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Vergessenes Schicksal

von

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Drei Nornen


 

„Wie leicht man seine Freunde doch vergessen kann.“

„So leicht kann man seine Freunde doch vergessen.“

„Kann man seine Freunde so leicht vergessen?“
 

Sie kicherten, die drei uralten Frauen, die Rücken an Rücken saßen, während vor ihnen jeweils ein Spinnrad stand, mit dem sie immer wieder Fäden sponnen. Fäden, die sich mit denen der anderen beiden Frauen verbanden und von ihnen trennten. Fast schien es als würden die Fäden ein Eigenleben führen, so schnell wie sie durch die Finger der Frauen über das Spinnrad glitten. Wer die drei Frauen bei ihrer Arbeit beobachten konnte, würde diesen Anblick nie mehr vergessen – war es kein Wunder, schließlich würde derjenige bei diesem Anblick auf der Stelle tot umfallen. Niemand durfte sehen, was hier geschah.
 

„So wie es aussieht, hat niemand unsere Wette gewonnen.“

„Niemand von uns hat unsere Wette gewonnen.“

„Und wer hat jetzt unsere Wette gewonnen?“
 

Doch es war sowieso unmöglich, dass ein Sterblicher diese Höhle jemals betreten würde. Sie war umgeben von mächtigen Schutzzaubern und lag inmitten eines ewig tosenden Meeres umkreist von spitzen und todbringenden Felsen. Doch sobald das Wasser in die Höhle floss, wurde es ruhig und bewegungslos. Die Höhle war ein Ort der Stille, der Bewegungslosigkeit, der vollkommenen Ruhe. Nur die drei Frauen an ihrem Spinnrad waren das einzig Lebendige an diesem Ort, auch wenn ihre wenigen und seltenen Bewegungen kaum zu erkennen waren. Die Fäden, die sie sponnen, führten ins Wasser und wenn eine der alten Weiber eine bestimmte Bewegung machten, würden sie das sehen, was sie in den Faden eingesponnen hatten.

Das Schicksal, das Leben eines jeden Lebewesen auf der Welt. Sie sponnen es aus ihren eigenen langen, schneeweißen Haaren, die auf magische Weise nie zu wachsen aufhörten. Doch kam es vor, dass sie die Strähne mit einer alten, rostigen Schere abschnitten und der Faden ins Wasser fiel um dort auf Nimmerwiedersehen versank.
 

„Sie können sich nun an gar nichts mehr erinnern.“

„An nichts können sie sich nun noch erinnern.“

„An was sie sich nun noch erinnern können?“
 

Die Kleinste von ihnen schwenkte ihren Fuß und das Wasser änderte sich. Es wurde dunkler, schemenhafte Gestalten tauchten an der Oberfläche auf, die sich langsam wieder beruhigte. Nun zeigte das Wasser einen langen, weißen Flur, durch den zwei kräftige Männer eine junge Frau schleppten. Sie hing leblos in ihren Armen, rührte sich nicht, wenn man sie ansprach.
 

„Sie hat überlebt“, [[CODE=0]] „Doch ob sie es wirklich wollte?“

„Sei nicht albern. Schwester“, meinte die, die zu ihrer Rechten saß. „Ein Leben ohne Erinnerungen würde niemand haben wollen.“

„Aber sie wussten worauf sie sich einlassen“, entgegnete die Dritte im Bunde. „Wir haben es ihnen doch gesagt.“

Sie schnipste mit dem Finger und die Szene im Wasser änderte sich. Wieder zeigten sie die junge Frau, die schreiend vor zwei Leichen lag. Sie stolperte auf die beiden jungen Frauen zu, schüttelte an ihnen, schrie sie an, doch wieder aufzuwachen. Doch nichts dergleichen geschah. Ein Pfeil steckte tief in der Brust der einen, während die andere eine Wunde am Kopf hatte, unweit von ihr lag ein Beil, an dem Blut klebte. Hier hatte ein schrecklicher Kampf stattgefunden.

Das Schreien der Überlebenden weckte die Nachbarschaft und in den Häusern gingen die ersten Lichter an. Eine Frau – mit dem gleichen blonden Haar – trat nach draußen und rief laut, was denn dieser Krach zu bedeuten hätte. Doch als sie die beiden Leichen entdeckte, wurde sie blass im Gesicht – was aufgrund ihres hellen Teints kaum auffiel – und eilte ins Haus zurück. Sie würde einen Notruf absetzen, denn wenige Minuten später kamen Krankenwagen und Polizei mit Blaulicht und Sirene angefahren. Während die Polizisten die Straße absperrten und andere die beiden Leichen untersuchten, gingen zwei Männer auf das dritte Mädchen zu, sprachen beruhigend auf sie ein. Als sie die beiden Männer entdeckte, erschrak sie und stolperte nach hinten. Doch ihre Flucht wurde unterbrochen, als sie gegen einen Gartenzaun prallte. Zu schwach um aufzustehen und einfach davonzulaufen, konnte sie nichts anderes tun, als sich von den Männern abführen zu lassen.
 

Es war eine Wette gewesen, die den drei alten Spinnerinnen in den Sinn gekommen war. Nach Jahrtausenden des ewigen Spinnraddrehens war ihnen – plump gesagt – langweilig geworden. Und so hatten sie eine Wette abgeschlossen. Diejenige, deren Schützling zuletzt ihre ganzen Erinnerungen verlieren würde, hätte dann gewonnen.
 

„Leider konnten wir nicht wissen, dass sie gleichzeitig ihre letzte Erinnerung verlieren.“

„Wir konnten nicht wissen, dass sie gleichzeitig ihre letzte Erinnerung verlieren würden.“

„Konnten wir wissen, dass sie gleichzeitig ihre Erinnerung verlieren würden?“
 

Sie hatten drei junge Frauen gewählt. Studentinnen, die ihr ganzes Leben noch vor sich gehabt hatte. Junge Menschen, voll von Energie, denen sie magische Kräfte übertrugen. Magie, die einen Preis forderte. Denn jedes Mal, wenn sie auf magische Weise ein Leben retteten, mussten sie dafür eine Erinnerung einbüßen. Der erste Kuss – die Mutter, die einem Abends Gutenachtgeschichten vorlas – das Plätzchenbacken mit den Großeltern – alles wurde nach und nach gelöscht. Solange, bis nichts mehr übrig war.

Bis sie nur noch ein leeres Selbst waren.

Die Dritte schürzte mit den Lippen und die Oberfläche des Wassers zeigte nun wieder die junge Frau, die mit einem Arzt, vermutlich einem Psychologen in einem Raum saß. Der Arzt stellte ihr Fragen, doch sie antwortete auf keine einzige. Ihr Blick war leer, regelrecht tot. Nach einer Weile gab der Mann es auf und rief zwei weitere Männer in den Raum, die die junge Frau zurück auf ihr Zimmer bringen würden.
 

Weil sie nichts zu ihrer Verteidigung sagte, würde man sie wegen Mordes und unterlassener Hilfeleistung einsperren. Der Arzt würde es nur noch schaffen, einen lebenslangen Aufenthalt in der geschlossenen Anstalt zu erzwingen, anstelle eines Gefängnisaufenthaltes, der für eine junge und labile Frau wie sie definitiv nicht dazu beitragen würde, dass sie wieder normal wurde. Diese dummen Menschen konnten nicht ahnen, dass nichts dieser armen Gestalt noch helfen konnten. Sie war gebrochen, und keine Therapie würde sie wieder richten. Sie würde ihr Leben in der Anstalt verbringen. Auch wenn dieses Leben nicht mehr lange existieren würde.
 

Das letzte Bild, das das Wasser zeigte, war wieder die junge Frau. Sie lag in einem roten Kleid auf einer einfachen Liege und riss Seiten aus dem Buch, das niemand ihr wegnehmen durfte, ohne dass sie laut zu schreien anfing. Langsam, beinahe schon liebevoll riss sie Seite für Seite aus dem Buch, zerknüllte sie und warf sie schließlich auf den Boden. Schließlich war nur noch eine Seite übrig, auf die ihre Tränen tropften und die Schrift nur noch schwer lesbar wurde. Doch sie wusste, was dort stand. Sie würde es nie vergessen.
 

Madeline lächelte und atmete tief ein. „Kommt her“, sagte sie zu den beiden Mädchen, die nach vorne traten und sie an der Hand nahmen. „Ist es nicht herrlich, dass wir wieder Freundinnen sind? Wisst ihr, tief in meinem Herzen habe ich euch nie vergessen können!“
 

Für unsere allerliebste Freundin,

Sigyn Elenor
 



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  traumherz
2014-10-11T14:35:03+00:00 11.10.2014 16:35
Soo … und damit bin ich nun auch schon beim Epilog angekommen. Noch einmal eine große Entschuldigung dafür, dass ich das erst jetzt gebührend kommentiert habe x.x Wie gesagt, es ging bei mir leider wirklich nicht früher.

Hach … die Nornen. Die sind einfach einer meiner Lieblingsaspekte an der nordischen Mythologie (und auch generell in anderen Mythologien ihre Gegenstücke, zum Beispiel die Parzen). Ich finde die einfach total interessant :) Deshalb freue ich mich immer noch total darüber, dass du die Geschichte mit ihnen verbunden hast.

Und ich finde den Epilog auch wirklich gelungen. Er rundet die ganze Geschichte noch einmal sehr gut ab und man erkennt dann auch endgültig die Zusammenhänge sehr viel besser. Ich mag auch einfach insgesamt diese Idee, dass sie das Retten von Leben anderer mit eigenen Erinnerungen bezahlen mussten. Man unterschätzt das irgendwie so schnell, wenn es nur eine kleine Sache ist. Ich würde mir auch denken »wow, wenn ich ein Leben retten könnte und nur mit einer Erinnerung bezahlen müsste, das wäre doch echt super«. Aber so einfach ist es ja nicht, denn wenn man wirklich alle Erinnerungen verloren hat … ja, das ist wirklich schrecklich.

Immerhin hat es ja auch dazu geführt, dass die Freundinnen einander vergessen haben und dass zwei von ihnen tot sind … und die dritte innerlich ja eigentlich auch. Ich fand auch das Ende sehr eindringlich mit der Inschrift in dem Buch.

Also abschließend kann ich nur sagen, dass es eine sehr gelungene Geschichte ist, über die ich mich schon damals sehr gefreut habe und die ich jetzt auch sehr gerne noch einmal gelesen habe. Vielen, vielen Dank dafür!

Ganz liebe Grüße,
traumherz


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