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Romeo

Balkonien und Schulhofromanzen
von

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Die Höhle des Löwen

„Morgen!“, grüße ich Leander und spüre wie meine Energie zurückkommt. Meine Freude verblasst jedoch schlagartig, als Leander mich vorwurfsvoll ansieht.

„Was war das gestern für eine Scheiße?!“

Ich sehe ihn zerknirscht an und zucke mit den Schultern. Was soll ich Leander sagen? Dass ich Angst davor habe, mich vor anderen zu outen?

Leander presst seine Lippen fest aufeinander. „Wieso redest du nicht mit mir? Ich meine, wir sind zusammen! Dann kannst du mir auch sagen, was mit dir los ist!“

Schuldbewusst senke ich den Blick. Er hat ja Recht, aber ich kann nicht einfach so über meine Gefühle reden.

„Du hast mich nicht mal geküsst. Ist es dir jetzt zuwider?“, wirft Leander mir enttäuscht vor.

„Nein!“ Entsetzt sehe ich zu ihm auf.

„Magst du mich überhaupt? Manchmal habe ich nämlich eher das Gefühl, du hängst nur mit mir ab, um Erfahrungen im Bett zu sammeln.“

„Meintest du nicht, wir haben nur eine Sexfreundschaft?“, frage ich Leander erstaunt.

„Du weißt genau, dass ich mehr für dich empfinde! Du hättest gestern auch ruhig mal was sagen können als wir bei Vincent waren! Oder geht es nur mir so? Scheiße, Romeo! Was haben wir denn die letzte Zeit gemacht? Ist das alles nur für die Katz' gewesen?“

Ich schlucke und weiß nicht was ich darauf erwidern soll. Natürlich mag ich ihn, sonst hätte ich all das doch nicht mit Leander getan.

Ich kratze mich am Hinterkopf. „Du weißt, dass ich deine Gefühle nicht erwidern kann...“, murmele ich und starre auf Leanders Rucksackriemen.

„Schlag ihn dir endlich aus dem Kopf! Der will doch gar nichts von dir! Glaubst du echt, Marius wird dir irgendwann mal sagen, dass er dich liebt? Mach die Augen auf, Romeo! Du kannst dich nicht ständig in deine Traumwelt flüchten!“, fährt Leander mich forsch an.

Gekränkt sehe ich zu ihm auf. Klar, er hat Recht. Das hatte er bisher immer, aber ich kann Leander nun mal nicht von einem Tag auf den anderen lieben. Das ist ein bisschen zu viel verlangt.

„Lass uns reingehen!“, murrt Leander und dreht sich auf dem Absatz um. Ich folge ihm und betrete das Schulgelände.

Was mir als erstes auffällt sind die Blicke, die uns zugeworfen werden. Nein, nicht uns sondern nur mir. Betroffen sehe ich mich um. Hat es etwa schon die Runde gemacht?

Ich sehe nervös zu Leander auf, der es scheinbar auch bemerkt hat. „Vincent konnte wohl mal wieder nicht den Rand halten!“, meckert er leise.

Mein Magen krampft sich zusammen und da ich die Blicke nicht länger ertrage, schaue zu Boden. Was soll ich jetzt tun?

„Da ist er!“, meint Leander und geht zielstrebig los. Ich sehe auf und erblicke Vincent, der zu uns sieht, als Leander auch schon wütend auf ihn zuläuft. Er zieht die Augenbrauen hoch und geht auf Abstand, doch Leander packt ihn am Kragen und redet gereizt auf ihn ein. Erst als ich näher komme, merke ich, dass es um gestern geht. Worum auch sonst?

Vincent zieht die Augenbrauen zusammen. „Jetzt halt mal die Luft an! Ich habe gar nichts gesagt! Was ist denn in dich gefahren, geht’s noch?!“

Leander schaut ihn prüfend an. Ob es stimmt, was Vincent gesagt hat?

Ich sehe mich um und noch immer spüre ich die Last der Blicke auf mir. Wieso sehen mich alle so komisch an?

„Du schon wieder! Wieso musst du Marius immer so einen Ärger einbringen?!“, vernehme ich eine nur allzu bekannte Stimme hinter mir. Innerlich seufzend drehe ich mich um und sehe auf Lisa herunter. Was hat sie denn diesmal wieder?

„Was ist los?“, frage ich sie.

„Das weißt du ganz genau! Als ob Marius schwul wäre! Jetzt reden alle darüber!“, faucht sie mich an.

Verwirrt sehe ich Lisa an. „Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst!“

Lisa presst die Lippen fest aufeinander und sieht mich angriffslustig an. „Natürlich nicht! Du checkst ja auch gar nichts! Die haben euch gesehen! Vor der Schule und du heulst auch noch wie ein Baby da herum! Jetzt denken alle, dass Marius mit dir Schluss gemacht hat und dass ihr heimlich zusammen wart! Die Gerüchteküche ist schon richtig am brodeln! Und das nur wegen dir, du blöder Idiot! Womit hat Marius das verdient?!“

Lisa lässt mich stehen. Irritiert sehe ich ihr nach, ehe ich den Blick schweifen lasse. Wie konnte das denn bitte passieren? Es geht nicht nur darum, dass ich auf Männer stehe, nein, jetzt ist Marius auch noch da mit hineingeraten. Was soll ich machen? Wo steckt Marius überhaupt und hat er die Gerüchte auch schon gehört?

Aufgeregt sehe ich mich um, aber es ist klar, dass er sich wohl kaum der neugierigen Meute aussetzen würde. Ist er in seiner Raucherecke, wo ich ihn mit Lisa erwischt habe?

„Schwanzlutscher.“ Ich sehe zu der Gruppe, die an mir vorbeigeht und mir gehässige Blicke zuwirft. Hastig wende ich den Blick ab, aber wohin kann ich schon flüchten? Überall sind die Schüler nur am tuscheln und sehen zu mir. Ich fühle mich ihnen hilflos ausgeliefert.

Wieso bin ich heute nur in die Schule gegangen? Wieso habe ich vor Marius so eine dumme Nummer abgezogen? Dann wüsste keiner von der Sache mit mir und Leander. Leander...

Ich drehe mich zu ihm herum. Klar, keiner weiß, dass wir zwei was am laufen haben. Leander ist Nebensache, denn ich und Marius sind das heutige Tagesthema.

Vincent atmet hörbar aus. Er ist ja auch fein raus aus der Sache.

Es klingelt und so gehen alle ins Schulgebäude. Mir ist nicht danach. Ich will nicht wissen, was meine Klassenkameraden mir noch alles für Gehässigkeiten hinterherwerfen.

Ich will mich verstecken und nie wieder aus meinem Schneckenhaus herauskommen.

Leander und Vincent bleiben ebenfalls stehen. Keiner von uns hat noch wirklich Lust diesen großen grauen Kasten zu betreten. Auf einmal wirkt das Schulgebäude gar nicht mehr so freundlich auf mich. Okay, das hat es nie wirklich, aber heute wirkt es bedrohlich auf mich. Wie eine Höhle, die jeden Moment zusammen brechen kann. Wage ich mich trotzdem hinein?

Ist die Maus so dumm und läuft freiwillig in den Schlund der hungrigen Schlange?

„Was machen wir jetzt?“, frage ich Leander verzweifelt. Der zuckt jedoch nur mit den Schultern.

Am liebsten würde ich sofort wieder heimgehen oder nach Marius suchen und schauen wie es ihm geht. Letzteres sogar noch lieber, aber ich habe auch Angst vor seiner Reaktion. Bisher war es immer so weit entfernt, ich musste mich mit diesem Gedanken noch nicht beschäftigen und jetzt auf einmal trifft es mich wie ein Schlag. Ich werde mit meiner Homosexualität von einem auf den anderen Tag konfrontiert. Bin ich wirklich so stark, dass ich es zugeben kann? Wer steht hinter mir, wenn die anderen nicht zu mir halten? Wer fängt mich auf?

Und Marius? Wird er mich hassen, dafür, dass ich ihn in diese Bredouille gebracht habe? Wird er mich fragen, ob es stimmt? Dass ich wirklich auf Männer stehe? Wird er dann genau wie die anderen auf mich herab sehen und mit Schimpfwörtern um sich werfen?

Kann ich es in seiner Gegenwart zugeben oder tue ich so, als würde es gar nicht stimmen? Kann ich dazu stehen?

Mir ist schlecht, in meinem Kopf kreisen die Fragen, wie Aasgeier über meinem Haupt und verlangen nach Antworten, die ich mir selbst nicht geben kann.

Ich sinke in die Hocke und raufe meine Haare. Am liebsten würde ich laut schreien, aber was bringt mir das schon? Damit bin ich meine Probleme auch nicht los.

„Ich gehe rein...“, murmelt Vincent und lässt mich mit Leander allein zurück. Wir sehen ihm nach, wie er die Glastür öffnet und im Gebäude verschwindet. Was habe ich auch gedacht? Dass er zu uns hält? Dass er eine Idee hat, wie wir diese Gerüchte im Keim ersticken können?

Leander geht ebenfalls in die Hocke und streicht mir über den Rücken. „Gehen wir auch rein? Morgen haben sie es bestimmt längst wieder vergessen und reden über irgendetwas anderes.“

Ich schaue ihm in die Augen, aber ich sehe es Leander an, dass er nicht wirklich selbst daran glaubt. Ihm könnte es auch egal sein, immerhin denkt keiner an ihn. Die anderen Schüler wissen nicht, dass er schwul ist, dass er existiert, weil er sich immer aus allem hübsch heraushält, um Ärger aus dem Weg zu gehen.

Nur ich bin das arme Schwein, dass jetzt die ganzen Probleme am Hals hat. Ich habe nichts besseres zu tun und ziehe meinen Schwarm auch noch da mit rein! Wie kann ich nur so dumm sein?

„Geh du rein. Ich suche nach Marius.“

„Was willst du ihm sagen?“, fragt Leander mich zweifelnd. „Was ist, wenn er gar nicht mit dir reden will?“

Ich atme tief durch. „Ich weiß, dass wir ziemlich tief in der Scheiße sitzen, aber was bringt es mir, mir alles schön zu reden? Es wird nicht besser. Das war es noch nie!“

Ich stehe langsam auf und lasse den Blick über den Schulhof gleiten. „Weißt du, Leander? Ich habe noch nie wirklich hierher gehört. Du bist der erste, der mich wirklich wahrgenommen hat. Von wie vielen? 200 Schülern? Das ist traurig oder? Wenn man 200 Schülern erst auffällt, wenn man anders ist als sie. Das ist einfach nur traurig.“ Ich ringe mir ein Lächeln ab. „Ich bin nicht anders als sie. Ich bin auch nur ein Mensch.“

Ich drehe mich um und gehe an den Schultoiletten vorbei, Richtung Sporthalle. Ich dränge mich den schmalen Weg an der Wand entlang, während mich von links die Büsche in Bedrängnis bringen. Der Weg weitet sich ein wenig, bis ich Turnschuhe erblicke. Ich linse um die Ecke und sehe Marius an der Wand sitzen. Er raucht und bemerkt mich anfangs gar nicht.

„Was willst du hier?“, fragt er monoton. Okay, er hat mich bemerkt.

Ich knabbere nervös auf meiner Unterlippe herum. Ja, was will ich hier eigentlich?

Ich mustere Marius. „Diese Gerüchte sind wegen mir entstanden, tut mir leid.“

Marius legt den Kopf in den Nacken, schaut zu mir auf, sagt jedoch lange Zeit nichts. „Ist das alles?“

Ich spüre einen Kloß in meinem Hals. „Willst-willst du denn gar nichts dazu sagen?“, frage ich ihn kleinlaut.

„Tja, anscheinend bin ich schwul. Gut zu wissen!“, brummt er sarkastisch und schnippt die Kippe weg.

Abwartend sehe ich ihn an. Wann kommt sie? Die unausweichliche Frage nach meiner sexuellen Orientierung?

Marius schweigt.

„Bi-bist du denn schwul?“, frage ich Marius und bekomme die Worte kaum aus meinem Mund.

Als er mich ansieht, stockt mir der Atem und mir rinnt ein eiskalter Schauer über den Rücken. Unwillkürlich trete ich einen Schritt zurück, als Marius sich langsam erhebt und auf mich zukommt. Ich drücke mich an die Wand und weiche seinem Blick aus.

Marius Kopf ist meinem auf einmal so nahe, ich spüre seinen warmen Atem an meinem Hals, als sich seine Lippen meinen Ohren nähern. Mir wird heiß und kalt zugleich. Hastig kneife ich die Augen zusammen.

„Frag mich das nie wieder!“, flüstert er leise.

Als ich die Augen wieder öffne, steht er nicht mehr vor mir. Ich sehe um die Ecke und bemerke gerade noch wie Marius um die Ecke auf den Schulhof verschwindet.

Tief durchatmend sinke ich in die Knie. Dieser mörderische Blick hat mir eine Scheißangst eingejagt!

Habe ich wirklich gedacht, Marius würde mehr Verständnis haben? Wieso sollte er auf Männer stehen?

Enttäuschung macht sich in mir breit. Verliebt sein ist scheiße!

Ich lehne meinen Kopf gegen die Mauer und sehe zum Himmel auf.

Keine Ahnung wie viel Zeit vergeht, aber mir ist es auch egal. Ich will nicht in meine Klasse gehen, mich ihren geifernden Blicken ausliefern. Wenn die merken, dass ich nach Marius in die Klasse komme, wie wirkt das auf meine Mitschüler? Noch mehr Gerüchte kann ich nicht gebrauchen.

Ich knabbere auf meinen Fingernägeln herum und sehe einigen vorbeiziehenden Ameisen zu. Eine von ihnen kommt kurz ein Stück auf mich zu, ehe sie kehrt macht und sich wieder in die Gruppe einreiht und ihren Marsch fortsetzt.

„Huch? Wer bist du denn?“

Ich hebe meinen Kopf und sehe auf. Ein Junge in meinem Alter steht vor mir. Seine schwarz-braun gefärbten Haare lugen unter einer schwarzen Wollmütze hervor. Er trägt einen lila-schwarz gestreiften Kapuzenpullover, blaue Jeans und schwarze Sneaker.

Grinsend geht er neben mir in die Hocke. „Du siehst echt scheiße aus, wenn ich das mal so sagen darf!“

Verwirrt sehe ich ihn an. Wieso spricht dieser komische Vogel mit mir? Ich meine, hat er denn noch gar nichts von den Gerüchten mitbekommen?

Ich runzele die Stirn. Was ist, wenn dem wirklich so ist?

„Hast du es noch nicht gehört?“, frage ich vorsichtig nach.

„Was denn? Ey, sag nicht, heute fällt die Schule aus! Dann bin ich ja völlig umsonst gekommen und das wo ich heute erst zur zweiten Stunde habe! Dann hätte ich ja richtig schön ausschlafen können!“, meint er empört.

Ach so ist das also... Er weiß es noch gar nicht.

„Wie heißt du? Ich bin Torben!“, stellt er sich vor und grinst wieder so dümmlich vor sich hin. Was denn? Gibt es Vincent jetzt zweimal? Wie kann man nur so gut drauf sein?

„Romeo.“

„Romeo?“ Torben runzelt die Stirn. „Mein Beileid!“, meint er mitleidig und klopft mir aufmunternd auf die Schulter.

Ich lächele leicht.

„Ist Marius gar nicht hier?“, fragt er überrascht und sieht sich jetzt erst um.

„Du kennst Marius?“, frage ich überrascht. Wieso überrascht es mich so sehr? Marius ist immerhin der Schulschwarm sämtlicher Mädchen, wieso sollte ihn hier jemand nicht kennen?

Torben zieht einen Schmollmund. „Natürlich, er ist immerhin mein Bruder!“



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