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9 mm - Blut und Schweiß

von

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Marcos Schreie wurden immer greller und spitzer. Er wand sich verzweifelt, versuchte sich zu drehen. Seine Nägel krallten sich tief in Jens‘ Arm, bis die Haut riss und der hohe, glühende Schmerz ankam. Er versuchte sich zu schützen, zusammenzurollen.

„Du Schwein, schwule Drecksau, Stricher!“

Die hysterisch gellende Stimme zerriss Marcos heiseres Keuchen. Er versteifte sich bei jedem Schlag.

Das Licht der Nachttischlampe brach sich auf Metall, Blut spritzte. Marco klammerte sich fest. Jetzt schrie er, atemlos, dumpf. Dann knackte etwas. Sein Gesicht verlor alle Form. Er verdrehte die Augen. Blut spritzte aus dem flachen, in den Schädel geschlagenen Rest, der einmal seine Nase gewesen war … Ein peitschender Knall …
 

Jens fuhr hoch. Sonnenlicht, gefiltert durch die Blätter fiel durch die Windschutzscheibe.

Windschutzscheibe? Wo war er, verdammt?!

Lag nicht eben noch Marco in seinem Arm und starb?

Das blutsteife T-Shirt löste sich knisternd von seiner verschwitzten Brust. Es war heiß und stickig. Jens sah sich um. Das Führerhaus … Ja, richtig, er saß in einem Truck. Er zuckte zusammen. Es war still, zu still. Wohin steckte Christoph?

Die Waffe! Entsetzt fuhr er auf. Unter seinen Fingern lag noch immer die Pistole. Das Handy steckte in der Halterung der Freisprechanlage. Nur Christoph fehlte.

Jens stierte aus dem Fenster auf einen fast vollkommen leeren Parkplatz. Bis auf zwei weitere Trucks und einen Kleinbus gab es hier nichts, nur Bäume, Grünflächen und ein Toilettenhäuschen.

Hatte sich Christoph verpisst und rief vielleicht von einem seiner Kumpels aus die Bullen oder war er auf dem Klo?

Jens hielt die Luft an. Vielleicht hatte der Typ ihn hier eingesperrt … Er tastete nach dem Türgriff. Unverschlossen? Irritiert blinzelte Jens. Glaubte Christoph wirklich daran, dass er keinen Mord begangen hatte?

Sein Herz schlug schneller. Rasch sah er sich auf dem Parkplatz um. Aus der Toilette kam ein untersetzter Mann in T-Shirt und Jeans. Er schloss gerade seinen Hosenschlitz und ging zu seinem LKW zurück. Ein anderer in grüner Arbeitskleidung schüttelte seine nassen Hände ab und eilte zu seinem Transporter. Kein Christoph …

Mit der Zungenspitze befeuchtete Jens seine trockenen Lippen. Wer war der Kerl eigentlich? Der hohe Stich der Neugier überwog sogar die Angst verraten zu werden.

Jens öffnete das Handschuhfach. Außer Bordbüchern und Serviceheften lag darin wenig, nur ein paar Arbeitshandschuhe, Magentabletten und weitere Menthol-Kaugummis. Wo bewahrte Christoph sein privates Zeug auf?

Jens wandte sich im Sitz um. Hinter ihm lagen Sporttasche und Rucksack zwischen einem weiteren Paar Springerstiefel, Büchern, einer silbernen Militär-Stahltruhe und dem nun offenen Sixpack mit Wasserflaschen. Rucksack? Das war doch eine Idee!

Mit einem letzten sichernden Blick auf den nun leeren Parkplatz schnallte er sich ab und stand auf. Glücklicherweise war das Führerhaus halbwegs geräumig. Er schob sich nach hinten, vor die Koje und ging in die Knie.

Im Rucksack befand sich ein noch feuchter Kulturbeutel, der den Duft von herbem Duschgel und Deo verströmte, aber auch schmutzige Wäsche. Christoph hatte das Ding dabei gehabt, als er zu seinem Truck zurückgegangen war.

Jens wandte sich der Tasche zu und zog den Reisverschluss auf. Saubere Kleidung, auf der Netbook und Laptop standen. Wozu brauchte ein Trucker sowas? Abends Filme schauen, wie? Pornos.

Eigentlich passte so etwas nicht zu Christoph. Die Bücher, alles alte rote Goldmann-Krimis, die zerknickt aussahen, bewiesen, dass er wohl eher las. Wozu also all die Technik?

Er schob beide Rechner zur Seite und erstarrte. Zwischen zusammengerollten Socken und Boxershorts schaute ein schwarzer Gürtel mit einem Holster heraus.

Ihm wurde heiß und kalt. Schweiß trat ihm auf die Stirn. Eine Pistole? Vorsichtig löste er den Druckknopf und zog die Waffe mit spitzen Fingern heraus. Sie sah etwas anders aus als die seine, dennoch ähnelten sie einander. Er legte sie zusammen auf das Bett. Beide waren von der Marke Heckler & Koch. Unter dem Griff gab es bei beiden schwarze Klebeschilder. Auf der, die Jens der Polizistin abgenommen hatte, stand G. Hansen, und auf Christophs - C. Brehm.

Ein Bulle? Unmöglich!

Um Jens Kehle schloss sich ein Eisenring. Er konnte plötzlich nicht mehr atmen.

Fuck, wer war dieser Christoph eigentlich? Welcher verfickte LKW-Fahrer trug eine Waffe bei sich?

Eisige Panik manifestierte sich. Er musste das klären, sofort – oder abhauen? Aber wohin?

Der Truck, der noch auf dem Parkplatz stand!

Schritte näherten sich. Jens fuhr auf. Fieberhaft starrte er nach draußen. Ein rundlicher Fahrer mit flächigem Gesicht kletterte in seinen Autotransporter.

Großer Gott – glücklicherweise war es nicht Christoph!

Aber da fuhr seine letzte Chance ab. So eine Scheiße!

Jens verstaute die Sachen alle wieder und schob seine Pistole in den Bund. Das weite Hoody verbarg die Waffe.

Nun blieb ihm nur noch die Möglichkeit Christoph zur Rede zu stellen.

Jens stieß die Tür auf. Die Hitze traf ihn unvorbereitet hart. Er begann automatisch zu schwitzen. Dennoch fühlte es sich noch nicht wie die dicke, kaum zu atmende mittägliche Suppe an, in die sich die Luft in den letzten Tagen verwandelt hatte. Rasch kletterte er aus dem Wagen und sah sich um. Kein Christoph … Vielleicht war er auf der Toilette? Rasch, immer einen Blick auf Zufahrt und Wagen gerichtet, eilte Jens quer über den Parkplatz und prallte zurück, als ein Streifenwagen langsam die Strecke entlang rollte. Der Fahrer hielt hinter Christophs Truck an. Wie es aussah, checkte der Beifahrer das Kennzeichen und sah sich um.

Fuck! Nein! Jens versteifte sich. Für einen Moment war er versucht einfach wegzurennen. Aber wie war das doch gleich? Wer fortlief, machte auf sich aufmerksam?

Jeder einzelne Herzschlag kam flatternd und hektisch. In seinem Magen ballte sich das bisschen, was er gestern gegessen hatte, zu Blei zusammen. Er hatte gottverdammten Schiss! Hoffentlich bemerkte das keiner.

Er schob die Ärmel hoch und rammte die Hände in die Hosentaschen. Seine Finger zitterten. Wahrscheinlich würden die Bullen ihn gleich anhalten. Dann war er im Arsch, geliefert. Die Pistole einer toten Polizistin steckte in seinem Hosenbund. Das Blut seines One-night-Stands verklebte mit seinem Schweiß das Shirt. Er stank nach Sperma und purer Angst. Jens ballte die Hände zu Fäusten, bis sie brannten. Der Weg zu diesem verdammten WC war endlos, so scheiße lang! Hoffentlich schaffte er es ohne umzukippen oder loszurennen Der Wagen fuhr wieder an und hielt wieder. Jens schloss die Augen. Das Zittern seiner Hände setzte sich in seinem gesamten Körper fort. Losrennen? Wenn er sich in die Büsche schlug, hatte er vielleicht eine Chance.

Eine Autotür ging auf und schlug zu. Schritte hinter ihm. Stiefel knirschten auf Steinchen und Sand.

Nichts, niemand sprach ihn an. Jens drehte sich nicht um, sondern setzte gezwungen ruhig seinen Weg fort.

Als er die lackierte, schmuddelige Toilettentür erreichte, klebte sein Shirt vor Schweiß. Sicher hatten sich große, dunkle Flecke unter seinen Armen gebildet.

Er stieß die Tür auf. Eine Woge kühler Ammoniak geschwängerter Luft schlug ihm entgegen. Es stank nach Pisse. Durch ein Oberlicht schien die Sonnen auf die dunklen Kacheln. Das Metallwaschbecken war voll mit Papier, was den Abfluss verstopfte, sodass die Brühe darin nicht abfließen konnte. Am Pissoir stand niemand, die beiden Toilettentüren lehnten nur an. Niemand. Wo war Christoph? Hatte er die Bullen gerufen?

Jens spürte plötzlich seine Blase. Angst!

„Nein, Dariusz, hör zu, mach einfach worum ich dich … ja!“ Christophs Stimme kam von draußen, irgendwo hinter dem WC und drang durch das gekippte Fenster.

Mit flatternden Lidern lehnte sich Jens gegen die nächste Wand. Christoph telefonierte mit seinem Kumpel, nichts weiter. Zigarettenrauch zog herein. Stimmte ja, er rauchte.

Jens schloss die Augen und vergrub das Gesicht in Händen.

„Ja, mach dir mal keine Gedanken um mich, Dariusz. Ich gebe dir Infos, sobald ich mehr weiß. Warte einfach am Rasthof Fläming auf mich, okay? … Ciao.“

Infos?! Etwa über ihn – Jens, den glücklosen Volltrottel? Sein Herz begann wieder zu rasen. Eine Mischung aus Ärger und Unsicherheit stach in seinen Eingeweiden …

Schritte näherten sich, zielgerichtet und schnell. Sie endeten vor dem Eingang. Jens zuckte zusammen und fuhr zurück, bis er die Wand im Rücken spürte.

„Scheiße“, murmelte Christoph, bevor er die Tür aufstieß und wie angewurzelt stehen blieb. „Jens …?“



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