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Are You Sane, Baby?

von

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Scheinende Erlösung | Ryou

Blut durchpumpte meinen ganzen Körper. Vielleicht verursachten meine Anti-Depressiva Halluzinationen… Oh, ja - das steht ja auch in der Liste der Nebenwirkungen, in der Packungsbeilage. Ja, ich lese die Packungsbeilage.
 

Ich lag in den Armen eines eingebildeten Mannes. So schwer es auch war, diesen Gedanken zu akzeptieren; es fühlte sich gut an. Es fühlte sich so verdammt gut an, in seinen Armen willkommen zu sein. “Ich kann und werde dich lieben”, versicherte Yami mir und lächelte leicht. Ein Stich durchzuckte meinen Brustkorb - hatte er das gerade wirklich gesagt? Wann hat mir das jemals jemand gesagt?
 

Ich erinnerte mich zurück: Ich hatte niemals eine richtige Freundin. War nicht maskulin genug, um das perfekte Bild eines Mannes zu liefern und somit kam ich für kein Mädchen als Freund in Frage. In Gedanken seufzte ich. Nie war ich gut genug, kam nie auch nur in Frage, mit einem Mädchen auszugehen. Ich fühlte mich wieder von niemandem gebraucht.
 

“Das bedeutet, deinen ersten Kuss hattest du auch noch nie”, erkannte Yami und schloss mich wieder in seine Arme. Er las einfach so meine Gedanken… Am liebsten hätte ich vor Verzweiflung geschrien, aber das hätten meine Eltern mitbekommen - und dann hätten sie mich gefragt, wovor ich mich nun fürchte, da ich ja alleine im Raum bin.
 

Ich sah Yami ganz tief in die Augen und stellte fest, dass sie wirklich genau die selbe Farbe wie meine hatten. Aber nicht nur die Augen; alles stimmte mit meiner Erscheinung überein. Es raubte mir den Atem. Wie konnte etwas Ausgedachtes einfach so real sein? Ich strich über seine Brust, presste mit meiner Hand etwas fester dagegen. Hörbar schluckte ich. Genau konnte ich nicht sagen, ob ich nun fasziniert oder verzweifelt war. Möglicherweise einfach beides zur selben Zeit.
 

“Bist du wirklich real und nimmst mir meinen Schmerz?”, meine Worte waren kaum wahrnehmbar. Wenn er wirklich dafür zu mir geschickt wurde, würde das der Anfang einer seelischen Besserung bedeuten. Meine Mum hat schon oft versucht, mir zu helfen. Sie zahlte eine teure Psychotherapie für mich, die aber nirgendwo hinführte. Normalerweise ist man bei einer Therapie, um herauszufinden, weshalb man so und so agiert. Wenn man beispielsweise Aggressionen hat, ist es Blödsinn, sich Medikamente reinzustopfen, die die Aggressionen lindern - denn wenn man den Grund für diese herausfindet, kommt es erst gar nicht mehr zu Aggressionen.
 

Und das genau ist der Punkt: Ich weiß, dass ich wegen meiner Einsamkeit depressiv bin. Niemand wollte mich jemals haben und so blieb ich immer einsam und allein. Da meine Therapeutin mein Beziehungsleben nicht beeinflussen konnte, hatte das alles keinen Sinn. Sie konnte mir nicht einfach eine Freundin verschaffen. So kam es, dass ich lediglich mit Tabletten vollgestopft wurde. Es machte mich so traurig…
 

“Dann liebe mich!”, sprach ich mit Tränen in den Augen und klopfte mit meinen Fäusten gegen Yamis Brust. Dieser steckte den kleinen Schock und den Schmerz weg, den ich nicht beabsichtigt verursacht hatte. Der Größere wischte mir die Tränen weg und drückte meinen Kopf erstmal an seinen Körper. “Es wird alles gut”, beruhigte er mich und musste mitanhören, wie ich schluchzte und weinte. War das denn eigentlich schrecklich und bemitleidenswert, oder war es ihm, wie allen anderen, herzlich egal? Vielleicht war ich ihm auch egal, wie allen anderen. Plötzlich baute sich eine gewaltige Distanz auf und das minimale Vertrauen, das sich in mir entwickelt hatte, zerfiel.
 

Ich darf ihm nicht vertrauen. Ich darf niemandem vertrauen. Das habe ich schon oft genug bewiesen bekommen… Nun weinte ich noch stärker, fühlte mich hilflos. Neben mir jemand, der behauptet, er würde mir helfen wollen - doch den will ich nicht. Theoretisch sitze ich hier alleine. Schon wieder alleine und traurig. Ich verlor mich in einem Kampf gegen die Tränen.
 

Es war so schrecklich frustrierend. Das war wie wenn man gerade verhungert, und neben einem steht ein Teller voller Essen, das man jedoch nicht essen konnte. Somit hungerte man weiter, obwohl direkt daneben die scheinende Erlösung war…
 

In solchen Tränenausbrüchen hätte ich immer gern jemanden gehabt, der mich umarmte. Jetzt hatte ich jemanden dafür, wollte aber nicht mehr in seine Arme. Ich vertraue dir nicht, du bist fremd. Du bist fremd und könntest mir weh tun, mir Schmerzen zufügen…
 

“Du hast mich gebeten, dich zu lieben”, erinnerte er mich und sah mich besorgt an. “Niemand wird mich lieben!”, mein Tonfall war laut. Mein Schluchzen zerbrach die Stille im Zimmer, und Yami hörte dabei zu.
 

Voller Wut stieß ich den Mann vom Bett, sodass er am Boden landete. Ich fragte nicht, ob er sich weh getan hatte oder Ähnliches. Vielleicht war es ja das, was ich wollte: Jemandem weh tun. So, dass es mal jemand anderen erwischt, als mich. Als immer mich. Doch war ich wirklich so sadistisch geworden? Der kleine Ryou wollte jemandem schaden?
 

Ich schlug mir die Hände vors Gesicht und wollte einfach Nichts mehr sehen. Weder den Raum, noch meine chaotische Art, meine Wünsche umzusetzen. Es wurde mir einfach alles zu viel und ich konnte dem nicht mehr standhalten.
 

Mit einer kurzen Bewegung wurde ich am Arm gepackt und sofort vom Bett gezogen. Yami drückte mich ganz fest an sich, ich konnte mich nicht aus seinem starken Griff lösen. Er war muskulös und robust. So sehr ich auch versuchte, mich wegzustoßen, endete es immer wieder vergeblich. Es ärgerte mich, mich nicht wehren zu können. Ich konnte mich sowieso nie wehren… weder gegen die fiesen Mobbingattacken, noch gegen irgendetwas Anderes. Es tat wieder einmal weh.
 

“Ich bin für dich. Nicht gegen dich”, der Mann ließ mich nicht los, wollte mich festhalten. Mir Geborgenheit verschaffen. Nach einer gewissen Zeit probierte ich gar nicht mehr, wegzukommen, und ließ einfach das geschehen, was geschah. Komme es, wie es solle.
 

Mittlerweile hatte ich aufgehört, zu weinen. Mein Herzschlag regulierte sich allmählich wieder. Ich schloss die Augen und genoss das Gefühl, so gehalten zu werden. Du darfst dich nicht abhängig machen, Ryou. Er darf dir nicht wichtig werden, sonst endet das mit Schmerz - wie immer. Anders kenne ich es auch gar nicht.
 

“Du bist aber nur…”, begann ich. Yami lauschte. “Du bist aber nur ein Produkt meiner Fantasie”, ich sackte zusammen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2015-04-27T20:58:01+00:00 27.04.2015 22:58
Ich kann ryou absolut verstehen
Von:  Lady_of_D
2015-04-27T19:35:28+00:00 27.04.2015 21:35
ich kann mir vorstellen, wie sich Ryou fühlt: einerseits spürt man da jemanden, der einen beschützen und lieben will, weiß aber bzw glaubt gleichzeitig, dass es bloß Einbildung ist...wie soll er auch anders reagieren

Ein sehr schönes Kapitel, freu mich aufs nächste

lg <3


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