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Intrigo e amore

And it's with you that I want to stay forevermore
von
Koautor:  Coventina

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Ostern in Cambridge - Die Wette

Kieran Carney


 

Die ersten Sonnenstrahlen spiegelten sich in den sanften Nebelschleiern an der Uferböschung des Cam und gaben diesem ein lachsfarbenes Licht. Langsam und voller innerer Ruhe floss das Wasser in seinem Flussbett entlang und das sanfte Rauschen, das mit dem kaum erkennbaren Wellenschlag am Ufer einherging, lullte die Welt ein und verleitete sie dazu, das Aufstehen noch ein wenig hinauszuzögern. Tatsächlich schien es Kieran, als würde das Vogelgezwitscher, das er vor wenigen Minuten erst noch als störend empfunden hatte, verstummt sein, so als hätten sich auch die Vögel noch einmal in ihren Nestern umgedreht, um den Tag heute einmal gemütlich zu beginnen.

Kieran, der in die Mitte des Flusses geschwommen war, verharrte noch ein paar Augenblicke in dieser absoluten Stille, seine Arme nur soweit bewegend, dass das träge Wasser ihn nicht zu weit von seinem Ausgangspunkt wegtrug. Schließlich schwamm er in ruhigen Zügen zum Ufer zurück, wo er seine Kleidungsstücke liegengelassen hatte. In dem Moment, in dem er sich aus dem Wasser erhob, schien nun auch der Tag wirklich wieder zu erwachen. Schnatternd flogen ein paar Enten empor, die sich offenbar von ihm gestört gefühlt hatten, und Kieran vernahm das wohlbekannte Summen seiner „Dada“, seiner Mutter, deren Melodie für alle im Lager das Zeichen war, nun endlich aufzustehen.

Das Wasser war kalt gewesen, der Winter ja noch nicht lange herum, und so brannte seine Haut, während er sich abtrocknete und schließlich in seine Kleindung hineinschlüpfte, um nun selbst den Tag auch mit Arbeit zu beginnen.

„Du wirst dich noch erkälten, wenn du immer mit nassen Haaren herumläufst“, begrüßte ihn seine Mutter mit einem nachsichtigen Lächeln auf den Lippen. Er gab ihr einen Kuss auf die Wange und machte sich dann an die Arbeit, ihr Zelt abzubauen. Auch die anderen tauchten nun nach und nach auf, um ihr Lager abzubauen und schließlich noch gemeinsam zu essen, bevor sie weiter nach Cambridge aufbrechen würden.
 

Je näher sie der Stadt kamen, umso voller wurden die Straßen und sie hatten Mühe die Wägen in einer Linie und hintereinander zu halten. Jedes Jahr schien der Andrang auf Cambridge größer zu werden, wenn die Stadt zum Jährlichen Woll- und Ostermarkt einlud. Ihnen konnte es nur recht sein, denn je mehr Zuschauer sie haben würden, desto mehr Geld würden sie verdienen. Morgen erst würde der Markt stattfinden, und dennoch zog es die meisten Händler schon früher hin, was Kieran zunächst verwunderte, aber durch das Gespräch der Menschen, erfuhr er recht schnell den Grund hierfür. Am morgigen Sonntag würde nicht nur der Wollmarkt stattfinden und der einwöchige Ostermarkt beginnen, sondern neben den üblichen Hinrichtungen auch eine Hexenverbrennung den Alltag der meisten Menschen „erhellen“ und das Opfer war jetzt schon am Pranger zu begaffen. Kieran blickte unwillkürlich zu seiner Mutter, deren Gesicht sich verfinstert hatte. Auch sie war mal Opfer einer solchen Anfeindung gewesen, doch es war zu ihrem Glück nie zu einer Verurteilung gekommen. Damals war er noch recht jung gewesen und etwas verstört, zweifelnd, was und wem er Glauben schenken konnte. Seine Mutter hatte ihm damals erklärt, dass die meisten Männer und allen voran die Männer der Kirche solche Dinge aus Angst vor intelligenten und klugen Frauen taten, und mit den Jahren hatte Kieran diese Worte bestätigt gefunden. Die meisten Frauen, die einen solchen Prozess über sich ergehen lassen mussten, waren Frauen, deren Wissen und Intelligenz oft nicht nur die Kirche ängstigte. Und offenbar war auch hier in Cambridge eine Frau aufgefallen, dadurch, dass sie unter Umständen aus besserem Wissen, der Kirche widersprochen hatte. Gerade im Bereich der Medizin waren Frauen wesentlich weiter, als so mancher Mann, so mancher Geistlicher. Aber das war doch auch nichts Ungewöhnliches. Schließlich mussten sie doch ihre Familie versorgen, und eben auch, wenn diese krank war… Kieran schob den Gedanken beiseite, konnte er doch eh nichts daran ändern. Zudem waren sie gerade an dem Punkt angekommen, an dem sie ihr Lager errichten würden.
 

Cambridge war voll Leben und sprühte nur so vor Lebenslust. Eigentlich brauchte es gar kein Fest der Fruchtbarkeit, um zu begreifen, dass der Frühling eine Art „Wiedergeburt“ der Welt darstellte. Alles schien sich den langen Winter aus dem Leib vertreiben zu wollen und die Menschen genossen es, dem regen Treiben in den Straßen der Stadt beizuwohnen. Auch jetzt noch, wo es schon dunkel war und die meisten eigentlich einen anstrengenden Tag vor sich haben würden, schien niemand schlafen gehen zu wollen.

Kieran genoss die Atmosphäre und saß auf einer Bank vor einem Schankhaus, das kühle Bier genießend, und dem Treiben um sich zuschauend. Kieran mochte Cambridge und war immer gerne hier. Das lag wahrscheinlich auch daran, dass die Bevölkerung mit den Studenten, die hier ebenfalls lebten, einfach jünger und progressiver wirkte. Wenn er in den nächsten Tagen Zeit finden würde, würde er versuchen, wieder einmal in die Universitätsbibliothek zu gelangen. Im letzten Jahr war er recht unsanft daraus entfernt worden, als man feststellte, dass er kein Student war. Aber immerhin hatte er ein paar interessante Dinge gelesen, bevor das geschehen ist. Eigentlich kein Wunder, dass die Kirche diese menschenverachtenden Hinrichtungen gerade hier absolvierte, wo man viele andersdenkende, kluge Menschen hatte. Schließlich musste man ja Exempel statuieren, um nicht in Vergessenheit zu geraten.

Gedankenversunken trank Kieran sein Bier.
 

Alessandro und Dominico Sforza


 

"Alessandro?" Der Ruf verhallte ungehört.

"Mein Herr, der Kardinal hat darum gebeten, nicht gestört zu werden, er hat die Nacht im Gebet-"

"Im Gebet? Hatte das Gebet zufällig so einen Arsch und Brüste?" Der junge Mann, der versucht hatte Dominico zurück zu halten, prallte nach hinten. "Ich bin nicht dumm. In welchem Zimmer ist er?"

"Im Grünen Salon, mein Herr", gab der Diener resigniert Auskunft und Dominico machte auf dem Absatz kehrt. Die hölzernen Absätze seiner Stiefel schlugen klackend auf den Steinboden, als er - so schnell es seine Würde erlaubte - durch das Anwesen rauschte. Vor einer Stunde war alles noch perfekt gewesen. Er war in seinem Bett aufgewacht, ausnahmsweise einmal ohne einen dicken Kopf und einer fremden Frau neben sich. Er war aufgestanden, hatte sich gewaschen und angekleidet und dann am Frühstückstisch eine Stunde auf seinen Bruder gewartet, der wie so häufig durch Abwesenheit geglänzt hatte. Anscheinend erwartete Gott keinen Frühaufsteher in seinen Diensten, sonst wäre Alessandro wohl schon mehrfach vom Blitz getroffen worden. Aber im Falle seines Bruders schien der Herr auf beiden Augen dauerblind zu sein. Manchmal wünschte sich Dominico, er sei der Priester von ihnen beiden. Auf Kosten der lieben Mutter Kirche all das zu tun, wonach ihm der Sinn stand, ohne dafür gerade stehen zu müssen, klang wesentlich verlockender, als verheiratet zu sein und für jeden Ehebruch den Galgen zu befürchten.

Er erreichte den Grünen Salon, atmete einmal tief durch und stieß die Türe gewaltsam und mit einem nicht gerade leisen "Alessandro!" auf den Lippen auf.

Im Zimmer war es beinahe stockdunkel. Die schweren Brokatvorhänge an den Fenstern waren zugezogen und das dunkle Tannengrün der Wände schluckte nahezu jeden Lichtstrahl. Das Feuer im Kamin war herunter gebrannt und beleuchtete die Szene auf dem Bett nur äußerst schwach, doch was Dominico sah, reichte, um ihm auch den letzten Rest seiner mühsam aufrecht erhaltenen Fassung zu rauben. "Kardinal Alessandro Sforza!", bellte er, erntete vom Bett jedoch nur ein verhaltenes Grunzen. Dominico schnaubte. Schnellen Schrittes erreichte er die Vorhänge und riss sie auf und öffnete die Fenster. Klare kühle Morgenluft flutete in das Zimmer und vertrieb den Geruch nach Schweiß, Asche, Sex und billigem Wein, der in der Luft hing. Die plötzliche Kühle gepaart mit unliebsamem Licht brachten Bewegung auf das Bett.

Zwei Frauen blinzelten unter langen verstrubbelten Haaren gegen die Lichtquelle und lösten sich von dem Mann, der in ihrer Mitte lag und sich noch immer gegen das Aufwachen wehren wollte. Dominico klatschte in die Hände und es dauerte keine Minute, da standen drei Diener im Raum, unter ihnen Alessandros Leibdiener Amadeo. "Amadeo, geleite die Damen hinaus!", befahl Dominico knapp und der Italiener mittleren Alters griff sich die beiden Huren am Arm, die sich bereits wieder in ihre Kleider geschält hatten. Diese Frauen rochen für gewöhnlich, wenn es Ärger gab, und verzogen sich schneller als man sehen konnte. Offenbar hatte Alessandro sie auch schon bezahlt, denn sie machten keine Anstalten nach Bezahlung zu fragen. Bequem für Dominico, der überhaupt keine Zeit hatte, sich damit auch noch auseinander zu setzen. Die beiden anderen Diener rollten eine Wanne herein, in der bereits Wasser auf Alessandro wartete, so dass dieser sich waschen konnte - wenn er es denn heute noch schaffte, sich aus dem Bett zu erheben. Immerhin hatte sich der Kardinal schon auf seine Ellenbogen gestützt. Die rote Robe ging über dem Fußende des Bettes, und eine der Damen, die seinen Galero getragen hatte, hatte diesen über einen der Bettpfosten gehängt. "Was machst du für einen Aufstand am frühen Morgen?" Alessandros Stimme klang krächzend, er hatte sicher Durst oder einen verdammten Brand nach der letzten Nacht. Langsam schälte sich der Geistliche aus dem Bett, um zu einem kleinen Tisch hinüberzuwanken, auf dem noch immer die Weinkaraffe stand.

Leider war Dominico schneller und zog die Karaffe weg, schüttete seinem Bruder stattdessen einen Becher Wasser ins Gesicht. Dieser Angriff brachte den Sforzakardinal nun endgültig in die Sphäre der wachen Menschen. "Meine Güte, du bist eindeutig mit dem falschen Fuß aufgestanden, Bruderherz", beschwerte er sich, während er das Hemd, das er noch trug, abstreifte. Vom Alkohol der letzten Nacht war er noch etwas wackelig auf den Beinen, doch er schaffte es, ohne zu stolpern bis zur Wanne, und ließ sich grinsend seitlich hinein rutschen - ein böser Fehler.

Mit einem heiseren Aufschrei, um sich panschend und sowohl die Diener als auch den Boden benässend tauchte Alessandro wieder auf. "DAS IST JA KALT", schrie er, wieder ganz Herr seiner Stimme und versuchte aus der Wanne und dem kalten Wasser zu entkommen. Wieder war Dominico schneller und drückte ihn zurück.

"Mein lieber Kardinal! Schon vor eine Stunde hättet ihr mit mir am Tisch frühstücken sollen, denn es beginnt das Osterfest. Für euch Kardinal ist das eine sehr wichtige Zeit, die ihr nicht mit Huren im Bett verbringen solltet! Die Auferstehung unseres Erlösers sollte wahrlich anders gefeiert werden. Euch erwartet eine Audienz beim König."

"Ach und du glaubst, dass Jesus nicht ins Bordell gegangen ist, um seinen Spaß zu haben? Ich feiere seine Auferstehung eben richtig", murrte Alessandro mit inzwischen klappernden Zähnen. "Du bist nur eifersüchtig und neidisch, weil ich heute Nacht zum Schuss gekommen bist und du nicht."

"Es ist mir ganz egal, in welche Gestalten du deinen Schwanz steckst - solange du nur pünktlich dabei bist und das bist du gerade nicht! In einer halben Stunde reite ich los, zur Not auch ohne dich" Und damit wandte sich Dominico ab und ging.

Es dauerte keine halbe Stunde, da stand Alessandro abfahrbereit neben ihm. Sie beide ritten zu Pferd in die Stadt. Vor einigen Tagen waren sie nach Cambridge gereist, gemeinsam mit seiner Majestät dem König. Heute würden sie an den Feierlichkeiten zu Ehren des Osterfestes teilnehmen und in Gegenwart der Krone hatte Dominico nicht die Ambition zu spät zu sein.

Als sie die Stadttore passierten verneigten sich die Wächter an den Toren untypisch tief. Sie ritten nicht im Gefolge des Königs, doch sein Bruder hatte - mal wieder - unwesentlich dick aufgetragen. Henry sah die rote Robe römischer Kardinäle mit wachsender Wut, da der Papst in Rom sich weigerte, seine Ehe mit Katharina von Aragon zu scheiden, nur damit der König seine Mätresse Anne Boleyn ehelichen konnte. Alessandro vertrat in dieser Hinsicht natürlich die Interessen der Kirche von Rom, doch wenn es ums Feiern ging - und das sollte es ja bekanntlich - dann war er weit davon entfernt, mit einer roten Robe alle Aufmerksamkeit und den Zorn des Königs auf sich zu ziehen. Er trug daher ein wesentlich dunkleres Rot, beinahe Braun. Doch das Gewand war ebenfalls aus teurer Naturseide und das schwere Kruzifix um Alessandros Hals war aus in Gold gefassten roten Rubinen. Er trug einen Hut, der an die Form des Galeros angelehnt war - im Großen und Ganzen wirkte er damit sehr zivil, verwies aber trotzdem auf seinen päpstlichen Auftrag. Dominico konnte darüber stets nur den Kopf schütteln. So sittsam und gottesfürchtig, wie sich der Mann neben ihm gerade gab, war er überhaupt nicht.

Da er selbst davon leider profitierte, weil Alessandro nicht zuletzt auch sein Leben durch das päpstliche Gehalt um ein vielfaches angenehmer machte, sagte er nichts zum Auftreten seines Bruders.

In der Stadt selbst setzten sich diese heimlichen Ehrbekundungen fort, zumindest dort, wo die Wachen des Königs nicht allzu auffällig hinsahen. Katharina war ein rotes Tuch für den König geworden und wollte nicht sehen, dass das Volk sie noch immer verehrte. Die Leute, die das zu offensichtlich taten und die Weigerung des Papstes guthießen und predigten, landeten am Pranger oder auf dem Scheiterhaufen - morgen würden einige Hinrichtungen stattfinden und die Opfer standen jetzt schon aufgereiht am Pranger, als die beiden Sforza Brüder den Marktplatz erreichten.
 

Finley Gordon alias Adrian White

„FINLEY SAM GORDON!“ Der laute Ruf durchbrach den blumigen Traum des Rebellen, welcher – abrupt aufwachend – sich kerzengerade aufrichtete und mit voller Wucht gegen einen Dachbalken oberhalb seiner Stirn donnerte. „Verflucht!“, zischte dieser, als ein schallendes Gelächter von der Tür her seinen Blick auf sich zog. „Du…!“, knurrte er, als er den rothaarigen, großen Mann erkannte, der vor Lachen in die Knie gegangen war und sich nun nur noch mit Mühe aufrecht halten konnte, indem er sich am Türrahmen abstützte. Mit einem Hechtsprung stürzte sich Finley aus dem Bett, geradewegs auf den bebenden Mann zu und verpasste ihm einen leichten - aber nicht zu leichten - Fausthieb in die Magengrube. Der Kupferschopf stieß leicht keuchend die Luft aus, was ihn allerdings nicht davon abhielt, weiterhin breit zu grinsen. Mit geschickten, großen Händen, hielt er die Hände Finleys fest und richtete sich langsam wieder gerade auf.

„Frohe Ostern, Zecke!“, sagte er feixend und gab Finley einen Klaps an der Stelle auf die Stirn, wo er sich zuvor gestoßen hatte. „Pass bloß auf, das bekommst du alles zurück!“, murrte der blonde Rebell gespielt erzürnt, doch auch er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Wer so blöd war und immer wieder auf den gleichen Trick herein fiel, der würde sich wohl auch etwas Spott von einem seiner besten Freunde anhören müssen.

Gähnend streckte er sich und zog sich das Nachtgewandt aus, bevor er in eine dunkle Leinenhose und ein ebenso dunkles Hemd schlüpfte. Zwar bevorzugte er eher helle Farben, doch es hatte ihm schon einige Male den Arsch gerettet, im Schatten verschwinden zu können. Es war schon schlimm genug, dass sein Gesicht und seine Haare wie Fackeln leuchteten – aber dagegen konnte man schließlich schneller etwas unternehmen. Schließlich band er sich noch die Haare mit einem Band zusammen und wandte sich wieder zu dem gut einen Kopf größeren Mann hinter sich um. „Na, genug gespannt?“, gab er grinsend von sich und der Mann im Türrahmen lachte leise. „Als Anführer werd ich mir doch wohl noch die ein oder andere Freude erlauben dürfen, oder?“, gab er ebenso keck zurück und zog Finley am blonden Pferdeschwänzchen. „Du brauchst dich gar nicht so fertig zu machen, du musst dich eh gleich waschen und deine Haare mal in Ordnung bringen. Ich bin ja kein Experte, aber soweit ich weiß, laufen Messdiener nicht so schlampig herum wie du.“ Finley streckte ihm die Zunge heraus und wollte sich gerade an ihm vorbei schieben, als er ihn noch einmal am Zopf zurück zog. „Lass die Haare offen. Damit siehst du jünger aus. Und nimm das bloß nicht auf die leichte Schulter! Ich will nur Informationen, keinen aufständischen Firlefanz. Ich hab keine Lust, einen meiner besten Männer und Freunde an die scheiß Kirche zu verlieren, nur weil du mitten in der Messe geräuschvoll zu kotzen anfängst!“ „Du hast mich durchschaut!“, schnaubte Finley und boxte seinem Gegenüber erneut leicht in die Magengrube. „Aber keine Angst, der höchstens 20-jährige Adrian White hat nicht vor, in all zu naher Zukunft das Zeitliche zu segnen und wird das Kotzen daher auf Hinterher verschieben. Und jetzt mach dir mal nicht ins Höschen, Ralph. Mein unwiderstehlicher Charme wird das schon schaukeln!“, kommentierte er wenig bekümmert und verschwand zwei Zimmer weiter, wo er die Tür vor weiteren neugierigen Augen und besorgten Stimmen schloss.

In diesem Zimmer befand sich ein großes Holzfass und Eimer mit Wasser waren ebenfalls schon bereit gestellt worden. Sehr aufmerksam von Clara, ihrem einzigen, offiziellen, weiblichen Mitglied bei den Rebellen. Etwas umständlich, da seine Glieder noch immer etwas steif vom Schlafen waren, schlüpfte er etwas widerwillig erneut aus seiner Kleidung und stieg in das Fass. Schließlich öffnete er noch seine Haare und schnappte sich einen Eimer mit Wasser. Finley bekam schon eine Gänsehaut, allein von der Kälte, die durch das Gefäß gegen seine Handflächen strömte. Fest kniff er die Augen zusammen, während er sich das eisige Wasser schonungslos über den bibbernden Körper kippte. „Brrr!“, quietschte er laut, während er die nächsten zwei Eimer ergriff und über sich kippte, bis das Fass ¾ voll war. Ein Stück Seife lag ebenfalls in Reichweite und so machte sich der Rebell widerwillig an die Arbeit, bis sein Körper rosig und beinahe wund war. Nun tauchte er ein um das andere Mal unter, bis er das Gefühl hatte, dass seine Genitalien mittlerweile auf Rosinengröße zusammengeschrumpft waren, und er eiligst aus dem Eisbad hüpfte. Zitternd schnappte er sich ein Stück Stoff und begann sich damit abzutrocknen.

Prüfend blickte Finley an sich herab. Ja, das musste so gehen. Wahrscheinlich war er noch nie in seinem Leben so sauber gewesen. Und wahrscheinlich hätte er auch niemals geglaubt, dass die Kirche der Anlass dafür sein würde. Das musste heute ein Erfolg werden, sonst wäre die ganze Plackerei umsonst gewesen und Finley war niemand, der etwas einfach so umsonst tat.

Mit einem Ruck riss er die Tür auf. „Clara ich bin so weit! Meine Haare warten auf dich!“ rief er laut und nur wenige Minuten später kam ein großes, drahtiges und muskulös wirkendes Mädchen mit langen, kupferfarbenen Haaren die Treppe hinauf und kam grinsend zu Finley ins Zimmer. Dieser hatte sich sein Stück Stoff um die Hüfte gebunden und sich brav auf einem klapprigen Hocker nieder gelassen. Kurz sah sich Clara stirnrunzelnd im Zimmer um, bevor sie einen Kamm aus ihrer Schürze zog und sich erbarmungslos an Finley Haaren zu schaffen machte. „Musstest du alles unter Wasser setzen?“, fragte sie mit leicht gereiztem Unterton, doch Finley wusste, dass sie nicht wirklich sauer war. „Du weißt doch, dass es ohne ein bisschen Sauerei einfach keinen Spaß macht und nebenbei wollte ich dir nur beim Putzen helfen!“, erklärte er lächelnd und Clara zog ihm ein bisschen fester an den Haaren, doch Finley gab keinen Mucks von sich. Er wusste, wenn er erst einmal mit dem Beschweren anfing, würde Ralphs Schwester nur Gefallen daran finden und ihn gar nicht mehr in Ruhe lassen. Doch scheinbar hatte sie trotzdem noch ein Hühnchen mit ihm zu rupfen, denn immer wieder wurden ihre Griffe fester, bis sie schließlich erneut das Wort ergriff. „Ralph macht sich wirklich Sorgen um dich, Zecke. Wir alle machen das. Es ist so typisch, dass ausgerechnet du das unbedingt machen wolltest, aber stell bloß keinen Unsinn an und lass dich nicht umbringen, sonst komm ich persönlich vorbei, um dich in deinen letzten Stunden noch zu quälen. Du weißt genau, dass wir dich UND die Informationen brauchen. Und nicht nur Ralph würde dich schrecklich vermissen“, sagte sie etwas sanfter und auf Finleys Lippen trat ein weiches Lächeln. „Du kennst mich doch. Ohne nen kleinen Kick geht’s nicht. Und den Feind kann man nur bekämpfen, wenn man ihn kennt. Nur von innen heraus. Und außerdem werd ich doch nicht umsonst ‚Zecke‘ genannt!“, gab er selbstsicher zurück. Nicht zuletzt, um sich selbst etwas zu beruhigen. Es würde sicher kein Zuckerschlecken sein, gerade bei der Ostermesse als Messdiener dabei zu sein. Finley wusste noch immer nicht recht, wie zur Hölle es Ralph geschafft hatte, einen von ihnen dort einzuschleusen, doch er hatte es - wie er immer alles irgendwie schaffte - und nun lag es an ihm, etwas daraus zu machen.

Etwa eine Stunde später stand er neu eingekleidet, duftend und glänzend und umringt von einigen seiner Mitkämpfer vor dem etwas schäbigen Haus, dass sie ihr eigen und einen ihrer Unterschlüpfe nannten. „Hast du alles im Kopf, Zeck- ich mein, Adrian?“, fragte Ralph mit einem schiefen Grinsen und klopfte mit seiner riesigen Pranke so fest auf Finleys Rücken, dass dieser einen Schritt nach vorne machen musste. Er nickte nur breit grinsend und knuffte seinen großen Freund in die Magengrube. „Na, dann verpiss dich mal, du Sohn Gottes und zeig uns, dass unsere Vorbereitungen nicht umsonst waren!“

Das allerdings brauchte Ralph ihm nicht zweimal sagen und schon war er in den Gassen der Stadt verschwunden. Der Rebell kannte sich hier aus, wie in seiner eigenen, naja, Westentasche – sofern er denn so etwas besaß – und schlängelte sich so geschickt durch die trotz der Uhrzeit schon vorhandenen Menschenmengen, als hätte er sein ganzes Leben lang nichts anderes getan. Was er ja, streng genommen, auch nicht getan hatte. Allerdings nicht in diesem Aufzug und er musste zugeben, dass es schon ziemlich ungewohnt war. Normalerweise hätte er auch lautstark gegen dieses Herausgeputzte protestiert, doch er musste einen gottesfürchtigen Mann abgeben. Jemanden, der sein ganzes, junges Leben der Kirche und dem Glauben verschrieben hatte und der normalerweise vielleicht auch nicht so sauber herumlief, doch für das große, bevorstehende Osterfest alle Mühen auf sich genommen hatte, um ein gebührendes Äußeres aufweisen zu können. Umso gläubiger er wirkte, desto besser.
 

Kieran Carney
 

"Wäre" und "Hätte" waren Worte, die in Kierans Wortschatz nur selten vorkamen. Er neidete nicht, nicht in dem Maße, wie es viele andere taten. Und wenn so ein Markt eröffnet wurde und wenn so viele Menschen unterschiedlichster Herkunft aufeinandertrafen, schien der Neid bei vielen ins Unermessliche zu steigen. Überall wisperten und tuschelten die Leute über diesen oder jenen, der offenbar wohlhabender war, als sie selbst. Und dabei versäumten sie es nie, genau über jene zu lästern, die es offenbar besser getroffen hatten, als sie selbst, obwohl sie es - glaubte man dem Gewäsch- nicht verdient hatten. Besonders die Frauen schienen chronisch unzufrieden zu sein, denn stets hatte diese oder jene das schönere Kleid, den hübscheren Stoff oder die moderneren Schuhe. Aber stets war auch die andere hässlich, dumm oder vulgär. Kieran fand es immer sehr amüsant, wenn er vor der Kirche stand und die Ankunft der Menschen sah. Er konnte nicht verstehen, wieso Menschen ihr Glück in ihrem Besitz sahen. Er hatte nur drei Hemden, die er sein eigen nannte, und war glücklich. Gab es nicht andere Werte, die so viel mehr wert waren, als Besitz? Zumal er die Reichen wirklich nicht beneiden konnte. Wenn sie nicht selbst die größten Arschlöcher waren, mussten sie stets vor eben diesen in Acht sein. Und wäre er an ihrer Stelle, so müsste er wahrscheinlich auch duzende Hemden haben, um nicht ins Gerede zu kommen. Kein schönes Leben, oder?

An diesem Tag war die Kirche nicht für alle geöffnet. Der König selbst hatte es sich nicht nehmen lassen, nach Cambridge zu reisen, um den Osterfeierichkeiten beizuwohnen. Angesichts der Stellung von Cambridge wunderte ihn das auch nicht, denn seit sich die Universität offiziell von Oxford distanziert hatte, um freier vom Königshaus forschen zu dürfen, galt Cambridge als Anziehungspunkt für Rebellen und Querdenker. Für das niedere Volk gab es daher kaum Platz in der eh schon nicht ganz so großen Kirche, so dass nur ausgewählte Bürger geladen worden waren. Der gesamte Adel der Gegend bis nach London schien da zu sein, um vom König gesehen zu werden. Spannend war die Anwesenheit der Hochrangigen der römischen Kirche. Bischöfe und sogar der Kardinal wohnten den größten Osterfeierlichkeiten des Landes bei. Dass der König momentan nicht so gut auf diese zu sprechen war, war kein Geheimnis. Kieran, der gar nichts von der Kirche hielt, war diesmal sogar zufrieden, dass es dem König nicht so leicht gemacht wurde, die Frauen wie die Unterhose zu wechseln. Andererseits würde Heinrich sicher einen Weg finden, seine Frau loszuwerden, auch wenn es von Rom nicht gestattet war, da war er sich sicher. Kieran war gespannt, was geschehen würde und bedauerte Katharina, die er für sehr klug hielt. Zwar vertrat sie das Bild der braven, keuschen, mannergebenen Frau, aber versäumte nicht, an passenden Stellen ihre Meinung kundzutun. Frauen hatten es leider nicht sehr leicht in ihrer Gesellschaft, umso schöner, wenn sich eine Königin zu äußern wusste.

Die Menschenmasse verschwand in die Kirche, als das Geläute der Glocken immer lauter zu werden schien, und nun war es an Kieran zu tun, was er tun wollte: in die Bibliothek einsteigen. Er hatte beobachtet, dass die wichtigen Persönlichkeiten der Universität auch den Feierlichkeiten beiwohnten, so dass er nun eine Stunde ungestört haben würde, bevor er ohnehin auf dem Marktplatz sein musste, um seiner Familie beim Geldverdienen zu helfen.
 

Alessandro und Dominico Sforza
 

Die Delegation des Königs wurde bereits in Cambridge erwartet und eine ganze Reihe von adeligen Gästen hatte vor der Kirche mehr oder weniger lockere Aufstellung genommen, um einen Blick auf den König werfen zu können. Amadeo nahm den beiden Brüdern die Pferde ab, als sie absaßen, und würde sich um die Tiere kümmern, solange die Herrschaften in der Kirche, beziehungsweise auf dem Markt unterwegs waren. Ohne auf den König zu warten, betraten Alessandro und Dominico die Kirche durch den Seiteneingang über die Sakristei. Der Bischof, der die Messe halten würde, wurde aus seinem Gebet geschreckt, als der Kardinal die kleine Kapelle betrat, in der sich gerade auch die Messdiener in ihre Gewänder schälten. "Eure Eminenz!" Der Bischof war schnell damit, Alessios Hand zu greifen und den Ring zu küssen, den Alessandro am Finger trug, eine ähnliche Ehrerbietung wie vor dem Papst. Vor Dominico neigte der Bischof nur leicht den Kopf, wie auch Dominico vor ihm. Er war froh seinen Bruder direkt mitgebracht zu haben, denn es bereitete dem Älteren diabolische Freude, sich offiziell vom eigenen Bruder begrüßen zu lassen. Und Dominico konnte sich auch nicht weigern, den Ring, beziehungsweise die Hand seines Bruders zu küssen, wenn der sie ihm hinhielt. In diesem Fall jedoch blieb ihm diese öffentliche Demütigung, als die er es empfand, erspart.

Während Alessio in der Kapelle zurück blieb, um mit dem Bischof zu reden, betrat Dominico die festlich geschmückte Kirche. Sein Blick wanderte über die schon teilweise besetzten Reihen und schließlich nach oben zur Empore. Die Kirche war recht neu, es wurde sogar noch daran gebaut und der Turm war noch nicht fertig. Da die Krone dieses Bauvorhaben der Kirche St. Mary the Great jedoch finanziell unterstützte, wollte Henry die Osterfeierlichkeiten natürlich hier abhalten. Beinahe wie in einem Theater hatte man für die gehobenen Gäste auf der Empore und dem umlaufenden Gang kleine Logen eingerichtet und Dominico würde irgendwo dort Platz nehmen. Er schlenderte den Kreuzgang entlang, ließ den Blick über die Besucher schweifen, die schon herein gekommen waren. Er kannte einige der Leute, andere kannte er nicht. In Anbetracht der politischen Lage schien die Beteiligung vor allem politischer Größen enorm. Er sah Vertreter aus Frankreich, Spanien und dem deutschen Kaiserreich, die sich in Gruppen verteilt in den dunklen Seitengängen aufhielten. Ja, jeder wollte seine Interessen vertreten. Dominico schmunzelte, ehe sich alle Blicke dem Mittelgang zuwandten und sich die Menge verneigte. Nicht etwa, weil der König gerade eintrat, sondern weil die Würdenträger der Kirche einmarschierten. Es waren einige Priester und Bischöfe, die zu diesem Ereignis gekommen waren - und sie alle flankierten seinen Bruder, dem man ein kunstvoll besticktes Messgewand über die dunkelrote Robe gelegt hatte. Dominico verdrehte die Augen und schlenderte zu der Treppe hinüber, die ihn zu seiner Loge brachte. Sein Bruder indes kniete vor dem Altar nieder und schien im stillen Gebet versunken, während die Würdenträger an den Seiten Platz nahmen. Zu Ehren des Osterfestes war der Knabenchor aus London mit angereist und nahm ebenfalls Aufstellung, während sich die Kirche langsam füllte.

Dann dauerte es tatsächlich keine 10 Minuten mehr, bis der König in die Kirche marschierte. Man musste es wirklich schon marschieren nennen, denn ohne seine Frau oder eine Mätresse an der Seite schlug der König einen militärisch flotten Schritt an. Gefolgt von Kardinal Wolsey, dem Lordkanzler und damit auch Henrys engstem Berater. In Kirchenfragen waren sich Alessandro und Wolsey nie einig, doch das machte nichts - sie sprachen kaum über diese Dinge. Es war allerdings schon bezeichnend, dass Alessandro derjenige war, der vor dem König diese Messe eröffnen sollte. Aber man munkelte bereits, dass Wolsey sich mehr darauf konzentrierte auf den päpstlichen Stuhl in Rom gehievt zu werden Dabei hatte er sich auch um Alessandros Stimme und die der eingeschworenen Sforzakardinäle zu bemühen. Vielleicht hatte er deswegen auch seinem Bruder den Vorzug gelassen.

Als nun die Kirche gut gefüllt war, begann der Gottesdienst. An wahrhaft meisterlicher Organist aus London stimmte auf den Gottesdienst ein und die klare Stimme seines Bruders eröffnete den Gottestdienst mit einem lateinischen Gebet. Beinahe wurde Dominico wieder von Neid übermannt. War nicht immer der kleine auf den großen Bruder neidisch? Wie er dort unten stand, so selbstgefällig und scheinbar unschuldig im Messgewand, wo er sich für eine Frau oder einen Mann nur zu gerne letzteres heruntergerissen und auf dem Altar Dinge vollführt hätte, die die Anwesenden vor Scham in der Hölle hätten versinken lassen. Aber das geschah natürlich nicht. Nach dem Alessandro sein Gebet gesprochen hatte ging er, begleitet von zwei Weihrauschwingenden Messdienern durch die Reihen und segnete die Leute, kam auf die Empore herauf, um auch den König zu segnen und sich vor ihm zu verneigen, ehe er dann zu Dominico herüberkam und sich zu ihm setzte - den Gottesdienst übernahm jetzt der eigentlich hier ansässige Bischof. Kaum dass der geregelte Teil der Kirche zu Ende gegangen war und die Predigt einsetzte, erhob sich leises Gemurmel in der Kirche. Viele der Menschen redeten über das, was sie hörten, während sich Alessandro zu seinem Bruder hinüber beugte. "Sag, hast du den Messdiener am Ambo gesehen?" Dominico runzelte die Stirn, sah dann aber nach unten und kniff die Augen zusammen, um den jungen Mann besser erkennen zu können. Er war mit Sicherheit kein Knabe mehr, sicher schon 18 oder älter. Sein Gesicht konnte man guten Gewissens als so makellos wie das eines Engels bezeichnen, passend dazu fiel ihm das goldblonde Haar bis auf die Schultern. Er war nicht sonderlich breit, eher schmal und seine Augen von einem bestechenden Blau, zumindest bildete Dominico sich das ein, als der Junge zu ihnen hinaufsah. Ob er zu ihnen oder zum König knapp neben ihnen sah, konnte Dominico nicht sagen, doch das tat auch nichts zur Sache. "Der blonde Rauschgoldengel? Ist beinahe schwer zu glauben, dass es ein Mann sein soll. Ich glaube da steckst du deine Ziele zu hoch." Alessio gluckste. "Oh, ich glaube, ich sollte ihn zur Beichte einladen..."

"Ja, sicher. Nachdem du ihm etwas gegeben hast, das er zu beichten hat, und er sich danach ins Messer wirft. Nein Bruderherz, ich glaube nicht, dass du ihn herumbekommst. So wie er aussieht, hat er sein Leben ganz und gar der Kirche verschrieben und in so jungen Jahren sind die noch nicht so leicht zu beeinflussen wie die Jungs von der Straße."

"Man soll sich doch hohe Ziele setzen, oder nicht?" Dominico verdrehte erneut die Augen. "Gut. Ich halte dagegen. 20 Pfund."

"Ich bin ein armer Kirchendiener...", versuchte Alessandro den wirklich hohen Preis zu drücken, doch Dominico warf ihm einen Blick zu, der ihn verstummen ließ. „20 Pfund. Und dafür will ich ihn hören."

"Dann sehe ich mich gezwungen, jemanden für dich zu suchen. Gleiche Wette gleicher Einsatz."

Nico lupfte die Augenbraue, doch er zuckte mit den Schultern. "Ich wähle, du hast auch gewählt. Wir sehen, ob ich etwas Äquivalentes finde."

Damit war zumindest dieses Gespräch beendet und die Brüder lauschten der Predigt, die nach Dominicos Meinung wesentlich länger dauerte als notwendig gewesen wäre. Nun, es war Ostern.
 

Finley Gordon alias Adrian White
 

Einige Zeit später befand Finley sich auch schon mitten in der Zeremonie und er konnte es selbst kaum fassen, inmitten dieses riesigen – übrigens arschkalten – Gebäudes zu stehen und Weihrauch zu schnüffeln. Zunächst hatte er ganz schöne Muffensausen gehabt, doch schon nach wenigen Minuten hatte er gemerkt, wie beschäftigt sie alle waren und dass niemand ihn misstrauisch beäugte. Nun begann ihm das Ganze allerdings einen riesen Spaß zu machen und er schlüpfte voll und ganz in seine Rolle als guter Christ und musste sich teilweise wirklich zurückhalten, in seiner Ehrerbietung nicht etwas zu übertreiben. Dann musste Finley allerdings feststellen, dass die ganze Prozedur ziemlich lange anzudauern schien und er begann, sich zu langweilen. So konnte man kaum Informationen beschaffen und er zermarterte sich das Hirn, mit wem er wie am besten nach dem ganzen Brimborium mitgehen könnte, um etwas Brauchbares zu erfahren. So begann sein Blick, möglichst unauffällig umher zu schweifen und die Umgebenden zu mustern. Vor allem die ‚Loge‘ schien ihm äußerst interessant und informativ zu wirken und so erhaschte er den Blick zweier Männer, die dort oben über der Brüstung lehnten. Blickten die etwa ihn an? Beinahe hätte er breit gegrinst und provokant zurück gewunken, doch geradeeben noch konnte er seine Handbewegung zu einem Kratzen tarnen und sein Lächeln zu einer Art Gesichtslockerung, bei der er die ein oder andere Grimasse schnitt, während er hastig den Blick abwandte.

Dies war der Kardinal von eben gewesen. Und der andere sah ihm auch recht ähnlich. Sofern er das beurteilen konnte, konnten dies nur die Sforza Brüder sein und wenn ihn nicht alles täuschte, wäre ein Gespräch mit nur einem von beiden weit mehr als nur lukrativ. Finley musste unbedingt sehen, dass er nach dem Tamtam hier in die Nähe der Männer kam. Vielleicht ließ sich der Kardinal mit einem Gespräch über Gott einfangen und rückte mit der Sprache raus, wenn man den richtigen Ton traf. Bei der Messe hatte der Kerl ja ganz schön dick aufgetragen, aber bei Menschen mit Geld und Macht wusste man schließlich nie, was ihr verdorbener Kern war bzw. man wusste nie, wie dick die Fassade um den verdorbenen Kern war.
 

Kieran Carney
 

Mit einem mehr als zufriedenen Lächeln stand der schwarzhaarige junge Kieran auf ihrer Bühne und amüsierte das Publikum mit Akrobatik und Jonglage, die so manchem Zuschauer den Mund offen stehen ließen. Er hatte es tatsächlich in die Bibliothek geschafft und auch ein gutes Buch gefunden, das nicht auf Latein geschrieben war, sondern auf Englisch, und in dem hochkonzentriert lesen konnte. Beinahe hätte er die Zeit vergessen, hätten ihn nicht die Glocken gewarnt, die zwischen dem Gottesdienst immer wieder zu hören waren. Doch was er in der kurzen Zeit hatte lesen können, war letztlich viel zu wenig gewesen. Das Buch umfasste weit mehr Seiten, feinsäuberlich geschrieben und mit detailreichen Bildern versehen, die Kieran mehr als helfen würden, sein Wissen um die Medizin grundlegend zu erweitern. Und so stand, als er sich erhob, um rechtzeitig hier draußen zu einen, für ihn fest, dass das nicht sein letzter Besuch sein würde, solange sie in Cambridge gastierten.

Aber auch wenn all das Wissen ihn für sich eingenommen hatte, waren ihm seine Familie und die Show mindestens genauso wichtig. Hier war Kieran in seinem Element, voll konzentriert auf das, was er tat, und er genoss die Show. Bald würde ohnehin der Prozess gegen die armen Hunde und jene Frau, die sie der Hexerei bezichtigten, losgehen und nun, da auch der König anwesend war, würde es wahrscheinlich kein Erbarmen geben.

Wichtig war für sie, dass sie nicht den richtigen Moment verpassten, an dem sie mit ihrer Show aufhören würden. Wären sie zu spät dran, würden alle Zuschauer sich dem Spektakel zuwenden, und nichts mehr bezahlen. Wären sie zu früh dran, würde ihnen vielleicht auch einiges an Geld entgehen. Und so linsten sie immer wieder in Richtung President's Lodge, wo die vom König Geladenen gerade ihren Lunch zu sich nahmen. Erst nach dem Essen, würde der Ostermarkt vom König offiziell eröffnet werden und schließlich die Verurteilungen vorgenommen werden.

Als schließlich die ersten Adeligen zum Marktplatz zurückkehrten, spielten sie noch ein wenig weiter, bis sie schließlich aufhörten. Unter anerkennendem Applaus verneigte sich Kieran und machte sich sogleich daran, die Leute mit einem vorgehaltenen Hut um Geld zu bitten. "Nicht so stürmisch, jeder kommt dran, immer der Reihe nach", sprach er halblaut und lächelnd, während sich schon viele umgedreht hatten, um zu gehen, bevor man etwas bezahlt hatte. Noch hatten die Leute eigentlich Geld, schließlich hatte der Verkauf am Markt noch nicht begonnen, und dennoch waren die Veranstaltungen am Abend immer wesentlich lukrativer, als jetzt. Das lag wohl am Alkohol, der nicht nur die Zunge lockerte, sondern auch oft den Geldbeutel...
 

Alessandro und Dominico Sforza
 

Der König verließ die Kirche zuerst und würde sich nach der Rede vor dem Volk in den für ihn hergerichteten Palast begeben, in dem der König hier residieren konnte und in dem in den nächsten Tagen einige Gesellschaften stattfinden würden. Heute Abend war es ein Essen mit ausländischen Diplomaten und der Königsfamilie, zu dem die beiden Sforza Brüder abgesagt hatten. Sie spielten ihre eigenen Spiele und in Politik allzu sehr hineinzugeraten, war nicht ihr Stil.

Sie verließen die Kirche beinahe als letzte, was vor allem daran lag, dass Alessandro Wert darauf legte, wieder durch den Seitenausgang zu verschwinden. Mit großem Tamtam in der Kirche herumzuflanieren war eine Sache, sich dem Volk jedoch als Kardinal entgegen zu stellen, eine andere. Er zog es vor, möglichst Zivil zu erscheinen und nicht ZU deutlich erkannt zu werden. So traten sie hinaus, als die Rede des Königs schon fast zu Ende war und das Markttreiben begann. Eine Schaustellergruppe hatte die Gelegenheit genutzt, um die Leute vor der Kirche zu unterhalten und sie spielten auch nach der Rede noch etwas weiter, doch dann, als die ersten Stände öffneten, hörten sie auf, da ohnehin niemand mehr darauf achten würde und sie ja auch noch Geld verdienen wollten. Ein junger Mann, der eben noch ziemlich geschickt akrobatische Kunststücke vollbracht hatte, hatte seinen Hut abgenommen und ging durch die Reihen von Zuschauern. Zufällig steuerte er dabei auf die Sforza Brüder zu, die sich anschickten, den Platz zu überqueren, um sich in eines der gehobenen Gasthäuser zu begeben. "Oh Alessio, sieh‘ doch mal…", flötete Nico, als der junge Mann beinahe vor ihnen stand. „Ich glaube, ich habe meine Wette gerade gefunden." Er sah nicht zu seinem Bruder hinüber, sondern musterte den jungen Schausteller, während er in seiner Tasche nach ein paar Münzen kramte. "Das ist wohl nicht dein Ernst?!", Alessio klang ungläubig, musterte den Jungen wie ein unbekanntes Tier. "Oh, ich glaube das ist ziemlich ausgeglichen, meinst du nicht?" Die Münzen klapperten, als sie in den Hut fielen, den der Akrobat ihnen hinhielt. Auch Alessio gab zwei Münzen, doch was Dominico gab, grenzte schon fast an Unverschämtheit. Alessio sah goldene Münzen im Hut verschwinden und räusperte sich kaum vernehmlich, während Dominico mit einem kühlen Lächeln den jungen Mann vor sich mit seinem Blick beinahe durchbohrte.

Dann war der Augenblick vorbei - die Brüder schlenderten scheinbar ungerührt weiter. "Also ehrlich Nico.. ein bisschen mehr Geschmack hätte es schon sein dürfen. Wenigstens habe ich, wenn ich gewinne, keine Beulenpest am Hals." Nico zuckte die Schultern. "Du wirst schon sehen, wer am Ende der Nacht noch zu lachen hat."

Doch das Ende der Nacht war noch lange hin, und nach einem ausgiebigen Mittagessen und einem kleinen Bummel über den Markt verabschiedeten sich die beiden Männer voneinander - bis zum Abend in ihrem Haus. Jeder von ihnen beiden hatte eine Wettschuld zu erfüllen und alle beide hatten vor, zu gewinnen. Deswegen machte sich Dominico auf die Suche nach der Schaustellertruppe. Er hatte vor, sich mit Geld einen Vorteil zu verschaffen. Immerhin war ein Schausteller leichter von Münzen zu beeindrucken, als ein gottesfürchtiger Messdiener.
 

Kieran
 

Eigentlich hatte Kieran so absolut gar nicht damit gerechnet, dass einer dieser beiden Brüder ihm etwas gab. Leute von diesem Stand gaben selten etwas, obwohl gerade sie es dicke hatten. Er hatte die beiden Männer erst spät gesehen, als sie den Marktplatz überquerten, und dann sein Glück versucht. Er erkannte in dem einen den Kardinal, der vorhin noch hoch zu Pferd die Kirche durch den Seiteneingang betreten hatte, wieder, auch wenn jener jetzt wesentlich ziviler, aber dennoch zur Kirche gehörend aussah. Dass der andere Mann sein Bruder war, vielleicht etwas jünger, sah man deutlich. Die Ähnlichkeit war unverkennbar. Er wirkte nur breiter, muskulöser, wie jemand, der das Kämpfen gewohnt war. Andererseits, war der Kardinal von seinem Auftritt her irgendwie imposanter.

Irgendwie irritierte ihn der Blick, mit dem er von beiden gemustert wurde. Der eine sah ihn an, als handle es sich bei ihm um ein Stück Vieh, das bei der Auktion übrig geblieben war und daher wohl eher auf die Schlachtbank musste, als verkauft. Der andere schien ihn mit seinem Blick festnageln zu wollen. Und irgendwie kam Kieran auch nicht umhin, das Gefühl zu haben, sie hätten über ihn geredet. Etwas sei ausgeglichen? Kierans Augenbrauen zogen sich leicht fragend zusammen, als er vor ihnen stand und zu ihnen aufschaute, denn beide waren merklich größer als er. Er hielt den beiden Männern mit einem höflichen Lächeln den Hut hin und einen Moment blieb er in diesen durchdringenden grünen Augen hängen, die ihn irgendwie berührten und doch auch erschreckten. So ganz schlau wurde er aus dem Blick nicht. Und das kühle Lächeln schien völlig unangebracht. Was lächelt er ihn so an? Seinen Blick von den Augen des anderen lösend, blickte er nur kurz in seinen Hut. Mit nur einem halben Auge nahm er wahr, was da seinen Weg hinein gefunden hatte. Wieder etwas, was ihn irritierte, doch diesmal beschloss er, sich seine Verwirrung nicht anmerken zu lassen. "Herzlichen Dank, ihr ungleichen Brüder", sagte er ruhig und verneigte sich in gewohnter Weise, wie er es bei allen tat, die ihm etwas in den Hut legten - sei es nun nur ein Apfel oder wie in diesem Falle Geld, viel Geld. Damit wendete er sich ab und hielt dem nächsten Mann seinen Hut hin. "Auch Sie eine Kleinigkeit als Anerkennung unserer Leistung?" Sein Vater wird sich freuen, schon bei der ersten Show so viel verdient zu haben. Wenn sie heute Abend erst ihre Feuershow zeigen würden, dann würden sie sicher noch einmal so viel einnehmen.



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