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Vergessenes Schicksal

von

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Kapitel 3 - URD

Heute würde es zum letzten Mal schneien.

Sie lief gebückt durch die Menschenmenge, die sich vor dem Konzerthaus versammelt hatten und darauf warteten, dass die Türen sich endlich öffnen würden. Sie waren in ihre dicken Anoraks eingemummelt, die Schals eng um die Hälse gebunden und Mützen bedeckten ihre Köpfe. Alles, um sich so warm wie nur möglich zu halten. Trotzdem zitterten viele vor Kälte.

Sie selbst trug nur ein einfaches blumenbesticktes Kopftuch und über ihrem langen grauschwarz karierten Kleid eine dunkelblaue Schürze. Ihre Holzschuhe klackerten bei jedem ihrer Schritte. Ihre Kleidung war alles andere als winterfest und bestimmt hätte man ihr sofort eine Decke gebracht und sie ins Warme geholt, wenn man sie entdeckt hätte. Doch niemand sah die alte Frau, die langsam auf den Hintereingang zuging. Außerdem wurden gerade endlich die Türen geöffnet und die Menschen strömten auf das Gebäude zu. Hinein in die lang ersehnte Wärme.

Und obwohl sie inmitten durch die Menge ging und niemand sie sehen konnte, lief niemand durch sie hindurch. Automatisch machten sie einen Bogen um sie, sobald sie sich ihr näherten.

Sie jedoch schlug den Schotterweg ein, der um das Gebäude herum führte und folgte diesem. Auf der Rückseite öffnete sich die Tür, als sie sich dieser näherte und ein junger Mann trat heraus, eine Schachtel Zigaretten in der Hand. Sie schlich sich an ihm vorbei, als er gerade nach seinem Feuerzeug suchte und erhöhte ihr Tempo in dem erwärmten Gang. Es tat gut, aus der Kälte herauszukommen. Ein Lächeln bildete sich auf dem mit Falten durchzogenen Gesicht, während sie den Mann darüber fluchen hörte, dass es ihm wohl anscheinend nicht gelang, die Zigarette anzuzünden.

Es war so leicht, sich irgendwo einzuschleichen, wenn man nur wusste, wann sich wo welche Türen öffneten. Und so war ihr auch klar, dass die nächste Tür, auf die sie zusteuerte, offen stand. Und jemand würde dafür nachher noch gewaltigen Ärger kriegen.

Nun drangen die ersten Töne eines Cellos an ihr Ohr und sie trat zu dem großen Vorhang, schob ihn ein Stück zur Seite und guckte nach draußen.

Aus dem kleinen Versteck hinter der Bühne konnte sie sehen, wie voll der Saal geworden war – kein einziger Platz war mehr frei. Und alle Augenpaare waren auf die junge Frau gerichtet, die vorne auf der Bühne in einem bodenlangen, mintgrünen Kleid stand, neben ihr eine Frau im gleichen Alter die auf einem Hocker saß und ihr Cello stimmte. Als sie fertig war, nickte sie der Anderen zu, die dann einen Schritt nach vorne trat und den ersten Ton anstimmte.

Mit glockenheller Stimme, die gar nicht zu der Frau mit dem Kurzhaarschnitt und dem knabenhaften Körper passte, sang sie

Nachdem sie eine Weile dem sanften Gesang gelauscht hatte, drehte sich die alte Frau langsam um und machte sich auf den Weg zu ihrem Umkleideraum. Mit ihrem Tempo würde sie ankommen, wenn die junge Frau das Konzert beendet hatte.
 


 

„Also, wir sehen uns dann morgen!“

Sie winkte ihrer Freundin noch mal zum Abschied, dann betrat sie die Umkleide. Das wehleidige Piepsen drang augenblicklich an ihr Ohr, als sie die Tür hinter sich geschlossen hatte. Suchend sah sie sich im dem kleinen Zimmer um, in dem nur ein großer cremefarbener Schminktisch mit einem Hocker im gleichen Farbton davor. Etwas schräg rechts vor dem großen roten Teppich stand ein großer Sessel, über den sie vorhin ihre Kleidung geworfen hatte. Das Fenster hatte sie vor dem Auftritt noch einmal geöffnet, damit später frische Luft im Raum war.

Und von dort kam das Piepsen, bemerkte sie. Eilig ging sie darauf zu und entdeckte draußen auf dem Fensterbrett einen kleinen braungefiederten Vogel, dessen Flügel in einem merkwürdigen Winkel von seinem Körper abstand. Flehend blickten die kleinen, dunklen Knopfaugen an, während sie vorsichtig das kleine Flugtier in die Hand nahm. Es musste wohl gegen die Scheibe geflogen sein und sich dabei verletzt haben.

„Er wird sterben!“

Vor Schreck hätte sie beinahe den Vogel fallen gelassen. Sie drehte sich um und entdeckte inmitten des Raumes eine alte Frau – eine uralte Frau. Ihr Gesicht war mit tiefen Falten durchzogen, auf ihren Händen waren dunkle Altersflecken abgebildet und ihr schneeweißes Haar hing wirr und lose auf ihren Schultern. Mit glasig blauen Augen blickte sie Elenor durchdringend an, sodass diese einen Schritt zurück wich und gegen die Wand stieß.

„Wer bist du?“, fragte sie und versuchte die Furcht in ihrer Stimme zu unterdrücken. Immerhin war das doch nur eine alte Frau, an der es absolut nichts Gefährliches gab. Und trotzdem war die Alte ihr nicht geheuer.

„Der Vogel wird sterben“, wiederholte die Fremde ihren Satz und ignorierte Elenors Frage. „Du solltest ihn töten, sonst quält er sich nur!“

Elenor schluckte und blickte auf den kleinen Vogel in ihren Händen, der nur noch schwach vor sich hin piepste. Sie kannte sich nicht mit Tieren aus, aber möglicherweise log diese Frau ja auch. Wenn sie ihn nur schnell genug zu einem Tierarzt brachte, würde er es bestimmt retten können.

„Bis du bei einem Tierarzt angekommen bist, ist es schon zu spät.“ Irrte Elenor sich oder las diese Alte ihre Gedanken? Nein, das war lächerlich. Und doch, der Blick der Fremden ließ sie nicht los, war ihr nicht geheuer. Schon, dass sie einfach so wie aus dem Nichts in der Umkleide aufgetaucht war, ohne dass Elenor nichts davon mitgekriegt hatte, war unheimlich.

„Du weißt genau, dass du ihn nicht mehr retten kannst“, erklärte die alte Frau kühl und dieser Satz ließ bei ihr einen Geduldsfaden reißen. Entschlossen machte sie einen Schritt nach vorne. Sie würde sich nicht von einer verrückten Alten einschüchtern lassen.

„Wenn du mir nichts anderes zu sagen hast, was suchst du dann hier?“, fragte sie verärgert.

Und bei diesen Worten lächelte die Alte und um ihre Mundwinkel bildeten sich noch Falten.

„Nun, weil ich dir ein Angebot machen will“, erklärte sie ihr. „Was würdest du aufgeben, damit du den Vogel retten kannst?“

„Aufgeben?“

Elenor blickte verwundert auf. Ihr braunes Haar fiel ihr ins Gesicht und sie klemmte sich die Strähnen eilig hinters Ohr. Diese Alte war wirklich komplett durchgedreht. Was sollte sie denn aufgeben wollen?

„Du musst etwas aufgeben wollen, um den Vogel retten zu können“, erklärte die Frau und blickte sie mit wachsamen Blick an. „Da das Leben des Vogels recht klein ist, reicht auch etwas Kleines als Bezahlung. Was willst du opfern?“

Elenor wurde an diese ganzen Bücher erinnert, die ihre Freundin so gerne las über griechische Mythen und Opfergaben. Sollte sie etwa ein anderes Leben opfern?

Die Alte lachte und wieder zuckte Elenor zusammen. Sie konnte keine Gedanken lesen. So etwas gab es nicht, oder?

„Was soll ich aufgeben?“, fragte sie zögernd und bei dieser Frage lächelte die Alte wohl wissend. So, als hätte sie von Anfang an gewusst, das Elenor diese Frage stellen würde.

„Eine Erinnerung“, gab die Fremde nun zur Antwort. „Irgendeine Erinnerung von dir, die dir die Kraft gibt, dem Vogel sein Leben zu retten. Es gibt nur einen einzigen Haken an der ganzen Sache. Es muss eine Erinnerung sein, die du mit dem Tier verbindest.“

„Aber es gibt nur eine Erinnerung, die mich mit dem Vogel verbindet“, erkannte Elenor. „Das hier!“

„Also willst du diese Erinnerung aufgeben?“ Die Alte hob fragend eine ihrer dünnen Augenbrauen hoch. „Ich kann dir die Macht verleihen, Leben zu retten. Willst du das?“

Nachdenklich blickte Elenor auf den kleinen Vogel, der sie flehend anblickte. So als würde er wollen, dass sie dieses Angebot – so skurril es auch klang – annahm. Entschlossen blickte sie wieder auf und nickte dann.

„Lösch die letzten Minuten von dem, was hier geschehen ist!“, sprach sie mit lauter, klarer Stimme und die Alte war in Windeseile bei ihr und ritzte mit ihrem langen Daumennagel – ihr war gar nicht aufgefallen, dass dieser so lang war – einen kurzen Schnitt in ihre Unterlippe.

„Autsch.“ Elenor schmeckte Blut auf der Zunge. „Was sollte das denn?“

„Nun, Blut ist nun mal die beste Möglichkeit, um einen Vertrag zu besiegeln“, erwiderte die alte Frau und blies über ihren Daumennagel. Aus dem Tropfen Blut, der durch die Luft flog, entstand ein riesiger, schwarz gefiederter Raubvogel, der kreischend mit seinem Schnabel nach ihr piekte.

„Was – was ist das?“, rief sie schockiert aus und hob schützend die Arme vor ihr Gesicht um sich zu schützen.

„Die dunkle Seite einer Erinnerung“, rief die Alte ihr zu. „Du musst sie bekämpfen, wenn du nicht sterben willst!“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  traumherz
2014-10-11T14:26:53+00:00 11.10.2014 16:26
Und da kommt mein nächster Kommentar :)

Erst einmal: Hach, Cello! Es sind echt Kleinigkeiten, die mich schon total glücklich machen. Celli sind einfach so wunderschöne Instrumente … hach. Einfach nur schöööön :)
Und hach … das mit dem Vogel ist wirklich traurig. Ich kann sie so gut verstehen, dass sie dem armen Tier gerne helfen möchte. Und dass sie diesen Pakt eingeht … okay, es hat mich ein bisschen überrascht, dass sie der Alten so schnell Glauben schenkt. Aber davon mal abgesehen habe ich daran nichts zu beanstanden oder so. Ich finde es auf jeden Fall toll, dass sie sich dazu entschließt – auch wenn es natürlich echt bedrückend ist, wenn man weiß, worauf es hinausläuft x_x
Vor dem Hintergrund des Endes dieses Kapitels ergibt jetzt natürlich auch wieder das mit der Puppe im zweiten Kapitel wieder viel mehr Sinn für mich – das hatte ich nur leider vergessen, als ich den Kommentar zum zweiten Kapitel geschrieben hatte, haha xD
Aber ich finde es schön, dass eine der Nornen hier direkt in Erscheinung tritt. Das macht die ganze Geschichte irgendwie noch einmal viel runder.
Und die Sache mit der dunklen Seite einer Erinnerung finde ich auch wirklich toll. Ist eine gute Idee! Nicht einfach so ein random-Gegner, sondern eben was mit einem nachvollziehbaren Hintergrund, finde ich :) Gefällt mir – immer noch – sehr gut.


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