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Ein zweites Leben

von

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Kronprinzessin

Oscar ritt in ihrer weißen Paradeuniform nach Versailles. Ihr Freund Andre begleitete sie, wie selbstverständlich. Wieder herrschte Frühling und sonniges Wetter. Es war bereits ein Jahr her, dass sie der königlichen Garde beigetreten und heute sollte Marie Antoinette das erste Mal in Versailles eintreffen - zusammen mit ihrem gleichaltrigen Gemahl, dem Thronfolger Frankreichs. Oscar war gespannt auf einige Sachen, die sie zu verändern beabsichtigte und die ihr der letzte Traum mitsamt der Stimme, vor wenigen Tagen vermittelt hatte. Sie überdachte ihre Vorgehensweise in ihrem Kopf noch mal sorgfältig, ohne darauf zu achten, was Andre ihr gerade erzählte. „...du bist sehr beliebt am Hofe. Du musst vorsichtig sein, die Damen schwärmen schon für dich“, bekam Oscar gerade mit und kehrte noch rechtzeitig aus ihren Gedanken zurück.
 

„Du bist sehr geschwätzig, Andre“, hätte sie gesagt und ihrem Pferd heftig die Sporen gegeben, aber so ritt sie gemütlich neben ihm her und wandelte den Satz um: „Solange es keine Herren sind, die für mich schwärmen, ist alles in Ordnung.“
 

„Da gebe ich dir recht“, stimmte Andre ihr heiter zu und Oscar kam gleich eine Idee, wie sie ihn auf die Probe stellen konnte. „Und du Andre? Schwärmst du für mich?“ Sie warf ihm dabei ihren undurchdringlichen Blick von der Seite. Durch die Stimme wusste sie, dass er es tat, still und heimlich, aber ab wann genau, konnte sie nicht sagen. Im Traum hatte er zwar gesagt, er liebe sie bereits sein ganzes Leben, aber in Wirklichkeit konnte sie sich nicht vorstellen, dass er schon mit sechzehn solche Gefühle begreifen und hervorbringen konnte. Sie sah ihn noch ernster an und merkte wie schwer er sich mit ihrer Frage tat.
 

Andre war innerlich erschrocken. Ihre Frage kam ihm zu plötzlich, trocken und ohne jegliche Anspielungen. Es mochte sein, dass sie es nur als Spaß meinte und wenn er ihr die Wahrheit sagen würde, würde sie ihn gar nicht ernst nehmen. Ja, er schwärmte für sie, aber er würde es lieber weiter still und heimlich tun. Er wollte nicht die eng verbundene Freundschaft zwischen ihnen gefährden. Und so erwiderte er ihren Blick und lachte. „Ich für dich schwärmen? Du bist lustig! Wir sind doch Freunde!“
 

„Ja, das sind wir.“ Oscar zog ihre Augenbrauen zusammen und sah wieder auf die verlaufende Straße vor ihr. Sie ließ nicht das Gefühl los, dass Andre sich verstellte. Aber warum nur? Sie würde das noch herausfinden. Zuerst waren Marie Antoinette und das Volk dran.
 


 


 

Am Hofe von Versailles munkelte man wenige Tage später über eine stumme Auseinandersetzung zwischen der Kronprinzessin und der Mätresse des Königs, Madame Dubarry. Man schloss Wetten ab, wer von den beiden gewinnen würde und alle trafen die Entscheidungen, auf wessen Seite sie stehen wollten.
 

„Auf wessen Seite willst du stehen, Oscar?“, fragte sie einmal Andre: „Das ist das was die meisten Damen interessiert.“
 

„Ich stehe auf gar keiner Seite“, sagte sie ihm wie immer knapp. Zu zweit spazierten sie durch einen der großen, mit Menschen gefüllten Säle von Versailles, bis ihnen die Kronprinzessin in Begleitung ihrer Hofdamen begegnete. „Lady Oscar! Wie schön Euch anzutreffen! Ihr seid ganz anders als alle hier. Ein stolzer Ernst geht von Euch aus. Möchtet Ihr mich nicht in meinen Salon begleiten?“
 

„Nun... ich bin eigentlich nicht hier um mich zu amüsieren, sondern um die königliche Familie Frankreichs zu beschützen... aber für ein Gespräch mit Euch, Eure Hoheit, finde ich immer Zeit.“
 

„Das ist schön, Lady Oscar! Ich freue mich für Eure Gesellschaft!“ Wenn sie nur wüsste, was Oscar derzeit ausheckte!
 

In ihrem Salon nahmen sie auf einem der gepolsterten Stühle an einem kleinen Tisch Platz. Die Bedienstete servierten ihnen Tee, brachten Naschwerk und Zuckergebäck. Dann, auf einen Wink von Marie Antoinettes, verließen sie den Salon.
 

Andre musste draußen bleiben. Wegen seiner bürgerlichen Herkunft, war es ihm nicht gestattet, solche Räume unaufgefordert oder uneingeladen zu betreten.
 

„Ich würde so gerne mehr über Euch wissen, Lady Oscar!“, begann Marie Antoinette freundlich mit dem Gespräch: „Ihr seid so mutig, so tapfer und ich möchte mich mit Euch anfreunden.“
 

„Gerne.“ Oscar kam nicht umhin zu schmunzeln. Sie wusste nicht, was jetzt auf sie kommen würde, denn sie hatte die Ereignisse geändert. In ihrem Traum hatte sie die Einladung in Salon der Kronprinzessin abgelehnt. „Was möchtet Ihr über mich wissen, Eure Hoheit?“
 

Marie Antoinette rührte mit einem kleinen, goldenen Löffel in ihrem Tee und legte ihn anschließend auf der Untertasse ab. „Über Euer Leben und Eure Erziehung. Warum Ihr eine Uniform tragt, anstelle von Kleiderern.“
 

„Das verdanke ich meinem Vater. Er hat keinen Sohn und hat mich als seinen Erben auserkoren. Er hat mir deswegen alles beigebracht, was normalerweise nur ein Junge erlernen darf. Und ehrlich gesagt, macht es mir Spaß wie ein Mann aufzutreten.“
 

„Ich verstehe Euch, Lady Oscar. Euer Leben ist bestimmt sehr aufregend.“ Marie Antoinette schlürfte an ihrem Tee und stellte ihre Tasse wieder ab, mit einem verzückten Aufleuchten in ihren fast noch kindlichen Augen: „Aber verratet mir noch, Lady Oscar: Wer ist der junge Begleiter an Euer Seite? Man sieht Euch kaum ohne ihn!“
 

„Andre ist mein treuer Freund. Wir sind zusammen aufgewachsen und sind daher praktisch unzertrennlich“, erklärte Oscar fest und ohne Umschweife.
 

„Verstehe“, wiederholte Marie Antoinette mit ihrem netten Lächeln um die Mundwinkel. „Und es stört Euch nicht, dass er bürgerlicher Herkunft ist?“
 

„Ich sehe den Menschen in ihm und nicht seine Herkunft, Eure Hoheit.“ Oscar rührte auch langsam mit einem Löffel in ihrem Tee, aber trank ihn nicht. Sie fragte sich, wohin das Gespräch noch führen würde und wie sie die Kronprinzessin auf ihr eigentliches Thema lenken konnte.
 

„Ich beneide Euch, Lady Oscar. Ich hätte gerne auch so einen treuen Freund gehabt...“ hörte sie die Kronprinzessin äußern und dachte bei sich halb amüsierend: „Wartet ab, bis Ihr den schwedischen Grafen kennenlernt! In ihm werdet Ihr nicht nur einen Freund finden! Und ich werde mich auf keinen Fall in ihn verlieben! Aber halt! Wo denke ich nur hin? Nur wegen dem, was die Stimme mir sagte? Vielleicht würde es besser sein, wenn Marie Antoinette den Grafen erst gar nicht kennen lernt?“
 

„Der Gedanke ist gar nicht so übel...“, meldete sich wie aus dem Nichts die Stimme in ihr: „Dann würde Ihre Hoheit wenigstens nicht vor Liebeskummer verschwendungssüchtig und das Volk würde sie mögen! Ja, das könnte hinhauen, gut gedacht Oscar!“
 

„Lady Oscar?“ Marie Antoinette klang ein wenig besorgt: „Geht es Euch nicht gut? Ihr wirkt so abwesend...“
 

„Entschuldigt, Eure Hoheit.“ Oscar nippte zur Tarnung an ihrem Tee und als sie ihn von ihren Lippen absetzte, hatte sie sich wieder in der Gewalt. „Mir geht es gut, Eure Hoheit. Ich war nur etwas in Gedanken versunken.“
 

„Ihr braucht vor mir nicht verlegen zu sein, Lady Oscar.“ Marie Antoinette lächelte erleichtert. „Ihr könnt mir alles anvertrauen, was Euch bedrückt.“
 

„Wie leichtgläubig sie doch ist! Kein Wunder, dass viele habgierige Aristokraten sie ausnutzen werden!“, sagte wieder die Stimme und Oscar hüstelte verhallend in ihren Handrücken, um sie zu verdrängen. Dabei kam ihr ein erneuter Einfall, mit dem sie gleich die Kronprinzessin ansprach: „Euer Hoheit, ich weiß nicht wie ich es sagen soll...“
 

„Sprecht frei heraus, Lady Oscar. Ihr solltet wissen, Ich helfe Euch gerne.“
 

„Es geht um meine Mutter...“, entfuhr es Oscar aus dem Mund und sogleich verfluchte sie sich innerlich, weil sie selbst die Großherzigkeit der Prinzessin ausnutzte. Aber sie wollte nur einiges zum Guten ändern und das betraf auch ihre Mutter. Wenn ihr Vorhaben gelingen würde, dann würde Madame de Jarjayes nicht in die Ränke der Madame Dubarry geraten. „Also, Euer Hoheit... meine Mutter bedeutet mir sehr viel und ich möchte sie glücklich sehen... zuhause ist sie so einsam, aber hier am Hofe... und besonders an Eurer Seite...“
 

„Verdammt nochmal, Oscar!“, schollt sie unverhofft die Stimme: „Höre auf zu stottern!“
 

„Jetzt verstehe ich Eure Sorge, Lady Oscar!“, rettete sie Marie Antoinette aus dieser verzwickten Lage: „Ihr wünscht, dass Euer Mutter meine Hofdame wird!“
 

„Ja, Eure Hoheit.“ Oscar schnappte nach dem Köder und senkte beschämend ihren Blick auf die Tasse vor sich. Sie erkannte sich selbst nicht mehr.
 

„Das ist aber doch wunderbar, Lady Oscar! Ich würde Eure Mutter sehr gerne an meiner Seite haben! Ihr könnt sie morgen schon mitbringen!“
 

„Ich danke Euch, Eure Hoheit“, heuchelte Oscar Begeisterung und wünschte sich Meilen fort zu sein. „Entschuldigt wenn ich Euch jetzt so plötzlich verlasse, aber ich muss noch meine Mutter darüber unterrichten und sie auf ihren neuen Dienst vorbereiten.“
 

„Aber natürlich, Oscar. Ich wünsche Euch noch einen schönen Tag.“
 

Oscar bedankte sich nochmals beim Aufstehen und vollführte eine galante Verbeugung, bevor sie ging. Am besten wäre sie gerannt, aber die jahrelange Lehre in Disziplin und Selbstbeherrschung, ließ das nicht zu.
 

„Und wie war es im Salon Ihrer Hoheit?“, wollte Andre von ihr neugierig wissen. Er hatte sie in einem der langen Gänge abgepasst und eingeholt.
 

„Erträglich“, meinte Oscar knapp und beschleunigte ihren Schritt. „Sattle die Pferde. Wir reiten nach Hause. Marie Antoinette wünscht meine Mutter als ihre Hofdame.“
 

„Das ist doch eine große Ehre!“, frohlockte Andre neben ihr und hielt locker mit ihr Schritt. Er ahnte ja nicht, was für ein Sturm sich in Oscar gerade zusammen braute. Sie wirkte auf ihn wie immer gefasst und kühl.
 

„Ja, Andre, das ist eine große Ehre...“ Aber für wen, fragte sich Oscar zeitgleich. Sie hatte der Mätresse des Königs einen Strich durch die Rechnung gemacht, bevor diese überhaupt auf die Idee kam, Madame de Jarjayes als ihre Hofdame beim König zu erbitten. Oscar hatte das bewusst vereitelt und verhindert, dass Madame Dubarry einen Komplott gegen ihre Familie schmieden konnte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  hunny123
2014-07-20T07:44:08+00:00 20.07.2014 09:44
Haha ich liebe diese "Alternate Reality" Stories, ein anderes Leben, und doch gleich. Mit jeder Entscheidung denkt man, man hätte das Böse besiegt, aber es entstehen stets dadurch neue Probleme, ich denke kaum, dass Oscar mit ihrem heimlichen Zukunftswissen stehts ihrem Schicksal komplett entfliehen kann, man verzwickt sich immermehr. Finde die Idee von Fersen nicht in die Nähe von Marie zu lassen, sehr spannend, ob es Oscar gelingen wird?

Ich habe die Dubarry gehasst...hoffe, Oscar kommt mit ihrer kleinen List, ihre Mutter schon zuvor bei Marie anzustellen, durch


Antwort von:  Saph_ira
20.07.2014 20:12
Du hast es sehr gut erfasst, gefällt mir. Man kann in der Tat das Schicksal nicht bezwingen, aber vielleicht ist Oscar eine Ausnahme.... Immerhin ist sie ja etwas anders.... ;-)
Vielen, lieben Dank für deine Kommentare. :-)
Von:  FeelLikeParadise
2014-02-11T19:19:53+00:00 11.02.2014 20:19
Sehr schön geschrieben! :)
Außerdem gefällt mir hier die innere Stimme von Oscar :)
LG :)
Antwort von:  Saph_ira
11.02.2014 21:08
Dankeschön für dein lieben Kommentar. :-)
Es freut mich, dass dir die innere Stimme von Oscar gefällt. Mir übrigens auch. ;-)
Liebe Grüße :-)
Von:  Teddybaer255
2014-01-27T14:36:15+00:00 27.01.2014 15:36
Wieder ein sehr schönes kapitel ;)
Etwas kürzer als die anderen, aber trotzdem vollkommen ausreichend :D
Ihre Mutter als Hofdame von Marie Antoinette??
Wow :D Wie Andre schon sagte "Das ist eine große Ehre!"
Bin gespannt wie es weitergeht ;)
LG Teddy
Antwort von:  Saph_ira
27.01.2014 18:46
Dankeschön für dein lieben Kommentar ;-)
Ja, das ist der kürzeste Kapitel, glaube ich. Ich wusste nicht, was da noch hineinpassen könnte, deshalb hab ich so gelassen. ;-)
Es freut mich, dass dir das gefällt und du weiterliest ;-)
Liebe Grüße
Von: abgemeldet
2013-12-28T23:18:41+00:00 29.12.2013 00:18
Ganz ehrlich? Ich liebe dieses Kapitel! Besonders die Stelle wo Oscar vor Marie Antoinette zu Andre steht. ;)

Dieses Kapitel steckt so voller Gefühle - manchmal sogar unterschwellig. Wie du die Charaktere auftreten lässt wirkt sehr authentisch.

Weiter so!


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