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Fischfutter

von

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Das Geheimnis

Als ich am nächsten Morgen zu mir kam, merkte ich, dass die Sonne noch nicht sehr hoch am Himmel stand, es musste also noch sehr früh sein. Alfred schien bereits aufgestanden zu sein, seine Schlafkleidung lag, ordentlich zusammen gefaltet, auf seiner Hälfte des Bettes. Mit einem leichten Ruck stand auch ich auf und sah in den Spiegel, der an der Zimmerwand hing, die parallel zum Bett verlief. Meine Haare waren ziemlich zerzaust und unter meinen Augen sah ich leichte Augenringe, wahrscheinlich, weil ich am Vortag so viel geweint hatte. Ich goss etwas Wasser in die Holzschale, die unter dem Spiegel stand und wusch mir über mein Gesicht. Anschließend öffnete ich das Fenster und lüftete etwas durch. Alfred vergaß das nur zu oft, doch im Grunde genommen bekam er täglich genug frische Luft ab und hatte dies auch nicht nötig. Ich zog mir meine Weste über. Es klopfte an die Tür.

„Cloe? Sind Sie bereits erwacht?”, es war Alfreds Stimme.

„Ja. Guten Morgen.”, sagte ich und öffnete die Tür. Er sah etwas müde aus, wahrscheinlich hatte ich mich heute Nacht ziemlich breit gemacht und ihm seinen sonst so ruhigen und festen Schlaf genommen. Auch wenn er ulkig aussah, verkniff ich mir ein Lachen und strich ihm stattdessen ein paar Rosenblätter aus den Haaren.

„Die Madame ist noch nicht erwacht, wenn Sie sich gleich in Ihr Zimmer begeben, wird sie nichts merken. Ihr Frühstück ist dort bereits angerichtet.”

„Tausend Dank, Alfred. Und danke, dass ich hier schlafen durfte.”

„Gern Geschehen, Cloe. Sie sind jederzeit willkommen.”, sagte er und lächelte. Auch ich musste unweigerlich lächeln und begab mich schließlich auf den Weg zu meinem Zimmer. Er hatte Recht behalten, es war gerade einmal halb sechs, eine Uhrzeit, zu der meine Mutter nicht einmal ansprechbar war. Die komischen Kerle, die sie angeschleppt hatte, schliefen wohl im Gästezimmer, ihre Schuhe waren dort in einer Reihe aufgestellt. Ich befasste mich jedoch nicht weiter damit und lief die Treppe hinauf. In meinem Zimmer angekommen, bemerkte ich den angenehmen Duft von weißem Tee und frisch gebackenen Brötchen. Alfred war wirklich der beste Diener, Freund und “Vater“, den man sich nur wünschen konnte. Er hatte sogar das Fenster für mich geöffnet und eine kleine Flasche Rosenwasser an den Fensterrahmen gestellt, das mein Zimmer mit einer köstlichen Süße erfüllte.

Nachdem ich mein Frühstück zu mir genommen hatte, nahm ich ein kurzes Bad und zog mich anschließend an. Ein Glück, dass es Freitag war und ich heute nur wenige Stunden unterricht hatte. Ich würde noch genug Zeit haben, mich an den Steg zu setzten und das herrliche Wetter zu genießen. Plötzlich fiel es mir wieder ein. Der junge Maler, dem ich gestern Abend begegnet war. Ob ich ihn heute wieder treffen würde? Ob er wieder so ein wunderschönes Bild malen würde? Wieso ich so viel über ihn nachdachte, wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Statt weiterhin Zeit damit zu vergeuden, versuchte ich meinen Rock richtig zu binden. Es war ein kurzer Faltenrock, den man zur Zeit in fast jedem Laden kaufen konnte. Das Oberteil, dass ich trug, hatte dünne Träger und wurde am Nacken mithilfe eines kleinen Bandes festgebunden. Als ich erneut auf die Uhr sah, wusste ich, dass ich mich auf den Weg machen sollte. Ich trat aus der Zimmertür und wählte den Ausgang zu den Rosengärten, weil ich nicht noch einmal am Gästezimmer dieser Dummköpfe vorbei laufen wollte. Der Weg war in weißen Kiessteinen gebettet, die gerne in die Schuhe derjenigen sprangen, die auf ihnen liefen. Alfred stand ein paar Meter weiter an einem weißen Rosenbusch und schnitt ein paar verwelkte Zweige mit einer kleinen Schere heraus. Vor langer Zeit hatte er mir einmal erzählt, dass er ebenso gerne Gärtner geworden wäre, weil er sich gerne mit Pflanzen beschäftigte. Ich lief an ihm vorbei und wünschte ihm einen schönen Tag, er tat es mir gleich. Die Sonne stand mittlerweile hoch am Himmel, es war noch nicht allzu warm. Einige Möwen flogen über das Meer und versuchten sich ein paar Fische zu schnappen. Als ein großer Kahn an mir vorbei fuhr, schlugen kräftige Wellen in die Brandung ein. Das Geräusch war sagenhaft.

In der Stadt war noch nicht sehr viel los, gewöhnlich waren nur Bäcker und Fischersleute um diese Uhrzeit auf den Beinen. Ich grüßte ein paar von ihnen, als ich durch den Torbogen gelaufen war und folgte der Hauptstraße, bis ich schließlich an meiner Schule angekommen war. Sie war nicht sehr groß, ein altes Fachwerkhaus mit Ziegeln verkleidet. Zudem war es eine reine Mädchenschule, beinahe eine hochbegabten Schule, in der man nur auf hochgewachsene, athletische Mädchen traf. Ich viel wohl etwas aus dem Muster, da ich weder Freunde besaß, noch irgendeinem Leistungssport nachging. Trotzdem hatte ich eine gute Figur, was wohl daran lag, dass ich täglich, mehr oder weniger freiwillig, durch die Stadt rannte und an die frische Luft kam. Im Inneren der Schule angekommen, suchte ich meinen Spind auf und legte meine Tasche hinein. Es war üblich, ohne Bücher in die Schule zu kommen, alle Materialien, die man benötigte, erhielt man vor Ort. Ich betrat das Klassenzimmer und ließ den Unterricht über mich ergehen. Meine Klassenkameradinnen wirkten, jeden Tag aufs neue, so versnobt, dass ich mir sicher war, kein normales Wort mit ihnen wechseln zu können. Nach vier Stunden Tragödie war ich schließlich frei. Und hatte sage und schreibe zwei Stunden, um dem Meer zu Lauschen. Wie jeden Tag war ich die erste, die das Klassenzimmer verlassen hatte. Ich schnappte mir meine Tasche und machte mich auf den Weg. Doch ehe ich auch nur auf die Hauptstraße der Stadt gelangen konnte, sah ich, dass das Automobil meines Vaters vor der Einfahrt der Schule geparkt hatte. Was?!, ich wusste nicht, was ich tun sollte. Wenn ich mich meinem Vater widersetzten würde, würde ich für den Rest meines Lebens Hausarrest haben. Es blieb mir wohl nichts anderes übrig, als auf das Automobil zu zulaufen. Der Fahrer meines Vaters steig aus und hielt mir die Tür auf. Mein Vater schien ein Gespräch zu führen, er nahm mich nicht einmal war, als ich direkt neben ihm saß. Der Fahrer startete den Wagen und nach einigen Minuten legte mein Vater den Hörer zur Seite. Ich grüßte ihn höfflich, freute mich eigentlich, ihn nach so langer Zeit wieder zu sehen. Doch alles, was aus seinem Mund kam, war: „Deine Mutter wollte, dass ich dich abhole. Um sicher zu gehen, dass du dich an dein Verbot hältst.”, ich schwieg. Nun war ich mir eindeutig sicher: Ich war meinen Eltern vollkommen egal. Ein Mann, der seine Tochter nach dreieinhalb Monaten wieder sieht, müsste doch normalerweise glücklich sein, oder? Er sollte seine Tochter in die Arme schließen und ihr sagen, wie sehr er sie und seine Frau vermisst hatte. Doch es kam nichts. Nicht einmal ein “Hallo”. Ich war am Boden zerstört.

Wir hatten die Villa erreicht. Ich stieg aus, ohne das mir der Fahrer die Tür geöffnet hatte und rannte in den Garten. Das gesamte Anwesen war von dem Geruch von Essen erfüllt, auch wenn ich Hunger hatte, ich wollte weder meinem Vater noch meiner Mutter gerade begegnen. Ich lief eine Weile durch die Rosenbüsche und setzte mich schließlich auf die Holzbank, die an einem kleinen Brunnen inmitten aller Rosen stand. Meine Tasche umklammernd schloss ich meine Augen. In letzter Zeit gab es so viele Dinge, die ich am liebsten aus meinem Leben verdrängen würde. Ich würde alles dafür geben, um das tun zu können, wonach sich mein Herz sehnte. So, wie es Jun, der junge Maler, mir erzählt hatte. Wie schön musste es doch sein, sich an irgendeinen Ort zu setzten und seiner Lieblingstätigkeit nach zu gehen… Ich träumte etwas vor mich hin, hörte das Rauschen der Wellen in meinen Ohren und wurde schließlich von Alfred wach gerüttelt, der mir eine kleine pfirsichfarbene Rose ins Haar steckte.

„Willkommen zurück, Cloe. Ich habe Ihnen etwas Brot mitgebracht, ich dachte, sie haben vielleicht Hunger.”, ich fasste an die Rose und bat ihn sich zu setzten. Auch seine Miene verzog sich allmählich. Dass ich in letzter Zeit kaum noch lachte, schien sich auch negativ auf seine Laune auszuwirken.

„Alfred?”, fragte ich zögerlich. Er nickte. „Warum bist du eigentlich an unserem Hof geblieben?”, von meiner Frage etwas verwundert, faltete er seine Hände auf seinem Schoß zusammen und suchte nach den richtigen Worten. Er lächelte ein wenig, es schien beinahe so, als würde er sich an etwas Schönes erinnern.

„Um ehrlich zu sein mochte ich die Madame und ihren Gatten nie. Ich hatte lange Zeit darüber nachgedacht, einfach zu verschwinden und irgendwo ein neues Leben anzufangen. Das einzige, was mich lange Zeit hier hielt, waren ihre wunderschönen Rosen. Jedes Mal wenn ich sie sah, im Tau getränkt, funkelnd in der Morgenröte, stieg ein Gefühl der Geborgenheit in mir auf. Und dazu kamen schließlich auch Sie, Cloe.”, ich hörte gespannt zu. Alfred wirkte plötzlich erfreut, wie jemand, der ein Geschenk erhalten hatte. „Als ich erfuhr, dass die Madame schwanger war, und sie eine Tochter erwartete, hatte ich Mitleid mit dem Kind. Ich fragte mich, in was für einer Welt es wohl aufwachsen würde, wenn es keine Eltern hatte, die sich um es kümmerten. Also wartete ich bis zur Geburt des Kindes ab, bemühte mich möglichst stark darum, das Vertrauen des Hausherren zu gewinnen, damit ich mich um Sie kümmern durfte. Sie hätten sich sehen müssen.”, sagte er amüsiert und lachte sein brummiges Lachen. „Sie waren so gebrechlich, mit ihren wunderschönen weißen Haaren und ihren funkelnden grauen Augen, die reiner schimmerten als ein Bergkristall. Ich war damals 35 Jahre alt und hatte keine Ahnung von Kindern. Doch ich spürte eine nahezu undurchdringliche Verbundenheit zu Ihnen. Sie waren so viel anders als Ihre Eltern, lernten, kaum da sie laufen konnten, die kleinen Dinge des Lebens zu schätzen… Ja, heute bin ich mir sicher. Ich bin geblieben, weil ich wissen wollte, wie Ihr Leben wohl verläuft, weil ich für Sie da sein wollte, wenn es Ihnen schlecht ging, weil ich Sie trösten wollte, wenn es Ihre Eltern nicht taten.”, als Alfred fertig erzählt hatte, spürte ich, wie sehr mich seine Geschichte berührt hatte, wie sehr ich ihn liebte. Ich schlang meine Arme um seinen Hals und drückte ihn an mich.

„Ma-Madmoiselle?!”, fragte er sichtlich überrascht. Er zögerte, doch dann legte er seine Arme an meine Taille und streichelte mir sanft über den Rücken.

„Danke.”, sagte ich und schloss meine Augen. „Danke, dass du geblieben bist!”, es war mir peinlich, aber ich musste schon wieder weinen. Neuerdings war ich wohl eine ziemliche Heulsuse. Doch es ging einfach nicht anders. Er sah mir in mein Gesicht und strich mir meine Freudentränen von den Wangen.

„Sie sind ein ungewöhnlich freundlicher Mensch, mit einem reinen Herzen. Es ist mir ein Vergnügen, an Ihrer Seite zu sein.”, er lachte erneut, als er sah, wie sehr ich seine Worte zu schätzen wusste. Er umarmte mich noch einmal, strich mir über den Kopf, so wie es Eltern taten, die ihre Kinder liebten. In diesem Moment war ich ihm so unglaublich dankbar. Ich glaube, ich hatte es allein ihm zu verdanken, dass ich wenige Minuten später den Mut besaß, die Villa zu betreten und mit meinen Eltern und dem Pack, dass sie mir als zukünftige Lebensgefährten vorgestellt hatten, zum Mittag zu essen. Obwohl es furchtbar war und ich kaum etwas an Essen zu mir genommen hatte, wusste ich, dass ich nicht allein war. Wenn mich etwas belastete, würde Alfred für mich da sein. Wenn ich einen Ratschlag bräuchte, würde er mir das Raten, was für mich am besten wäre. Er war mein Vater, das wusste ich seit jenem Augeblick mehr als zuvor. Denn es spielte keine Rolle, wer einen zur Welt brachte, entscheidend war, wer einen mit Liebe versorgte und sich für einen interessierte. Und das tat er. Mehr als alle anderen, die ich kannte.

Ich würde seine Tochter sein, für den Rest meines Lebens.

Wir waren eine kleine Familie, inmitten einer großen, die zerbrochen war, wie ein Spiegel aus dünnem Glas. Es war ein Geheimnis, dass wir bis in alle Zeit in uns tragen würden.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  HathorCat
2013-01-27T19:13:00+00:00 27.01.2013 20:13
O__O
na toll.. vom vater hatte ich wenigstens eine begrüßung erwartet..

cloe sollte weglaufen und nur alfred solle bescheid wissen, das wäre das beste für sie..
aber sowas von ><
wie kann man nur?

hm.. vllt haben diese wesen, kreselas ja auch bestimmte fähigkeiten.. vermute ich.. es kann ja nicht nur am aussehen liegen xD
dann hätte sienoch mehr chancen^^


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