhauses und hatten alle gesammelten Dokumente und Notizen dabei. Near erzählte wirklich alles, was er bis jetzt herausgefunden hatte und erläuterte auch seine Theorien, wobei er möglichst versuchte, die Verbindung zu den Entführungen zu verdeutlichen. Nach und nach legte er den Brief, das Bilderbuch und Olivers Rechercheergebnisse auf den Tisch. Mello sagte während dieser Zeit nicht ein Wort, fragte auch nicht nach. Als Near dann fertig war, begann er nun seinerseits die Ergebnisse zusammenzufassen. „Entführt wurden stets nur Kinder, die entweder Vollwaisen waren, oder nach denen man im Zweifelsfalle keiner lange suchen würde. Ein bestimmtes Muster verfolgt der Entführer nicht und geht offenbar wahllos zu Werke. Er bricht ohne Spuren zu hinterlassen nachts in die Häuser ein, oder entführt sie auf der Straße. Bis jetzt gab es keine Zeugen, die ihn genau beschreiben konnten. Einer sagte, er sei 180cm groß, ein anderer sprach von 166cm. In beiden Fällen war der Täter blond, aber auch hier gibt es Widersprüche. Manche sagten, Sein Haar war lang und weißblond, die anderen sprachen von kürzerem goldblondem Haar. Selbst vom Geschlecht her widersprechen sich die Zeugen. Wir beide gehen also davon aus, dass es zwei Entführer gibt. Das Kennzeichen gehört einem gestohlenen Kleintransporter und der Besitzer hat definitiv nichts mit dem Fall zu tun. Was die Vorlieben der Entführer betrifft, so entführen sie hauptsächlich nur Mädchen, nur selten Jungs und sie alle sind zwischen 11 und 14 Jahre alt, allesamt Weiße. Warum er Kinder anderer ethnischer Zugehörigkeit verschont, wissen wir bislang noch nicht. Wir haben auch schon versucht, das Jagdgebiet des Entführers einzuschränken und sind zu einem interessanten Ergebnis gekommen: Und zwar befinden sich seine Jagdgebiete in London, Winchester und Brighton und Folkestone.“

Als Mello die eingetragenen Markierungen zeigte, sah Near sofort die Verbindungen zueinander. „Alle Punkte kann man innerhalb von eineinhalb bis zwei Stunden von London aus erreichen. Mit großer Wahrscheinlichkeit ist der Entführer also dort.“

In der Tat sah alles danach aus, als würde alles nach London führen, aber das war Near doch wieder zu einfach. Chevalier war doch nicht dumm und die Polizei auch nicht. Er musste doch wissen, dass es in jedem Falle auffallen würde, wenn er nur jene Orte aufsuchte, die im gleichen Zeitabstand von London aus zu erreichen waren. „Und wenn wir die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass es ein Trick sein könnte?“

„Daran haben wir auch bereits gedacht, aber dann bleibt die Frage offen, wo er sich dann aufhält. Wenn wir auch noch berücksichtigen, dass Alice einfach mal eben schnell hier in der Nähe des Waisenhauses auftaucht, ohne dass ihr Vater verdacht schöpft, dann können wir auch davon ausgehen, dass sie in der Nähe von Winchester lebt.“ In der Tat war es tatsächlich relativ wahrscheinlich, dass Alice und William Chevalier nicht weit von Winchester entfernt lebten. Vielleicht lebten sie sogar in Winchester. Immerhin war Winchester nicht weit von London entfernt. Aber auf bloße Vermutungen konnten sie ihre ihre Ermittlungen nicht stützen. „Wir müssen herausfinden, wie viele Chevaliers in den jeweiligen Städten leben und außerdem sollten wir das Haus ansehen, in dem sie früher gelebt haben, wenn es bis dahin noch unbewohnt ist. Und der Entführungssache in Bukarest muss auch jemand nachgehen. Wie sollen wir die Arbeit verteilen?“ Matt meldete sich freiwillig, die Register und Telefonadressen aller Chevaliers herauszusuchen und vielleicht auch Urkunden zu finden. Mello wollte sich um die Sache in Bukarest kümmern und so blieb für Near eigentlich nur noch das alte Haus übrig.

Da es bereits dunkel wurde, konnte er erst morgen nach London und so verbrachte er den Rest des Tages damit, sich das Bilderbuch noch mal anzusehen. Vielleicht gab es irgendwo noch einen versteckten Hinweis, den er nicht sofort entdeckt hatte. Während Matt und Mello in den Informatikraum gingen, um mit ihrer Arbeit zu beginnen, blätterte Near das Buch durch. Er war sich sicher, er hatte irgendetwas übersehen. Doch außer den Geschichten fand er nichts, zumindest noch nicht. Denn dann sprang ihm etwas ins Auge, ein kleines Detail, das ihm erst beim näheren Hinsehen aufgefallen war. An einigen Stellen änderte sich nämlich der Schreibstil der Geschichte. Genau konnte er das aber nicht sagen, da musste er einen Experten fragen um sicherzugehen. Er fragte Chris, was er davon hielt. Dieser las sich die verschiedenen Geschichten durch und stimmte Near zu. „Tatsächlich ist die Stimmung des Autors vollkommen unterschiedlich. Die meisten Kurzgeschichten sind in einem fröhlichen und unschuldigen Stil geschrieben, wie aus der Sicht eines kleinen Kindes. Aber die hier, die Geschichte des verbitterten Bildhauers, der all seine Werke zerstört, weil sie nicht perfekt sind und er dann selbst am Ende zerbricht wie seine Figuren…. Aus der kann man sehr gut herauslesen, dass der Schreiber wütend oder verletzt war, als er das schrieb. Und am Ende, als die Bruchstücke der Skulpturen mit denen des Bildhauers weggefegt werden, klingt es so als habe es sich der Autor gewünscht, dass der Bildhauer so endet. Entweder der Autor leidet unter starken Stimmungsschwankungen oder es handelt sich vielleicht um zwei.“
 

Der Wind hatte zugenommen und Near fror trotz der Daunenjacke, die er sich von Matt geliehen bekommen hatte. Nun schneite es nicht mehr aber der eiskalte Wind war noch schlimmer und lieber hätte er den Schneefall genommen. Er ging die Straßen runter, folgte der Karte und verließ schließlich die Innenstadt und kam in ein Wohnviertel. Das Haus der Chevaliers fand er sofort. Es stand abseits und alleine, das Dach war vermodert und hatte nach einem Blitzeinschlag ein Loch. Das Haus stand kurz vor dem Abriss, da durch mangelnde Instandhaltung die Grundstruktur massiv geschädigt war und es unzumutbar geworden war, dass man unter solchen Umständen hier einzog.

Das Haus war bis jetzt nicht verkauft worden und so wie Hester erzählt hatte, waren die Chevaliers oder zumindest William Chevalier über Nacht verschwunden. Demnach musste also noch ein Teil der persönlichen Gegenstände hier sein. Und vielleicht fand sich ja ein Hinweis auf seinen Aufenthaltsort.

Da die Tür verschlossen war und zudem klemmte, blieb Near nichts anderes übrig als durch ein Fenster einzusteigen. Dies gelang ihm nach einigen Versuchen und als er endlich drin war, fand er sich in der Küche wieder. Außer dem Moder, dem Staub und den Schimmelflecken sah es so aus, als wäre noch vor kurzem jemand hier gewesen. Der Kühlschrank war leer und außer Betrieb und darauf stand eine Mikrowelle. Direkt gegenüber befand sich der Herd und daneben die Spülmaschine und die Spüle. In einer Ecke stand ein stabiler Eichentisch mit vier Stühlen dran. Und auf der weißen Spitzentischdecke stand eine Vase mit Rosen, die völlig verwelkt und schwarz waren. Von der Küche aus kam er auf den Flur und ging erst mal nach rechts. Dort befand sich ein großes Wohnzimmer. Auf einem kleinen Regal stand ein völlig verstaubter Fernseher mit Anlage, etwas weiter weg ein altmodisches Grammophon. Auf dem Sofa saßen schön aufgereiht drei Puppen, die allerdings kaputt waren. Einer Puppe fehlte ein Stück des Kopfes und das dazugehörige Auge, die mittlere besaß keinen Unterleib und der dritten fehlte gänzlich der Kopf. Und trotzdem waren sie so aufgereiht, als hätten sie vor kurzem noch die Nachrichten gesehen. Und auf dem staubigen Fußboden waren Fußabdrücke. Vor kurzem war also noch jemand hier gewesen.

Irgendwie wirkte dieses Haus gespenstisch. Als würden die Geister der Vergangenheit noch so präsent sein, als wäre dieses Haus trotz seines schlechten Zustandes noch vor kurzem bewohnt worden. Aber außer diesen drei Puppen auf dem Sofa entdeckte Near sonst keine. Wahrscheinlich hatte Chevalier sie alle mitgenommen, weil er sich nicht von ihnen trennen wollte. Vom Fenster des Wohnzimmers aus konnte man den Garten sehen. Inzwischen war dort alles verwildert, aber sicher hatte er mal wirklich schön ausgesehen. Voller Blumen und Kräutertöpfen. Near öffnete die Balkontüre und stieg die Treppen runter. Die gepflasterte Terrasse besaß zwei Ebenen. Eine hochgelegene, die direkt an der Treppe angrenzte und auf der ein alter Liegestuhl stand und dazu noch mehrere Blumentöpfe, sogar eine Bambuspflanze. Kurz danach ging es eine Treppenhöhe tiefer, wo eine Art Dach aufgebaut worden war, unter dem eine Regentonne und ein Tisch mit vier Stühlen stand. Auch auf dem Tisch standen Vasen mit völlig vertrockneten Blumen.

Rechts neben der Terrasse folgte eine große grüne Wiese mit einigen Steinplatten, die zu einem Pool führten. Dieser war durch eine stabile Plane verdeckt, um zu verhindern, dass Dreck ins Wasser kam. Aus reiner Neugier schob Near die Plane ein wenig weg, um einen Blick in den Pool zu erhaschen. Zunächst sah er nichts, doch… da war doch irgendetwas auf dem Grund des Pools. Irgendein Schatten oder so. Aber ob das ein Schatten war? Es sah viel eher danach aus, als läge irgendetwas da drin. Konnte das vielleicht ein… ein Mensch sein? Near beugte sich weiter vor und versuchte angestrengt etwas zu erkennen, weswegen er gar nicht die Bewegung hinter sich bemerkte. Dann bekam er von hinten einen kräftigen Stoß und er fiel ins eiskalte Poolwasser. Er wusste, dass es lebensgefährlich war, in voller Montur ins Wasser zu fallen, wenn dieses gerade mal eine Temperatur von ein paar Grad über Null hatte. Seine Kleidung begann sich bereits vollzusaugen und zog ihn mit ihrem Gewicht nach unten. Near hingegen versuchte nach oben an die Oberfläche zu kommen, um so schnell wie möglich den Poolrand zu fassen zu bekommen, doch die Fliesen waren so glatt und mit Eis überzogen, dass er immer wieder abrutschte. Er versuchte sich irgendwie wieder zur Oberfläche vorzukämpfen und schnappte nach Luft. Er schrie um Hilfe, hielt sich wieder am Beckenrand fest, rutschte ab und wurde wieder nach unten gezogen. Sein ganzer Körper fühlte sich an, als hätte man ihn mit Millionen heißer Nadeln durchstochen und immer schneller ging ihm so langsam die Kraft aus. Das kalte Wasser lähmte seinen Körper und dieser versuchte jetzt, so viel Energie wie möglich zu sparen, indem er nur noch die lebenswichtigen Organe mit Wärme versorgte. Nears Finger waren bereits taub und bald würde er nicht mehr in der Lage sein, sich am Beckenrand überhaupt festzuhalten. Er musste schnell irgendetwas tun, bevor er zu schwach dazu war und im Pool ertrank. Nun holte er tief Luft und ließ sich unter Wasser ziehen damit er genug Bewegungsfreiheit hatte, seine Jacke und seinen Schal auszuziehen, dann auch seinen Pullover und die Schuhe. Er musste sich eine Oberfläche schaffen, die es ihm ermöglichte, sich aus dem Wasser zu ziehen. Wieder kämpfte er sich wieder nach oben vor und legte den Pullover auf den Beckenrand, drückte ihn mit aller Kraft in die Fugen um ja zu verhindern, dass er wegrutschte. Dann drückte er sich aus dem Wasser und versuchte seinen Oberkörper soweit ins Freie zu bekommen, dass er sich nach vorne fallen lassen konnte und in Sicherheit war. Doch wenn die Arme bereits taub waren und die Kälte einem jede Kraft und jeden Atem nahm, war es eine unbeschreibliche Anstrengung für jemanden wie Near. Seine Lunge schnürte sich zusammen und er bekam kaum noch Luft, seine Brust schmerzte und fühlte sich an, als würde ein unbeschreiblicher Krampf sie zusammenziehen. Sein Herz…

Trotzdem gab er nicht auf und hatte es auch fast geschafft, da rutschte der Pullover ab und Near fiel wieder zurück in den Pool. Er musste es noch mal versuchen. Dieses Mal jedoch hatte er einen anderen Plan. Wenn er den Schnee auf das Eis drückte und dann den Pullover darauf legte, dann konnte dieser nicht mehr so leicht abrutschen und Near konnte sich endlich aus dieser Todesfalle raus. Mithilfe seiner abgelegten Kleidung gelang es ihm, genug Schnee heranzuziehen und er begann nun mit seiner Arbeit. Inzwischen konnte er vor Schmerz kaum noch Luft holen und seine Beine waren schwer wie Blei und hatten kaum noch Kraft. Trotzdem gab er nicht auf, so stark war sein Überlebenswille. Nachdem alles stabil war, versuchte er erst mal genug Wasser aus dem Pullover zu drücken, damit er nicht ganz so nass war und legte ihn dann auf die provisorische Schneefläche. Und dann versuchte er es noch mal. Er drückte seinen Oberkörper mit aller Kraft aus dem Wasser, merkte schon wie der Pullover wieder zu rutschen begann, doch dann krallte er seine Finger in den Erdboden und mobilisierte seine letzten Kraftreserven. Er durfte jetzt nicht aufgeben! Zentimeter für Zentimeter kämpfte er sich nach vorne, dann hatte er es fast geschafft. Er zog ein Bein raus und drückte sich dann damit weiter vom Pool weg, bis auch das andere Bein raus war. Völlig erschöpft legte er sich auf den Rücken und versuchte Luft zu holen.

Er hatte es geschafft. Er hatte überlebt. Doch dann wurde der Schmerz in seiner Brust immer stärker und es wurde immer schlimmer. Und das Schlimme war, dass er nun gar keine Kraft mehr hatte, überhaupt aufzustehen, oder um Hilfe zu rufen. Stattdessen blieb er auf dem Boden liegen und wurde ohnmächtig, wohl wissend dass dies sein Todesurteil bedeuten konnte.
 

Mello hatte gleich den nächsten Bus geschnappt und war Near heimlich gefolgt. Eigentlich war ja verabredet gewesen, dass er sich um die Entführungsgeschichte in Bukarest kümmerte, aber ihn hatte einfach nicht das Gefühl losgelassen, als würde irgendetwas Schreckliches passieren. Für so etwas hatte er schon immer ein Gespür gehabt und auch wenn er Near auf den Tod nicht ausstehen konnte, wollte er auch nicht, dass er durch seine Unachtsamkeit starb. Sonst würde sich Mello eines Tages vielleicht mal schwere Vorwürfe machen, er habe seinen siebten Sinn ignoriert und damit den Tod eines Kindes verschuldet. Nein, bevor es dazu kam, fuhr er dieser Albino-Schnarchnase hinterher und ging auf Nummer sicher. Und wehe, da passierte die ganze Zeit lang nichts, dann konnte sich die kleine Mistkröte warm anziehen.

Etwas weiter entfernt sah er Near, der das Haus erreicht hatte und versuchte, die Haustüre aufzubekommen. Keine Chance, dachte Mello kopfschüttelnd und biss ein Stück Schokolade ab. Ohne Schlüssel war da nichts zu machen und außerdem sah die Tür ganz danach aus, als würde sie öfter mal klemmen. Und Near mit seinen dürren Ärmchen würde noch nicht einmal einen Mehlsack heben können, da bekam er auch keine solche Tür auf. Man konnte es schon fast eine kleine Schadenfreude nennen, die Mello überkam, als er ihm zusah. Near gab es dann schließlich auf und versuchte dann durch ein Fenster zu klettern. Auch hier stellte er sich ziemlich ungeschickt an. Der Zwerg war sicher noch nie irgendwo eingebrochen, das sah man sofort. Mello hatte da schon mehr Erfahrung, was das illegale Einsteigen in Häuser anbelangte aber es war einfach diese herrliche Genugtuung, Near dabei zuzusehen, wie ungeschickt er sich da anstellte. Auch als er dann ausrutschte und rücklings in den Schnee fiel, konnte sich Mello das Lachen kaum verkneifen und bereute es, dass er keine Videokamera dabei hatte. Das hätte er jetzt echt gerne aufgenommen und dann ins Netz gestellt.

Nach einigen Versuchen hatte es Schneeflöckchen dann aber doch noch geschafft, durchs Fenster einzusteigen. Okay, damit war er jetzt im Haus. Vielleicht hatte sich ja seine Vorahnung ja doch als falsch erwiesen. Wenn dem so war, konnte er ja genauso gut wieder abziehen, es passierte ja sowieso nichts Interessantes mehr.

Mello biss noch ein Stück Schokolade ab und sah sich um. Das Haus hier war das einzige, was relativ abseits stand von den anderen Häusern. Der Garten war durch einen Zaun völlig abgeschirmt und man konnte damit also nicht direkt sehen, was die Chevaliers damals so getrieben haben. Welche Leichen hatte der Chirurg bloß im Keller? Dass er welche hatte, stand für Mello fest. Near würde sich niemals in irgendetwas verrennen und irgendwelchen Hirngespinsten hinterher rennen. Nein, wenn Near sich einer Sache sicher war, dann musste es auch stimmen.

Aber trotzdem war ihm nicht ganz klar, wie diese beiden Fälle zusammenhingen. Selbst wenn Alice Chevalier diesen Wachstumsstopper verabreicht bekommen hatte und selbst wenn sie den Unfall überlebt hätte, warum waren so viele Kinder lange Zeit nach diesem Unfall entführt worden, wo sie schon wieder auf der Bildfläche erschienen war? Da passte etwas nicht ganz zusammen. Eigentlich hätten diese Kinder alle verschwinden müssen, kurz nachdem der Unfall geschah, wenn William Chevalier die Kinder als „Ersatzteillager“ für seine Tochter brauchte. Nein, es musste etwas anderes sein. Oder aber es gab ein entscheidendes Detail, was Near übersehen hatte? Er musste etwas übersehen haben, anders war es doch gar nicht zu erklären. Während Mello so nachdachte, sah er nur ganz flüchtig eine dunkle Gestalt aus dem Haus kommen und es war nicht Near. Und er hörte vom Garten her Schreie. Er ahnte, dass der oder die Unbekannte was im Schilde führte und eilte auf sie zu. „Hey! Sofort stehen bleiben!!“ Sofort eilte die Gestalt davon und sprang dabei über Zäune und legte ein unglaubliches Lauftempo an den Tag. Und Mello, der trotzdem der Sportlichste in Wammys House war, konnte da nicht mithalten. Er hörte noch Nears Schreie und entschied sich dann, nicht dem Unbekannten zu folgen, sondern umzukehren und zu sehen, was mit Near los war und warum er wie ein Wahnsinniger herumschrie. Da es von außen her keine Möglichkeit gab, über den Zaun zu klettern, stieg er durchs Fenster und eilte durch den Flur ins Wohnzimmer und dann auf die Terrasse. Dort sah er Near regungslos am Beckenrand eines Swimmingpools liegen. Er war vollkommen durchnässt und hatte Jacke, Schuhe und Pullover ausgezogen. Dieser verdammte Kerl hatte Near wohl in den Pool gestoßen, um ihn umzubringen. Mello stieg die Treppen runter und eilte zu dem Bewusstlosen, der keinerlei Lebenszeichen von sich gab. Selbst als er ihn ansprach und ihn durchrüttelte, reagierte er nicht. Und es war auch kein Puls zu spüren.

Mello begann mit der Reanimation, wie er sie im Erste-Hilfe-Kurs gelernt hatte und tatsächlich kam Near wieder zu sich und schnappte nach Luft. Er hustete und würgte den Rest Wasser hervor, den er verschluckt hatte. Sehr gut, Near war schon mal am Leben, jetzt musste er irgendwie warmgehalten werden, bis ein Rettungswahn eintraf. Zu allererst hieß es, raus aus der Kälte und dann raus aus den nassen Klamotten. „Kannst du aufstehen?“ Doch Near reagierte nicht. Kein Wunder. Er war inzwischen so stark abgekühlt, dass man da unmöglich lange bei Bewusstsein bleiben konnte geschweige denn in der Lage war, noch vernünftig denken und antworten zu können. Also hob Mello ihn hoch und trug ihn ins Haus und zog ihm die nasse Kleidung aus. Jetzt musste er nur noch eine Möglichkeit finden, ihn zu wärmen und zwar ganz schnell. Nur das Problem war, dass es kaum etwas gab, das wirklich wärmen konnte. Es gab hier keine richtigen Decken, die Heizungen funktionierten nicht und hier etwas anzuzünden war gefährlich. Direkte Wärmezufuhr wie zum Beispiel Reiben der unterkühlten Körperstellen war jedenfalls falsch, das wusste er. Auch das Aufheizen des Raumes (wenn es überhaupt möglich gewesen wäre), würde zu einer Erweiterung der Blutgefäße führen, woraufhin sich das kalte mit dem warmen Blut vermischt und eine Auskühlung nur beschleunigte.

Erst einmal musste er dafür sorgen, dass Near zu Bewusstsein kam und das gelang ihm nur mit Mühe. Er gab ihm die Schokolade und wies ihn an diese zu essen. Das half zumindest schon mal, dass der Körper mit Energie versorgt wurde. Und in der Zwischenzeit verständigte Mello schon mal den Notarzt.

Als er wieder nach Near sah, war er vollkommen neben der Spur und auch schon wieder weggetreten. Sein Körper zitterte und zog sich immer mehr zusammen. Was er jetzt brauchte war etwas, um Near aufzuwärmen. Aber was gab es da noch mal? Da er ihn durch den Transport viel zu viel bewegt hatte, war Near schwer unterkühlt und wenn er nicht schnellstens aufgewärmt wurde, bevor der Notarzt ankam, würde es noch böse enden. Wo bekam er schnellstmöglich eine geeignete Wärmequelle her?

Aber ja doch. Es gab doch eine.

Obwohl es jede seiner Prinzipien widersprach, blieb ihm keine andere Wahl. Bevor Near noch über den Jordan ging, musste er seinen Stolz runterschlucken und versuchen, ihn warmzuhalten. „Wag es bloß nicht aufzuwachen bevor der Notarzt eintrifft. Sonst dreh ich dir eigenhändig den Hals um!“



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  RK9OO
2012-07-13T16:01:27+00:00 13.07.2012 18:01
Uuuhh, das ist ein geiles Kap! *-*
Die Sache mit dem in-den-Pool-fallen hast du super beschrieben, konnte man sich bildlich vorstellen, wie Schneeflöckchen versucht, aus dem kalten Wasser rauszukommen
Und ich liebe es ja sowieso, wenn meine Schatzis in Gefahr sind... *hüstl XD* Das macht das Ganze noch besser >D
Ah, ah, ah! Jetzt bin ich aber mal gespannt, wie Mello ihn wärmen wird... hab ich die Hoffnug auf ein bisschen Yaoi? XDD


Zurück