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Wechselbalg

Farfarello x Schuldig
von

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Kehrseite der Klinge

Der Tod ist ein Geschäft, das sich immer lohnt.

Wenn man jemanden per Auftrag tötete, war es geradezu der Gipfel des Hohns, seine Taten vor sich selbst oder anderen zu rechtfertigen. Ein Zeichen von Schwäche und schlechtem Gewissen, wenn man sich gut zuredete, jene Opfer hätten ihren Tod verdient und die Welt sei ohne sie ein besserer Ort. Nach Schuldigs Meinung hatte jeder den Tod verdient. Oder zumindest keiner mehr oder weniger als ein anderer. Mord war Mord, nichts weiter, und kein Mord konnte die Welt irgendwie besser machen.

Hatte man sich den Tod zum Geschäft gemacht, bestand der einzig ehrbare Lohn dafür aus einer ordentlichen Summe auf einem Gehaltsscheck.

Daneben konnte man außerdem noch ein bisschen Spaß haben. Manchmal brauchte Schuldig diesen Nervenkitzel und die Macht der eigenen Überlegenheit. Doch die Tage, in denen Schwarz die Früchte ihrer Arbeit genießen konnten, waren ihm gleichfalls recht.

Bei Farfarello war das anders. Zuerst scheute er sich stets davor, die Zwangsjacke abgenommen zu bekommen. Selten wollte er auf sie verzichten. Sobald er sie nicht auf seiner Haut fühlte, ersetzte er ihren weißen, festen Stoff meist durch etwas, das er genauso liebte und brauchte: die Klinge eines Messers.
 

Das schwache Fleisch musste gezüchtigt werden. Es fand sein Refugium in jeder einzelnen Blutbahn, die sanft über die blassen Ebenen der Haut floss.

„Warum hast du ihm das Messer nicht abgenommen?“ Schuldig machte einen genervten Eindruck, als er Nagi anklagend taxierte und Farfarello das Mordinstrument entriss, mit dem sich dieser eine klaffende Wunde am Oberarm zugefügt hatte. Der Ire musterte verwundert seine leere Hand, als könne er nicht begreifen, weshalb das Gewicht darin plötzlich verschwunden war.

„Bin ich sein Kindermädchen?“, warf Nagi überheblich zurück, wandte sich ab und verließ trotzig den Raum, ließ Schuldig mit Farfarello allein. Der Deutsche schickte ihm eine abwertende, von jenem nicht bemerkte Geste hinterher, anstatt seiner latenten Frustration durch telepathische Beleidigungen Luft zu machen. Wenn er sich mit dem jungen Hacker ein mentales Gefecht lieferte, würde er an diesem Abend vermutlich nicht mehr zur Ruhe kommen.

Er drehte sich zu Farfarello herum, der es irgendwie bewerkstelligte, ihn gleichzeitig böse und teilnahmslos anzustarren. Schuldig verzog seinen Mund zum gewohnten Grinsen.

„Wenn ich mir deine Neigungen so anschaue, dann ist Schwarz womöglich dein Schicksal“, stellte er in übertriebener Unbefangenheit seine Vermutung in den Raum. „Wo sonst könntest du existieren?“

Auf die Worte nicht achtend fixierte Farfarello das Messer in Schuldigs Hand, eines der Lieblingsstücke aus seiner Sammlung. Lediglich die schmale Linie am geschärften Rand war metallisch hell, dagegen war der Rest der Klinge angeraut und vollkommen schwarz, der Griffschutz leicht gebogen.

„Solche wie wir“, fuhr Schuldig fort, wobei er den Blick des Anderen genau registrierte, „können nicht normal in der Gesellschaft leben. Doch diese Welt braucht uns, um sich selbst am Leben zu erhalten.“

Während Schuldig zum Schrank ging, ihn aufschloss und einen Verbandskasten herausnahm, setzte sich Farfarello auf das Bett und richtete seine Aufmerksamkeit schweigend auf eine Ecke seines Zimmers, wo sich Wand und Boden im rechten Winkel trafen.

„Damit etwas Neues entstehen kann, muss etwas Altes zerstört werden.“ Schuldig legte das Messer auf die Bettdecke und ließ sich sorgsam zwischen dem Instrument und Farfarello nieder. „Wir vernichten und zerstören für den Fortbestand der Wirklichkeit.“

Er wollte soeben den Arm des Iren ergreifen, um ihn zu verarzten, als dieser sich ihm entzog. Dennoch sprach Farfarello kein Wort. Er dachte keinen Gedanken. Sein Gesicht blieb ausdruckslos.

„Was ist denn?“

Stirnrunzelnd suchte Schuldig nach einer Reaktion in der Mimik oder Gestik des anderen Attentäters. Irgendeine Reaktion, die ihm zur Antwort auf seine Frage gereichte. Die einzig wahrnehmbare Regung blieb allerdings ein leichtes, kaum sichtbares Zittern. Vertieft in diese ungewohnte Beobachtung erschrak Schuldig ein wenig, als Farfarello nach einer Weile doch noch die Lippen bewegte.

„Was du Schicksal nennst“, sprach er monoton und ohne eine Miene zu verziehen, „damit meinst du eigentlich...“

Das allerletzte Wort wollte er mit etwas begleiten, das unbeholfen an seinem Mundwinkel zerrte. Schuldig wusste nicht, was es war. Vielleicht ein Lächeln.

„Glück“, sprach Farfarello schließlich jenes allerletzte Wort aus, das sich leer und inhaltlos im Raum verlor, als habe es keinerlei Bedeutung.
 

„Werden ihn die Verletzungen behindern?“, fragte Brad Crawford kühl, den Blick desinteressiert auf die vor ihm liegenden Akten geheftet.

„Bisher ist es nicht weiter gefährlich und Schmerzen verspürt Farfarello ohnehin nicht“, antwortete Schuldig vage. „Vermutlich also nicht.“

„Mit Vermutungen können wir in unserem Geschäft nichts anfangen.“ Eine steile Falte grub sich in Crawfords Stirn, als er seine Brille absetzte, sich die Nasenwurzel massierte und Schuldig daraufhin mit den Augen durchdrang.

„Mehr als das kann ich nicht liefern“, verteidigte sich dieser bissig. „Wer ist denn dafür zuständig, unsere Zukunft abzusichern?“

Den peitschenden Laut, mit dem Crawfords flache Hand auf die Tischplatte knallte, registrierte Schuldig schneller als die eigentliche Bewegung. Ein untypisches Verhalten. Brad Crawford war normalerweise ein Mann, der stets die Ruhe bewahrte. Nun stand er mit aufgestemmten Armen vor seinem lederbespannten Bürostuhl und beugte sich über den massiven Schreibtisch hinweg nach vorn. Selten verströmte er eine derart schneidende Aura wie bei seinen folgenden Sätzen.

„Solange Farfarello uns keine Schwierigkeiten bereitet, kann er meinetwegen so viele unbeteiligte Personen abmetzeln, wie er will. Könnte ich sicher sein, dass es sich in Grenzen hält, dürfte er sich von mir aus auch selbst aufschneiden. Es wäre dennoch von Vorteil, wenn er sich nicht irgendwann sämtliche Extremitäten abtrennt. Und was deine Bemerkung anbelangt“, betonte Crawford pointiert jedes einzelne Wort, während er dazwischen eine aggressive Pause machte. „Derzeit gibt es zu viele Optionen für eine unfehlbare Berechnung. Du, Schuldig, bist unsere Absicherung, weil nur du Farfarellos Gedanken lesen kannst. Aber du wirst uns nicht helfen, indem du dich nur um seine äußere Befindlichkeit kümmerst. Geh tiefer! Unter die Oberfläche.“

„Wie soll ich das anstellen?“ Schuldig merkte, wie sein Kiefer zu schmerzen begann, je stärker seine zusammengebissenen Backenzähne übereinander schabten. Er hasste Autoritäten. Und er hasste es, ohne seine Kenntnis eine Verantwortung aufgebürdet zu bekommen, um die er nie gebeten hatte.

„Es gibt verschiedene Wege“, sagte Brad Crawford sachlich und setzte sich wieder. Plötzlich war sie zurück, seine allumfassende Beherrschung. „Du weißt, was ich meine.“

Schuldigs Miene und Tonfall verdunkelten sich. Ja, er wusste, was gemeint war, weil ihm die fremden Gedanken den nötigen Einblick gewährten.

„Warum sollte ich das tun?“

„Wofür wirst du denn bezahlt, Schuldig? Bestimmt nicht für deine weiße Weste. Du kannst ihn verstehen und kontrollieren.“

„Er kann nicht kontrolliert werden!“

„Doch, kann er.“ Crawford sprach gelassen, mit einer Stimme wie Sandpapier. „Sonst hätte ich ihn nicht in unser Team aufgenommen. Wenn du meine Befehle befolgst, wird immer alles unter Kontrolle sein. Verstanden?“

Der Telepath schwieg. Gleichzeitig öffnete und verschloss er seinen Geist, er suchte und floh vor den mentalen Schwingungen, die im Luftstrom flossen wie magnetische Wellen. Für Brad Crawford war Kontrolle der Fels in der Brandung. Für Außenstehende manifestierte sich darin eine Furcht vor den unentdeckten Bruchstellen im Stein.

„Verstanden, Schuldig?“

„Das war ja wohl mehr als deutlich“, antwortete Schuldig endlich. Ein bitteres Grinsen flog über sein Gesicht. Er wandte sich zum Gehen. Trocken gab ihm Crawford noch mit auf den Weg:

„Be cruel to be kind.“
 

Schuldig fühlte sich dreckig. Obwohl Crawford ihn nicht nah genug an sich herangelassen hatte, um den Grund dafür zu erfahren, war ihm jenes unterschwellige Gefühl sofort aufgefallen. Ein gefährliches Etwas, das sich ihr Anführer normalerweise nie erlaubte. Es war keine Emotion, die man wirklich als schlecht bezeichnen konnte, nicht wie Verzweiflung oder Tobsucht. Was Schuldig ungewollt erspürte, war die Kehrseite von Zufriedenheit. Und er kannte dieses kalte Unwohlsein, das wie ein Schweißfilm aus Angst die Haut bedeckte. Eine unbestimmte, ziellose Angst, die er für seinen Geschmack viel zu oft aus den unzähligen Köpfen all der sorgenschweren Menschen da draußen filterte, die sich auf den Pfaden ihres Lebens verirrten.

Crawford hatte Unrecht. Selbst wenn Schuldig Farfarellos Gedanken las, konnte er ihn weder verstehen noch kontrollieren. In dessen Kopf war keine Stimme der Vernunft zu hören, sondern das Schweigen des Wahnsinns. Dennoch wusste Schuldig, dass ihn diese Stille gleichermaßen belastete wie beruhigte.

Allein das blutrote Haar des Iren spiegelte die Farbe dessen wider, was unsichtbar an seinen Händen klebte.
 

„Wie viele von den scheiß Dingern hast du diesmal eingeworfen?”

Farfarello bewegte sich nur langsam, drehte sich auf dem kargen Bett zu Schuldig herum und starrte ihn böse an. Seine fensterlose Zelle war grell erleuchtet, kein Tageslicht erkennbar und trotzdem war es nach elf Uhr. Abends.

„Ich war müde“, sagte Farfarello.

„Wenn du müde bist, dann brauchst du die nicht.“ Schuldig deutete auf die Tablettendosen und Packungen neben dem Bett. Einige davon waren von der Spitze des Berges herunter gerutscht und verteilten sich um die Tischbeine. Sofern man davon sprechen konnte, handelte es sich zwar um verschreibungspflichtige Medikamente und Schuldig achtete darauf, seinem Teammitglied nie genügend davon auszuhändigen, als dass er sich damit hätte umbringen können, aber Farfarello neigte dazu, zumindest eine Kategorie seiner Tabletten nicht immer vorschriftsgemäß einzunehmen. Ein Arzneimittel aus der Gruppe der Butyrophenone, so hatte Schuldig es in der Packungsbeilage gelesen. Was auch immer das heißen mochte. Verlangte Farfarello wirklich nach Schlaf? Konnte es sein, dass seine Nerven unruhiger waren, als es den Anschein erweckte? Schwermütig atmete Schuldig ein.

„Was brauchst du denn?“, wollte er in Erfahrung bringen.

„Brauchen?“ Sofort fügte Farfarello seiner Frage eine weitere hinzu: „Einen Freund?“

Diese fragende Antwort oder antwortende Frage ließ Schuldig unmittelbar auflachen. Er wusste nicht, warum er lachte, und nicht, warum er traurig war.

„Einen Freund also.“ Erneut holte er tief Luft. „Bin ich denn dein Freund, wenn ich dir dein selbstverletzendes Verhalten gestatte oder wenn ich dich davon abhalte?“

„Freunde können einen verletzen. Das habe ich gehört.“ Bis eben noch drückte Farfarello das schützende Bündel aus Stoff, Riemen und Schnallen an seinen Körper, das ihn seit Stunden nicht fesselte. Jetzt ließ er es los und offenbarte die verkrusteten Schnitte an seinen Armen. Das Weiß der Zwangsjacke wies stellenweise braune Flecken auf, verunreinigt vom getrockneten Blut.

„Ja“, sagte Schuldig tonlos und hatte halb vergessen, worauf er gerade antwortete, „weil sie einem wichtig sind.“

„Das verstehe ich nicht. Aber Freunde verletzen.“ Farfarello streckte die Hand nach dem besudelten Messer aus, das auf dem Boden lag. „Kannst du mein Freund sein? Kannst du mich verletzen?“

„Ich weiß nicht.“

„Versuch es.“ Farfarello hielt ihm das Messer entgegen. „Wenn du mein Freund bist, dann verletze mich.“

Entgeistert blickte Schuldig ihn an. Er schwankte und war unsicher, ob er im Anflug von verzweifelter Belustigung „fantastisch“ oder „nein“ sagen sollte. Letztlich vermischte er es zu einem in seinen eigenen Ohren lächerlich klingenden: „Fein.“
 

„Ich wusste, dass du das tun würdest.“

„Du wusstest es!?“

Die Kontrolle, von der Crawford gesprochen hatte, vollzog sich nicht durch eine vollständige Unterdrückung von Farfarellos Neigungen, sondern durch Kompensation. Während der Aufträge ließ Schwarz ihn wüten, dazwischen ließ man ihn warten und falls der Druck zu groß wurde, half Schuldig ihm, sich seinen Autoaggressionen geregelt hinzugeben. Am Ende war das Prinzip jedoch einfacher als die Umsetzung.

„Farfarello kann oder will seine Kraft nicht richtig einschätzen“, erklärte Crawford unbeeindruckt. „Indem du das übernimmst, verhindern wir, dass er es übertreibt.“

„Wir? So wie ich das sehe, bin ich der Einzige, der hier einen Kontrollverlust verhindert.“

„Alle Seiten sind zufrieden. Fall erledigt.“

„Du hältst mich wohl für sadistisch genug, damit ich das nicht nur freiwillig, sondern voller Vergnügen tue?“, zischte Schuldig respektlos.

„Tust du das sonst nicht auch? Wo ist das Problem?“

Ein schmutziges Grinsen vermischte sich mit der Wut auf Schuldigs Gesicht.

„Das Problem ist vielleicht“, entgegnete er, „dass ich es sonst zu einem Abschluss bringe.“
 

„Tiefer“, sagte Farfarello ohne Emotion und ohne Schmerz. Er sagte es jedes Mal, wenn Schuldig neben ihm saß und der Forderung nach mehr Gewalt nur bedingt folgte, ein Messer in der ruhigen Hand, mit dem er über die bereits vernarbte Haut fuhr. Geregeltes Verletzen. Verletzen ohne zu töten.

Das Prinzip dieser Kontrolle, dachte Schuldig wie so oft, war einfacher als die Wirklichkeit. Deshalb verlor er sich in diesen stillschweigenden Momenten, in all den lautlosen Gedanken, die ihn umhüllten wie Balsam. Er schaltete alles aus, schaltete den Verstand ab.

Schuldig wusste, wie man jemanden tötete. Er wusste, wie man tödliche Verwundungen zufügte. Die Lebensgefahr zu umgehen war hingegen etwas, das er nicht gewohnt war, nicht beherrschte und das ihm mit der Zeit eine unangenehme Taubheit bescherte, als würde er nicht einer anderen Person, sondern sich selbst immer und immer wieder ins eigene Fleisch schneiden.

Jedes Mal, nach einigen Tagen und Wochen des Wartens, des Nichtstuns, des fehlenden Tötens, verzichtete Farfarello auf den Schutz seiner Zwangsjacke und fragte gleichmütig:

„Wollen wir spielen?“

Danach beobachtete Schuldig mit leeren Augen und Übelkeit in der Kehle, wie Farfarello eine Nadel in den offenen Schnitt bohrte, in den helleren, länglich geformten Fettzellen herumstocherte, die wie winzige Luftpolster aussahen und in sich zusammenfielen, sobald er sie aufstach. Leicht angeekelt wandte Schuldig den Blick ab.

Er brauchte dringend Abstand.
 

„Tiefer!“, rief sie erregt und bäumte sich ihm entgegen.

Schuldig war nur ein Riss in der Wand des menschlichen Geistes, eine Fuge, ein winziger Spalt in der Barriere. Das genügte, um ihn hineingleiten zu lassen und ein Stück Sanftheit und Wärme zu erhaschen. Mit den Sensoren seiner Psyche plünderte er, was er im fremden Inneren fand, bis sein Hunger gestillt war. Er gewann Abstand zur Realität, indem er sich in der Gesellschaft von gesunden, zärtlichen und unbeschwerten Seelen aufhielt, in einer Zwischenwelt, abseits der Aufträge und der Suche nach Fakten.

Es waren einige Tage vergangen, seit Crawford ihnen einen kurzen Urlaub gestattete, solange er allein wegen irgendwelcher Geschäfte ins Ausland reiste. Nagi würde sich während dieser Zeit wahrscheinlich seinen Studien widmen oder sich in die Datenbank des Pentagon hacken, nur so zum Spaß, um sich zu beweisen, dass er es konnte. Und Farfarello würde wie immer schlafen oder in einer Ecke seiner Zelle sitzen und ins Nichts starren.

Schuldig strich ein letztes Mal über den schlanken, erschöpften Leib seiner Gespielin, bevor er sich erhob und seine Glieder streckte, die Blockaden löste, körperlich wie mental.

Er war nun bereit, den Rückweg anzutreten.



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  Blaetterklingen
2014-01-29T22:32:19+00:00 29.01.2014 23:32
Ahh, endlich kommt etwas Leder in die masochistische Beziehung der beiden, wenn auch nur durch einen Bürostuhl. Ich finde es übrigens amüsant, das viele Leute ausschließlich von Sadomasochsitischen Beziehungen sprechen, bei denen ein Part leid gibt, der andere Leid begehrt. Es gibt genug Beispiele, das alle Seiten darunter leiden. Ist das hier auch der Fall? Vielleicht. Farfarello ist der einzige der Leiden will und Schuldig leidet unter dem Leid, das er zwangsweise austeilen muss. Andererseits will niemand Farfarello heilen. Ob das jetzt möglich ist oder nicht, ist dahin gestellt. Sein Wert als Tötungsmaschine muss nicht in seiner Geisteskrankheit liegen, aber - und dass ist das wichtigere - sie wird dadurch nicht beeinflusst. Im grunde genommen ist es natürlich Mangalogik (Bzw. Popkulturlogik, Hollywoodfilme sind da oft nicht anders) dass sie einen geisteskranken für sich arbeiten lassen. Das bringt tatsächlich mehr Probleme als nutzen mit sich. Aber die Figuren sind nicht durchgängig psychologisch logisch. Das macht auch ein Stück weit den Reiz Der Fiktion aus. Extreme, die sich nur im Rahmen von Extremen bewegen. Das ist sogar entspannend, zumindest entspannender als einen deutschen Film zu folgen und zu sehen wie sich die zwanzig Phasen der Melancholie langsam voneinander schälen und immer weitere Fassetten ergeben. völlig zum Kotzen. Die Mangacharaktere sind in vielen (nicht allen) Fällen ziemlich einfach gestrickt. Situationsmaschinen, die sich immer nach einem bestimmten Muster verhalten. Das hat zwei Vorteile: man muss nichts in sie hineindenken. Man kann es aber und ihre Leerstellen auffüllen. Darum funktionieren - denke ich - Fanfiktions auch so gut. Sie nehmen etwas auf, was nicht gesagt und gedacht wird, ohne dabei der eigentlichen Geschichte im Weg zu stehen. Halb fertige Häuser werden zuende gebaut, wenn man so will.
Was mich etwas stört, ist, dass ihr Verhältnis wieder stark an andere Fiktionen von dir und Still2live erinnert(Vor allem durch die Tabletten, das Ritzen und den Umgang damit /miteinander). Natürlich ist daran nichts schlechtes, aber es ist ein Grund, warum ich nicht so stark auf diese Beziehung eingehe. Das tat ich schon an anderer Stelle. Ich erkenne schlicht und ergreifend das gleiche Prinzip wieder. Es muss nicht das gleiche Prinzip sein. Das leben lebt von minimalen Abweichungen, aber für mich weicht es nicht stark genug ab. Mein erster Eindruck, dass es wie eine andere andere Düsternis ist, kann ich aber getrost zurücknehmen. Es ist sehr davon verschieden.
Was mir sehr gefallen ist, ist der Parallelismus der beiden letzten Absätze. Harsch formuliert fickt Schuldig in beiden Absätzen. Erst befriedigt er die Lust auf Verletzungen, was ihm ekel bereitet, dann befriedigt er die Lust auf Gelüster, was den Ekel abbaut. Lustig finde ich, dass zweiteres für Farfarello wohl eher ekel aufbauen würde ^^ also gemäß des falles, das es für ihn je zu so einer Situation kommen würde. Schuldig wirkt dabei so unglaublich passiv. Er scheint einfach nur zu tun, was man ihn sagt. Er befolgt befehle und leidet darunter, weil er Autoritäten nicht mag. Von ihnen lossagen kann er sich aber auch nicht. Er verletzt seinen Schutzbeauftragten und leidet darunter, weil er mit der Situation nicht umgehen kann. Zu emotional und gleichzeitig nicht intensiv genug. Anstatt ihn zu töten oder sich aus der Situation zurückzuziehen bleibt er aber passiv. Ein passiver Täter. Ironischerweise kanalisiert er die ganzen destruktiven Energien in einen "Schöpfungsakt", der fast schon wie ein Witz wirkt. In der Art wie: was tut ein Massenmörder in seiner Freizeit? Er züchtet Blumen. (Höhö Blumen = Geschlechtsorgane*Hust*)Ich glaube es sind solche "ungereimtheiten" durch die eine Figur tiefe erhält. Tiefe entsteht, wenn es an der Oberfläche zu widersprüchen kommt. Oder so. Ich bin gespannt auf das nächste Kapitel, erwarte aber das schlimmste: körperlichkeiten *schüttelt sich vor grauen*



Antwort von:  halfJack
07.02.2014 13:48
Verdammt. Weil du mit Grauen auf Körperlichkeiten ansprachst, muss ich jetzt auf jeden Fall irgendeinen Weg finden, etwas in der Richtung einzubauen. Ich möchte ja nicht deine Erwartungen enttäuschen. :D
Antwort von:  Blaetterklingen
07.02.2014 19:33
Hmm, ich glaube ich bin gerade massiv von mir selbst enttäuscht, weil ich es nicht geschafft habe, dir einwandfrei klar zu machen, dass ich ohnehin enttäuscht sein werden, egal was du schreibst. Aber das ist wohl meine Schuld. Ich schaffe es einfach nicht mich anderen Menschen begreiflich zu machen : /
Antwort von:  halfJack
08.02.2014 13:14
Danke, das beruhigt mich ungemein. Deine Worte sind wie Balsam.
Antwort von:  Blaetterklingen
08.02.2014 13:18
So bin ich: Beruhigend und einbalsamierend.
Von: abgemeldet
2014-01-29T10:38:00+00:00 29.01.2014 11:38
Im Vergleich zur Frontseite liest sich dieses Kapitel langsamer ohne etwas von der berückenden Stimmung zu verlieren. Das Gefühl hatte ich gestern schon, als ich es das erste Mal las, und habe es nach wie vor, nachdem ich das erste Kapitel nochmal gelesen und das Zweite danach angeschlossen habe. Das erste Kapitel war sehr dynamisch, was wohl an den vielen Ereignissen dort liegt. Dem aufeinandertreffen und den Komplikationen der ersten Zeit. Den Eindrücken, die sich so neu anfühlen und für die Beteiligten ja auch eben das sind.
Kapitel zwei hat da einen anderen, langsameren Fluss. Nun lernt Schuldig Farfarello auf einer Ebene kennen, die tief und gleichsam verstörend ist. Der Vergleich von Schuldigs oberflächlichem Vergnügen und Farfarellos Haltlosigkeit, die er zu kompensieren versucht, gefiel mir sehr gut. Damit wird Schuldigs störrisches Verhalten, als er von Crawford auf Farfarello „angesetzt“ wird, umso plausibler. Zu nah, zu tief, zu viel und überhaupt – er will das nicht, das geht zu weit. Das er sich fügt verständlich. Crawfords Autorität ist etwas, der man fast beliebig begegnen kann, auch mit Abneigung, aber sie fügen sich alle. So läuft es nun mal, weil es nur so funktioniert.

Der Monolog von Schuldig, dem Farfarello am Ende doch noch etwas hinzuzufügen hat, gefiel mir sehr gut. Bei der Beschreibung, wie Farfarello lächelt, oder zumindest etwas tut, was dem für Schuldig nahe kommt, und das Wort „Glück“ hinzufügt, bekam ich eine Gänsehaut. Psycho ist das erste Wort, das mir dazu einfällt. Klingt banal und abwertend, was ich nicht so meine, aber ja. Psychopath. Das muss ich hier so stehen lassen.

Die Unbeholfenheit, die Farfarello zutage legt, weil ihm das gebräuchliche menschliche Miteinander einfach schon lange nicht mehr geläufig ist, hat zuerst mein Mitleid geweckt. Als ich dann aber las, in welche Richtung sich das für Schuldig entwickelt, tat mir Schuldig mehr leid. Farfarello kann man nicht mehr helfen oder heilen. Man kann/muss auf ihn aufpassen und seine Möglichkeiten begrenzen um den anderen damit zu helfen. Dass das nun aber an Schuldig hängt ... armer Kerl ^^‘
Deine bildlichen Beschreibungen sind doch zuweilen etwas heftig. Ich persönlich hatte damit meine Schwierigkeiten, aber ich bin auch sensibel, was das angeht. Bildliche Beschreibung eben. Ich sehe dann Bilder, und die sind, was das angeht, nun mal nicht schön – sollen sie ja auch nicht sein, spiegeln sie doch wieder, wie Farfarellos Wahnsinn sich körperlich äußern kann.

Die Art und Weise, wie Schuldig seine Auszeit verbringt, war irgendwie entzückend. Ein völliges Kontrastprogramm. Unbeschwert und Unbedeutend und doch so wichtig für ihn, da es ihm hilft. Eine Selbsttherapie, die er wohl des Öfteren schon praktiziert hat. Zumindest scheint es eine bewährte Routine. Dennoch wirkt es wie eine Parallele zu Farfarello. Ihre Art, sich zu befriedigen. Verschiedene Ventile zwar, aber eine Art Zwang, dem sie früher oder später nachgeben müssen.

Das Schuldig von Farfarello gleichsam verstört wie fasziniert ist, kommt bei mir an. Farfarello ist nicht wie die anderen. Er lässt sich für Schuldig nicht so leicht klassifizieren und abstempeln. Eine Verbindung, die er nicht genießen kann da sie ihn überfordert und ihm mehr abverlangt, als er sonst zu ertragen bereit ist.

Bin gespannt, wie es weiter geht. Die beiden (zumindest für mich) schwierigsten Wörter der WB-Vorlage hast du nun ja noch vor dir ^^ Aber bisher hast du die anderen Wörter so geschickt eingebaut, das sie absolut im Fluss waren!
Antwort von:  halfJack
08.03.2014 13:03
Ursprünglich hatte ich vor, die Geschichte in diese zwei Seiten der Klinge einzuordnen, die Frontseite und die Kehrseite. Wie beide am Ende wirken, wusste ich selbst nicht so genau, aber es ist gut, dass das erste Kapitel bei dir offenbar dynamisch ankam, im Gegensatz zum zweiten. Das ging sicherlich nicht allen Lesern so, denn in einem anderen Kommentar wurde angemerkt, die Story sei im ersten Kapitel langatmig und es würde nichts passieren. Abgesehen davon, wie die Geschichte im ersten und zweiten Teil atmosphärisch wirkt, war mein Grundgedanke, den ersten Teil so distanziert wie möglich zu halten und mich auf das Seelenleben von Farfarello zu konzentrieren. An anderer Stelle habe ich dahingehend von einem erwünschten Abstand gesprochen, den der Leser zu den Figuren aufbauen soll. Im Wechsel mit den fast schon Wahnvorstellungen, in denen Farfarello seine eigenen Gewalttaten buchstäblich "blumig" vor Augen geführt werden, wollte ich die Distanz zwischen ihm und den anderen Menschen darstellen. Das zweite Kapitel hingegen sollte emotionaler, menschlicher sein und den Leser direkt ansprechen. Zumindest hoffte ich, man könne sich in Schuldigs Situation hineinversetzen, weil er ohnehin eine Figur ist, mit der man sich gut identifizieren kann, was meines Erachtens bei Farfarello nicht der Fall ist, weil seine gesamte Gedankenwelt abstrus und irrwegig ist. Das ist der von mir eigentlich gedachte, konstruierte Kontrast dieser beiden Kapitel. Abgesehen davon, dass es textlich länger geworden ist, als ich das vorher plante, habe ich dann erkannt, dass ich noch einen dritten Blickwinkel brauche, der beide Protagonisten zusammen einfängt, bevor ich alles zu einem Abschluss bringe.

Ich muss gestehen, dass ich mich diesmal mit den bildlichen Beschreibungen von Gewalt extra zurückgehalten habe. Damit stoße ich relativ oft an, obwohl ich es bisher meines Erachtens noch nicht übertrieben habe. Diese Beschreibungen, die hier häufig durch Sinnbilder von Blumen und Schmetterlingen vollzogen werden, kommen mir ganz spontan beim Schreiben und gehören für mich einfach dazu. Ich schreibe das nicht, weil ich damit Ekel heraufbeschwören will, zumindest entspricht das nicht meiner Intention. Manchmal ist es vielleicht einfach nur eine gewisse... Faszination.

Die direkte Gegenüberstellung von Farfarellos Forderung ("Tiefer") und jener der Frau war natürlich beabsichtigt, sogar ein wenig amüsant gemeint, weil damit auf absurde Weise zwei völlig unterschiedliche Dinge gemeint sind, die dennoch irgendwo zusammenhängen. Beides ist eine Form von Schmerz, von Befriedigung, von Beruhigung. Schuldig wird sich hierbei Personen aussuchen, die angenehme Gedanken haben, ob Nutte oder nicht, spielt keine Rolle, möglicherweise hat er diesmal dafür gar nicht bezahlt, man weiß es nicht. Es ist auch nur ein Ausschnitt aus seinem "Abschalten". Ähnlich besteht die Fanfiction aus Ausschnitten und Mitschnitten, deren Lücken man unterschiedlich füllen kann. Ich wollte keine Erklärungen und Verbindungen an jeder Stelle bieten, weil die Szenen, wieder als Hinweis auf die Klinge, zerschnitten sind. Wie ein Stück zerfetzten Stoffes, darum sind manche dieser Eindrücke auch so kurz.


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