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Special Ark

von

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Arks Odyssee

Leben.

 

Das war der erste vernünftige Gedanke, den er fassen konnte, als er langsam wieder zu Bewusstsein kam. Leben, ja. Er lebte noch. Warum hatte er kurz zuvor nochmal um sein Leben gebangt? Er richtete sich ohne große Schwierigkeiten auf und sah sich um. Scharf. Verschwommen. Scharf. Verschwommen. Scharf. Ja so war es viel besser. Die Dunkelheit wich aus seinen Augenwinkeln und er konnte gut sehen. Ein wenig finster war es, aber hatte er dagegen nicht ein Mittel? Taschenlampe ... Taschenlampe ... Ah, da war sie ja. An seinem Ohr. Er stand auf. Oder versuchte es zumindest, denn er stellte fest, dass die Decke zu niedrig für ihn war. Geistesabwesend rieb er sich den Kopf, der gegen stabiles Blech gestoßen war, doch es geschah aus einem Reflex heraus und nicht, weil ihm der kleine Unfall sonderliche Schmerzen bereitet hatte. Einige lockere Falten bildeten sich auf seiner Stirn, als der Schein der Lampe auf seinen Arm fiel. Die Haut war stark gerötet, manche hätten sogar maßlos übertrieben und behauptet, mit Blut besudelt. Ihm lachten zahlreiche kleine, offene Wunden entgegen. Er drehte den Arm. Das Weiß seiner Fingerknöchel hob sich deutlich vom Rot der Venen ab. Er hob die Hand zum Mund und knabberte ein Stückchen Fleisch aus dem Zwischenraum von Daumen und Zeigefinger heraus. Kauend sah er sich um. Die Lampe erhellte die Umgebung und er trat gegen ein Stück Hecke, das sein Bein bedeckte. Dickliche, rote Flüssigkeit tropfte aus einem auseinandergerissenen Maul. Seine Hose war durchlöchert. Und sein Unterschenkel gleich mit. Warum hatte er das Gefühl, sich deswegen Sorgen machen zu müssen? Es war doch nicht so schlimm? Er war nicht abgerissen, noch nicht einmal halb, wozu sich also Gedanken machen? Blödes Ding. Schleppte ihn den ganzen Weg weg von Leon. Jetzt, wo er darüber nachdachte ... Er hatte gut gerochen. Lecker. Blödes Ding. War es da ein Wunder, dass er ein bisschen wütend geworden war und es getötet hatte? Es war nur eine dumme Pflanze. Das schadete niemandem.

 

Leben.

 

Apropos getötet. Wo war seine Flinte? Und sein Rucksack? Oh, richtig. Er hatte beides verloren. Wo war seine Pistole? Am Gürtel nicht, am Ohr nicht ... In den Hosentaschen? ... Nein, natürlich nicht, Dummerchen. Kein Platz dafür. Im ... im Schulterhalfter! Genau. Da war sie. Gut. Alles Wichtige dabei. Außer dem Rucksack. Den Rucksack hatte Leon. Leon, der gut roch. Hm, ein bisschen Hunger bekam er jetzt. Aber er brauchte seine Hände noch, oder? Ein Jammer. Um nicht zu sagen, unpraktisch. Aber gut, keine Zeit dafür. Die Pflanze stank und er würde sie nicht verdauen können. Blödes Ding. Für nichts war es gut. Deswegen war es jetzt auch tot. Geschah ihm recht. Er krabbelte in die Richtung, aus der er ein Summen vernahm. Es waren Wespen. Sie mussten sich in diesem Lüftungsschacht – stimmt, es war ein Lüftungsschacht – ihr Nest gebaut haben. Wieder so ein warnendes Kribbeln im Hinterkopf. Hatte er etwas vergessen? Waren Wespen eine Bedrohung? ... Wespen waren keine Bedrohung. Er hatte etwas zu tun. Er musste zurück zu Leon. Sie waren Partner. Aber halt, er hatte noch einen Auftrag! Getrennter Wege ließ sich vielleicht mehr herausfinden! Wo war er überhaupt? Er stemmte sich in die Hocke und machte einen Schritt vor den anderen, während er sich durch den grauen, feinblättrigen Ballen grub, der ihm den Weg versperrte. Die aus den zerfetzten Überresten kriechenden Insekten schob er immer wieder geduldig beiseite, bis sie zwischen Wand und Fingern zerplatzten. Einige von ihnen setzten sich ihm ins Gesicht und er seufzte gereizt. Sie krochen ihm auch auf andere Körperstellen, aber im Gesicht nervte es ihn besonders, weil er dann nichts sehen konnte. Mit einem Wink befahl er ihnen, zu verschwinden und sie drängten sich an die Wände. Viel besser.

 

Leben.

 

Ein schrilles Piepen drang in sein Ohr und er schüttelte unwillig den Kopf. Endlich fand er unter der summenden Masse einen Ausgang. Seine Finger hakten sich in das Gitter und zogen es mitsamt festgezurrter Schrauben aus der Halterung. Er warf es achtlos zur Seite, schob die Beine durch das entstandene Loch und fiel. Nach einigen Metern landete er. Die schmutzigen Fliesen zersprangen beim Aufprall. Allerdings bezweifelte er, dass ihn die Firma auf Schadenersatz verklagen konnte. Welche Firma? Es galt noch immer, das herauszufinden. Leon wollte wissen, wer verantwortlich war. Für den Schlamassel. Leon war verantwortlich. Fall gelöst! Wespen kamen durch die Öffnung in der Decke geflogen und umschwirrten ihn. Nervig. Blöde Dinger. Sein Blick wanderte durch den Raum, in den er gefallen war. Er ging zur Tür und betätigte den Schalter in der Nähe, woraufhin helles Licht den Raum flutete. Ein Büro. Irgendeins. Vielleicht gab es etwas Interessantes hier? Eine Leiche saß am Tisch und blockierte den Zugang zu den Schubladen. Er schubste sie zur Seite und sie stöhnte. Sie packte ihn am Knöchel und wollte zubeißen, aber die Wespen schossen auf sie zu und bedeckten sie im Nullkommanichts von Kopf bis Fuß. Sie stöhnte noch einmal, diesmal lauter und schlug um sich. Hm. Doch nicht so nervig wie angenommen. Eine Wespe landete auf dem Arm, den er ihr hinhielt. Nützlich, vielleicht sogar. Wie auch immer. Er verscheuchte sie wieder und wandte sich dem Tisch zu. Außer einigen wertlosen Dokumenten fand er eine aufschlussreiche Nachricht.

 

‚An Dr. Jeffries,

wir haben endlich die Erlaubnis bekommen, es auszuschalten! Die Schlafmützen vom Komitee sind also endlich aufgewacht, jetzt wo es ihnen auch an den Kragen geht. Hat ja lange genug gedauert, aber die Bastarde waren auch nicht diejenigen, die hier auf glühenden Kohlen gesessen haben ... Nicht auszudenken, was geschieht, wenn das Biest unterdessen aufgewacht wäre! Lassen Sie uns so schnell wie möglich handeln und ihm den Saft abdrehen, bevor es sich diese Sesselfurzer noch anders überlegen! Sie sind zuständig für die Säure. Nicht mal er sollte ein Bad in dem ätzenden Zeug überleben. Wir anderen halten Ihnen unterdessen das Kleinvieh vom Hals.

Auf gutes Gelingen,

Gregory Ferlon‘

 

Hm, interessant. Ein Biest, vor dem sich selbst Außenstehende fürchteten. Er wollte es sehen. Immer noch kein Hinweis auf die Firma. Langsam ging er auf ein Regal, das an der Wand stand, zu und hob die Hand, um einige Ordner herauszuziehen. Sie war verheilt. Beruhigend. Beunruhigend? Unsinn. Was war an einer verheilten Hand schlecht? Er ignorierte das nagende Gefühl und schlug stattdessen den ersten Ordner auf. Er musste einige von ihnen durchblättern, ehe er in einer dicken, inoffiziell wirkenden Kladde auf Informationen stieß, mit denen er etwas anfangen konnte. Er legte den Kopf schief und betrachtete ein Foto, welches an einer der Seiten haftete. Es zeigte einen jungen Mann, der auf einem Seziertisch lag. Er war offensichtlich tot, doch was hieß das schon? Er zupfte das Bild heraus und ließ es gleichgültig zu Boden flattern. Dann las er den Text darunter.

 

‚Eintrag Nr.1, Dr. Quinn Jeffries, Zentrallabor

Wir haben endlich einen von ihnen in die Finger bekommen! Wer hätte gedacht, dass sich so ein hohes Tier wie AW dazu überreden ließe, ihn uns zu verkaufen? Er hat uns ein gutes Sümmchen gekostet, aber befindet sich dafür auch in hervorragendem Zustand und hat uns schon im ersten Monat erstaunliche Fortschritte ermöglicht! TV ist ein wahres Wunderwerk der modernen Virologie! Sein Entwickler muss ein Genie gewesen sein! Ein Jammer, dass er anscheinend verstorben ist, ich hätte mich gern mit ihm unterhalten. AW war ziemlich zugeknöpft, was den Hintergrund des Experiments anbelangt, aber das Virus wurde offenbar aus den Erbinformationen von Ameisen entwickelt. Umbrella hat es nicht geschafft, es zu vollenden, es liegt also an uns, den letzten Schritt zu tun!‘

 

Er kratzte sich am Kopf. AW. Wer war das? Es war anscheinend derjenige, dem er seine Bredouille zu verdanken hatte, aber ... Schade, dass dieser Jeffries ein Geheimniskrämer war. Er hätte AW gerne die Arme ausgerissen. Nein, gebrochen. Aber warum eigentlich nicht ausgerissen? Es war schließlich nicht gerecht, Labore mit frischen Leichen zum Experimentieren zu versorgen. Ihm fiel auf die Schnelle der Grund dafür nicht ein, doch er war sich sicher, dass es ungerecht war. Ziemlich. Er seufzte und pflückte diese und ein paar zusätzliche Seiten heraus.

 

‚Eintrag Nr.4, Dr. Quinn Jeffries, Zentrallabor

Wir können uns einfach nicht einigen, mit welchen Genen wir TV erweitern wollen. Die einen wünschen sich Subjekte mit enormer Kraft, die anderen mit größerer Wendigkeit, die nächsten mit hoher Intelligenz ... Wenn es nach mir ginge, würde ich Wespen verwenden. Haben die sekundären Mutationen während des Arklay-Desasters denn niemanden außer mich beeindruckt? Diese Lebewesen sind weniger erstaunlich als effizient. Mobil, schnell und punktuell. Zwar sind diese Insekten normalerweise nicht aggressiv genug, doch wenn man die richtige Art wählt, könnte man wegen der angeborenen Aufdringlichkeit sicherlich ähnlich gute Ergebnisse erzielen! Und was ihnen zusätzlichen Nutzen verleiht, ist ihre Flugtüchtigkeit. Was bringen uns Biowaffen, die nicht in der Lage sind, primitivste Barrikaden zu überwinden?! Man kann Chaos über den grünen Klee loben, aber eins kann er nachweislich nicht – und das ist fliegen. Fliegende B.O.W.s. Nicht mal Umbrella, der Marktführer auf diesem Gebiet, kann viele nutzbare davon vorweisen. Nun, vielleicht hat dieses Genie ja welche geschaffen, immerhin sind manche Ameisenarten durchaus dazu in der Lage, aber leider kann ich das nicht nachprüfen. AW hat außer Chaos nichts von der weiteren Forschung herausgerückt. Einige Kollegen verlachen meine Idee und nennen meine Konzepte ‚Majaforschung‘. Was für Narren. Bienen verlieren nach einem einzigen Angriff ihren Stachel und verenden. Ich rede von Wespen, die ihren Nutzen nicht nach einmaligem Gebrauch verlieren!‘

 

Ungeduldig blätterte er weiter, das Knispeln in seinem Rücken, dort, wo der Zombie zu Boden gegangen war, ignorierend. Das erneute Piepen in seinem Ohr war weniger leicht zu überhören, doch er war bereit, es auf einen Versuch ankommen zu lassen.

 

‚Eintrag Nr.56, Dr. Quinn Jeffries, Zentrallabor

Ich habe es geschafft! Heute ist uns endlich der Durchbruch gelungen! Chaos hat eine höhere Evolutionsstufe erreicht und mein Vorschlag war die Voraussetzung dafür! Mit dieser Referenz kann ich dieser Hinterhoffirma endlich den Rücken kehren und mich teurer verkaufen. Vielleicht schaffe ich es sogar, einige der wertvolleren Daten mitzunehmen, wer weiß? Die Amazonen sind prächtig gediehen und nach der erfolgreichen Symbiose mit Chaos wird es keiner dieser Quacksalber noch wagen, meine Theorie anzuzweifeln. Die Wespen- und Ameisengene haben sich völlig problemlos verbunden, sogar besser, als ich es mir vorgestellt habe. Vielleicht, weil sie zur selben Überfamilie gehören? Es ist eine wunderbare Lebensform, familiärer als Wespen, aber unabhängiger als Ameisen! Chaos ist nun eine mächtige Waffe mit viel weniger Beeinträchtigungen als zuvor! Wir müssen noch seine letzten Schwachstellen ausmerzen, aber Professor Ferlon hat bereits Testdurchläufe veranlasst. Ich bin so stolz!‘

 

Er brummte, steckte die herausgerissenen Papiere in die Hosentasche und betrachtete die Wespe, die auf seiner Schulter umherkroch, mit einem nachdenklichen Blick. Er runzelte die Stirn, als er den kleinen Schwarm bemerkte, der sich um ihn herum gebildet hatte, trat dann nach dem Zombie und scheuchte den Rest seiner Freunde auf. Das modrige Fleisch ihrer Mahlzeit war zerfressen und löchrig. Schmeckte sie so gut? Er musste Leon Bescheid geben. Leon roch besser. Er schlurfte zur Tür und stieß sie auf. Der Gang dahinter war lang mit vielen Türen und endete an einem großen Rolltor. Eine Karte hing in der Mitte an der Wand und er schlenderte hin. Es machte ihm zu viel Mühe, den Dutzenden am Boden liegenden Leichen auszuweichen, und so trat er sie zur Seite oder stampfte mitten hindurch. Seine Freunde machten sich über die zerquetschten Körperteile her.

 

Auf einmal blinzelte er langsam, als er statt auf weiches Fleisch auf etwas Hartes, Unnachgiebiges traf. Er hob den Fuß und schaute genauer hin. Boden und ein Teil der Wand waren kreisrund geschwärzt, wie nach einer mittleren Explosion. Unter einem Pulk Leichen lag ein langes, sattgrün glänzendes Rohr mit einem Lederriemen daran. Seine Gedanken wanderten zurück. Zurück in ein Büro auf der ersten Etage, zu einem Tagebuch. Zu einem Eintrag. Vielleicht war es derselbe. Vielleicht war es ein anderer. Wie wichtig war das schon? Er konnte sich nur noch daran erinnern, dass er unbedingt einen haben wollte. Also bückte er sich, zog den Raketenwerfer unter den toten Körpern hervor, zertrat ein Handgelenk, welches ächzend nach seinem griff und schnallte sich die Waffe um. Sicher würde sie noch einmal nützlich werden. Für was, vermochte er nicht zu sagen. Er hatte vergessen, wozu er sie hatte benutzen wollen. Aber er wollte sie. Und so nahm er sie sich.

 

Leben.

 

Er erreichte die Karte. Sie zeigte nicht nur das Stockwerk, sondern die ganze Anlage, welche aus zwei rechteckigen Komplexen mit einem zylindrischen Schacht dazwischen bestand. Es erinnerte ihn an ein Apportierholz. Neben ihm richtete sich stöhnend ein Zombie zu voller Größe auf und riss den Mund auf, um sich an seinen Hals zu stürzen. Seine Hand umfasste blitzschnell das verweste Gesicht und zerdrückte es, sodass Fleischbröckchen, Innereien und Knochensplitter zwischen seinen Fingern zu Boden quollen. Seine Freunde nahmen das Mahl dankend an. Er legte den Kopf schief und leckte die Überreste von seiner Hand. Es schmeckte. Aber nicht besonders gut. Le...on ... schmeckte besser. Wahrscheinlich. Zumindest roch er danach. Er befand sich im achten Untergeschoss. Im runden Komplex ... Hätte er den Zombie eben nicht erschießen müssen? Tötete man sie normalerweise mit bloßen Händen? Das achte Untergeschoss lag in der Mitte der Anlage, mitten im zylindrischen Bau. Das Zehnte hatten sie untersuchen wollen. Sie waren fünf Stockwerke tief gefallen? Es war wohl gut gewesen, dass das Treppengerüst nicht einfach auseinandergefallen war, sondern sich nur sehr schnell mit ihnen gesenkt hatte und sie mehr wie auf einer Murmelbahn in den Abgrund gekullert waren, anstatt umgehend in freien Fall zu geraten. Und er war weich gelandet. Im Wasser.

 

Leben.

 

Ein kurzes Misstrauen gegenüber der zehnten Etage erfüllte ihn. Warum ... vergaß er im selben Moment. Sie wirkte nicht bedrohlich. Was verbarg sich dort? ... Genau. Herausfinden. Er musste es herausfinden. Er drehte sich um und wankte zur nächstbesten Tür. Bei einem Ruckeln am Griff erwies sie sich als verschlossen. Er öffnete sie trotzdem. Sie begrub eine weitere Mahlzeit unter sich. Diese wirkte ein bisschen frischer und schmackhafter und so ging er in die Hocke und riss das Herz heraus. Er biss hinein und kaute beständig, als auf einmal ein kleines Notizbuch aus der zerrissenen Brusttasche des Laborkittels herausrutschte. Er biss noch einmal ab und warf den Rest über seine Schulter, um das Buch aufheben zu können.

 

‚02.September

Dieser verdammte Jeffries! Erst macht er mich vor versammelter Mannschaft lächerlich und dann werden seine Wespen auch noch für die Weiterentwicklung von Chaos verwendet! Der hat doch mit Sicherheit was mit Ferlon! Ich bin der festen Überzeugung, dass einzig Hunde als Grundlage für Biowaffen in Frage kommen! Nur der beste Freund des Menschen hat auch das Potenzial, zu seinem schlimmsten Alptraum zu werden!‘

 

‚24.September

Es ist vollbracht. Ich gebe es nicht gern zu, aber die Verbindung ist nahezu perfekt vonstattengegangen. Chaos wird schon sehr bald um ein Vielfaches potenter in der Massenvernichtung sein. Mist!‘

 

Piepen. Piepen. Die ganze Zeit Piepen. Wenn er nur gewusst hätte, woher es kam, hätte er es abgestellt. Er überlegte kurz. Richtig. Es war an seinem Ohr. Das Gerät. Das Gerät, das dauernd piepte und ihn bei der Arbeit störte. Aber als er eine Hand zum Ohr hob, um es abzunehmen und wegzuwerfen, hielt ihn ein Gefühl der Unsicherheit zurück. Er wusste nicht mehr genau, wieso, aber irgendetwas sagte ihm, dass das piepende Gerät wichtig war. Es war wichtig. Und so warf er es nicht weg.

 

‚25.September

Ich hätte heute beinahe einen Herzinfarkt bekommen! Als ich an Chaosʼ Kapsel vorbeigegangen bin, hat er urplötzlich die Augen aufgeschlagen und mich angestarrt! Im ersten Moment habe ich befürchtet, dass etwas schiefgelaufen ist, weil es so ausgesehen hat, als hätte er gar keine Augen mehr! Ich habe meine Teströhrchen, die Arbeit des ganzen Morgens, vor Schreck fallengelassen. Slade und Jeffries haben sich totgelacht. Eine chemische Reaktion des Wespen- mit dem Ameisengift hätte wohl den Glaskörper schwarzgefärbt, meinten sie. Aber die beiden Idioten übersehen doch das Wesentliche! Chaos ist nichts weiter als der Träger des TV, aber er hat die Augen aufgemacht und mich angestarrt! Das kann kein bloßer Reflex gewesen sein! Ich bin mir ganz sicher, dass er auf mich reagiert hat! Es ist ... mir unheimlich ...‘

 

‚28.Oktober

Scheiße. Ich wusste es. Ich habe sie vor Chaos gewarnt. Ihre einzige Reaktion war Spott gewesen. Jetzt haben sie den Salat. Ich habe doch gleich gewusst, dass die Unruhe der Amazonen kein Zufall sein kann! Ich schwöre es, Chaos ist aufgewacht und er hat eine Persönlichkeit! Er ruft nach ihnen. Und jetzt sind einige von ihnen entkommen. Die Sicherheitskräfte haben sie erledigt und ihre kläglichen Überreste entgegen Ferlons Anweisungen den Kanal runtergespült! Die Mutation des Virus ist noch nicht ausreichend erforscht, was ist, wenn es sich im Wasser ausbreitet?! Keine Anlage der Welt hat genug Möglichkeiten, gegen die ganzen Ratten da unten vorzugehen! Diese Mistviecher sind überall! ... Haben sie seit Raccoon wirklich gar nichts gelernt?‘

 

Wasser. Hm. Kanal? Abwasser. Gut, dass er und Le... Le...on ... sich von Wasser ferngehalten hatten. Vielleicht war es sinnvoll, ab jetzt ... Wasser ... Hydrophobie zu seinen Leiden hinzuzuzählen. Ja. Es erschien äußerst sinnvoll. Hatte er etwas vergessen?

 

‚02.November

Wir sind erledigt. Die anderen denken tatsächlich immer noch, dass wir irgendwie abhauen können, aber ich weiß es besser. Es gibt kein Entkommen mehr. Die Scheißbiester sitzen in den Lüftungsschächten und die Flure sind bevölkert von misslungenen Versuchen und dauernd kommen durch diese verdammten Wespen Infizierte hinzu. Ganz zu schweigen von den Dryaden. Alle Fluchtwege sind versperrt und die Bonzen der Firma schicken keine Hilfe. Natürlich nicht, kapieren die anderen denn wirklich nicht, dass wir alle zu einem Sicherheitsrisiko geworden sind? Nicht nur unsere eigenen Kreationen wollen uns tot sehen ... Eigentlich warte ich nur noch auf mein Ende, aber um mir die Zeit zu vertreiben, lese ich mir gerade zum gefühlten tausendsten Mal unseren Artenkatalog durch. Es ist ernüchternd, ich sehe in unseren ‚Erzeugnissen‘ jetzt keinen Durchbruch mehr, nur noch einen Fehltritt nach dem anderen. Ich muss verrückt gewesen sein.‘

 

‚04.November

Vorbei. Jeffries hat den Verstand verloren. Ferlon hat ihm aufgetragen, Säure in Chaosʼ Kapsel zu pumpen, während die anderen die Amazonen ablenken, aber er hatʼs nicht getan! Hat was gebrüllt von Lebenswerk und vollendeter Schönheit, bevor er gestochen wurde. So ein Idiot. Fast niemand mehr hier ist bei Sinnen oder gar am Leben. Hab gehört, selbst Teile der Wachleute oben sind durchgedreht. Alle schicken ihre Verrückten einfach nur nach unten, als ob die Leute von der Müllverbrennung mehr mit diesen armen Irren anfangen könnten! Wenn sich selbst gestandene Soldaten nicht mehr zu verteidigen wissen ... Ich wünschte, ich könnte es irgendwie in den Hochsicherheitstrakt im zweiten Geschoss schaffen. Der einzige Weg, den Selbstzerstörungsmechanismus zu aktivieren, geht von den Computern dort aus. Es wäre mir ein letztes großes Vergnügen, all diese selbstverliebten Schweine und ihre Missgeburten mit in den Tod zu nehmen. Aber ich hab wohl keine Chance. Sie erschießen jeden, der sich auch nur in die Nähe der Tür wagt. Außerdem sitz ich eh hier fest. Ich habe keine Schlüsselkarte. Alles, was ich herausgefunden habe, ist das Passwort. Wenn das hier also jemand liest und es ausprobieren will, es lautet ‚AmazonQueen‘. Aber macht euch auf einen ordentlichen Bums gefasst!‘

 

Auf den restlichen Seiten hatte anscheinend noch etwas geschrieben gestanden, doch sie waren bis auf einen schmalen Rand herausgerissen worden und rötlichbraune Furchen zogen sich auf der nächsten freien Seite von innen nach außen, ein bisschen zerknüllt durch den Druck, den die offensichtlich blutige Hand beim Entfernen ausgeübt hatte. Piepen. Er ließ den Kopf nachdenklich auf die andere Schulter fallen und drehte sich zum Schreibtisch um. Er wusste nicht genau, wie er den Computer darauf bedienen konnte, deswegen griff er stattdessen zu dem aufgeklappten Heft, das davor lag. Es enthielt Projektdaten.

 

‚Projekt Tyrant

Übernahme firmenexterner Experimente. Versuch, menschliche DNA mit dem uns vorliegenden T-Virus zu verbinden. Die meisten Subjekte wiesen nach zwölf bis vierundzwanzig Stunden typische Verfallsstadien auf und reichten über den bekannten geistlosen, zombieartigen Zustand nicht hinaus. Weiterführende Studien notwendig. Gescheitert.

Aktualisierung: Zeus

Mit modifiziertem TV infizierte Probanden wiesen langsamere Zersetzung und höhere Kraft, Geschwindigkeit und Intelligenz auf, jedoch nicht ausreichend, um sie befehligen zu können. Teilerfolg.‘

 

‚Projekt Cerberus

Übernahme firmenexterner Experimente. Versuch, DNA von Dobermännern mit dem T-Virus zu verbinden. Subjekte schnell, effektiv und aggressiv, aber unkontrollierbar. Teilerfolg.

Aktualisierung: Orthos

Versuch erneut mit modifiziertem TV und Deutschen Doggen durchgeführt. Subjekte wiesen erhöhte Attribute und stark pervertiertes Erscheinungsbild auf, doch immer noch keinerlei Hinweise auf Gehorsam. Teilerfolg.‘

 

Er betrachtete eingehend das anbei geheftete Foto. Es schürte seine ... wie hieß es noch gleich ... Cano. Phobie. Obwohl er nicht ganz verstand, warum er Angst vor Hunden haben sollte. Sie stellten keinerlei Gefahr für ihn dar. Er blätterte weiter.

 

‚Projekt Dryade

Versuch, Kreuzung aus Efeu, Venusfliegenfalle und T-Virus zu erzeugen. Subjekt wies außer übermäßigem Wuchs und erhöhter Potenz des körpereigenen Toxins keinerlei Verbesserungen auf. Stationäre Bindung macht es wertlos im Kampf. Gescheitert.

Aktualisierung:

Versuch erneut mit modifiziertem TV durchgeführt. Größe und Erscheinungsbild verändert. Subjekt scheint eine gewisse Intelligenz entwickelt zu haben, die in ihm den Wunsch, sich fortzubewegen und gezielt auf Beutefang zu gehen, auslöst! Krabbelt wie ein Tausendfüßler, kann sich auf jedwedem Untergrund halten und schlüpft auch durch enge Passagen. Fängt Beute mit dem durch Efeu geschützten Maul der Venusfliegenfalle und zersetzt sie darin zur Verdauung. Vorgang geschieht innerhalb weniger Minuten. Hocheffektiv. Weiterführende Studien zur Gewährleistung der Kontrolle notwendig. Erfolg.‘

 

Erfolg? Unsinn. Er starrte auf seine Hand. Sie war heil. Er untersuchte seinen Unterschenkel. Er war heil. Blödes Ding. Das es gewagt hatte, ihn anzugreifen! Aber es hatte sein Fett wegbekommen.

 

‚Projekt Arachne

Unfall. Durch zufällige Infizierung genveränderte Arachniden, ähnlich denen aus den uns bekannten Umbrella-Berichten. Die Spinnen wiesen durch TV-Befall enormes Wachstum auf. Stark, aber wegen mangelnder Intelligenz leicht zu bekämpfen. Durch Größe und körpereigene Gifte effizient. Weiterführende Studien sind ins Auge zu fassen.‘

 

‚Projekt Minotaurus

Unfall. Durch zufällige Infizierung genverändertes Lebendfutter. Das Rind wies durch TV-Befall verändertes Erscheinungsbild und Fressverhalten auf. Durchschnittliche Werte in Kraft und Beweglichkeit. Durch Größe und Gewicht recht effizient, doch sind profitablere Verbindungen vorzuziehen. Vernichtung des Materials angeordnet.‘

 

Er kratzte sich am Kopf und bemerkte nicht, dass er dabei die Flügel eines seiner Freunde zerriss, der darauf saß. Na schön. Zumindest hatten sie es nicht mit Absicht gemacht. Die arme Kuh. Er hielt es für angebracht, so zu denken, auch wenn er nicht genau wusste, was es bedeutete.

 

‚Projekt Amazone

Versuch, DNA der Gemeinen Wespe mit modifiziertem TV zu verbinden. Subjekte nahmen den Virus überdurchschnittlich gut an. Im Vergleich zu anderen Wirten erfolgte eine enorme Steigerung der Gesamtgröße, Potenz des körpereigenen Toxins, Wendigkeit und Aggressivität. Leider keine sonderlich hohe Abwehr, was jedoch in der Anwendung durch zahlenmäßige Überlegenheit ausgeglichen werden kann. Nicht kontrollierbar, aber hocheffektiv. Erfolg.‘

 

Er hob stirnrunzelnd einen Arm und sofort ließen sich drei Freunde darauf nieder. Nicht kontrollierbar? Nicht? Er wies auf die Mahlzeit. Sie hoben ab und schwirrten zu ihr hin, gefolgt von eifrigen Kameraden. Sie verschwand unter einem wuselnden Teppich aus Gelb und Schwarz. Nicht kontrollierbar ... Er wandte sich wieder dem Heft zu.

 

‚Projekt Chaos

Erfolgreiches firmenexternes Experiment. Umbrellas Versuch, menschliche DNA mit dem ursprünglichen TV zu verbinden. Proband wies verändertes Erscheinungsbild, enormen Kraftschub, Agilität und Aggressivität auf. Wirt verstorben, doch da das Gehirn weitestgehend erhalten ist, kann auf Vernunft und Kontrollierbarkeit geschlossen werden. Injektionen mit modifiziertem TV wiesen bereits nach wenigen Behandlungen erstaunliche Ergebnisse auf. Explosionsartige Mutationen am ganzen Körper, doch Rückbildung innerhalb der folgenden zwölf Stunden. Stark erhöhte Attribute. Ausgezeichnete Affinität der Viren. Weiterführende Studien vorrangig empfohlen. Erfolg.‘

 

Es war die letzte Seite und er nickte einsichtig. Obwohl er nichts verstand. Er musste zurück zu ... zu ... ihm. Zum Partner. Um ihn zu essen. Falsch. Um ihm Gericht zu erstatten. Bericht. Bericht zu erstatten. Und dann zu essen. Nein, nicht ihn. Vielleicht doch. Warum durfte man Partner nicht essen? Es erschien ihm als Verschwendung. Zwei Freunde boten ihm einen Arm an. Er nahm ihn entgegen und biss ein Stück aus dem Ellenbogen heraus, während er nachdenklich aus dem Büro schlenderte. Flüchtig kam ihm der Gedanke, auch die anderen Zimmer zu durchsuchen, doch auf einmal entzog sich ihm der Sinn dafür. Er schluckte und nahm den nächsten Bissen. Seine Freunde folgten ihm surrend. Ja. Keinen weiteren Aufschub. Er musste ihn finden. Aber wohin zuerst? Plötzlich hob er den Kopf und schnüffelte. Gut, der Geruch. Lecker. Es roch nach ... ihm. Er war in der Nähe. So ein Glück. Er knabberte schnell noch einige Bissen aus dem Arm heraus und ließ den Rest dann fallen. Einige Freunde landeten darauf. Sein Blick schweifte zum Tor am Ende des Gangs. Geräusche drangen hindurch. Laute. Leise. Laute. Schüsse? Es roch nach ihm. Alles roch nach ihm. Was hatte er ihm noch gleich sagen wollen? Er konnte sich nicht recht konzentrieren ... Alles war erfüllt von dem Geruch. Es machte ihn unruhig. Wahnsinnig, fast. Hungrig. Freunde wurden nervös. Tor war im Weg. Lärm und Lärm und Geruch. Geruch. Geruch.

 

Leben.

 

Seine Haut platzte auf. Muskeln pulsierten und quollen aus den Rissen hervor, während er sich langsam auf das Tor zubewegte. Der Boden entfernte sich etwas. Aber das war normal. Absolut normal. Er hörte, wie Jacke und Hemd auseinanderrissen und ging gleichgültig weiter. Der Geruch wurde stärker und stärker, füllte seine Nasenlöcher, seinen ganzen Kopf und überdeckte jeden vernünftigen Gedanken. Essen. Essen war gut. Essen auf der anderen Seite. Barrikade. Er rannte los. Kurz vor dem Rolltor schwang er den Arm zurück und ließ seine Faust auf das widerspenstige Metall niedersausen. Es brach auf wie ein Stück Papier. Keine Barrikade. Er sprang durch das Loch und landete viele Meter weiter unten auf hartem Beton, der um ihn herum zerbarst. Geruch zur Rechten. Er drehte sich um. Essen. Essen war dort. Piepen. Es ging ihm auf die Nerven. Woher kam es nochmal? Die Umgebung roch noch nach etwas anderem, aber das Essen war alles, was er wollte. Sein. Essen. Sein Essen! Er würde es niemandem überlassen! Er stürzte sich darauf, doch es war flink. Flinker als er? Hm. Ungewöhnlich. Er wandte sich dem fliehenden Geruch zu. Das Essen schrie irgendwas. Er konnte es nicht verstehen. Wollte es auch nicht. Essen war nicht zum Zuhören gedacht. Es war zum Essen gedacht. Er wollte nur essen. Er lief los und packte zu, doch seine Hand zerbröselte nur einen Teil der Wand. Es war schon wieder entkommen. Und es schrie noch immer. War es denn wirklich zu viel verlangt, sich essen zu lassen?

 

Leben.

 

Genau. Er wollte leben. Und essen. Wenn er aß, lebte er. Wenn er lebte, aß er. Es war frustrierend und er entließ das Gefühl mit einem lauten Brüllen, weil das Essen es nicht verstand. Es schrie und schrie und wich aus und ... Was war das für ein Ruck gewesen, den er in der Schulter gespürt hatte? Egal. Das Essen entkam erneut und er schlug zornig auf die Bodenplatten ein.

 

Leben.

 

Leben und Essen. Warum durfte er nicht endlich essen?! Das Essen schrie und jammerte und schoss auf ihn. Schoss? Es schoss auf ihn. Und es schrie. Er ... kannte die Stimme ... oder? Lächerlich. Man kannte die Stimme seines Essens nicht. Nur zum Essen bestimmt. Nicht zum Reden. Leben und Essen. Aber ... war das wirklich alles? Er fuhr herum und stürmte auf das Essen zu. Natürlich war es das. Alles. Richtig? Es wich zur Seite aus, doch dieses Mal war er schlauer. Er erwischte es mit einer rasch hervorschnellenden Hand an der Gurgel und schlug es an die Wand. Etwas fiel klappernd zu Boden. Flinte, schoss es ihm durch den Kopf. Se... se... seine ...? Er brauchte keine. Er hatte Freunde. Er fühlte sie im Nacken. Essen wehrte sich, aber es hatte keine Chance. Richtete etwas auf ihn. Auf sein Gesicht. Pistolen nannte man sie. Oder nein ... diese war größer. Größeres ... Kaliber. Keine Gefahr. Vielleicht doch. Normalerweise. Was? War er ... anders? Anders als normal? Das Essen jammerte. Oder ... Nein. Es bettelte. Nichts Ungewöhnliches. Aber etwas klang so vertraut. Vertrauter als andere Wörter. Es drang zu ihm durch, mehr als andere. Mehr als ...

 

Leben.

 

Ein ... Name ...? Ein vertrauter Name ... Seiner ...? Er blinzelte.

 

Überleben.

 

Es überkam ihn wie ein Schauer. Wie ein plötzlicher, eiskalter Regenguss. Nicht seine Gedanken. Nicht seine Gefühle. Nicht seine Wünsche. Sein Name. Wie war sein Name? Das Essen rief ihn. Wie war sein Name?

 

Überleben.

 

Und eine Erkenntnis rauschte durch seinen Körper. Es war seine Stimme. Aber es war nicht sein Gedanke.

 

Überleben.

 

Er fühlte sein Selbst erzittern, als es begann, sich endlich wieder zu fokussieren. Eine Frage bildete sich hinter seiner brennend heißen Stirn, eine Frage urplötzlich so essentiell, obwohl sie ihm zuvor nicht einmal in den Sinn gekommen war. Das einzelne Fragewort ertönte nicht nur in seinem Kopf. Es glitt ihm nach einer ewig erscheinenden Zeit des Zweifels endlich über die Lippen.

 

Überleben.

 

„... Wer?“

 

Wir.

 

Der Schock war groß. Der Schock war groß genug, um seinen ganzen Körper zusammenzucken zu lassen. Aus Versehen ließ er dabei das Essen los, das die Gelegenheit nutzte und türmte. Doch es war plötzlich nicht mehr so wichtig. Er wollte nicht, dass es noch immer so wichtig war!

 

„... Wer ... ‚wir‘?“

 

Wir. Überleben.

 

Genau. Er musste überleben! Um jeden Preis! Um jeden Preis? Jeden? Nein!

 

Warum nicht.

 

Was für eine dumme Frage! Manchmal war der Preis eben zu hoch! Zum Beispiel, wenn man etwas opfern musste, was einem sehr wichtig war!

 

Leben.

 

Natürlich war Leben wichtig. Vor allem das eigene. Aber manchmal ... manchmal war es weniger wichtig als ... Genau. Manchmal war das eigene Leben nicht wichtig. Zumindest nicht wichtiger als ...

 

Wir.

 

Nein! Nicht wichtiger als ...

 

Wir.

 

Nicht wichtiger als ...

 

Wir.

 

... Freunde.

 

Wir.

 

Falsch. Sie waren nicht seine Freunde. Seine Freunde waren nicht seine Freunde! Seine Freunde waren ... Essen ... Essen ... Nein ... Par...t...n...

 

Überleben.

 

Sie wollten überleben, hm? Oh nein. Bis hierhin und nicht weiter. Sie waren sie. Er war er. Er war er! Er spürte, wie seine Gedanken aufklarten. Wie sein Verstand aus einem tiefen Abgrund voller Dunkelheit zurück ins Licht kletterte. Wie er es endlich schaffte, ein ganz bestimmtes Problem zu erkennen. Jemand ... Etwas steckte in seinem Kopf. Er hob ihn und starrte an die Decke. Sie war so weit entfernt. Aber wenigstens konnte er sie jetzt wieder sehen. Er konnte ihn hören. Er konnte ihn hören! Er hörte seinen ... Partner! Seinen Namen!

 

Überleben.

 

War es eine B.O.W.? Gab es welche, die Telepathie beherrschten? Er hob eine Hand vor Augen. Sie war deformiert. Blutverschmiert. Und vor allem war sie nicht mehr von Haut bedeckt. Nein. Keine Telepathie. Es war ... in ihm, nicht wahr? Ein Virus.

 

Überleben.

 

Es wollte also überleben. Konnte er sich vorstellen. Er ... er wollte auch überleben. Es hatte ihn dazu bringen wollen ... L... seinen Partner zu verspeisen. Nicht so. So wollte er nicht überleben. Auf keinen Fall. Nicht so! Aber wie? Es gab kein Entkommen. Die Wissenschaftler hatten es gesagt. Gewusst. Er wusste es selbst. Die vielen Berichte ... Es hatte Infizierte gegeben, die überlebt hatten. Als sie selbst. Aber sie hatten rechtzeitig Seren bekommen. Noch immer blickte er gedankenverloren auf seine Hand. Wenn sie schon so aussah ... Wie sah er dann aus? Wenn er bald das Serum bekam ... zählte das noch als rechtzeitig? Er brauchte keine Antwort. Er kannte sie schon. Es gab kein Entkommen. Zu spät. Viel zu spät. Er hatte nichts davon bemerkt. Spürte noch immer nichts. Aber ... genau das war das Problem, nicht wahr? Er hörte ihn. Seinen Namen. Endlich wieder seinen Namen. Le... Sein Partner würde sich um das Problem kümmern.

 

Überleben.

 

Falsch. Das Virus tötete ihn. Sein Partner tötete das Virus. So einfach war das. Er würde seinen Partner nicht töten, um zu überleben. Auf keinen Fall.

 

Überleben. Leben.

 

Plötzlich übermannte ihn eine Welle der Erschöpfung und er sank stöhnend auf die Knie. Seine Stirn fiel in seine Hände, schmerzend, dröhnend, so heiß, dass er das Kribbeln dahinter kaum bemerkte. Ein Kribbeln, als würde sich eine über sein Gehirn gelegte Schicht unzähliger winziger Füßchen in einen unbeobachteten Teil seines Selbst zurückziehen. Und er kam zu Bewusstsein.

 

Leben. Überleben.

 

Das Virus handelte. Und es handelte der Situation entsprechend! Es ließ ihn leben. Warum? Alle Befallenen waren ausnahmslos getötet worden, wenn nicht durch äußere Einflüsse, dann durch die Viren selbst. T, G, C und wie sie alle hießen waren keine Parasiten wie die Las Plagas. Sie wollten Körper, die sie steuern konnten. Ein lebender Organismus ließ sich wenn, dann nicht leicht steuern. Er würde sich nicht steuern lassen. Nicht noch einmal. Und vor allem nicht so.

 

Leben. Überleben.

 

War das ... eine Frage? An ihn? Fragte das Virus ihn – den unfreiwilligen Wirt – ob er es ... überleben lassen würde? War es zu dem Schluss gekommen, dass sein Tod den eigenen Untergang herbeiführen würde? Und dass ... eine Symbiose möglicherweise das Gegenteil erreichte? Hatte es etwa ein ... Bewusstsein? ... Nein, das war unmöglich. Viren waren keine Lebewesen. Vielleicht stimulierte es seine Nervenbahnen, um die für sich vorteilhaftesten Reaktionen zu erzwingen. Es musste eine wissenschaftliche Erklärung dafür geben. Aber er hatte sowieso nicht vor, es zu einer Untersuchung kommen zu lassen. Er durfte sich nicht kontrollieren lassen. Er musste es vernichten. Schwächer und schwächer fühlte er sich. Es fühlte sich an, als wurde er wieder ... menschlich. Normal. Er fühlte, wie sich Gewichte auf seine Schultern legten, doch er hob den Kopf nicht von den Händen. Er hörte seinen Namen. Immer wieder seinen Namen. Er wiederholte ihn in Gedanken. Richtig ... Richtig ...

 

„Ich ... bin Ark ...!“

 

Wir sind du.

 

Und das Kribbeln verschwand. Er blinzelte in seine Handflächen, als wäre er gerade aufgewacht. Und es piepte in seinem Ohr. Verwundert sah er auf in ein verschwitztes, blutverschmiertes, sehr, sehr besorgtes Gesicht.

 

„... Le...on ...?“



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