Zum Inhalt der Seite

Intrigo e amore

And it's with you that I want to stay forevermore
von
Koautor:  Coventina

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Ostern in Cambridge - Beim König

Dominico Sforza

Als sie wieder aus dem Badehaus traten, schwang sich Nico erneut aufs Pferd und auf dem Weg zur Residenz des Königs wandte er sich erneut an Kieran, musterte ihn kurz aus dem Augenwinkel. Ja, in diesem Aufzug und mit einem ein bisschen herausgeputzten Pferd würde niemand Fragen stellen. "Also... was ist es, das ihr lieber sein wollt als Schausteller?", kam er direkt zu dem Punkt, den er neben einigen anderen Kleinigkeiten vor allem geklärt haben wollte.
 

Kieran Carney

Überrascht glitten seine Finger über das Zaumzeug, den Sattel seiner Stute. Auch Niamh selbst sah geputzt aus. Wann war das denn geschehen? Aber er hatte keine Zeit, weiter darüber nachzudenken, sondern schwang sich auf die Stute, um sich dem anderen anzuschließen.

Kieran merkte, dass er etwas nervös wurde, wenn er darüber nachdachte, dass sie tatsächlich in Richtung König unterwegs waren. Was hatte Dominico mit ihm dort vor? Er würde ihn doch nicht wirklich diesem vorstellen, oder? Das konnte er sich kaum vorstellen. Nun ja, er würde sehen was auf ihn zukam. Improvisation war eine wichtige Voraussetzung als Künstler und die würde er hier dann wohl unter Beweis stellen müssen.

Als Dominico ihn jetzt gleich aufforderte, ihm zu sagen, was sein eigentlicher Wunsch für seine Zukunft war, blickte er ihn kurz an. "Ich möchte Arzt werden", sagte er dann. "Ich träume von einem Studium in Oxford oder hier in Cambridge." Kurz überlegte er, wie weit er ausholen sollte, dann sprach er weiter. "Ich habe eine gewisse Begabung für die Heilkunst und beschäftige mich schon lange damit. Aber das, was ich weiß, ist noch viel zu wenig. Ich kratze nur an der Oberfläche und das nervt mich. Ich wünschte, ich hätte die Möglichkeit, mehr zu lernen und den Menschen mehr zu helfen. Aber das ist nicht so einfach, wenn man nicht das nötige Kleingeld und den entsprechenden Namen hat." Er seufzte und strich Niamh in Gedanken über den Hals. "Ich nehme jede Gelegenheit wahr, mir Wissen anzueignen, aber viele Gelegenheiten habe ich dafür nicht. Zumindest reicht das, was ich schon weiß, für die alltäglichen Dinge." Wenn sie die Zelte an Orten aufschlugen, an denen sie bereits bekannt waren, kamen die Leute bereits zu ihm, damit er ihnen helfen konnte. "Das Schönste wäre eigentlich, wenn ich einmal in die Länder der Mauren reisen könnte. Sie sind viel progressiver als wir und forschen unter ganz anderen Bedingungen am menschlichen Körper. Aber..." Er brach ab. Im Grunde hatte er gerade eben wieder etwas gesagt, das ihn direkt zurück in den Kerker bringen könnte. Wenn ein gläubiger Mensch das hören würde, würde er ihn direkt als Ketzer betiteln. Aber Kieran war die Wissenschaft wichtiger als die Kirche, die jegliche Progression als Teufelszeug betitelte. "Ich glaube den letzten Satz würde ich gerne wieder streichen", sagte er. "Ich rede zu viel."
 

Dominico Sforza

Nico lenkte sein tänzelndes Pferd auf die Straße, wo Amadeo ihnen ein Weg durch die langsam erwachende Menschenmenge bahnte und sie damit recht zügig vorankamen. Eigentlich hatte Nico nicht einmal damit gerechnet noch eine plausible Antwort auf seine Frage zu bekommen. Zumindest keine, die so ehrlich war wie das, was Kieran im Kerker zu ihm gesagt hatte. Doch anscheinend hatte Kieran jetzt den nötigen Respekt vor ihm oder er hatte Entschieden, dass Lügen bei Nico keine gute Idee war. Das Geständnis das folgte, brachte Nico beinahe zum Lachen. Nicht etwa, weil es so absurd war, nein. Sondern weil es so gar nicht das war, was man von einem umherziehenden Schausteller erwartete.

Im Adel und am Hofe galten diese Menschen zwar nicht unbedingt als dumm, wohl aber als nicht sehr gebildet. Es war eben einfaches Volk mit einem ganz eigenen Glauben und einer ganz eigenen Gesellschaft. Nico hatte das immer von außen betrachtet, sich aber nie dafür interessiert diese Menschen wirklich kennen zu lernen. Vielleicht war das ein Fehler, den er jetzt beheben konnte. Auf jeden Fall fügte sich dieses neue Wissen über Kieran perfekt in einen Plan, den er vor dem König ausführen konnte. Damit würde nicht nur er seine ehrlichen Absichten gegenüber Kieran untermauern, sondern Kieran auch auf die Probe stellen.

Im gleichen Moment fragte er sich, warum es ihm überhaupt noch um ehrliche Absichten ging. Warum er sich gerade Gedanken darüber machte, wie er Kieran bei diesem Vorhaben, Arzt zu werden, unterstützen konnte. Eigentlich konnte ihm dieser junge vorlaute Kerl gestohlen bleiben, oder etwa nicht? Im Grunde hatte Kieran gar nichts für ihn getan außer ihn am letzten Abend böse zu brüskieren und seinen guten Namen am nächsten Morgen im Kerker auch noch aufs Spiel zu setzen.

Eine leise Stimme in seinem Hinterkopf flüsterte den Namen seines Bruders. Ja… vielleicht war es wirklich Alessios Schuld, dass er jetzt hier neben Kieran zur königlichen Residenz ritt. Weil er nicht sein wollte wie Alessio, dessen sexuelle Absichten Kieran entweder in sein Bett oder den Abgrund des Kerkers gestoßen hätten. War Alessio wirklich so viel skrupelloser als er? Im Grunde nicht. Er war kein Märtyrer. Auch er hatte wegen des Geldes versucht, Kieran herumzukriegen. Aber es war nicht viel wert, wenn man sich danach nicht mehr im Spiegel ansehen konnte. Respekt ist die wertvollste Währung. Alessio verkaufte diesen Respekt, indem er Leute wie diesen Messdiener für Sex bezahlte, und auch Nico hatte es getan - und seitdem versucht sich von seiner Schuld rein zu waschen, sie zu ertränken in einem Meer von guten Taten und Ehrbarkeiten. Deswegen saß er hier neben Kieran. Weil er im gleichen Moment bereute, es versucht zu haben und es niemals würde zugeben können.

Er lächelte noch immer als er sich zu Kieran drehte. "Mauren...", wiederholte er langsam. "Heilkunst… nun, das klingt in meinen kirchlichen Ohren sehr nach Hexerei." Er zwinkerte Kieran zu, beinahe so, als wolle er ihm bestätigen, dass er sich um Kopf und Kragen redete. "Ich gebe zu, Ihr habt durchaus ein Talent bei den falschen Leuten die falschen Dinge zu tun. Ich hoffe bei seiner Majestät ereilt euch nicht das gleiche Problem. Aber erzählt mir doch mal, wie ihr euch das vorgestellt habt, zu studieren meine ich. Ihr müsstet eure Gauklerfamilie dafür verlassen."
 

Kieran Carney

Dass Dominico zu grinsen begann, als er ihm erklärte, was er einmal machen wollte, irritierte Kieran erst. Einen Moment glaubte er fast, jener wolle sich doch nur über ihn lustig machen und sein inneres Stachelschwein meldete sich schon wieder zu Wort, doch etwas an dem Grinsen war anders. Es war nicht so überheblich und herablassend, wie es in dieser Situation sein konnte. Schließlich hatte er dem Mann geradegestanden, dass er davon träumte, seine Standesgrenzen zu überschreiten, um etwas zu tun, was man von seinesgleichen weder erwartete noch sich wünschte. Ganz im Gegenteil. Jemand wie er an der Universität wäre ein Skandal für so manche höhergestellten Familien, die glaubte, dass Wohlstand und Einfluss auch das Recht auf Bildung implizierte und die glaubten, dass nur die Oberschicht über den passenden Intellekt verfügte. Dass dem nicht so war, das wusste Kieran. Er war nicht dumm, hatte auf seinen vielen Reisen in vielen Ländern einige Sprachen aufgeschnappt, hatte über die Wintermonate viel Zeit gehabt, zu lernen und sich zu bilden. Und hätte er diese Möglichkeiten nicht gehabt, so wäre er - wie seine Dada immer sagte - durchgedreht. Er hatte schon als kleines Kind alles in sich aufgesaugt. Und sein Wunsch nach Wissen war nach wie vor ungebremst.

Und als ihm bewusstwurde, dass dieses Grinsen, dieses Lächeln kein herablassendes war, sondern vielmehr ein überraschtes, ehrliches Grinsen, musste auch er lächeln, denn Dominico Sforza sah mit diesem Lächeln noch einmal bedeutend attraktiver aus.

Als der andere ihm verdeutlichte, dass er sich wirklich besser überlegen sollte, was er wem sagte, blickte er kurz erschrocken zu diesem. Er hatte nicht den Eindruck gehabt, dass Dominico sehr "religiös" war. Aber was wusste er schon!? Schließlich war sein Bruder Kardinal, so dass die Vermutung sehr nahelag, dass in dieser Familie die Religion hochgehalten wurde. Er war ins Reden gekommen, weil es nicht so häufig vorkam, dass jemand wirklich Interesse daran hatte, was er wirklich wollte. Und dabei hatte er nicht mehr darüber nachgedacht, was er sagte. Doch das Zwinkern und das Grinsen auf dem Gesicht des anderen ließ ihn sich wieder beruhigen und selbst lächeln. "Das fürchte ich auch", entgegnete er auf die Feststellung, dass er ein Talent hatte, sich in Schwierigkeiten zu bringen. Das war auch schon immer so gewesen, teils bedingt durch seine Neugierde, teils bedingt durch seine Intelligenz, teils bedingt durch seine übereilt bockige Art, die ihm manchmal das Leben zur Hölle machte.

"Ich werde meine Worte, sollte ich Seine Majestät treffen, sorgsam auswählen", versprach er noch immer nicht ganz glauben könnend, dass er den König wirklich selbst treffen könnte.

Als Dominico ihn noch aufforderte, ihm zu verraten, wie er sich ein Leben ohne seine Familie erdacht hatte, verschwand das Lächeln auf seinen Lippen. Das war in der Tat eine Sache, die er nur schwer ertragen würde. "Nun alles hat seinen Preis. Der Gedanke, getrennt von meiner Familie zu sein und auch nicht mehr so viel unterwegs zu sein, ist vielleicht nicht unbedingt das Beste, was ich mir vorstellen kann, aber für seine Träume müsste man wohl bereit sein, einen gewissen Preis zu zahlen. Ich denke, wenn ich die Chance hätte, würde ich sie nutzen, auch mit allen Konsequenzen. Aber darüber mache ich mir erst Gedanken, wenn es soweit ist." Im Moment schien ihm das aber so weit weg, dass es sich nicht lohnte, weiter darüber nachzudenken. "Ich denke, dass man da auch letztlich offen sein muss. Wer weiß, wer einem in seinem Leben noch begegnet und was einem noch passiert. Ich liebe zwar mein Leben, so wie es ist. Ich sehe viel von der Welt, habe so manche Freiheit, die andere nicht haben, aber dennoch ist das ja auch nicht alles. Es ist schwierig." Er lächelte kurz. "Aber wenn es notwendig ist, das zu ändern, dann muss es eben sein."

Es würde ihm in der Tat sehr schwer fallen, seine Familie alleine ziehen zu lassen und selbst an einem Ort zu bleiben. Aber wie gesagt: man wusste nie, was einem die Zukunft brachte. Und etwas als absolut undenkbar abzutun, nur weil man es sich aktuell nur schwerlich vorstellen konnte, war nicht Kierans Art.

"Darf ich fragen, was Ihr beim König tun werdet?", fragte er schließlich, um ein wenig von der Thematik wegzukommen.
 

Dominico Sforza

Tatsächlich fand Nico es nicht lächerlich oder unreif was Kieran plante. Es klang auch in seinen Augen plausibel und gut. Er würde das sicher hinbekommen, wenn er auch bei seinem Studium mit dem gleichen Eifer bei der Sache war wie dann, wenn er beim Jonglieren die Keulen schwang. Etwas regte sich in Nico doch wieder, etwas, dass sich vielleicht schon gestern geregt hatte, als er den jungen Mann das erste Mal gesehen hatte. Nicht mehr nur das bloße Bedürfnis etwas wieder gut zu machen für all die Dinge, die er falsch gemacht hatte, nein. Es war eindeutig mehr als das, es war echtes Interesse an den frechen Augen. Kieran sah ja nicht schlecht aus, er war auch sehr gepflegt. Aber es war diese Wildheit und diese Überzeugung, die er in sich trug, das gefiel Nico. Wenn er da jetzt alles abzog, was ihn gestern dazu bewogen hatte, Kieran mit zu sich nach Hause zu nehmen, dann blieb durchaus immer noch ein wenig Interesse übrig. Und das war erfrischend und gut. Vielleicht hatte Rodrego gestern doch recht gehabt, als er ihm "unterstellt" hatte, dass Kieran ihm mehr zugefügt hatte als nur die subtile Niederlage gegen seinen Bruder.

Während er Kieran neben sich immer wieder einen Blick zuwarf, fiel ihm auf, dass sich in dessen Gesicht die Emotionen sehr gut widerspiegelten, die er durchlief, während er anscheinend versuchte, Nico richtig einzuschätzen. Ja, Nico war nicht leicht zu durchschauen, doch er konnte es sich auch nicht leisten, durchschaubar zu sein. Gerade die Sache mit der Religion schien Kieran aus dem Konzept zu bringen, doch das machte nichts. Es war gut, Kieran immer wieder ins kalte Wasser zu werfen, wenn er dadurch lernte, die Dinge in einem größeren Maßstab zu betrachten. Natürlich war Nicos Bruder Kardinal und seine ganze Familie äußerst religiös. Genau das war auch der Grund gewesen, aus dem Nico nach England gekommen war, um sich genau diesem Einfluss zu entziehen. Er wollte nicht eingesperrt sein – vor allem nicht in seine Ehe. Das änderte aber nichts daran, dass ein Glaube an Gott sehr tief in ihm verwurzelt war, auch wenn er nicht ganz daran glaubte, dass Gott alles und jeden Strafte der mit Hexerei oder Homosexualität zu tun hatte. Einfach weil es so viele Menschen auf der Welt gab, dass Gott wohl nicht einen einzigen Sonntag für sich gehabt hätte, um zu ruhen. "Bei seiner Majestät solltet ihr gar nicht sprechen. Nur dann, wenn er euch dazu auffordert und man wird sehen, ob das passiert. Man wird auch sehen, was der König heute zu tun vorschlägt, er ist sehr wankelmütig was seine Tagesplanung angeht." Nico sprach nicht schlecht über Henry aber er war schon oft genug zu einer Ratssitzung angekommen, die dann doch nur in einem ausgedehnten Jagdausflug geendet hatte. "Nun, wenn ihr die Begegnung mit seiner Majestät überlebt, ohne meinen Namen in den Dreck zu ziehen oder erneut im Kerker zu landen, aus dem ich euch kein zweites Mal herausholen werde, dann müsst ihr mir mehr davon berichten. Von dem was ihr in dem Eigenstudium - wie ihr es beschreibt - schon gelernt habt. Wenn ihr sagt ihr wüsstet bereits so einiges, dann möchte ich es auch gerne wissen." Allein schon um sich wirklich ein Bild darüber zu machen, aber wenn sein Plan aufging würde Kieran viel früher darüber reden müssen als ihm lieb war.

Als sie den Hof erreichten stieg Nico ab und überließ Amadeo die Pferde, der sie in den Stall brachte wo sie mit Wasser und Heu versorgt wurden. Mit Kieran im Schlepptau, der sich nach dem Protokoll ein wenig hinter ihm aufzuhalten hatte, wollte er gerade hinein spazieren, als ihm Henry schon mit ausgebreiteten Armen entgegen kam, gefolgt von Charles Brandon, Duke of Suffolk und noch einigen anderen jungen Männern aus deren Gefolge. "Dominico!" Nico beeilte sich, stehen zu bleiben und sich zu verneigen, so wie es sich vor dem König gehörte. Als Henry mit der Hand wedelte erhob er sich wieder und Henry grinste, schien Kieran gar nicht wahr zu nehmen. Der König war noch sehr jung, nicht älter als Nico - oder er hatte sich einfach sehr gut gehalten. "Wir wollen zum Tennis. Begleitet ihr uns?" Natürlich war das keine Frage. Nico erwiderte das breite Grinsen des Königs und nickte. "Wenn eure Majestät bereit sind zu verlieren." Charles klopfte Nico auf die Schulter. "Ich glaube mein Freund, bei der guten Laune seiner Majestät reichen nicht einmal wir beide, um ihn zu schlagen." Und so wandten sie sich zu einem anderen Gebäudetrakt, in dem Henry eine Ballsporthalle hatte errichten lassen. Während sich das Gefolge und damit auch Kieran auf die Zuschauerränge zu begeben hatte, zogen sich die Spieler - sie waren 4 - unten aus. Henry war ein gutaussehender trainierter Mann und wie Männer anscheinend so waren flogen unten schon bald die Floskeln umher, wer seine Zeit wohl mehr im Bett seiner Frau oder einer Frau verbrachte als dabei, sich körperlich zu ertüchtigen. Nun, Nico konnte sich nichts vorhalten. Er stand dem recht breit gebauten Charles kaum nach und als die ersten Bälle über das Netz fegten kicherten einige Damen auf den Rängen nur um so schriller und seufzten allein schon beim Zusehen.
 

Kieran Carney

Kieran nickte gehorsam, als ihm Dominco erklärte, dass er beim König nur sprechen durfte, wenn er aufgefordert wurde. Das war ein guter Ratschlag, schließlich hatte er definitiv gar keine Ahnung, was sich in diesen Ebenen der Gesellschaft gehörte und was nicht - überhaupt gar keine. Er würde sich verbeugen müssen, so tief es ging, das war klar, und er würde am besten hinter Dominico herlaufen, schließlich hatte jener einen Namen und er nur einen Beruf als Namen.

Als Dominico seine Bitte äußerte, mehr von seinem Können zu erfahren, und dabei ihn ermahnte, nicht noch einmal im Kerker zu landen, lächelte er. Sein Sturkopf gestern Abend schien einen bleibenden Eindruck bei Dominico Sforza hinterlassen zu haben - was eigentlich klar war. Aber Kieran würde auch wissen, wie er sich zu benehmen hatte. Gestern Abend war eine andere Situation. "Das werde ich, wenn Ihr das wünscht", versprach er bereitwillig und verkniff sich seinen Kommentar hinsichtlich "Kerker" und "Namen in den Dreck ziehen".
 

Bereitwillig übergab er Niamh Amadeo in dem Wissen, dass seine Stute jetzt wohl gleich besseres Futter bekommen könnte, als sie es jemals zuvor erhalten hatte. Dennoch blickte er ihr kurz nach, denn in diesem Moment hatte er nichts mehr bei sich, was ihn an sein eigentliches Leben band. Er hatte fremde Kleidung an, die zwar sehr bequem war und in der er sich gut bewegen konnte, die sich aber dennoch fremd anfühlte. So als sei er in eine falsche Haut hineingeschlüpft.

Ansonsten hatte er nur noch sich und seinen Kopf und seinen manchmal etwas vorlauten Mund, den er heute gut hüten musste.

Dominico hatte ihn darauf vorbereitet, dass das, was auf sie nun zukam vom Wankelmut des Königs abhing. Dominico hatte nicht sagen können, was gleich geschehen würde. Kieran spürte eine leichte Nervosität aufkeimen, denn er konnte solche Situationen eigentlich gar nicht leiden. Mag sein, dass er sich gerne in Situationen brachte, die unerwartet endeten - Jonathan war da ein gutes Beispiel - aber da hatte er selbst bestimmt, ob er sie wollte oder nicht. Nun war er verpflichtet und dachte auch gar nicht darüber nach, sich dieser Verpflichtung zu sperren. Solang er in Dominico Sforzas Schuld stand, würde jener so einiges mit ihm tun können, nicht alles, aber wohl so einiges.

Wie es sich gehörte, ging er etwas hinter dem Mann von Stand, der auf das Haupthaus zuhielt. Und Kieran hatte noch gar nicht richtig für sich begriffen, dass es jetzt wirklich zum König ginge, als jener auch schon auf sie zutrat. Etwas überrascht blickte er den recht jung erscheinenden Mann an, den er zuvor noch nie gesehen hatte, als auf irgendwelchen Münzen. Dann eilte er sich, es Nico gleich zu tun, sich sogar noch tiefer zu verbeugen. Es fühlte sich furchtbar an, furchtbar ungewohnt und furchtbar erniedrigend irgendwie, so fremd und ungewohnt. Er konnte es nicht beschreiben. Aber hier stand nun mal der König, und auch wenn er nicht das Gefühl hatte, irgendeinem Herrscher untergeben zu sein, gehörte es sich so. Und er wollte ja eben auch nicht gleich wieder in die Kloake zurück, aus der er gerade gekrochen war.

Der König schien ihn gar nicht zu registrieren, freute sich nur, "Nico" - wie er ihn nannte - zu sehen, und lud diesen ein, ihn zum Tennis zu folgen. Gut, dass er ihn ignorierte, darauf hatte ihn Nico ja vorbereitet. Aber Tennis? What the fuck?! Damit beschäftigte man sich an Hof? Kierans Vorstellungen von einem König, der sich um das Wohl seines Volkes bemühte und den ganzen Tag damit beschäftigt war, zu regieren, verpufften gerade - gut, er war eigentlich nicht wirklich naiv, zumindest nicht immer, aber manchmal hatte man halt so seine Hoffnungen. Es war auch nicht so, dass Kieran nicht wusste, dass es Tennis gab, aber er hatte sich weder dafür interessiert, noch war es eine alltägliche Sache. Nun, gleich würde er sehen, was es genau war, dass es ein Sport war, soviel wusste er schon mal.

Kieran folgte der Gesellschaft und kam sich mehr denn je wie ein Hündchen vor, das brav seinem Besitzer hinterhertrottete. Gott, in was war er hier nur hineingeraten. Doch lieber wieder in die Kloake? Ein Lächeln huschte über seine Lippen. Wenn das hier vorbei war, so fand er, hatte er seine Schuld getilgt, oder?

Er setzte sich auf die Tribüne etwas abseits hin, so dass er die Szenerie, die sich ihm bot, in Ruhe betrachten konnte. Die Männer, die sich teilweise auszogen und dabei frotzelten, wie es bei Männer unter Umständen üblich war. Hm, Dominco Sforza hatte bestimmt eine Frau… Das war ein Gedanke, den er vorher noch gar nicht gehabt hatte. Und dennoch hätte er ihn mit zu sich nach Hause genommen? War das denn so üblich? Und, wo war seine Frau wohl? Nun, jener besaß sicher mehrere Orte, an denen er wohnte. Vielleicht war die Dame des Hauses ja in London geblieben.

Kieran betrachtete Dominico, dem er, wie er jetzt feststellte, wirklich wohl gestern nicht hätte wiederstehen können. Jener war gut gebaut, ordentlich bemuskelt und strahlte eine angenehme Männlichkeit aus, die nicht übertrieben wirkte, sondern schlichtweg schön war. Kieran registrierte die Verletzungen, die sich jener wohl bei Kämpfen zugezogen haben musste und die in seinen Augen wenig fachmännisch versorgt worden waren, dafür jetzt umso eindrucksvoller anzusehen waren.

Erst als die Männer zu spielen begannen, bemerkte er die Schar von Frauenzimmern, die sich in affektivem Getue wohl gegenseitig zu übertrumpfen suchten. Er musste einen Moment lächeln. Was wohl Kathy damals über diese Art von Frauen gedacht haben musste? Ihn selbst schreckten diese Frauen ab. Er war eh kein Typ, der auf gekünsteltes Gehabe stand, umso schlimmer empfand er diese.

"Was für ein Affenzirkus", hörte er mit einem Mal eine weibliche Stimme und noch ehe er etwas dagegen tun konnte, rutschte ihm ein "Wie wahr..." heraus. Als er sich umblickte, sah er einer jungen, ausgesprochen hübschen braunhaarigen Frauen ins Gesicht, die sich in ein wenig Abstand zu ihm hingesetzt hatte und nun zu ihm aufrutschte. Sie musterte ihn kritisch, bevor sie weitersprach. "Ich habe Euch hier noch nie gesehen", sagte sie. "Wer seid Ihr und zu wem gehört Ihr?" Kieran erwiderte ihren musternden Blick offen und wusste nicht genau, was er sagen sollte, deshalb versuchte er es mit der Wahrheit.

"Mein Name ist Kieran", sagte er und sah sie ernst an. "Ich bin in Begleitung von Dominco Sforza hier. Er hat mich gerade aus der Kloake des Kerkers geholt." Einen Moment sah sie ihn erstaunt an, dann begann sie leise zu lachen und auch er musste grinsen. Die junge Frau bemühte sich, sich schnell wieder zu beruhigen, denn ein paar Blicke waren auf sie gerichtet worden, als sie gelacht hatte. Als sie sich wieder beruhigt hatte, grinste sie ihn an. "Und was macht Ihr, wenn Ihr hier nicht sitzen müsst, um dem König bei seiner körperlichen Ertüchtigung zuzusehen?" Ihre Augen funkelten von Intelligenz und Witz. Kieran konnte nicht umhin, sie nicht nur attraktiv, sondern auch als unheimlich sympathisch zu empfinden. Wieder wägte er ab, was er sagte, um nicht das Falsche zu sagen. "Ich versuche, Arzt zu werden." Die junge Frau nickte. "Ein Student also aus Cambridge", schloss sie für sich daraus und Kieran bestätigte aber negierte es auch nicht. Er hatte immerhin die Universitätsbibliothek von innen gesehen...

"Nun, da seid ihr bei dem König ja in guten Händen, und er hoffentlich in Euren. Als Arzt könnt ihr nur von Patienten wie den König träumen." Kieran sah sie ein wenig verwundert an, lächelte dann aber. "Wenn Ihr das sagt", erwiderte er. Er überlegte, was er noch sagen könnte, wollte aber weder sie fragen, wer sie war, weil er fürchtete sie damit unter Umständen zu beleidigen. Vielleicht war sie jemand, den man eigentlich in gewissen Ständen kennen musste. Und er wollt auch nicht weiter auf den König eingehen, von dem er ja letztlich auch nichts wusste. "Ansonsten", redete er daher lieber wieder von sich, "ansonsten mag ich es auch ganz gerne, zu tanzen." Die junge Frau blickte ihn interessiert an. "Das ist selten, dass das ein Mann sagt. Aber es freut mich, denn für uns Frauen ist es eine der wenigen Vergnügungen, die wir haben, aber nicht jeder Mann schafft es, dass es für uns auch wirklich ein Vergnügen ist." Kieran lächelte nachsichtig.
 

Dominico Sforza

Nico hatte kaum etwas Anderes erwartet als das, was Henry jetzt gerade tat. Der junge Tudor war immer noch ein Heißsporn und er würde es auch immer bleiben, daran hatte Nico nicht den geringsten Zweifel. Zwar regierte er auch, doch die meisten dieser Angelegenheiten wurden ihm einfach nur vorgetragen und entweder er nickte sie ab, oder er änderte sie, einfach so. Audienzen gab es für die breite Masse nur sehr selten und viel lieber ging Henry seinen eigenen Hobbys und Feiern nach. Trotz der Krise mit seiner Frau Katharina hatte er immer noch Interesse daran, Maria zu verheiraten und das war eines der wenigen Dinge, um die er sich kümmerte - neben dem Zwist mit Francis, der zu seinen Lieblingsthemen gehörte. Vor allem wenn es darum ging, einander regelmäßig zu übertrumpfen, sei es der Sport, die Paläste oder die Anzahl der Frauen und unehelicher Kinder. Während sie sich ein wenig aufwärmten, erzählte Henry gerade schon wieder über die neueste Errungenschaft des französischen Herrschers und diskutierte mit Charles darüber, ob man das denn nicht an seiner noch nicht ganz so starken Flotte ebenso einsetzen konnte. Die englische Hoheit auf dem Meer war wirklich nicht allzu sehr berühmt und Henry war Feuer und Flamme dafür, das zu ändern.

Dann begann das Spiel und politische Diskussionen waren außen vor. Die vier Männer beharkten sich gegenseitig recht ordentlich über das Netz und die Mannschaften, gebildet aus jeweils zwei Männern rotierten. Sie taten es deswegen, um Henry immer gewinnen zu lassen. Der König war ein fürchterlicher Verlierer, bekam regelmäßig Tobsuchtsanfälle, wenn er verlor. Um so zu tun, als sein Henry der ausschlaggebende Punkt für den Sieg, rotierte die Mannschaft und es war eine echte Leistung, Henry nicht das Gefühl zu geben, dass man ihn gewinnen ließ, denn das machte ihn genauso wütend.

Während Nico und Henry in einem Team spielten und der Ball gerade besonders weit ans Ende des gegnerischen Feldes gerollt war, kamen sie dazu, sich kurz zu unterhalten. "Dominico sagt mir doch, wann dürfen wir eure bezaubernde Frau wieder hier begrüßen?" Nico verzog den Mund zu einem schiefen Lächeln. "Wenn es wärmer wird Majestät. Das gute Klima in Italien ist zuträglich für ihre Gesundheit, doch ich bin sicher, sie wird genauso erfreut sein euch zu sehen, wir Ihr." Und das meinte Nico nicht nur, das war sicher auch so. Auch wenn Nico keinesfalls unattraktiv war, sicher auch gegen Henry - Frauen wurden von Macht magisch angezogen und als eine ehemalige Hofdame von Katharina war seine Frau öfter in Henrys Bett gelandet als in Nicos, zumindest nahm Nico das an. Es störte ihn nicht, er empfand keine Eifersucht. Die Ehe war Zweckmäßig gewesen und vom König gebilligt. Wenn er die Lady in seinem Bett wollte, bekam er sie, und Schluss, Nico sah darüber hinweg wie viele "gehörnte" Ehemänner am Hofe.

Von der anderen Seite folgte wieder der Aufschlag und das Spiel ging eine ganze Weile so weiter, bis schließlich wieder Henry den Satz für Nico und ihn entschied. Anscheinend war es mit einer guten Stunde Hin- und Herrennens genug und Henry ließ den Schläger zu Boden fallen - ein Zeichen dafür, dass das Spiel hiermit beendet war. Die gegnerischen Mannschaften klopften einander auf die Schulter und Diener brachten Leintücher, die in Rosenwasser getränkt worden waren, um sich zu erfrischen. Henry wischte sich über das leicht schweißnasse Gesicht und über die Brust, während Henry einen langen Kratzer an seinem Oberschenkel betrachtete, der noch nicht so gut verheilt war. Eine zarte Rötung um die Stelle deutete eine Entzündung an, die zwar nicht gefährlich, aber unangenehm war - und wenn es nach Henry ging, dann war es immer gleich eine tödliche Wunde. Als Nico wieder zu ihm trat und ebenfalls auf den muskulösen Oberschenkel des Königs sah, pfiff er anerkennend. "Seine Majestät hatte sicher einen harten Kampf?", fragte er, nur um Henry die Möglichkeit zu geben, es so aussehen zu lassen, auch wenn es nur ein Schnitt bei sonst Etwas gewesen war. Henry grinste. "Eher ein harter Ritt. Auf der Jagd vor fünf Tagen habe ich einen Keiler durch das Unterholz verfolgt und dabei das Bein an einem dicken Ast aufgerissen. Es will nicht richtig heilen." Nico nickte während ein Diener Henry Wasser brachte, um die Wunde zu versorgen. "Eure Majestät wenn ihr erlaubt,“ – Er gab Kieran einen Wink, der ihm bedeuten sollte, herunter zu kommen – "dass ich euch Kieran Carney vorstellen darf.“ Henry richtete sich auf und drehte sich zu Kieran - wie immer nach gewonnene Spielen für so etwas empfänglich und sich weniger an Etikette störend. "Er studiert Medizin und ist vor allem auf natürliche Heilmethoden spezialisiert. Durch sein junges Alter weiß er vielleicht einen anderen Rat, als eure in die Jahre gekommenen Ärzte." Es war frech, doch Nico war in einer Position, in der er sich das erlauben konnte, vor allem weil Henrys Stimmung gerade wirklich gut war. Henry musterte Kieran, so als würde er ihn jetzt erst wahrnehmen und Henry sag genau, dass Kieran niemand war, der ihrer Schicht angehörte - doch er fragte nicht. Da er Nico und Alessio ohnehin als Exoten wahrnahm, waren die Herrschaften mit denen sie verkehrten meistens genauso exotisch. "Ist das so, Mr. Carney? Also: was würdet ihr sagen?" Er streckte Kieran unverblümt das Bein entgegen, während er den Diener mit der Hand mehr oder weniger grob zur Seite stieß. Nico musste ein Grinsen unterdrücken. Ja, so war Henry... vor allem bei medizinischen Dingen immer sehr schnell zu beeindrucken.
 

Kieran Carney

Es war eine angenehme Unterhaltung mit der jungen Frau, die angespornt durch seine Tanz-Interessen, von diversen Tanzveranstaltungen plauderte, auf denen etwas Lustiges passiert war. Es war ein wenig schwierig, ihr immer folgen zu können, denn sie nannte Namen mit einer Selbstverständlichkeit, als erwarte sie, dass Kieran genau wisse, über wen es ging und wie jener so tickte. Kieran bemühte sich, sein Unwissen nicht preis zu geben und schaffte es, die junge Frau mit passenden Kommentaren immer wieder zum Lachen zu bringen.

Nebenbei versuchte er herauszufinden, wie die Regeln dieses Spiels waren, was sich nicht wirklich als einfach erwies. Aber Kieran kam schnell auf den Trichter, weshalb das so war: die ließen den König absichtlich gewinnen. Die drei Männer waren darin geschickt, aber wenn man sie genau beobachtete, so ließen sie manchmal einen Ball gelten, der die Linie nicht mehr berührt hatte, oder ließen einen Ball nicht mehr zählen, obwohl dieser definitiv die Linie noch berührt hatte. Und mit diesem Wissen schien Kieran der König als der wohl schwächste Spieler auf dem Feld.

Die anfänglichen Gespräche über politische Entscheidungen, die Kieran als etwas banal empfand, waren mittlerweile verebbt und gerade hatte Nico zum König gewechselt, als diese sich offenbar über die Frau von Dominico unterhielten. Kieran konnte nicht wirklich viel hören, er wollte eigentlich auch gar nicht zuhören, aber zumindest die Frage des Königs hatte er verstanden und dass Dominico etwas von Italien redete, so dass er sich eins und eins zusammenzählen konnte. Der Gesichtsausruck des Italieners irritierte Kieran kurz, er konnte aber nicht genau ausmachen, wieso.

"An der Universität gehen solche Veranstaltungen immer dann den Bach herunter, wenn das Pub auf der anderen Straßenweite günstigeres Bier hat", erzählte Kieran eine Anekdote, die er etwas ummünzte, die aber so ähnlich tatsächlich einmal passiert war. "Ich war etwas später gekommen und als ich die Räumlichkeiten betrat, stellte ich zu meiner Verwunderung fest, dass fast ausschließlich Frauen anwesend waren. Erst später, nach schier unermüdlichen Tänzen, kam ich darauf, weshalb das so war. Die Männer waren vorher noch schnell einen trinken gegangen, hatten dann aber nicht mehr den Absprung geschafft." Die junge Frau kicherte. "Wobei es für die Frauen sicher eine gute Entschädigung war, euch dann für sich zu haben. Schließlich sind Männer, die getrunken haben, noch weniger für den Tanz zu gebrauchen."

Kieran lächelte sie an und sah erst jetzt, dass die Männer aufgehört hatten zu spielen und nun um den König herumstanden und sich unterhielten. Etwas verwirrt hörte er aus dem Gespräch, dass es um eine Verletzung ging, die sich der König offenbar bei einer Jagd zugezogen hatte. Und ehe er es sich versah, winkte ihn Nico zu sich. Moment - so war das aber irgendwie nicht geplant gewesen. Doch hatte er eine Wahl?

Er stand auf und ging die wenigen Stufen hinunter auf das Spielfeld, um an die Männer heranzutreten. Kieran verneigte sich noch einmal, als er vorgestellt wurde und ärgerte sich fast ein wenig, dass sein Nachname, der seinen eigentlichen Beruf preisgab, genannt worden war. Aber der König schien den Zusammenhang nicht herzustellen und auch Kieran ließ sich nichts anmerken. Dem Blick, den ihm der König unterzog, hielt Kieran ruhig stand. Er würde sich die Verletzung natürlich ansehen, wenn das der König wünschte. Solcherlei Dinge hatte er schon zigmal verarztet. Aber eben nur, wenn das auch der ausdrückliche Wunsch des Königs wäre. Der Blick des anderen streifte seine Kleidung, bis hinunter zu seinen Schuhen. Sicher sah der König deutlich, dass er hier eigentlich nicht hingehörte, aber aus irgendeinem Grund schien das nicht von Bedeutung. Er streckte ihm vielmehr sein Bein hin und forderte ihn auf, es sich anzusehen. Kieran nickte nur, die erste Frage übergehend und kniete sich hin, um sich die Verletzung genauer ansehen zu können.

Einen Moment zögerte er, aber als Arzt war jeder Patient gleich, ob nun König oder nicht. Und so betrachtete er die Wunde sorgsam, drückte leicht am Rand ein wenig entlang, fühlte an der Haut, dass diese wärmer war, als sie eigentlich sein sollte. Er war konzentriert und hatte schnell vergessen, wo er war und vor wem er da kniete. Schließlich blickte er auf. "Ihr fühlt ein stets Drücken und nach größerer Anstrengung, wie eben, ein leises Pochen. Hin und wieder zieht es heftig, manchmal spürt Ihr es aber auch kaum. In den letzten Tagen ist es schlimmer geworden." Er sah den König fragend an, der ihm dies bestätigte. "Ich brauche heißes Wasser, eine saubere Decke, gemangeltes Verbandsmaterial und meine Satteltasche", sagte er, eher nun zu Nico, als zu sonst jemanden. Schließlich konnte er hier ja nicht einfach irgendwelche Befehle geben. Und Nico schien zu verstehen, denn er delegierte die Wünsche direkt weiter. "Und Alkohol wäre auch nicht verkehrt."

Das heiße Wasser war schnell gebracht und Kieran benutzte einen Teil davon, um sich selbst die Hände zu waschen. Es war bei Ärzten eigentlich nicht wirklich üblich, aber er wusch sich seine Hände nach jeder Untersuchung und vor jedem Patienten. Er hatte das Gefühl, dass manche Krankheiten wanderten, wie auch immer. Und er konnte sich vorstellen, dass über die Hände von Ärzten viele Krankheiten die Möglichkeit bekamen, weiter zu wandern. Dann sah er den König an. "Ich vermute, dass ein Splitter des Astes, an dem Ihr hängengeblieben seid, noch in der Wunde steckt. Ich werde gleich danach tasten und es wird weh tun, denn das Fleisch unter der Haut hat sich wegen des Splitters entzündet. Seht!" Er drückte leicht unterhalb der Wunde und dennoch trat die Verletzung nun als Erhebung hervor. "Es hat sich eine Schwellung unter der Haut gebildet. Die Wunde hat sich infiziert, obwohl die Wunde oberflächlich schon zu ist, und der Eiter kann nicht ablaufen. Ich werde sie noch einmal aufschneiden müssen, den Splitter entfernen und das Wundsekret ablaufen lassen müssen. In ein paar Tagen werdet Ihr dann aber keine Probleme mehr haben. Wenn ich das nicht tue, wird der Entzündungsherd unter der Haut immer größer und wird irgendwann durchbrechen. Im schlimmsten Falle verliert Ihr Euer Bein, Eure Hoheit." Er kannte solcherlei Verletzungen gut. Gerade die einfachen Leute, die er behandelte, kamen oft mit solchen Geschichten an, weil sie eigentlich keine Zeit hatten, groß ihre Verletzungen zu verarzten und auch gar nicht die Möglichkeit haben, sie sauber zu halten. Kieran hat die Erfahrung gemacht, dass der Versuch, die Wunde mit Wasser auszuwaschen, die Sache eher verschlimmerte als verbesserte. "Gebt ihm einen Whisky gegen die Schmerzen!" Diener schickten sich an, dem König ein Glas einzuschenken.
 

Dominico Sforza

Nico musterte Kieran der sich nach unten begab. Es schien ihm nicht ganz geheuer zu sein, hier herunter gerufen zu werden und jetzt vor Henry zu stehen, doch er machte auch keinen Rückzieher. Er verbeugte sich erneut so wie es sich gehörte und trotz seines Aufzugs und seiner offensichtlich sehr einfachen Herkunft, sagte Henry nichts dazu, was Kieran wohl auch etwas Sicherheit gab. Als Henry dem selbsternannten angehenden Arzt sein Bein hinstreckte und Kieran sich hinkniete, um den Schnitt zu untersuchen, musste Nico ein durchaus anerkennendes Grinsen verdecken. Feige war der junge Mann nicht und ganz offensichtlich sehr überzeugt von sich und seinen Fähigkeiten. Was er sagte schien auch den Kern der Sache zu treffen und Henry nickte anerkennend als Kieran das Problem so passend beschrieb. Während Kieran schon eine Aufzählung machte, was er alles brauchte, winkte er den Dienern, um dem jungen Mann zu besorgen, was er brauchte. Auch wenn der Druck schmerzte, den Kieran auf die Wunde ausübte - in Anwesenheit der anderen Männer verbat sich Henry jedes Geräusch und als Kieran darum bat, dem König ein Glas einzuschenken, so dass auch sein Schmerz schwand, winkte er dem Diener äußerst energisch ab und zog das Bein ein Stück zurück. "Mr. Carney, Ihr mögt sonst Waschweiber und einfache Männer und Bauern versorgen während eures Studiums - doch ich bin König von England. Das bisschen Schneiden werde ich wohl gerade noch aushalten, also schneidet ruhig." Alles was er tat war Nicos Faust zu packen und sie grinsend zu halten. "Wie wäre es mit ein bisschen Armdrücken während euer kleiner Wunderarzt dafür sorgt, dass ich nicht bald nur noch auf einem Bein durch die Gegend hinke?" Nico neigte leicht den Kopf. "Mit größtem Vergnügen eure Majestät."

Und als Kieran das Skalpell hob um zu schneiden, packte Henry Nicos Hand fester und sie fingen tatsächlich an etwas Ähnliches wie Armdrücken zu machen, was natürlich ohne Tisch sehr schwer war. Nico tat nichts anderes, als einfach nur dagegen zu halten, Henrys Kraft würde nachlassen, wenn der Schmerz stärker wurde, da war er sich sicher. Und das, was da unten aus Henrys Bein kam, war alles andere als mit „duftend“ zu bezeichnen. Als Kieran den Schnitt ansetzte, trat vorerst nur helles Wundsekret aus, doch als Kieran die Wunde etwas öffnete kam der Eiter. Henrys Kraft ließ nach und Nico musste sich Mühe geben, nicht allzu stark zu drücken. Doch statt zu schreien, fing der König an zu lachen. Es war ein wahnsinniges Lachen, das Henry in seinen älteren Jahren noch oft zum Besten geben würde, doch jetzt half es ihm vor allem gegen den Schmerz anzukommen. Der Druck wich aus seinem Bein und damit auch ein guter Teil des Schmerzes. Und als Kieran schließlich den Eiter aus der Wunde drückte und das Wundsekret abfließen ließ, um die Wunde danach mit heiß brennendem Alkohol zu waschen, leuchteten Henrys Augen in neu erwachtem Eifer. Der Schmerz in seinem Bein hatte sich auf ein erträgliches Maß gesenkt und Henry konnte beim Armdrücken wieder mehr Kraft einsetzen - so dass er Nico damit quasi "überrumpelte" und schließlich gewann. "HA!" Ein triumphierender Ausruf erfüllte die Halle und die Anwesenden Höflinge klatschten wie dressierte Affen, während Henry sich knapp vor dem König verneigte. "Majestät, ihr habt gewonnen." Henry lachte noch immer, während er Kieran sein Bein zum Verbinden entgegenstreckte. Es war die beste Medizin für den König: Eine sichere und gute ärztliche Versorgung und ein weiterer Sieg. "Sehr gut Mr. Carney - es fühlt sich beinahe wieder an, als könnte ich sofort zur nächsten Jagd aufbrechen." Kaum dass der Verband fest um seinen Oberschenkel saß und Kieran die Hände zurückgezogen hatte, wandte der König sich auch schon wieder ab und anderen Geschäften zu. "Dominico, dieser Dienst soll belohnt werden. Wenn er noch studiert so wie ihr sagt, so soll er eine Abschrift unserer medizinischen Schriften erhalten." Er nickte Kieran kurz zu, ehe für ihn diese Sache bereits erledigt war und er sich in einen Nebenraum zurückzog, um sich wieder ankleiden zu lassen, während andere Diener nun auch Nico und den anderen Herren ihre Kleidung wieder brachten. Nico hatte sich recht schnell wieder angekleidet, während ein Diener Kieran noch half seine Instrumente wieder einzupacken. Während sich der Hofstaat nun wieder zerstreute trat Nico erneut zu Kieran. "Wartet auf mich im Audienzsaal. Ich habe mit seiner Majestät noch etwas zu besprechen." Nico hoffte, dass Kieran dem Folge leistete.. auch wenn es recht wahrscheinlich war, da er nicht einfach so verschwinden konnte. Bevor Nico sich beeilte den anderen und dem König zu folgen, schenkte er Kieran ein letztes Lächeln in dem beinahe so etwas wie Respekt mitschwang.
 

Kieran sah den König mit einem Lächeln auf den Lippen an. Es fiel ihm schwer, nicht einen spitzen Kommentar zu den Worten des Königs loszulasen. "Wie Ihr wünscht", sagte er daher nur und machte sich nun daran, die Decke auszubreiten und eine der beiden Satteltaschen, die ihm mittlerweile gereicht worden waren, zu öffnen und seine Grundausstattung an seinen medizinischen Utensilien herauszuholen. Er legte sich sein Skalpell zurecht, eine Pinzette und einen Tigel mit Salbe. Dann nahm er ein Stück Gallseife, mit dem er den Rest des warmen Wassers in eine Lauge verwandelte. Dorthinein legte er ein Stück des Verbandes.

Dann ergriff er das Skalpell und den Weinbrand, den man ihm gebracht hatte, und reinigte sein Werkzeug. Alkohol desinfizierte, das hatte er gelernt. Daher träufelte er auch auf ein Stück des Verbandes etwas Alkohol und begann nun, den Oberschenkel des Königs damit abzutupfen. "Alkohol desinfiziert, das heißt, es tötet alle Keime ab, die sich auf Eurer Haut befinden könnten", erklärte er nun leise. Er kommentierte immer was er gerade machte, denn nur so hatten die Patienten das Gefühl, Herr über die Lage zu sein. Und gerade bei einem König konnte das nicht schaden. Während er das Bein abtupfte, fühlte er auch noch einmal, wo sich der zentrale Entzündungsherd wohl befand. Der König wendete sich nun an Dominico und verlangte von ihm dieses eigentlich recht alberne Armdrücken. Aber Kieran begriff, dass jener sich dadurch ablenken wollte, die Schmerzen erträglicher gestalten wollte und gleichzeitig auch den Hofstaat um sie herum ablenkte. Klug war der König, das musste man ihm lassen.

Er griff zum Skalpell. Kurz sah er Nico an, der in das Spiel natürlich eingestiegen war und nun seine Muskeln einsetzte. Er sollte sich nicht davon ablenken lassen...

Kurz atmete er durch. Er musste sich jetzt konzentrieren, damit es schnell ging. Er tastete noch einmal kurz und hatte schon geschnitten, bevor der König es recht merkte. Der König schien in seinem Spiel nun nachzugeben, schien eindeutig Schmerzen zu haben. Er musste sich beeilen. Gleich würde es besser werden. Der Schnitt blutet kurz, aber Kieran hatte bereits zur Pinzette gegriffen und setzte nun vorsichtig an, um den Splitter herauszuziehen. Der König entlud seine Schmerzen, indem er lachte. Er hatte den Schnitt gut gesetzt. "Da ist ja der Übeltäter", wisperte er und legte die Pinzette samt Holzspan zur Seite, dann tränkte er erneut Tücher in Whisky und begann nun durch entsprechenden Druck dafür zu sorgen, dass das Wundsekret hinauslaufen konnte. Es roch nicht gut, aber das war für Kieran kein ungewöhnlicher Geruch. Der schlimmste Schmerz schien nachgelassen zu haben, denn soeben besiegte der König Dominico und alle um sie herum klatschten Beifall. Schließlich desinfizierte er die Wunde mit Alkohol, nahm er etwas Creme aus dem Tigel, womit er die Verletzung einschmierte, tauchte er etwas Stoff in die Lauge, legte es auf die Wunde und machte sich daran, einen Verband anzulegen, der das Nähen unnötig machen würde. Er hatte ohnehin nur wenig geschnitten, so dass die Haut einfach so zusammenwachsen würde und höchstens eine feine Narbe bleiben würde.

Als der König erleichtert von den nachlassenden Schmerzen und zufrieden ob des "Sieges" erklärte, gleich morgen wieder zur Jagd zu wollen, lachte Kieran leicht - selbst auch erleichtert, dass alles ohne Komplikationen gut gegangen war. "Davon muss ich euch als behandelnder Arzt leider abraten", lächelte er den König an, dessen Art und Weise, sich vor seinem Gefolge keine Blöße zu geben, letztlich fast schon beeindruckend war. "Solange die Wunde nicht sicher zusammengewachsen ist, solltet Ihr derlei Abenteuer nicht mehr bestreiten."

Während der König aufstand, um sich ankleiden zu lassen, blieb Kieran am Boden knien, um seine Sachen zusammenzusuchen und zu reinigen. Als jener Dominico ansprach, er möge Kieran belohnen, blickte er jedoch auf. Kierans Augen wurden groß, als er hörte, was er erhalten sollte. "Danke, Eure Hoheit", wisperte er sprachlos und verneigte sich leicht.

Ein Lächeln hatte sich auf seine Lippen gelegt und ein Leuchten in seine Augen gekommen, das man wohl nur selten bei ihm sah. Diese Bücher waren für ihn von unmessbarem Wert.

"Der Verband sollte mindestens zweimal am Tag gewechselt werden", erklärte er nun den Dienern des Königs, die ihm halfen, die Sachen wieder aufzuräumen. "Dann wird eer König in drei Tagen keine Komplikationen mehr haben."

Er machte sich daran, seine Utensilien sorgsam zu reinigen und wieder zu verpacken, als Dominico zu ihm herantrat. Kieran stand auf, als er sah, dass jener mit ihm sprechen wollte und sh jenen an. Er nickte auf die Anweisung hin, wo er auf ihn warten solle. Eigentlich gefiel es ihm gar nicht, ständig wie irgendein Schoßhund irgendwo "hingestellt" zu werden, aber er hatte wohl auch einfach keine andere Wahl. Als er jedoch das Lächeln auf Domincos Lippen sah und dazu die Augen, die ihm fast so etwas wie Respekt verkündeten, verflog sein kleiner Anflug von Genervtheit auch schon wieder. Nun zumindest hatte er soeben beweisen können, dass das, was er dem anderen vorhin erzählt hatte, nicht erstunken und erlogen war.
 

Er bat einen der Diener, ihn zum Audienzsaal zu bringen, wo er warten sollte.

Der Saal war dem Anlass entsprechend groß, wenn auch bestimmt nicht so monumental wie in London selbst. Kieran sah sich um, betrachtete die Gemälde, die aufgehängt waren und auch den Thron, auf dem der König zu sitzen pflegte, wenn er dann doch mal anderen eine Audienz gab. Kieran wusste nicht genau, wie es von statten ging, aber er wusste von Erzählungen, dass es dem einfachen Volk eigentlich kaum gelang, zum König vorzudringen. Er wendete sich vom Thron ab, auch wenn es ihm fast in den Fingern juckte, sich einmal darauf nieder zu lassen. Aber wenn man ihn erwischte, würde er wohl wieder dort landen, wo er nicht so schnell wieder hinwollte. Dann suchte er in seiner Satteltasche nach dem Säckchen mit den getrockneten Früchten, einer Notration, die er immer dabeihatte. Er hatte unermesslich großen Hunger.
 

Dominico Sforza

Es war beinahe so etwas wie Henrys heilige Pflicht, seinen Hofstaat glauben zu lassen, dass ihn all das nicht berührte. Nico, der direkt neben ihm stand als Kieran den Splitter aus der Wunde zog, sah deutlich, wie Henry ein leichter Schweißfilm auf die Stirn trat, doch der König hielt sich wacker und die Farbe kehrte in sein Gesicht zurück, als Kieran den Verband anlegte. Jetzt, wo der Schmerz schwand, würde es die Diener wahrscheinlich wirklich einiges an Überzeugungskraft kosten, diese Wunde weiterhin zu versorgen. Man hatte ja gesehen wie Henry selbst mit dieser Wunde noch Tennis gespielt hatte. Er würde wohl kaum die nötige Vernunft aufbringen, doch Nico hoffte einfach, dass Kierans Behandlung bereits viel zur Heilung beitrug.

Der schnatternde Hofstaat setzte sich in Bewegung und Nico ließ sich schließlich mittragen, nachdem er Kieran mit der knappen Anweisung zu warten, zurückgelassen hatte. Diesen ersten Test hatte Kieran bestanden und damit zum einen sein Verständnis für die Medizin, zum anderen seinen Willen gezeigt, den Menschen wirklich zu helfen. Er hatte keinerlei Berührungsängste gehabt und hatte sauber und gründlich gearbeitet, beides gute Eigenschaften für einen angehenden Arzt.

Eigentlich hätte der Audienzsaal aus allen Nähten brechen müssen - denn das war der Saal an dem sich normalerweise der ganze Hofstaat inklusive sämtlicher Botschafter aufhielt - doch da ein Bankett anstand, blieb Kieran im Audienzsaal allein, in dessen angrenzende Gemächer sich der König mit den Männern zurückgezogen hatte. Die Diskussion hinter den mit schwerem Brokat behangenen Wänden war hitzig und Henrys lautes Organ war nicht nur einmal durch die Türe zu hören. Allerdings waren die Gesprächsfetzen nicht sonderlich aussagekräftig und die Antworten von Nico und Charles eher ruhig. Dass man einem Italiener wie ihm, der lediglich durch seine Frau einen englischen Adelstitel hatte, ein Kommando übertragen hatte, war einigen der alteingesessenen Ratsmitglieder ein Dorn im Auge gewesen. Doch Cromwell zu dieser Zeit bereits ein aufstrebender Jurist - hatte sich ebenfalls im Parlament für Dominico Sforza ausgesprochen, dessen militärische Leistungen bereits in Italien deutliche Erfolge erzielt hatten. Natürlich konnte jeder Adelige auf Geheiß des Königs handeln, doch für Nico war es eine besondere Ehre gewesen. Dennoch überließ er gern Charles den Vortritt, es sei denn Henry verlangte spezifisch nach ihm.

Ihre Diskussion dauerte doch eine ganze Weile und Henry verließ die Gemächer nicht zum Audienzsaal hin, sondern mit Charles und den anderen Herren direkt hinauf zum Bankettsaal. Nico bedankte sich für die Einladung, doch er wollte nicht und schob so einen Termin mit seinem Bruder vor, der keinen Aufschub duldete. Da Henry Familienangelegenheiten selbst immer recht ernst nahm, entließ er Nico und nach der regen Diskussion über die Scheidung von Katharina und dem Umgang mit den Spaniern trat Nico bald darauf wieder in die Audienzhalle. Kieran saß an der Seite und aß etwas, da von weitem aussah wie Pferdefutter. Bei näherer Betrachtung zeigte sich, dass es wohl Trockenobst war, ein gutes Nahrungsmittel, wenn man sonst nicht viel hatte. Nico hatte sich seinen Umhang über eine Schulter geworfen und trat schließlich zu dem Schausteller, der in seiner neuen Kleidung mit jeder Minute eine bessere Figur machte. "So Mr. Carney - unser Besuch hier ist beendet. Seid Ihr fertig mit Essen, oder wollt ihr noch ein wenig das Ambiente genießen?" Es war im Grunde eine Fangfrage, sie konnten ja nicht einfach hier weiterhin herumhocken. "Lasst uns die Pferde holen, Amadeo hat sie sicher gut versorgt. Wie hat euch der König gefallen?" Nico war schon halb auf dem Weg zum Ausgang, in der Überzeugung das Kieran sich beeilte zu folgen.
 

Kieran Carney

Kieran, der hin und wieder hörte, dass sich die Gesellschaft wohl in gar nicht allzu großer Entfernung aufhielt - denn Henrys kräftige Stimme erhob sich immer wieder in hitzigen Diskussionen - saß an die Wand gelehnt und zwang sich, das Trockenobst langsam zu essen. Ihn nervte die Warterei, wusste er doch, dass man sich Sorgen machte um ihn, dass er gebraucht wurde und dass er wohl eine Show heute schon verpasst hatte. Sicher waren Fatih und wohl auch sein Vater in der Stadt unterwegs oder unterwegs gewesen, um ihn zu suchen. Und dieses Nichtstun hier war dadurch nur noch unerträglicher. Hin und wieder huschte ein Bediensteter vorüber. Als er am Klang der Stiefel hörte, dass sich jemand näherte und endlich Dominico den Audienzsaal betrat, verpackte er die Reste wieder in der Satteltasche und stand auf, sich die Kleidungsstücke wieder glattstreichend.

"Ich bin froh, wenn ich hier weg kann, um ehrlich zu sein", gab er unverhohlen zu, als Nico ihn fragte, ob er das Ambiente noch genießen wolle. Und so schloss er sich dem andren an, der wieder einmal einfach davon ausging, dass er ihm auch wirklich folgen würde. War das generell so, wenn man mit Dominico Sforza verkehrte, oder war das nur bei ihm so?

"Aus medizinischer Sicht hat er mir nicht gefallen und mir missfällt der Verdacht, dass sich der König nicht die nötige Ruhe gönnen wird, die so eine Verletzung eigentlich verlangt." Er überlegte kurz, wie er seine persönliche Meinung zum König verpackte, um nicht wieder in ein Fettnäpfchen zu treten. "Und persönlich hat er mich insofern beeindruckt, dass er zum einen sehr tapfer war, zum anderen seiner Rolle als König sehr bewusst ist und sich darin keinerlei Blöße gibt. Er hat seinen Hofstaat gut im Griff und strahlt eine unglaubliche Dominanz aus. Andererseits..." Er wusste nicht genau, wie er es sagen sollte. "Andererseits ist meine naive Vorstellung oder sagen wir ‚Hoffnung‘ von einem König, der den ganzen Tag dasitzt und sich überlegt, wie er dem nach einem langen Winter hungerleidenden Volk helfen kann, mit dem Wort "Tennis" zerplatzt. Und von dem Gehabe, das um ihn herum stattfindet, will ich lieber gar nicht sprechen. "

Sie hatten das Gebäude verlassen und die frische Luft tat ihm gut, sich wieder etwas befreiter zu fühlen. Er wüsste zu gerne, was Dominico noch mit ihm vorhatte und wie er seine Schuld begleichen durfte. Dieses Gefühl des „Ausgeliefert-Seins“ und von Dominico abhängig zu sein, weil er das Gefühl hatte, stets springen zu müssen, wenn jener pfiff, nagte sehr an seinem Ego. Noch war das in Ordnung, der Kerker lag noch zu nah, aber auf Dauer würde es ihn wahnsinnig machen, was für ihre 'Beziehung' nicht gerade zuträglich wäre und einen erneuten Besuch im Kerker drohen ließ.

Amadeo kam ihnen auf halbem Wege entgegen und Kieran nahm ihm sich bedankend Niamh ab. Kieran prüfte kurz aus Gewohnheit den Sitz des Sattels und saß dann auf. "Mr. Sforza, ich weiß, dass ich noch nichts getan habe, um meine Schuld bei Euch zu begleichen - außer vielleicht der Warterei -, aber dürfte ich dennoch nun zu meiner Familie? Sie haben keine Ahnung, wo ich bin und machen sich Sorgen. Zumal ich auch dort Verpflichtungen habe." Kurz zögerte er. "Oder darf ich Euch zu uns zum Essen einladen, um mich zumindest auf meine Art bei Euch zu bedanken? Ich weiß, für einen Mann Eures Standes geht das eigentlich nicht. Aber..." Ja was 'aber'? Die Idee der Einladung kam spontan und war dadurch wenig durchdacht. Er hatte keine Argumente, die dafür sprächen, dass jener mitkäme, auch wenn Kieran das irgendwie sehr schön fände. Dominico Sforza würde sich nicht dazu herablassen, sich mit seiner Familie abgeben zu wollen oder überhaupt bei Leuten seines Standes zu essen. Er strich sich durch die Haare. "Meine Mutter ist die beste Köchin der Welt", fügte er hinzu - als sei das ein Argument.
 

Dominico Sforza

Natürlich war er froh wieder draußen zu sein. Das hier war nicht Kierans Parkett und das zeigte er deutlich mit jeder Minute, die er hier war. Natürlich hielt er sich an die höfischen Regeln, doch wenn man ihn ansah, saß er auf glühenden Kohlen und jeder Grund, der es ihm ermöglicht hätte, einfach nur zur Türe hinaus zu stürmen und nach Hause oder einfach in die Freiheit zu reiten, hätte er genutzt, da war er sicher. Doch die Schuld, in der er stand, verbot es ihm und genau diese Zwiespältigkeit, die auch Nico in ihm sah, amüsierte den Sforza. Er wollte sich nicht daran weiden, aber es war kaum anders möglich. Dass er schon wieder einfach vorging und darauf spekulierte, dass Kieran folgte, war zum einen tatsächlich seiner anerzogenen Ignoranz geschuldet, andererseits aber auch so etwas wie ein Test. Würde Kieran tatsächlich folgen und sich anpassen? Oder doch wie am letzten Abend einfach zusehen, dass er weg kam von ihm? Anscheinend lernte Kieran, oder der Respekt vor dem Kerker war noch sehr frisch. Er wollte den jungen Mann ja auch nicht erpressen, doch Kieran sollte sehen, dass auch ein Dominico Sforza viele Seiten hatte.

"Ich dachte Ihr habt etwas aus eurem Ausflug heute morgen gelernt...?" Die amüsierte Frage war das erste, das er wieder zu Kieran sagte, seit sie die Residenz verlassen hatten. Er schwang sich auf das Pferd und sah zu ihm hinüber. "Allein für das, was Ihr mir gerade gesagt habt, würde er euch den Kopf abschlagen und ich bin ein verdammt schlechter Untertan, weil ich es ihm wohl nicht verraten werde." Er zwinkerte ihm erneut zu, machte damit aber auch klar, dass sie noch nicht auf dieser Vertrauensbasis waren, um Kritik am König üben zu können. Auch wenn Nico das gleiche dachte - es zu sagen, vor allem noch in diesen Mauern, das war schon ziemlich... mutig und gleichermaßen leichtsinnig. Und dann, tatsächlich nach einer respektablen Zeit des Wartens kam Kieran dann doch mit dem Wunsch, gehen zu dürfen. Nico sah keinen Grund ihn weiter fest zu halten, war aber umso erstaunter darüber, dass Kieran ihn einlud... zum Essen.

Nico zog eine Augenbraue nach oben als sie das Tor zum königlichen Hof hinter sich ließen. "Und ihr kennt auch immer noch den Adel nicht gut genug. Woher wollt ihr schon wissen, was für einen Mann meines Standes geht und was nicht? Ich komme gern zu euch zum Essen und überzeuge mich selbst von den Kochkünsten deiner Mutter - aber nicht heute. Mein Cousin wird heiraten und seine zukünftige Frau ist bei uns zu Gast. Ich werde mit ihr und meinem Bruder speisen und wir werden danach noch ein wenig plaudern, außerdem will die Dame ins Theater... gesellschaftliche Verpflichtungen. Aber in zwei Tagen würde ich gern darauf zurückkommen." Er sah zur Kirchturmuhr. "Also... dann um die gleiche Zeit. Ich denke, ich finde euch noch immer da wo ich euch schon gestern aufgegabelt habe? Dann lasst euch von mir nicht aufhalten und reitet zu eurer Familie, so wie ich zu meiner." Nico tippte sich an den Hut und lenkte sein Pferd dann Richtung Stadttor. Er hoffte, dass Kieran diesen leichten Überfall nicht übelnahm und dass er in zwei Tagen noch Menschen dort vorfinden würde - wenn nicht, hatte er sich wenigstens keine Blöße gegeben. Doch es hatte keinen Sinn gehabt, noch länger darauf herumzureiten, und so ließ er Kieran gehen, mit dem Bild eines sehr viel leichter bekleideten Kieran noch immer in seiner Jackentasche.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Endlich das Kapitel fertig =)

Hoffe, euch gefällt es nach wie vor ^^ Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück