Zum Inhalt der Seite

Fischfutter

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Der Maler

„Cloe! Wo, zum Teufel, hast du gesteckt?”, war ja klar, dass es so kommen musste. Ich versuchte meine vor Wut zusammengezogenen Augebrauen unter meinem langen Pony zu verstecken. Die Standpauke meiner Mutter hinzunehmen war nicht einmal das größte Problem. Das größte Problem war der Mann, den sie angeschleppt hatte. Er war klein und pummelig, in einen schwarzen Anzug gesteckt worden und grinste. Es war ein hässliches Grinsen, das mich mit Abneigung erfüllte.

„Ich hatte Schule.”, sagte ich monoton. „Mr.White hat überzogen, da hab ich meinen Bus verpasst, das ist alles!”

„Denkst du im Ernst, ich kaufe dir das noch ab? Kind, du kommst jeden Tag zu spät, tausende von Männern warten auf dich, wollen dich kennen lernen! Es wird Zeit, dass du dich deiner Pflicht und Verantwortung bewusst wirst.”

„Immer diese alte Leiher, ich kann’s nicht mehr hören! Soll die Versammlung doch all diese Fremden heiraten!”, schrie ich verärgert und blickte den Neusten noch einmal an. Ich deutet auf ihn und verzog das Gesicht. Ich sprach nun direkt zu ihm. „So etwas wie dich werde ich nie heiraten! Niemals, hörst du! Du bist dick, faul und emotionslos, wirst in einen teueren Anzug gesteckt und erwartest, dass ich dich so nehme?! Verpiss dich endlich!”

„Cloe!”, fauchte meine Mutter. Der junge Mann sah mich an, vollkommen entrüstet, wollte etwas sagen, doch ich kam ihm zuvor und flüchtete mit feuchten Augen aus dem Wohnzimmer. Ich rannte die Treppe hinauf, auf das Dach unserer Villa. Der einzige Ort, der mir dort blieb, um zur Besinnung zu kommen. Noch während ich die Tür öffnete, rieselten ein paar Tränen an meinem Gesicht herunter. Ich schluchzte leise. Vom Dach aus konnte man auf die ganze Stadt sehen, aber nicht auf das Meer. Doch es war besser, als die restlichen Zimmer dieses Gefängnis’.

„Wieso… wieso nur? Ich will nicht mehr!”, sprach ich zu mir selbst und kauerte mich an die Tür. Ich umschlang meine Beine mit meinen Armen. Während ich weinte, musste ich immer wieder an die Gesichter der Männer denken, die meinetwegen zu uns gekommen waren.

Ich war eine Kreselia. So wurden Mädchen genannt, die wie ich weiße Haare und graue Augen hatten. Ein seltenes Gen rief diese Anomalie der Augen und Haare hervor. Für das Volk waren wir Reinkarnationen der Götter, wertvoll. Man wurde anders erzogen als normale Mädchen, hatte eine andere Zukunft. Die meisten Kreselien stammten aus adligem Hause. Durch sie hat das jeweilige Haus genug Macht, um mit anderen mächtigen Familien eine Verbindung durch eine Hochzeit einzugehen. Genau wie das Haus meiner Familie. Mein Vater war ein reicher Kaufmann gewesen, ich sah ihn höchstens drei Mal im Jahr. Meine Mutter stammte aus einem anderen Adelsgeschlecht, hatte sich in meinen Vater verliebt, als er ihr Lieblingsgeschäft gekauft und es ihr überlassen hatte. Sie hatten sich ineinander verlieben dürfen, mir fehlte angeblich die Zeit dazu. Ich war das Opferlahm, das zum “Wohle” unserer Familie geschlachtet werden sollte. Ich wollte all das nicht. Ich gehörte zu der Sorte Mädchen, die sich nicht von Geld abhängig machten. Ich wollte einfach nur frei sein, umher laufen, die Welt sehen. Doch das würde ein Traum bleiben, ich würde nie einen Mann und ein Leben wählen können, das mir gefällt.

„Mademoiselle Cloe?”, ich schreckte etwas auf, als ich die Stimme von Alfred, meinem privaten Diener, vernahm. Er hatte an die Tür des Daches geklopft und war vorsichtig eingetreten, als ich etwas zur Seite gerückt war und sich die Tür hatte öffnen lassen. Alfred war ein netter, älterer Mann, der sich bereits drei Monate nach meiner Geburt um mich gekümmert hatte. Er war wie der Vater, der mir seit meinem zweiten Lebensjahr fehlte. Sein kleiner Bart war typisch für einen Diener, doch ich hatte ihn nie als solchen gesehen. Als ich zu ihm aufgeschaut hatte und sah, dass er ein kleines Tablett in der Hand hielt, bat ich ihn, sich zu setzten.

„Mademoiselle, fehlt Ihnen etwas?”, fragte er behutsam und stellte das Tablett neben sich. Ich lehnte mich an seine Schulter und seufzte.

„Bitte, sei nicht so förmlich zu mir, Alfred. Du weißt, dass ich das nicht mag.”, er zögerte einen Moment, nickte jedoch und zog ein kleines, besticktes Taschentuch aus seiner Hose. Er überreichte es mir, mit diesem einfühlsam melancholischen Blick, den ich so an ihm liebte.

„Hat sie es wieder getan?”, fragte er und strich mir sanft über die Haare. Ich nickte und musste mich bemühen, nicht noch einmal in Tränen auszubrechen.

„Fett, klein, hässlich. Noch schlimmer als der davor.”, meine Arme sanken an meinen Körper zurück. Ich strecke meine Beine aus und hielt meinen Kopf etwas gesenkt.

„Es tut mir leid für Sie, Cloe. Sie müssen einiges durchgemacht haben.”

„Solange du bei mir bist, Alfred, ist es in Ordnung.”, er lachte kurz, es war mehr ein Brummen, wie das eines alten Mannes, der es liebte, Geschichten zu erzählen. Als ich ihn so geschmeichelt sah, hoben sich meine Mundwinkel zu einem sanften Lächeln an.

„Selbst wenn es nicht meine Pflicht wäre, so würde ich alles geben um bei Ihnen zu bleiben.”, sagte er. Er nahm meine Hand und streichelte sanft darüber. „Vielleicht ist es anmaßend, wenn ich dies von mir gebe, doch Sie sind wie eine Tochter für mich, ich schätze Sie sehr.”

„Es ist kein bisschen anmaßend, Alfred.”, versicherte ich fröhlich. „Danke.”, ich umschlang seine Hand mit meiner. „Du weißt wirklich am besten, was in mir vorgeht.”, Alfred war nämlich, ähnlich wie ich, im Alter von 17 Jahren von seinen Eltern an unseren Hof verkauft worden. Seit dem diente er uns. Auch er musste einiges durchgemacht haben, und ich war beinahe froh, dass es so gewesen war. Wir waren ein Herz und eine Seele.

„Ach ja.”, sagte er schließlich und nahm die kleine Porzelantasse vom Tablett. Er goss wohlriechenden Tee ein, Schwarztee schätzte ich. „Ich dachte, Sie haben vielleicht durst, da habe ich Ihnen ihren Lieblingstee gemacht. Zudem sollte er gegen ihren Frust helfen.”, ich nahm die Tasse dankend entgegen und atmete tief ein. Das sanfte, feine Aroma des Tees vermischte sich mit dem Rosenduft, der unsere Villa aufgrund unserer breit angelegten Rosengärten umgab. Die Sonnenstrahlen reflektierten mein verheultes Gesicht in der Tasse. Ich sah furchtbar aus. Ein Glück, dass ich mich nie freiwillig geschminkt hatte. Ich versuchte die Reste der Tränen so gut es ging aus meinen Augen zu wischen und trank den Tee in schnellen Zügen. Die Temperatur war perfekt für diesen Tee, ich genoss den Moment. Alfred sah mir nur zu, lächelte, freute sich scheinbar, dass es mir wieder besser ging. Das hatte ich allein ihm zu verdanken, so wie all die Male zuvor. Wenn er sich nur auch eine Tasse mitgebracht hätte, wäre dieser Moment perfekt gewesen.
 

Alfred hatte sich mittlerweile zu den Rosengärten begeben, um sich um die Rosen zu kümmern und sie am Leben zu erhalten. Meiner Mutter gegenüber zeigte er sich nie von seiner einfühlsamen Seite, wenn es nötig war, wies er mich auch vor ihr zurecht. So war es von ihm erwatete worden. Und ich akzeptierte es, weil ich sicher war, dass man ihn feuern würde, würde er es nicht tun. Ich hatte also Hausarrest, für den Rest der Woche. Hätte schlimmer kommen können. Als ich mein Zimmer betreten hatte, öffnete ich das Fenster und setzte mich auf das riesige Fensterbrett. Von dort aus konnte ich zu Alfred und den schönen Blumen herüber sehen. Der Wind hatte eine angenehme Stärke und dennoch hatte ich mich entschlossen, meine Haare zurück zu binden. Sie reichten ungefähr bis zur Brust. Manchmal dachte ich darüber nach, sie mir einfach abzurasieren. Dann wäre ich nichts Besonderes mehr, graue Augen waren nahezu normal. Doch sobald ich in den Spiegel sah, verliebte ich mich jedes Mal aufs Neue in sie. Sie glänzten wie das Mondleuchten. Meine Haare können schließlich auch nichts dafür., dachte ich grinsend. Ich flocht sie zu einem Fischgrätenzopf und band ein kleines Band an das untere Ende. Das ich dies ohne Spiegel perfekt schaffte, war sowohl für Alfred als auch für mich ein großes Wunder. Am Tor der Villa fuhr plötzlich ein kleiner Wagen ein. Das werden wahrscheinlich Mami und Papi von diesem Typen sein… Die können ihn ruhig wieder mitnehmen, den wird keiner vermissen., ich schloss meine Augen und lauschte dem Wind. Manchmal überbrachte er mir Botschaften, die ich nur verstand, wenn ich mich ihm voll und ganz überließ. Er strich sanft meine Ohren, kitzelte meine Wangen. Doch ehe ich seine Botschaft erhalten hatte, rief mich die Stimme meiner Mutter. Am liebsten wäre ich aus dem Fenster gesprungen.

„Was ist denn?”, fragte ich entnervt, als ich die Treppe hinunter getreten war. Zu meiner großen Verwunderung war der Mann von vorhin nicht gegangen, es waren mehr erschienen. Drei weitere, der eine schlaksig mit braunen Locken, der andere breit und der letzte, scheinbar sehr schüchtern, schaffte es nicht einmal, mir in die Augen zu sehen. „Was ist hier los?”, fragte ich eingeschüchtert und blieb auf der vorletzten Treppenstufe stehen. Meine Mutter lächelte sanft. Es war ein affektiertes Lachen, das wusste ich.

„Du wolltest eine Wahl, bitte sehr.”, sagte sie und stellte mir jeden Einzeln vor. Ich konnte nicht glauben, dass sie so gefühllos war. Ohne ihr und den Männer auch nur einen Funken Beachtung zu schenken rannte ich die Treppe hinauf, so schnell es ging in mein Zimmer zurück. Meine Mutter war mir gefolgt, das hörte ich an dem harten Absatz ihrer Schuhe, der auf die Specksteine traf.

„Cloe! Cloe, komm sofort zurück!”, schrie sie verärgert. Ich schloss die Tür hinter mir ab und hielt sie mit ganzer Kraft zu, obwohl ich wusste, dass sie nicht herein kommen konnte. Mein ganzer Körper zitterte. Das war alles zu viel für mich. „Sie werden solange bleiben, bis du dich entschieden hast. Mach dir das bewusst!”, erklang es durch die Tür. Nicht ein einziges freundliches Wort. Nicht ein Zeichen, dass mir zeigte, dass sie mir ein anderes Leben wünschte, nur das Beste für mich wollte. Als ich hörte, dass sich ihre Schritte von der Tür entfernten, sackte ich langsam auf den Boden. Und konnte nicht anders, als erneut zu weinen.
 

An diesem Abend war Vollmond gewesen. Wenn ich keinen Hausarrest hatte, liebte ich es, den Abend in der Stadt zu verbringen. Doch auch wenn ich das Haus nicht verlassen durfte, ich wollte einfach nur weg. Also tat ich es trotzdem. Mutter zog sich immer nach Sonnenuntergang in ihr Zimmer zurück, ich musste mir also keine Sorgen darum machen, dass sie mich erwischen konnte. Das Personal schlief im Anbau der Villa. Ich zog mir eine dünne Weste über und nahm meine Schuhe in die Hand, um keinen unnötigen Lärm auf den Treppen von mir zu geben. Von dort aus lief ich in den nach Süden verlaufenden Flur und öffnete das größte Fenster, aus dem ich schließlich hinausstieg. An einen Rosenbusch gelehnt zog ich mir meine Schuhe über und rannte, schnell und doch behutsam, von dem Anwesen. Zu Fuß dauerte es eine halbe Stunde, bis man das Zentrum der Stadt erreicht hatte. Doch das interessierte mich nicht. Noch während ich hinlief, genoss ich das Klima. Es war, als wäre ich ein Vogel, der endlich aus seinem Käfig entlassen worden war. Meine Füße balancierten am Rand des Gehwegs, während ich den anfänglichen Mondschein genoss. Die Natur war wie ein Geschenk für mich, das Schönste, dass ich je erhalten hatte. In der Stadt angekommen fiel mir schließlich auf, dass ich kein Geld bei mir trug. Etwas ungeschickt. Mein Magen knurrte. Ich lief an diversen Restaurants vorbei, doch keines zog mich so in seinen Bann wie das, von dem aus man direkt auf das Meer sehen konnte. Ich umstreifte es vorsichtig, sah mir die Stühle, aber vor allem das gute Essen an, dass dort serviert wurde. Fisch aus dem Meer mit Gemüse, Salate mit Rosenblättern, Suppen, hausgemachte Crepes. Einfache Speisen und doch die, die ich am liebsten mochte. Einer der Kellner schien meinen Rundgang bemerkt zu haben und lief auf mich zu.

„Guten Abend, gnädiges Fräulein. Möchten Sie vielleicht etwas zu sich nehmen?”, fragte er mich freundlich. Von seiner Haltung und seiner Redensart ähnelte er Alfred. Ich schüttelte sanft den Kopf und antwortete: „Bitte verzeihen Sie, ich liebe dieses Restaurant, aber ich trage gerade kein Geld bei mir.”

„Das geht schon in Ordnung.”

„Was?”, fragte ich etwas überrascht. Der Kellner bat mich einzutreten. Ich folgte ihm schweigend. Er zeigte mir den weg zu einem Tisch, im Außenbereich, genau den Tisch, den ich solange angestarrt hatte. Ich stoppte abrupt.

„Es tut mir leid, aber ich trage wirklich kein Geld bei mir.”, sagte ich noch einmal.

„Sie sind doch eine Kreselia, oder etwa nicht?”, fragte mich der Mann. Ich nickte zögerlich, was ihn scheinbar sehr zufrieden stellte. „Dann ist das kein Problem. Es ist uns eine Ehre, sie bei uns begrüßen zu dürfen.”, etwas perplex setzte ich mich schließlich auf den Stuhl, den er mir zu recht geschoben hatte. Ehe ich etwas sagen konnte, hatte er mir die Karte gebracht.

„Ich möchte wirklich nicht, dass sie mich aufgrund meines Status’ einladen, das wäre einfach nicht richtig.”, entgegnete ich hastig und drückte ihm die Karte zurück in die Hand. Er lächelte, so, wie Alfred es manchmal tat, wenn er etwas süß fand. Ich errötete kurz.

„Allein die Tatsache, dass Sie sich nicht auf ihrem Status ausruhen, zeigt mir, dass Sie sich durchaus einmal einladen lassen könnten. Wissen Sie, selbst wenn sie keine Kreselia gewesen wären, hätte ich Sie angesprochen. Sie sahen so aus, als könnten Sie warme Hausmannskost jetzt gut vertragen.”

„… Ist das wirklich so offensichtlich?”, flüsterte ich etwas melancholisch. Der Mann nickte ehrlicherweise. Ich seufzte lachend und nahm die Karte erneut entgegen. „Ich danke Ihnen. Sie haben meinen Abend gerettet.”, sagte ich zufrieden.

„Gern Geschehen. Wissen Sie schon, was es sein darf?”, als er mich das fragte, grinste ich in mich hinein. Es war unschicklich, viel Essen auf die Kosten anderer zu bestellen… Doch ich konnte einfach nicht anders. Ich würde es mir gut gehen lassen, das hatte ich mir vorgenommen.
 

„ Oh man, war das lecker…”, es war unglaublich, aber der freundliche Kellner hatte alles bezahlt. Den Fisch, die Nudeln, die Suppe und sogar den mehrschichtigen Crepe. Ich war mir sicher, dass ich an diesem Abend mindestens drei Kilogramm zugenommen hatte. Nachdem ich mich von dem Kellner verabschiedet hatte, begab ich mich auf den Weg zu meinem Lieblingssteg. Als der Mond beinahe im Zenit stand, hatte ich das Gefühl, er würde mir den Weg weisen. Das Rauschen des Meeres stimmte mich sehr glücklich. Ich nahm meine Weste von mir, damit ich den Wind besser spüren konnte. Am Steg angekommen erlöste ich meine Füße von meinen Schuhen. Ich wollte gerade an meinen gewohnten Platz gehen, als ich sah, dass er von jemandem belegt war. Ein großer, junger Mann, vielleicht zwei Jahre älter als ich, mit mandelförmigen, dunklen Augen und schwarzen, kurzen Haaren saß dort. Etwas verwundert stoppte ich. Er hielt einen Zeichenblock in seiner Hand und als ich genauer hinsah, konnte ich sehen, dass er genau diesen Abend eingefangen hatte. Doch etwas schien in seinem Bild zu fehlen.

„Guten Abend.”, sagte er schließlich, als er mich bemerkt hatte. Ich nickte zögerlich und grüßte zurück.

„Guten Abend… Ähm… würde es dir etwas ausmachen, ein kleines Stückchen zu rücken?”, fragte ich vorsichtig. Ohne ein Wort zu sagen rückte er ein großes Stück zur Seite, sodass ich mich auf meinen geliebten Platz setzen konnte. Obwohl es ein komisches Gefühl war, dass er bereits warm gesessen war. Ich tauchte meine Füße ins Wasser und ließ sie dort baumeln. Aus einem Augenwinkel heraus sah ich, dass er mich beobachtete.

„Ist.. Ist etwas?”, fragte ich etwas verlegen. Er schüttelte den Kopf und lächelte.

„Nein, bitte entschuldige. Es ist nur… würde es dich stören, so sitzen zu bleiben, damit ich dich malen kann?”

„Was? Du willst mich malen?”, fragte ich sichtlich überrascht zurück.

„Ja.”, entgegnete er ehrlich. „Auch ich komme oft hierher. Ich habe dich schon öfters hier gesehen. Du bist eine Kreselia, richtig?”

„…”, ich schwieg einen kurzen Moment. Dass man mich so oft auf meinen Status ansprach, war mir unangenehm. Doch ich nickte schließlich. „Ja. Macht das einen Unterschied?”, in meiner Stimme erklang eine leichte Schärfe, mehr, als ich eigentlich beabsichtigt hatte. Der Mann wirkte sichtlich erfreut.

„Ganz im Gegenteil.”, sagte er. Seine Stimme hatte einen angenehmen Klang. „Man sagt, das Kreselien erst im Mondlicht ihre wahre Schönheit entfalten können. Wenn du nichts dagegen hast, würde ich diesen Moment unheimlich gerne einfangen.”, kaum hatte ich seine Worte vernommen, spürte ich, dass mein Herz schneller schlug. Ich wusste nicht genau, was ich sagen sollte, und so beschloss ich, einfach nichts zu sagen und mich von ihm malen zu lassen. Es störte mich nicht. Es war eine wunderschöne Stimmung. Selbst in der Nacht gab es ein paar Fische, die um meine Füße schwammen und mich sanft kitzelten. Von den benachbarten Straßen ließen sich vergnügte Stimmen vernehmen, eine gesellige und doch ruhige Atmosphäre.

Es vergingen einige Stunden, ehe der junge Mann an mich heranrückte und sein Werk präsentierte.

„Hier.”, sagte er und gab mir den Block. Ich nahm ihn entgegen und wusste für einen Moment nicht, was ich sagen sollte. Es war so naturgetreu, hielt die Stimmung so gut fest, dass in mir ein Gefühl der Vollkommenheit aufkam. Meine Augen füllten sich erneut mit Tränen und ich gab ihm den Block zurück, ehe ich sie nicht mehr verbergen konnte.

„Ist alles in Ordnung?”, fragte er vorsichtig. Er legte den Block beiseite und versuchte in mein Gesicht zu sehen. Ich drehte mich eilig weg. Ich wollte nicht, dass mich jemand außer Alfred so sah.

„Alles okay.”, sagte ich mit versagender Stimme. „Das Bild hat mich nur sehr berührt.”, obwohl dies der Wahrheit entsprach, spürte er wohl, dass mein erneuter Gefühlsausbruch nicht nur daher rührte. Er strich mir leicht über den Rücken und fragte mich noch einmal.

„Was ist denn los?”

„Wieso sollte ich das einem Fremden sagen?”, fragte ich zurück.

„Gute Frage.”, gestand er und lächelte kurz. „Stell dir vor, es ist die Beichte in der Kirche. Ich bin einfach nur ein Pfarrer, mehr nicht.”, seine Ausdrucksweise war merkwürdig. Ich drehte mich zaghaft zu ihm um, so, als würde ich nicht ganz verstehen, was er meinte.

„Ich kenne dich nicht. Und gerade weil das so ist, kann ich dir nur auf neutraler Basis helfen. Manchen Leuten tut es aber durchaus gut, eine seitenunabhängige Meinung zu hören, verstehst du?”, ich verstand durchaus, aber ich verstand nicht, wieso er mir seine Hilfe anbot. Als hätte er meine Gedankengänge hören können, fügte er schließlich hinzu: „Sieh es als Dankeschön dafür, dass ich dich malen durfte.”, mein Schluchzen nahm etwas ab, ich kramte das Taschentuch, das mir Alfred gegeben hatte hervor und putze mir die Nase. Seine Hand ruhte noch immer auf meinem Rücken. Sie war angenehm warm und erleichterte es mir, die Dinge die mich belasteten, von mir zu geben.

Und so erzählte ich ihm meine Geschichte, die Qualen, die ich auf mich nehmen musste und mein Wunsch nach Freiheit. Kaum war ich fertig gewesen, hatte er seine Augen geschlossen.

„Ich verstehe. Das muss schwer sein.”, sagte er melancholisch. „Ich denke, du solltest deinem Herzen folgen. Niemand sollte dich von deinen wirklichen Wünschen abbringen können, besonders nicht deine Eltern. Es gibt Momente im Leben, da muss man getrennte Wege gehen.”

„Sprichst du aus Erfahrung?”, fragte ich ihn halb im Scherz, weil es so klang. Unerwarteter Weise nickte er.

„Oh, bitte entschuldige! Ich wollte dir nicht zu nahe treten!”, sagte ich eilig. Ich schämte mich dafür, Scherze über solche ein ernstes Thema gerissen zu haben und wandte meinen Blick von ihm ab.

„Es ist schon in Ordnung.”, sagte er und lächelte. Er nahm seine Hand von meinem Rücken und legte sie auf das eine Knie, das er an sich gezogen hatte. „Es war schon immer mein Traum, Künstler zu werden. Doch meine Eltern waren strickt dagegen. Sie wollten, dass ich irgendeiner ihrer Meinung nach ordentlichen Lehre nachging und möglichst viel Geld verdiene. Ich hab’s einfach nicht mehr ausgehalten und bin abgehauen. Hab von vorne angefangen. Tja, und jetzt sitze ich hier.”

„Und du malst…”, murmelte ich vor mich hin. „Ich wünschte, es wäre so einfach.”, sagte ich und schloss meine Augen. Ich spürte, dass es an der Zeit war, zu gehen. Ich wusste nicht genau wieso, doch in genau diesem Moment wusste ich, dass ich mein Leben ändern musste. Ich zog meine Füße aus dem Wasser und wartete einen Moment, bis sie abgetropft waren. „Danke für deinen Rat.”, sagte ich. Erst jetzt bemerkte ich, wie klar und schön seine dunklen Augen waren. Als ich in sie hinein blickte, konnte ich das Wasser und den Mondschein in ihnen sehen, so klar reflektierten sie das Licht. Ich versuchte mich von ihnen zu wenden und erhob mich eilig.

„Danke, dass ich dich malen durfte, Kreselia.”

„Cloe.”, sagte ich schließlich, weil ich den Namen meiner Rasse nicht mehr hören konnte.

„Jun. Freut mich.”

„Die Freude ist ganz auf meiner Seite. Vielleicht sieht man sich ja mal wieder. Schönen Abend noch.”

„Ah, warte!”, sagte er eilig. Ich drehte mich zu ihm um, ich glaube, ich sah ziemlich verwundert aus. „Ich stell demnächst ein paar Bilder in der Nähe des Himmelstors aus. Dürfte ich das hier vielleicht auch ausstellen? Und… würdest du vielleicht vorbei kommen?”, er lächelte mich an, es war ein sehr ehrliches Lächeln. Es war so angenehm, jemanden zu treffen, der seine Gefühle nicht hinter einer Maske versteckte, dass ich, etwas schüchtern, einwilligte. Auch der junge Mann namens Jun schien damit nicht gerechnet zu haben.

„Das freut mich.”, sagte er sanft. Ich verabschiedete mich noch einmal, diesmal ließ er mich gehen, ohne mir weiterhin große Beachtung zu schenken. Ich wusste nicht wieso, doch aus irgendeinem Grund begann ich ihn zu mögen. Ich hatte so intensiv über das Gespräch nachgedacht, dass ich gar nicht merkte, dass ich die ersten 50 Meter der Straße ohne Schuhe gelaufen war. Seufzend hielt ich an, um mir die Schuhe anzuziehen. Das Rauschen des Meeres erinnerte mich an das Bild. Obwohl ich es nur so kurz gesehen hatte, hatte es mein Herz sofort berührt. Bei jedem Tropfen, der in das weite Meer fiel, dachte ich daran.

Ich hatte das Anwesen erreicht. Niemand schien meine Abwesenheit bemerkt zu haben, doch um sicher zu gehen, schlich ich mich in den Anbau und klopfte so leise es ging an Alfreds Tür. Ein kleiner Lichtstreifen schimmerte innerhalb kürzester Zeit unter der Tür und ich hörte, wie er gähnend auf die Tür zu lief.

„Nanu? Cloe? Was machen Sie denn um diese Uhrzeit hier?”, fragte er mich halb im Schlaf.

„Darf ich vielleicht bei dir übernachten, Alfred?”, fragte ich, ohne ihm eine Antwort auf seine Frage zu geben. Ich denke, er ahnte bereits, dass ich das Verbot gebrochen hatte. Er seufzte und ließ mich kurz danach eintreten. Alfreds Zimmer war relativ groß für das eines Dieners. Ich legte meine Weste auf einen Stuhl und zog meine Schuhe aus. Alfred hatte sich schon zurück in sein Bett gelegt und ein Stück näher zur Wand hin gerollt, damit ich genug Platz neben ihm hatte. Das schätzte ich so an ihm. Dass ich nie etwas sagen musste, damit er mich verstand, wusste, was ich brauchte. Ich legte mich neben ihn und kicherte kurz.

„Das letzte Mal haben wir so nebeneinander gelegen, als ich sieben war.”, erinnerte ich ihn amüsiert.

„Das wissen Sie noch?”, fragte er überrascht.

„Du doch auch.”, konterte ich zufrieden.

„Nun, da haben Sie mich wohl erwischt.”, gestand er und lachte kurz. „Doch nun lassen Sie uns nicht noch mehr wertvolle Schlafenszeit verloren gehen lassen. Ich wünsche Ihnen eine angenehme Nacht, träumen Sie was schönes.”

„Alfred!”, flüsterte ich verärgert und starrte ihn etwas enttäuscht an. Er seufzte und drehte sich von mir weg.

„Ich wünsche dir eine gute Nacht, schlaf gut. Sind Sie-”

„Du!”

„Bist du nun zufrieden?”, fragte er und streichelte grob durch meine Haare. Ich kicherte und nickte. Der Fischgrätenzopf löste sich relativ schnell auf, als ich das Band aus meinen Haaren entfernt hatte. Ich legte meinen Kopf auf das Kopfkissen. Es ging mir so viel durch den Kopf, dass ich froh war, nicht alleine schlafen zu müssen. Kaum hatte ein letztes Mal zu Alfred herüber geschielt, merkte ich, dass meine Augenlieder schwerer wurden. Es war ein langer Tag gewesen.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (3)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2013-10-03T08:16:49+00:00 03.10.2013 10:16
*huff*
Lese endlich deine FF *schlepend weiterles*
Mal wieder sehr packend (bei bücher n ist es besonders schwer mich zu packen, nur 4 von 20 bisherigen gelesen büchen haben es geschafft) und die kleinen Rechtschreibfehler überdenke ich mal

Ich lese jetzt stück für stück, wenn ich gerade nichts zu tun habe und wenn es mir sehr gefällt, haste ein Favo bei mir sicher ^w^
Von:  Honigschnute
2013-03-16T11:51:47+00:00 16.03.2013 12:51
ach ja....es tutu mir aufrichtig leid das ich dich mit rechtschreibfehlern überhäufe.

*hust*
Von:  Honigschnute
2013-03-16T11:49:11+00:00 16.03.2013 12:49
Das hier nicht ein Kommi steht schockt mich jetzt ziemlich. dabei ist es so klasse geschreiben. ich favorisiers auf jeden fall....man, man, man. manchmal frag ich mich was mit animexx los ist. kommentiert den größen mist aber HIER, bei so was zuckersüßem, steht natürlich nix. das is do ungerecht. aber ich, die ewig schreibfaule, will unbedingt sagen wie sehr mir die story gefällt und wie toll ich deinen schreibstil finde. es ist unglaublich weil alles os stimig ist und in meinem kopf die ganze zeit das kopfkino lief. die geschichte hat so etwas sommerliches, frisches. Ich jedenfalls musste die ganze zeit an den sommer denken.

so nun werde ich mich sofort auf die anderen kapitel stürzen und bin sicher das diese genau so wunderschön geschrieben sind.

sei geknutscht und genuddelt.


Zurück