Der Frühlingsball
Susumu hatte darauf bestanden, Kari mit dem Auto zum Ball zu fahren und eigentlich wollte er sie auch unbedingt wieder abholen, doch das war Kari zu blöd. Immerhin war sie kein Kind mehr und konnte sehr wohl nachts allein mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach Hause fahren. Und wenn sie das nicht wollte, war sie immer noch dazu in der Lage, sich ein Taxi zu rufen. Oder rufen zu lassen. Je nachdem, in welchem Zustand sie sich am Ende des Abends befand.
„Tschüss, Papa. Und danke fürs Fahren“, sagte Kari und stieg aus dem Auto.
„Kein Problem. Viel Spaß“, antwortete ihr Vater, bevor Kari die Tür zuschlug und langsam in Richtung Turnhalle ging. Sie hatte sich für cremefarbene Pumps zu dem rosafarbenen Kleid entschieden und bereute jetzt schon, dass sie keine Ballerinas angezogen hatte. Sicher sah sie aus wie eine Idiotin, wie sie den Weg entlang stakste. Einige andere aufgetakelte Schüler liefen an ihr vorbei, kümmerten sich aber nicht um sie, weshalb Kari hoffte, dass sie nicht komplett bescheuert aussah.
Schon von weitem konnte Kari das große Banner mit der Aufschrift „Frühlingsball 2009“ erkennen, das über dem Eingang der Turnhalle prangte. Die gläsernen Eingangstüren selbst waren mit bunten Papierblumen beklebt und am Rand entdeckte sie Shinji, der gerade mit einem anderen Jungen aus dem Basketballverein redete. Anscheinend hatte er auf sie gewartet, denn als er sie entdeckte, wandte er sich von seinem Gesprächspartner ab und sah sie an.
„Da bist du ja. Du siehst echt toll aus“, begrüßte er sie und musterte sie von oben bis unten.
„Danke, du auch“, erwiderte Kari. Shinji trug eine schwarze Hose, ein weißes Hemd und ein graues Jackett. Er lächelte, bot Kari den Arm an und sie gingen zusammen nach drinnen. Vorher allerdings mussten sie die beiden Türsteher passieren, die ihnen verschiedenfarbige Bändchen um die Handgelenke klebten.
Wie jedes Jahr hatte sich die große Turnhalle für den Frühlingsball völlig verändert. Der gesamte Boden war mit Teppichen beklebt worden, um den Belag zu schützen. Zwei Drittel der Halle wurden von Tischen und Stühlen eingenommen, um Sitzgelegenheiten für die Gäste zu bieten. Am Rand befanden sich zwei Bars, die die Gäste mit Getränken versorgen sollten. Ein paar Kellner waren schon dabei, durch die Halle zu laufen und Bestellungen aufzunehmen. An den Wänden und auf den Tischen befanden sich bunte Girlanden, Luftschlangen und Papierblumen. Von der Decke baumelten Lampions, deren gedämmtes Licht später für die richtige Atmosphäre sorgen würde. An einem Stirnende der Halle befand sich eine Bühne für den DJ und seine Ausrüstung und direkt davor war die Tanzfläche, die momentan noch vollkommen leer war.
Kari hielt Ausschau nach Nana, Ken oder Davis, konnte aber keinen von ihnen entdecken. Sie war noch relativ früh dran.
„Ist es okay für dich, wenn wir uns zu meinen Kumpels vom Basketball setzen?“, fragte Shinji, steuerte aber schon auf den Tisch zu, den er meinte.
„Ähm... klar“, antwortete Kari ein wenig enttäuscht. Dieser Tisch war dann sicher schon komplett reserviert und sie würde nicht mit ihren Freunden zusammensitzen, sondern mit einem Haufen Basketballer und deren Begleitungen. Zwei Jungen und drei Mädchen waren schon da. Sie gingen alle fünf in die Parallelklasse und Kari hatte nichts mit ihnen zu tun. Sie und Shinji begrüßten sie freundlich und setzten sich dann nebeneinander an den Tisch. Shinji begann sogleich ein Gespräch mit den beiden Jungen und so fühlte Kari sich ein wenig verloren, da auch die drei Mädchen miteinander tuschelten. Sie sah sich um, auf der Suche nach jemandem, mit dem sie eng genug in Kontakt stand, um zu ihm zu gehen, fand jedoch noch niemanden. An den anderen Tischen saßen ein paar Leute, doch es war noch nicht einmal die Hälfte der Plätze besetzt.
Eine Kellnerin kam zu ihnen und fragte sie, was sie trinken wollten.
„Ich hätte gern eine Cola mit Wodka“, sagte Kari.
Die Kellnerin sah sie schief an und deutete auf ihr Handgelenk. „Sorry, Alkohol nur für Volljährige.“
„Okay, dann nehme ich eine Cola“, sagte Kari kleinlaut und hoffte, die Situation hatte niemand mitbekommen.
Shinji bestellte sich ein Bier und die Kellnerin ging wieder. Kari betrachtete sein Bändchen. Es war grün und ihres war rot.
„Ich bestell' dir nachher was Alkoholisches“, sagte er und zwinkerte ihr zu.
„Schon gut“, murmelte Kari. „Ich frage mich, warum sie überhaupt diese Unterscheidung machen. Die wenigsten sind doch schon achtzehn.“
„Aber die, die es sind, sollen halt ihren Spaß haben“, erwiderte Shinji grinsend. „Außerdem kommen ja auch ein paar Lehrer und vielleicht auch Eltern.“
„Stimmt ja.“
Shinji wandte sich wieder von ihr ab und redete weiter mit seinen Kumpels. In diesem Moment stießen zu Karis Überraschung T.K. und Aya zu ihnen. Wie hatte sie nur vergessen können, dass T.K. ja auch unter die Basketballkumpels fiel? Obwohl er noch recht neu war, begrüßten ihn die Jungs fröhlich mit einem Handschlag und wirkten, als wären sie schon lange mit ihm befreundet. Den Mädchen inklusive Kari gab er die Hand und lächelte ihnen flüchtig zu. Aya hingegen hatte für keins der Mädchen am Tisch ein Lächeln übrig, sondern hing nur an T.K.s Arm, als wäre sie dort festgeklebt. Sie trug ein nachtblaues Kleid und T.K. passend dazu ein blaues Hemd und eine graue Hose. Die beiden setzten sich an Shinjis andere Seite.
Karis Cola wurde gebracht und sie trank einen Schluck, nur um etwas zu tun zu haben, während sie dort saß und nichts tat. Shinji und sein Gesprächspartner unterhielten sich darüber, wie sie die Golden Week verbracht hatten, doch Kari konnte diesem Gespräch nicht viel abgewinnen. Die Mädchen waren auch nicht viel besser. Sie beobachteten die Leute, die ankamen, und kommentierten deren Outfit.
„Und schon wieder eine mit einem roten Kleid. Rot ist so langweilig“, sagte Naru gerade.
„Immer noch besser als schwarz“, meinte Yuri.
„Sagt mal, habt ihr eigentlich auch gehört, dass es heute einen Überraschungsact geben soll?“, fragte Izumi und Kari horchte auf.
„Ja, aber ich glaube, das ist nur ein Gerücht“, antwortete Yuri.
„Und wenn nicht, dann ist es garantiert irgendwas Langweiliges. Ich meine, irgendeinen tollen Act kann sich doch keiner leisten“, erwiderte Naru abwinkend. „Oh, seht mal, das Kleid steht ihr aber gut.“
Kari hatte gar nichts von einem Überraschungsact mitbekommen, aber auch sie hatte keine Idee, was das sein konnte. Sie wandte sich um und wollte Shinji danach fragen, doch der war immer noch in ein Gespräch vertieft und schien nicht einmal zu bemerken, dass sie ihn ansah. Kari seufzte frustriert und sah sich um. Da entdeckte sie Nana, Ken, Davis und Rin, die gerade hereinkamen. Sie sprang auf und lief zu ihnen hinüber, wobei sie mehrmals umknickte.
„Oh, hey, Kari!“, rief Nana, als sie sie sah. Kari begrüßte die drei mit einer Umarmung und lächelte Rin an, die ein wenig schüchtern neben Davis stand.
„Du siehst toll aus, Nana“, lobte Kari ihre Freundin, die sich ein wenig verlegen eine Haarsträhne hinter das Ohr strich. Sie hatte die Haare diesmal offen gelassen, sodass sie ihr in sanften Wellen über die Schultern fielen.
„Danke, du auch. Wie hast du deine Haare gemacht? Mit dem Lockenstab?“, fragte Nana.
„Ja, das hat meine Mutter gemacht“, antwortete Kari. Dass sie jetzt einen roten Striemen auf der Stirn hatte, weil ihre Mutter sie verbrannt hatte, erwähnte sie nicht. Sie war froh, dass sie diese Stelle mit ihrem Haar verdeckten konnte.
„Langweilig“, kommentierte Davis das Gespräch und sah sich um. „Wo sitzt du denn, Kari? Ist da noch Platz?“
Kari schüttelte bedauernd den Kopf. „Ich sitze bei den Basketballern.“
„Oh, okay. Dann setzen wir uns jetzt einfach da vorn hin“, bestimmte Davis und steuerte auf einen Tisch zu, an dem es noch einige freie Plätze gab. Rin und Ken folgten ihm.
„Er sieht so gut aus“, flüsterte Nana Kari zu.
„Wer? Ken?“, fragte Kari verwirrt.
„Ja, wer denn sonst?“ Verträumt sah sie ihm hinterher. Kari kicherte nur. „Ich bin gespannt, was der heutige Abend bringt.“
Kari nickte nur langsam. „Wo wir gerade davon reden: Hast du etwas von einem Überraschungsact gehört?“
Nana sah sie erstaunt an. „Wer hat das nicht?“
„Ich zum Beispiel. Ich habe es nur gerade von Izumi aufgeschnappt“, antwortete Kari ein wenig verlegen, da sie anscheinend schon wieder mit einem Tunnelblick durch die Welt gegangen war.
„Du wusstest das echt nicht? Mann, das Gerücht hätte ich dir auch sagen können“, meinte Nana grinsend. „Aber ob das stimmt und was der Überraschungsact sein soll, weiß ich leider auch nicht.“
„Wenn alle das erzählen, muss ja was dran sein“, überlegte Kari laut.
Nana nickte zustimmend. „Ich gehe jetzt mal auf meinen Platz neben Ken.“ Ihre Augen leuchteten, als sie sich zum Gehen umwandte. Auch Kari ging zurück zu ihrem Platz, allerdings nicht ganz so voller Vorfreude.
Eine halbe Stunde später waren die meisten Plätze besetzt und die Musik wurde lauter gedreht. Alle schienen darauf zu warten, dass sich endlich ein mutiges Paar zuerst auf die Tanzfläche traute. Kari warf einen Blick auf Davis und die anderen. Nana schien unverfänglich mit Ken zu plaudern, während Davis und Rin einander offenbar nicht viel zu sagen hatten. Davis sah gelangweilt aus und Rin unterhielt sich mit einem anderen Mädchen am Tisch. Kari fragte sich, warum er sie nicht einfach in ein Gespräch verwickelte. Das fiel ihm doch sonst auch nicht sonderlich schwer. Ob da schon irgendetwas vorgefallen war?
Kari wandte sich wieder ab und nippte gedankenverloren an ihrer Cola.
„Willst du auch tanzen gehen?“
Kari drehte sich zu Shinji, der sie fragend ansah. Sie hatte gar nicht mitbekommen, dass sich mittlerweile doch einige Paare zur Tanzfläche begeben hatten und ihre Tanzkünste zum Besten gaben.
„Klar, warum nicht?“, antwortete Kari und stand auf. Gemeinsam mit Shinji ging sie auf die Tanzfläche, platzierte die linke Hand auf seiner Schulter und die rechte in seiner Hand. Sie begannen, zum Takt der Musik Discofox zu tanzen, wobei Kari jedoch sofort merkte, dass Shinji anscheinend kein Taktgefühl hatte. Er bewegte sich zu schnell und zerrte sie mit sich mit. Als er Karis Blick auffing, grinste er und vollführte eine Drehung. Kari lächelte müde und passte sich einfach an seinen Rhythmus an. Sie nutzte seine übermäßig vielen Drehungen dazu, die anderen Tanzpaare zu beobachten. Sie konnte Ken und Nana sehen, die viel Spaß zu haben schienen. Nana machte ein fröhliches Gesicht und Ken drückte sie fest an sich. Davis und Rin tanzten ebenfalls, doch Davis wirkte nicht glücklicher als vor wenigen Minuten. Auch T.K. und Aya konnte Kari entdecken. Sie tanzten gut. Offenbar hatte T.K. mehr Rhythmusgefühl im Blut als Shinji. Kari bemühte sich, die beiden nicht mehr zu beachten. Sie und Shinji blieben noch einige weitere Lieder auf der Tanzfläche und obwohl sich der Takt der Lieder änderte, änderte Shinji seine Tanzgeschwindigkeit nicht. Ein paar Mal kamen sie aus dem Takt, weil es Kari schwer fiel, sich an ihn anzupassen.
Nach einer Weile gingen sie zurück zu ihrem Tisch. Shinji entschuldigte sich mit den Worten, er würde ihnen etwas zu trinken holen. Kari setzte sich schon einmal hin und beobachtete die Paare auf der Tanzfläche. Wie jedes Jahr staunte sie darüber, wie manch einer tanzen konnte, dem man das im Alltag nicht zugetraut hatte.
Shinji kam zurück und stellte ein Glas Cola vor ihr auf den Tisch.
„Danke. Wie viel kriegst du?“, fragte sie und griff nach ihrer Handtasche.
„Nichts, du bist eingeladen“, antwortete er lächelnd.
„Ähm... okay, danke“, sagte Kari ein wenig unbehaglich. Sie trank einen Schluck Cola und war überrascht, nicht den üblichen, süßen Geschmack wahrzunehmen, sondern noch einen etwas bitteren Beigeschmack. Da war ein ordentlicher Schuss Wodka drin.
Shinji grinste. „Sag' einfach Bescheid, wenn du noch mehr willst. Ich bestell' dir alles.“
Kari nickte, wusste jedoch jetzt schon, dass sie das Angebot lieber nicht annehmen sollte.
„Übrigens siehst du heute richtig süß aus“, meinte Shinji beiläufig und lächelte.
„Süß?“, fragte Kari und sah ihn an.
„Ja. So unschuldig, aber so siehst du ja irgendwie immer aus“, antwortete Shinji schulterzuckend.
Kari zog die Augenbrauen hoch und trank einen großen Schluck von ihrer Wodkacola. Vielleicht sollte sie das Angebot doch annehmen und beweisen, dass sie kein Unschuldslamm war, sondern auch anders konnte.
„Wenn die Kellnerin das nächste Mal wiederkommt, kannst du mir gleich noch eine bestellen“, sagte sie und versuchte, möglichst cool zu klingen. Anschließend trank sie das Glas in einem Zug leer, stand auf und ging entschlossen hinüber zu Nana, die sie fragend ansah.
„Los, wir gehen tanzen“, sagte Kari bestimmt, ergriff Nanas Hand und zog sie mit sich mit zur Tanzfläche.
„Geht's dir gut?“, fragte Nana skeptisch.
„Klar. Ich hab' nur Lust zu tanzen“, antwortete Kari und begann, die Tanzfläche unsicher zu machen, sodass die Leute um sie herum ein wenig Abstand nehmen mussten und ihr mürrische Blicke zuwarfen. Nana lächelte und sah aus, als würde sie sich für Kari schämen, doch sie tanzte mit.
Nach einer halben Stunde ging Kari zurück zu ihrem Platz, wo eine neue Wodkacola auf sie wartete. Diesmal leerte sie das ganze Glas in einem Zug und tippte Shinji auf die Schulter, der sie noch nicht bemerkt hatte. Er drehte sich zu ihr um.
„Wozu brauchst du eigentlich eine Partnerin, wenn du eh nur quatschst, hm?“, fragte sie keck und sah ihn an.
„Sorry, ich wollte dich nicht vernachlässigen“, sagte er grinsend und stand auf. Sie gingen zur Tanzfläche und diesmal war Kari diejenige, die führte. Sie wirbelte durch die Gegend, drehte sich, zerrte Shinji mit sich, sang die Musik mit.
„Vielleicht sollte ich dir doch keinen Alkohol mehr bestellen“, meinte Shinji lachend, doch Kari schüttelte den Kopf.
„Dann macht's ja keinen Spaß mehr.“
Je länger sie tanzte, desto mehr spürte sie die Wirkung des Alkohols. Allmählich fühlte es sich an, als würde sich in ihrem Kopf ein Nebel ausbreiten. Ihre Laune steigerte sich und sie merkte trotz der hohen Schuhe nicht, dass ihre Füße eigentlich weh taten und sie schon eine Blase hatte.
Nach einer Weile entschuldigte Shinji sich und sie gingen sich wieder hinsetzen. Kari nutzte die Pause und ging hinüber zu Nana und den Jungs. Schon wieder waren Nana und Ken in ein Gespräch vertieft, doch sie unterbrachen es, als sie Kari bemerkten.
„Na, ihr Turteltauben?“ Sie ließ sich neben Ken auf einen Stuhl fallen. Nana lief rot an und warf ihr einen wütenden Blick zu.
„Sag mal, hast du was getrunken?“, fragte Ken und hob eine Augenbraue.
„Nur ein bisschen“, antwortete Kari grinsend. „Nicht der Rede wert.“
„Bestellt Shinji dir etwa Alkohol?“, fragte Nana stirnrunzelnd. „Ich glaube, ich sollte ihn auch mal fragen.“
„Mach das“, erwiderte Kari fröhlich. „Das macht er bestimmt gern. Er ist eigentlich ganz nett, wisst ihr? Und er ist auch gar nicht mehr so aufdringlich.“
Nana warf einen skeptischen Blick hinüber zu Shinji und Ken zuckte nur mit den Schultern. „Wenn du meinst.“
„Was ist eigentlich mit Davis los?“, fragte Kari mit einem Blick auf ihren Freund, der gelangweilt mit verschränkten Armen und finsterer Miene auf seinem Stuhl herumlungerte. Rin war nicht mehr da.
„Ich weiß es auch nicht. Ich hab' ihn schon gefragt, aber er meint, es ist alles okay“, antwortete Ken ratlos.
„Vielleicht will Rin nicht mit ihm tanzen?“, überlegte Nana.
„Ich glaube eher, Davis will nicht tanzen“, sagte Ken lachend.
„Das wäre doch gelacht“, meinte Kari und stand entschlossen auf. Sie ging zu Davis, streckte die Hand aus und sah ihn auffordernd an.
„Was ist?“, fragte er, ohne sich zu bewegen.
„Los, wir tanzen“, bestimmte Kari.
„Keine Lust“, murmelte Davis abweisend, doch Kari griff einfach nach seiner Hand und zog ihn hoch.
„Na komm schon. Warum hast du so schlechte Laune? Das ist unser letzter Frühlingsball“, sagte sie fröhlich und zog ihn mit sich zur Tanzfläche.
„Und wenn schon. Außerdem kann ich nicht tanzen“, murrte er kein Stück besser gelaunt.
„Macht nichts. Ich führe“, erwiderte Kari, brachte sie beide in Position und begann zu tanzen. Davis war steif wie ein Brett und Kari musste sich richtig anstrengen, ihn durch die Gegend zu ziehen und zu schieben. Er trat ihr immer wieder auf die Füße, doch das bekam sie kaum mit.
„Was ist los mit dir, Davis? Warum bist du so schlecht drauf?“, fragte sie und musterte ihn neugierig.
Er zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung.“
„Hat Rin dich gegen einen anderen eingetauscht?“, fragte Kari weiter.
„Ich glaube schon. Aber das kann ich ihr nicht verübeln“, murmelte Davis niedergeschlagen.
„Hast du sie vergrault? Was ist denn passiert?“
„Nichts ist passiert. Jetzt hör' auf, mich auszufragen. Du bist ja schlimmer als Herr Kugo.“
Kari kicherte. „Ich will doch nur, dass es dir gut geht. Bist du unglücklich verliebt, oder was?“
Ein wenig getroffen sah Davis sie an, wandte jedoch den Blick schnell wieder ab. „Ähm... nein.“
Kari machte große Augen. „Wer ist es?“
„Niemand!“, widersprach Davis, lief aber rot an.
„Rin? Ach nein, dann hättest du sie ja nicht links liegen lassen“, überlegte Kari laut. Davis antwortete nicht. „Vielleicht Nana? Oh mein Gott, es ist Nana, oder?“ Erwartungsvoll sah Kari ihn an. Er öffnete den Mund, als wollte er etwas sagen, tat es jedoch nicht. „Oh und jetzt ist sie die Tanzpartnerin von deinem besten Kumpel.“ Kari sah ihn mitleidig an.
„Kari... sieh mal, sie bauen was auf.“
„Was?“ Verwirrt folgte Kari seinem Blick. Tatsächlich, auf der Bühne wurden Instrumente aufgebaut. „Oh, wer da wohl kommt? Dann scheint das mit dem Überraschungsact also zu stimmen.“
„Überraschungsact?“, fragte Davis irritiert.
Kari sah ihn verblüfft an und musste dann lachen. Anscheinend war sie doch nicht die Einzige, die davon nichts mitbekommen hatte.
Als das Lied zu Ende war, bestand Davis darauf, sich wieder hinzusetzen. Kari ging zurück zu ihrem eigenen Platz. Shinji war gerade nicht da, aber auf ihrem Platz stand eine neue Wodkacola. Kari kippte sie eilig hinunter. Das ganze Tanzen hatte ihr Durst gemacht. Aus den Augenwinkeln bemerkte sie, wie jemand auf den Platz neben ihr rutschte. Sie drehte sich um und erkannte, dass es T.K. war. Aya konnte sie nirgends entdecken. Kari erstarrte und fühlte sich gleich nur noch halb so selbstsicher wie vor einer Sekunde und das trotz des Alkohols.
„Wie war's bei deinen Großeltern?“, fragte er beiläufig.
„Ähm... ja, ganz gut. Tai war auch da“, antwortete sie.
„Echt? Wie geht’s ihm?“
„Gut.“ Die ganze Heirats- und Babygeschichte ging ihn schließlich nichts an. „Und was hast du so gemacht?“
„Nichts weiter. Meinen Vater besucht, ein paar Leute getroffen, sowas.“
Ein paar Leute getroffen. Wenn da mal nicht Aya dabei war.
„Weißt du zufällig, was der Überraschungsact ist?“, fragte Kari, nur um irgendetwas mit ihm zu bereden.
„Nein, keine Ahnung. Vielleicht eine Band, wenn sie schon Instrumente aufbauen“, antwortete T.K. und zuckte mit den Schultern.
„Mich überrascht es, dass es überhaupt einen gibt. Die letzten Jahre gab es keinen, weißt du?“, sagte Kari.
T.K. nickte nur. Dann deutete er überrascht auf etwas an ihrem Handgelenk. „Das kenne ich doch irgendwoher.“
Kari folgte seinem Blick und entdeckte das Armbändchen aus dem Brief. Sie hatte es halb mit Absicht, halb aus Versehen dran gelassen. Eigentlich wollte sie nicht, dass T.K. sie damit sah, doch sie hatte es auch nicht ablegen wollen.
Schnell legte sie die Hand um ihr Handgelenk, um das Armband zu verdecken und lief rot an. „Wo ist Aya eigentlich?“
T.K. sah sie schief an. „Draußen. Frische Luft schnappen.“
Einige Sekunden sagte keiner etwas von ihnen, bis Kari das Gespräch wieder aufnahm. Das Schweigen war ihr einfach unangenehm, erst recht jetzt nach der Sache mit dem Armband.
„Bist du eigentlich froh, wieder in Tokio zu sein? Oder wärst du lieber in Paris geblieben?“, fragte sie. Allmählich kam sie sich blöd vor.
„Beides irgendwie. Paris war schön, aber hier ist es auch schön. Es ist nur ein bisschen schwer, in der Schule mitzukommen“, antwortete er.
„Warum habt ihr nicht noch ein Jahr gewartet, bis ihr wieder herkommt?“, fragte Kari. „Warum seid ihr überhaupt zurückgekommen?“
T.K.s Blick verfinsterte sich, als hätte sie irgendetwas Gemeines zu ihm gesagt. „Es war dringend nötig. Es gab ein paar... Probleme.“
„Was für Probleme denn?“, hakte Kari nach und erst da wurde ihr klar, dass sie wahrscheinlich ziemlich neugierig wirkte und sich vielleicht etwas zurückhalten sollte. „Entschuldige, du brauchst es mir nicht erzählen.“
„Nein, schon gut. Der...“
„Hier, Kari“, unterbrach Shinji ihn, der plötzlich an Karis anderer Seite aufgetaucht war und sich setzte. Er hatte einen Tequila vor ihr abgestellt und sich selbst auch einen mitgebracht. Dazu hatte er ihr noch eine neue Wodkacola bestellt.
„Danke“, sagte Kari und lächelte ihn an. Sofort fühlte sie sich wieder selbstsicherer. Sie und Shinji kippten den Tequila hinunter, der fürchterlich in der Kehle brannte, sodass Kari gleich einen Schluck von ihrer Wodkacola nehmen musste. „Puh.“ Sie fasste sich an die Stirn.
„Besorgt er dir etwa die ganze Zeit Alkohol?“, fragte T.K. mit einem abfälligen Blick auf Shinji.
„Ja, ich selbst bekomme ja keinen“, antwortete Kari schulterzuckend und grinste.
„Aber lass' dich nicht abfüllen“, murmelte T.K., sodass nur sie es verstehen konnte.
„Entschuldige mal“, erwiderte Kari empört. „Ich kann ja wohl selbst entscheiden, wie viel ich trinke, klar? Ich brauche keinen Aufpasser.“ Sie drehte sich zu Shinji und stand auf. „Los, lass uns tanzen.“ Ohne T.K. noch eines weiteren Blickes zu würdigen, ging sie mit Shinji auf die Tanzfläche und tanzte. Dabei warf sie ab und an einen Blick auf T.K., der sich zu Ken und Davis gesetzt hatte.
Ausgelassen tanzte sie mit Shinji und merkte gar nicht, wie die Zeit verging. Plötzlich wurde die Musik ausgeschaltet und die Tänzer hielten inne. Einige beschwerten sich lautstark und verlangten nach Musik, doch ein Junge aus der Parallelklasse, der den Ball organisiert hatte, trat auf die Bühne hinter das Mikrofon, das aufgestellt worden war.
„Gleich gibt’s wieder Musik“, beschwichtigte er die Menge. „Und zwar ganz Besondere. Das hier ist nämlich der letzte Frühlingsball für die zwölften Klassen, wie ihr ja wisst. Und da haben wir uns was Besonderes überlegt. Viele von euch haben ja gehört, dass es einen Überraschungsact gibt.“ Künstlerische Pause. Ein Raunen ging durch die Menge. „Aber ich denke mal, niemand weiß, was genau das ist. Ihr seht ja, dass Instrumente aufgebaut worden sind. Und zwar für eine gewisse Band. Für eine ganz spezielle Band. Sie haben sich freundlicherweise bereit erklärt, hier für uns heute aufzutreten.“
Wieder ließ er eine dramatische Pause, bevor er feierlich einen Arm ausstreckte und tief Luft holte.