Die drei magischen Worte
„Mann, T.K. Hör auf damit.“ Kari kicherte und versuchte, T.K., der sich über sie gebeugt hatte und gerade ihr Ohr küsste, von sich wegzudrücken. Er hielt inne und sah sie verschmitzt an.
„Ich mach' doch gar nichts.“
„Doch, du hältst mich vom Schlafen ab“, antwortete Kari grinsend und zupfte am Ärmel seines T-Shirts herum. Sie lag ausgestreckt auf seinem Bett und hatte eigentlich ein Stündchen schlafen wollen. Die Schule und das Tanztraining waren sehr anstrengend gewesen und hatten sie einiges an Kraft gekostet.
T.K. jedoch schien andere Pläne zu haben. Er legte den Kopf schief und musterte sie. „Du willst wirklich schlafen? Ich dachte, das war nur eine Metapher.“
„Entschuldige, ich bin eben müde. Tanzen ist harte Arbeit im Gegensatz zu eurem planlosen Herumgerenne“, erwiderte Kari grinsend.
„Planloses Herumgerenne?“ Er lachte spöttisch. „Das, was du Tanzen nennst, nenne ich sinnloses Gehüpfe zu Kaspermucke.“
„Das hast du nicht umsonst gesagt!“ Kari nutzte seine Überraschung, um ihn auf den Rücken zu werfen, sich auf ihn zu stürzen und seine Seiten zu kitzeln.
„Hey!“, lachte er und versuchte, ihre Handgelenke zu schnappen, doch Kari wich ihm geschickt aus und kitzelte ihn erbarmungslos weiter. Sie spürte, wie sein Bauch sich unter ihren Fingern anspannte. Er wand sich unter ihr, bis er schließlich doch ihre Handgelenke zu fassen bekam und sich ruckartig aufrichtete. Kari bewegte sich nicht mehr, sondern erwiderte seinen Blick. Sie waren sich so nah, seine Augen leuchteten.
„Du bist eine richtige Hexe, weißt du das?“, fragte er leise. „Aber irgendwie liebe ich dich gerade dafür.“
Karis Augen weiteten sich überrascht. Er liebte sie? Das hatten sie sich bisher noch nie gesagt. Natürlich hatte Kari schon öfter über diese drei Worte und ihre weitreichende Bedeutung nachgedacht. Sie gehörten ja zu jeder Beziehung fest dazu und waren praktisch untrennbar mit ihr verbunden. Doch bisher hatte keiner von ihnen das zum anderen gesagt. Eine Zeit lang war Kari sich noch nicht einmal sicher gewesen, ob sie ihn liebte. Verliebt sein, ja. Mehr als genug. Aber Liebe?
Er schien ihre Überraschung bemerkt zu haben. „Oh, ich meinte... nein, eigentlich meinte ich genau das. Ich liebe dich.“ Er sah ihr mit seinem durchdringenden Blick in die Augen.
Kari lächelte leicht und fühlte sich durch seine Worte beflügelt. Ihr Herz klopfte wild.
„Ich liebe dich auch“, murmelte sie, bevor sie ihre Hände an sein Gesicht legte und ihn küsste. Für einige Sekunden vergaßen sie beide die Welt um sich herum und konzentrierten sich nur auf sich. Durch die Aussprache der drei Worte fühlte es sich fast an, als hätte ihre Beziehung eine noch höhere Ebene erreicht.
Schließlich löste T.K. sich jedoch von ihr und beendete den kurzweiligen Zauber des Moments.
„Vielleicht heben wir das lieber für später auf. Matt müsste jeden Moment hier sein“, sagte er und schob sie von sich herunter, um aufzustehen.
„Matt? Ich dachte, der ist schon unterwegs nach New York“, antwortete Kari verwirrt. Sie blieb auf dem Bett sitzen und sah zu ihm auf.
„Nee. Sein Flieger geht erst in drei Stunden. Er wollte vorher noch mal hier vorbeikommen, um uns was zu geben“, erklärte T.K. und streckte sich gähnend. „Ich hätte auch einen Mittagsschlaf vertragen können.“
„Was denn?“ Irritiert hob Kari eine Augenbraue.
„Keine Ahnung, wollte er nicht sagen. Aber es war ihm wichtig“, erwiderte er schulterzuckend.
„Vielleicht ein Geschenk?“, überlegte Kari.
Er zuckte scheinbar gleichgültig mit den Schultern. „Wer weiß. Vielleicht sein neuestes Album oder keine Ahnung. Wir werden es bald erfahren.“ Er warf einen Blick auf die Uhr in seinem Zimmer. „Ich glaube, ich werde langsam mal mit dem Essen anfangen. Kommst du mit oder willst du noch weiter auf meinem Bett herumliegen und so tun, als ob du schläfst?“
Kari erwiderte sein Grinsen und schwang sich aus dem Bett. „Blödmann.“
Sie gingen gemeinsam in die Küche und T.K. holte aus dem Kühlschrank und den Küchenschränken Zutaten und Utensilien hervor, die sie zum Kochen brauchten.
„Was gibt’s denn?“, fragte Kari, die ihn interessiert beobachtete.
„Nur Hühnchen, Gemüse und Reis. Du kannst ein paar Möhren schälen, wenn du willst.“ Er schob ihr Möhren und einen Gemüseschäler zu, während er sich um das Hühnchen kümmerte. Er schnitt es in Stücke, während Kari Möhren schälte. Anschließend machte er sich fluchend daran, aus einem der unteren Küchenschränke unter lautem Scheppern eine Pfanne hervorzukramen.
„Mein Gott, hier ist viel zu viel drin“, grummelte er.
In diesem Moment klingelte es an der Tür. Kari warf einen kurzen belustigten Blick auf T.K., der auf dem Boden hockte und im Schrank herumwühlte, bevor sie verkündete, dass sie die Tür öffnen ging.
Sie durchquerte Küche und Wohnzimmer auf dem Weg zur Wohnungstür in neugieriger Erwartung, was Matt wohl mitbringen würde. Schnell öffnete sie die Tür, nur um zu sehen, dass dort nicht Matt stand.
Verdutzt blickte Kari in das Gesicht eines hochgewachsenen, recht gut aussehenden Mannes mit kurzem, dunkelblondem Haar, grauen Augen und muskulöser Statur. Er musste etwa Mitte vierzig sein. Vielleicht ein Nachbar?
„Oh, hallo“, begrüßte Kari ihn.
„Hallo“, erwiderte der Mann und Kari hörte sofort, dass er einen starken Akzent hatte. „Bin ich richtig? Ich suche Natsuko und Takeru.“
„Ähm... ja, ich bin nur eine Freundin“, antwortete Kari. Mit fragendem Blick drehte sie sich zu T.K. um und öffnete gleichzeitig die Tür weit genug, um den Mann eintreten zu lassen. T.K. hatte sich aufgerichtet und erwiderte ihren Blick verwirrt, bis er zur Tür sah. In dem Moment, in dem der Mann über die Türschwelle trat und in der Wohnung erschien, wich die Farbe aus T.K.s Gesicht. Kari zuckte zusammen, als die Pfanne scheppernd zu Boden fiel.
„Was willst du hier?“ Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Völlig verwirrt starrte Kari T.K. an. Was hatte er denn auf einmal? Er sah aus, als hätte er ein Gespenst gesehen. Der Mann war doch nicht etwa...
„Hallo, Takeru“, sagte der Mann ruhig und hob langsam die Hände. „Lange nicht gesehen.“
„Mach, dass du hier rauskommst, oder ich brech' dir alle Knochen“, erwiderte T.K. genauso leise wie zuvor, doch diesmal mit einem deutlichen Drohen in der Stimme. Es gab keinen Zweifel mehr. Bei diesem Mann musste es sich um Jean handeln, sonst hätte T.K. nicht so reagiert. Aber woher wusste er, wo er und Natsuko wohnten? Sie hatten es ihm doch nicht gesagt.
„Ruhig, okay? Wo ist Natsuko?“, fragte Jean statt einer Antwort.
„Das geht dich einen Scheiß an“, erwiderte T.K. nun lauter.
„Ich will nur reden“, erklärte Jean, die Hände noch immer erhoben. „Nur reden, okay? Wo ist Natsuko?“
„Hau' ab!“, rief T.K. nun und ging langsam auf Jean zu. „Raus hier, kapiert? Und wag' es ja nicht, hier noch einmal aufzukreuzen.“
Kari stand noch immer an Ort und Stelle und sah angespannt und vollkommen verwirrt zwischen den beiden hin und her. Sie war unfähig, sich von der Stelle zu rühren, so irritiert war sie.
„Wo ist Natsuko?“, wiederholte Jean, diesmal schärfer. „Sag', wo sie ist!“
„Raus!“, rief T.K. erneut und schritt nun schneller auf ihn zu. Es sah aus, als würde er ihn angreifen wollen.
Kari wollte dazwischen gehen. Sie wollte nicht, dass T.K. ihn attackierte und ihm eventuell schlimmere Verletzungen zufügte, für die man ihn später bestrafen konnte. Sie machte Anstalten, auf T.K. zuzugehen und ihn aufzuhalten, doch plötzlich packte Jean sie und zog sie zu sich. Sie stieß einen überraschten Schrei aus und wollte sich von ihm losmachen, doch er griff in ihre Haare und zog ihren Kopf nach hinten. An ihrer Schläfe spürte sie etwas Kaltes und Hartes. Den Lauf einer Pistole.