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Die Trauerweide

von

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Herbstmond

Herbstmond
 

Der kalte Wind drang durch das vergitterte Fenster, heulte leise und gequält auf, umhüllte den zitternden Körper mit seinen eisigen Fingern. Saugte die Wärme aus ihm heraus, ließ die Glieder erstarren.

Zusammen gekauert lag Ryan auf dem Stroh, ihre Zähne klapperten und ihre Finger begannen durch die Kälte langsam taub zu werden. Flach entstieg ihr Atem ihrer Kehle und bildete kleine weiße Wölkchen. Vorsichtig rieb sie ihre Hände gegen einander, um sich wenigstens den letzte Rest Wärme in ihrem Körper zu bewahren.

Ihre nasse Kleidung klebte an ihrem Körper. Bevor die Nacht über das Land herein gebrochen war, hatte ein Krieger sie mit kaltem Wasser übergossen. "Damit es dir nicht ganz so behaglich wird," hatte er gesagt und laut aufgelacht. Zorn kroch in ihr hoch, doch wofür all diese Mühe?

Es war vergeblich sich zuwehren, sie hatte gelernt, dass sie nichts tun konnte. Sie war dazu verdammt all diese Schikanen über sich ergehen zulassen. Widerstand war zwecklos geworden. Seufzend zog Ryan ihre Knie an ihren Oberkörper und schloss ihre müden Augen.

Wie lange war sie jetzt schon hier gefangen? Nur sporadisch nahm sie die Einflüsse der Welt war. Doch sie fühlte dass es immer kälter wurde. Der Herbst war angebrochen. Wochen mussten vergangen sein, doch Zeit spielte für sie keine Rolle mehr.

Jeder Tag zog sich endlos dahin, Stunden wurden zu Tagen und Tage wurden zu einer kleinen Ewigkeit. Ihr Körper hatte sich an die täglichen Qualen der Folter gewöhnt.

Ihr Geist wohnte diesen Prozeduren nicht mehr bei. Er trieb jedes Mal fort, versteckte sich tief in diesem letzten Stück ihres Körpers, das nur ihr gehörte. In welches die Wölfe noch nicht vordringen konnten. Auf ihrem Körper hatten sich neue Narben gebildet, weitere Erinnerungen die sie auf ewig mit sich tragen würde. Doch wie lange würde sie noch leben? Wie lange würde Katlar noch mit ihr spielen?

Ryan hasste dieses Gefühl, dass sie für ihn nichts weiter als ein Spielzeug war mit welchem er nach Belieben verfahren konnte wie er wollte. Nachdenklich starrte sie die kalten Steinmauern an. Dunkelheit umgab sie, doch in diesem Moment erschien ihr die Nacht als tröstlich. Trotz der Kälte welche ihren Körper lähmte, war die Nacht jedes Mal die einzige Zeit in welcher sie ruhen und nachdenken konnte. "Teleri," flüsterte sie leise. "Werden sie dich nun zufrieden lassen? Jetzt da sie mich haben?" Erneut stiegen Schuldgefühle und Scham in ihr auf, als sie an Teleri dachte. Ihre Gedanken kehrten zu der Nacht zurück, in welcher Teleri in ihren Armen gelegen hatte. Was hatte sie ihr nur angetan? Wie viel Schmerzen hatte sie ihr bereitet?

Es war ein Abschied in jener Nacht gewesen, ein schmerzlicher und endgültiger Abschied. "Nun bist du frei," hatte sie geflüstert, und Ryan war nicht entgangen wie lange Teleri geweint hatte, wie lange sie selbst geweint hatte. Fest presste sie ihre Lippen aufeinander. "Vergib mir," dachte sie bitter. "Vergib mir Teleri." Bilder tanzten in ihrem Kopf. Weit fort trieb ihr Geist, verlor sich in Erinnerungen. In Erinnerungen die schon so weit zurück lagen...

Vor sich erblickte sie plötzlich wie sie Teleri das erste Mal gesehen hatte, wie wunderschön sie in ihren Augen gewesen war. Wie lange es gedauert hatte bis sie bereit gewesen war sich Teleri zu öffnen. Auf ihren Lippen spürte sie ihren ersten Kuss. Ein kraftvolles Zittern ließ ihren Körper erbeben.

"Was habe ich nur getan?" fragte sie sich selbst, aber eine Antwort war nicht zu erwarten. Doch dann tauchte ein weiteres Bild in ihren Erinnerungen auf, und dieses schmerzte noch mehr. Ihr Herz begann schneller zu schlagen, und der Stein über ihrem Herzen erwärmte sich augenblicklich.

"Ayesha," flüsterte sie und ein kurzes Lächeln huschte über ihr Gesicht, erstarb jedoch so schnell wie es auch gekommen war. "Werde ich dich genauso verletzen wie Teleri? Wirst du durch mich ebenfalls in diesen Abgrund gerissen? Warum liebst du mich nur, und warum liebe ich dich nur so sehr. Warum?" Wütend ballte sie ihre Hände zu Fäusten.

"Du darfst mich nicht lieben, und ich darf es ebenfalls nicht, ich werde dich zerstören, zerstören wie ich jeden um mich herum bereits zerstört habe. Ich darf nicht, aber ich kann dich nicht vergessen...es geht nicht..."

Feine durchsichtige Perlen sammelten sich in ihren Augen, liefen ihre Wangen hinab und tropften auf ihre gefesselten Hände.

"Ich kann es nicht." wisperte Ryan und schüttelte leicht ihren Kopf. Warum musste dieses Mädchen auch diesen Ort tief in ihr berühren? Warum war ihr die Gefahr in welcher sie schwebte so gleichgültig?

"Mein wunderschönes Mädchen," dachte Ryan und Sehnsucht begann ihren Körper zu verbrennen. Diese Sehnsucht welche einen Körper nur befällt, wenn man sich sicher ist einen geliebten Menschen niemals wieder zu sehen. Wenn man sich nicht verabschieden konnte.

"Verzeih mir Ayesha," flüsterte Ryan leise. "Verzeih mir diese Liebe die dich vielleicht zerstören wird. Verdammt. Ich will dich wieder sehen, ich muss dich wieder sehen. Wartest du auf mich? Hörst du mich? Ich möchte dich doch nur noch ein letztes Mal sehen, deine Stimme hören, dich berühren.

Ayesha, gib mir ein Zeichen und ich werde kämpfen..."

Laut heulte der Wind auf, sein eisiger Atem ließ Ryan erschaudern, dennoch brannte ihr Körper vor Verlangen. Vorsichtig tastete sich ihre Hand an ihren Hals, zog den Anhänger hervor und betrachtete den kleinen Stein welcher zu leuchten begonnen hatte. "Gib mir ein Zeichen," sagte sie fest. "Ich weiß, du kannst es. Ich komme zurück, ich habe es dir versprochen. Ich komme zurück zu dir." Sacht führte sie den Stein an ihre Lippen, küsste seine Oberfläche und schloss ergeben ihre Augen. Wärme durchflutete ihre Adern, vertrieb die Schatten der Kälte. Unwillkürlich musste Ryan lächeln.

"Ich hatte nicht gedacht, dass du mir eines Tages nützlich sein könntest." Sanft strich sie über den weißen Stein, als wolle sie sich auf diese Art und Weise bei ihm bedanken. Silbernes Licht ergoss sich durch das vergitterte Fenster. Erst jetzt bemerkte Ryan diese Müdigkeit in ihren Gliedern, spürte wie ihr Geist sanft davon glitt.

"Ich komme zurück," flüsterte sie leise. "Ich schwöre dir Ayesha, ich werde zu dir zurückkommen, vergiss mich nicht..."

Ihre Augenlieder wurden ihr schwer, ihr Atem entwich ihrer Kehle regelmäßig. Auf sanften Schwingen wurde ihr Körper davon getragen. Sie träumte, ganz deutlich konnte sie es wahrnehmen. Ein See...Weiden standen dicht am Ufer, ihre langen Äste hingen bis auf die Wasseroberfläche hinab...Hütten...am Ufer des Sees saß eine Gestalt. Langsam hob sie ihren Arm, lächelte vor Glück.

"Ryan," klar hallte die wunderschöne Stimme Ayeshas in ihrem Traum wieder. "Ich warte auf dich. Hab Geduld, ich weiß wir sehen uns wieder. Ich werde auf dich warten..."
 

Dunkle Wolken verhüllten die Sonne und gaben der Welt einen düsteren Schimmer. Der kalte Herbstwind ließ die Regentropfen herum tanzen, tote Blätter lösten sich aus den Baumkronen und trieben im Wind dahin. Verschlossen hielt die Welt ihre Augen, machte sich bereit um in einen langen traumlosen Schlaf zu versinken.

Laut knackte das Kaminfeuer, die kleinen Flammen zuckten sacht hin und her und verbreiteten ihre Wärme wie eine tröstliche Umarmung. Jedoch vermochten sie es nicht den Mann zu berühren welcher an seinem Schreibtisch saß, und gedankenverloren auf einige Schriftstücke blickte. Nachdenklich zeichnete Katlar die geschriebenen Linien mit seinem Finger nach.

"Es ist doch immer wieder das gleiche," dachte er und lächelte missmutig. Seufzend führte er das erste Schriftstück vor seine Augen und begann zu lesen. Doch es war ihm nicht möglich sich wirklich auf diese Arbeit zu konzentrieren. Er wusste ohnehin um was es sich handelte.

Todesurteile, wie jeden Tag erreichten sie ihn in Scharren. Schon seit Jahren war es immer wieder das gleiche Spiel, und er war es langsam müde bei ihm mitzuspielen.

Kopf schüttelnd unterschrieb er das Pergament und lehnte sich dann in seinem Stuhl zurück. "Und schon ist ein weiteres Leben Geschichte," dachte er und blickte auf das eben unterzeichnete Schriftstück hinab. Man hätte annehmen können, dass es für ihn mit den Jahren zu einer Art Routine geworden wäre solche Schriftstücke zu unterzeichnen. Jedoch hatte er sich an diese Form der Tötung nie wirklich gewöhnen können. Dies hatte nichts mit dem Weg eines Kriegers zutun welchen ihn sein Vater gelehrt hatte.

"So schnell kann ein Leben erlischen, durch eine einfache Handbewegung verglüht es," sagte er und legte das Schriftstück beiseite.

"Zu einfach, viel zu einfach." Angewidert schweifte sein Blick hinauf zur Zimmerdecke, seine Gedanken wollten sich jetzt nicht mit solchen belanglosen Dingen beschäftigen. Sie hatten ein anderes Ziel vor Augen, ein weit größeres. "Warum wehrst du dich nicht," dachte er zornig.

"Alles erduldest du stillschweigend...wartest auf deinen Tod. Hast du dich schon damit abgefunden? Ich hatte mir wirklich mehr von dir erhofft Ryan. Was soll ich denn noch tun, damit du endlich zerbrochen vor mir auf den Knien liegst? Muss ich doch erst das Mädchen her bringen? Sie vor deinen Augen quälen? Ist es das was du willst? Willst du das auch sie leiden muss?" Wütend hieb Katlar mit der flachen Hand auf die Schreibfläche des Tisches und streckte seine Beine aus.

Wie seltsam konnte das Leben doch spielen? Er glaubte am Ziel gewesen zu sein, und dennoch verspürte er nicht die Art von Befriedigung welche er sich erhofft hatte. "Suchen nicht alle Menschen nach ihrer Erlösung?" fragte er sich selbst und schloss niedergeschlagen die Augen. "Haben wir beide nicht all die Jahre nach ihr gesucht Ryan? Hat jemals einer von uns sie gefunden? Werden wir sie jemals finden?"

Plötzlich fühlte er einen Luftzug auf seiner Haut, irritiert öffnete Katlar die Augen. "Habe ich nicht gesagt, dass ich nicht gestört werden möchte?" knurrte er bösartig und tief.

"Verzeih mir, ich wusste nicht dass diese Order auch für mich Geltung hat." Langsam wandte Katlar seinen Blick der geöffneten Tür zu, und fixierte den jungen Mann welcher in der Tür stand fest. "Du?" fragte er verwirrt. "Was willst du hier?"

"Welch eine nette Begrüßung," entgegnete der junge Mann und kam näher. Seine vom Regen durchweichten dunkelblonden Haare hingen im strähnig in die Stirn. "Ich konnte ja nicht ahnen, was für eine Freude mein Besuch für dich darstellt." Seufzend setzte sich Katlar auf, knurrte leise und versuchte den sarkastischen Unterton in der Stimme des Besuchers zu überhören. "Wie sollte man sich auch über deinen Besuch freuen Gerin?" fragte er und lächelte schief. "Jedes Mal wenn du erscheinst, bringst du schlechte Nachrichten mit dir."

Der junge Mann lachte leise und ließ sich dankbar auf einen Stuhl gleiten welcher vor dem Schreibtisch stand. Er streckte seine müden Glieder und erwiderte den Blick Katlars fest und sicher. "Findest du nicht, dass du mit dieser Aussage einwenig übertreibst mein Lieber?" Angewidert verzog Katlar sein Gesicht und schüttelte nachdenklich seinen Kopf.

"Nein, ich glaube kaum das ich übertreibe Bruder. Wenn die Schoßhunde des hohen Rates zu einem Besuch anrücken, haben sie immer schlechte Nachrichten bei sich."

Bei diesen Worten verschwand der fröhliche Ausdruck in den Augen Gerins augenblicklich. Seine Miene begann sich zu verschließen und er faltete nachdenklich seine Hände.

"Ich bin kein Schoßhund des hohen Rates," erwiderte er und Zorn schwang in seiner Stimme mit. "Aber natürlich bist du das nicht," stichelte Katlar weiter. Er kannte den wunden Punkt bei seinem Bruder. Er hatte schon immer diese Punkte in den Menschen ausmachen und sie für sich nutzen können. Jedoch ging sein Bruder zu seiner eigenen Überraschung nicht auf dieses Spiel ein. Er lehnte sich leicht in seinem Stuhl zurück und lächelte Katlar überlegen an."Du hast es also immer noch nicht verkraftet, oder Katlar? Noch immer bist du wütend auf mich."

"Ich bin nicht wütend," entgegnete dieser und strich sich einige Haarsträhnen aus der Stirn. "Aber natürlich bist du das. Du hast es dir selbst zu zuschreiben. Wir wissen doch beide, dass du es noch immer nicht verkraftet hast das ich an deiner Stelle den Posten des Beraters und Botschafters bekommen habe und nicht du."

Wütend funkelte Katlar seinen jüngeren Bruder an. Seine Lippen waren fest aufeinander gepresste, und er kämpfte sichtlich um seine Beherrschung. "So jung, und schon so anmaßend," flüsterte er und seine Augen glühten gefährlich auf. "Mit dieser Einstellung kommst du nicht weit Gerin."

"Ich bin schon weiter gekommen, als du je kommen wirst," erwiderte der jüngere und seine dunkelblauen Augen blickten seinen Bruder überlegen an.

Schweigend saßen sich beide Männer gegenüber, ihre Augen waren in einen festen Blick verflochten, und es schien, als wollte keiner der erste sein welcher den Blick senkte. Die Anspannung welche über ihnen lag war schon fast mit den Fingern zu greifen.

Abrupt erhob sich Gerin, ging auf das prasselnde Kaminfeuer zu und streckte seine eiskalten Finger den Flammen entgegen. Langsam kehrten Gefühle in seine tauben Glieder zurück und er lächelte schief. "Eigentlich bin ich gekommen um dich zu warnen, aber wenn du es nicht hören willst kann ich auch gerne wieder abreisen." "Vor was will mich ein Welpe wie du schon warnen?"

Argwöhnisch hob Katlar eine Augenbraue an und musterte seinen Bruder lange. Gerin hatte sich verändert, die Zeit war natürlich auch an ihm nicht spurlos vorbei gegangen. Doch es erschien Katlar als wäre er innerlich stärker und reifer geworden. Erst jetzt wurde ihm bewusst wie lange er seinen jüngeren Bruder nicht mehr gesehen hatte. Jeder von ihnen hatte seinen Weg gewählt, und dieser war bis jetzt in unterschiedlichen Richtungen verlaufen, es hatte keine Berührungspunkte zwischen ihnen gegeben. Jeder von ihnen lebte in einer anderen Welt.

Er kannte seinen Bruder nicht mehr, er hatte nichts mehr von diesem kleinen Jungen welchen er damals zurück gelassen hatte. Nun würde Katlar bewusst, dass er Gerin wohl nie wirklich gekannt hatte. Dieser Mann war ein Fremder für ihn und als solchen würde er ihn auch behandeln. "Also Kleiner," sagte er und stützte seine Ellenbogen auf der Tischplatte ab.

"Was hast du mir zu sagen?"

"Ich will dich warnen Bruder," erklärte Gerin und drehte sich schwungvoll zu ihm um. "Einigen gefällt es ganz und gar nicht, dass du deine Pflichten vernachlässigst und deine eigenen Interessen verstärkt in den Vordergrund stellst."

"Wenn du ihnen schon nach dem Mund redest, so haben sie dir wenigstens beigebracht sich gewählt auszudrücken." Katlar lächelte bei diesen Worten böse und legte dann seinen Kopf schief.

"Du musst ein Narr wenn du glaubst, dass du mich durch diese Nachricht einschüchtern könntest Gerin. Ich fürchte mich schon lange nicht mehr vor dem hohen Rat."

"Ich hatte doch wirklich vergessen wie eigensinnig du sein kannst Katlar," seufzte Gerin und wandte seinen Blick wieder dem Kaminfeuer zu. Er spürte den Blick seines Bruders auf seinem Rücken, er konnte sogar fast sein böses Grinsen vor sich sehen. Fest stemmte Gerin seine Handflächen gegen die kalte Steinwand und schloss seine Augen. Innerlich brauste ihn ihm ein Sturm aus Emotionen. Wie konnte sein Bruder so gelassen sein? Er war doch der einzige der wissen sollte, was diese Botschaft für ihn bedeutete. "Gerin," kurz zuckte der junge Mann bei der Erwähnung seines Namens zusammen.

"Bist du gekommen um mich zu töten?" Leise knackte das Feuer auf, Holz brach zusammen und Funken stoben aus der kleinen runden Öffnung, verglühten so schnell wie ein Herzschlag.

"Nein, noch nicht," flüsterte Gerin, doch sein Blick blieb starr auf das Feuer gerichtet. "Würde es ein Schoßhund des hohen Rates nicht sofort tun?" fragte Katlar und sah abschätzend zu seinem Bruder hinüber. "Selbst wenn es der eigene Bruder ist," fügte er nach einer kurzen Pause hinzu. Nervös blies Gerin die Luft aus seinen Lungen, ihm schwindelte und er krallte seine Fingernägel in die Ritzen der Steinwand. "Ich würde es nicht tun," sagte er, doch seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Genüsslich lehnte sich Katlar in seinem Stuhl zurück und blickte belustigt den jungen Mann vor sich an welcher sichtlich um seine Fassung kämpfte.

"Dummer Welpe," dachte Katlar und schüttelte missbilligend seinen Kopf. "Ich würde es tun...ohne zu zögern. Ich würde es sofort tun." Nachdenklich blickte Katlar seinen Bruder an, sein Gesicht schmückte ein gefährliches Lächeln.

"Ich wollte dich wirklich nur warnen Katlar," sagte Gerin und wandte ihm sein Gesicht wieder zu. "Hör auf mit deiner Suche nach diesem Mädchen, es bringt dir nichts. Ich bin über alles unterrichtet was du in den letzten Wochen so getrieben hast. Und ich muss sagen, es gefällt auch mir nicht. Du solltest wirklich..."

"Ich habe sie," unterbrach Katlar den Redefluss Gerins. "Du hast wen?" fragte Gerin sichtlich irritiert und setzte sich wieder auf seinen Stuhl. "Ich habe die Mörderin meiner Frau und meines Sohnes."

Geschockt betrachtete Gerin seinen Bruder, seine Augen weiteten sich und er ballte seine Hände unter der Tischplatte zu Fäusten. "Du hast sie? Warum ist sie dann noch am Leben?" fragte er und man konnte ihm seine Verwirrung deutlich ansehen.

"Warum?" erwiderte Katlar und ließ seinen Blick unstet durch den Raum schweifen. "Weil ich ein Tier bin, wusstest du das noch nicht Gerin? Ich bin ein Tier, und als solches spiele ich noch gerne etwas mit meiner Beute bevor ich sie töte. Außerdem ist hier weder der richtige Ort noch der richtige Zeitpunkt um sie zu töten."

"So kenne ich dich ja gar nicht Katlar," meinte Gerin kalt. "Seit wann wartest du auf den richtigen Zeitpunkt um zu töten?"

"Daran sieht man doch wieder, dass wir uns nicht kennen Kleiner. Ich warte immer auf den richtigen Zeitpunkt, meine Rache soll perfekt sein. Aber ich erwarte nicht das du es verstehst." Katlar verstummte und spielte nachdenklich mit seinen Fingern. Was wusste dieser unerfahrene Junge schon von Rache oder seinem Schmerz? Er wusste nichts davon und er hatte nicht vor es ihm zu erklären.

"Und was hast du statt dessen vor?" Katlar seufzte leise und sein Blick fixierte Gerin so fest, dass ein kurzer Schauder durch den Körper seines Gegenübers huschte. "Ich will sie nach Kalmas bringen. Ich will, dass ihr Blut über die Gräber meiner Frau und meines Sohnes fließt. Ich will das sie endlich Frieden finden, ich will sie dort töten wo für uns alles begonnen hat." Ein bitteres Lächeln verzehrte Katlars Gesichtszüge und zum ersten Mal glaubte Gerin Gefühle in den Augen seines Bruders zu erblicken. Ein unendlicher Schmerz spiegelte sich in seinen Augen wieder. Schmerz und Hass.

"Ihre Leben sind untrennbar mit einander verwoben," dachte Gerin und blickte seinen Bruder mitfühlend an. "Für alle Zeiten, selbst wenn er sie tötet so wird er niemals Frieden finden...niemals."

"Ich möchte dich um etwas bitten Gerin," sagte Katlar plötzlich und seine tiefe Stimme riss Gerin in die Realität zurück. "Um was möchtest du mich bitten Bruder?" fragte er auch wenn ihm der Tonfall in der Stimme seines Bruder nicht sonderlich gefiel. "Ich möchte dich bitten für einige Tage ein Auge auf all das hier zu haben. Ich habe wohl etwas mit dem hohen Rat zu besprechen." Er lachte leise auf. "Was willst du mit dem hohen Rat besprechen?" harkte Gerin nach und seine Augen verengten sich. "Ich möchte sie bitten mir einige Mittel zu bewilligen und mir völlig freie Hand dabei zu lassen. Was ich plane muss in den nächsten Wochen anlaufen, sonst hat das alles keinen Zweck."

"Was heckst du da schon wieder aus Katlar? Mir gefällt dein Blick nicht." Katlar lachte ein weiteres mal, beugte sich vor und flüsterte leise: "Ich will das sie mir Mittel bewilligen um in den Katzenstein einzudringen. Dort lebt jemand den ich noch für meine Rache brauche...ich muss sie herholen, erst dann ist alles perfekt."

"Bist du wahnsinnig geworden," rief Gerin aus und packte seinen Bruder am Kragen. "Sie werden dir das niemals bewilligen. Der Katzenstein ist eine geschützte Region. Die Region welche am Ressourcen reichsten ist, ein Angriff selbst wenn er noch so klein ist werden sie nicht dulden." Zornig schlug Katlar die Hand weg welche ihn festhielt und funkelte seinen Bruder an. "Wage es nicht noch einmal mich anzufassen," zischte er kalt.

"Lass das alles meine Sorgen sein. Alles worum ich dich gebeten habe ist ein Auge auf meine Region zu haben, und den Transport des Mädchens in die Wege zu leiten. Hast du verstanden? In drei Tagen soll sie nach Kalmas gebracht werden, mehr sollst du nicht tun."

"Lauf doch in dein Verderben, ich werde dich nicht aufhalten," sagte Gerin und erhob sich schnell. Seine Hand umschloss den Knauf der Tür, öffnete sie, doch bevor er verschwinden wollte hörte er die Stimme seines Bruders hinter sich. "Ich rate dir eines Gerin," sagte Katlar und seine Stimme war zu einem gefährlichen Flüstern gesunken. "Wenn ich erfolg haben sollte, entscheide dich auf welcher Seite du dann stehst...und ich gebe dir noch einen Rat, wähle gut Kleiner...wähle gut..."
 

Dunkelrote Tropfen fielen zu Boden, wurden gierig von dem ausgetrockneten Stroh aufgesogen und ließen die ehemals gelblichen Fasern in einer rötlichen Farbe erstrahlen. Heiß glitt die Flüssigkeit an Ryans Rücken hinab, jede Stelle welche sie streifte begann wie Feuer zu brennen. Verzweifelt kämpfte Ryan darum ihren Schmerz nicht laut hinaus zu schreien. Fest biss sie sich auf ihre Unterlippe. Ein lautes zischendes Geräusch durchzuckte die Stille welche in ihrem Gefängnis herrschte, und sie zuckte unter dem erneuten Schmerz zusammen.

Sie spürte wie ihre Knie langsam nachgaben, doch sie wurden von den schweren Eisenketten in ihrer Position gehalten, ebenso wie ihre Hände. Ihr Bewusstsein trieb in einer schwerelosen Dunkelheit...sie hörte wie der Mann laut auflachte. Es bereitete ihm wie jeden Tag Freude sie zu quälen und sie leiden zu sehen.

"Lange halte ich das nicht mehr durch," dachte Ryan und biss sich noch fester auf ihre Unterlippe, als sie ein weiterer Schlag auf ihrem Rücken traf. Ihre Knie zitterten und brachen dann unter der Wucht der Schläge zusammen. Wie eine leblose Puppe hing sie in ihren Ketten, keuchte laut und unregelmäßig auf.

"Na, hast du für heute genug?" fragte der Mann und sie hörte wie er leise näher kam. Seine Stiefel brachten das Stroh zum rascheln und das schleifende Geräusch der Peitsche folgte seinen Bewegungen.

Angewidert schloss Ryan ihre Augen, als sie seine harten Finger auf ihrem entblößten Rücken fühlte wie er ihr Blut verschmierte. Sie hörte wie er leise keuchte und Übelkeit stieg in ihr auf.

"Wer hätte gedacht, dass sich unter all diesem Schmutz doch eine schöne Frau verborgen hält," flüsterte er ihr ins Ohr. "Zu schade das Katlar uns nicht erlaubt hat noch mehr mit dir zu spielen, aber,er ist nicht da und wir sind ganz alleine..." Grob glitten seine Hände über Ryans Rücken, sie hielt ihren Atem an, spannte ihren Körper.

"Lass deine dreckigen Pfoten von mir," zischte sie und versuchte die Hände abzuschütteln, die Ketten klirrten leise. "Mädchen," raunte er und ließ eine seiner Hände über ihren Bauch gleiten. "Du kannst dich schlecht wehren, und so dreckig sind meine Hände gar nicht, dass wirst du schon noch merken."

Ein starkes Zittern befiel Ryans Glieder, und sie verzog angewidert ihr Gesicht, als sie seine Lippen in ihrem Nacken fühlte. Diese Übelkeit welche sich in ihr eingestellt hatte verwandelte sich in Wut. "Nicht das auch noch," dachte sie und versuchte diese Berührungen auf ihrer Haut so gut es ging zu verdrängen.

"Bitte...nicht...nicht." Die harten Hände des Mannes griffen zu, und ein erstickter Schrei drang aus ihrer Kehle. Wütend zerrte sie an ihren Ketten, doch plötzlich löste sich sein Griff und ein dumpfer Schlag war zu vernehmen.

"Wage es nicht noch einmal sie anzufassen verstanden," hörte sei eine fremde Stimme sagen. Zornig war sie, doch Ryan wusste das sich dieser Zorn nicht gegen sie richtete. "Jawohl zu Befehl," stotterte der Mann und erhob sich wieder.

Wütend funkelte Gerin den Mann an und trat auf ihn zu. "Wenn du so etwas noch einmal tust, werde ich Katlar davon unterrichten, und dann wirst du selbst bei den Göttern keine Gnade finden." Ängstlich zuckte der Mann zusammen und nickte stumm. "Mach sie los," zischte Gerin, doch der Mann vor ihm bewegte sich nicht. "Sofort," schrie er und sein Gegenüber eilte mit hastigen Schritten an ihm vorbei.

Befreit seufzte Ryan auf, als sie spürte wie sich ihre Fesseln lösten. Kraftlos sank sie auf den Boden und blieb dort liegen, atmete ruhig durch und das Zittern in ihren Gliedern verschwand langsam. Vorsichtig drehte sie ihren Kopf und musterte den fremden Mann. Er schien einige Jahre älter als sie zu sein. Seine dunkelblauen Augen blickten kurz zu ihr hinüber, dann wandte er sich wieder dem Mann zu. "Und jetzt mein Guter," sagte er und zog den Mann nahe zu sich heran. "Verschwinde ganz schnell, lass uns alleine."

"Aber mein Komandant hat gesagt, dass ich..."

"Was Katlar gesagt hat, ist mir so etwas von gleichgültig," erwiderte Gerin und bedachte den Mann vor sich mit einem letzten zornigen Blick. Wie jämmerlich diese Gestalt vor ihm doch war. Ein Nichts, eine willenlose Kreatur seines Bruders. "Und mich nennt er einen Schoßhund," dachte Gerin und schüttelte leicht seinen Kopf.

"Ich frage mich, was dieser Kerl dann für Katlar darstellt." Schritt um Schritt wich der Mann vor ihm zurück, sein Blick schweifte noch einmal zu der jungen Frau hinüber welche am Boden lag. "Wage es ja nicht noch einmal sie anzufassen. Es wäre das letzte was du tun würdest." Aus seinen Augenwinkeln beobachtete Gerin wie sich die Hand des Mannes um den Knauf der Peitsche schloss, doch er löste diesen Griff sofort wieder.

"Wie ihr befehlt," sagte er, wich einige weitere Schritte zurück und verschwand dann hinter der schweren Tür. Nervös seufzte Gerin auf, mit was für Menschen hatte er es hier nur zutun? Noch nie in seinem Leben hatte er solch primitive Kreaturen zu Gesicht bekommen.

Ein schwaches Keuchen drang an seine Ohren, und er wandte seinen Blick wieder der jungen Frau zu die immer noch am Boden lag. Scharf sog Gerin die Luft ein, als er seinen Blick über ihren Körper schweifen ließ. Tiefe Wunden überzogen ihren Rücken, Blut floss immer noch in feinen Linien ihre Haut hinab.

"Ja, du bist wirklich ein Tier Bruder...ein gefährliches Tier," dachte Gerin bitter und ging auf die junge Frau zu. Er sah wie sie kurz ihren Kopf hob, stolz blickte sie ihn an, unbeugsam. Ihre Augen, er kannte sie...

"Du bist also die Person welche mein Bruder schon so lange jagt?" fragte er und konnte sich ein schiefes Lächeln nicht verkneifen. Vorsichtig wanderten seine Hände zu dem Verschluss seines Umhangs, augenblicklich wich die Frau vor ihm zurück. Ruhig löste Gerin die Harken, nahm seinen Umhang von seinen Schultern und hielt ihn der Frau auffordernd entgegen.

"Hier, nimm ihn ruhig. Erstens wird er dich wärmen und zweitens, ich glaube du möchtest dich wohl lieber bedecken so lange ich hier bin." Wie ein verschrecktes Tier kam die junge Frau vorsichtig und mit bedachten Schritten auf ihn zu. Feine Schweißperlen sammelten sich auf Gerins Stirn. Es erschien ihm in diesem Moment, als würde er versuchen ein wildes Tier anzulocken ohne sich der Gefahr auszusetzen womöglich gebissen zu werden.

Gebannt starrte er in die Augen der jungen Frau. Diese Augen...sie waren ihm so vertraut, doch woher kannte er sie nur? Mit einer schnellen Handbewegung riss ihm die Frau den Umhang aus seinen Händen, schlang ihn um sich und zog sich wieder in eine Ecke des Raumes zurück. Gerin lächelte schief, blieb jedoch dort stehen wo er sich befand.

"Ich schätze, jetzt ist es für uns beide angenehmer," meinte er und verschränkte seine Arme vor der Brust. Argwöhnisch verfolgte die junge Frau jede seiner Bewegungen.

"Wer seid ihr?" fragte sie, und schien immer noch nach den Gründen für seine Freundlichkeit zu suchen. "Ist das so wichtig?" gab Gerin die Frage zurück. "Ich weiß wer du bist, und das ist alles was ich wissen muss.

Doch ich will es dir gerne sagen. Ich bin Katlars Stellvertreter solange er nicht hier ist. Wäre deine Frage damit beantwortet?" Kraftlos sank die junge Frau auf den mit Stroh bedeckten Boden nieder, und schlang den Mantel noch fester um ihren Oberkörper.

"Mehr oder weniger," meinte sie und schloss für einen kurzen Moment ihre Augen. "Ihr kennt mich also. Welch eine Ehre das ich schon so bekannt bin." Gerin lachte leise und nickte sacht. "Ja, du bist unter uns fast so etwas wie eine Berühmtheit. Jeder Krieger in diesem Land war hinter deinem Kopf her. Katlar war bereit einen wirklich hohen Preis für diesen zu zahlen Ryan."

"Meinen Namen kennt ihr also auch schon? Ihr scheint über alles sehr gut informiert zu sein."

Ryans Augen verengten sich und musterten den Mann vor sich genau. Seine Kleidung war eher schlicht, und sie konnte keine Insignien feststellen welche seinen Rang bezeichneten. Nicht mal eine Waffe trug er bei sich. Noch kein Krieger war in ihrem Gefängnis unbewaffnet erschienen.

"Ihr tragt keine Waffen bei euch," teilte sie ihm ihre Feststellung mit und in Ryans Augen blitzte es gefährlich auf. "Wenn du mit dem Gedanken spielst mich anzugreifen, würde ich das an deiner Stelle lieber sein lassen. Du kämst nicht weit," erwiderte Gerin und lehnte sich gegen die Steinmauer.

"Das habe ich nicht vor, ihr habt mir geholfen. Warum sollte ich euch angreifen?"

"Warum nicht?" entgegnete Gerin ruhig. "Ihr seit schlagfertig, dass muss ich euch lassen." Ein schneidender Schmerz durchfuhr Ryans Körper und sie sog scharf die Luft in ihre Lungen. Die Wunden an ihrem Rücken brannten, und noch immer sickerte Blut in den Stoff des Mantels.

Ihr Körper war müde, ihre Glieder schmerzten von der Stundenlangen Haltung in welcher man sie angekettet hatte. Erschöpft lehnte sie ihren Kopf gegen die kühle Steinmauer, und starrte hinauf zur Decke ihres Gefängnisses. "So etwas wie eben wird dir nicht noch einmal widerfahren," hörte sie den Unbekannten sagen. "Ich verspreche es dir, niemand wird mehr Hand an dich legen." Ryan verzog ihr Gesicht und atmete tief durch.

"Warum? Was habt ihr stattdessen mit mir vor?" Ein kaltes Lachen drang an ihre Ohren, und Ryan wandte dem Unbekannten wieder ihren Blick zu. "Ich kann dir wohl nichts vor machen," meinte er und kam einige Schritte auf sie zu, blieb jedoch dicht vor ihr stehen. "Morgen wirst du nach Kalmas gebracht. Ein Trupp Männer wird mit dir reisen, Katlar hat es angeordnet. Er will, dass du nach Kalmas gebracht wirst. Dort will er dich töten." "So, will er das?" Ryan schüttelte sacht ihren Kopf, jedoch blieb ihre Miene so unbewegt wie zuvor. "Ich wusste gar nicht, dass Katlar einen Hang zu tiefsinnigen Taten hat."

"Ich persönlich sehe im Töten keine tiefsinnige Tat," erwiderte der Mann und plötzlich veränderte sich sein Gesichtsausdruck. Eine Ryan unbekannte Traurigkeit erschien in seinen Augen, er neigte seinen Kopf leicht zu Boden und seufzte leise. "So sieht dann wohl mein Schicksal aus. Wer hätte das gedacht?" meinte Ryan und zog ihre Knie fest an ihren Oberkörper. "Darf ich euch etwas fragen?"

"Natürlich, sprich nur. Was ist deine Frage Ryan?" Ryan schluckte hart, es kostete sie viel Überfindung diese Frage zustellen, doch es war wichtig. Nicht nur für sie. "Was geschieht mit der jungen Frau die auch hier gefangen ist?" Nachdenklich legte Gerin seine Stirn in Falten. "Die kleine Avatra (*)? Ich schätze mal, sie wird sterben. Katlar scheint für sie keine Verwendung mehr zu haben."

"Nein," schrie Ryan und warf sich dem Mann vor die Füße. "Das dürft ihr nicht, sie hat mit der ganzen Sache nichts zutun. Sie darf nicht für meine Vergehen bestraft werden, sie hat schon genug gelitten. Bitte, lasst sie gehen...ich bitte euch. Bitte, tut Teleri nichts an, bitte."

Erschrocken betrachtete Gerin diese neue Situation, so stolz ihm diese Frau erschienen war, so verletzlich war sie jetzt geworden. Mitfühlend blickte er auf sie hinab. "Diese Frau muss ihr sehr viel bedeuten, wenn sie sogar ihre Stolz für sie aufgibt," dachte er. Gerins Miene war ausdruckslos, doch in seinen Augen keimte die Erkenntnis auf.

Langsam kniete sich Gerin zu Ryan hinab, umfasste ihre Schultern und zwang sie ihm in seine Augen zusehen. "Wer ist sie?" fragte er verwirrt, und bemerkte erst jetzt die Tränen welche über die Wangen Ryans glitten. "Warum demütigst du dich so für sie?"

"Ich bitte euch," schluchzte Ryan. "Sie darf nicht sterben. Sie war...sie ist eine sehr gute Freundin von mir."

"Eine sehr gute Freundin?" harkte Gerin nach und blickte ihr in ihre Augen. Dort erkannte er, dass sie log.

"Ich verstehe, aber warum ist sie dann hier wenn sie mit dieser ganzen Angelegenheit nichts zutun hat?" Ryans Gesicht verfinsterte sich augenblicklich.

"Weil euer hochwohlgeborener Herr und Meister mich quälen wollte. Er wollte mich leiden sehen, er wollte uns beide leiden sehen, uns zerstören," spie Ryan verächtlich aus und Hass sammelte sich in ihren Augen. Sacht nahm Gerin Ryans Kinn zwischen seine Finger und hob es an. Forschte in ihren Augen, sie sprach die Wahrheit...

"Oh Katlar," dachte Gerin und Scham stieg in ihm auf. "Was spielst du nur mit diesen Menschen für ein grausames Spiel?" Stumm starrten sich beide an. Jeder suchte in den Augen des anderen nach Antworten oder Anzeichen, doch ihre beiden Augen waren leer, ausdruckslos, da sie bereits zuviel gesehen hatten.

"Ich versichere dir," sagte Gerin plötzlich und sein Blick nahm einen eigenartigen Ausdruck an. "Ihr wird nichts geschehen, sie wird frei sein. Ich schwöre es dir, deiner Freundin wird nichts geschehen. Aber für dich kann ich leider nichts tun..."

"Warum tut ihr das alles? Warum?" fragte Ryan, die immer noch nicht wusste wie sie diese neuen Wendungen einordnen sollten. "Ich glaube," sagte Gerin und lächelte sie an. "Es ist einiges wieder gut zu machen, einige Fehler zu korrigieren. Und glaub mir, ich werde sie korrigieren." Abrupt erhob er sich und wandte sich zum gehen. "Ryan, es tut mir leid das ich für dich nichts tun kann. Es tut mir wirklich leid," sagte er und verschwand so schnell wie er gekommen war.

Verwirrt blieb Ryan zurück. Wer war das gewesen? Ein Freund oder ein Feind? Sie wusste es nicht, doch sie hatte keinen Anlass an seinen Worten zu zweifeln. Erschöpft ließ sie ihren Kopf in ihre verschränkten Arme gleiten.

"Teleri," dachte sie und lächelte leicht. "Du wirst frei sein, dein Leiden wird ein ende finden. Endlich findet es ein ende...wenigstens konnte ich etwas wieder gut machen. Wenigstens etwas..."

Doch für sie gab es kein Entkommen mehr. Sie würde fortgebracht werden, in eine Stadt welche sie schon vor Jahren den Rücken gekehrt hatte. Sie wusste warum Katlar diesen Ort gewählt hatte. Es sollte dort enden, wo es auch seinen Anfang genommen hatte. Es war eine lange Reise bis Kalmas, teilweise führte diese Route durch unwegsames Gelände.

Dichter Wald, sie würden in ihr Gebiet zurückkehren, in ihre Heimat. Nachdenklich wiegte Ryan ihren Kopf hin und her. Morgen würden sie aufbrechen...

"Meine einzige Chance," dachte sie und ihre Finger verflochten sich ineinander.

"Meine einzige Chance zu fliehen...ist das dein Zeichen? Ayesha? Ist es das?" Ihr Herz begann schneller zu schlagen, ihr Blut rauschte durch ihre Adern wie ein Ozean. Um Ryans Mundwinkel zuckte es leicht, sie lächelte.

"Ich werde kämpfen, ich schwöre es dir. Ich werde diese Gelegenheit nicht an mir vorbei ziehen lassen. Ich werde es versuchen. Hörst du mich? Ayesha. Bald, ich komme zurück. Ich schwöre es bei meinem Blut. Bald werden wir uns wieder sehen..."
 

(*) Avatra ist die feine Umschreibung für eine verdorbene Frau. Ein leichtes Mädchen ohne Lebensberechtigung. In Barolon ist dieser Ausdruck weit verbreitet.
 

Nachwort:

Und wieder ein Kapitel fertig abgetippt. Ich weiß ja nicht, aber irgendwie gefällt es mir nicht so wirklich, aber das zu entscheiden überlasse ich lieber euch.

Eine neue Person ist also dazu gekommen. Was haltet ihr so von Katlars Bruder Gerin? Als ich mir diesen Charakter ausgedacht hatte, wollte ich so eine Art Gegenstück zu Katlar schaffen. Aber täuscht euch nicht, auch Gerin wandert immer zwischen Schwarz und Weiß hin und her. Er wird für den Verlauf der Geschichte noch eine wichtige Rolle spielen...aber da müsst ihr euch noch etwas gedulden.

Ich bedanke mich wieder bei allen die dieses Kapitel gelesen haben. Grüße an dieser Stelle wieder Igel, Mondscheinelfe und meine Schwester. Dann sage ich auf zum nächsten Kapitel. Es gibt bald eine große Überraschung

Adios seen



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2003-10-09T05:17:02+00:00 09.10.2003 07:17
Hi,
bin grad vor spannung fast vom stuhl gefallen, hab irgentwie noch damit gerechnet das Gerin und Ryan sich kennen *gg* war wohl falsch gedacht , auch egal , aber ich finds gut das man auch so viel über Katlar erfährt...so das er nich wie in den meisten geschichten das ultimative böse ist , ok er is schob "böse" aber nicht aus heiterem himmel und ich muß sagen das ich das total fesselnt finde . Ach ja und bevor ich es vergesse, is Teleri jetzt einfach frei oder kommt sie nochmal vor ? naja muß mich wohl gedulden *gg*
bis bald un danke für die Grüße
*knuddelzlieb*
melfe
Von:  Igel242002
2003-10-08T18:16:56+00:00 08.10.2003 20:16
Hey, und danke für die Grüße!

Mir gefällt das Kapitel sehr gut.
Gerin und die Infos über die Hierachie der Ogronier bereichern (meiner Meinung nach) die Geschichte. Gerin, da er ein vielschichtiger Charakter zu sein scheint; und die Infos, weil man dadurch ein komlexers Bild von den Ogroniern als Volk bekommt. Sie sind eben auch eine Kulturschaffende Nation und nicht bloß 'die Barbaren', auch wenn sie den überfallenen Ländern natürlich so erscheinen. Aber genau das ist einer der Gründe deretwegen ich deine Geschichte so gut finde, sie ist nicht einfach schwarz/weiß.

Ich warte gespannt darauf, was im nächsten Teil passiert und was das für eine Überraschung ist.

Bis dann
Chris


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