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Night's End

Der Wiedergänger
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Das ist das letzte Kapitel des zweiten Teils. Komplett anzeigen

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Ihad

Bis die Nacht aufzog, saß Luca auf den Stufen des Hauptportals vor dem Herrenhaus. Ayco rieb sich die Schläfen. Er hatte Lucas gesamten Ausführungen zu seinem Traum und dem von I’Eneel geschaffenen Bild der Vergangenheit erneut gelauscht, den Magier zuvor aber fast gezwungen noch einmal alles minutiös zu erzählen. Luca betrachtete den Elf. Sein Schädel schmerzte höllisch. Tambren lag schwer wie ein Bleigewicht in seinem Nacken.

Über die Muskeln breitete sich das Stechen aus bis zu seinen Augen und Schläfen, wandelte sich dort zu einem dumpfen Pochen, im Takt eines schwerfälligen Herzschlages und erschütterte seinen Körper bis in die Eingeweide hinab.

Die Vermutung, dass dieser Ort die Wiege der Seraphin war, drängte sich dem Magier auf. Mehr noch erwachte in ihm ein Verdacht, ein bislang ungreifbares Gefühl von Verbundenheit zu dem Ort, den er beharrlich von sich schob.

„Ihad kann mir vielleicht die Antworten geben, die ich brauche, Ayco“, sagte er vorsichtig. In seine Vermutungen, die er sogar vor Tam zu schützen versuchte, wollte er sich nicht unbedacht noch weiter verstricken.

Langsam, unsicher auf seinen Füßen, erhob sich Luca und machte ein, zwei unsichere Schritte in Richtung Night’s End.

Besorgt griff der Elf unter Lucas Arme und stützte ihn.

Tambren krabbelte aus Lucas Nacken und sprang zu Boden. Sein Aufprall wurde von feuchtem Moos und Geäst gedämpft. So langsam wie sie nun gingen, konnte der Drachling sogar aufrecht gehend, mit ihnen Schritt halten. In seiner vermenschlichten Art legte er seinen kürzen, von der wenigen Nutzung recht dünnen linken Arm um Lucas Knie und versuchte ihn so etwas zu stützen. Ayco lachte leise, aber mit wenig Humor in der Stimme. „So wird das nichts, Tammy.“

Luca sah hinab und bereute es fast gleichzeitig. Die Welt begann zu wanken. Instinktiv hielt er sich an seinem Freund fest und schloss die Augen. Sein Herz raste von den wenigen Metern Weg durch den Wald.

Was nahm ihm nur die ganze Kraft an diesem Ort? War es das Wissen, dem er sich Stück um Stück näherte? Schützte sich der Ort so selbst? Ihad musste ihm antworten, schnell. Vielleicht konnte ihm sonst nur noch Gregorius helfen, und vielleicht der sechs geflügelte Seraphin.

Mühsam stolperte er in einem immer dichter werdenden Nebel aus Müdigkeit, Erschöpfung, Überanstrengung und Schmerzen, zwischen Ayco und Tam dahin, ohne noch zu wissen, wie viel Zeit verstrich.

Für wenige, geringe Herzschläge spürte er das gut geschützte Gewebe eines Zaubers. Doch das Wissen versank in der erdrückenden Last aus Schmerzen.

Alles verschwamm um ihn zu einer grauen Masse, die in sich wirbelte, dessen Epizentrum ein dunkler Punkt war, den er nicht mehr ergreifen konnte.

Plötzlich zerrissen die Bilder grauschwarzer Nebelschleier und geisterhafter Schemen um ihn und machten dem warmen, klaren Licht einer Kerze platz. Der Duft nach Zimt, Koriander, würzigen Kräutern und Alkohol erfüllte den Raum und unter seinem Leib fühlte Luca weiche Daunenkissen und –decken.

Die niedrige Decke verging in dunstigem Schatten. Er fühlte Tambren, der behutsam auf seine Brust kroch und sich dort mit langem Seufzen niederlegte und Aycolén, dessen Nähe er dicht neben sich wahrnahm.

„Er erwacht!“, hörte er Aycos Stimme. Darin fand sich Sorge und Erleichterung, dachte Luca. Er ahnte bereits, dass sie sich bei Ihad aufhielten, noch bevor die dunkle Stimme des Dämonen Aycolén antwortete.

„Dann bricht der Zauber auf, der ihn niederzwingt“, murmelte der Großmeister langsam. Er neigte nun sein gehörntes Haupt über Luca und packte Tam, der es sich gerade auf Lucas Brust gemütlich gemacht hatte, im Nacken, um ihn sanft auf dem Kissen unter Lucas Kopf nieder zu setzen.

‚Warum machst du mir immer solche Sorgen, Luca?’, fragte Ihad sanft. Luca brauchte Sekunden um zu begreifen, dass der Dämon die Lippen nicht bewegt hatte.

Der Magier senkte den Blick. ‚Wenn du mich immer nur mit Halbwahrheiten abspeist, werde ich wohl nie der folgsame Schüler sein, den du haben willst, Meister’, entgegnete er stumm. Dieses Mal flammte in Ihads Blick kein Flammenmeer auf. Seine Augen blieben ruhig und golden. Das lange, glatte, schwere Haar fiel über die muskulösen Schultern Ihads und berührten Lucas Brust. Der Magier registrierte ganz am Rande, dass er vollkommen nackt war und auf seiner Haut immer noch die leichte Feuchtigkeit von Ölen, Alkohol und Wasser stand. Irgendein irrealer Gedanke erinnerte Luca daran, dass Ayco vor Wut und Eifersucht eigentlich kochen lassen müsste, in der Situation, in der sie sich nun befanden. Instinktiv sah er zu dem Elf, der neben ihm lag, ebenfalls unbekleidet. Hätte Luca die Möglichkeit gehabt ihn nun, in dieser Sekunde zu zeichnen, so hätte er es zu gerne getan. Ayco lag auf der Seite, eine Hand unter seinen Kopf geschoben, die andere um seinen Oberkörper geschlungen, ein Bein angewinkelt und umwoben von silbrigen Haarsträhnen. Der Blick der Jadeaugen war sehnsüchtig und lasziv. Wie eine Katze spielte er mit einer von Lucas schwarzen Haarsträhnen und verflocht sie still mit den seinen.

Für einen Moment gestattete der Magier sich den Wunsch, nun allein mit Ayco zu sein und seinen Körper in vollen Zügen zu genießen.

Scheinbar fing Ihad den Gedankengang auf, denn er sah seinen Schüler tadelnd an.

Der Magier verdrängte seine Sehnsucht unwillig in eine andere Ecke seines Bewusstseins und verschob sie auf einen spätern Zeitpunkt.

‚Was habe ich dir verschwiegen, Luca?’ nahm nun Ihad den Dialog wieder auf, wobei er seine Hände rechts und links von Lucas Gesicht in die Kissen stützte.

Seine Blicke bohrten sich in Lucas Seele, sanft aber unerbittlich. Luca erinnerte sich unfreiwillig an die Jahre im Orden, in denen er die Magie Ihads lernte, die Sehnsüchte und die Lust Anderer zu nutzen, um in ihren Geist einzudringen. Neben sich hörte er Ayco, der sich langsam aufrichtete, sah aus dem Augenwinkel, wie sich die verträumte Mimik des Elfs in blanken Hass verwandelte und sich der ganze Leib des jungen Mannes spannte.

Luca schloss die Lider. „Ihad, es reicht!“, sagte er bestimmt und laut. Er spürte, dass der Dämon mit voller Absicht den Bogen bei dem Elf überspannte.

Ihad neigte sich über Luca bis sein heißer Atem die Haut des Magiers zu verbrennen drohte. Von Ihad ging eine unsägliche Hitze aus. So kalt Cyprian war, so sengend war sein Gegenpol.

Die Lippen des Dämons näherten sich Lucas. Entsetzt drückte sich der junge Mann tiefer in die Kissen, wendete aber den Kopf nicht. Ihad verharrte weniger als einen Hauch von dem Magier entfernt. Dann verzog ein hässliches Lachen seine Lippen. Er neigte sich zu Lucas Ohr. „Was erlaubst du dir mir gegenüber, Schüler?!“, wisperte er. Lucas Haut schien erneut zu verbrennen. Schauer rannen seinen Rücken herab.

„Nicht ich bin hier in Erklärungsnotstand, sondern Du“, presste er hervor.

Der Bann brach. Ihad hatte sich keine Sekunde bewegt, seit er sich über Luca geneigt hatte. Zwischen ihnen befand sich genügend Raum.

In einer fließenden Bewegung richtete sich Luca nun auch auf und sah seinem Meister in die Augen.

„Beantworte meine Fragen, Ihad“, bat er nun wesentlich sanfter.

Der Dämon zog die Brauen zusammen. Scheinbar verlor er das Interesse an dem Spiel; für den Moment.

Luca spürte deutlich, dass er den richtigen Weg eingeschlagen hatte. Ihad zu zeigen, dass er ihn fürchtete, war nie gut.

Der Dämon hob die Brauen und strich sein Haar über die Schultern. „Stell mir deine Fragen, Luca“, sagte er. „Ich werde mir dann überlegen, welche ich beantworte.“

Nachdenklich legte Luca den Kopf in den Nacken und betrachtete die Deckenkonstruktion, verfolgte ihre Verläufe. Das half ihm, klar zu denken, einen Anfang zu finden, aus dem sich Ihad nicht herauswinden konnte.

„Vor einhundert Jahren habe ich schon einmal gelebt“, begann er. „auch als ein Magier deines Ordens. Nur war ich damals von Anfang an bei dir.“

Die Vermutung wurde für Luca zur Gewissheit, als er ein kurzes Zucken in Ihads Augen sah und sie Pupillen des Dämonen zu tiefem Rotgold veränderten.

„Du hast mich also vor neunzehn Jahren mit voller Absicht suchen lassen, weil du von Anfang an wusstest, dass ich wiedergeboren und dabei nicht anders sein würde als 100 Jahre zuvor?“

Ihad zuckte mit den Schultern. „Seit 700 Jahren treibe ich das Spiel schon“, gab er offen zu. „Alt geworden bist du selten, Luca.“

Der Magier fühlte, wie ihm das Blut aus dem Gesicht wich. Ihm wurde schwindelig und schlecht.

„Dein Leben scheiterte allein in den vergangenen hundert Jahren drei Mal an diesem elfischen Narren. Aber auseinander halten konnte ich euch nicht. Gleich was ich tat, um euch zu trennen...“

Ayco rammte Ihad ohne eine Vorwarnung die Faust in den Leib. Der Dämon wendete nur träge den Kopf. „Wenn ich eure Erinnerungen nicht immer wieder verändert hätte, wäre weitaus schlimmeres passiert. Und du kleiner Narr kannst dir sicher sein, dass Luca immer wegen Dir starb!“

Ihads Stimme nahm nicht an Lautstärke oder schärfe zu, aber sie reichte um für Luca die Welt erneut ins Wanken zu bringen.

Ayco saß bebend neben ihm. Seine Augen hatten sich entsetzt geweitet. Scheinbar bemerkte er nicht einmal, dass Tränen über seine bleichen Wangen liefen. Die Welt des jungen Elfen erschütterte sich offenbar in ihre Grundfesten. Luca ergriff seine Hand, drückte sie sanft, spürte aber sofort das Widerstreben des Elfs, als dieser realisierte, dass Luca ihn berührte.

Er entwand sich dem Magier.

„Nicht!“, hauchte Ayco tonlos.

Tam krabbelte nun schwerfällig auf Aycos Knie und zog ihn sanft an einer Haarsträhne.

„Luca ist nicht dein Feind, Ayco …“

„Aber wenn ich seinen Tot bedeute, muss ich …“, begann Ayco hilflos, wurde aber sofort und barsch von Ihad unterbrochen.

„Reiß dich zusammen, Elf!“, donnerte er wütend. „Mein Fehler war, anzunehmen, dass ich euch trennen muss. Das habe ich aber erst in dieser verdammten Höhle vor einigen Tagen erkannt. Ich darf euch nicht trennen, weil ihr eine Einheit bildet. Egal was ich dafür getan habe, ohne dich kann Luca gar nicht das werden, was er ist. Du bist der Schlüssel dazu.“

Verständnislos sah Ayco ihn an. Der Blick unter dem silbernen Pony war der eines verstörten Kindes.

Ihad hob eine Braue. „Das musst du nicht verstehen, Aycolén.“

Er wendete sich Luca zu, der nun doch Aycos Hand in die Seine nahm und den jungen Elf an sich zog. Ayco bebte immer noch, entzog sich aber nicht mehr Lucas Berührungen.

Einen Herzschlag später krallte sich Ayco hilfesuchend an Luca und vergrub sein Gesicht an der Brust des Magiers. Zärtlich umschlang Luca seinen Geliebten.

„Solltest du noch einmal den unwiderstehlichen Drang verspüren, mich zu schlagen, Aycolén, dann unterdrücke ihn das nächste Mal!“, knurrte Ihad. „Bei dir lasse ich schon mehr Nachsicht walten als bei jedem anderen, davon ganz abgesehen gibt das unschöne Prellungen, und das ist etwas, dass mir nun wirklich nicht zusagt!“

Luca zweifelte daran, dass Ayco auch nur eine Sekunde zugehört hatte, konnte aber Ihad nur zustimmen. So viel ließ sich der Dämon normal nicht gefallen. Jeder andere, der sich diese Respektlosigkeiten erlaubt hätte, wäre einen Herzschlag später tot gewesen.

Dennoch lenkte er seine Gedanken wieder um. „Warum ich?“, fragte er Ihad nun leise.

Der Dämon hob die Hände. Seine Lippen verzogen sich zu einem schmalen Strich. Stumm schüttelte er den Kopf.

„Kannst oder willst du mir nicht Antworten?“, fragte Luca. Wut schwang in seiner Stimme mit.

„Ich darf nicht in dein Schicksal eingreifen. Das ist mir als Außerweltlichem verboten“, sagte er schlicht.

Lucas Herz krampfte sich kurz und schmerzhaft zusammen. „Was darfst du nicht? Hast du dich nicht schon zur Genüge in mein Leben und mein Schicksal eingemischt? Du versuchst es doch beständig dem anzupassen, was auch deinen Zielen genügt!“

Ihad hob eine Braue. „Dein Schicksal ist es den Orden zu führen“, gab er offen zu. „Dein Schicksal wird es sein, der Großmeister zu werden, aber ebenso ist es auch dein Schicksal dieser Welt zu dienen. Weshalb, warum gerade du, oder eher ihr beide, kann ich nicht sagen, weil es mir verboten ist. Allein das schon reicht aus, sie zu wecken, ihr Misstrauen...“

In Ihads Augen sah Luca das Reflektieren tiefer Angst. Nie hätte er sich vorstellen können, dass es etwas gab, dass Ihad fürchtete. Der Gedanke, dass der mächtige, grausam verspielte Dämonenfürst sich vor etwas anderem, noch mächtigerem beugen musste, erschien Luca abstrus, aber zugleich auch erschreckend. Einen Herzschlag später spürte er, wie sich etwas änderte. Die Schatten verdichteten sich, ballten sich unter den Deckenbalken zu etwas stofflich bedrohlichen, zogen ihre gesamte Materie zusammen und zerrten die Wirklichkeit in einen bizarren, unbegreiflichen Blickwinkel, den Luca kaum zu verstehen in der Lage war. Tam spannte sich. Seine sensiblen Sinne fingen die Schwingungen zu deutlich auf. Er spürte die Anwesenheit von diesen Geschöpfen. Seine Schuppen plusterten sich auf und begannen leise zu klappern. Er zischte leise, grell und hoch. Dieser Laut war nah am nicht mehr wahrnehmbaren. Goldstaub wirbelte von seinem Schuppenkleid auf und bildete winzige Wirbel, die immer dichter und enger in sich rotierten. Plötzlich entzündeten sie sich und begannen in grellstem Sonnenfeuer zu leuchten. Für einen winzigen Moment konnte Luca sie sehen, diese Geschöpfe! Sie waren Materie und Energie in einem, stofflich und unfassbar, Wissen und Gedanken von Äonen. Keine Aki Valstroem, kein Gregorius oder Justin war in der Lage sich gegen sie zu wehren, auch kein Ihad... All die Götter, seine Freunde, Verbündeten, Gegner, waren nicht in der Lage dieses Bewusstsein zu ergreifen, zu erfassen als das, was es war. Für eine schreckliche Ewigkeit wusste Luca alles, erreichte den Grund des Wissens und erkannte das Geschöpf, aber dann, gleichzeitige mit dem Niedersinken des Goldstaubes, versank auch die Erinnerung wieder und das Wissen rann durch seine Finger, ohne mehr zu hinterlassen, als der Gewissheit, dass sie nun im Fokus eines Geschöpfes waren, dass in seiner Macht über allem stand, was Luca bislang kannte.

Als Luca zu Ayco und Ihad sah, wusste er, dass sie beide nicht gesehen hatten, was sich ihm offenbarte. Beide trugen wahnsinnige Angst in sich. Ihre Blickle verrieten es dem Magier. Tam hatte sich eng zusammengerollt und zitterte am ganzen Leib. Luca strich seinem kleinen Freund zärtlich über die Schuppen. Er hatte einen Kampf beobachtet, ein stiller Kampf, bei dem beide Gegner unentschieden hervor gingen. Tambren konnte sich also gegen sie wehren und er, weil er mit dem Drachling verbunden war, hatte einen winzigen Moment das Fenster zu der eigentlichen Wahrheit aufstoßen können.

Plötzlich nahm alles um ihn herum einen abstoßend schalen Beigeschmack an, denn er begriff, dass dieses Leben hier eine Illusion war. Luca allerdings wusste, dass sie sich diesen gelebten Lügen beugen mussten, weil sie sonst alle Grundlage verlieren könnten.

Obgleich die Frage fast ihren Sinn verloren hatte, stand sie nun präsenter denn je im Raum.

„Warum ich?“

Ihad brauchte lange um die Frage zu erfassen und zu beantworten. Er sah Luca still an.

Nach einer stillen Endlosigkeit, in der alles die Luft anzuhalten schien regte Ihad sich. Er erhob sich langsam und schüttelte sein gehörntes Haupt. „Wieso willst du das alles wissen, Luca? Leben kannst du auch ohne die Antworten. Das würde dir auch sicher besser bekommen.“

„Warum ich?“, fragte Luca erneut.

„Weil du der einzige deiner Art bist. Es gibt keinen anderen, der so ist wie du.“, entgegnete Ihad müde.

Mit dieser Antwort war Luca nicht schlauer als zuvor. Seraphin gab es vielleicht nicht sonderlich viele, aber er zeichnete sich dadurch aus, dass er einfach nur ein Seraphin aus Valvermont war. Magier wie ihn gab es auch reichlich. Vielleicht war es einfach die Tatsache, dass er immer wiedergeboren wurde und das immer als dieselbe Person.

Ihad schien die Verwirrung in den Augen des Magiers gelesen zu haben. Er lachte humorlos auf. „Dass die Antwort dir nicht hilft, Luca, war mir schon klar, mein Freund. Aber mehr werde ich dir dazu nicht sagen. Den Rest wirst du mit deiner Beharrlichkeit noch herausfinden. Nur zweifele ich daran, dass du deinen Spaß an der Antwort haben wirst.“

Er begann die Tongefäße auf dem Tisch zusammenzusammeln.

„Was hat er damit gemeint, Luca?“, fragte nun auch Ayco.

Der Magier hob hilflos die Schultern.

„Ich kann es Dir nicht sagen“, flüsterte er, umschlang den Elfen aber fester.

„Ihad, Fragen habe ich dennoch.“

Der Dämon drehte sich gereizt um. „Was denn noch, Luca?!“

„Wer war I’Eneel?“, fragte Luca leise.

Der Dämon stellte wuchtig einen Salbentopf auf den Tisch, sodass alle Phiolen leise klirrten.

„Bist du denn immer noch nicht zufrieden?“, zischte der Dämon.

„Nein, weil wir zu viele Dinge, Hinweise von Dir zu ihm und umgekehrt bei I’Eneel gefunden haben und ich mir sicher bin, dass es eine Verbindung zwischen euch beiden gab!“

Ihads Augen verfärbten sich rot. Ayco allerdings schien seine Angst gegenüber des Dämons überwunden zu haben. Er richtete sich auf. „Was habt ihr miteinander zu tun gehabt?!“, fragte nun auch er. „War er einst einmal einer deiner Schüler?“

„Ja, verdammt, das war er! Mit ihm und Luca zusammen habe ich das Serum erforscht, was ihn zu diesem … Ding zwischen Leben und Tot gemacht hatte!“

Er schlug die Faust auf den Tisch. „Das ist zwei Jahrhunderte her. Damals habe ich ausgiebig solche Forschungen betrieben und vieles erfahren und gesehen, was die Essenz der heutigen Nekromantie ist.“

Er verschränkte die Arme vor der Brust und setzte sich auf die Tischkante. „I’Eneel war ein älterer Schüler, älter als Luca damals. Er fixierte sich auf Lebensmanipulation. In Luca sah er etwas besonderes, wie auch ich damals. Er war damals ganz allein mein. Selbst Cyprian wusste nichts von dem Jungen in meinen Gemächern, nur I’Eneel, der ihn dazu nutzte das ewige Leben auszutesten. Luca allerdings war zu stabil und stark für I’Eneel und der Zauber, der den alten Halbelfen später zu dem Untoten machte, funktionierte bei Luca völlig anders. Er entwickelte eine Resistenz gegen Lebensmanipulationen. I’Eneel dachte wohl, dass das allgemeingültig sei. Damit irrte er ziemlich. Der Idiot brach sein Studium bei mir ab und verschwand. Dass Luca nicht unsterblich war, wurde mir bewusst, als ich ihn tot in meinem Arm hielt. I’Eneel hatte ihn – vermutlich unbeabsichtigt – getötet.“

Ayco starrte Ihad an. „Das erzählst du so ruhig und beiläufig?!“, stieß er fassungslos hervor.

„Wenn du ihn so oft verloren und wiedergefunden hättest, Ayco, wäre der Tot für dich kein Schrecken mehr. In Luca hat sich immer ein Teil des Wissens aus seinem Vorleben manifestiert gehabt. Er lernte immer schon schneller als alle anderen um ihn herum und deshalb suchte ich ihn mir immer wieder aus, zwang ihn immer wieder zu mir zurück. Und er kam jedes mal wieder zu mir. Ich bin sein Mentor, Junge, schon seit Jahrhunderten. Und ich liebe es, ihn aufwachsen zu sehen, seinen Verstand zu füllen und ihn mit allem auszustatten, was er begehrt.“ Luca hörte in Ihads Stimme zum ersten Mal wirkliches Interesse, Zuneigung und Stolz heraus. Es schien ihm fast, als habe der Dämon ihn adoptiert.

„Eines allerdings hast du ihm nie gegeben, Ihad“, sagte Ayco leise. „Wärme und Liebe. Du hast ihn benutzt, weil er in deinen Plan hinein passte, oder?!“ Der Elf funkelte Ihad an. „Vielleicht entstand der Plan auch nur wegen Luca. Vielleicht war er der Grund, weshalb du diesen …“

„Schweig!“, fuhr ihn Ihad an.

„Dann bin ich der Wahrheit wohl sehr nah, oder?“, fragte Ayco herausfordernd. Unmerklich schob sich der Kiefer des Elfs vor. Angriffslust spiegelte sich in seiner Mimik wieder.

Luca seufzte. „Auseinander ihr Beiden“, bat er ruhig, bevor Ihad nachsetzen konnte.

„Wie konnte I’Eneel an die Formel kommen?“, fragte er Ihad.

Der Dämon wiegte den Kopf. „Vielleicht durch dich, das weiß ich nicht. Als du ihm rund hundert Jahre später, für ihn fast unverändert wieder unter die Augen tratst, musste er annehmen, dass alle Alterung bei dir gestoppt worden sein musste. Er kannte dein Geheimnis nicht...“

„Sowenig wie ich selbst“, unterbrach ihn Luca. „Vermutlich dachte er auch, dass ich ihn nicht mehr erkennen würde, weil er doch älter geworden war, oder irre ich in der Annahme?“ Ihad hob die Schultern. „Das sind nun nur noch Spekulationen. Darauf habe ich keine Antwort. Logisch allerdings wäre es.“

„Warum könnte mich I’Eneel umgebracht haben?“, fragte Luca leise.

Die Augen des Dämons nahmen wieder ihre goldene Färbung an.

„Vor zweihundert Jahren hast du dich ihm vermutlich in den Weg gestellt, als er die Formel in seinen Besitz bringen wollte. Vor hundert Jahren, darin bin ich mir sehr sicher, fürchtete er, dass du ihn erkennen und verraten könntest, zumal er wohl etwas wie ein ehrbares Leben zu haben schien.“

„Ja und einen Packt mit meinem Vater, den er gebrochen hatte“, zischte Ayco zornig. „Er und Gregorius sind Mörder und Verräter an dem ganzen Dorf Night’s End!“

Tam kugelte sich fester zusammen. „Hört bitte auf“, keuchte er. „All die Gedanken, die ich aufnehme, die Erinnerungen von dir, Ayco, und von Ihad, bringen mich um den Verstand. Mir wird schlecht, wenn ich euch noch lange zuhören muss.“

Betroffen zuckte Ayco zusammen. „Entschuldige, Kleiner“, flüsterte er. Tambren allerdings schottete bereits seine Gedanken vor Ayco ab.

Luca hob seinen Freund hoch, in seine Arme und drückte ihn sanft. ‚Deine Gedanken drehen sich nicht um dieses elende Abschlachten und den Mord an Lea, Lyeth und dir, du denkst auch nicht an Macht und Sex. Lass mich eine Weile bei deinen Gedanken verharren, Luca. Sie sind weit und fern, wie kühle Nachtluft.’

Tatsächlich hatten sich Lucas Gedanken selbst von dem Konstrukt aus Halbwahrheiten gelöst. Er versuchte seine Gedanken erneut zu sammeln, indem er daran dachte zu fliegen, frei zu sein und fern aller Sorgen und Mauern, die ihn herabzwangen.

Er schloss die Augen. „Danke Ihad für deine Geduld und die Auskünfte. Danke auch, dass du mich von dem Bann befreit hast, der über mir lag. Aber ich denke, es ist an der Zeit, dass Ayco, Tam und ich schlafen gehen, bevor der Tross morgen gen Valvermont aufbricht.“

Der Dämon nickte matt.

„Gute Nacht.“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Hier endet der zweite Teil des ersten Buches.

Anfang 2015 erscheint im Incubus-Verlag ein weiterer Roman der in Äos (der Welt von Night's End) spielt.

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