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Alpha

Werwölfe auf Rudelfindung
von

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Nacht des Grauens

Hechelnd blieb Jake zwischen den Bäumen stehen und sah sich hektisch um. Die Schatten des Waldes waren seine letzte Chance zur Flucht gewesen. Die Gerüche von Moos, Holz und Blättern mischten sich mit dem Gestank des Blutes, das Jakes graues Fell tränkte.

Es war nicht sein Blut. Immerhin. Er war entkommen, wenn auch unfreiwillig. Lieber hätte er an der Seite seines Vaters gekämpft und seine Familie verteidigt. Aber als es zu schlecht um sie stand, hatte sein Vater ihm befohlen, zu fliehen. Am liebsten hätte Jake sich geweigert, aber der bestimmende Blick seines Vaters hatte jedes Wort des Widerspruchs unterbunden.

Also war Jake gerannt, über Leichen gestolpert, in Blutlachen ausgerutscht und weitergelaufen, bis er irgendwann nicht mehr wusste, ob die Jäger seiner Spur noch folgen konnten.

Die Jäger...

Sie waren Menschen, zumindest die meisten von ihnen. Sie jagten die Werwölfe, als wäre es ihr liebster Sport und beachteten nicht, dass die Rudel, die sie angriffen, häufig zurückgezogen lebten. Jake selbst hatte nie einen Menschen verletzt, geschweige denn getötet. Ebenso hatte sich die Mehrheit des Rudels nie etwas zu Schulden kommen lassen.

Sie hatten einen Kodex. Einen inoffiziellen Pakt mit den Menschen, dass ihr Rudel keine Opfer forderte und die Menschen sie dafür in Ruhe lassen würden.

Dennoch hatten die Jäger ihre Mordlust und ihren Hass auf die Werwölfe nicht vergessen.

Die letzte Nacht war ein Trauerspiel gewesen.

Weder das Rudel, noch ihr Alpha hatte die Gefahr wittern können und als man sich der Bedrohung bewusst wurde, war es zu spät gewesen. Die Jäger, allen voran der berühmt-berüchtigte Werwolfmörder Carlos, überfielen das Rudel mit ihren Waffen aus widerlichem Silber und töteten jeden Werwolf, den sie vor den Lauf bekamen.

Jake besann sich. Er konnte es sich nicht leisten, die jüngsten Bilder des geschlachteten Rudels wieder aufleben und sich davon ablenken zu lassen.

Würde man ihn in einer unaufmerksamen Sekunde erwischen, wäre seine Flucht umsonst gewesen. Dann hätte er ebenso gut an der Seite seines Vaters bis zum Ende kämpfen können.

Als würde er von Schmerzen gequält werden, wand Jake seinen Kopf hin und her und warf sich auf den Rücken, in der Hoffnung, dass das Gefühl der Angst sich davon abschütteln ließe. Erfolglos. Sicher, sein Vater war ein guter und starker Kämpfer. Nicht umsonst hatte er die Rolle des Beta übernommen. Er würde den Posten des Alphas antreten, wenn dem jetzigen Leader etwas zustieß.

Aber lebte sein Vater überhaupt noch? Oder ihr Alpha?

Jake war zu weit gerannt, um ihren Geruch wahrzunehmen.

Dafür roch er etwas anderes. Die Luft stank plötzlich nach Qualm, Ruß und noch mehr fremdem Blut. Jake schlug den Klauen vor seine verzerrte Werwolfsfratze und bedeckte seine Schnauze. Er keuchte auf, als der Gestank ihm die Sinne benebelte. Dennoch sickerte die Erkenntnis durch, dass nun alles verloren war.

Ihr Dorf wurde mit geweihtem Feuer niedergebrannt. Die rauchige Luft verriet es ihm. Dies war eine Botschaft der Jäger und sie überbrachte die Nachricht, dass sein Clan untergegangen war. Es war allgemein bekannt, dass die Jäger nach erfolgreicher Auslöschung eines Rudels den Kadaver des Alpha in Brand setzten und die Häuser des Dorfes ansteckten, um ein Denkmal zu setzen. Ein grausames Denkmal.

Für normale Menschen würde das Dorf in Zukunft nur wie eine Ruine wirken, die einem schlimmen Feuer zum Opfer gefallen war. Sie konnten das Leid nicht spüren. Doch für Werwölfe würde jedes erneute Aufsuchen des Dorfes eine Qual werden. Die geweihten Flammen, die den Körper ihres Alpha, die Häuser ihrer Familien und Überreste ihres Lebens zerfraßen, verfehlten niemals ihre Wirkung. Sie würden in den Herzen der übrigen Werwölfe ewig weiter lodern, wenn die Überlebenden auf die Idee kommen sollten, ihr Dorf neu aufbauen zu wollen.

Jake wurde bewusst, dass es kein Zurück mehr für ihn gab.

Der Alpha war tot und somit mit großer Sicherheit auch Jakes Vater. Der Beta ließ den Alpha nie im Stich. Ebenso wenig konnte Jake davon ausgehen, dass seine Mutter geflohen war. Ihr hätte sein sein Vater keine Befehle geben können.

Sie mussten tot sein.

Knurrend und jaulend prügelte Jake mit seinen Klauen auf den Boden ein, um seiner Wut ein Ventil zu geben. Noch immer von dem Rauch der geweihten Flammen betäubt, taumelte der junge Werwolf schließlich weiter. Er durfte nicht stehen bleiben.

Doch sein Gang war unsicher. Immer wieder schlug er gegen nahestehende Baumstämme und hinterließ tiefe Furchen im Holz.

Er kam nur wenige Meter weit, bis er erneut zu Boden fiel und würgte. Panik stieg in ihm auf. Er hatte sein komplettes Rudel, seine Zugehörigkeit, verloren. Seine Eltern waren tot. Die Jäger machten einen Witz von Werwolf aus ihm und verhöhnten ihn mit ihrem Feuer. Am liebsten würde er sie alle umbringen und ihre Knochen zwischen seinen Klauen knacken spüren.

Aber er war nicht in der Lage, zurückzukehren. Nie mehr.

Die Schmerzen, die die geweihten Flammen bei ihm ausrichten konnte, würden unerträglich sein und ihn endgültig in den sicheren Tod führen.

Verzweifelt unterdrückte Jake einen erneuten Würgereiz. Er stemmte sich ächzend vom Boden ab und erklomm mit einigem Kraftaufwand die Spitze einer hohen Tanne. Hier oben war die Luft ein wenig klarer, auch, wenn der Rauch über den Wald hinweg ziehen müsste. Also war immerhin der Wind auf Jakes Seite. Ohne einen weiteren Moment zu warten, warf der verzweifelte Werwolf den Kopf in den Nacken und jaulte sein Leid in die endende Nacht hinaus. Sein Wolfsgeheul klang tief und anklagend. Sicher konnte man es bis zum Dorf hören und sogar darüber hinaus. Während Jake auf der Tannenspitze das Gleichgewicht hielt, wartete er auf Antwort. Wenn noch jemand von seinem Rudel übrig und außer Gefahr war, dann würde er ebenfalls sein Heulen an den untergehenden Mond schicken.

Zu Jakes Erschrecken blieb es still. Er spitzte die Ohren, doch alles, was er vernahm, war das entfernte Knistern des Feuers. Wahrscheinlich brannte das Dorf gerade lichterloh.

Gerade wollte Jake sein Gehör wieder auf sein Umfeld beschränken, um den stummen Schreien seines verkohlenden Lebens nicht zuhören zu müssen, als er ein lautes Knacken unter sich hörte.

Erst dachte er, dass die dünne Tannenspitze unter seinem Gewicht nachgeben würde.

Doch dann sah Jake von unten einen Schatten auf sich zu kommen. Jemand kletterte langsam, aber geschickt die Tanne hoch, auf der er saß.

Der junge Werwolf konnte nicht mehr ausweichen. Hier auf der Tanne hatte er ohnehin keine Fluchtmöglichkeit. Was sollte er schon tun? Von Spitze zu Spitze springen war wohl kaum eine Möglichkeit. Erneut stieg in ihm die Angst auf. Wie konnte er nur so dumm sein? Wenn ihm ein Jäger auf der Spur war, dann hatte er ihn spätestens mit dem Wolfsgeheul angespornt. Wie konnte er vergessen haben, dass er noch lange nicht außer Gefahr war? Genau das war die Art von geistiger Unaufmerksamkeit, die er hatte verhindern wollen.

Doch so schnell die Angst ihn übermannte, so überzeugend wurde sie von einem aufkeimenden Rachedurst verdrängt. Jake würde sich sicher nicht einfach kampflos geschlagen geben. Dieser Jäger unter ihm würde dafür zahlen, was er und sein Pack dem Rudel angetan hatten.

Mit diesen Gedanken stürzte sich Jake todesmutig auf den Schatten unter ihm, der ihm gefährlich nahe gekommen war.

Mit letzter Kraft bohrte der wütende Werwolf seine Reißzähne in die linke Schulter seines Gegners, der vor Schmerzen aufschrie und nach im Fall ihm trat.

Jake spürte, wie sich eine kräftige Hand in sein Nackenfell grub und seinen Kopf nach hinten zu zerren versuchte. Von dieser Reaktion angespornt vergrub Jake seine Zähne noch tiefer in das Fleisch des anderen. Er schmeckte dessen Blut und war sich sicher, dass er ihn töten würde, wenn sie erst auf dem Boden aufschlugen.

Der Aufprall folgte kurz darauf. Er war so heftig, dass der Werwolf von seinem Gegner abgeschüttelt und ein Stück abseits geschleudert wurde.

Aber Jake ließ sich keine Pause. Ihm schmerzte jeder Knochen und dennoch schleppte er sich zu dem blutverschmierten Körper, gegen den er sich verteidigt hatte. Er beugte sich über sein Opfer und stoppte.

Dieses Gesicht kannte er. Sogar gut. Bevor Jake einen Ton herausbrachte, zuckte der Körper unter ihm. Ehe er sich versah, wurde er auf den Rücken geworfen und mit den Schultern zu Boden gepresst. Frisches Blut tränkte erneut Jakes graues Fell, aber das machte es nun auch nicht mehr schlimmer. Es stank ohnehin schon.

Der Werwolf keuchte wegen des Drucks, mit dem der schwere Körper über ihm auf ihn einwirkte. Dann drang eine altbekannte Stimme an die Ohren des Werwolfs.

„Bist du eigentlich vollkommen bescheuert?“, zischte die tiefe Stimme so scharf in Jakes Ohr, sodass es ihm beinahe wehtat. Der an den Boden gepresste Werwolf jaulte leise auf, aber er wusste, dass sein Gegenüber recht hatte. Außerdem beruhigte er sich von seinem Rachedurst. Er hatte auf den ersten Blick erkannt, wer sein vermeintlicher Gegner gewesen war und als er seine Stimme hörte, wusste er es sicher.

„Du... lebst.“, keuchte Jake unter dem anderen, der noch längst nicht gewillt war, ihn loszulassen.

„Natürlich lebe ich.“, knurrte der obere wütend und starrte den grauen Werwolf warnend an. „Aber du nicht mehr lange, wenn du weiterhin so lautstark die Jäger anheizt.“

„Ich hab es ja verstanden.“, knurrte Jake zurück. Er starrte zurück und dachte nicht daran, seinen Blick von dem anderen abzuwenden. Ihm gegenüber würde er selbst in so einem Moment keine Schwäche zeigen. Jake stieß ein erleichtertes Seufzen aus. „Ich bin froh, dass du lebst.. Ray.“

Die Aussprache des Namens seines besten Freundes brachte Ruhe in die aufgewühlten Gefühle beider Werwölfe. Gleichzeitig mit dem Abklingen ihrer Kampfinstinkte wich die Stärke aus beiden Körpern. Ray brach über Jake zusammen und rollte sich schwer atmend von ihm ab.

Für einen kurzen Moment lagen die Freunde nebeneinander und gaben sich der erleichternden Gewissheit hin, dass sie nicht vollkommen allein waren.

Jake löste sich von seiner Werwolfgestalt und nahm seine menschliche Form an. Das graue Fell wich blasser Haut, die zwischen der zerrissenen, restlichen Kleidung hervorblitzte und die verzerrte Wolfsfratze glättete sich zu einem ebenmäßigen Gesicht, in dem blutnasses, blondes Haar klebte.

„Du siehst kacke aus.“, röchelte Ray, der die Verwandlung seines Freundes spürte. Jake lachte auf, was allerdings in einem Husten endete. „Du hast mich doch nicht mal angesehen.“, verteidigte er sich. Ray wand den Kopf ab und lächelte schwach. „Oft genug, um es generell beurteilen zu können, du Vollidiot.“

„Kann ich nur zurückgeben.“, erwiderte Jake. Er hatte keine Kraft, um sich jetzt weiter dem Wortgefecht hinzugeben. Außerdem wusste er, dass Ray damit nur verdrängen wollte, was passiert war. „Bist du verletzt?“, fragte er vorsichtig und setzte sich auf. Ray wand den Kopf wieder zu ihm. „Du hast mich gebissen, du Arschloch. Aber nein, mir geht’s super. Danke.“, gab Ray bissig zurück. Zurecht, schließlich war der Biss von Jake in Tötungsabsicht gewesen. „Ich meine, abgesehen von dem Biss.“, antwortete Jake gefasst und begutachtete den ramponierten Körper seines besten Freundes. Er war von oben bis unten mit Ruß und Blut bedeckt, aber man konnte nicht erkennen, ob es sein eigenes war. Ray keuchte. „Nur ein paar Kratzer sonst. Hättest du mich nicht gebissen, wäre ich jetzt fitter als du.“

Jake zuckte mit den Schultern. „Ich habe neben meinem Vater gekämpft, bis er mir befohlen hat, zu fliehen.“

Ray hob seine Hand und griff um Jakes Handgelenk. „Du musst wissen, dass dein Vater...“

Kurz zögerte Ray und schluckte schwer. „Ich war ganz in der Nähe und er hat viele Jäger erwischt. Es war Carlos, dieser abartige Killer, der ihn letztendlich...“ Jake unterbrach ihn. „Genug. Das habe ich schon geahnt.“ Er konnte nicht mit anhören, wie Ray aussprach, was er schon längst vermutet hatte. Sein Vater war tot.

Ray stöhnte auf und griff mit dem gesunden Arm nach seiner verletzten Schulter. „Man, du hast einen üblen Biss drauf.“

„Selbst schuld.“, murmelte Jake, obwohl es ihm sehr wohl Leid tat, dass er seinen besten Freund nicht sofort erkannt hatte. „Weißt du, ob dir jemand gefolgt ist?“, versuchte er, das Thema zu wechseln. Ray schüttelte langsam den Kopf. „Ich bin dir gefolgt, kurz nachdem du das Dorf verlassen hast. Hab noch versucht, deine Spuren zu verwischen, aber ich glaube, es ist keinem Jäger aufgefallen.“

Jake schämte sich dafür, dass er abgehauen war. Er hatte das Gefühl, seine Familie im Stich gelassen zu haben. Andererseits war es mehr als ein Befehl von seinem Vater gewesen, zu fliehen. Es war sein letzter Wille gewesen und damit auch die einzige Chance, dass ihr Stammbaum überlebte. Also gab es so gesehen nichts, wegen dem man sich schämen musste.

„Wie schlimm ist deine Wunde?“, fragte er weiter.

„Sie heilt schon.“ Als Zeichen, dass Ray die kurze Pause gut bekommen war, setzte er sich ebenfalls auf. „Du riechst den Qualm auch, nicht wahr? Wir könne nicht mehr zurück.“

Jake nickte. „Am besten gehen wir tiefer in den Wald und erholen uns irgendwo, wo es sicher ist. Wenn die Jäger uns so finden, dann sind wir tot.“

Ray lachte. „Sagt der, der eben noch die glänzende Idee hatte, seine Position in die Nacht zu jaulen.“

„Ach, halt die Fresse und komm mit!“

Mit den Worten erhob sich Jake und half dann seinem Freund auf. Zusammen liefen sie tiefer in den Wald und achteten diesmal gegenseitig darauf, keine Spuren zu hinterlassen.

Jakes Spur würde man schon weit genug verfolgen können.

Als der nächste Morgen anbrach, hatten sie einen dürftigen Unterschlupf zwischen zwei Felsen und einem umgekippten Baum gefunden. Noch bevor sie noch ein Wort wechseln konnten, schliefen beide erschöpft ein.
 

Kapitel 1 - Ende



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