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Alpha

Werwölfe auf Rudelfindung
von

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Werwolfverbund

Die vergangene Nacht hatte ihre Spuren hinterlassen. Ray schlief schlecht, weil sein Körper die Bisswunde heilte und auch Jake kämpfte mit sich. Er wollte noch immer nicht realisieren, dass ihr Rudel zerstört und sie beide womöglich die letzten Überlebenden waren.

Jake atmete tief durch und öffnete seine Augen. Obwohl er immer wieder ein paar Stunden geschlafen hatte, fühlte er sich nicht wirklich ausgeruht. Sowohl der Kampf um das Dorf, als auch die seelischen Qualen hatten ihre Spuren hinterlassen. Jake fragte sich, wie Ray letzte Nacht so ruhig bleibe konnte, aber er war dankbar gewesen, dass er sich nicht von seiner Hysterie hatte anstecken lassen. Während Jake nachdachte, fiel sein Blick auf den schwarzhaarigen Werwolf, der ihm gegenüber an der Felswand lehnte und schlief. Er begutachtete dessen Verletzungen.

Die Kratzer von dem Kampf gestern Abend schienen verheilt, aber die Bisswunde hatte sich noch nicht geschlossen.

Wäre er nicht durchgedreht, wäre Ray jetzt unverletzt. Glücklicherweise heilten Wunden bei Werwölfen schneller, weshalb er sich keine Sorgen um seinen besten Freund machen musste.

Früher oder später kam er schon wieder auf die Beine.

Aber wozu eigentlich? Wohin sollten sie jetzt gehen, wo ihr Rudel zerschlagen und ihr Alpha tot war? Die Ratlosigkeit wühlte Jake auf und ließ ihn knurren. Er mochte es nicht, keinen Plan für die Zukunft zu haben. Auf so eine Situation hatte man ihn nicht vorbereitet.

Erst als Ray ächzend aufwachte, konnte Jake sich wieder fassen. „Wie geht es dir?“ Die goldenen Augen des blonden Werwolfs trafen auf die dunklen, beinahe schwarzen Iriden des anderen. „Es verheilt alles gut, denke ich.“, antwortete der Schwarzhaarige.

Er setzte sich ordentlich hin und spähte aus ihrem kargen Versteck in das helle Sonnenlicht. „Irgendwo da draußen sind die Jäger.“, stellte er fest und ballte seine Hände zu Fäusten. Jake konnte Rays Wut nur zu gut nachvollziehen. „Am liebsten würde ich sie alle in einer Reihe umbringen.“, knurrte er zustimmend. „Aber... ist es dir auch aufgefallen?“ Unsicher sah Ray zurück zu Jake. „Was meinst du?“

„Es waren diesmal weniger Menschen als üblich und mehr...“, er wollte es eigentlich nicht aussprechen, so tief traf ihn die Tatsache. „...mehr von uns.“ Man hörte die Bitterkeit in seiner Stimme. Aber es stimmte leider.

Ursprünglich waren Jäger ausschließlich Menschen gewesen. Es hatte in der weiten Vergangenheit immer weniger Probleme im Zusammenleben von Menschen und Werwölfen gegeben. Aber die Zeiten veränderten und die Fronten verschoben sich.

Nachdem die Jäger festgestellt hatten, dass die beste Waffe gegen ihre verhassten Feinde ihre eigene Rasse war, begannen sie damit, gezielt nach denjenigen Werwölfen zu suchen, die schon immer unter Menschen gelebt hatten.

Jake wusste nicht, was man seinen Artgenossen meist sagte, aber er vermutete, dass es sich nur um Lügen oder Erpressung handeln konnte. Auf jeden Fall liefen seither immer mehr Werwölfe zu den menschlichen Jägern über und halfen dabei, die einheimischen Werwolfdörfer zu stürmen und ihre Rudel zu töten.

Sie verrieten ihre eigene Art! Dabei konnte man früher immer stolz behaupten, dass es nie eine Zeit gegeben hatte, in der Werwölfe ihre eigene Art schlachteten und ihre wahren Wurzeln vergaßen. Früher herrschte noch das Credo: „Unter dem Mond sind wir alle eine Einheit.“ Werwölfe sollten zusammenhalten, gemeinsam für eine Sache einstehen und in Zeiten der Not zu einem gemeinsamen Rudel zusammenfinden. Aber heute wurde man nicht nur unehrenhaft in der Nacht angegriffen, nein. Heutzutage kämpfte die eigene Art auf der Seite des Feindes unter dem Licht des Mondes. Was konnte sie nur dazu bringen, ihre Abstammung dermaßen zu verhöhnen?

„Sie sind keine mehr von uns.“, widersprach Ray nach einer kurzen Stille. „Sie sind ebensolcher Abschaum, wie das Pack an Menschen, die dem Kodex widersprechen und uns aus purer Mordlust umbringen.“ Als er vom Kodex sprach, stieß er die restlichen Worte aus, als lägen sie wie Gift auf seiner Zunge.

„Ray?“ Mit leerem Blick starrte Jake nach draußen. Die Helligkeit ließ seine Augen golden Erstrahlen und seine Pupillen zu kleinen Punkten schrumpfen. „Ich will Rache.“, sprach er das aus, woran sein bester Freund sicher auch schon gedacht hatte. „Ich will, dass die Jäger und diese Verräter, die sich noch immer Werwölfe nennen wollen, dafür büßen, was sie uns angetan haben.“

Bevor Ray darauf eine Antwort geben konnte, schallte eine helle Frauenstimme von draußen in ihr Versteck. „Da seid ihr zwei nicht die Einzigen.“, rief die fremde Frau und lachte nach ihren Worten.

„Wer ist da?“, fragte Jake geschockt und stellte sich sofort kampfbereit hin.

Zu seiner Verwunderung trat eine noch sehr jung wirkende Frau vor das Versteck und warf damit einen langen Schatten zwischen Jake und Ray.

„Kein Terror bitte. Ich weiß, was mit euch passiert ist. Mein Name ist Sila und ich werde euch helfen.“

Die junge Frau hatte langes, braunes Haar, das ihr glatt über die Schultern fiel. Sie trug ordentliche, menschliche Alltagskleidung, doch ihr Auftreten und ihr Blick verrieten, dass sie ebenfalls eine Werwölfin war. Jake schätzte, dass Sila, wie sie sich nannte, nicht viel älter als er selbst und Ray sein konnte, aber das war bei Werwölfen immer schwer zu bestimmen. Ihr menschliches Äußeres entsprach dem einer Frau, die gerade erst die frühen Zwanziger erreicht haben dürfte. Ray und Jake hingegen konnte man auf menschliche sechzehn oder siebzehn Jahre schätzen.

„Woher sollen wir wissen, dass du nicht auch eine Anhängerin des Jägertrupps bist?“, knurrte Jake und stellte sich schützend vor seinen verletzten Freund. Wenn er schon seiner Familie nicht hatte beistehen können, so würde er zumindest seinen besten und letzten Freund vor dem Tod bewahren.

Sila schien diese Skepsis nicht zu verwundern. „Du willst einen Beweis, meinst du?“, fragte sie und lächelte hämisch. „Reicht dir denn deine Nase nicht, um zu erkennen, dass ich nicht lüge?“

Jake hingegen wuchsen die Hände zu Klauen. Wenn sie ihn doch angreifen würde, dann wäre er bereit. „Die Jäger wissen mittlerweile zu viel und ihre Technik gegen unsereins ist fortgeschritten. Sie wissen, wie man Werwölfe täuscht.“

Die Augen der fremden Werwölfin verengten sich zu Schlitzen. „Du bist misstrauisch. Aber das kann man dir nicht verübeln, jetzt, wo dein ganzes Rudel umgebracht wurde.“

Jake stand kurz davor, die Frau für ihre Frechheiten anzugreifen, um ihr eine Lektion zu erteilen. Aber er wollte seiner Wut nicht freien Lauf lassen und hielt sich zurück.

Dennoch ließ er ein bedrohliches Knurren hören. „Maße es dir nicht an, über mein Rudel zu sprechen.“, warnte er. Sila blieb unbeeindruckt und strich sich ein paar ihrer hellbraunen Strähnen hinter das Ohr. „Stimmt. Vielleicht sollten wir es in Zukunft lieber Ex-Rudel nennen.“, gab sie eiskalt zurück und bot dem jüngeren Werwolf damit die Stirn.

Daraufhin mischte sich auch Ray in die Diskussion ein. „Du hast keine Ahnung, was wir durchgemacht haben!“, schrie er und hätte die Frau am liebsten angefallen, wenn er nicht verletzt gewesen wäre.

Noch immer trug Sila ein Grinsen auf den Lippen, das mit den Worten des schwächeren Werwolfs allerdings noch ein Stück bösartiger wurde.

„Sila!“, kam es dann allerdings von der Seite. Ein junger Werwolf sprang in seiner weißen Wolfsgestalt auf die Frau zu und brachte sie kurz zum Wanken. „Wir wollen die beiden nicht provozieren, sondern ihnen helfen. Also vergiss deinen Stolz wenigstens einmal und verhalte dich normal.“, rief er, während sich sein Wolfsmaul unnatürlich bewegte und die klaren Worte formte. Einer der Gründe, warum Jake es möglichst vermied, in seiner vollständigen Tiergestalt zu sprechen. Es sah einfach unnatürlich aus.

Sila fand wieder ihr Gleichgewicht. Sie schnaufte leise und trotzig und strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. Dann räusperte sie sich. „Du hast recht, Ethan.“, gab sie widerwillig nach. Dann wand sie sich wieder Jake und Ray zu.

„Hört mal...“, begann sie etwas vorsichtiger. „Wenn wir von den Jägern wären, hätten wir euch schon längst umgebracht, oder nicht?“ Ray sah zu Jake, der ihm bestätigend zunickte. Es stimmte. Aber das bedeutete noch nicht, dass sie ihr auch vertrauten. Jake ließ seine Klauen wieder zurückfahren. „Dann seid ihr eben nicht von den Jägern. Was wollt ihr dann von uns?“

Eigentlich hatte er ihr ein starkes Contra geben wollen, aber als er die Trostlosigkeit seiner Stimme vernahm, ließ er es sein. Er hatte nicht den Willen, jetzt unnötig einen Streit mit unwichtigen Fremden heraufzubeschwören.

Sila verschränkte die Arme vor der Brust. „Euch helfen. Immer noch.“, erwiderte sie ungeduldig. Der jüngere Werwolf, der wohl Ethan hieß, stupste sie erneut an, indem er seinen Kopf gegen ihr Bein lehnte. „Meine Schwester meint, dass ihr mit uns kommen sollt. Wir sind eine Gruppe, die aus Überlebenden der Tyrannei durch die Jäger besteht.“

Jake hob eine Augenbraue. „Wir sollen uns einem fremden Rudel anschließen?“ Der Gedanke war ihm zuwider. Nicht nur, dass er eben gerade erst sein altes Rudel verloren hatte. Nein, er war außerdem der Sohn des Beta gewesen! Sollte er sich nun etwa einem Fremden Alpha unterwerfen? Nie im Leben würde er das tun. Eher würde er sterben, als...

Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als Sila wieder das Wort ergriff. „Wir sind kein Rudel.“, spie sie giftig aus. „Wir sind ein Verbund. In Zeiten der Not sind wir unter dem Mond alle eine Einheit, oder hat euch das keiner beigebracht?“

Jake und Ray schwiegen beide betroffen. Ein Verbund also, kein Rudel. Das bedeutete, sie hatten keinen Alpha. In einem Verbund lebten Werwölfe in der Regel nur, wenn sie von ihrem Rudel verstoßen wurden und gezwungen waren, eine neue Gemeinschaft zu finden. Womöglich war es aber weniger die typische Bedeutung eines Verbundes, die ihnen wie ein Stein im Magen lag, sondern eher die Notwendigkeit, den Untergang ihres alten Rudels zu akzeptieren. Die zwei Werwölfe fanden sich früher als gewollt wieder in die Realität ein.

Ethan durchbrach die nachdenkliche Stille. „Meine Schwester meint... Ihr könnt mit uns kommen. Wir wissen, was ihr durchgemacht habt.“ Er sah dem blonden Werwolf fest in die Augen. „Ein einsamer Werwolf ist ein toter Werwolf. Bitte begleitet uns.“

Als er geendet hatte, zog er seine Schwester am Arm von dem Unterschlupf weg. Weitere Worte würden nur das Gegenteil von dem erreichen, was sie wollten.

Ihnen helfen.

Und mit Provokation und vielen Worten würde man hier nicht viel erreichen. Vor allem jetzt, da ihnen gerade erst das Wichtigste im Leben genommen worden war. Dieses Gefühl kannten Ethan und Sila selbst gut genug und sie hatten im Verbund wieder neuen Lebensmut gefunden.

Er hoffte, dass es den anderen zwei Werwölfen ebenso ergehen würde und ihm war bewusst, dass seine Schwester im Grunde das Gleiche dachte.

Sila ließ sich widerwillig mitziehen. Sie war eher von der Art, die alles ausdiskutieren musste. Aber auch sie musste verstehen, dass sie nun nicht mehr tun konnte, als zu hoffen, dass die zwei fremden Werwölfe ihnen zum Verbund folgen würden.

So entfernten sich die Geschwister immer weiter von dem Versteck der anderen.



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