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Portrait der Sünde

Eine Geschichte aus Mr. Crawfords Haus im Nebel
von

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07. September

Natürlich konnte Viktor nicht umhin, Cherubina zu bewundern, als er mich heute besuchte und natürlich war ich begierig, sie ihm zu zeigen.

Hoheitsvoll thronte sie auf der Staffelei am Fenster, wie eine Prinzessin in einem elfenbeinernen Turm, die Nachmittagssonne spielte auf ihrem Rahmen, brachte ihre wunderbaren Augen erst richtig zum Leuchten. Ach, ich könnte sie noch immer stundenlang ansehen, glückselig in ihren Augen versinken. Gott selbst hätte kaum ein schöneres Wesen schaffen können.
 

“Dein Freund scheint mir ja sehr von sich überzeugt gewesen zu sein“, bemerkte Mortimer und Viktor entging der missbilligende Unterton in seiner Stimme seines Vaters nicht.

“Ja. Dafür war er nicht allzu überzeugt von Gott“, antwortete er, als sei es eine Entschuldigung für Lawrences Anmassung.
 

Ihr Blick ist sanft, wie der eines Engels, silbergrau und geheimnisvoll wie die Nebel Avalons, und als ich da sass und sie Strich für Strich auf der Leinwand Wirklichkeit werden liess, war mir, als hörte ich ein Flüstern, das mich rief und lockte, all die phantasmagorischen Mysterien und Wunder jenseits dieses Nebelschleiers zu entdecken. Auch jetzt ist mir, als flüstere mir Cherubina mit sirenengleicher Stimme zu, als röche ich sogar den betörenden Duft nach Hyazinth, weissem Flieder und Jasmin, der von ihrem zarten, weissen Hals aufzusteigen scheint.

Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich diesem vermeintlichen Flüstern und dem verführerischen Duft nur zu gerne nachgab und in geradezu kindlich-naiver Leidenschaft ihre vollen Lippen küsste. Was für eine Enttäuschung es doch war! Statt weichem Samt erwartete mich die harte Realität aus getrockneter Ölfarbe und Leinen.

Ich muss wohl ganz in Gedanken versunken da gestanden haben, denn erst Viktors Worte liessen mich aus den magischen Gefilden, in denen meine geliebte Cherubina mehr als Farbe und Leinen ist, in die kalte, triste Realität zurückkehren.

“Sag, Lawrence, wer ist die Schöne?“, fragte er mich, wohl eine heimliche Liebschaft mit einer wohlhabenden Dame der Gesellschaft vermutend. “Ich bin sicher, ich habe ihr Gesicht noch nie gesehen. So eine Schönheit würde ich sicherlich nicht so schnell vergessen.“

Seine Frage machte mich lachen. “Viktor, mein Freund, wie könntest du sie jemals gesehen haben, wo ich es doch war, der sie geschaffen hat?“

“Dann ist sie also nicht wirklich? Ein blosses Produkt deiner Phantasie?“, fragte er und wirkte nun seinerseits belustigt.

“Sie besitzt alles an Wirklichkeit, was ich ihr zu geben vermag“, versetzte ich seufzend. “Ach, was gäbe ich nicht, um sie wahrhaft wirklich werden zu lassen? Alles verkaufte ich für sie, all mein Hab und Gut und mein Leben und meine Seele auch.“

“Sprich nicht so, Lawrence“, sagte Viktor tadelnd. “Deine Seele ist ein kostbares Geschenk Gottes. Du solltest sie nicht leichtfertig für etwas Vergängliches wie ein schönes Mädchen hergeben. Such dir lieber eine richtige Braut aus Fleisch und Blut.“

Ach, was weiss er denn schon? Keine Dame der Welt könnte mein Herz und meine Gedanken so sehr in Besitz nehmen, wie die schöne Cherubina. Ja, wahrlich, ich gäbe sofort meine klägliche, kleine Seele hin, wenn sie dafür der Enge des Bilderrahmens entfliehen und Wirklichkeit werden könnte.

Doch so sehr ich auch wünsche und mich sehne, vereint werden wir, Cherubina und ich, wohl immer nur im Traume sein. Ach, wie bittersüss ist dieser Gedanke, tröstlich und niederschmetternd zugleich...
 

Die ersten Zeilen des nächsten Eintrags waren zittrig, als hätte der Schreiber gerade erst einen grossen Schrecken erfahren.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Procven
2013-08-04T09:13:07+00:00 04.08.2013 11:13
Das erste Kapitel ist so wundervoll geschrieben. Ich mag deinen Stil sehr, denn er ist so anders und erfrischend im Vergleich zu anderen, die man hier findet.
Deine Wortwahl ist abwechslungsreich und ich finde es auch sehr angenehm, dass du ab und an veraltet klingende, aber zur Zeit passende Worte benutzt. Dadurch kann man sich noch besser hinein versetzen.

Ein kleiner "Fehler" ist mir beim Lesen allerdings aufgefallen. "Unterton in seiner Stimme seines Vaters" - durch das doppelte Pronomen liest es sich etwas holprig, wie ich finde.
Ansonsten habe ich nichts zu beanstanden. :)

Sobald ich wieder etwas mehr Zeit finde, werde ich gespannt weiter lesen und versuchen zu jeden Kapitel einen Kommentar zu hinterlassen.

Bis dahin wünsche ich dir noch einen schönen Sonntag.

LG,
Procven
Antwort von:  LauraAStern
04.08.2013 14:33
Hi Procven
Oh dear...
Ja, das "seiner" gehört da nicht rein, da hast du vollkommen recht. Das kommt davon, wenn man unfähig ist, Sätze im Kopf UND auf'm (digitalen) Papier umzustellen ._.
Ich werde das korrigieren, sobald ich kann. (Ich muss allerdings gleich los zu ne Grillparty...)

Jedenfalls vielen Dank für die lieben Kommentare, ich freu mich sehr, dass die Geschichte zu gefallen scheint.

Dir auch noch einen schönen Sonntag.

Kokoro


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