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Prophecy

Frühlingswichteln 2014
von

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Second Dream

Second Dream

 

Jahre waren vergangen, seit Gilbert den Bezarius-Haushalt verlassen hatte, um zu den Nightrays zu ziehen und von ihnen adoptiert zu werden. Seit Jahren trug er nun den Namen Nightray und hatte sich erstaunlicherweise auch bei ihnen eingewöhnt. Neben Vincent, seinem leiblichen Bruder, hatte er noch andere Adoptivgeschwister, mit denen er sich mehr oder weniger arrangiert hatte.

Als er damals das erste Mal auf Vincent getroffen war, hatte es ihm schier die Sprache verschlagen. Der blonde Junge hatte zwei verschiedenfarbige Augen, das eine rot und das andere so golden wie die Seinen. Er hatte sich wieder an seinen Namen erinnert und daran, überhaupt einen jüngeren Bruder zu haben. Vincent hatte eine merkwürdige Aura ausgestrahlt, die Gilbert sich nicht erklären konnte.

Er hatte versucht, sich an mehr als nur den Namen seines Bruders zu erinnern, doch die Kopfschmerzen, die darauf folgten, schienen ihm den Schädel fast zu zersplittern, also hatte er es aufgegeben. Die Bilder in seinem Kopf waren so wirr gewesen, dass er sie nicht zuordnen konnte. Vincent hatte ihm versichert, dass alles nun gut sei, da sie nun wieder zusammen waren, also glaubte er ihm einfach. Auch er hatte gewollt, dass nun alles wieder gut wäre.

Später noch am gleichen Tag hatte er Vincent nach Raven gefragt und der Jüngere hatte ihm den Weg zum Verlies, denn ein solches musste es sein, gewiesen. Die beiden hatten sich die vielen Treppen hinuntergeschlichen und Gilbert hatte es sogar gewagt, das Tor zu Raven zu berühren und zu ihm zu treten. Der Anblick des gewaltigen Chains hatte ihm die Sprache verschlagen. Es war alles genau wie in seinem Traum. Das Monster glich diesem bis auf‘s Haar.

Was da passiert war, konnte er keinem erklären. Irgendwie hatte ihn das Gefühl beschlichen, endlich angekommen zu sein, und doch spürte er auch, dass es noch nicht soweit war; wofür wusste er nicht. Als Raven seine gewaltigen Flügel ausgebreitet hatte, hatte Vincent ihn wieder zu sich und aus dem Verlies gezogen. Der blonde Junge hatte ihm erklärt, dass er nicht von der Dunkelheit verschlungen werden sollte, die Raven umgab.

Gilbert hatte es an dem Tag dabei belassen, aber sein Ziel stand fest. Er würde einen Vertrag mit Raven abschließen. Er würde tagtäglich dafür trainieren, um seiner würdig zu werden, auch wenn die wahren Nightrays ein Vorrecht auf diesen Chain hatten. Er würde es sein, der den Vogel bändigen würde.

Und tatsächlich, nach Jahren bei den Nightrays, in denen er der Familie Bezarius aus dem Weg gegangen war, hatte er es geschafft. Raven gehörte nun ihm und somit auch dessen Name. Gilbert Nightray wurde zu Raven. Endlich hatte er einen Weg gefunden, um Oz befreien zu können. An diesen Tag würde er sich ein Leben lang erinnern.

Nach fast zehn Jahren ging er wieder den Weg in das Verlies hinunter. Die Nachkommen der Nightrays hatten alle versagt und wurden von Raven abgelehnt, so lag es nun an ihm, es zu versuchen. Ohne zu zögern, schritt er zu dem Chain, der überrascht gewesen zu sein schien, ihn wiederzusehen. Ketten umschlangen den jungen Mann, doch er ließ sich nicht davon einschüchtern. Sie schnitten ihm ins Fleisch, sodass er blutete. Raven schleckte das Blut ab und erklärte ihm, dass es immer noch gleich schmeckte, was ihn ein wenig verwirrte. Gilbert hatte aber ein Ziel zu erfüllen und dachte nicht groß darüber nach. Es gehörte zum Zeremoniell, dass der Chain das Blut kostete, um so den Vertrag einzugehen.

Gilbert hatte sich an den Ketten festgekrallt und den gewaltigen Chain angeschrieen, er würde sein Leben für diesen Vertrag geben, er solle ihn nur endlich formen. Wohl sichtlich beeindruckt, willigte Raven ein und erklärte dem jungen Mann vor sich, dass er sich an seinen linken Arm binden würde. Raven gab daraufhin auch sein Blut, das Gilbert in einem Medaillon auffing, das er von der Organisation Pandora bekommen hatte. Somit war der Vertrag geschlossen und rechtsgültig.

Seitdem waren zwei Monate vergangen und Gilbert fühlte sich wie ausgelaugt. Er war der Organisation Pandora beigetreten und hatte bereits die eine oder andere Mission für sie erledigt. Dass er das Schießen mit einer Pistole perfektioniert hatte, half ihm dabei gewaltig. Seinen Chain versuchte er so selten wie möglich einzusetzen, da es ihm immer noch alle Kraft raubte, doch in seiner letzten Mission war ihm keine Wahl geblieben. Er brach danach völlig erschöpft zusammengebrochen und bekam einige Tage der Ruhe zugestanden. Einen solch mächtigen Chain konnte man schließlich nicht so schnell beherrschen oder so gut, dass es einen nicht mehr auslaugte.

Also hatte sich Gilbert in seine kleine Wohnung zurückgezogen, die er sich zugelegt hatte, nachdem er bei den Nightrays ausgezogen war. Sie waren nicht gerade glücklich über die Tatsache gewesen, dass ausgerechnet er Raven bändigen konnte, also hatte er schon fast das Weite gesucht. Außerdem wollte er seine Ruhe haben. In seiner kleinen, beschaulichen Wohnung gab es keinen Vincent, der Stofftiere zerschnitt und die Füllung auf dem ganzen Boden verteilte. Was genau mit seinem Bruder nicht stimmte, konnte er nicht sagen, doch es erleichterte ihn, nicht mehr in seiner Nähe zu sein. Er hatte Respekt vor dem Jüngeren, besonders vor dessen Schießkünsten, aber dennoch jagte er ihm gleichzeitig eine Heidenangst ein.

 

Gerade lag er auf seinem Bett, die Arme hinter seinem Kopf verschränkt, und starrte die Decke an. Er hatte ein Fenster geöffnet und eine sanfte Brise blies seine Vorhänge hin und her. Der alltägliche Lärm auf den Straßen beruhigte ihn eher als ihn zu nerven. Solange es draußen noch so heiter und normal zuging, passierte auch nichts Schreckliches. Nun wollte er eigentlich schlafen, aber sobald er die Augen schloss, kamen ihm diese Bilder wieder in den Sinn. Seine letzte Mission war schrecklich schief gegangen. Er wollte nicht daran denken und setzte sich auf, ehe er schnurstracks in die Küche ging.

Er nahm alles zur Hand, was er für einen Schokoladenkuchen brauchte, und wollte gerade mit dem Backen anfangen, als er Geräusche aus seinem Zimmer vernahm. War jemand so dreist gewesen und von seinem Fenster aus eingestiegen? Einbrecher etwa? Aber wer war so dumm, einzusteigen, wenn der Bewohner noch zu Hause war und ihn jeden Moment erwischen konnte? Und wie hatte dieser Jemand es geschafft, die Wand hochzuklettern? Gilberts Wohnung lag nicht gerade im Erdgeschoss.

Gil wollte nach seiner Pistole greifen, doch seine Hand fuhr ins Leere. Fluchend erinnerte er sich daran, dass sie mit seinem schwarzen Mantel im Schlafzimmer lag. Hoffentlich fand der Einbrecher sie nicht, sonst würde er dumm dastehen. Wegen so einer Lappalie wollte er Raven jedenfalls nicht rufen. Der würde ihm die Hölle heiß machen. So schnappte sich der Schwarzhaarige kurzerhand die Bratpfanne und blickte gespannt zu der hölzernen Tür, die in sein Schlafzimmer führte. Mit leisen und fast lautlosen Schritten schlich er vor und nahm den Knauf in die Hand.

Er holte noch einmal tief Luft und wollte die Tür öffnen, als ihm der Einbrecher zuvorkam und ihm das Holz der Tür einfach gegen den Kopf knallte. Fluchend taumelte Gilbert einen Schritt zurück, jedoch hob er die Bratpfanne und wollte zuschlagen, als etwas seine Hand traf. Scheppernd fiel die Pfanne zu Boden fiel. Er rieb sich die schmerzende Hand und blickte auf. Als er erkannte, wer vor ihm stand, entgleisten ihm alle Gesichtszüge.

„Was machst du denn hier?!“, brüllte er seinen ungewollten Besucher an.

Mit einem breiten und auch etwas unheimlichen Grinsen stand Xerxes Break vor ihm und winkte ihm zu. Seine Puppe, die immer auf seiner Schulter saß, schien fast seinen Blick zu imitieren und jagte Gil einen eiskalten Schauer über den Rücken. Aber zugeben würde er dies nie.

„Ich wollte dich nur mal besuchen“, meinte Break und kramte in seinem Mantel nach etwas. Wie gedacht holte er sein Bonbondöschen hervor, wühlte darin nach einer Süßigkeit und wickelte diese aus. Mit einem Happs war sie auch schon in seinem Mund verschwunden.

„So, so. Mich besuchen.“ Gilbert traute dem Silberhaarigen nicht über den Weg und wusste, dass da noch mehr war. Nur abwarten, was es wohl war.

„Genau!“, antwortete Break fröhlich und stolzierte mit sich zufrieden zu Gils Sofa, um sich dort niederzulassen. Gil wagte einen Blick in sein Schlafzimmer, aber es war noch immer alles so, wie er es zurückgelassen hatte. Hastig ging er hinein und schloss das Fenster. Kein Grund, noch mehr Verrückte einzuladen.

Als der Schwarzhaarige wieder ins Wohnzimmer ging, lag weiteres Bonbonpapier auf seinem Kaffeetisch. Er fragte sich immer wieder, wie der Ältere so schnell diese Süßigkeiten verschlingen konnte. Und wieso er nicht vor Karies auf dem Boden lag und vor Schmerz heulte.

„Und was ist der Anlass für deinen Besuch?“, hakte Gil nach und ging in seine kleine Küche, um Kaffee zu kochen. Seine Manieren wollten es so, dass er für jeden Gast etwas zubereitete, egal wie willkommen er war.

„Anlass? Wieso Anlass? Man braucht doch keinen Anlass, um einen guten Freund zu besuchen! Außerdem war ich eh gerade in der Nähe und dachte mir: ‚Wieso schaust du nicht bei Raven vorbei?‘ Und voilà, hier bin ich!“, grinste Break vergnügt. Ihm gefiel seine eigene Geschichte selbst sehr gut, aber Gilbert sah ihn nur an, als wäre ihm ein zweiter Kopf gewachsen.

„Aber sag mal, Raven…“, meinte Break dann in neugierigen Tonfall, „sind das etwa Zutaten für einen Schokoladenkuchen? Also, wenn du backen willst, lass dich nicht von mir stören.“ Für Gilbert hieß das übersetzt: ‚Na los! Nun back mir den Kuchen!‘

Da es für den Schwarzhaarigen eine gute Ausrede war, nicht ständig bei dem ungewollten Gast zu sein, ließ er es sich nicht zweimal sagen und verschwand schnurstracks in der Küche. Eine Weile werkelte er herum, ohne einen Ton von dem Silberhaarigen zu hören, was ihn doch ein wenig unruhig werden ließ. Hoffentlich stellte er nichts an und aß nur seelenruhig seine Süßigkeiten. Die Ruhe wurde ihm dann doch zu viel und als der Kuchenteig im Ofen verschwunden war, begab er sich wieder zu seinem Gast.

Er wollte ihn gerade fragen, was der wirkliche Grund seines Besuches war, als er ihm zuvorkam und so ins Wort fiel.

„Break-„

„Du siehst müde aus. Hast du die letzten Tage geschlafen?“, fragte er ihn mit einem ungewohnt ernsten Ausdruck im Gesicht.

Etwas überrascht weiteten sich Gilberts goldene Augen, ehe er den Kopf senkte und so Breaks Blick auswich. Damit war die Frage des Silberhaarigen beantwortet. Break seufzte.

„Du darfst dich nicht so fertig machen. Du hattest keine andere Wahl. Sie war kein Mensch mehr.“

Verbittert sah Gil auf und blickte Break traurig an. Die Erinnerungen an die misslungene Mission kamen wieder hoch. Er sah das blutüberströmte Gesicht der jungen Frau, die vom Chain in den Abyss gezogen werden sollte. Er wollte nicht, dass ihr das zustieß. Er hatte die Frau kennengelernt; sie wollte ihren langjährigen Verlobten heiraten und eine Familie gründen, doch ihre Vergangenheit hatte sie nicht losgelassen, weswegen sie die Hilfe eines Chains in Anspruch nahm. Als Gilbert das erkannte, kam für sie jede Hilfe zu spät. Wenn er es früher entdeckt hätte, hätte er sie noch retten können. Jedenfalls redete er sich dies immer wieder ein. Doch er hatte gegen sie – nein, den Chain - kämpfen müssen und seine Schießkunst hatte nicht ausgereicht, also hatte er Raven zu Hilfe rufen müssen. In dem Augenblick war es entweder das Monster oder er, und da er noch etwas Wichtiges vorhatte, hatte er den Chain und somit die Frau vernichtet. Break war es gewesen, der ihn voller Blut und sonstigen Substanzen gefunden hatte. Was danach passiert war, wusste er nicht mehr. Er konnte sich nur noch daran erinnern, wie er in seiner Wohnung in seinem Bett aufgewacht war.

„Ich hätte sie retten können“, murmelte Gilbert und sah wieder weg. Erneut seufzte Break.

„Nein, hättest du nicht. Sie hatte einen illegalen Vertrag geschlossen und jeder, der einen verbotenen Vertrag mit einem Chain schließt, endet im Abyss. Oder stirbt. Du hättest rein gar nichts tun können, außer sie vorher zu erschießen und ihr das Leid vom Abyss oder des Chains zu ersparen. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht.“ Break lehnte sich auf dem Sofa zurück und ließ den jüngeren Mann nicht aus den Augen.

Gilbert hatte noch sehr viel zu lernen, ehe er Raven gut genug beherrschte, um Oz befreien zu können, doch wenn er sich nach jeder Mission so verschanzte, würde das nie etwas werden. Break machte ihm das auf’s Neue klar, doch Gilbert konnte und wollte es nicht mehr hören.

Um sich kurz abzulenken, griff er nach seinen Zigaretten und schritt zum Fenster im Wohnzimmer. Er öffnete es und zündete sich einen Glimmstängel an. Seit geraumer Zeit hatte er sich das Rauchen angewöhnt, doch wollte er wieder damit aufhören. Gelungen war ihm das bis jetzt immer noch nicht. So gab er es schließlich auf, denn wie jetzt beruhigte es ihn, wenn er den Rauch in die Lungen zog und langsam wieder auspustete. Er wusste, dass Break damit Recht hatte, aber er wollte es dennoch nicht wahrhaben.

Eine Weile schwiegen sie. Break wollte dem Schwarzhaarigen wohl die Zeit geben, um seine Gedanken zu sammeln, nach gefühlten Stunden durchbrach er jedoch die Stille und klang wieder recht vergnügt dabei.

„Irgendwie riecht es verbrannt…“ Gil blickte zu ihm, als ihm wieder einfiel, dass ein Kuchen im Ofen wartete, den er völlig vergessen hatte.

„Der Kuchen!“ Panisch schnippte er die Zigarette weg und rannte in die Küche. Schnell zog er sich die Ofenhandschuhe über, öffnete den Ofen und holte den Kuchen heraus. Zum Glück war er nicht so verbrannt, wie er gerochen hatte. Mit der richtigen Glasur konnte er bestimmt noch hervorragend schmecken. Erleichtert stellte er ihn zum Abkühlen ans Fenster, streifte sich die Handschuhe ab und ging zurück ins Wohnzimmer.

„Es war noch nicht…..“, setzte er an, ehe er bemerkte, dass Break die Gunst der Stunde genutzt und sich vom Acker gemacht hatte. Der Vorhang ihm Wohnzimmer wehte durch eine Brise bis ins Zimmer. Er hatte vergessen, das Fenster zu schließen, und der Silberhaarige war bestimmt daraus entschlüpft.

„Auch egal“, murmelte Gil vor sich hin und räumte den kleinen Kaffeetisch wieder ab. Break hatte den Kaffee kaum angerührt und sonst nur Bonbonpapier darauf verteilt. Jedoch fiel ihm etwas anderes ins Auge, ein kleines Päckchen mit einer Karte daran. Neugierig nahm Gil es hoch und las die Karte. Die Handschrift erkannte er sofort als die von Sharon.
 

Mach dir vor dem Schlafengehen diesen Tee. Damit dürfte es keine Probleme mehr geben! S.
 

Lächelnd über die Fürsorge dieses Mädchens bedankte sich Gil innerlich bei ihr. Als er in die Küche ging, nahm er den Tee mit sich.

 

Als es spät und auch dunkel draußen wurde, machte sich Gil bettfertig. Zuerst hatte er sich geweigert, doch dann hatte er doch eine Tasse mit dem wohlriechenden Tee neben dem Bett stehen, als er sich seine Schlafsachen anzog. Er hoffte, dass ihm das heiße Getränk wirklich helfen würde. Gott wusste, dass er dringend Schlaf brauchte, ohne Albträume.

Nachdem der Tee fertig war, nahm er vorsichtig einen Schluck davon. Er hatte sich auf sein Bett gesetzt und wollte nur noch schlafen. Der Tee schmeckte recht gut, auch wenn Gil nicht sagen konnte, aus was er bestand. Da musste er bei nächster Gelegenheit Sharon danach fragen.

Bevor der Tee kalt wurde, hatte er ihn auch schon ausgetrunken und die Tasse wieder auf seinen Nachttisch gestellt. Er verkroch sich unter die Decke, nachdem er sich vergewissert hatte, dass das Fenster auch geschlossen war. Er brauchte wirklich keine Überraschung mitten in der Nacht. In seine Decke gekuschelt schloss er die müden Augen und es dauerte nicht lange, bis er einschlief.

 

Dunkelheit. Sie kam ihm bekannt vor, doch wusste er nicht, woher. Ein beklemmendes Gefühl machte sich in ihm breit und vorsichtig schritt er voran. Er wusste zwar nicht, wohin er ging und wo er am Ende herauskam, aber irgendwann würde er es erfahren. Das hatte er jedenfalls im Gefühl.

Immer wieder blickte er sich um, da er meinte, beobachtet zu werden, doch nichts war zu erkennen. Er konnte nicht einmal die eigene Hand vor Augen sehen. Wieder war da dieses Gefühl eines Déjà-vus. Doch etwas verunsichert lief er los. Er wollte fort, auch wenn er nicht wusste, wohin.

Etwas berührte seine Wange und er blieb abrupt stehen. Da er nichts sehen konnte, tastete er um sich herum, doch nichts schien in greifbarer Nähe zu sein. Er ging einen Schritt vor und suchte weiter, doch wieder griff er nur Luft. Frust machte sich in ihm breit. Er wollte weiterlaufen, als wieder etwas seine Wange streifte. Dieses Mal fühlte es sich wie eine Hand an und ließ ihn in Panik ausbrechen. Ohne groß nachzudenken, lief er vor dem Unbekannten davon.

Doch er hatte das Gefühl, nicht von der Stelle zu kommen. Wieder tastete er um sich, doch als er zur Seite blickte, erkannte er ein Licht. Sein erster Impuls war, vor dem Licht zu fliehen, da es nichts Gutes mit sich brachte, doch er riss sich zusammen. All seinen Mut zusammennehmend schritt er voran.

Zuerst brannte es in seinen an die Dunkelheit gewähnten Augen und er musste sich die Tränen wegwischen, doch schnell hatte er sich auch an das dämmrige Licht gewöhnt, das wie ein Feuer flackerte. Die Quelle konnte er jedoch nirgends ausmachen. Als er weiter danach suchte, flogen Spielkarten um ihn herum, und er wandte den Blick wieder nach vorne, wo ein Mann stand und ihn finster anlächelte.

Seine Augen waren mit einem Tuch verbunden, seine Haare unter einer großen Mütze versteckt. Die Kleidung bestand aus einem sehr weiten Hemd und einer ebenso weiten Hose, komplett in schwarz-weiß kariert und abgerundet durch gänzlich schwarze Schuhe. Der Mann erinnerte vom Aussehen her an einen Pierrot, den er einmal auf der Straße gesehen hatte, und genau wie dieser Pierrot jonglierte der Mann mit bunten Bällen und schien weiterhin in Gils Richtung zu blicken.

‚Komm ruhig näher, mein Freund. Ich werde dir nichts tun. Noch nicht.‘

Die Lippen des Mannes waren immer noch in ein finsteres Lächeln verzogen und hatten sich nicht bewegt, doch er wusste, dass dieser Mann zu ihm gesprochen hatte. Ohne zu wissen, was seine Beine da taten, ging er auf den Fremden zu. Er wollte etwas sagen, doch er brachte kein Wort heraus.

‚So ist es brav. Du wurdest gut von deinem Meister erzogen.‘

Das Bild eines schwarzhaarigen Mannes mit kalten Augen drängte sich ihm in den Sinn. Schmerzerfüllt kniff er die Augen zusammen und krallte sich in seine Haare. Er wollte diese Kopfschmerzen nicht. Dieses Bild nicht. Er wollte vergessen, doch er wusste nicht, warum.

‚Ja. Versperre deine Erinnerungen. Noch ist es nicht soweit, mein Freund.‘

Die fremde Stimme hallte in seinem Kopf und erlöste ihn von dem Schmerz und den aufkommenden Erinnerungen. Keuchend war er auf die Knie gesunken und hatte den Kopf gesenkt, doch nun hob er ihn wieder, um zu dem Mann zu blicken. Dieser hatte mit dem Jonglieren aufgehört und war in die Hocke gegangen, um auf der gleichen Höhe wie er zu sein, das Grinsen war jedoch geblieben.

Wieder einmal wollte er sprechen, doch wieder einmal drang kein Ton durch seine Lippen. Der Mann mit der Augenbinde schüttelte nur den Kopf. Also hatte es keinen Wert, es noch einmal zu versuchen. Egal, wo er sich gerade befand, man wollte nicht, dass er redete, sondern nur, dass er zuhörte.

‚Deine Zeit wird kommen, in der du gebraucht wirst. Über hundert Jahre hat es gedauert, aber Raven ist nun gänzlich dein. Aber gleichzeitig auch nicht.‘

Der Mann lächelte weiterhin und half ihm wieder auf die Beine. Er hielt eine seiner Hände fest und legte ihm etwas hinein, dann schloss er sie zur Faust, damit er noch nicht sehen konnte, was er da bekam.

‚Ich bin blind. Du kannst sehen. Denke an dein Versprechen und sei wachsam. Behalte alles im Blick. Nichts ist, wie es scheint. Clowns können die traurigsten Geschöpfe sein und Schurken entpuppen sich als gute Menschen. Fürchte die, die uns am nächsten stehen, denn vielleicht warten sie nur darauf, dass man ihnen den Rücken zukehrt. Dann schlagen sie  zu.‘

Die Worte verwirrten ihn. An ein Versprechen erinnerte er sich, aber er hatte es keinem blinden Mann gegeben, sondern jemandem, der nur noch ein Auge besaß. Hatte der Pierrot dieses Versprechen gemeint? Er wusste es nicht. Das finstere Lächeln wurde nun sanfter.

‚Denke an meine Worte. Sei wachsam. Dann wirst du verstehen.‘

Der Pierrot ging einige Schritte zurück und verbeugte sich vor ihm. Als er sich wieder aufrichtete, brach ein neuer Sturm aus Spielkarten los und ließ ihn die Augen schließen. Im nächsten Moment war der Mann verschwunden und von Weitem hörte er den Ruf eines Raben. Er erinnerte sich daran, dass der Mann mit der Augenbinde ihm etwas gegeben hatte, also öffnete er seine Faust und fand ein in buntes Papier gewickeltes Bonbon.

 

Abrupt öffnete Gilbert seine Augen und richtete sich auf. Was für ein merkwürdiger Traum. Er war zwar eine Verbesserung zu den Albträumen, die ihn in den letzten Tagen sonst plagten, aber dennoch verwirrte er ihn. Wovon hatte dieser Pierrot gesprochen? Seufzend ließ Gilbert sich wieder in die Kissen fallen. Dieser Traum hatte ihn erschöpft. Er war immer noch müde. Um sich zu vergewissern, wie spät es war, drehte er seinen Kopf zum Fenster und blickte hinaus. Der Mond stand noch sehr hoch, also war es noch mitten in der Nacht. Nochmals seufzend machte sich Gilbert wieder bereit, zu schlafen. Es hatte doch eh keinen Zweck, über diesen merkwürdigen Traum nachzudenken.

Es dauerte nicht lange, bis er in einen traumlosen Schlaf fiel. Die Albträume an die misslungene Pandora-Mission waren verschwunden.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Kunoichi
2014-08-15T23:08:11+00:00 16.08.2014 01:08
Sorry, dass es so lange gedauert hat, aber hier kommt nun endlich auch der Kommentar zu deinem zweiten Kapitel! >_<"
Also: Der erste Abschnitt ist wieder sehr viel Wiederholung des Manga, aber das muss ich nicht weiter ausführen, das weißt du ja selbst. Die Situation ist Gilberts Wohnung danach fand ich aber sehr süß und lustig. ^^ Wie Break Gil die Tür vor den Kopf knallt - das passt richtig gut zu ihm! Gil ist manchmal einfach etwas vertrottelt und Break total dreist. xD Ich konnte mir das Bild richtig gut vorstellen, wie Gil da mit erhobener Bratpfanne steht.
Woran du noch arbeiten kannst, sind die "Haarfarben-Synonyme". "Der Silberhaarige" und "der Schwarzhaarige" klingt zugegebenermaßen eher haarsträubend. XD Sehr viele schlechte Autoren schreiben so (es ist im FF-Bereich fast sowas, wie ein Markenzeichen für schlechte Storys geworden) und sehr viele gute Autoren klicken bei sowas sofort weg, wenn sie es irgendwo lesen. Es gibt so viele andere gute Synonyme und ganz oft hilft es auch, einfach mal den Namen der betreffenden Person zu schreiben. Ich mache das nur so und fahre damit eigentlich ganz gut. (Allerdings habe ich "früher" auch in Haarfarben geschrieben. Den Fehler machen wohl alle mal...)
Herzlich lachen musste ich übrigens bei diesem Satz: "Hastig ging er hinein und schloss das Fenster. Kein Grund, noch mehr Verrückte einzuladen." XDD Genauso: "Ihm gefiel seine eigene Geschichte selbst sehr gut, aber Gilbert sah ihn nur an, als wäre ihm ein zweiter Kopf gewachsen." Diese Wortspiele beherrscht du echt gut! :D
Ich finde es übrigens sehr rührend, dass Break bei Gilbert vorbeischaut, um zu sehen, wie es ihm nach der Sache mit dem Mädchen geht, dass er töten musste. Diese Seite sieht man bei Break viel zu selten und er macht es auch nicht allzu offensichtlich, dass er sich sorgt, was du auch sehr schön rübergebracht hast.
Den Traum fand ich einerseits sehr gut, weil er gut beschrieben und auch schön gruselig war, anderseits entging mir aber seine Bedeutung. Ich hätte mir mehr gewünscht, dass du im Verlauf (drittes Kapitel) noch Bezug darauf nimmst und hab auch mitgerätselt und war ganz gespannt, aber am Ende hat sich mir leider nichts erschlossen. Das war schade. Du hast mir ja nun schon verraten, dass mit dem Pierrot Break gemeint war (ich hatte während des ersten Lesens irgendwie auf Levi getippt, wegen der Augenbinde und weil er etwas von "Meister" redet usw.), aber im Endeffekt hat der Traum weder etwas verändert noch auf etwas hingewiesen. Gilbert soll sich folgende Worte unbedingt merken: "Fürchte die, die uns am nächsten stehen, denn vielleicht warten sie nur darauf, dass man ihnen den Rücken zukehrt. Dann schlagen sie zu." Aber wer ist damit gemeint? In der ganzen Geschichte (auch im Verlauf des Originals) taucht so jemand nicht auf. Oder ist Jack gemeint? Das wäre weit hergeholt, denn so nah stehen sich Gilbert und Jack zu dem Zeitpunkt ja nicht. Vielleicht kannst du mir ja genauer erklären, wie das alles gemeint war. Möglicherweise bin ich auch nur zu blöd, es zu kapieren. xD
Auf zum dritten Kapitel! Vielleicht schaff ich's noch heute.
Lg,
Kunoichi-X


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