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Zwischen den Zeilen von "Die Rosen von Versailles"

von

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Geheime (Liebes)Briefe

Nachtgang

Wir gingen durch die stille milde Nacht,

dein Arm in meinem, dein Auge in meinem.

Der Mond goß silbernes Licht über dein Angesicht,

wie Goldrund ruhte dein schönes Haupt.

Und du erschienst mir wie eine Heilige, mild, mild groß und seelenvoll,

heilig und rein wie die liebe Sonne.

Und in die Augen schwoll mir ein warmer Drang, wie Tränenahnung.

Fester faßte ich dich und küsste, küsste dich ganz leise.
 

Langsam ließ der Dauphin Louis Auguste den Gedichtband mit Liebesgedichten sinken und sah von seinem Fenster in die Gärten von Versailles hinaus. "Nachtgang" eines deutschen Dichters war sein Lieblingsgedicht, erinnerte es ihn doch so sehr an seine Begegnung mit Emilie auf der Ballnacht, die er einfach nicht vergessen konnte. Er musste stets daran denken wie er im Mondschein neben ihr auf der Parkbank gesessen und ihren Duft nach einem zarten Parfum eingeatmet hatte. Ihr volles braunes Haar und das hübsche Gesicht spukten ihm seit zwei Monaten durch die Gedanken und wollten ihn nicht mehr los lassen.

Wie gerne würde er sie wiedersehen, erneut neben ihr sitzen und vielleicht sogar ihre Lippen küssen, genau wie in dem Gedicht beschrieben, wenigstens ein einziges Mal in seinem Leben. Noch nie hatte er solche Gefühle für eine Frau gehegt. Im Gegenteil hatten ihn bis vor kurzem alle Frauen und Mädchen nur in Verwirrung gebracht, so das er sich vor ihnen benahm wie ein tolpatschiger Tölpel und er sich am liebsten in einem Loch verkrochen hätte. Aber mit Emilie war alles ganz anders. Noch nie hatte er sich neben einer anderen Person so geborgen gefühlt. Bei dem Gedanken an sie wurde ihm so warm um sein Herz, dass er spürte es musste Liebe sein. Selbstverständlich würde er Emilie niemals heiraten können, dessen war er sich vollkommen bewusst. Abgesehen davon das für ihn bereits das österreichische Mädchen als Braut ausgesucht worden und diese Ehe für die Zukunft des Landes von höchster Wichtigkeit war und eine Verweigerung seinserseits einen erneuten Krieg mit dem Erzfeind Österreich bedeutet hätte, war Emilie auch gar nicht frei, sondern die Gemahlin eines der treuesten Generäle seines Großvaters. Er seufzte tief. So viel Unglück sah gerade ihm ähnlich. Nicht genug das sich der gesamte Hof über ihn lustig machte, über seine wahrhaft unkönigliche Leidenschaft zum Schmiedehandwerk, seine plumpe Figur, seine Ungeschicklichkeit beim Tanzen und seine angeborene Verschlossenheit, so wusste er vor allem das ihn außer seiner verstorbenen Mutter noch nie jemand geliebt hatte und dies versetzte ihm, so oft er daran dachte, einen tiefen Stich. Seinem Großvater war anzumerken das es ihn sichtlich wurmte, dass ausgerechnet er, Louis Auguste, von all seinen Enkelsöhnen der Älteste und somit der Dauphin war. Viel schneidiger wäre doch sein um ein Jahr jüngerer Bruder der Graf de Provence gewesen, der mit seiner offenen und gewinnenden Art seinem Großvater viel ähnlicher war als er. Eine heimliche Träne rollte Louis Auguste über die Wange. Er fragte sich ob Emilie etwas an ihm lag. Zumindest hatte es auf ihn so gewirkt als wäre sie gerne mit ihm zusammen, als sie sich auf der Parkbank unterhalten und später miteinander getanzt hatten.

Dieses Problem hatte er erst am vergangenen Morgen mit seinem engsten Vertrauten Monsieur Bonnet ausgiebig erörtert. Bei der gemeinsamen Arbeit in der Schmiede während der letzten Wochen, hatte der alte Schmied seinem Lehrling angesehen, dass dieser offensichtlich Kummer hatte. Seine Augen blickten trübe und er schien zum ersten Mal nicht ganz bei der Sache zu sein, was für ihn sehr ungewöhnlich war. Irgendwann als sie sich hinsetzten, um eine Pause einzulegen, meinte der alte Schmied: "Und jetzt erzähle mir einmal was dich bedrückt mein Junge," und legte ihm einen Arm um die Schulter. Louis Auguste blieb beinahe der Bissen seiner Tarte, die auf einem Tablett von einem Diener als Imbiss bereit gestellt worden war, im Halse stecken. Seit Monsieur Bonnet herausgefunden hatte, dass das es sich bei dem Jungen, der in seine Werkstatt getreten war um den Kronprinz von Frankreich handelte, hatte er nie wieder gewagt ihn anders als mit "Ihr" und "Eure Hoheit" anzusprechen, ganz zu schwiegen davon ihn auch nur zu berühren. Aber nun stand ein Gespräch an wie es ansonsten Vater und Sohn miteinander führen würden und da konnte ohne weiters auf die Etikette gepfiffen werden - das fand zumindest Monsieur Bonnet und Louis Auguste musste zugeben das ihm der Arm um seiner Schulter und die vertraulichen Worte ungemein gut taten. Angestrengt suchte er nun nach den richtigen Worten um sein Problem zu schildern. Er konnte doch wohl kaum erzählen das ihn Emilie de Jarjayes so durcheinander gebracht hatte. "Könnte es sein das eine weibliche Person dir gerade etwas Kummer bereitet?" hakte der Schmied nach. Erstaunt wie sein Gegenüber das wohl erraten hatte antwortete der Dauphin, erleichtert darüber das ihm Monsieur Bonnet die richtigen Worte abgenommen hatte: "Oh ja! Woher habt Ihr das nur gewusst?" "Na ja, du bist jetzt in einem Alter in dem Frauen interressant werden. Es würde mich sehr verwundern wenn es anders wäre." Louis Auguste nickte zustimmend. "Die junge Dame ist wohl sehr hübsch?" "Sie ist wunderschön!" "Und du bist sicher gerne in ihrer Nähe?" "Ich kann mich nicht erinnern jemals in jemandes Nähes so gerne gewesen zu sein wie in ihrer," antwortete Louis Auguste in vollster Überzeugung. "Weißt du was?" schlug der Schmied vor. "Schreibe ihr doch einfach einen romantischen Brief. Mädchen sind von so etwas begeistert. Schreibe ihr was du fühlst wenn du an sie denkst und und was du dir von ihr wünscht." "Habt Ihr denn einmal einen solchen Brief geschrieben an eine Frau in die Ihr verliebt wart?" "In der Tat, das habe ich getan. Dieses Mädchen war einzigartig, hübsch aber resolut. Ihr schrieb ich einen wunderbaren Liebesbrief. Sie war davon entzückt und bald darauf waren wir schon so gut wie verlobt." "Weshalb habt Ihr das Mädchen nie geheiratet?" fragte Louis Auguste neugierig, da er wusste das Monsieur Bonnet sein Leben lang ledig geblieben war. "Wir sind wegen einer albernen Sache miteinander in Streit geraten. Jeder von uns fühlte sich im Recht und schmollte. Ich hätte damals den ersten Schritt zur Versöhnung machen müssen, doch ich war jung und stolz. Als ich erfuhr das sie inzwischen einen anderen Mann geheiratet hatte war es zu spät um einzulenken. Ich lief aus meinem Heimatdorf davon, um ihr nicht mehr begegnen zu müssen. Nachdem ich mich einige Zeit als Tagelöhner durch geschlagen hatte, kam ich nach Evry und erfuhr das der dortige Schmied dringend einen Lehrling suchte. Er stellte mich ein, bildete mich aus und da seine beiden Söhne bereits im Kindesalter verstorben waren vermachte er mir seine Schmiede." "Habt Ihr das Mädchen jemals wiedergesehen?" fragte der Dauphin. Die unglückliche Liebesgeschichte Monsieur Bonnets bewegt ihn sichtlich. "Unsere Wege haben sich tatsächlich eines Tages wieder gekreutzt. Der Zufall wollte es das sie selbst eine Anstellung in der Nähe von Evry fand. Inzwischen war sie verwitwet, aber wir mussten fest stellen das unsere Leidenschaft zueinander abgekühlt war. Wir hatten einander einfach nichts mehr zu sagen." Betreten blickte Louis Auguste auf seine Hände, die er während der Geschichte des Schmieds vor Spannung in einander gefaltet hatte. "Also mein Junge halte dich ran, wenn es dir nicht ebenso ergehen soll." Dabei blinzelte Monsieur Bonnet dem Dauphin gutmütig zu und nahm seine Arbeit wieder auf. Natürlich wusste er das für den Dauphin bereits eine Braut gefunden worden war, aber unter den Adligen mit ihren arangierten Ehen sah man eine kleine Affaire nicht so eng. Sein Großvater war wohl das beste Beispiel dafür und sicher nicht dagegen das sich sein Enkel die Hörner abstieß.

Wenn Monsieur Bonnet gewusst hätte, das es sich bei der Angebeteten seines Schützlings um eine verheiratete Dame, die zu allem Überfluss auch noch über fünfundzwanzig Jahre älter als der Kronprinz war, handlete, hätte er kaum derartiges vorgeschlagen, sondern das Augenmerk des Prinzen auf Mädchen seines Alter gelenkt.

So aber, das wohltuende Gespräch mit Monsieur Bonnet noch lebhaft vor Augen, wusste Louise Auguste plötzlich wie er all seinen Liebesschmerz aus sich heraus lassen konnte. Er setzte sich an seinen Schreibtisch, entzündete eine Kerze, spitzte einen frischen Federkiel an, steckte ihn in das Tintenfaß, nahm einen Bogen feines, weißes Briefpapier und begann sich all seine Gedanken von der Seele zu schreiben. In einem Brief an Emilie konnte er endlich seine Gefühle offenbaren, ganz anders als wenn er ihr gegenüber sitzen würde. Vermutlich hielt sie sich, wie die meisten Adligen um diese Jahreszeit, auf einem Sommersitz auf, aber dies einen Lakai gegen eine angemessene Bezahlung herausfinden zu lassen, dafür zu sorgen das der Brief Madame de Jarjayes erreichte und zwar ohne das unnötig viele Personen etwas davon erfuhren, war das geringste Problem. Manchmal hatte es eben auch seine Vorteile der Dauphin von Frankreich zu sein.

Wie er so zu schreiben begonnen hatte flossen tatsächlich all seine Gefühle für Emilie aus ihm heraus. Und was hatte Monsieur Bonnet noch gesagt: "Schreibe ihr was du dir von ihr wünscht." Etwas gab es was er sich von Emilie so sehensuchtsvoll wünschte.
 

Mühsam plagte sich Sophia von Fersen mit ihren Deutschvokabeln. Neben ihr saß ihre neue Gouvernante Fräulein Juliana von Elverfeld, die Tochter eines deutschen Barons, die ihr Vater, der Graf von Fersen, vor einigen Wochen angestellt hatte, um Sophia ihre Muttersprache näher zu bringen. Genau wie ihre beiden Brüder sprach Sophia sehr gut Deutsch, da sich im Hause der von Fersens beinahe ausschließlich in dieser Sprache unterhalten wurde, aber im Gegensatz zu den beiden war ihre Rechtschreibung und die Grammatik schauderhaft, so fand zumindest ihr Vater. Um diesen Missstand zu beheben hatte er sich nach einer deutschen Gouvernante umgehört.

Fräulein Julianas Familie war zwar von altem Adel, aber leider derartig verarmt, so das ihr Vater, der Baron von Elverfeld, ihr keine Mitgift geben konnte, was aber wiederum bedeutete, dass es unmöglich war Juliana zu verheiraten. So hatte sie darum gebeten selbst ihren Unterhalt verdienen zu dürfen. Ihr Vater nahm ihr Angebot gerne an, froh darüber sie nicht bis an sein Lebensende durchfüttern zu müssen. Über eine befreundete Familie, die um viele Ecken herum mit den von Fersens verwandt war, konnte Juliana als Gouvernante nach Schweden vermittelt werden. Als sie mit schwerem Herzen und im Voraus bereits ganz elend vor Heimweh in die Reisekutsche, die sie zum Hamburger Hafen bringen sollte, stieg, wusste sie nichts weiter als das sie die Tochter einer deutschstämmigen, schwedischen Grafenfamilie unterrichten sollte - und das es in Schweden recht kalt und dunkel werden konnte.

Gegen all ihre Erwartungen gefiel es ihr in Stockholm weit aus besser als sie es sich ausgemalt hatte. Sie wurde von den von Fersens nicht wie eine Bedienstete, sondern wie eine gute Freundin der Familie behandelt, was nur wenige Gouvernanten behaupten konnten. Sophia von Fersen war bald nicht mehr nur ihre Schülerin, sondern fast wie eine Schwester für sie und Schweden war lange nicht so kalt und dunkel wie sie es sich vorgestellt hatte, zumindest jetzt im Sommer noch nicht. Ein weiterer Grund weshalb es ihr aber in ihrer neuen Anstellung besonders gut gefiel lag am ältesten Sohn der Familie, Hans Axel. Nicht das er unbedingt schön zu nennen gewesen wäre, aber er besaß trotz seiner jungen Jahre einen Charme, wie sie es noch nie bei einem jungen Mann erlebt hatte.

Natürlich war Juliana von Elverfeld intelligent genug um zu wissen das sie ohne Geld niemals die Gattin eines vermögenden Grafensohnes werden konnte, aber heimlich zu träumen und ein bisschen zu schwärmen war noch nie jemandem verboten worden. So sparte sie fleißig ihr weniges Gehalt und hoffte darauf später einmal, wenn sie genug beisammen hatte, einen ärmeren Landadligen heiraten zu können, während sie in aller Heimlichkeit Hans Axel anhimmelte.

Gerade jetzt öffnete sich die Tür und es kam der Gegenstand ihrer Schwärmerei gemächlich in das Studierzimmer geschlendert. Juliana spürte zu ihrem Ärger das sie rot wurde, ihre Beine sich butterweich anfühlten und ein flatterndes Gefühl durch ihren Bauch zog. Hoffentlich fiel dies ihrer Schülerin nicht auf. Doch diese saß noch immer tief über ihren Papierbogen gebeugt. Zuvorkommend wie stets bat Hans Axel:"Dürfte ich mich ein wenig zu den Damen dazu setzen?" "Aber gerne, wir sind froh Euch bei uns zu haben," fuhr es aus Juliana heraus und sie merkte selbst das es ein Stück zu euphorisch klang und wurde noch aufgeregter als sie es ohnehin schon war. Sophia sah von ihrer Arbeit auf. Natürlich war ihr nicht entgangen wie Juliana ihren Bruder anschmachtete und heimlich hoffte auch sie, das die Gouvernante, die sie fast wie eine Schwester lieb gewonnen hatte, ihre Schwägerin werden würde und nicht irgend ein fremdes Mädchen und selbstverständlich wollte sie ihren Beitrag dazu leisten, das sich ihr Bruder in die junge Gouvernante verliebte und ihre Eltern überreden würde diese heiraten zu dürfen. So meinte sie lediglich zu ihrem Bruder, trotz der Störung: "Natürlich darfst du uns Gesellschaft leisten. Dort drüben liegen meine Arbeitsbücher, also nimm lieber diesen Stuhl neben Fräulein Juliana," worauf sich Hans Axel den besagten Stuhl heran zog und sich lässig neben der überglücklichen Juliana niederließ. Sofort begann er auf seine einnehmende Art und Weise Konversation zu machen. "Heute Abend werden unsere Eltern eine Opernaufführung besuchen. Das bedeutet das der Salon hier im Hause frei sein wird und mir die Möglichkeit verschafft für die jüngeren Leute in Stockholm eine kleine Abendgesellschaft zu geben." Sophia zog ihre Augenbrauen nach oben. "Hat Vater dir das erlaubt? Das kann ich mir nicht denken." "Wir haben noch nicht darüber gesprochen." "Und wann wirst du ihn darum bitten?" "Wenn du und unseres reizendes Fräulein Juliana," dabei lächelte er die Gouvernante an das diese meinte auf Wolken zu schweben, "euch nicht aus Versehen versprecht wird es nicht nötig sein mit ihm darüber zu sprechen." "Das heißt du lädst deine Freunde ein ohne darum zu bitten und wir sollen dich nicht verraten." "Du hast es erfasst. Aber was soll man schon von einer von Fersen mit ihrem scharfen Verstand anderes erwarten." Sophia verdrehte die Augen. "Aber selbstverständlich," fuhr Hans Axel fort, "möchte ich an diesem Abend, den ich mit meinen besten Freunden verbringen werde, auch meine liebe Schwester und unser liebes Fräulein Juliana mit dabei haben, denn auch sie zähle ich zu meinen Freunden, " und machte dabei eine leichte Verbeugung zu der jungen Gouvernante. "Oh, Hans Axel, wie lieb von Euch mich mit einzuladen," rief Juliana und ihr Herz machte vor Freude einen riesigen Sprung. Sie merkte selbst das sie ihre Begeisterung über die Aufmerksamkeiten des jungen Grafensohnes viel zu sehr nach außen zeigte, aber sie hatte ihre Gefühle noch nie gut verbergen können. "Und deine Einladung ist natürlich nicht als eine Art Schweigegeld an uns zu verstehen?" meinte Sophia in einem für ein elfjähriges Mädchen ungewöhnlich sarkastischen Ton, aber sie kannte ihren Bruder eben weit aus besser als Fräulein Juliana, die sich von seinem Charme, wie so viele vor ihr, um den Finger wickeln ließ. "Aber nicht doch, liebe Schwester. Welch grastige Gedanken unterstellst du mir?" antwortete Hans Axel in betont süßlichem Ton und lachte schallend auf, worauf Sophia nur ein undamenhaftes "Ähhh" von sich gab. "Nun, kann ich auf euch beide zählen?" wollte Hans Axel wissen. "Hat es jemals eine Frau geschafft dir ein "Nein" zu geben?" fragte Sophia zurück. "Wir nehmen Eure Einladung gerne an und unser Schweigen soll Euch gewiss sein," antwortete Juliana mit voller Zustimmung. "Mit etwas anderem habe ich auch nie gerechnet," sagte Hans Axel sich erneut an die Gouvernante wendend, erhob sich und zu ihrem grenzenlosen Erstaunen schob ihr Hans Axel ein kleines Stück Papier zu. Erstaunt blickte sie auf und sah ein Zwinkern in seinen Augen. "Manche Dinge liest man am besten allein," flüsterete er ihr noch zu und schon war er zur Tür hinaus. "Moment, du Wichtigtuer," rief ihm Sophia hinterher. "Hast du dir schon darüber Gedanken gemacht was geschieht wenn Maman und Vater die Eltern einer deiner Gäste in der Oper treffen und auf diesem Wege erfahren das du hier bei uns hinter ihrem Rücken eine Abendgesellschaft gibst?" Hans Axel steckte noch einmal seinen Kopf zur Tür herein und zog betont gleichgültig die Schultern hoch. "Dann hat unsere Gesellschaft bereits statt gefunden. Habe ich denn je für irgendetwas von unseren Eltern Schwierigkeiten bekommen? Es gab bis jetzt nichts was sie mir nicht sofort verziehen haben.," und damit war er entgültig fort. Leicht angesäuert dachte Sophia das dies allerdings der Wahrheit entsprach. Hans Axel war als Ältester stets der Liebling ihres Vaters gewesen und hatte noch nie für ein Vergehen eine schwerere Strafe erhalten. Auch diesmal würde er ungeschoren davon kommen. Ihr Missmut hielt aber nicht lange an, viel zu aufgeregt war sie darüber das ihr Bruder ihrer Gouvernante offensichtlich ein Briefchen zugeschoben hatte. "Fräulein Juliana, was hat mein Bruder Euch gegeben? Lest es doch bitte schnell. Ich bin gar zu neugierig." "Oh, ich weiß nicht ob es recht ist es vor Euren Augen zu lesen. Euer Bruder meinte doch ich solle dabei alleine sein." Als sie den enttäuschten Gesichtsausdruck ihrer Schülerin sah überlegte sie es sich schnell anders. Was war schon dabei wenn Sophia davon erfuhr? Immerhin waren sie mehr Freundinnen als Schülerin und Lehrerin. Eilig faltete sie das Papierstück auseinander und las darin:

"Ich lag wach die ganze Nacht und habe dabei nur an Euch gedacht.

So denk ich auch an Euch den ganzen Tag,

daran merkt Ihr wie sehr ich Euch mag.

Hans Axel von Fersen."

Sophia, die sich zu Juliana hinüber gebeugt und mitgelesen hatte, fiel dieser glücklich um den Hals. "Es ist wahr, er liebt Euch! Ihr werdet meine Schwägerin und keine andere und dann bleibt Ihr für immer hier bei uns." "Nun, davon kann noch keine Rede sein. Aber offensichtlich scheint Eurem Bruder etwas an mir zu liegen," antwortete Juliana und ihrer Stimme war anzumerken wie sehr sie die kleine Nachricht bewegt hatte.

Die Begeisterung der beiden Mädchen hätte einen gehörigen Dämpfer erhalten, wenn sie gehört hätten was Hans Axel auf dem Weg zu seinem Zimmer vor sich hin murmelte: "Was für eine dumme und naive Gans dieses Mädchen doch ist, auch wenn sie noch so hübsch ist. Das wird meine leichteste Eroberung seit langem werden. Es ist nur eine Frage der Zeit bis sie mit gespreitzten Beinen vor mir auf dem Rücken liegt."
 

"Schade das sich der Sommer bald dem Ende neigt," meinte Oscar. Zufrieden ließ sie sich in den heißen Sand rollen. Es lag eine milde Brise in der Luft der Normandie und der Wind spielte mit ihren Haaren. Neben ihr lag Andre, der ebenso wie Oscar einen sehr zufriedenen Gesichtsausdruck zeigte. "Aber irgendwann müssen wir wieder an unsere Pflichten. Ich daheim im Palas de Jarjayes und du auf der Offiziersakademie." "Ja, da hast du sicher recht," pflichtete ihm Oscar nachdenklich bei. Mit gemischten Gefühlen dachte sie an ihre Rückkehr auf die Akademie, denn während des ganzen Sommers hatte Oscar Henry nicht vergessen können. Jeden Tag dachte sie an ihn, wie sie ein Stück miteinander alleine durch die dunkle Sommernacht gegangen waren, an seine großen, braunen Augen und sein spitzbübisches Lächeln. Vielleicht war es gerade ein Glücksfall das ihr nicht all zu viele Musestunden zum Nachdenken blieben und sie ihre Ferien nicht mit melancholischen Gedanken vergeuden konnte, denn Andre forderte diesen Sommer Oscars Aufmerksamkeit so sehr wie noch nie, nachdem er, seit sie die Akademie besuchte, so oft auf sie verzichten musste. So verbrachten sie jede wache Minute, außer bei den Mahlzeiten die das Personal getrennt von der Herrschaft einnahm, miteinander. Außerdem waren Oscars Nichte Jocelyn und ihr Neffe Jules, die Kinder ihrer Schwester Marguerite mit in die Normandie gefahren, so wie ihr Neffe Maurice, der Sohn ihrer Schwester Veronique, die ebenfalls in das Ferienhaus angereist war um Ruhe und Erholung zu suchen. Gerade Jules und Jocelyn hingen besonders an Oscar, da ihre Mutter nicht hatte mitreisen können, da sie gerade kurz vor ihrer dritten Niederkunft stand, wohin gegen Maurice glücklich darüber war endlich einmal seine Maman bei sich zu haben. Während also Oscar und Andre mit geschlossenen Augen im warmen Sand lagen und sich die Augustsonne ausgiebig auf den Pelz brennen ließen, suchten Maurice, Jules und Jocelyn eifrig am Ufer nach Muscheln.

"Wir haben noch eine Woche miteinander, eine himmlische Woche die wir genießen wollen, ohne an irgendwelche lästigen Pflichten zu denken, meinst du nicht auch?" sagte Oscar zu Andre. Bevor dieser antworten konnte traf sie beide ein eiskalter Schwall Meerwassers im Gesicht. Entsetzt richteten sie sich auf und sahen wie sich die drei "Kleinen" vor lachen bogen. Maurice hielt eine der Feldflaschen in der Hand, in denen sie Trinkwasser mit an den Strand genommen hatten und die jetzt, da sie leer getrunken war, als Wasserspritze diente. "Na wartet," rief Andre gespielt wütend und wie auf ein Kommando sprangen er und Oscar auf, ergriffen den zappelnden Maurice, bevor dieser die Flucht ergreifen konnte, und warfen ihn samt Kleidung und Schuhen in die Wellen. Schnell rappelte sich dieser triefend vor Nässe im hüfthohen Wasser wieder auf und sah gerade noch wie Jocelyn auf dem selben Wege neben ihm im Meer landete. Jules, der sich schnell in sichere Entfernung gebracht hatte, tauchte nun hinter Oscar auf, versetzte dieser einen leichten Stoß, so das sie vor Überraschung kurz aufschreiend ebenfalls ins Meerwasser stürzte. Andre war zu kräftig, als das der siebenjährige Jules ihn hätte ins Meer befördern können, doch als er spürte das dieser versuchte ihn in das Wasser zu stoßen, ließ er sich auf seine gutmütige Art von selbst hinein gleiten, nicht ohne den heftig protestierenden Jules hinter sich her zuziehen, so das sie alle fünf bald darauf lachend in den Wellen lagen.

Durchnäßt aber fröhlich kamen sie daheim an, Sophies Standpauke, mit der sie ohnehin schon gerechnet hatten, ignorierend. Noch während sie im Salon den Nachmittagstee und die Biskuits servierte, über die sich die Kinder ,inzwischen in trockener Kleidung, hungrig hermachten, schimpfte sie lautstark über "diese Unvernunft, bei der man sich eine Lungenentzündung holen konnte," was bei den spätsommerlichen Temperaturen ziemlich weit her geholt war. Schließlich erhob sich Jocelyn und schlang wortlos ihre Arme dem schimpfenden Kindermädchen um die Hüften, was deren Redeschwall schlagartig beendete. Gerührt strich sie Jocelyn über die blonden Haare. "Das es aber für diesen Sommer das letzte Mal war das ihr klatschnaß nach hause gekommen seid," brachte sie noch hervor,bevor sie in ihre Schürzentasche griff und drei Briefe daraus hervor holte. "Ein Bote ist heute Nachmittag zu uns heraus geritten und hat uns die Post gebracht. Es ist ein Brief für Madame de Jarjayes und je einer für Madame Veronique und Lady Oscar dabei." Mit diesen Worten reichte sie die Briefe an die genannten Personen. Sofort stach Oscar der Absender ins Auge: Henry de Mortemart. Zu ihrem Ärger spürte sie wie ihr die Hitze in das Gesicht schoß. "Oh, ein Brief von meiner lieben Freundin Dubarry," rief Veronique freudig aus. Dabei sah sie nicht wie sich das Gesicht ihres Sohnes schlagartig verfinsterte. Er verabscheute diese Frau, bei der seine Maman als Hofdame tätig war und wegen der sie stets in Versailles und niemals bei ihm weilte. "Mein Brief trägt keinen Absender," meldete sich Emilie zu Wort und drehte das Papier fragend hin und her. Andre war der Wechsel von Oscars Gesichtsfarbe beim Anblick ihres Briefes nicht entgangen. "Ist er von einem Freund?" fragte er, obwohl er die Antwort bereits ahnte. Schon all zu oft hatte ihm Oscar von dem kecken, dreisten Henry vorgeschwärmt und allmählich versetzte ihm dies jedes Mal einen kleinen, ungewohnten Stich. Ein unangenehmes Gefühl das er nicht benennen konnte. "Ja, Henry de Mortemart der mit mir die Offiziersakademie besucht hat mir geschrieben," antwortete Oscar schnell. Ihre Mutter und Sophie sahen sie an und Oscar wandt sich unter ihren Blicken. "Handelt es sich um diesen Henry der immer die vielen Streiche spielt?" erkundigte sich Maurice neugierig. "Genau dieser Henry hat mir den Brief geschrieben," bestätigte Oscar. "Deine Maman und deine Tante Oscar haben eben Kontakte mit Personen, mit denen man den Umgang doch unbedingt pflegen sollte," meinte Sophie in äußerst bissigem Ton an Maurice gewandt, der ausdrückte was sie von königlichen Mätressen und jungen Kadetten, die ständig über die Stränge schlugen hielt.

Schnell entschuldigte sich Oscar ,um den Blicken und Bemerkungen der anderen zu entgehen, und lief mit ihrem Brief auf ihr Zimmer, um ihn dort ungestört lesen zu können. Er war in Henrys flüchtiger Handschrift geschrieben und so kurz gehalten und einfach geschrieben wie es seiner Art entsprach. "Lieber Oscar. Du und die anderen Jungs auf der Akademie fehlt mir sehr. Zuhause in Marseilles ist es aber auch nicht übel. Meine Brüder halten mich bei Laune. Auch wenn ich nie gedacht hätte dies jemals zu schrieben, aber ich freue mich bereits auf die Akademie und darauf euch im September alle wieder zu sehen. In Freundschaft mit dir verbunden, Henry." Oscar ließ den Brief sinken und tat etwas was man mit Briefen von guten Freunden normalerweise niemals machen würde. Sie hielt ihn an ihre Lippen und küsste ihn, dann legte sie ihn unter ihr Kopfkissen.
 

Zum Glück ahnte sie nicht was Emilie und Sophie, die, nachdem die Kinder das Zimmer verlassen hatten, endlich alleine waren, gerade über sie sprachen. "Sophie ist das nicht wunderbar? Unsere Proleme werden sich wie von selbst lösen. Oscar ist in den jungen Mann sichtlich verliebt. Sie wird bald von sich aus nicht mehr das Leben eines Mannes führen wollen. Vielleicht offenbart sie ihm eine Frau zu sein, er erwiedert Oscars Gefühle und macht ihr einen Heiratsantrag. Ihr habe mich bereits erkundigt. Die Familie de Mortemart aus Marseilles ist sehr vermögend. Allerdings ist dieser Henry der drittgeborene Sohn, aber was solls. Oscar wird von uns bei ihrer Hochzeit mit einer mehr als großzügigen Mitgift ausgestattet werden und wenn sie heiraten kann ihr Mann ihren Namen an seinen an hängen. Sicherlich wird mein Mann einen General als Schwiegersohn mit seinem Namen im Anhang, wenn ihm schon kein eigener Sohn vergönnt war, ebenfalls akzeptieren." Glücklich schwelgte Emilie in Zukunftsphantasien. "Ich würde mich lieber noch nicht zu früh freuen," meinte Sophie missmutig. "Es klingt alles beinahe zu einfach." Gut gelaunt ließ sich Emilie nach hinten auf ihr Kanapee sinken, nahm einen Schluck Tee und erbrach das wappenlose Siegel ihres Briefes. Kaum hatte sie die ersten Zeilen gelesen, begann sie fürchtelich zu husten. "Madame de Jarjayes, habt Ihr Euch an Eurem Tee verschluckt?" rief Sophie besorgt. Eilig lief das alte Kindermädchen herbei um Emilie auf den Rücken zu klopfen. Diese ließ schnell den Brief mit der beschriebenen Seite gegen ihre Brust sinken. "Es ist nichts Sophie. Wirklich, es geht mir schon sehr viel besser." "Es sind doch hoffentlich keine schlechten Nachrichten in dem Brief enthalten?" "Nein, nicht doch. Er ist von meiner alten Freundin Madame de Boulainvilliers. Du weißt doch das sie schon etwas schrullig wird. Deshalb hat sie wohl auch den Absender vergessen. Ich werde ihn nachher zu Ende lesen. Du entschuldigst mich doch sicher liebe Sophie? Ich werde mich auf mein Zimmer zurück ziehen. Ich brauche einen Moment Ruhe." Schon war Madame de Jarjayes zur Tür hinaus, den Brief weiterhin fest an ihr Brust gepresst. "Man fasst es nicht.," schüttelte Sophie den Kopf. "Madame benimmt sich wie ein junges Mädchen das einen Liebesbrief von einem Verehrer erhalten hat." Sophie ahnte kaum wie Recht sie damit doch hatte.

Hastig setzte sich Madame de Jarjayes an ihren Sekretär, faltete ihren Brief erneut auseinander, um bei seinem Inhalt zum zweiten Male nicht glauben zu können was sie da laß:

"Sehr verehrte Madame,

es ist mir kaum möglich die richtigen Worte zu finden, denn wie Ihr wisst liegen mir große Reden nicht. Deshalb habe ich mich zu diesem Brief entschlossen. Ich fühle mich außerstande unsere gemeinsame Zeit während des vergangenen Balls zu vergessen. Ihr habt mich so sehr fasziniert wie noch nie eine Frau zuvor. Bereits als Ihr neben mir im Mondschein auf der Parkbank gesessen habt konnte ich meinen Blick nicht von euch abwenden. Ich vergöttere euer wundervolles Haar, eure strahlenden Augen und euren Mund, der wohl der schönste ist den ich je gesehen habe. Nur den einen Wunsch hege ich, ehe ich mich verheirate. Einmal möchte ich mit meinen Lippen die Euren berühren. Louis Auguste, Dauphin von Frankreich."

"Du lieber Himmel!" war alles was Emilie hervor brachte. Sie hatte schon seit ewigen Zeiten keinen Liebesbrief mehr bekommen. Um genau zu sein war es bis jetzt nur ein einziges Mal in ihrem Leben gewesen, kurz bevor sie General de Jarjayes versprochen worden war. Obwohl sie zugeben musste das der Dauphin trotz seiner vierzehn Jahre weit aus mehr Stil besaß als ihr Kavalier von damals. Sie gestand sich ein das Louis Auguste mit seiner ruhigen, unaufdringlichen Art, ihr durchaus gefiel. Er war einer der wenigen wirklich intelligenten und gebildeten Leute bei Hofe, mit denen man sich gepflegt, wenn nicht gar tiefsinnig unterhalten konnte und seine traurigen Augen hatten etwas tief in ihr angerührt. Wenn sie jung und ungebunden wäre dann... ,aber solchen Neigungen durfte sie als verheiratete Frau Ihres Alters nicht nachgeben. Schweren Herzens ergriff sie sofort Briefbogen und Feder und begann sie zu schreiben:

"An Eure Hoheit, Euer Brief hat mich tief geehrt. Ich weiß Eure Zuneigung aufrichtig zu schätzen. Doch müsst Ihr bedenken das ich mich nie ohne das Wissen meines Gatten mit einem Mann treffen würde, noch nicht einmal mit meinem zukünftigen König, geschweige denn mir einen Kuss zu erlauben. In mütterlicher Verbundenheit Emilie de Jarjayes."
 

Eine zuverlässige Person musste nun gefunden werden die den Brief überbringen konnte. Der Kutscher Philippe kam dafür nicht in Frage. Er würde seinem Herrn auf der Stelle berichten das Emilie einen Brief an den Dauphin abgesandt hatte und außerdem würde in diesem Falle bald die ganze Dienerschaft darüber bescheid wissen.

Noch während sie ihren Gedanken nachhing klopfte es an ihre Türe. Auf ihr "Herein" trat ihre älteste Tochter Veronique ein. "Maman, ich muss mich leider entschuldigen. Madame de Dubarry bedarf meiner Dienste. Sie vermisst mich als Ihre beste Freundin so sehr und wünscht das ich meine Aufgaben als Hofdame sofort wieder aufnehme." War vielleicht Veronique die richtige Person um den Breif zu überbringen? Sofort begann es im Kopf Emilies zu arbeiten. Veronique war verschwiegen - zumindest wenn es um geheime Liebesbeziehungen ging, und sie war auch die Person die am meisten für eine solche Verständnis zeigen würde. "Nun, dann möchte ich dich nicht aufhalten mein Kind. Zuvor habe ich aber noch einen Gefallen um den ich dich bitten möchte." "Gerne Maman, wenn ich Euch helfen kann." "Würdest du für mich einen Brief an eine Person in Versailles weitergeben? Es wäre wünschenswert das niemand anderer davon erfährt das wir beide im Briefaustausch miteinander stehen." Ein breites Grinsen stahl sich auf Veroniques Gesicht. "Ihr habt doch nicht etwa einen Liebhaber in Versailles? Maman, das hätte ich Euch beim besten Willen niemals zugetraut! Aber weshalb nicht? Vater lässt Euch so viel alleine wegen irgendwelcher politischen Belange. Wenn man bedenkt wie lange sie allein schon wieder darüber diskutieren werden, bis sie die passendste Reiseroute für die kleine Österreicherin ausgearbeitet haben." Erstaunt sah Emilie ihre Tochter an. "Woher weißt du das sie gerade an der Reiseroute arbeiten? Selbst wenn dies so wäre, so ist es doch streng geheim über was im Kabinett des Königs gerade verhandelt wird." Veronique sah man sofort an das ihr der letzte Satz wohl versehentlich herausgerutscht war und sie sich am liebsten auf die Zunge gebissen hätte." "Nun, es wird eben gerade in Versailles so manches darüber gemunkelt." "Madame de Dubarry hat wohl mit dir darüber gesprochen?" Veronique hüllte sich in Schweigen und blieb ihrer Mutter die Antwort schuldig. Emilie schüttelte den Kopf. "In all den Jahren unserer Ehe hat dein Vater mir gegenüber kein einziges Wort darüber verloren worüber gerade verhandelt wird. Und seine Majestät der König selbst weiß nichts Besseres als gerade solch ein Geheimnis seiner Mätresse gegenüber auszuplaudern und diese wieder nichts als mit ihren Hofdamen darüber zu klatschen. Es ist einfach unmöglich!" Madame de Jarjayes schüttelte den Kopf darüber wie leichtfertig der König selbst mit wichtigen Informationen umging, wo doch überall darüber Gerüchte kursierten, dass es eine geheime antiösterreichische Bewegung geben sollte, deren Ziel es wohl war die zukünftige Dauphine auf ihrem Weg nach Frankreich zu beseitigen. Glücklicherweise ahnte Emilie nichts davon, dass diese Gerüchte der vollkommenen Wahrheit entsprachen und eines der Mitglieder der geheimen Bewegung in Gestalt ihrer Tochter gerade vor ihr stand. Sie wäre wohl augenblicklich in Ohnmacht gefallen. "Aber Maman, die Dubarry spricht doch nur mit mir über solche Dinge, da sie weiß das sie mir als ihrer besten Freundin vertrauen kann. Und wenn ich mich versprochen habe, so doch nur dieses einzige Mal Euch gegenüber und Ihr seid doch verschwiegener als ein Grab." Madame de Jarjayes winkte ab. "Sei es darum. Hüte aber in Zukunft deine Zunge über solche Geheimnisse. Und was deine Vermutung angeht ich hätte einen Liebhaber - da muss ich dich wohl enttäuschen. Es handelt sich lediglich um einen jungen Mann der eine kleine Schwärmerei für mich entwickelt hat und den ich als verheiratete Dame wieder in seine Schranken weisen muss." "Wie schade Maman. Überlegt es Euch noch einmal. Ihr habt Euer halbes Leben Euren Kindern und Euren Pflichten der Gattin eines Generals gewidmet. Ich fände nichts verwerfliches daran wenn Ihr Euch einmal ein kleines Amüsement außerhalb Eurer Ehe gönnnen würdet. Beinahe alle tun so etwas. Es ist nichts daran dabei und wenn Ihr es geschickt genug anstellt, was ich Euch zutraue, würde Vater nie etwas davon bemerken, so viel beschäftigt wie er ist." Veronique leckte sich unbewusst die Lippen. Im Geiste ging sie alle adligen, jungen Männer durch, die Zutritt in Versailles hatten. Um wenn es sich wohl handelte, der sein Herz an ihre Mutter verloren hatte? Eine Affaire mit einem frischen, noch völlig unverdorbenen Jüngling würde auch sie reizen. Wie gerne würde sie gerade mit ihrer Mutter tauschen. Sie würde den jungen Mann sicher nicht abweisen, so viel stand fest. Aber Emilie verhielt sich völlig korrekt, so wie es von ihr zu erwarten war. "Veronique nun ist es aber genug davon. Du weißt das ich so etwas niemals tun würde, selbst wenn dein Vater nie davon erführe. Und was das "geschickt anstellen" angeht, denk doch einmal an den Skandal den gerade du im letzten Jahr verursacht hast als dein Gemahl die Affaire zwischen dir und General de Ronsard heraus bekommen hat, obwohl du doch so vorsichtig zu Werke geganen bist." "Es ist ja gut Maman. Gebt mir einfach Euren Brief, damit ich ihn weiterleiten kann. An welchen unglücklichen jungen Herrn darf ich mich wenden und ihm Eure Absage zu überbringen?" "An Ihre Hoheit den Dauphin Louis Auguste." Nun war es an Veronique entsetzt zu sein. Der in sich gekehrte, schweigsame Kronprinz hatte wider alle Erwarten noch etwas anderes im Sinn als Bücher und Türschlößer - und zwar Emilie de Jarjayes. Es machte ihn ihr ein Stück menschlicher, auch wenn der Gegenstand seiner Schwärmerei nun doch nicht ausgerechnet ihre Mutter hätte sein müssen. Das Leben hielt aber immer wieder die sonderlichsten Überrachungen bereit! Nachdem sie sich von ihrem Schrecken erholt hatte versuchte sie in bemüht beiläufigem Tonfall zu antworten: "Nun, wer hätte das gedacht? Übergebt den Brief nur mir. Da ich nicht das Recht habe den Dauphin anzusprechen, werde ich den Brief am besten Monsieur Bonnet, dem Schmied, geben, damit dieser ihn weiterleiten kann. Ich denke da ist er in guten Händen." Damit steckte Veronique den Brief ein. An der Türe drehte sie sich noch einmal zu ihrer Mutter um: "Selbstverständlich werde ich die Sache diskret behandeln, vor allem damit Vater nichts mit bekommt. Obwohl Ihr zugeben müsst das es recht lustig wäre wenn der General den Dauphin fordern und mit dem Degen durch die Gänge von Versailles jagen würde." Selbst Emilie konnte nun ein Lächeln nicht unterdrücken.
 

Mit weit aus problematischeren Dingen als geheimen Liebesbriefen setzte sich König Louis XV zur selben Zeit mit seinen Generälen und Beratern in seinem Kabinett auseinander. Seit Stunden saßen sie mit ernsten Mienen über die verschiedensten Landkarten gebeugt, um die sicherste Route für die Reise der Dauphine von Wien nach Paris zu erstellen. Im Zimmer war es brütend heiß und dicke Schweißperlen standen den Männern auf der Stirn. Wenn seine Majestät der König nicht anwesend gewesen wäre, hätten sie längst die schweren, gepudeten Perücken abgenommen und die hochgeschlossenen Halsbinden gelockert. Da aber die Ettikette unter allen Umständen gewahrt bleiben musste litten sie alle stumm. Keiner kam allerdings auf die Idee das sich der König genau das selbe wünschte wie alle anderen Anwesenden: endlich zu einem Ergebniss zu gelangen, leichtere Kleidung anlegen zu können und sich zu einem kühlen Glas Wein zurück zu ziehen.

General de Ronsard deutete mit wichtiger Miene auf die aufgefalltete Landkarte Europas, die vor ihnen allen auf dem großen Tisch lag und auf der mit roter Kreide die Reiseroute aufgezeichnet war. Jede Übernachtungsstation war rot umrandet worden und mit dem passenden Datum des Anreisetages versehen. "Nun meine Herren, fassen wir noch einmal zusammen was wir bereits erarbeitet haben: Am 20. April 1770 wird unsere zukünftige Dauphine in Wien abreisen. Ihre Reise führt sie von Wien nach Melk, und von dort nach Enns, Lambach, Altheim, Altötting, München, Augsburg, Günzburg, Riedlingen, Stockach, Donaueschingen, Freiburg und zuletzt in die Abtei Schüttern." Bei der Aussprache der deutschen Städtenamen schien sich der General beinahe die Zunge zu verrenken, was dazu führte das General de Bouier und ein weiterer jüngerer General ihr Lachen krampfhaft hinter ihren Taschentüchern verstecken mussten um nicht loszuprusten. Tadelnd blickte Louis XV in ihre Richtung. Einigermassen gekränkt zog de Ronsard seinen Schnurrbart nach oben. "Bis dorthin liegt es an den Österreichern unsere Dauphine zu beschützen. Wenn etwas unvorhergeshenes auf diesem Teil der Route geschieht ist dies zwar ein bedauerlicher Umstand aber nicht unsere Schuld." Nun nickten alle zustimmend. "Aber am 7. Mai betritt die Dauphine mit ihrem Einzug in Straßburg französischen Boden, " erläuterte de Ronsard weiter. "Auf dieser Insel im Rhein," er deutete erneut auf einen Punkt auf der Landkarte, " findet die Übergabe an uns statt und ab da sind wir für ihren Schutz und ihr sicheres Geleit bis nach Paris verantwortlich. Bis dorthin wird es einen Halt in Soissons und einen weiteren in Compiegne geben, wo die Dauphine auch seine Majestät den König," dabei wandte er sich mit einer kleinen Verbeugung in die Richtung Louis XV, die dieser mit einem huldvollen Nicken entgegennahm, "und ihren zukünftigen Gemahl seine Hoheit den Dauphin Louis Auguste kennen lernen wird. Ich befehle noch einmal die allerstrengste Geheimhaltung der Reiseroute. Wie wir alle wissen soll es eine antiösterreichische Bewegung geben, die sicher nichts unversucht lassen wird um dafür zu sorgen das die geplannte Hochzeit nicht stattfinden kann und unser Bündnis mit Österreich in die Brüche geht." Dabei blickte er alle beteiligten betont streng an, um seinen Worten das nötige Gewicht zu verleihen. "Es werden eintausendzweihundert Soldaten des königlichen Garderegimentes für den Schutz der Dauphine zuständig sein. General de Bouier, General de Jarjayes und meine Wenigkeit werden jeder eine Einheit mit 400 Mann leiten. Außerdem habe ich vor einige meiner vielversprechensten älteren Kadetten, die im nächsten Jahr die Offiziersakademie abschließen werden, mit einzubinden und ihnen einige Aufgaben anzuvertrauen." Bei diesen Worten wurde General de Jarjayes augenblicklich hellhörig. Sofort richtete er das Wort an General de Ronsard und vergass für einen Moment sogar völlig, dass er gegen diesen, seit er darüber bescheid wusste das er mit seiner ältesten Tochter Veronique eine Affaire führte, eine gewisse Abneigung verspürte. "Wenn Ihr vorhabt einige Kadetten mit zunehmen, so werdet Ihr doch sicher auch an Oscar denken. Er hat in den letzten Monaten seine Fähigkeiten weiter ausgebaut..." Weiter kam Raynier de Jarjayes nicht, denn General de Ronsard fiel ihm so schnell er konnte ins Wort. Er verspürte wenig Lust sich Lobeshymnen auf Oscar de Jarjayes von deren Vater anhören zu müssen. Außerdem fand er es äußerst lächerlich das de Jarjayes es nicht unterlassen konnte von Oscar in der männlichen Person zu sprechen. "General de Jarjayes, sicherlich habt Ihr verstanden das ich von Kadetten sprach die bald abschließen werden. Eure Tochter (dieses Wort betonte er in möglichst gehässigem Ton) hat wenn ich mich erinnere doch im Frühjahr erst mit ihrer Ausbildung begonnen. Es ist doch sicher nicht in Eurem Sinne das ein junger Mensch mit Aufgaben, denen er noch gar nicht gewachsen sein kann, überfordert wird." Nun schaltete sich auch der König ein. "General de Ronsard hat vollkommen Recht. Wir brauchen Männer für diese wichtige Mission die bereits gut ausgebildet sind und keine Neulinge. In den kommenden Jahren werden sich sicher auch passende Aufgaben für Oscar finden." Damit war die Sache für Louis XV abgetan, aber längst nicht für General de Jarjayes. In seinem Kopf begann es fieberhaft zu arbeiten, wie er Oscar in die geplannte Mission mit einschleußen konnte, die er als hervorragenden Beginn einer steilen Kariere betrachtete, sofern es Oscar gelingen würde sich dabei besonders hervor zu heben. Aber das dies der Fall sein würde, daran hatte er keinerlei Zweifel. Er würde schon noch Mittel und Wege finden, um Oscar in die Truppe zum Geleit der neuen Dauphine zu bringen.
 

Mit geschickten Händen steckte Juliana von Elverfeld ihrer Dienstherrin, der Gräfin Hedvig von Fersen, die langen Haare nach oben. Diese betrachtete sich zufrieden im Spiegel. "Das habt Ihr wunderbar gemacht. Keine meiner Zofen hätte es so gut gekonnt." Seit Juliana einmal ihrer Tochter Sophia die Haare für einen Besuch im Theater nach oben gesteckt hatte und die Frisur weit aus gelungener war, als wenn es die sonstigen Bediensteten übernahmen, nahm Hedvig von Fersen immer wieder deren Dienste in Anspruch. "Ich bin so froh das Ihr bei uns seid, nicht nur wegen meiner Haare versteht sich," dabei blinzelte die Gräfin Juliana zu." Auch Sophia mag Euch sehr. Seit Ihr ihren Unterricht übernommen habt lernt sie viel lieber und hat auch große Fortschritte gemacht." "Vielen Dank Madame. Auch ich bin gerne bei Euch in der Familie," antwortete Juliana ehrlich. Sie strahlte über das Lob. "Nun seid aber noch so lieb und helft mir mit meiner Perlenkette. Sie ist ein altes Familienerbstück der von Fersens und ich möchte sie heute abend in der Oper unbedingt tragen. Ich bewahre sie in meinem Schmuckkästchen auf. Der Schlüssel dafür liegt versteckt in meiner Bibel. Nehmt sie doch bitte aus dem Bücherregal." Obwohl sie recht verdutzt drein blickte, über dieses verwunderliche Versteck, trat Juliana auf die Anweisung hin an das Regal, nahm das bezeichnete Buch heraus und öffnete es. In einen Teil der Seiten war ein Rechteck geschnitten und darin lag ein kleiner, silberner Schlüssel. "Raffiniert, nicht wahr? Man muss einfallsreich sein. Es gibt nicht viele Plätze an denen die Hausmädchen niemals nach sehen würden. Aber wenigstens Euch kann ich vertrauen." Juliana von Elverfeld legte Hedvig von Fersen die Perlenkette um den schlanken Hals und verschloss sie. Dabei dachte sie das die Perlen an der Gräfin nicht nur besonders elegant aussahen, sondern auch wirkten als wären sie sehr wertvoll.
 

Wütend trat Maurice draußen im Garten so heftig er konnte gegen einen Baum. Den Schmerz den dies ihm selbst verursachte schien er kaum zu spüren. "Was ist nur in dich gefahren? Wirst du wohl damit aufhören und mit kommen?" hörte man Sophie durch den Garten schimpfen. Erneut holte Maurices Bein aus und traf diesmal die Blumen, die fein säuberlich in einem der Beete angepflanzt waren und nun durch seinen Tritt der Reihe nach umbrachen. "Herr Gott nochmal, ich glaube der Junge hat den Verstand verloren!" schrie Sophie erneut auf. Doch Maurice war klar bei Sinnen, aber in ihm da tobte ein unglaublicher Zorn darüber das seine Maman schon wieder aus seinem Leben verschwinden wollte. Sophie hatte auf Veroniques Bitte hin, nach Maurice, der gerade alleine im Garten spielte gesucht, um ihm zu erklären das seine Mutter wieder an den Hof abreisen musste und ihn zu ihr zu bringen, damit sie sich von einander verabschieden konnten. Sophie hatte sich zwar bereits ausgemalt das Maurice recht enttäuscht sein würde, aber nicht mit einem solchen Zornesausbruch gerechnet. Maurices Hände waren zu Fäusten geballt und sein Gesicht vor Wut zu einer häßlichen Fratze verzogen. "Du wirst nun mit mir mitkommen und dich von deiner Mutter verabschieden. Hörst du was ich dir sage?" Sophies Stimme fing allmählich an so hilflos zu klingen wie sie sich fühlte. Sie konnte Maurice nur all zu gut verstehen, aber nichts für ihn tun. "Wenn du jetzt brav mit mir mitkommst darfst du heute etwas länger aufbleiben und unten in der Küche noch eine Schokolade trinken. Wie wäre es damit?" versuchte sie etwas versöhnlicher zu klingen. Maurice überlegte kurz, schien sich in das Unausweichliche zu fügen und setzte sich letztenendes, noch immer finster drein blickend, Richtung Haus in Bewegung. Sophie holte erleichtert Luft und ging gemeinsam mit Maurice auf die Eingangstür zu. Trotz ihrer jahrelangen Erfahrung als Kindermädchen hatte sich sich schon gefragt was sie machen würde wenn sich Muarice verweigerte. Als sie zusammen das Foyer betreten hatten brachte Maurice mühsam und mit Tränen in der Stimme hervor:

"Nie hatt Maman Zeit für mich, dabei habe ich mir die gemeinsame Ferienzeit bereits so schön ausgemalt. Nun fährt sie wieder nach Versailles, nur weil diese blöde Dubarry ihr schon wieder geschrieben hat. Mit ihr verbringt sie mehr Zeit als mit mir. Ich glaube auch sie liebt sie mehr als mich." Sophie widerstand der Versuchung dem kleinen Kerl den Arm um die Schultern zu legen, da sie merkte wie tapfer er gegen die Tränen ankämpfte und die berechtigte Vermutung hatte, dass Maurice bei dieser mütterlichen Geste seine Beherrschung verlieren würde. Offensichtlich wollte er verbergen wie sehr ihn das Verhalten seiner Mutter verletzte. So sagte sie nur: "So darfst du nicht sprechen. Deine Maman hat dich sehr lieb." In diesem Moment zweifelte sie jedoch selbst an ihren Worten.

Oben angekommen hatte Maurice seine Tränen so weit zurück geträngt das er scheinbar gefasst das größere der beiden Zimmer, die seine Mutter während ihres Aufenthaltes bewohnte und ihr als Salon diente, betreten konnte. Ihre Zofe Danielle war bereits fleißig am packen und häufte gerade Hüte, Kleider und Unterröcke, die auf dem Kanapee ausgebreitet waren, in verschiedene große Koffer, die auf dem Boden verteilt standen. Sie schien ihn vor lauter Arbeit kaum zu beachten. "Eure Maman wird sofort da sein," war alles was sie hervor brachte. Da das Kanapee durch den Berg aus Kleidungsstücken bereits beschlagnahmt war, setzte sich Maurice an den Sekretär seiner Mutter, um dort auf sie zu warten. Gelangweilt begann er eine Feder in ein Tintenfaß zu stecken und auf einem der bereit liegenden Briefbögen allerlei Schnörkel zu malen. "Werdet Ihr wohl damit aufhören," fuhr ihn Danielle an. "Ihr könnt doch nicht das teure Papier für irgendwelche Kritzeleien verschwenden! Bleibt ruhig sitzen und betragt Euch!" Durch Danielles Rüffel kochte Maurices Wut erneut in ihm hoch. Böse sah er sich auf dem Sekretär um. Da entdeckte er zwischen allerlei Papierkram einen Brief der an seine Mutter adressiert war und als Absender den Namen Gräfin Jeanne Marie Dubarry trug. Beim Anblick dieses Briefes durchzuckte ihn ein Geistesblitz. Eine kleine Rache stand ihm durchaus zu, wie er fand. Schnell sah er sich nach Danielle um, die von ihm aber, zwischen dem Kleiderberg, den sie zu verpacken hatte, immer noch keine Notiz nahm. So griff er nach dem Brief und steckte ihn tief in die Tasche seiner Weste. Dabei stahl sich ein diebisches Grinsen auf seine Lippen. Wie würde seine Mutter den Brief ihrer Freundin suchen! Das war die gerechte Strafe.
 

Das Glück schien Hans Axel von Fersen an diesem Abend nicht hold zu sein. Es war die dritte Runde "Pharao" die gespielt wurde und ebenso die dritte Runde die er zu verlieren drohte. Mit einem Teil seiner jungen Gäste hatte sich Hans Axel an den Kartentisch zurück gezogen, während die andere Hälfte das Spiel beobachtete, den Champagner, den er aus dem Weinkeller seines Vaters hatte kommen lassen, in Strömen fließen ließ, miteinander flirtete und anzügliche Witze machte. Die Hälfte davon verstand Juliana von Elverfeld nicht, da ihr Schwedisch noch recht holprig war, aber das was sie verstand trieb ihr die Schamröte ins Gesicht. Sie bereute bereits die Einladung angenommen und noch mehr die elfjährige Sophia mit nach unten genommen zu haben. Als ihre Gouvernante hatte sie die Verantwortung für sie und die Abendgesellschaft, die ihr Bruder gerade gab war wohl kaum die richtige Veranstalltung für ein Mädchen ihres Alters. Gerade erzählte einer von Hans Axels Freunden, der schon ein wenig älter war als die meisten anderen und bei der schwedischen Armee diente, lautstark von einem Bordellbesuch. "Als ich meinen letzten Sold bekommen hatte, der 10 Taler betrug, fand ich das ich mir ein bisschen weibliche Gesellschft mehr als verdient hatte. Also machte ich mich auf in ein bestimmtes Etablissement. Dort angekommen erkundigte ich mich nach den Preisen. Eine der dort angestellten Damen erklärte mir folgendes: auf dem Bett kostet es 10 Taler, auf dem Fußboden 5 Taler und im Stehen einen Taler. Also sagte ich sofort das ich es für 10 Taler haben möchte. "Also im Bett," fragte sie? Nein, lieber zehnmal im Stehen," antwortete ich. Er lachte schallend über seinen eigenen Witz, so wie auch einige der jungen Leute. Einzig Juliana verzog angewidert das Gesicht. Zur selben Zeit hatte Hans Axels bester Freund Arvid von Bergen seinen Arm um ein Mädchen gelegt, das etwas jünger war als Juliana, hübsches hellblondes Haar hatte und dem Champagner bereits mehr zugesprochen hatte als für sie gut sein konnte. Wenn sich Juliana noch recht erinnern konnte war das Mädchen die Tochter eines schwedischen Barons. Zu ihrem Entsetzten sah Juliana wie Arvid von Bergen seine Hand ein Stück nach unten rutschen ließ und die Brust der kleinen Baronesse wie zufällig berührte. "Oh, Pardon!" Gespielt verlegen zog er seine Hand wieder weg und platzierte sie auf der Schulter des Mädchens. "Wenn Euer Herz so weich ist wie Eure Brust, dann werdet Ihr mir sicher noch einmal verzeihen." Das Mädchen lachte kurz auf. Offensichtlich schien sie die Zudringlichkeit Arvids nicht im entferntesten zu stören. Anstatt ihm eine saftige Ohrfeige zu verpassen, wie Juliana es an ihrer Stelle getan hätte, lehnte sie sich nur ungeniert an seine Schulter und meinte: "Und wenn ein bestimmter Gegenstand von Euch so hart und fest ist wie eure Schulter, dann dürft Ihr mir einmal im Stadthaus meiner Eltern einen Besuch abstatten. Mein Fenster steht jetzt im Sommer jede Nacht offen und ist über ein Efeuspalier leicht zu erreichen." Juliana war nun mit ihrer Geduld am Ende. Solche zottigen Gespräche hatte sie zuhause auf einer Gesellschaft noch nie erlebt, genau so wenig wie das sie jemals gesehen hatte, dass so viel Alkohol sinnlos zu sich genommen wurde. Energisch stand sie auf. "Ich bitte darum Fräulein Sophia und mich zu entschuldigen. Es ist doch schon recht spät geworden. Sophia kommt Ihr bitte?" In bemüht strengem Ton wandte sie sich in ihrem gebrochenen Schwedisch an ihre Schülerin. Sophia, die von den Vorgängen und Gesprächen um sich herum sichtlich faszieniert war, wirkte nicht als ob sie Fräulein Julianas Anweisungen folge leisten wollte. Dazu war es gerade viel zu spannend, auch wenn sie die meisten Späße tatsächlich noch nicht verstand. Allein das es sich offensichtlich um "das Thema" drehte, über das sonst nie gesprochen wurde und die ganze Gesellschaft hinter dem Rücken ihrer Eltern stattfand und so wunderbar verboten war genügte um alles interessant zu finden. Doch bevor sie dazu kam heftig zu protestieren schaltete sich bereits ihr älterer Bruder ein. "Nun gönnt doch Sophia noch ein kleines bisschen Spaß hier unten. Wer weiß wann ich wieder die Gelegenheit für solch einen Abend haben werde. Außerdem könnte ich einen Glücksbringer gut gebrauchen. Kommt Juliana, setzt Euch auf diesen Stuhl neben mich, " dabei deutete er auf einen freien Platz, den ein Mitspieler, mit einer ähnlichen Pechsträhne wie Hans Axel, nach der vergangenen Runde verlassen hatte. "Ich bin mir sicher das Eure Nähe mir Glück bringen und meine Gewinnchancen steigern wird." Dabei lächelte er die junge Gouvernante auf seine unnachahmliche Art an. Wie immer bei seinem Lächeln vergaß Juliana alles andere um sich herum. Nicht nur ihr, sondern auch Sophia war aufgefallen das er vor ihren Namen plötzlich nicht mehr das obligatorische "Fräulein" gehängt hatte, sondern sie direkt mit "Juliana" angesprochen hatte. Aufgeregt drückte Sophia die Hand ihrer Gouvernante und gab ihr somit zu verstehen, dass sie das Angebot ihres Bruders, der sie offensichtlich so gerne in seiner Nähe hatte, annehmen sollte. "Wenn Ihr es wünscht und denkt das ich Euch Glück bringen werde, so bleibe ich noch ein wenig," hörte Juliana von Elverfeld ihre eigene Stimme hervorbringen und ehe sie sich versah, hatte sie am Spieltisch neben Hans Axel Platz genommen. Wie schaffte er es nur das sie Dinge tat, die sie selbst gar nicht wollte? Lieber blieb sie in dieser unangenehmen Gesellschaft und damit in seiner Nähe, als sich in ihr sicheres Zimmer zu flüchten. Wie zufällig legte sich nun Hans Axels Hand für einen kurzen Moment auf die ihre und ein Hochgefühl schoß durch ihren ganzen Körper. "Na seht Ihr," meinte er an sie gewandt. "Es war doch gar nicht so schwer sich zu mir zu setzen. Ich bin mir sicher das Ihr der beste Talisman seid den man sich wünschen kann. Also lasst uns weiter spielen!" rief er seinen Freunden übermütig zu und die Bank begann erneut neue Karten auszuteilen.
 

Oscar lag seitlich auf ihrem Bett, den Kopf auf einer Hand abgestützt und hatte Henrys Brief vor sich liegen. Sie hatte ihn wohl schon an die hundertmal gelesen, seit sie ihn erhalten hatte und nun lag sie nur noch ruhig da und sah sich seine Handschrift vor ihren Augen an, während sie an ihn dachte. Ein heftiges Klopfen an ihrer Türe ließ sie aufschrecken.

"Was willst du?" fragte Oscar unfreundlich als Maurice auf ihr "Herein" in ihr Zimmer trat. Wenigstens hatte ihr Neffe in der Zwischenzeit gelernt anzuklopfen und erst auf eine Bitte hin einzutreten. Henrys Brief schob sie so schnell sie konnte unter ihr Kopfkissen. "Ich muss mit dir reden," brachte Maurice kleinlaut hervor. So nieder gedrückt hatte Oscar ihn noch nie gesehen. "Was gibt es denn Maurice?" fragte sie nun trotz der Störung eine Spur versöhnlicher. "Ich habe auf dem Sekretär meiner Maman einen Brief gefunden. Ich dachte die Dubarry habe ihn geschrieben, da auch ihr Absender auf dem Umschlag stand. Da habe ich ihn Maman gestohlen, weil ich so böse darüber bin das sie wieder nach Versailles fährt.

Aber als ich den Brief gelesen habe stellte ich fest das er gar nicht von der Dubarry stammt, sondern von einem Herzog La Vauguyon, der wie ich mich erinnern kann, der Lehrer unseres Dauphins ist. Es stehen wirklich sehr schlimme Dinge darin. Er plant das unserer Dauphine, wenn sie zu uns reist, etwas angetan werden soll und Maman soll ihm dabei helfen. Er möchte auch das sie sich wieder mit General de Ronsard trifft, der Mann gegen den sich Vater duelliert hat, weil Maman immer zu ihm geht." Oscars Herz begann zu rasen. Nun hatte also Maurice herausgefunden in welche Machenschaften seine Mutter verstrickt war. Sofort streckte Oscar ihre Hand nach dem Brief aus und begann ihn halblaut vorzulesen: "Der König hat sich mit seinen Beratern und Generälen zurück gezogen. Wenn die Informationen stimmen, die Euch die Dubarry zugetragen hat, wird gerade über die Reiseroute und das Datum der Abreise der zukünftigen Dauphine verhandelt. Trefft Euch unverzüglich mit General de Ronsard und findet das heraus was wir wissen müssen. Je früher wir Kenntnis davon erlangen wann und auf welchem Wege die Österreicherin zu uns kommt, desto besser werden wir den Anschlag auf sie vorbereiten können. Also ist Eurerseits absolute Eile geboten. La Vauguyon." Oscar saß nun kerzengerade auf ihrem Bett. Vor Angst und Aufregung begann es ihr ganz schlecht zu werden. Auf ihrer Stirn hatte sich ein feiner Film aus Schweiß gebildet und man sah ihr an das sich die Angst, vor dem was bald kommen würde, in ihrem Körper ausbreitete. Nun war es also so weit und ihr Neffe war nun auch mit hinein geraten. Wenigstens verstand sie nun was ihre hübsche Schwester dazu veranlasste eine Affaire mit de Ronsard einzugehen. Sie schenkte ihm nur ihre Zuneigung um ihn auszuspionieren. Oscar ergriff Maurices Schultern so fest sie konnte, sah ihm ins Gesicht und begann eindringlich auf ihn einzureden: "Maurice, hör mir jetzt gut zu! Du darfst niemandem davon erzählen was du in diesem Brief gelesen hast! La Vauguyon und deine Maman planen den Anschlag schon seit Jahren. Ich habe schon längst darüber Bescheid gewusst." Vor Überrschung bekam Maurice kugelrunde Augen. "Du weißt bereits von allem?" "Ja, ich habe sie vor drei Jahren hier in der Normandie Nachts im Garten belauscht, als sie alles einzufädeln begonnen hatten. Ich wusste damals noch nicht das es sich bei dem fremden Mann, mit dem sich deine Maman traf, um den Lehrer des Dauphins handelt, bis ich ihm in Versailles begegnet bin. Es geschah in den Ferien als ich Stubenarrest hatte, weil ich mich weigerte de Ronsard wegen meiner Aufnahme auf die Offiziersakademie kennen zu lernen. Da habe ich mich eben eines Nachts durch ein offenes Fenster in den Garten geschlichen und Veronique und La Vauguyon ertappt und belauscht." "Bist du dir überhaupt sicher das es sich bei dem Fremden um La Vauguyon handelte?" "Ja, das bin ich. Ich habe ihn zwar im Dunkeln nicht richtig erkennen können, aber als er mir in Versailles begegnet ist lief mir ein solcher Schauer über den Rücken, das ich es sofort gespürt habe das er der Fremde von damals sein musste. Außerdem habe ich seine Stimme und seine Gestalt sofort wieder erkannt. Ich könnte sie in einhundert Jahren niemals vergessen." Oscar schüttelte sich, da ihr eine dicke Gänsehaut bei dieser Erinnerung über den Rücken lief. Maurice fühlte sich immer kläglicher. Seine Mutter war eine Verräterin! Das durfte doch alles nicht wahr sein. In ihm breitete sich der Wunsch aus sofort in seinem Bett aufzuwachen, um fest stellen zu können das dies alles nur ein Alptraum war. Aber dieses Wunder stellte sich leider nicht ein. "Was sollen wir nur tun Oscar? Wir können doch nicht zu lassen das unsere neue Dauphine ermordet wird und schon gar nicht das meine Mutter dabei Hilfe leistet!" "Wir können nichts tun außer zu schweigen," sagte Oscar so fest sie konnte. "Wenn es an das Tageslicht kommen sollte, dass deine Mutter in ein Komplott gegen das Königshaus verstrickt ist, wird sie als Verräterin aufgehängt werden. Das willst du doch sicher nicht?" Maurice schüttelte betreten den Kopf. So wütend er gerade noch auf seine Mutter gewesen war, so wenig wollte er das mit ihr so etwas Entsetzliches geschehen sollte. Instinktiv streckte er die Arme nach Oscar aus und Oscar erwiderte seine Umarmung und zog ihn neben sich auf ihr Bett. Beide spürten das sie jetzt eine Stütze brauchten, die nur sie beide einander geben konnten. Noch nie war Oscar ihrem Neffen, den sie oft als lästig empfunden hatte, so nahe gewesen. Die Angst um ihr gemeinsames Geheimnis verband sie nun fest miteinander. Aus Maurices Augen floßen all die bis jetzt zurück gehaltenen Tränen der Enttäuschung über seine Mutter und auch Oscar konnte endlich den Tränen freien Lauf lassen, die sie die drei Jahre lang zurück gehalten hatte, in denen sie ihr Geheimnis mit niemandem teilen durfte. Ihre Tränen tropften auf Maurices dunkle Locken und seine Tränen nässten Oscars Hemd, bis sie irgendwann auf beiden Seiten versiegten und die beiden sich nur noch aneinander fest hielten.

Nach einer Weile an Oscars Schulter brachte Maurice hervor: "Oscar, weshalb benützt der Herzog als Absender den Namen Gräfin Jeanne Marie Dubarry?" Oscar konnte nicht anders als Maurice einen leichten Schlag auf den Kopf zu geben. "Damit nicht die ganze Familie de Jarjayes davon weiß das sich die beiden schreiben! Herr Gott, was frägst du manchmal für Sachen Maurice." "Aha, das verstehe ich vollkommen. Immerhin wissen wir doch immer alles sofort voneinander, vor allem Sophie, nicht wahr?" Nun stahl sich trotz all der Aufregung wieder ein Lächeln auf Oscars Lippen.
 

Einige Zimmer weiter war allerdings niemandem nach einem Lächeln zumute. Völlig aufgelöst stand Veronique in ihrem Salon, der komplett von ihr und Danielle auf den Kopf gestellt worden war. "Such weiter nach dem verdammten Brief! Er kann doch nicht einfach von meinem Sekretär veschwunden sein!" fuhr Veronique ihre Zofe außer sich an. Strähnen ihres rotblonden Haares hatten sich aus ihrer Frisur gelöst und auf ihrem sonst so blassem Teint zeichneten sich hektische rote Flecken ab. "Oh Madame, wir haben doch bereits das gesamte Zimmer abgesucht. Ich wüsste nicht was wir noch unternehmen könnten," klagte Danielle, die von der vergeblichen Suche bereits völlig erschöpft war. Sicher hatte ihre Herrin immer schon ein paar Marotten gehabt, aber nun war es wirklich unglaublich was sie für einen Aufstand wegen eines einfachen Briefes veranstalltete. Da klatschte eine schallende Ohrfeige von Veroniques Hand in Danielles Gesicht. Fassunglos hielt sich Danielle die Wange. Noch nie zuvor war ihrer Herrin die Hand ausgerutscht. "Dann suchst du eben den ganzen Salon noch ein zweites Mal komplett nach dem Brief ab! Wir werden beide nicht schlafen gehen bis wir ihn gefunden haben!" schäumte Veronique. Während sich Danielle mit zusammen gepressten Lippen umwandte, um wohl zum dutzensten Male unter dem Sekretät nach zu sehen, ließ sich Veronique erschöpft auf einen Stuhl sinken. Sie war sich bereits darüber bewusst das jedes weitere Suchen vollkommen nutzlos sein würde, wollte es sich aber dennoch nicht eingestehen. Irgendjemand im Hause, um wen immer es sich auch handelte, musste den Brief an sich genommen haben, wusste nun über alles Bescheid und würde es vermutlich zu gegebener Zeit gegen sie ausspielen. Ihren eigenen Sohn und ihre jüngste Schwester hätte sie allerdings als letztes im Verdacht gehabt. Ab jetzt würde das ganze Komplott, von dem sie schon seit langem bereute sich darauf überhaupt eingelassen zu haben, aus dem Ruder laufen, das spürte sie tief in sich.



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