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Die Zauberin und die Macht der Sterne

Die Abenteuer der Zauberin Freya, erste Staffel
von

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Freya in: (5) Der Rattenfänger

„Lieber Rufus.

Ich hoffe, es geht dir gut, dort oben im Eis. Ich hätte es nie gedacht, doch ich bleibe in Brig-Lo kleben und werde die Stadt bis Ende des Jahres nicht mehr verlassen. Wenn ich daran denke, wie lange das noch ist und wie viel Zeit ich schon hier verbrachte, kann ich es selbst nicht glauben. Es geht um Magie und Abenteuer.

Ich habe ein Geschenk für dich, welches ich dir jedoch noch nicht überreiche: Ein Schwert aus Zwergenstahl, geborgen aus der Gruft des Zwergenfürsten Rangadean. Ich sandte es dir nach Grangor, um nicht die Passage über die Schwarzen Lande zu wagen, und hoffe, es mit dir im Winter gemeinsam zu entdecken. Für deine Mutter schrieb ich, damit du glücklich bist, etwas von einer Donatio aus Andergast.

Ich kann die Sonnwende kaum erwarten und auch den Winter nicht. Ich denke an dich.

F.“
 

Ich kehre zurück. Mein Arm sinkt, als sich Immrade endgültig in einen kleinen Punkt verwandelte, und ich merke, dass ich allein auf einem dämmernden und sich leerenden Marktplatz stehe. Es wird kühl, also wird es Zeit, mein Versprechen zu halten und mich mit Lilim zu treffen, wobei ich ja meinen Zustand als angenehm empfinde: Mir schmerzen die Beine von der langen Reise und mein Hinterteil könnte sich mit einem blauen Fleck veredelt haben, doch ansonsten bin ich unverletzt, zwar nicht gepflegt, aber auch nicht so widerlich, wie ich manchmal von den Feldeinsätzen auf der Akademie wiederkehrte, und meine beim letzten Kampf verbrachte Kraft kehrt auch langsam zurück. Kurzum: Einigermaßen frohen Mutes trete ich den Weg zu Marcins Haus durch das dunkle Dörfchen an. Ich bin lange genug hier, langsam kenne ich mich aus.

Ich möchte klopfen, doch da öffnet Lilim mir schon die Tür. „Hallo, Lilim.“ – „Hallo, Freya, ich habe dich aus der Ferne schon gesehen. Gehen wir eine Runde?“ Ich nicke. Warum nicht? „Du warst lange weg. Wie war die Reise?“ – „Furchtbar. Der Anführer der Gruppe wollte mich umbringen.“ – „Wirklich? Warum?“ – „Ich weiß es nicht. Glaube mir, ich wäre froh…“ Die Stadt wurde langsam dunkel, während wir durch die einfachen Häuser einer Stadt gehen, die trotz der Tatsache, dass jedes Kind ihren Namen kennt, nicht einmal vierhundert Seelen fasst. Das Mädchen packt mich am Handgelenk und ich lasse mich mit ihr ziehen. Etwas bedrückt sie, doch ich möchte sie das Wort ergreifen lassen, ihre Aufgewühltheit zeigt sich in ihrem Griff. Sie steuert auf den Tempel Borons, des Totengottes, den einzigen Tempel der Stadt, zu. Sprich, Mädchen, sprich mit mir.

Ganz unvermittelt hält sie an. „Ich schulde dir noch eine Geschichte, was?“ Ich nicke. Ihre Stimme ist so kalt, ihr Blick so stechend. „Weißt du, ich bin keine gebürtige Brin-Loerin, vielmehr stammt meine Familie aus Albernia.“ Ich weiß, ich kenne den Akzent, doch sprich nur weiter. „Als wir damals hierher kamen, fiel es uns nicht leicht, hier Fuß zu fassen, da die Einheimischen hier weder Fremde noch Magier mögen, doch dank meines Vaters konnten wir einen anderen Weg gehen: Es gibt eine recht große Elfengemeinde hier, wusstest du das?“ Ich schüttele den Kopf. Ich bin kein Elfentyp, also habe ich nicht darauf geachtet. „Ich war zehn, als wir hier ankamen, und schon bald fand ich eine beste Freundin, Milailee, eine Halbelfe. Wir waren eine Zeitlang unzertrennlich und richtig wild. Sie verliebte sich schließlich und alles ging zu Bruch.“ Kommt hier Alrik ins Spiel? „Alrik hieß ihr Freund, Alrik Losbringer. Sie verbrachten Zeit miteinander, vereinten sich, kamen sich bei Rauschkraut nahe. Ich lernte Alrik damals kennen. Er war… auf eine charmante Art verrückt, verstehst du?“ Ich nickte, während sie mit der Fassung rang. „Sie verbrachten immer mehr Zeit miteinander und immer weniger mit mir, also weiß ich nicht genau, was da schief lief, aber ich konnte es damals schon ahnen. Sie hatte Affären, von Alrik abgesegnet, und manchmal nahm sie neben ihm noch einen zweiten Mann ins Bett. Ich traf sie einmal mitten in der Nacht, betrunken, da erzählte sie mir alles und lachte mich aus, weil ich so was nie haben könnte, weil ich keine Elfe sei und nicht entscheiden konnte, ob ich Kinder haben wolle. Am Ende brach sie mir auf die Jacke und… ich konnte nicht mehr. In dieser Nacht sprach ich zum letzten Mal mit ihr.“ Ich berühre sie, wo ihr die Tränen kommen, und gemeinsam lehnen wir uns gegen die Friedhofsmauer. „Irgendwann schämte ich mich und beschloss, nach ihr zu sehen. In den Nächten fand ich sie manchmal in den Kneipen, in den Herbergen, wie sie sich verkaufte. Ich lugte durch Türen oder Fenster, wagte mich aber nicht heran. Es war…“ Weine nicht, Mädchen, ich bitte dich… oder doch, weine. Ich kann es verstehen. „Da sah ich dich übrigens zum ersten Mal. Du warst so auffallend, so schön, so fremd, da fragte ich mich, wer du wohl warst. Ich tat es nicht lange, denn kurz darauf wurde Milailee aus dem Yaquir gezogen.“ Ich nehme sie in den Arm, während sie meine Schulter nässt. „Ach, Lilim“, sage ich, „Ich hatte doch keine Ahnung.“ – „Es ist… ja nicht deine Schuld. Du konntest es nicht wissen.“

Wir stehen eine ganze Weile so, während sich Lilim beruhigt. „Gehe jetzt lieber nach Hause, ehe sich dein Vater Sorgen macht.“, sage ich ihr und bringe sie wenigstens etwas zum Lächeln. „Der kennt das doch schon. Wollen wir noch etwas zusammen unternehmen?“ – „Heute nicht.“ Ich höre auf meine schmerzenden Beine und auf das Gewicht an meinem Gürtel, das nach einem Brief an Rufus schreit. „Morgen Abend?“ – „Gut, dann feiern wir deine erfolgreiche Rückkehr.“ Sie birst fast vor Energie. Sie muss sich wirklich schnell erholen. „Und was soll ich… mit ihm machen?“ Ich wage es nicht, den Namen auszusprechen. „Ich weiß nicht. Das musst du wissen. Gute Nacht, Freya.“
 

Ich brach durch den strömenden Regen hinein in ein dunkles Gemäuer. Da ist Rufus und er schreitet gelangweilt auf und ab, ein Buch in der Hand führend. Ich gehe schnell auf ihn zu, während ein Mann an ihn herantritt und etwas sagt, dass ich nicht verstehe. Ich höre nur Rufus antworten: „Ich weiß. Du warst auch schon bei diesem Zwerg, und sicherlich wird dein nächstes Ziel diese Magierin sein. Ich ahne auch schon, was du mir anzubieten hast… deshalb beantworte mir nur eine Frage: Warum?“
 

Ich schrecke hoch. Die Träume, in denen es um Dämonen geht, sind fast die angenehmsten. Heute muss ich eine Freundschaft kündigen. Ich stehe auf und tanze für Mada, wobei ich meinen Blitz nun mit einem Angriff mit meinem Stab verbinde. Danach kann ich wieder schlafen.
 

Aufregung jenseits der Fenster weckt mich. Ich stehe auf, öffne die Läden und erkenne ein Getöse im Ort. Was mag da wohl passiert sein? Ich ziehe mich schnell um und trete auf die Straße, wobei mich Rauch am Himmel schon in eine Richtung weist. Es hat gebrannt, doch das Feuer scheint schon unter Kontrolle zu sein. Die Menge strömt heran, einige, um zu helfen, andere, um zu glotzen, und ich weiß noch nicht, ob ich es in die erste Klasse schaffen werde. Die Richtung kenne ich. Aus Vermutung wird Gewissheit. Der Rote Hang ist nun ein Schwarzer Hang. Inmitten der Menge halte ich Ausschau nach Leben innerhalb des Gebäudes, doch da rührt sich nicht. Ich mache mir Sorgen. Die Wirtin? Alrik?

„Aves zum Gruße, Freya. Hast du dieses Haus abgebrannt?“ Die Stimme klang nah bei meinem Ohr und ich fahre zusammen. „Alrik? Nein.“ – „Dann war es wohl meine Schwarzbrennerei im Keller. Blöde Sache.“ Der Ganove lacht, als würde es ihn nicht kümmern. „Wie geht es dir? Wie war die Reise?“ Ich drehte mich in der Menschentraube zu ihm um, doch ich kann mich nicht weiter bewegen. „Hier sind zwei Gold. Mehr war nicht drin, denn dein ‚Freund’ wollte mich umbringen.“ – „Ach, deshalb hat er direkt nach dir gefragt und soviel für den Kontakt bezahlt. Wie dem auch sei, das Wichtigste ist, dass es dir gut geht. Hast du ihn umgebracht?“ Die Frage, so direkt gestellt, beschämt mich. „Nein“, antworte ich verlegen, um nicht deutlich sagen zu müssen: Es war meine Gefährtin, aber ich war bereit, zur Mörderin zu werden… doch bei den Zwölfen, was hatte ich für eine Wahl? „Dann war er es wohl. Danke für die Warnung, ich gebe meinen Männern Bescheid.“ Langsam löse ich mich aus der Traube, die sich ihrerseits löst, und wir verlassen den verwüsteten Ort. „Hast du schon etwas gegessen?“ Warum muss er so verdammt freundlich sein? „Nein.“ – „Dann komm. Die Ruinen können warten.“ Ich trotte ihm lustlos nach. „Du scheinst mir nicht sehr traurig zu sein.“ – „Es ist doch immer so im Leben: Phex gibt, Phex nimmt. Ich werde es überleben.“ – „Du, Alrik… Nein.“ – „Was?“

Bringen wir es zu Ende. „Ich finde nicht, dass wir etwas essen gehen sollten. Ich muss dir nämlich etwas sagen: Ich möchte, dass du mich in Ruhe lässt.“ Ich stehe, er steht. In seinem Blick liegt nur Verwunderung. „Bitte höre auf, mich zu besuchen. Wir hatten eine schöne Zeit, doch…“ – „Schade.“ – „Was?“ – „Wir hatten wirklich eine schöne Zeit, aber ich kann dich verstehen. Ich hatte schon lange die Hoffnung aufgegeben, dich für mich zu gewinnen, doch es war schön, jemanden zu haben, den man nicht zutexten musste.“ – „Alrik…“ Er wendet sich von mir ab, doch überlässt er mir noch ein Wort: „Es tut mir leid. Ich hätte ihn besser durchleuchten sollen.“ - „Es geht nicht um Daryion. Es geht um Milailee.“ Er schenkt mir noch einen Blick und strahlt mich mit seinem Lächeln an. „Wer ist das?“, wirft er mir nach, als er ohne mich das Gasthaus betritt und mich auf der Straße zurücklässt. Ich fühle mich mies.
 

Ich gehe weiter, doch ich habe kein Ziel. Ich will nicht in mein Zimmer zurück, ich möchte lieber verschwinden, doch dann würde ein ganzer Plan in sich zusammenfallen wie ein Kartenhaus. Ich gehe zum Kräuterhändler, doch Marcin ist, wie mir die Frau verrät, heute nicht da. Ich gehe den Schritt nicht weiter, ihn zu Hause zu besuchen, denn ich fürchte mich vor einer Begegnung. Ich schlendere durch Gassen.

Heute ist Markt, eine kleine Anhäufung aus Ständen und Wägen, die mich sicher für einen Augenblick beschäftigt halten werden, und obgleich es ein Bauernmarkt ist, der sich um die Bedürfnisse einer Kleinststadt sorgt, denke ich doch an mein schwindendes Reisegepäck und sehe mich um. Ich brauche ein paar neue Fackeln, denke ich mir, wende mich dann aber den Dingen zu, die man als Magierin nur tun darf, wenn niemand hinsieht; ich sehe mir Kleider an, fühle Stoffe und liebäugele mit einem Paar leichter Handschuhe, mit denen sich sicher schön dieses Magiersiegel verbergen ließe. Ich finde jedoch nichts, sondern werde gefunden. „Freya?“

Meister Marcin ruft durch das Gedränge. Ich lasse ab von meinen Träumen und wende mich ihm zu. „Ja?“ – „Du hast wirklich irrsinniges Glück, das weißt du gar nicht. Wärst du nicht so dumm, würde ich dich für brillant halten.“ – „Ja? Warte mal, ich komme eben…“ Ich wühle mich durch die Menge, denn was Magier sprechen, gehört besser in wenige Ohren. „Ja, Meister?“ Er starrt mich lange an und ich komme mir ertappt vor. Eigentlich, lieber Meister, wollte ich ja nur nach ein paar passenden Schuhen zu meinem Konventsgewand suchen, ganz sicher. „Ich habe die Karten gewälzt und ein paar Zahlen verschoben… und ja, ich habe deshalb die ganze Nacht kein Auge zugetan…“ Das tut mir leid. „… und ich muss sagen, es passt wirklich perfekt. Du hast den Held bei der Stute und den Hund ebenso – der steht für Treue, Unterstützung –, dazu den Kaiserstern, während die Hörner und der Drache weit entfernt liegen. Du musst nur mit Uthar leben, der Tod und Ende verheißt, nur das sollte bei dir nicht wirklich stören.“ Was soll ich da sagen? „Danke für Ihre Mühen, Meister.“ – „Ja, ja, nur das ist noch nicht alles. Ich werde dir ein paar Übungen zusammensuchen, um dich darauf einzustimmen, und ich brauche dich von Morgen an alle zwei Tage gegen Abend bei mir. Vor uns liegt viel Arbeit, besonders vor dir, also gehen wir es besser an.“ – „Ja, Meister. Natürlich, Meister.“ – „Und, Freya: Das wird nicht billig für dich und ganz sicher nicht einfach. Ich hoffe, das weißt du.“ Ich nicke nur, worauf sich Marcin von mir abwendet und im Getümmel verschwindet. Wieder bin ich allein.
 

Was soll ich nur tun? Hinter mir bauen die ersten Stände bereits ab und in all der Hektik träumt es sich schlecht davon, eine böse Magierin zu sein, zumal das Paar Handschuhe nun auch vergriffen wurde. Was bleibt mir? Ich sehe dem Treiben zu. Etwas zerrt an mir und ich schwenke meinen Zauberstab, um dem vermuteten Dieb einen ordentlichen Stoß in die Magengegend zu verschaffen, doch ich treffe nur Luft. Ich wende mich um und sehe gerade noch eine Ratte, die es sich in meinem Geldbeutel gemütlich machen wollte, ehe sie sich in eines meiner Dukatenstücke verbeißt und wegläuft. Verdammtes Ding. Ich renne hinterher, hinein in eine dunkle Gasse, immer dem Tierchen nach. Habe ich einen passenden Zauber? Verdammt, nur solche, die mich zwingen würden, anzuhalten, und das kann mir auch jede Chance kosten. Sie bleibt stehen, legt ihre Beute ab und wendet sich zu mir um. Was ist los, Nager? Ich habe keine Angst vor dir. Sei brav und gib mir mein Geld zurück oder ich brate dir mit einem Fulmi dein kleines Rattenhirn. Lass mich nur erstmal verschnaufen. Moment, was…
 

Die Ratte

Ich weiß nicht, wie viel Zeit verging, bis ich wieder zu mir komme. Ich spüre einen stechenden Schmerz auf meinem Hinterkopf, so als habe ein Wüstling mit einer Keule mich erwischt – was vermutlich ja auch der Fall war –, doch darüber hinaus… ich bin benommen und bleibe noch einen Moment liegen. Dunkel ist es hier, feucht und kalt, während auf dem Boden Pflanzen wachsen, die sich halbwegs weich anfühlen. Ich könnte hier fast liegen bleiben, wenn nicht… Verdammt, Ratten, und zwar richtig viele. Panisch springe ich auf. Ihr Viecher, ich lebe noch (verdammter Schädel), und den Rest meiner Schätze bekommt ihr nicht. Ich halte inne und fühle an meinem breiten Gürtel herab. Ja, ich hätte es mir fast denken können. Immerhin lassen sie mich jetzt aber in Ruhe.

Wo bin ich nur hier? Mein Gefühl sagt mir, unter Tage. Besitzt Brig-Lo ein Abwassersystem? Gut zu wissen. Trotzdem muss ich hier raus.

Langsam laufe ich los, wobei die Ratten vor mir zurückweichen. Mein Stab fehlt mir, doch da ich nicht gefesselt bin und auch meine Robe noch unversehrt aussieht – den Zwölfen sei’s gedankt –, könnte die Lage schlimmer sein. Immerhin bin ich eine Zauberin und hier ist eine Tür: Ich reiße sie auf und erkenne dahinter wenig Neues, wenn man von einem Tisch und einem Mann in schwarzen Gewändern absieht, der mir die Rücken zuwendet und von dem, kaum dass ich hier bin, ein leises Kichern ausgeht. „Ah, du bist endlich erwacht. Entschuldige bitte die ruppige Weise, aber du wärst kaum freiwillig mitgekommen.“ Er wendet sich mir nicht zu, aber ich möchte ihn sehen, also trete ich in den Raum und umkreise den Tisch mit der Kerze. Viel mehr sehe ich jedoch nicht, denn er verdeckt sein Gesicht mit einer Rattenmaske und streichelt, während er mich seinerseits mustert, einen dieser Nager. Mir sagt das alles nichts; vermutlich muss es ein Rattenfänger sein.

„Wie du sicher weißt“, beginnt er zu erzählen, „verfügt der Namenlose über weit reichende Kontakte: Menschen, Dämonen…“ Oh? „… Tiere, darunter auch Ratten, doch nicht alle von ihnen sind ihm loyal ergeben. Es gibt einige… sagen wir… Ausbrecher.“ Es fehlt ein zweiter Stuhl im Zimmer, also setze ich mich auf eine Tischkante ihm gegenüber. „Ich selbst war lange Zeit Rattenfänger…“ Wusste ich’s doch. „… und irgendwann fiel mir auf, dass sich manche Exemplare anders verhielten als Artgenossen, weniger aggressiv. Ich beschloss, sie zu studieren.“ Er blickt auf die Ratte vor sich herab und diese quiekt, fast wie eine Zustimmung. „Nun, ich erfuhr von ihrer Vergangenheit und was sie mir zu erzählen hatten, fand ich höchst beunruhigend. Sie erzählten von einer bevorstehenden Invasion des Namenlosen und anderen niederhöllischen Plänen.“ Wie im Osten? Oder meint er gar den Osten? „Also suche ich nach aufrechten Helden und wer glaubt schon einem dahergelaufenen Rattenfänger? Deshalb bist du hier. Meine Ratten haben dich beobachtet und als Anwärter für meinen Segen befunden.“ Sein Blick wird durchdringend und die Stille gefällt mir nicht. „Ich heiße übrigens Freya“, sage ich.

„Eine Prüfung erwartet dich und solltest du sie meistern, ist dir mein Segen sicher.“ Mit einem seufzergleichen Laut des Stuhles erhebt sich die Gestalt, sie ist wuchtiger, als ich es vermutet hatte, und geht auf mich zu. Ich löse mich ebenfalls vom Tisch, keine ihrer Bewegungen auslassend. „Solltest du aber scheitern… nun ja. Bist du bereit?“ Bereit?

Damit stößt er mich in ein Loch direkt hinter mir, welches ich übersehen haben musste. Mir fährt noch durch den Kopf, dass der Kerl wirklich nicht weiß, wie man eine Frau behandelt.
 

Kein Loch, sondern eine Rampe… rutschen, rutschen, auaaaa. Der mit Pflanzen bedeckte Boden mag meinen Aufprall abfedern, doch mein Kopf erinnert sich noch viel zu deutlich an die Liebkosung durch eine Keule. Für einen Moment ist alles still und außerdem stockdunkel, dann jedoch höre ich ein Geräusch und ehe ich es zuordnen kann, kommt schon meine Tasche samt meinem Zauberstab die Rampe herab geschossen. Ich greife beides schnell. Was habe ich nur bei mir? Fackeln? Mist, ich wollte doch… Flim Flam. Kleiner Zauber, sorgt für Licht.

Ich bin in einem einfachen Raum, dessen Gänge nach links und rechts führen… und theoretisch auch als Rampe nach oben, doch diese wird just in dem Moment von einem herabsausenden Gitter versperrt. Gehe ich eben nach links, wo die Vampirin wartete (nein, böser Gedanke)… von wo das schwache Leuchten herkommt (besser). Es kommt tatsächlich von einem Schwert und ehe ich mich versehe, greife ich danach und bemerke erst dann, wie sich die Knochen des Besitzers erheben. Verdammt, was ist das für ein Monster? Wieso immer ich?
 

Einen kurzen Moment später halte ich mit schmerzender und blutender Schulter, doch noch vom Adrenalin berauscht, eine weißlich leuchtende Klinge in den Händen, deren Linien den Namen „Serakil“ umranden. Sie ist angenehm leicht und eine Mischung aus Scham und Stolz durchfährt mich, als ich es an meinem Gürtel befestige. Ich kämpfte wie eine Löwin, ganz ohne Magie – ich hätte doch Amazone werden sollen –, aber halt nicht fehlerfrei. Es tut mal wieder weh.

… doch als wäre es alles. Ich hetze im richtigen Moment zwischen zwei immer wieder zusammenschlagenden Platten hindurch, löse durch einen Druck gegen eine Zielscheibe (nach drei missglückten Steinchen kurzerhand per Ignifaxius) einen Schalter aus, der es mir erlaubt, mittels Geheimgang eine endlos tiefe Schlucht zu umgehen, schlage mich durch faustdicke Spinnweben und betrete schließlich eine Halle, wo ich den Grund dafür erfahre, als mich zwei hundegroße Krabbler anspringen. Ich erinnere mich und reagiere: Linke Faust voran, Fulminictus: Blitz schießt heraus und brät die eine, während mir die andere eine schmerzhafte Lektion verpasst. Ich schwinge den Stab, schlage zu, schlage zu… und überlebe. Ich taste mich durch einen kleinen Gang, schreite die Wendeltreppe hoch und finde eine kleine Quelle, deren Wasser eine beruhigende und lindernde Wirkung erzielt, obgleich es biestig kalt ist. Es erholt mich, es erholt mich und ich bin wieder voll da.
 

Eine Ratte bewahrt mich vor einer Seilfalle, meine Beine mich vor einer Skeletthorde, die sich erhebt, als ich versuche, hindurch zu schleichen. Sie treiben mich jedoch in die Arme – naja, sprichwörtlich – einer Riesenschlange, die mich anzischt und nun erlebt, dass meine Nerven blank liegen: Rechte Hand auf linke Schulter, Zeige- und Mittelfinger dann auf das Ziel: Ignifaxius, gib alles, was du hast.

Ich weiß nicht, wie lange ich für meinen ganzen Weg brauchte, den ich nun damit abschließe, der Schlange durch Serakil den Gnadenstoß zu geben, doch es kommt mir endlos vor, als ich endlich wieder vor den Rattenfänger trete und dieser seine Maske absetzt, hinter der er ein durch Narben zerfurchtes Gesicht verbarg. „Wie ich sehe, hast du die Prüfung unbeschadet bestanden. Du bist würdig, meinen Segen zu erhalten.“ Er kommt auf mich zu und drückt mir eine Art Stein in die Hand, ehe er kramt und mir einen Schlüssel wie auch einen Lederbeutel überlässt und auf die Truhe deutet, die am Ende des Raumes steht. „Suche dir daraus einen Gegenstand aus. Aventurien wird dich brauchen. Wenn es soweit ist, werde ich dich finden.“ Er verlässt mich und ich stehe vor der Wahl, doch statt ihm zu folgen stammele ich nur einen Abschiedsgruß und wende mich der Kiste zu. Was wohl darin auf mich warten könnte?
 

Der Abend brach schon lange herein, als ich aus einem unscheinbaren Haus trete und mich in einem Teil Brig-Los wieder finde, der mir bislang entging. Jetzt, müde von einer Reise, werde ich mein Bett suchen und mich fragen, was der Weg wohl noch weiter für mich bringt.
 

In der Nacht werde ich vom Rattenfänger träumen. Er wird einen Mann empfangen, während ich eine Ratte bin und lauschen kann, ohne dass es stört.

„Ich hoffe, die Vorstellung war nach Eurem Geschmack.“

„Nun, sie war auf jeden Fall besser als die vorigen. Natürlich... natürlich nur, da es wenigstens ein Kandidat mit meinem kleinen Haustier aufnehmen konnte. Ich muss mir wohl ein neues fangen lassen. Das Publikum war jedenfalls hellauf begeistert, obwohl die meisten Wetteinsätze auf das kleine Tierchen gingen. Es gab einen guten Kampf.“

„Zweifellos, Herr. Ich und vor allem meine Ratten stehen Ihnen weiter zur Verfügung und werden weitere Kämpfer dieses Schlages ausbilden.“

„Das habe ich auch nicht anders erwartet. Solltet Ihr weiterhin so gute Arbeit leisten, könnt Ihr auf eine Solderhöhung hoffen.“

„Es wäre mir eine Ehre. Wann gedenkt Ihr, den nächsten Abenteurer ‚meinen Segen empfangen’ zu lassen?“

„Nicht zu früh. Ich werde Euch kontaktieren. Doch nun hinfort.“

Ich verstehe es alles nicht.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Das Soloabenteuer, auf dem dieses Kapitel basiert, stammt von Simon Overbeck und wurde auf Orkenspalter.de hochgeladen: http://downloads.orkenspalter.de/archives/1203
Die Umsetzung zu einer Geschichte stammt von mir. Komplett anzeigen

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