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Ein zweites Leben

von

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Der kleine Junge

Alain staunte ganz baff, als er den kleinen Jungen stolz an der Seite seiner Schwester marschieren sah. „Seine Eltern müssen übergeschnappt sein!“, dachte er bei sich und grüßte Diane mit einem breiten Grinsen: „Schön dich zu sehen, Schwesterherz!“
 

„Gleichfalls, Bruder!“ Diane reichte ihm einen zugeschnürten Sack. „Ich habe dir frische Wäsche mitgebracht!“
 

„Ich danke dir.“ Alain nahm den Wäschesack entgegen und reichte ihr dafür seinen Sold. „Hier nimm. Wir haben zwar gute Wohltäter als Freunde, aber wir wollen doch nicht immer auf ihren Taschen sitzen.“
 

„Da hast du schon recht.“ Diane nahm den Sold an sich und Alain fragte sie schon weiter: „Hast du etwas von Mutter gehört?“
 

„Im letzten Monat kam der Bote, den Bernard geschickt hatte, zurück und meinte, ihr geht es gut“, berichtete Diane erfreulich: „Sie lässt ausrichten, dass sie sich freuen würde, wenn wir sie alle irgendwann besuchen.“
 

„Das hängt von unserem Oberst ab...“ Alain lachte vielsagend und wurde prompt am Ärmel gezupft. „Ich bin auch hier!“, ertönte es verdutzt von unten.
 

Alain sah seitlich herab. Sanft grüne, glänzende und gleichzeitig ernste Kinderaugen schauten zu ihm empor. Wie sehr er doch seinen Eltern ähnelte! Äußerlich, wie auch im Verhalten! Alain verschärfte sein Grinsen und zerzauste ihm die blonden Locken. „Natürlich habe ich dich nicht vergessen, Kumpel!“
 

Der kleine Oscar duckte sich geschickt und schlüpfte ihm unter dem Arm hindurch. Wie die kleine Miniatur eines Soldaten stellte er sich stramm vor ihm auf. Sein Gesichtchen strahlte und er zog ein bemaltes Holzschwert, das zuvor an seiner Hüfte gebaumelt hatte. „Schau was ich habe!“ Stolz und mit geschwollener Brust präsentierte er Alain sein Spielzeug.
 

„Gratuliere, Kumpel! Ein hübsches Schwert!“, amüsierte sich Alain gespielt beeindruckt. „Haben dir das deine Eltern geschenkt?“
 

Der Junge nickte heftig. Das stimmte. Noch an dem Abend, als er mit ihnen in die Normandie aufgebrochen war, hatte es ihm seine Mutter geschenkt. Es gab da sogar noch eine Kiste mit anderen Spielsachen, aber die waren allesamt nicht so interessant wie das Schwert. Deshalb hatte er auch zugestimmt, als seine Mutter vorschlug, die restlichen Spielsachen unter den armen Dorfkindern zu verteilen. Er beteiligte sich sogar selbst dabei und freundete sich mit ein paar Jungen seines Alters an. Nachdem Alain das Holzschwert genug begutachtet und gelobt hatte, steckte der Kleine es wieder in den Gurt an seiner Seite.
 


 

- - -
 


 

Nicht weit von ihnen, hinter der Ecke einer Baracke, beobachtete eine Gruppe von Söldnern diese Szene. Fassungslosigkeit, Unbegreiflichkeit und Enttäuschung standen ihnen ins Gesicht geschrieben. Mit aufgeschlagenen Mündern begafften sie Alain, Diane und den Jungen. „Seit wann hat Diane ein Kind?“, wand Jean fragend ein.
 

Lassalle dagegen wusste die Antwort: „Das ist doch gar nicht ihres! Ich hatte mal gehört, sie passt manchmal auf einen Nachbarsjungen auf!“
 

Allesamt atmeten sie erleichtert auf. Bei genauerem Betrachten sah der Junge Diane gar nicht ähnlich. „Seht! Da kommt unser Neuer!“, wies einer von ihnen hin und die Söldner starrten wieder verdutzt drein.
 

„Aber was hat er mit Diane zu schaffen?!“, bemerkte der nächste Söldner empört.
 

„Wie es aussieht, kennen die sich!“, murmelte dessen Kamerad verblüfft: „Und bis auf das Haar, sieht der Kleine ihm ähnlicher als sonst irgend jemanden!“
 

„Wie interessant!“, meinte ein Bärenmann mit einer grässlichen Narbe im Gesicht grimmig und grunzte hinterhältig vor sich hin: „Das müssen wir uns unbedingt näher ansehen...“
 


 


 

„Andre!“, grüßte Diane den Neuankömmling fröhlich, als dieser auftauchte und neben Alain zum Stehen kam.
 

„Diane.“ Andre schmunzelte und sein Augenmerk wanderte auf den Jungen.
 

Dieser nickte artig und straffte seine Haltung. Er hatte die Spielregeln nicht vergessen und würde sie hier draußen befolgen. „Guten Tag“, mehr sagte er nicht.
 

Andre zerriss es das Herz, seinen Jungen nicht in die Arme schließen zu können. Was hatte sich seine Frau nur dabei gedacht?! Zum Glück hielt der Kleine das alles für ein Spiel und sagte nach der Begrüßung schon als nächstes: „Mir gefällt es hier! Wo ist...“, rechtzeitig biss er sich noch auf die Zunge. Er durfte doch draußen nicht „Papa“ und „Mama“ sagen! Er überlegte schnell und ihm fiel ein, wie Alain seine Mutter immer nannte und fügte keck hinzu: „...der Oberst?“
 

Alain prustete vor Lachen los und hielt sich den Bauch. Der kleine Oscar verstand nicht warum und stierte zu ihm. Hatte er etwas falsches gesagt? Sein Vater stieß Alain von der Seite an: „Hör auf! Du kränkst seinen Stolz!“
 

Alain kam zur Ruhe und zerzauste dem Jungen grinsend wieder die Locken. „War nicht mit Absicht, Kumpel. Unser Oberst ist gerade nicht hier.“
 

Der kleine Oscar fand das schade, aber er zeigte das nicht. Hauptsache er hatte heute seinen Vater sehen können und auch die große Kaserne begutachtet. Er schaute noch einmal zu ihm auf und grinste spitzbübisch. Seine Augen leuchteten vor Stolz und versetzten seinem Vater dabei noch einen weiteren Stich ins Herz. Andre konnte kaum noch seine undurchschaubare Ausdruckslosigkeit aufrecht erhalten. Er ging vor ihm in die Hocke, um mit ihm auf gleicher Augenhöhe zu sein und schmunzelte kaum merklich. „Es ist ungewiss, wann unser Oberst heute da ist. Aber ich hoffe, dass sie bald zurück ist.“
 

„Ich kann warten.“ Der kleine Oscar nickte wieder. Er beherrschte sich, nicht seine Arme um den Nacken seines Vaters zu legen. Hier wollte er ein großer und tapfere Junge sein, der die Spielregeln in keinster Weise missachten würde. Das wollte er seinem Vater eben beweisen, indem er aufrecht vor ihm stand und sich nichts anmerken ließ.
 

„Nein, du gehst lieber gleich mit Diane nach Hause.“ Andre berührte ihn doch noch leicht an der Schulter und stand wieder auf. „Es kann gut möglich sein, dass sie heute gar nicht kommt.“
 

„Schade...“ Für einen kurzen Moment verzog der Junge sein Gesichtchen, aber gleich darauf erhellte es sich wieder und er zog erneut sein Holzschwert. „Zeigst du mir euren Hieb?“ Besser gesagt den Hieb seiner Eltern und wie sie miteinander fochten. Dass er sich dabei unbewusst verriet, merkte er nicht. In seiner kindlichen und noch nicht ausgereiften Denkweise, war das in Ordnung. Immerhin hatte er hier draußen weder „Papa“ noch „Mama“ gesagt.
 

„Nun gut...“ Andre gab nach. Wenn es den Jungen trösten und glücklich machen würde, warum dann auch nicht. Er nahm das kleine Holzschwert an sich und warf Alain einen Blick zu. „Machst du mit?“
 

Alain zuckte mit den Achseln. Er kannte die Art ihrer Fechtübungen mittlerweile schon gut genug. „Aber natürlich.“
 

Nicht lange und die kurze Vorführung war vorüber, aber der kleine Oscar war damit höchst zufrieden und selig. Sein Vater gab ihm das Schwert zurück und sein Sohn versuchte die gezeigten Hiebe nachzuahmen. „Wir müssen nun los“, bemerkte Diane und verabschiedete sich von ihrem Bruder und Andre.
 

Der kleine Oscar war mit seinen Schwerthieben beschäftigt, aber seine Lauscher waren dennoch immer überall. Er machte eine linkische Drehung und baute sich vor Diane auf, als wolle er sie verdecken. „Und wenn wir ihn wieder sehen, dann werde ich dich beschützen!“
 

„Aber der Mann hat uns doch nichts getan.“ Diane lächelte ihn an, war aber dennoch von dessen naiven und unschuldigen Ausstrahlung sehr angetan.
 

„Was für ein Mann?“ Alain spitzte hellhörig seine Ohren, zog eine Braue nach oben und schaute seine Schwester intensiv an.
 

„Ach nichts, Bruder.“ Diane machte eine abwertende Handbewegung durch die Luft und erklärte ihrem Bruder schmunzelnd von der Begegnung: „Als wir hierher unterwegs waren, ist uns ein kleines Missgeschick passiert. Ich bin über einen Stein gestolpert und dabei gegen einen jungen Mann gefallen. Er war freundlich und hat mich nach meinem Befinden gefragt, obwohl ich eigentlich die Schuldige war. Irgendwie ist er dir sehr ähnlich, Alain, und kam mir so schrecklich klug vor. Er meinte, er würde mich gerne wiedersehen...“
 

„Vergiss ihn!“, entfuhr es Andre schroff. Er ließ sie nicht weiter sprechen und dachte dabei an das, was Diane erwarten würde, wenn sie sich mit diesem schrecklich klugen Mann treffen und sich in ihn verlieben würde. Es war ganz bestimmt dieser verarmte Adlige, der Diane verraten und sitzen lassen würde, sobald er das Aufgebot einer reicheren Frau bekommt. Und Diane würde sich ausgenutzt fühlen und sich durch Erhängen das Leben nehmen... Andre wollte ihr dieses Unglück ersparen.
 

Das Geschwisterpaar sah ihn fragend an und auch sein Sohn verstand ihn nicht so recht. Andre mühte sich um eine schnelle Erklärung, ohne sein Zukunftswissen preiszugeben: „Er ist nichts für dich, Diane. Solche schrecklich kluge Männer sind meistens nur auf Vermögen aus und sobald ihnen eine reichere Frau über den Weg läuft, werden sie ihr hinter her laufen.“
 

„Du klingst so, als würdest du dich damit auskennen.“ Diane kicherte leise in ihre Hand.
 

„Ich muss aber zugeben, dass Andre gar nicht so unrecht hat“, wand Alain mit gewissem Bedenken ein, aber auch seine Aussage nahm Diane nicht ernst: „Ihr zwei macht euch um mich unnötige Sorgen. Ich denke, das war eine einmalige Begegnung und es wird sowieso nichts daraus.“ Sie sah auf ihren Schützling herab. „Nicht wahr?“
 

Der kleine Oscar verstand zwar noch nicht ganz, was sie meinte, aber er nickte ihr zustimmend entgegen und strahlte seine frohe Natur aus. „Gehen wir Heim? Ich will Bern und Rosa den Hieb zeigen!“
 

Das brachte Alain und Andre zum breitem Grinsen. An der Vollständigkeit der Namen musste der Kleine noch üben, aber das würde schon noch werden. Hauptsache ihm fehlte nichts und er war glücklich mit dem, was er hatte. Diane dachte das Gleiche und belächelte ihn gütig. „Ja, gehen wir.“ Sie verabschiedete sich nur noch von den beiden Männern und als sie mit dem Jungen ging, hob sie noch ihre Hand zum Gruß und winkte ihnen zum Abschied.
 


 

- - -
 


 

Oscar ritt durch die Straßen von Paris ohne Eile. Die Sonne schien wärmend auf sie hinab, die Vögel trällerten ihren Singsang in die Umgebung und die Natur erwachte aus dem Winterschlaf. Im zweiten Monat des Frühlings begannen die Bäume ihr grünes Kleid anzuziehen.
 

Oscar hielt an einem Wohnhaus an und sah lange in die oberen Fenster hinauf. Kreischende und lachende Kinder bewogen sie, den Blick von den Fenstern abzuwenden und in den Hof hinein zu spähen. Eine kleine Gruppe Kinder spielte Fangen, nicht weit von ihr entfernt. Ihr Sohn befand sich nicht darunter. „Ihr möchtet bestimmt zu Rosalie?“, fragte eine ältere Frau an der Haustür. Sie lächelte nett. Ein seltenes Gut in dieser Stadt, so wie auch die lachenden Kinder.
 

„Ja“, sagte Oscar und erwiderte ihr das Lächeln.
 

„Um diese Zeit sind Rosalie und ihr Mann nicht zu Hause, Lady Oscar“, meinte die Frau und fügte gleich etwas leiser hinzu: „Und der Junge ist mit Diane unterwegs.“
 

„Ich danke Euch.“ Oscar schmunzelte und die Frau ging ihrer Wege.
 

Die Menschen in diesem Haus glichen einer Verschwörergemeinschaft. Die Nachbarn hatten keine Fragen gestellt, als vor fünf Jahren ein kleiner, blondgelockter Junge bei Rosalie und Bernard einzog und der berüchtigte Kommandant Oscar Francois de Jarjayes mit seinem Begleiter ihn fast jeden Tag besuchte. Sie hatten einfach ihre Schlüsse daraus gezogen und beschlossen, sich nicht einzumischen und keine Fragen zu stellen. Zumal sich Oscar hier regelmäßig für die Bewohner mit guten Taten einsetzte und großzügig für die Armen spendete.
 

„Oscar! Was für ein Zufall, Euch hier anzutreffen!“, rief jemand hinter ihr und sie drehte sich im Sattel halbwegs um.
 

„Graf von Fersen!“ Oscar war leicht überrascht. In der Tat, ein Zufall.
 

Von Fersen zügelte neben Oscar sein Pferd. „Ich war gerade auf einem kleinen Ausritt durch die Stadt. Es ist schon eine Weile her, dass ich Paris besucht habe.“ Beide reichten sich die Hände und von Fersen wollte gleich wissen, was sie hier machte.
 

„Ich wollte Rosalie besuchen“, erklärte Oscar und schaute wieder zu den oberen Fenstern hinauf. „Aber sie ist nicht da. Und der Kleine auch nicht.“
 

Von Fersen folgte ihrem Blick. „Hier wohnen sie also...“, stellte er dabei lediglich fest. Er verstand, wen genau sie meinte und ihm fiel etwas anderes ein. Er senkte bedächtig seine Stimme: „Am Hofe munkelt man, Euer Vater habe beschlossen, Euch zu vermählen.“
 

„Das stimmt.“ Das Lächeln auf Oscars Gesicht verschwand schlagartig und sie richtete ihr Augenmerk sofort auf ihn. „Wollen wir ein Stück durch die Stadt reiten? Hier ist kein guter Ort, über so etwas zu reden.“
 

„In Ordnung.“ Graf von Fersen war einverstanden und sie setzen gleich gemeinsam ihre Pferde in Bewegung. Im gemächlichen Trab und nebeneinander.
 

„Ich muss mit Bedauern dem Gerücht zustimmen“, begann Oscar im Plauderton zu erzählen: „Graf de Girodel hat um meine Hand angehalten und mein Vater hat mit Freuden zugestimmt. Ich bekam bisher keine Gelegenheit mit meinem Vater zu sprechen, aber heute werde ich es tun. Ich werde ihm die Wahrheit sagen. Ich bin wieder in anderen Umständen und es hat keinen Zweck, an weiteren Heimlichkeiten festzuhalten.“
 

Von Fersen zog leicht überrascht eine Braue nach oben. „Das kann ich nachvollziehen, Oscar. Euch bleibt sozusagen nichts Anderes mehr übrig. Immerhin seid Ihr schon verheiratet. Was gedenkt Ihr danach zu tun?“
 

„Wenn die Sache eskaliert, werde ich mit meinem Mann und unserem Kind vorübergehend untertauchen. Und je nachdem, wie es sich weiter entwickelt, Frankreich verlassen.“
 

„Ihr habt anscheinend schon an alles gedacht, Oscar. Habt Ihr Euch auch schon entschieden, in welches Land Ihr gehen würdet, wenn Ihr und die Eure, Frankreich verlassen?“
 

„Ich habe über Euer Angebot nachgedacht, Graf. Wenn es immer noch gilt, dann würde ich es gerne annehmen.“
 

„Für Euch gilt mein Angebot immer, Oscar. Ihr braucht mir nur sagen, wann und wo wir uns treffen. Dann bringe ich Euch sicheren Geleits aus Frankreich in mein Heimatland.“
 

„Ich danke Euch, Graf.“ Oscar entriss ihren Blick von der Straße und schaute ihn kurz von der Seite an. Es war schon etwas eigenartig, mit ihm ganz alleine unterwegs zu sein, und dass sie nichts außer eine aufrichtige Freundschaft für ihn empfand. Vielleicht, weil sie unwillkürlich ein paar Vergleiche zu ihrem früheren Leben zog, die sie auch sogleich gekonnt verdrängte. Sie konzentrierte sich auf die Wirklichkeit und jetzige Leben. „Ich zeige Euch jetzt ein leerstehendes Haus am Rande der Stadt. Andre und ich haben uns dort vermählt und dort werden wir auch untertauchen.“
 

Von Fersen nickte ihr einvernehmlich zu. Er verstand, wo er sie dann ausfindig machen konnte. Nur eine Sache blieb für ihn noch offen: „Was ist mit Ihrer Majestät, Oscar? Werdet Ihr sie in Eure Pläne auch einweihen?“
 

„Nein. Sie hat schon genug für mich getan.“ Oscar schüttelte bedauernd den Kopf und senkte ihren Blick. „Und wenn ich mit meinem Vater gesprochen habe, wird es besser sein, wenn ich mich von Versailles fernhalte. Aber Ihr könnt es ihr natürlich mitteilen. Von Freund zu Freund. Sie hat nur wenige davon und es schmerzt mir, sie verlassen zu müssen. Aber ich kann nicht anders.“
 

„Ich verstehe Euch, Oscar. Und das wird auch Marie Antoinette tun. Ihr habt Euch für Eure Familie entschieden und das ist der wichtigste Punkt für sie.“ Von Fersen machte ihr keine Vorwürfe oder ähnliches und Oscar fühlte sich dadurch etwas leichter.
 

Die restliche Strecke bis zum Stadtrand bewältigten sie schweigsam. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach: Oscar arbeitete im Geiste an ihrem Vorhaben und von Fersens Gedanken galten der Königin. An dem besagten Haus hielten sie kurz an, besprachen kurz doch noch einige Dinge wegen dem Treffen und dann trennten sich ihre Wege. Von Fersen ritt nach Versailles und Oscar nach Hause.
 


 

- - -
 


 

Um die Mittagszeit fand Sophie endlich die Gelegenheit, ihren Enkel zu besuchen. Sie packte für ihn einige Sachen und brach nach Paris auf. Unterwegs zu der Kaserne begegnete ihr ein junges Mädchen, an dessen Seite ein kleiner, blondgelockter Junge mit strahlend grünen Augen einher ging. Er hüpfte dann schnell hin und her und fuchtelte mit seinem Spielzeugschwert in der Luft, als ersteche er unsichtbare Gegner. Dieser Anblick rührte Sophies Herz und sie sah den beiden eine Weile schmunzelnd nach. Was für ein hübscher und goldiger Junge! Irgendwie erinnerte er sie an ihren Schützling und ihren Enkel zugleich.
 

„Dia, Dia! Ich kann den Hieb jetzt auch! Genauso wie sie!“, hörte Sophie ihn fröhlich rufen und sah wie er dem Mädchen stolz einen Hieb vorführte.
 

„Das hast du gut gemacht!“, lobte ihn das Mädchen verzückt und entfernte sich mit ihm immer weiter.
 

Sophie wandte sich von den beiden ab und ging ihren Weg, ohne den Söldner mit der grässlichen Narbe im Gesicht zu bemerken, der gerade wie ein Schatten aus der Kaserne hinausschlüpfte.
 

Sie kam an der Torwache vorbei und sah gerade, wie ihr Enkel mit einem breitschultrigen und schwarzhaarigen Soldaten in die Baracke marschierte. „Andre, warte!“, rief sie laut und dieser wirbelte überrascht herum.
 

Andre hatte sie natürlich zweifelsohne erkannt, aber gleichzeitig war er erschrocken und besorgt. „Hoffentlich hat sie Diane und den Jungen nicht gesehen...“, war sein einziger Gedanke, aber er setzte gleich eine fröhliche Miene auf und winkte ihr zu. „Großmutter!“
 

„Sie kennt weder meine Schwester, noch das Kind“, flüsterte ihm Alain beruhigend von der Seite zu, als hätte er seine Sorge erahnt, und ging weiter in die Baracke.
 

„Wie geht es dir, mein Junge?“, begrüßte Sophie ihren Enkel und überreichte ihm eine mitgebrachte Tasche. „Ich habe dir frische Wäsche und dein Lieblingsgebäck mitgebracht.“ Gütig musterte sie ihn und musste wieder an den Jungen denken, dem sie gerade mit dem Mädchen außerhalb der Mauern begegnet war. Das verwunderte sie, aber sie machte sich nichts daraus.
 

Andre atmete innerlich auf. Seine Großmutter schien Diane und seinen Sohn nicht gesehen zu haben. Er nahm ihr die Tasche ab. „Ich danke Euch, Großmutter.“
 

„Wann kommst du nach Hause?“, stellte sie ihm schon die nächste Frage.
 

„Wenn wir dienstfrei haben, komme ich gerne nach Hause. Ich vermisse Eure Kochkunst. Das Essen hier schmeckt abscheulich“, redete sich Andre heraus und prompt wurde ihm mulmig im Bauch. In seinem früheren Leben hatte ihm seine Großmutter, bei ihrem ersten Besuch in der Kaserne, eine schreckliche Nachricht mitgeteilt. Aber welche war das genau? Es hatte etwas mit Oscar zu tun, da war er sich sicher!
 

„Das glaube ich dir gerne, mein Junge“, brachte ihn Sophie in die Wirklichkeit zurück und verstummte nachdenklich. Altklug musterte sie ihn durch ihre runde Brille und fasste sich doch noch ein Herz. „Ich weiß nicht, ob dir das schon bekannt ist, aber es sieht so aus, als würde unsere Lady Oscar bald heiraten.“
 

„Was sagt Ihr?! Oscar und heiraten?!“ Andre starrte seine Großmutter perplex an. Das war also die Nachricht gewesen! Aber diesmal war sie nicht niederschmetternd für ihn und er fühlte sich auch nicht am Boden zerstört. In diesem Leben war Oscar seine Frau und niemand konnte sie ihm mehr nehmen! Er lachte seine Großmutter an. „Ihr müsst Euch irren! Oscar wird niemals und niemanden mehr heiraten!“
 

„Doch, doch, mein Junge“, beharrte Sophie hartnäckig und mitleidig zugleich: „Du kannst mir das ruhig glauben! Ich habe es selbst gehört! Ihr Vater war darüber sehr erfreut und hat bereits zugestimmt.“
 

„Diese Heirat wird niemals stattfinden!“, versicherte Andre von sich selbst überzeugt und seine Augen funkelten, aber er selbst blieb ruhig.
 

Sophie dachte später den ganzen Heimweg in einer gemieteten Kutsche über diese lockere Reaktion ihres Enkels nach. Der arme Junge! Er hatte es ihr bestimmt nur vorgespielt!
 

Auf dem Anwesen traf sie auf den General. „Wenn Oscar zurück ist, schicke sie sofort in mein Arbeitszimmer! Wir müssen noch einiges in Bezug auf ihre Heirat mit Graf de Girodel besprechen!“, trug Reynier ihr gelassen auf und begab sich selbst dorthin.



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von: abgemeldet
2014-10-06T20:31:20+00:00 06.10.2014 22:31
Ich habe den Atem angehalten und mir tatsächlich gewünscht, dass Sophie das Geheimnis entlüftet! Oh, wie sehr ich es ihr gönnen würde! Es ist wirklich erstaunlich, wie du so viele Personen in deine Geschichte aufnimmst und sie immer wieder am Geschehen teilhaben lässt.

Mach weiter so!
Antwort von:  Saph_ira
06.10.2014 22:43
Vielen, lieben Dank. Früher oder später kommt die Wahrheit immer ans Licht, so auch in dieser Story. ;-)
Von:  FeelLikeParadise
2014-08-11T09:45:42+00:00 11.08.2014 11:45
Wie meine Vorgänger muss auch ich sagen, dass dir das Kapitel sehr gelungen ist!:) Der kleine Oscar ist wirklich sehr süß und dennoch gibt es einige Dinge die mich beunruhigen, wie z.B. der Mann mit der Narbe oder de Girodel (wobei ja sicher ist das Oscar ihn nicht heiraten wird, aber trotzdem ;)).
Und dann ist ja auch noch da die Reise aus Frankreich, auf die sich Oscar und Andre vorbereiten.
Bin so gespannt auf das nächste Kapitel, mach weiter so! Es wird sehr spannend *-*
LG:)
Antwort von:  Saph_ira
11.08.2014 20:22
Ein herzliches Dankeschön für deine Worte. Ich kann nur sagen, dass es noch spannender wird. ;-)
Liebe Grüße :-)
Von:  alandatorb
2014-08-10T15:46:30+00:00 10.08.2014 17:46
oh wie süß - ich hoffe nur das dieser grässliche Kerl mit der Narbe nicht alle Pläne durcheinander bringt und alles zum Scheitern verurteilt.
Ich liebe dieses Kapitel. Der kleine Oskar ist herzerwärmend und auch die Reaktion der Soldaten, als Diane mit einem Kind daher kam, war zum Lachen.
Schreib weiter so!!!
LG
Alanda
Antwort von:  Saph_ira
10.08.2014 20:21
Das mit dem grässlichen Kerl wird sich noch zeigen, was er anstellen wird. Aber so viel kann ich noch verraten: Es wird turbulent zugehen und es wird danach nicht mehr so sein wie bisher es war. Vielen, lieben Dank für deinen Kommi und liebe Grüße zurück. ;-)
Von:  hunny123
2014-08-10T09:06:56+00:00 10.08.2014 11:06
Was für ein geniales Kapitel!!!
Alles wurde bedacht, der kleine Oscar mit dem Holzschwert kommt so schön zur Geltung (wundervoll beschrieben), dann der Handlungsfaden mit Diane und dem Adligen und deren Kennenlernen, zudem dann Sophie und der kleine Junge.....toll toll toll, es fügt sich alles zusammen. Bin voll gespannt wie es weitergeht. Super gut!
Antwort von:  Saph_ira
10.08.2014 20:16
Dankeschön herzlich. Es freut mich zu wissen, dass mir alles in diesem Kapitel gelungen ist. Und gespannt darfst du sein, es wird schon ab nächsten Kapitel etwas passieren, was den Verlauf ändert. ;-)


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