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Love Happens

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo ihr Lieben!

Ich weiß, es ist ewig her, seitdem ich das letzte Kapitel veröffentlicht habe und meine Hoffnung ist gering, dass die älteren Leser weiterlesen werden >_<
Aber falls doch :D wünsche ich euch viel Spaß!
Und allen neuen Lesern natürlich auch ;)

Das Hin und Her zwischen Keiji und Mio geht nun in die nächste Runde >//<

Liebe Grüße
May_Be Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
woah :O
endlich ein weiteres Kapitel online!
hat ja auch lang genug gedauert >_< sorry

(ich wollte dich nicht länger mobben Soralai XD..) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
jei, endlich hab ich es geschafft XD

sorry, dass es so lange gedauert hat >_<" Komplett anzeigen

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Geständnis

„Ich liebe dich, Mio.“

Als Keiji-Sempai ihr diese Worte ins Ohr flüsterte, stand auf einmal die Welt still. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, ihr wurde heiß und kalt zugleich. Aber irgendwie konnte sie es ihm nicht recht glauben. Er war nicht einer von solchen Typen, die sich lange an ein Mädchen banden. Er hatte fast jede Woche eine Neue. Und da sollte er ausgerechnet sie lieben? Wusste er überhaupt was Liebe bedeutete?

Mio nahm etwas Abstand ein und sah zu ihm auf.

„Nun erzähl keinen Unsinn.“

Sie packte ihre Sachen zusammen und steckte diese eilig in ihre Schultasche. Das Klingeln ihres Handys kam ihr nur gelegen und sie ging entschuldigend ran. Die laute Stimme am anderen Ende des Hörers erinnerte sie daran, dass sie bereits vor zehn Minuten wo anders sein musste.

„Wer war das?“, fragte Keiji sichtlich neugierig.

„Ach das... es war Akira aus der Parallelklasse. - Na gut, ich muss jetzt aber los, ja?“

Er begleitete sie bis an die Tür, und als sie diese öffnen wollte, versperrte er ihr den Weg.

„Was ich vorhin sagte, habe ich ernst gemeint. Denk bitte darüber nach.“

Mit diesen Worten ließ er sie vorbei treten, sah ihr nach, als sie durch die Türschwelle nach draußen trat, und schloss hinter ihr die Tür.
 

Mio kannte Keiji schon seit sie denken konnte. Sie waren zusammen aufgewachsen, da ihre Familien eng miteinander befreundet waren. Er war drei Jahre älter als sie und bis jetzt war die einzige Zuneigung, die sie ihm gegenüber empfand, eher freundschaftlicher Natur. Dennoch. Sie konnte nicht sagen, dass seine Worte sie gänzlich kalt ließen.

Keiji ging auf dieselbe Schule wie sie, nur war er bereits in der Oberstufe. Er war ein ausgezeichneter Schüler, auch wenn ein ziemlicher Draufgänger. Mio hatte sich schon immer gefragt, wann er sich eigentlich die Zeit zum Lernen nahm. Er gab ihr sogar jede Woche Nachhilfe, seit sie das Verständnis für komplizierte Matheaufgaben verloren hatte. Gerade kam sie von einer dieser Nachhilfestunden, die einen ganz anderen Verlauf genommen hatte als sonst.

Was die Mädchen anging, so standen sie bei ihm Schlange. Aber das war auch kein Wunder, so gut wie er aussah. Er konnte jede haben, wenn er wollte und er bediente sich auch reichlich an den freiwilligen Kandidatinnen. Aber was wollte er dann von ihr? Sie fand sich zwar hübsch und hatte selbst einige Verehrer, aber an Keijis Geschmack reichte sie doch nie heran. Zumindest hatte sie das bis jetzt angenommen.

Die Gedanken hatten ein abruptes Ende genommen, als sie Akira am Café stehen sah.

„Entschuldige. Nachhilfe hat länger gedauert.“

Akira war ein guter Freund von ihr. Sie hatte ihn im Leichtathletik-Club kennengelernt. Er war der beste männliche Sprinter und sie gehörte zu den schnellsten aus der Mädchengruppe. Gemeinsam hatten sie bereits mehrere Wettkämpfe gewonnen und ihre Schule zum Sieg geführt.

„Ich dachte schon, du hättest unser Treffen vergessen.“

Mio schüttelte den Kopf, bevor sie das Café betraten. Sie trafen sich öfters, sodass an der Schule bereits das Gerücht kursierte, sie würden miteinander gehen. Natürlich stimmte das nicht. Sie waren nur Freunde und Akira sah das genauso, sonst hätte er doch sicher schon irgendwelche Andeutungen gemacht oder wäre wie Keiji mit der Tür ins Haus gefallen.

„Was ist los? Du siehst so nachdenklich aus“, meinte Akira, als sie sich bereits ihre Getränke bestellt hatten.

Da Mio nicht unbedingt über den Vorfall mit Keiji sprechen wollte, winkte sie ab. „Ich bin nur müde. Keiji-Sempai hatte mich mal wieder mit seinem Wissen überhäuft. Mir ist fast der Schädel geplatzt.“

Akira lehnte sich in seinem Stuhl zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Er hatte nicht viel übrig für Keiji, da dieser ein Schürzenjäger war. Akira konnte so ein Verhalten nicht leiden und er verstand auch nicht, wie sie mit ihm befreundet sein konnte. Na ja, Freundschaft konnte man es zwar nicht mehr nennen, aber sie verstanden sich immer noch ganz gut.

„Wieso lässt du dir von ihm Nachhilfe geben? Das kann auch ich übernehmen“, er konnte sich seinen abwertenden Ton nicht verkneifen.

„Du weißt genau wieso. Wir sind alte... Freunde. Außerdem würden meine Eltern es nicht gut heißen, wenn ich bei einem fremden Jungen zu Hause bin.“ Mio zwinkerte und schlürfte ihren leckeren Latte, den man ihr serviert hatte. „Die würden durchdrehen!“

Akira zuckte ungerührt mit den Schultern. „Sie müssen es ja nicht erfahren.“ Jetzt grinste er breit. Anscheinend gefiel ihm der Gedanke.

„Du willst mich doch nur dazu überreden, weil du ihn nicht magst. Ja, ja. Ich weiß weshalb. Aber sieh mal... durch ihn habe ich mich in Mathe schon ziemlich gebessert.“

Das entsprach der Wahrheit und sie wollte nicht auf diese erfolgreiche Nachhilfe verzichten. Akira musste das nun mal akzeptieren. Aber vielleicht musste sie sich nach dem heutigen Vorfall nun doch einen neuen Lehrer suchen...

„Na gut. Vergiss es. Lass uns lieber darüber reden, was wir später noch machen.“

Sie diskutierten, welche Clubs sie unsicher machen könnten und entschieden sich für Womb. Der Club lag nur 15 Minuten von Shibuya entfernt und war im Moment ziemlich angesagt.

Mit Akira konnte Mio unbeschwert lachen und albern. Vielleicht lag es auch daran, dass sie im selben Alter waren. Oder weil er diese unkomplizierte Art hatte, mit seinen Mitmenschen umzugehen. Auf jeden Fall war er ganz anders als Keiji. Zumindest als der jetzige Keiji... Mio konnte sich kaum daran erinnern, wann sie sich das letzte Mal mit Keiji über etwas anderes als Schule, Mathe oder ihre Familien unterhalten hat, wann sie das letzte Mal zusammen gelacht haben. Es muss vor einer Ewigkeit gewesen sein. Irgendwann jedoch haben sie aufgehört, all ihre Geheimnisse miteinander zu teilen. Keiji fing bereits früh damit an, sich für Mädchen zu interessieren und damals war Mio praktisch noch ein Kind. Ihre Interessen gingen auseinander, Keiji nahm Abstand und ließ sie alleine zurück.

Erinnerungen

Es wurde bereits dunkel und die Lichter der Stadt wurden immer heller. Noch heute war Mio begeistert von diesen Lichtern, die die Nacht zum Tag werden ließen. Und plötzlich war sie wieder zu dem kleinen Mädchen geworden, das sich für alles begeistern konnte, selbst für so etwas Simples wie Lichter. Mit zwölf hatte Keiji sie das erste mal abends nach Shibuya mitgenommen. Er war damals fünfzehn und bekannt für seine aufregenden Ideen, die jede Eltern in Angst versetzten und zur Verzweiflung trieben. Darum sollte auch dieser Ausflug ein Geheimnis zwischen ihnen bleiben.

Nirgendwo anders als im Vergnügungsviertel hatte Mio das Gefühl, die Menschen seien in einer Art Parallelwelt, in der alle Wünsche in Erfüllung gingen und jeder sein durfte, was er wirklich war. Manchmal dachte sie, sie wäre immer noch das naive zwölfjährige Mädchen, das sich die Welt nach ihren Vorstellungen ausmalte. Das an Wunder glaubte.
 

Als Mio und Akira im Club ankamen, war hier bereits viel los. Die Masse verteilte sich in etwa gleichmäßig auf die Tanzfläche und die Bar. Die meisten Besucher waren mindestens 18, denn kaum einer, der jünger war, wurde reingelassen. Mit ihren fünfzehn Jahren hatte das Glück mit ein paar Tricks den Eintritt für sich und ihren Kumpel zu sichern. Ein bisschen mehr Make Up, ein charmantes Lächeln, ein aufreizendes Outfit und schon konnten sie sich in die Menge stürzen.

„Das klappt immer wieder“, versuchte sie den lauten Bass zu übertönen.

„Deswegen komme ich immer nur mit dir hierher“, erwiderte Akira mit einem breiten Grinsen und steuerte die Bar an.

Mio sah vielleicht wie ein braves Mädchen aus, aber warum durfte sie nicht auch ein bisschen Spaß haben? Sie bestellten sich ein paar Kurze, um schneller in Stimmung zu kommen, und als Mios Lieblingslied ertönte, konnte sie die Tanzfläche nicht länger warten lassen.
 

Als sie damals mit Keiji im Vergnügungsviertel war, hatte er sie durch die Straßen geführt und ihr gezeigt, wo man welche Läden finden konnte. Er hatte ihr versprochen, wenn sie älter war, sie in den einen oder anderen Club mitzunehmen.

Auf den Straßen hatte sie keiner beachtet, dabei war sie erst 12 gewesen. Sie hatte Angst gehabt, dass einer von den Erwachsenen sie anhalten und ihre Eltern kontaktieren würde. Aber nichts der gleichen geschah.

„Hier kann jeder das sein, was er möchte“, hatte Keiji ihr damals erklärt, „vor allem man selbst.“

Mio hatte die Bedeutung seiner Worte nicht verstanden.

„Warum nur hier? Kann man nicht auch so man selbst sein?“

Keiji zuckte mit den Schultern.

„Manche können das. Andere nicht.“
 

Mio erinnerte sich glasklar an jene Worte. Als würde der Alkohol ihre Erinnerungen an die Oberfläche ihres Bewusstseins spülen. Vor ihrem inneren Auge sah sie den fünfzehnjährigen Keiji, der sie in eine Welt entführte, die ihr bis dahin verborgen war. Mit der sie jetzt eins wurde. Jedoch ohne ihn, wie er es ihr damals versprochen hatte. Ihre Erinnerungen tanzten im Einklang mit der Musik, bis etwas anderes, Reales ihre Aufmerksamkeit erforderte. Ihr Blick irrte suchend durch den abgedunkelten Raum. Sie wusste nicht, wonach sie Ausschau hielt. Sie wusste es erst, als sie es sah. Ihn sah.

Keijis Blick bohrte sich in ihren, als hätte er nur darauf gewartet, dass sie ihn bemerkte. Er stand am Rand der Tanzfläche und musterte sie eindringlich. Wie lange starrte er sie schon so an?

Akira schien Keiji nicht bemerkt zu haben und zog Mio schwungvoll in seine Arme. Er flüsterte ihr etwas ins Ohr, doch sie hörte ihn nicht, spürte nur seinen heißen Atem auf ihrer Haut und dann seine Lippen auf ihrem Mund.

Eifersucht

Bevor Mio realisieren konnte, was gerade geschah, wurde sie bereits grob am Arm gepackt und von Akira weg gezerrt.

„Was soll das?“, zischte Keiji wütend, als hätte sie ihn gerade betrogen.

„Du tust mir weh. Lass los.“ Mio zerrte an ihrem Arm, aber er packte sie noch fester. Er hatte nicht das Recht, sie so vorwurfsvoll anzusehen. Außerdem was war das hier überhaupt? Eine Befragung?

„Was tust du überhaupt hier, verdammt?“ Diese Frage war berechtigt. Sie war erst fünfzehn und von der Gesetzeslage gehörte sie wirklich nicht hierher.

„Tanzen“, erwiderte sie gelassen und Keijis Blick verdunkelte sie. Er warf einen Blick zu Akira, dann wieder zu ihr. Es sah ganz danach aus, als würde er ihr glauben.

„Lass sie los“, nun mischte sich endlich Akira ein. Ihr Retter in Not, dachte sie verächtlich. „Wenn sie bleiben möchte, dann bleibt sie.“

„Das denke ich nicht“, sagte Keiji entschlossen, ohne Akira eines weiteren Blickes zu würdigen. In seiner Stimme schwang etwas mit, das keine Widerrede duldete.

Mio fragte sich langsam, ob sie hier selbst auch etwas zu sagen hatte. Langsam spürte sie die Wirkung des Alkohols. Dabei hatte sie gar nicht so viel getrunken. Allerdings reichte das völlig, um ihren Verstand zu benebeln und sie mutiger werden zu lassen.

„Wie wär's, wenn ihr euch um mich prügelt?“, schlug sie den beiden vor. Ihren Sarkasmus schien keiner der beiden witzig zu finden. „Ich werde mit keinem von euch bleiben, klar?“

Mio löste sich endlich aus Keijis hartem Griff und drängte sich durch die Menge nach draußen. Die frische Luft tat unglaublich gut und Mio lehnte sich etwas an das Clubgebäude, um sich wieder zu fangen. Sie ließ die Geschehnisse Revue passieren und fragte sich, wie sie so dämlich sein konnte anzunehmen, dass Akira nur auf Freundschaft aus war?! War sie wirklich so naiv? Was viel schlimmer war, Keiji hatte diesen bescheuerten Kuss gesehen, der zwar nicht von ihr ausgegangen war, ihn aber trotzdem wütend gemacht hatte. Seine Worte von heute Nachmittag hallten auf einmal in ihrem Kopf: Ich liebe dich, Mio. Ich liebe dich, Mio. Ich liebe dich, Mio.

Mio schloss die Augen und atmete tief durch. Weshalb machte sie sich überhaupt Gedanken darüber? Dann hatte Keiji eben diesen unbedeutenden Kuss gesehen. Es war ja nicht so, dass sie seine feste Freundin war oder etwas auf seine Meinung gab...

Nachdem Mio sich einigermaßen gefangen hatte, hielt sie Ausschau nach einem Taxi, als auch schon Keiji, dicht gefolgt von Akira, aus dem Club hinaus traten. Sie sahen sich suchend nach ihr um, fanden sie jedoch nicht sofort in der Dunkelheit.

Mio fluchte leise und versuchte sich unsichtbar wie ein Ninja davon zu stehlen, aber dann rief Akira ihren Namen, und das war das Stichwort. Sie lief los. Es war gar nicht so einfach auf High Heels zu laufen, weswegen sie nicht sehr weit kam, bis die beiden sie eingeholt hatten.

„Jetzt reicht es mit dem Unsinn!“, meinte Keiji-Sempai keuchend.

„Mio, was soll das?“, fügte Akira hinzu und trat näher. „Du verhältst dich wie ein kleines Kind.“ Das schien ihn irgendwie zu verletzen. Okay, sie wäre auch nicht begeistert, wenn derjenige, den sie geküsst hätte, vor ihr weg laufen würde. Aber er hätte sie doch wenigstens vorwarnen können!

„Wenn ich doch so ein Kleinkind bin, warum küsst du mich dann?“ Die Worte waren schneller aus ihrem Mund, als sie denken konnte. Akira runzelte die Stirn und fuhr sich dann durchs Haar.

„Weil du heiß bist.“ So unverblümt kannte sie ihn gar nicht.

Während die beiden sich unterhielten, holte Keiji sein Handy heraus.

„Wen rufst du an?“, wollte Mio wissen, da sie auf einmal ein mulmiges Gefühl hatte.

„Deine Eltern.“ Es hörte sich nicht nach einem Scherz an, sodass Mio sofort zu ihm trat und seine Hand ergriff, in der er das Handy hielt.

„Bitte, ruf sie nicht an“, flehte sie und hoffte zugleich, er würde sie nicht verpetzen. Wenn ihre Eltern das erfuhren, würde sie lebenslangen Hausarrest bekommen.

Keiji schien darüber nachzudenken und senkte dann den Arm. „Nur wenn du brav mitkommst.“

Mio nickte widerwillig und sah dann zu Akira.

„Keiji bringt mich nach Hause.“

Akira zuckte resigniert mit den Schultern und machte auf dem Absatz kehrt. „Lass dich bloß nicht von diesem Schürzenjäger verführen.“ Er hob die Hand zum Abschied. „Wir sehen uns in der Schule.“

Dominanz

Keiji reichte ihr einen Motorradhelm und setzte sich selbst einen auf. Dann schwang er sich auf das mega coole Teil und wartete, bis sie startklar war. Sie hatten kein Wort mehr miteinander gesprochen, seit Akira sie verlassen hatte. Wie konnte der Abend so einen Ausgang nehmen? Heute morgen war alles noch in bester Ordnung gewesen und jetzt? Keiji gestand ihr seine Liebe, Akira küsste sie... konnte es noch schlimmer werden?

Mio legte ihre Hände auf Keijis Hüfte und hielt sich an ihm fest. Er gab Gas und sie düsten mit voller Geschwindigkeit durch die Stadt nach Hause.

Mio wurde langsam müde, aber sie versuchte durchzuhalten. Sie lehnte ihren Kopf an seinen Rücken und legte ihre Arme enger um ihn, versuchte sich auf die Lichter zu konzentrieren, an denen sie vorbei rasten. Doch ihre Augenlider wurden schwerer, sodass sie diese letztendlich schloss. - Ich werde nicht einschlafen, sagte sie sich immer wieder wie ein Mantra in ihren Gedanken, bis sie endlich anhielten. Mio stieg ab und nahm den Helm ab. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie gar nicht vor ihrem Haus standen sondern vor seinem.

„Ich dachte, du wolltest mich nach Hause fahren.“ Keiji holte seinen Hausschlüssel raus und sah sie unbeirrt an.

„Das habe ich nie gesagt. Das hast du bloß angenommen.“

Mio wusste nicht, was sie davon halten sollte.

„Fahr mich nach Hause.“

Doch Keiji öffnete die Tür und sah über die Schulter zu ihr.

„Komm rein.“

Ohne auf sie zu warten, betrat er das Haus. Mio stand perplex da. Sein Verhalten regte sie mittlerweile auf. Was dachte er eigentlich, wer er war? Draußen war es bereits kühl geworden und in ihrer dünnen Jacke hatte sie bereits auf dem Motorrad total gefroren. Sie betrat widerwillig das Haus. Es war stockfinster, als sie die Tür schloss. Warum hatte er kein Licht angemacht?

„Keiji?“, flüsterte sie in die Dunkelheit hinein, um seine Eltern nicht zu wecken.

„Ich sehe nichts. Wo bist du?“

Mio tastete nach dem Lichtschalter. Er musste doch irgendwo hier sein. Doch bevor sie ihn finden konnte, wurde sie von Keiji hart an die Wand hinter sich gedrückt. Erschrocken keuchte sie auf.

„Was soll denn das?“, fuhr sie ihn an und stemmte ihre Hände gegen seine Brust.

„Du hast ihn geküsst“, erwiderte er bitter.

Mios Herz raste wie verrückt. Das konnte er ihr doch nicht tatsächlich vorwerfen!

„Entschuldige bitte, aber er hat mich geküsst.“

Sie konnte ahnen, dass es Keiji nicht besänftigte, denn er ergriff ihr Kinn und hielt es mit eisernem Griff fest.

„Ich will nicht, dass du dich mit ihm triffst, klar!?“

Mio wollte etwas erwidern, doch ihre Kehle war wie zugeschnürt. Diese dominante Seite von Keiji hatte sie bis jetzt nicht gekannt. Sie hatte es nicht einmal geahnt, dass er diese dunkle Seite besaß. Sie verspürte den Drang, ihm zu gehorchen. Dabei war sie doch gar nicht eine von diesen Mädchen, die sich unterdrücken ließen.

„Okay...“, murmelte sie wie benebelt und spürte, wie er sich langsam entspannte. Plötzlich zog er sie sanft an sich und legte die Arme um sie.

„Ich will, dass du nur an mich denkst.“ Seine Worte drangen bis in ihr Innerstes vor und suchten sich dort ein Plätzchen, wo sie sich zum Schlummern niederließen.

Keiji wusste schon immer, was er wollte. Und was Keiji wollte, bekam er dann auch oft.

Abgestoßen

Dieser verrückte Abend ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Im Unterricht musste sie ständig an Keiji denken, dabei war es Akira, der sie geküsst hatte. Apropos. Akira hatte sie bis jetzt nicht gesehen. Da sie in unterschiedlichen Klassen waren, liefen sie sich generell nicht sehr oft über den Weg. Doch nach dem Unterricht hatten sie gemeinsam Leichtathletik. Mio konnte Keijis Aufforderung auf keinen Fall nachgehen. Sie konnte sich auch nicht erklären, warum sie dieser überhaupt zugestimmt hatte. War sie denn völlig bekloppt gewesen an dem Abend? Mio gab dem Alkohol die Schuld. Es war immer der Alkohol.

Als die Glocke das Ende des Unterrichts ankündigte, packte Mio ihre Sachen zusammen und machte sich mit Dori auf den Weg zu der Sporthalle. Ihre Freundin war wie sie ein Mitglied im Leichtathletik-Club. Die Sporthalle lag am anderen Ende des Schulgeländes und so mussten sie den Schulhof überqueren, um dorthin zu gelangen.

„Schau mal, ist das nicht Keiji-Sempai?“, meinte Dori und zeigte mit dem Finger auf den hochgewachsenen Schwarzhaarigen. Tatsache. Da stand er, umringt von seinen weiblichen Verehrerinnen. Sein helles Lachen drang bis zu ihnen vor. Es klang rein und herzlich. In diesem Moment war er ein ganz anderer Mensch als an dem gestrigen Abend. Bis gestern hatte sie ihn auch ganz anders wahrgenommen. Wer hätte gedacht, dass er ein zweites Ich besaß. Und warum zeigte er diesen Hühnern nicht mal sein anderes Ich? Würden sie sich dann immer noch so um ihn herum scharen und ihn anhimmeln?

Mio spürte ein Ziehen in der Brust, als sie bemerkte, wie die Mädchen ihn „zufällig“ berührten und kicherten. Sie durfte also keinen Kontakt mit Akira haben und er ließ sich einfach so begrabschen? Sie hatte von Anfang an gewusst, dass sein Liebesgeständnis wertlos und unaufrichtig war. Jetzt hatte sie sogar einen Beweis. Keiji war und blieb ein Schürzenjäger, der sich nahm, was kam, bisschen damit spielte und es anschließend weg warf. Sie würde ihm keinen Gefallen tun und selbst zu einem weiteren Spielzeug werden.

„Lass uns gehen“, meinte Mio und zog ihre Freundin hinter sich her.

„Willst du ihm denn gar nicht Hallo sagen? Ihr seid doch befreundet.“

Nein, nicht befreundet. Nicht mehr, dachte Mio bei sich. Dori sollte es besser wissen. Mio hatte ihr erzählt, dass die Freundschaft zwischen ihr und Keiji schon lange nicht mehr bestand. Es hatte lange gedauert, bis Mio es akzeptiert hatte. Bis zu seinem Geständnis, das sie unnötigerweise aufgewühlt hatte.

„Mio!“

Sie musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, wessen Stimme es war. Keiji löste sich von seinem Fanclub und holte Mio und Dori ein.

„Du kommst doch heute? Ich dachte, wir bereiten uns langsam für die Abschlussprüfungen vor.“

Alles in ihr streubte sich dagegen, ihm eine nette Antwort zu geben. Wäre nicht Dori anwesend, hätte sie ihm die Hölle heiß gemacht.

„Hab keine Zeit.“

„Ach wirklich?“, fragte er ungläubig nach.

Mio blieb abrupt stehen und sah zu ihm auf. „Wirklich!“, zischte sie und betonte ihre Worte mit einer Geste. Keiji sah sie verdutzt an und schien nicht zu verstehen, was sie für ein Problem hatte. Aber das war ihr egal. Sie ließ ihn stehen und stampfte zur Sporthalle.
 

Beim Laufen konnte sie ihrer Wut etwas Luft lassen. Sie schaffte den 100 Meter Lauf in ihrer Bestzeit und blieb keuchend stehen, beugte sich nach vorn, die Arme auf den Oberschenkeln gestützt. Die ganze Sache mit Keiji ließ sie gereizt und komischerweise auch eifersüchtig werden. In den vergangenen Jahren hatte sie versucht, darüber hinwegzukommen, dass ihre Freundschaft plötzlich zerbrochen ist. Es war hart erarbeitet und nun bröckelte ihr Schutzschild langsam aber sicher. Sein Liebesgesülze ließ sie an nichts anderes mehr denken.

Ihr Blick wanderte durch die Halle und traf auf Akiras, der seinen sofort abwandte. Jetzt musste sie erst einmal die Angelegenheit mit Akira klären, um nicht noch einen Freund zu verlieren.

Unbeirrt ging Mio auf ihn zu.

„Hast du eine Minute?“

Die beiden kassierten wie immer neugierige Blicke von ihren Kameraden, doch Mio ließ sich daran nicht stören. Akira sah kurz zu ihr. „Eher nicht.“

Mio hatte mit seiner abweisenden Antwort nicht gerechnet und hob skeptisch eine Braue. „Alles okay mit dir?“ Sie würde nicht locker lassen, schließlich wollte sie ihn noch ganz diskret fragen, warum er sie zum Teufel geküsst hatte!

Akira sah etwas genervt drein, als er sich zu ihr umwandte.

„Nein. Und jetzt lass mich in Ruhe.“

Mio runzelte die Stirn.

„Warum bist du so abweisend? Was hab ich getan?“

Akira schnaubte und wollte sie ohne eine Antwort stehen lassen.

„Hey, ich rede mit dir!“ Sie packte ihn am Arm, doch er riss ihn augenblicklich aus ihrem Griff.

„Man, du nervst, Mio. Zisch ab zu deinem Stecher.“

Mio konnte es nicht fassen. Klar, dass er sauer auf sie war, aber er musste nicht gleich so ausfallend werden. Außerdem wen meinte er überhaupt damit? Etwa Keiji? Akira hatte das so laut gesagt, dass es jeder mitbekommen hatte. Mio sah sich verlegen um. Die ganze Sache war mega unangenehm. Es war still geworden und jeder einzelne starrte sie unverblümt an, als hätte sie irgendwas im Gesicht. Die neugierigen Blicke erdrückten sie fast, bis die laute Stimme der Trainerin ertönte.

„Hab ich etwa gesagt, ihr sollt Pause machen? Na los. Stellt euch zu dritt an die Startlinie...“

Mio war die einzige, die sich nicht rühren konnte. Die Art, wie Akira mit ihr gesprochen hatte, versetzte ihr einen Stich. Von seinem ungerechten Verhalten gekränkt, steuerte sie die Umkleidekabinen an. Hinter sich hörte sie die Stimme von Matsura-Sensei, sie solle gefälligst zurück kommen, doch Mio lief geradewegs raus aus der Halle. In der Umkleidekabine steckte sie ihre Uniform in die Sporttasche und machte sich in ihrem Trainingsanzug auf dem Weg nach Hause.

Träume

Den ganzen Weg nach Hause dachte sie daran, warum Akira sie so unfair behandelt hatte. Lag es daran, dass sie sich nicht mehr bei ihm gemeldet hatte? Okay, das tat ihr ja leid. Aber er war selbst Schuld, wenn er sie wie aus dem Nichts küsste! Das war noch lange kein Grund so fies zu werden. Vor allem vor der ganzen Mannschaft! Der supernette, coole Akira war zu einem Arsch mutiert. Was hatte sie ihm verdammt noch mal getan? Die ganze Sache regte sie dermaßen auf, dass sie erst einmal ihre Schultasche in die nächstliegende Ecke ihres Zimmers schleuderte.

Jungs waren solche Idioten! Und Keiji und Akira waren die größten davon. Sie würde das alles nicht einfach so auf sich sitzen lassen. Morgen in der Schule würde sie Akira zur Rede stellen und Keiji würde sie ab jetzt ignorieren. Aber bis dahin...

In der Küche schnappte sie sich einen Eisbecher und einen großen Löffel. Brummend setzte sie sich ins Wohnzimmer und schaltete den Fernseher an. Sie blieb bei einem K-Drama hängen. Ihr Leben schien im Moment einer dieser Geschichten entsprungen zu sein. Ein mega Drama. Dabei dachte sie, so etwas passierte wirklich nur im Film. Mio schaltete den Fernseher aus, da sie keinen Nerv für diesen Kitsch hatte und ging auf ihr Zimmer, nachdem sie den leeren Eisbecher weggeworfen hatte.

Warum musste alles nur so kompliziert sein? Erst Keiji mit seinem Liebesgeständnis, dann Akira mit seiner Kussattacke! Was kam als nächstes? Ein Heiratsantrag?

Mio schmiss sich aufs Bett und umklammerte das Kissen. Ihre Mutter sagte immer, viele Probleme klärten sich oft von selbst. Vielleicht gehörten ihre Probleme ja dazu? Während sie ihren Gedanken nachging, übermannte sie der Schlaf und sie träumte von einem Ereignis, dass schon lange vergessen war.
 

Es war einer dieser heißen Tage im Sommer. Keiji und sie spielten draußen im Garten. Damals ist sie gerade 10 Jahre alt geworden. Keiji war schon 13 und ein kleiner, wilder Junge, der sich nicht mehr für Spielchen im Sandkasten interessierte. Trotzdem ist er an diesem Tag bei ihr gewesen. Ohne sich zu beschweren, spielte er alle Spiele mit ihr, die sie ihm vorschlug. Irgendwann fielen sie müde ins Gras, sie hatten gelacht. So laut gelacht, dass ihnen die Tränen kamen.

„Mit dir macht es Spaß!“, sagte Mio und grinste ihn an.

„Ja, mit dir auch.“

„Sehen wir uns morgen wieder? Du kannst gerne zu uns kommen. Mama und Papa haben bestimmt nichts gegen.“

„Ich weiß noch nicht. Ich wollte eigentlich...“, fing er an, doch stockte, als sie ihn erwartungsvoll ansah. „Okay, ich komme.“

In diesem Moment war sie der glücklichste Mensch auf der Welt.

In ihrem Traum verflogen zwei Jahre, sie wurde 12 und er 15. Sie träumte von jener Nacht in Shibuya, von lichten Wegen und lauten Menschenmengen. Von sagenhaften Clubs und geheimnisvollen Gassen. Keiji hatte sie für wenige Stunden in das Vergnügungsviertel entführt, aber diese Erinnerung brannte noch lichterloh in ihr, als wäre es erst gestern gewesen. In dieser Nacht schlichen sie sich durch das Fenster zurück auf ihr Zimmer. Müde fiel Mio ins Bett. Sie erinnerte sich nicht daran, wie Keiji gegangen war. Sie wusste nur, dass nach dieser aufregenden Nacht nichts mehr so war wie bisher.

In ihrem Traum wechselte sich die Szene und Mio stand mitten auf dem Flur ihrer Schule. Sie sah Keiji, wie er ein Mädchen küsste. Leidenschaftlich, besitzergreifend. Dann wandte er seinen Blick zu Mio und grinste. Ab da sprachen sie kaum mehr ein Wort miteinander. Er besuchte sie nicht mehr und auch ihre Eltern hielten es wohl für besser, wenn Mio ihn mied. Wahrscheinlich hielten sie ihn nicht mehr für einen geeigneten Umgang. Aber warum so plötzlich? Zumindest kam ihr das alles ziemlich plötzlich vor. Etwas musste passiert sein, etwas, das ihre Freundschaft zerbrechen ließ.

Danach sahen sie sich nur noch selten: flüchtig in der Schule oder wenn ihre Eltern sich gelegentlich besuchten. Sonst waren sie nicht mehr allein. Bis zu dem Tag, an dem ihre Noten den Bach untergingen.

„Ich liebe dich, Mio!“

Seine rauchige Stimme lockte sie, zog sie in den Abgrund. Der schmale Grad, auf dem sie sich bewegte, gab nach und sie stürzte.

Erschrocken wachte sie auf. Sie hatte immer noch das Gefühl zu fallen...

Jagd

Wenn ihr Leben ein Film gewesen wäre, würde Mio sich längst nicht mehr über die Geschehnisse ärgern und einfach nach vorn spulen, bis zu einem Happy End oder wenigstens bis zu irgendeiner Stelle, die nicht so nervenaufreibend war. Aber das konnte sie nicht und nun plagten sie ihre Gefühle.

Als es zum Ende des Unterrichts klingelte, stürmte Mio aus dem Klassenzimmer. Sie musste Akira diesmal erwischen. Es war bereits eine Woche her, seit sie das letzte Mal miteinander gesprochen hatten. Seitdem hatte Mio versucht mit ihm zu reden, aber er kam nicht einmal mehr zum Leichtathletik-Club. Ziemlich ungewöhnlich für einen Sportjunkie wie Akira. Aber heute würde er nicht vor ihr weglaufen können. Sie stürzte in seinen Klassenraum, doch da war er nicht mehr.

„Mist“, fluchte sie und lief auf den Schulhof. Sie sah sich rasch um und entdeckte ihn am Schultor. Er verabschiedete sich gerade von seinen Klassenkameraden. Das war ihre Chance. Mio rannte los, doch bevor sie ihn erreichen konnte, wurde er auf sie aufmerksam und ergriff die Flucht.

Das konnte doch nicht sein Ernst sein! Er rannte tatsächlich vor ihr weg.

„Akira! Bleib stehen!“, rief sie ihm hinterher und versuchte Schritt zu halten. Akira war ein schneller Läufer, doch so leicht ließ sie sich nicht abwimmeln. Sie hatte eine Ahnung, in welche Richtung er als nächstes laufen würde und nahm eine Abkürzung. Sie durchkreuzte ihm den Weg, sodass er beinahe in sie rein gelaufen wäre.

„Das... reicht, verdammt!“ Mio keuchte und stützte sich auf ihren Oberschenkeln ab, um Luft zu holen. „Du... hast... sie nicht mehr alle!“

Auch Akira war außer Puste. Er schien zum Glück einzusehen, dass eine erneute Flucht wenig Sinn machen würde und setzte sich auf den Bordstein.

„Du... lässt wohl echt... nicht locker“, meinte er grinsend und stütze sich zurück auf seine Arme. Mio ließ sich neben ihm nieder und sah ihn wütend an.

„Das findest du wohl lustig!“

Akira grinste sie schief an.

„Ein wenig vielleicht.“

Eine lange Pause machte sich zwischen ihnen breit, bevor Mio wieder das Wort ergriff.

„Ich bin ziemlich wütend auf dich! Du hast mich beleidigt und dann gehst du mir aus dem Weg! Was soll das?!“

Akira sah von der Seite zu ihr und schnaubte.

„Jetzt tu nicht so unschuldig.“

Seine Worte machten sie rasend und sie packte ihn am Kragen.

„Akira! Hör auf mit dem Mist! Ich mein's ernst! Sag endlich, was los ist!“

Nun wurde auch Akira wütend und stieß sie unsanft von sich.

„Sag mal, hältst du mich für bescheuert?! Von wegen ihr seid nur Freunde! Wenn du mir gesagt hättest, dass du was mit ihm hast, dann hätte ich dich niemals geküsst!!“

Mio fiel aus allen Wolken. „Was meinst du damit? Ich soll was mit wem haben?“

Akira stand auf und schnappte sich seine Schultasche.

„Keiji. Wen könnte ich denn sonst meinen?!“

„Wer hat dir das denn bitte erzählt? - Ich hab nichts mit ihm.“

Akira sah sie prüfend an und versuchte den Wahrheitsgehalt ihrer Worte abzuwiegen.

„Ach ja? Da hat er mir aber was anderes erzählt. Er meinte, ich soll die Finger von dir lassen, sonst würde ich es bereuen.“

Keiji war noch krasser drauf, als sie bis jetzt angenommen hatte.

„Dann lügt er“, sagte Mio aufgebracht und rappelte sich endlich vom Boden auf. „Du musst mir glauben! Ich hab nichts mit ihm am Laufen!“

Akira schien sich langsam zu beruhigen. Er fuhr sich nachdenklich durchs Haar bevor er sagte: „Ich glaube dir ja. Aber das Gerücht solltest du mal schnell aus der Welt schaffen. Ich glaube, er hat es nicht nur mir erzählt.“

Konflikt

Es fiel Mio richtig schwer, nicht sofort loszulaufen, Keiji aufzusuchen und ihm die Meinung zu geigen. Sie kochte vor Wut, denn sie konnte es einfach nicht fassen, dass Keiji-Sempai dieses Gerücht über sie in die Welt gesetzt hat. Sie verstand nicht, warum es sie so wütend machte, denn es kursierten auch Gerüchte über sie und Akira. Aber das war was anderes. Akira hatte diese schließlich nicht selbst verbreitet, Keiji dagegen schon.

Am nächsten Tag stellte Mio überrascht fest, dass ihr ihre Mitschüler komische Seitenblicke zuwarfen. Wahrscheinlich lag das an diesem bescheuerten Gerücht, das schon seit längerem die Runde machte, aber erst heute nahm sie die Auswirkungen definitiv wahr. Sie war zu gereizt, um diese Blicke zu ignorieren.

„Diese Idioten“, murmelte sie vor sich hin.

Ihre Freundin Dori versuchte sie zu beruhigen. „Nimm es ihnen nicht übel. Sie wissen es nicht besser.“

Die beschwichtigenden Kommentare waren nicht gerade das, was Mio hören wollte. „Hör auf sie zu verteidigen. Das kann ich nicht leiden.“

Dori seufzte. „Vielleicht solltest du mit Keiji-Sempai reden.“

„Das hatte ich auch vor“, presste Mio hervor. Gleich nach dem Ende des Unterrichts würde sie ihn aufsuchen und ihn vor all seinen Mitschülern bloßstellen. Nie hätte sie gedacht, dass er so ein hinterhältiger Mensch sein könnte. Er dachte wohl, dass er sie auf diese Weise bekommen würde, dass sie sich fügen würde. Aber ein braves Mäuschen war sie nie gewesen. Mio würde ihm noch die Hölle heiß machen.

Der Unterricht dauerte ewig, doch Mio konnte keinen klaren Gedanken fassen. Nervös spielte sie mit ihrem Bleistift und malte sich das bevorstehende Gespräch mit Keiji aus, als ausgerechnet sie vom Lehrer aufgerufen wurde, um einen englischen Text zu übersetzen. War natürlich klar, dass sie diese Aufgabe stotternd und unsicher bewältigen würde. Als es dann endlich zum Ende des Unterrichts klingelte, war sie erlöst. Sie packte eilig ihre Sachen zusammen und steuerte das Oberstufengebäude an.

Die Gänge waren voll von Oberschülern, die gerade die Klassenzimmer verließen und sich auf den Weg zur nächsten Stunde begaben. Manche hatte Schluss und stürmten hinaus. Mio kam sich in diesem Bereich der Schule fremd vor, schließlich war sie die einzige Schülerin aus der Mittelstufe und fiel zwischen den älteren ziemlich auf.

„Na, Vögelchen, hast du dich verlaufen?“, hörte sie jemanden sagen, doch sie ließ sich nicht beirren. Mio ging weiter, bis sie endlich vor Keijis Klassenraum stand. Sie warf einen Blick hinein, doch Keiji war nicht mehr da. Dann spürte sie jemanden dicht hinter sich und wandte sich abrupt um.

„Suchst du mich?“

Keijis Blick bohrte sich in ihren und er sah sie abwartend an, obwohl er die Antwort schon längst kannte.

„Und ob!“

Mio holte tief Luft und die Worte sprudelten nur so aus ihrem Mund.

„Du bist echt das Letzte! Wie konntest du diese Lüge verbreiten, dass du und ich was miteinander haben!? Sag mal geht’s noch? - Ich hätte nie gedacht, dass du so etwas machen könntest!“

Endlich veränderten sich seine entspannten Züge und nahmen erst einen besorgten, dann einen fassungslosen Ausdruck an.

„Mio, ich...“

„Nein, ich will nichts hören! Keine Ausreden oder irgendwelche Sachen von Liebe oder sonst was! Weißt du was? Du bist für mich gestorben! Ich hasse dich!“

All die Worte, die sie ihm sagen wollte, waren nun raus. War sie zu hart? Vielleicht hätte sie nicht so ausflippen sollen, aber die Sache machte sie so rasend. Er hatte gesagt, dass er sie liebt, aber das gab ihm noch lange nicht das Recht, zu behaupten, sie seien zusammen.

„Sprich mich nie wieder an. Ich kenne dich nicht mehr“, sagte sie in einem ruhigeren Ton und wollte an ihm vorgehen. Doch dann veränderte sich seine ganze Haltung und er packte sie fest an den Schultern.

„Was erlaubst du dir überhaupt?“, zischte er mit eisiger Stimme. „Hat dir das Akira erzählt? Ich hab doch gesagt, du sollst dich von ihm fernhalten.“

Mio hatte keine Angst vor ihm, sodass sie ihm trotzig in die dunklen Augen blickte.

„Ich treffe mich mit wem ich will, verstanden!? Du hast mir gar nichts zu sagen!“

Keiji schien ihre Antwort nicht zu gefallen, dennoch ließ er sie widerwillig los. „Wenn ich dir sage, dass ich nichts dergleichen erzählt habe, glaubst du mir dann?“ Ihr Schweigen war ihm Antwort genug. „Verstehe.“ Keiji wandte sich langsam von ihr ab. „Wenn er dir weh tut, breche ich ihm den Arm. Oder Schlimmeres.“ Seine letzten Worte waren wie ein dunkles Versprechen.

Mio sah ihm nach, wie er den Gang entlang schritt und sich immer weiter von ihr entfernte. Dann wandte sie ihren Blick über die Schüler, die wie angewurzelt da standen und sie anstarrten.

„Was glotzt ihr so?!“

Mio drängte sich an den Geiern vorbei. Sie musste gestehen, dass ihr dieses Gespräch keine Erleichterung verschaffte. Ganz im Gegenteil. Mit schwermütigem Herzen verließ sie das Gebäude und atmete dankend die frische Luft ein. Ihr Kopf pochte und drohte zu explodieren.

Fakt war, dass einer von beiden log.

Nur welcher?

Dornröschen

Die frische, kühle Luft tat ihr gut und half ihr ein wenig dabei, ihre Gedanken zu ordnen. Die Aussprache mit Keiji war nicht sehr erfolgreich. Mio fühlte sich aufgewühlt. Sie war hin und her gerissen. Wem sollte sie glauben? Akira oder Keiji? Akira hatte behauptet, Keiji habe das Gerücht in die Welt gesetzt. Keiji hingegen leugnete es, als sie ihn damit konfrontiert hatte. Akira, den sie vor zwei Jahren in der Leichtathletik-AG kennengelernt hatte, oder Keiji, den sie von klein auf kannte. Wem vertraute sie mehr?

Ein tiefer Seufzer verließ ihren Mund. Das war das einzige, was ihr dazu einfiel. Mio konnte sich partout nicht entscheiden, welcher der beiden log und welcher die Wahrheit sprach. Es konnte doch sein, dass alles ein großes Missverständnis war. Jemand hatte sie mit Keiji gesehen und mehr hinein interpretiert, als da tatsächlich war. So entstanden Gerüchte, eine Annahme folgte der nächsten und so weiter. Aber wenn Keiji die Quelle dieses Gerüchtes war, dann... Ja, was dann? Sie hatte ihn bereits durch ihre groben Worte von sich gestoßen und zwar mit solcher Wucht, dass ihr selbst dabei schwindlig wurde. Noch nie hatte sie solch eine Wut empfunden. Obwohl ein Mal gab es. An ein Mal konnte sie sich erinnern. Es war diese eine Situation in der Schule, von der sie neulich sogar geträumt hatte. Mio sah die Szene wieder deutlich vor sich: Keiji, wie er das Mädchen an die Wand drückte, sie küsste und Mio dann diesen merkwürdigen Blick zuwarf. Keiji hatte gewusst, dass Mio die beiden sehen würde, denn er hatte sie schließlich dahin bestellt. Bis heute wusste sie nicht, was dieses Theater sollte. Wollte er sie testen, indem er somit heraus fand, welche Gefühle sie für ihn hegte? Wollte er sie eifersüchtig machen? Was war der Grund für dieses pubertäre Verhalten? Seitdem ging ihre Freundschaft abrupt den Bach unter. Die Gefühle von damals, die der Kuss zwischen Keiji-Sempai und dem Mädchen in ihr auslöste, hatte sie gut verdrängt. Die Wut, den Verrat und vielleicht war da auch ein Hauch von Eifersucht im Spiel. Nicht weil sie ihn liebte, nein. Sie empfand in dem Moment nur Freundschaft für ihn. Zumindest war sie stets dieser Ansicht gewesen. Und doch... In jenem Augenblick hatte sie sich von ihm hintergangen gefühlt. Er hatte ihr bewusst weh tun wollen, da war sie sich sicher. Diese längst vergessene Erkenntnis brachte sie wieder auf hundert achtzig. Keiji konnte man nicht trauen. Er war wie ein Kamelion, das sich perfekt an jede Situation und Umgebung anpasste. Er war unberechenbar! Mio fuhr ein Schauer über den Rücken, als sie an seine dominante Art dachte. Sie erinnerte sich noch gut daran, wie sie ihm beinahe gehorcht hätte, Akira nicht mehr zu treffen. Es war irgendwie beängstigend, dass sie sich in dem Moment unterwerfen wollte. Aber sie würde es niemals tun. Nicht freiwillig. Niemand hatte das Recht ihr zu verbieten, ihren Kumpel zu sehen. Das war ein lächerlicher Versuch.

Akira war in jeder Hinsicht ein besserer Freund als Keiji es in den letzten Jahren gewesen war. Aber ob Freund oder nicht, auch Akira hatte Gefühle für sie, die Mio nicht erwidern konnte und auch nicht wollte, wenn sie es recht bedachte. Was jedoch Keijis Liebesgeständnis anging... Bis zu seinem Geständnis war er ihr in dieser Beziehung völlig gleichgültig gewesen. Sie hatte ihn abgehakt. Doch nun spielte das ganze so oder so keine Rolle mehr. Ihre Mutter hatte doch Unrecht: Probleme lösten sich nie von allein!

Da Mio sich bisschen ablenken wollte, schlenderte sie durch die Einkaufspassagen. Sie ging an Schaufenstern vorbei, sah sich die schönen Kleider, Taschen und Schuhe an. Bedauerlicherweise hatte sie kaum Geld dabei, denn dieser kleine Shoppingausflug war ja nicht geplant.

„Soll ich es dir kaufen?“, hörte sie einen Jungen sagen. Er sah zu dem Mädchen neben ihm, wahrscheinlich seine Freundin. Sie winkte schüchtern ab, doch er bezahlte trotzdem für sie. Das war eine süße Szene, die Mio eine kurze Weile beobachtete. Dann ging sie weiter. Warum konnte das nicht auch bei ihr so einfach sein? Ein süßer Freund an ihrer Seite, der ihr hübsche Sachen kaufte. Sie musste bei dem Gedanken dämlich grinsen.

Mio schlenderte noch ein wenig durch die Gegend und merkte gar nicht, wie schnell die Zeit verging. Mit der nächsten Bahn fuhr sie direkt nach Hause.

„Bin wieder da“, sagte sie, als sie die Haustür hinter sich schloss und die Schuhe auszog. Ihre Mutter trat in den Flur und begrüßte Mio.

„Hallo, Schatz. Da bist du ja endlich!“ Mio warf ihr einen fragenden Blick zu. Mios Mutter schob ihre Brille zurecht und setzte zur Antwort an. „Ich dachte, du kommst direkt nach der Schule nach Hause. Oben wartet Keiji auf dich. Er ist schon vor einer Stunde gekommen und da ich dachte, dass du gleich kommst, hab ich ihn gebeten zu warten“

Die Worte aus dem Mund ihrer Mutter nahm Mio mit einem entsetzten Gesichtsausdruck wahr. „Bitte was!?“

Keiji war oben in ihrem Zimmer?! Sie verstand die Welt nicht mehr. Hatte sie ihm nicht vor wenigen Stunden ausdrücklich klar gemacht, dass er für sie gestorben sei? Dass sie ihn hasste! Was war nur los mit diesem Kerl? Die Gedanken rasten viel zu schnell durch ihren Kopf, als dass sie diese ordnen konnte.

„Mio, alles in Ordnung?“ Der besorgte Blick ihrer Mutter ließ Mio kurz aufblicken. Sie wollte nicht, dass ihre Mama den Streit zwischen ihr und Keiji mitbekam, denn dann wollte sie sicher intervenieren. Und das konnte Mio in diesem Moment nicht gebrauchen.

„Ja, alles bestens“, gab Mio zwischen zusammen gepressten Zähnen hervor und ließ ihre Mutter verdutzt stehen, bevor sie durch den Flur zu ihrem Zimmer stampfte. Gleich würde er was erleben. Sie würde ihn hochkant rausschmeißen. Was erlaubte er sich eigentlich?! Warum akzeptierte er nicht ihren Entschluss? Mio trat an ihre Zimmertür, die leicht angelehnt war, und legte ihre Hand auf den Griff. Aus einem unverständlichen Grund schlug ihr Herz plötzlich einen Takt schneller. Bestimmt war das ihre Wut, dachte sie bei sich, und betrat das Zimmer. Es war still, sodass Mio dachte, Keiji sei doch schon gegangen, aber dann entdeckte sie ihn auf ihrem Bett. Er lag einfach da, seine Arme unter seinem Kopf verschränkt, und schien zu schlafen, als sei es das natürlichste von der Welt. Diese Szene erschien Mio so surreal, dass sie erst näher treten musste, um all ihre Zweifel zu beheben.

Als sie neben dem Bett stand, blickte sie zu ihm herab. Seine Gesichtszüge sahen friedlich und gleichzeitig anmutig aus, als wäre er nicht von dieser Welt. Sie spürte ihr erneutes Herzrasen. Mio schimpfte innerlich mit sich selbst. Was bist du so nervös, du dumme Gans? Schmeiße ihn raus! Er hat hier gar nichts zu suchen. Mio beugte sich etwas näher zu ihm herab. Keijis ruhiger Atem verriet ihr, dass er tatsächlich schlief. Ihr neugieriger Blick wanderte hinab und blieb an seinen Lippen haften. Mio schüttelte sich innerlich. Sie hasste ihn einerseits und doch andererseits war sie so betört von seiner Erscheinung.

Was ist nur los mit mir...

Mio schloss die Augen und versuchte sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Sie würde ihn jetzt aufwecken und rausschmeißen. War doch nicht so schwer...

„Ich hasse dich, Keiji-Sempai...“, murmelte sie und öffnete ihre Augen.

Zwei dunkle Augenpaare starrten ihr entgegen, bohren sich in ihren Blick und hielten sie gefangen. Als Mio vor Schreck zurückweichen wollte, packte er sie geschickt und zog sie mit Leichtigkeit aufs Bett. Mit einem Mal befand sie sich unter ihm, gefangen zwischen dem Bett und seinem Körper.

„Was soll der Unsinn!“, protestierte Mio und versuchte ihn von sich wegzudrücken, doch sein stahlharter Körper ließ sich einfach nicht bewegen.

„Keiji, runter von mir!“

Doch Keiji ließ sich nicht erweichen. Er umfasste ihre beiden Handgelenke und drückte diese über ihrem Kopf aufs Bett. Wenn Mios Herz vorher heftig schlug, raste es jetzt wie verrückt.

„Ich hatte dich gewarnt“, sagte Keiji in einem ruhigen Ton, der etwas Bedrohliches an sich hatte. Verständnislos sah Mio ihn an, doch er klärte sie sogleich auf. „Ich hatte dir gesagt, du sollst dich von Akira fernhalten.“ In seinem Blick schwang Ärger mit, der keine Widerrede duldete. Doch Mio hatte diesmal nicht vor, ihm zu gehorchen.

„Ich hatte, glaub ich, schon klar gestellt, dass du mir nichts zu sagen hast.“

Ihr Ungehorsam brachte ihn nicht aus der Ruhe, aber sie sah deutlich sein Missfallen.

„Ich hatte dir genug Zeit gelassen, du solltest selbst zu mir finden. Aber dieser Störfaktor nervt gewaltig.“

Meinte er etwa Akira? Dachte Keiji etwa, da würde was zwischen Akira und ihr laufen?

„Keiji...“, murmelte Mio und startete einen weiteren Versuch gegen seine Kraft anzukommen. Doch ihre Arme waren zu schwach und stießen nur gegen den Widerstand seiner Hände, die ihre Handgelenke fest im Griff hatten. Keiji senkte seinen Kopf an ihre Schulter und flüsterte an ihrem Ohr: „Ich hab das Warten satt.“ Sein heißer Atem streifte ihre Haut und Mio wurde etwas schwindlig. Warum hatte er diese Wirkung auf sie? Das war doch nicht normal...

„Du hast nur paar Tage gewartet“, erwiderte sie etwas bissig, „das ist in meinen Augen lächerlich wenig!“

Keiji sah sie an, als hätte sie ihm gerade eine verpasst.

„Du hast ja keine Ahnung“, erwiderte er und beugte sich zu ihren Lippen. Mios Herz setzte einen Schlag aus und sie wandte noch rechtzeitig ihren Kopf zur Seite, bevor seine Lippen ihre treffen konnten.

„Was soll das heißen?“, murmelte sie fragend. Er hatte sie neugierig gemacht. Ihr Blick war auf irgendeinen Punkt im Raum fixiert. Sie wollte ihn nicht ansehen, denn dann würde er sicher einen erneuten Kussversuch starten.

Doch es kam anders. Keiji schien nicht mehr am Gespräch interessiert zu sein. Da sie ihr Gesicht abgewandt hatte, landeten seine Lippen auf ihrer Wange und wanderten zielsicher zu ihrem Hals. Dort schienen sie verweilen zu wollen, denn er biss sanft in ihre Haut, zog und saugte daran. Auch wenn jeder Widerstand zwecklos war, wandte sie sich unter ihm, bis er von ihrem Hals ließ. Keiji drückte seine Lippen wieder an ihr Ohr. „Wenn du dich weiter so unter mir windest, komm ich auf die Idee, etwas ganz anderes mit dir anzustellen.“

Mio schloss die Augen und verdrängte das wohlige Gefühl, welches sein heißer Atem bei ihr verursachte.

„Runter von mir!“, stieß sie hervor.

Ihr Hals pochte, der dumpfe Schmerz brachte sie zurück zur Besinnung.

„Hau ab!“

Sie war überrascht, dass er diesmal gehorchte. Keiji glitt vom Bett, richtete seine Schuluniform und sah zu ihr hinab.

„Wenn wir das nächste mal in einem Bett liegen, kann ich mich sicher nicht mehr beherrschen.“

Er schnappte seine Schultasche und ging Richtung Tür. Mio setzte sich derweil auf und berührte die Stelle, in die er gebissen hatte. Keiji sah an der Tür noch einmal zu ihr.

„Ab jetzt spiele ich mit offenen Karten. Wer auch immer das Gerücht über uns in die Welt gesetzt hat, darf sich freuen. Denn ab jetzt bist du offiziell meine Freundin.“

Knutschfleck

Nachdem Keiji gegangen war, blieb Mio noch einen Augenblick lang sitzen. Sie war immer noch fassungslos über das, was noch vor wenigen Minuten geschehen ist. Mio ließ die Geschehnisse Revue passieren und kam zu dem Schluss, dass Keiji durchgeknallt wäre -.- Wütend über ihre Machtlosigkeit sprang sie vom Bett und knallte die Tür zu, die er beim Rausgehen offen gelassen hatte.

Langsam hatte sie genug von seinen Spielchen. Wie konnte er sich nur so verändert haben? Früher war er ein lieber Junge und jetzt ist er zu einem arroganten, dominanten Idioten herangewachsen! Wenn er dachte, sie würde mit so jemandem zusammen kommen, hatte er sich gewaltig geirrt. Aber andererseits... Mio dachte an diejenigen Augenblicke, als sich ihr Verstand in seiner Gegenwart ausgeschaltet hatte und sie ihm kaum widersprechen konnte, als ihr Puls raste und sie sich nur eins wünschte... Mios Gedankengang endete abrupt. Was dachte sie denn da? War sie jetzt auch vollkommen übergeschnappt?

Müde von ihrem inneren Konflikt ließ sie sich aufs Bett fallen. Sein harmloses Liebesgeständnis hatte eine drastische Wendung genommen. Jetzt sollte sie doch tatsächlich seine Freundin sein! Nein, das konnte er nicht allein entscheiden. Morgen würde sie alles richtigstellen und dann war er für sie gestorben. Damit würde das Kapitel Keiji-Sempai endlich und für alle mal zu Ende gehen, der Vorhang würde fallen und Mio wäre frei.
 

Am nächsten Tag in der Schule schien alles wie immer zu sein. Mio hatte mit wilden Gerüchten gerechnet. Darin war Keiji doch Spezialist, dachte sie zynisch. Aber um ehrlich zu sein, war Mio nicht mehr ganz davon überzeugt, dass Keiji je ein Gerücht in die Welt gesetzt hatte. Seine Reaktion auf ihre Beschuldigungen fühlte sich aufrichtig an. Genau so gut konnte er sie auch täuschen, aber egal wie herrisch er war, er würde sie nie hintergehen.

In der großen Pause traf sie Akira. Sie setzten sich zusammen auf den hinteren Schulhof, um gemeinsam zu Mittag zu essen. Zwischen ihnen schien alles wieder in Ordnung zu sein und das erleichterte Mio ungemein. Wenigstens hatte sie ihren Kumpel wieder. Aber wie lange noch? Wenn er erfuhr, dass Mio mit Keiji zusammen war, würde er ausrasten. Deshalb musste sie so schnell wie möglich mit Keiji sprechen und seine irrsinnige Idee im Keim ersticken. Doch jetzt nahm sie sich erst einmal Zeit für Akira und genoss diesen Frieden zwischen ihnen.

Sie unterhielten sich über den nächsten Wettkampf in Leichtathletik und darüber, dass Matsura-Sensei jetzt harte Geschütze ausfahren würde.

„Also kommst du wieder zum Training?“, fragte Mio nach, da er sich in den letzten Tagen nicht blicken ließ.

Akira lächelte. „Ich denke schon. Matsura-Sensei wird mir sonst sicher die Hölle heiß machen. Ich hab ja jetzt schon Angst, dass sie mich wegen der fehlenden Stunden ein paar Extrarunden laufen lässt.“

Mio konnte ein Lachen nicht unterdrücken. „Das wird dir eine Lehre sein!“

„Du freches Biest!“ Akira wuschelte ihr durchs Haar und hielt dann kurz inne. „Was hast du da?“

Mio blinzelte. „Wo denn?“

Akira hob seine Hand und legte diese auf eine Stelle an ihrem Hals. „Na genau hier. Ein Bluterguss?“

Mio stieg sofort die Hitze zu Kopf. War das nicht die Stelle, in die Keiji gestern gebissen hatte? Sie hatte heute morgen gar nicht richtig in den Spiegel geschaut! Mio schob Akiras Hand weg.

„Eh, keine Ahnung. Kann sein.“ Mio verdeckte die Stelle mit ihren Fingern. „Vielleicht ein Ausschlag.“

„Aha.“ Akira nahm sich ein eingelegtes Ei und widmete ihrem Hals keine weitere Beachtung. Mio atmete innerlich erleichtert auf, bis Akira sie wieder ansah. „Sieht für mich eher nach einem Knutschfleck aus.“

Mio wollte am liebsten im Boden versinken. Dieser Keiji...!

„Woher willst du denn wissen, wie einer aussieht?!“

Akira lachte. „Da hab ich wohl einen wunden Punkt getroffen!“ Dann veränderte sich seine Miene und er sah sie ernst an. „Ist es denn einer?“

Mio suchte nach Worten, nach einer plausiblen Erklärung. Am Ende kam sie nicht einmal zu Wort, denn die lange Pause genügte Akira als Antwort.

„Ist er von Keiji?“

„Nein!“ Ihr Mund war schneller als ihr Verstand, ihre Lüge offensichtlich.

Akira verzog sich die Lippen zu einem enttäuschten Lächeln. „Und jetzt lügst du mich auch noch an.“ Er erhob sich vom Gras und sah auf sie herab. „Ich dachte, ihr hättet nichts miteinander.“

„Akira, jetzt hör mal zu.“ Mio erhob sich, um auf gleicher Augenhöhe zu sein. „Es ist nicht so wie du denkst.“

„Okay. Dann erklär's mir.“

Akira verschränkte die Arme vor der Brust und sah sie abwartend an. Mio wusste nicht recht, in wie weit sie ihm alles erzählen konnte. Sie wollte sich so gerne jemandem mitteilen, aber war Akira der richtige Zuhörer ihrer Geschichte?

„Keiji hat mich bedrängt“, fing sie langsam an und ihr wurde ganz unwohl, nachdem sie diese Worte ausgesprochen hatte. Irgendwie hörte es sich schlimmer an, als es tatsächlich war.

„Er hat bitte was?!“ Akira schien geschockt. „Hat er...“ Er sprach seine Gedanken nicht zu Ende, aber Mio wusste, worauf er andeutete.

„Nein, Unsinn. Da ist nicht mehr passiert.“

„Dieser Scheißkerl...!“ Akira ballte wütend seine Faust zusammen. Er sah dabei aus wie ein Möchtegernheld. „Ich werde ihn mir vorknöpfen!“ Mio konnte nicht sagen, dass sie seinen Heldenmut nicht schätzte, aber das war nun grade zu lächerlich.

„Entspann dich mal und erinnere dich bitte daran, als du mich bedrängt hast!“ Seine Kussattacke lag gar nicht mal so weit in der Vergangenheit. Das hatte er wohl ganz vergessen! Mio gab ihm Stoff zum Nachdenken, denn er sagte kein Wort darauf. Sie selbst machte sich daran, die Dosen mit dem Essen aufzusammeln. „Hilfst du mir mal?“, fragte sie etwas genervt.

„Ja, sicher.“ Akira ging in die Hocke und half ihr beim Abräumen. Die Dosen legten sie in eine kleine Tasche, die Mio extra mitgebracht hatte.

„So, ich muss jetzt zum Unterricht. Wir sehen uns heute in der AG, ja?“

Akira erwiderte nichts auf ihre Abschiedsworte, sondern ergriff ihren Arm, um sie näher an sich zu ziehen.

„Akira, was... soll das?“

Ohne ihr sofort zu antworten, schloss er sie in seine Arme.

„Hast du dich von mir wirklich so bedrängt gefühlt?“, flüsterte er an ihrem Ohr. Sein Atem verursachte bei ihr Gänsehaut, aber es war eine reine körperliche Reaktion.

„Ich war mehr überrascht“, erwiderte Mio wahrheitsgetreu. Sie drückte ihn langsam von sich. „Aber bitte tu das nie wieder.“

Akira ließ sie los und seufzte. „Wenn du das sagst, blutet mein Herz“, meinte er theatralisch und grinste anschließend. „Ich kann es dir nicht versprechen.“

Mio hob skeptisch eine Augenbraue. „Na wenigstens bist du ehrlich. - Also dann, bis später.“

Als Mio ging, spürte sie deutlich seinen Blick im Rücken. Sah er ihr ernsthaft hinterher? Sie drehte sich um, aber Akira war bereits gegangen. Komisch, weshalb sie sich dann beobachtet fühlte.

Kuss

Während sie zu ihrer Klasse ging, ließ sie das Gespräch mit Akira noch einmal Revue passieren. Sie wusste, dass es nicht richtig war, ihn anzulügen, aber wie konnte sie ihm die Situation mit Keiji erklären? Wenn sie ehrlich war, verstand sie selbst nicht so ganz, was da überhaupt zwischen ihnen lief und ob überhaupt. Keijis Geständnis lag nun schon einige Tage zurück, aber wenn sie daran dachte, ließ es ihr Herz höher schlagen. Warum hatte er bloß diese Wirkung auf sie? Dennoch. Sie durfte nicht so leichtsinnig sein und sich auf seine Spielchen einlassen. Dieser Mensch war nicht mehr derjenige, der einmal ihr Freund gewesen war. Ihr bester Freund. Das war schon seit Ewigkeiten vorbei und das sollte auch so bleiben. Es hatte Mio einiges gekostet, darüber hinweg zu kommen. Denn das war die erste richtige Enttäuschung in ihrem Leben, die sie zu der Person gemacht hatte, die sie jetzt war: Stark, selbstsicher und den Menschen gegenüber etwas skeptisch. Sie hatte gelernt, dass Menschen sich verändern und Freundschaften zerbrechen, und das es verdammt weh tun konnte. Deswegen war sie darauf aus, nie wieder jemanden zu sehr in ihr Herz zu lassen. Natürlich zählte sie Akira und Dori zu ihren Freunden, aber so eine Bindung, wie sie diese damals zu Keiji-Sempai hatte, würde sie niemals mehr zu jemandem aufbauen. Aus dem einfachen Grund, dass sie sich nie wieder von jemandem so sehr verletzen lassen wollte.

Als Mio sich ihrer Klasse nährte, sah sie, dass sich davor einige Schüler versammelt hatten. Sie drängte sich durch die Menge und erblickte Keiji, der auf ihrem Platz saß, umringt von ihren Mitschülerinnen. Deswegen der ganze Trubel. Keiji war ein Oberschüler, einer der beliebtesten. Dass er sich zu den Mittelschülern begab, sorgte natürlich für große Aufmerksamkeit. Er hob seinen Blick, als sie die Klasse betrat, blieb aber sitzen. Während er sich mit den Mädchen unterhielt, waren seine Augen auf sie gerichtet. Mios Mut schwand dahin, als er sie so unverblümt anstarrte, aber das würde sie sich auf keinen Fall anmerken lassen. Entschlossen ging sie auf ihn zu und knallte ihre Tasche mit den Dosen auf den Tisch, was augenblicklich für Ruhe sorgte. Jetzt war alle Aufmerksamkeit auf sie gerichtet.

„Du sitzt auf meinem Platz“, meinte sie und formte ihre Augen zu Schlitzen.

Dass er diese Frechheit überhaupt besaß hier aufzukreuzen, nach allem, was zwischen ihnen vorgefallen war. Keiji ließ sich von ihren Worten nicht beeindrucken und lächelte ihr dreist entgegen, was Mios Wut nur noch größer werden ließ.

„Sei nicht so unhöflich, Mio-chan!“, tadelte Nanami und verschränkte ihre Arme vor der Brust. Sie gehörte wie Mio der Leichtathletik-AG an und war außerdem Klassensprecherin. Wenn hier jemand etwas zu sagen hatte, dann sie. Aber Mio ließ sich von niemandem zurechtweisen. Bevor sie jedoch ausholen konnte, erhob sich Keiji auch schon von ihrem Platz.

„Ist schon okay, Nanami-chan.“

Er schob seine Hände lässig in die Hosentaschen und lächelte unwiderstehlich, dass alle Mädchen um ihn herum ein entzücktes Seufzen von sich gaben. Alle außer ihr.

Da war er wieder. Dieser nette, freundliche Keiji, auf den die ganzen Hühner flogen. Aber sie würde er mit seiner Show nicht täuschen können. Sie kannte sein wahres Ich, das er so gut vor den anderen verbarg. Nur bei ihr war er anders, dominant und herrisch, als wäre sie sein Besitz. Wieso er sie auf diese Weise behandelte, wollte sie jedoch gar nicht erst analysieren. Aber wenn er schon mal hier war, konnte sie gleich richtig stellen, dass sie kein Paar waren. Doch bevor sie überhaupt zu einem Wort ausholen konnte, kam er ihr zuvor.

„Mio hat sich nur noch nicht daran gewöhnt, dass man so nicht mit ihrem Freund spricht.“

Diese Aussage ließ alle im Raum aufhorchen.

„Freundin?“

„Was? Mio ist mit Keiji-Sempai zusammen?“

„Die sind ein Paar? Echt?!“

Ihre Mitschüler fingen an zu tuscheln und zu tratschen, sodass wildes Geflüster entstand. Mio sah sich peinlich berührt um. Praktisch jeder starrte sie an. Es war ihr unangenehm, im Mittelpunkt dieses Ereignisses zu stehen. Wie konnte das alles derart aus dem Ruder laufen!

„Hört nicht auf ihn. Wir sind nicht...“ Noch bevor sie zu Ende sprechen konnte, hauchte er ihr einen Kuss auf die Lippen und brachte sie somit zum Schweigen. Es war nur ein kleiner, unschuldiger Kuss, aber er ließ Mio erstarren. Bevor sie überhaupt begreifen konnte, dass er sie gerade vor der ganzen Klasse geküsst hatte, löste er sich schon von ihr. Noch nahm er keinen Abstand ein, sondern flüsterte in ihr Ohr, wie hübsch doch ihr Knutschfleck aussah. Das ließ ihr die Röte ins Gesicht steigen und sie legte ihre Hand automatisch auf diese Stelle. Sie starrte ihn fassungslos an, unfähig etwas zu sagen. Jede Erklärung, die sie jetzt noch vor ihren Mitschülern äußern würde, dass sie nicht Keijis Freundin war, würde keiner mehr glauben. Denn der Kuss bewies eindeutig das Gegenteil. Zumindest in den Augen der anderen.

„Ich hatte dir gesagt, du sollst dich nicht mehr allein mit Akira treffen“, flüsterte er leise in ihr Ohr, während die Mitschüler um sie herum immer lauter diskutierte. „Das hast du jetzt davon.“

Keiji wich ihr zurück, da er spürte, wie wütend sie wurde.

„Wir gehen heute Abend aus“, verkündete er laut, als sollte es die ganze Klasse erfahren, „ich warte um 19 Uhr vor dem Tokyo Tower auf dich.“

Keiji sah ihr in die Augen, lächelte siegessicher und verabschiedete sich von ihr und von seinem Fan-Club.

Lügen vs Verrat

Mio kaute nachdenklich auf ihrer Unterlippe herum, während die Mathematiklehrerin irgendwelche Binomischen Formeln an die Tafel schrieb. Wenn sie jetzt nicht aufpasste, würde sie um Nachhilfestunden nicht herum kommen. Und das wollte sie unbedingt vermeiden, nachdem Keiji-Sempai vor der ganzen Klasse verkündet hatte, dass er ihr Freund war.

Konnte der Tag noch schrecklicher werden?

Mio schrieb mit Mühe von der Tafel ab. Es fiel ihr so schwer sich zu konzentrieren. Ihre Gedanken drifteten immer wieder zu Keiji ab. Sie konnte es immer noch nicht begreifen, wie ein harmloses Liebesgeständnis so aus den Fugen geraten konnte. Hatte Keiji nicht genug Lügen über sie verbreitet? Jetzt fing er sogar an, sie zu stalken! Sonst würde er nicht wissen, dass sie sich heute in der Mittagspause mit Akira getroffen hatte! Jetzt würde das Tratschen erst richtig los gehen.

Mio umklammerte ihren Stift fester. Dieser verdammte Keiji! Wenn er dachte, sie würde heute zu diesem Date kommen, dann kannte er sie wohl schlecht!

Nach dem Unterricht packte Mio hastig ihre Sachen zusammen und stürmte aus der Klasse. Sie wartete nicht einmal auf ihre Freundin, Dori. Sie spürte, wie die Blicke ihr folgten und sie hasste es, im Mittelpunkt des Geschehens zu stehen. Mio wollte einfach für einen kurzen Moment allein sein und von keinem ausgefragt werden.

Ihr Weg führte sie direkt zu der Sporthalle. Da das Wetter heute gut war, würde das Training sicher nach draußen verlegt werden. Sie war eine der ersten in der Umkleide und das nutzte Mio schnell aus. Sie zog sich um und ging auf den Sportplatz, wo sie sich etwas dehnte und eine Runde joggte, um sich aufzuwärmen. Nach und nach trudelten ihre Mannschaftskameraden ein. Einige von ihnen wie Nanami warfen Mio unmissverständliche Blicke zu. Sie waren nicht davon begeistert, dass einer der angesagtesten Jungen der Schule jetzt vergeben war. Mio wollte ihnen am liebsten zuschreien, dass sie ihn gerne haben konnten. Aber selbst das würde sicher nicht helfen.

„Alles okay?“ Es war Dori, die Mio aus den Gedanken riss und ihr eine Flasche Wasser reichte.

„Danke.“ Mio trank einen Schluck und wischte sich über den Mund. „Na ja, wie man's nimmt.“

Ein unsicheres Lächeln bildete sich auf Doris Gesicht.

„Wie meinst du das?“, fragte ihre Freundin verständnislos, „du bist doch jetzt Keiji-Sempais Freundin.“ Dori sagte es auf diese Weise, als wären damit alle Probleme aus der Welt geschafft, als müsste diese Tatsache Mio glücklich machen.

„Ich bin nicht seine Freundin“, stellte Mio klar und reichte ihrer Freundin die Wasserflasche zurück.

„Nicht? Aber das hatte er doch vorhin selbst gesagt und ihr hattet euch geküsst.“ Dori schien das nicht begreifen zu wollen, aber Mio nahm es ihr nicht übel. Es sah für die Außenstehenden tatsächlich danach aus, als wären sie ein Paar. Mio seufzte.

„Es ist kompliziert. Ich kann dir das grade nicht alles erklären.“

Erleichtert sah Mio auf, als Matsura-Sensei erschien, rechtzeitig wie immer, und alle zusammen scheuchte. Jetzt hatte Mio wenigstens ein bisschen Ruhe vor der Fragerei. Außerdem wusste Mio nicht recht, wie sie alles erklären sollte, ohne selbst durcheinander zu kommen.

Matsura-Sensei hielt eine Rede über den bevorstehenden Wettkampf und dass ab jetzt härteres Training ansagt war. Sie machte die Aufstellung und teilte die Bestzeit der Sprinter der konkurrierenden Mittelschule mit. „Wenn wir die nicht erreichen, brauchen wir erst gar nicht anzutreten!“

Matsura war heute mal wieder gut drauf, dachte Mio bei sich, als sie sich an die Startlinie stellte. Mio trat gegen Nanami und Akira an.

„Ich will, dass ihr heute in gemischten Gruppen gegeneinander antretet. Das wird vor allem ein Ansporn für die Damen sein.“ Da die Jungs im Schnitt schneller waren als die Mädels.

Mio sah kurz zu Akira, der ihr frech zuzwinkerte. Das Gerücht schien ihn noch nicht erreicht zu haben, denn sonst wäre er ganz sicher anders zu ihr. Erleichtert sah Mio auf die Laufbahn vor ihr und konzentrierte sich. Als der Startschuss fiel, sprintete sie los. Nanami war ziemlich gut, doch Mio war schneller. Allerdings konnte sie Akira nicht toppen. Atemlos kamen sie an der Ziellinie an und bekamen von Matsura-Sensei ihre Zeiten genannt.

„Das könnt ihr noch besser!“, bekamen sie zu hören, bevor sie langsam zu der Gruppe zurück gingen. Währenddessen stellten sich andere Sprinter an die Startlinie und liefen los.

„Matsura-Sensei ist mal wieder sehr herrisch“, meinte Akira leise und Mio kicherte.

„Ja, ich glaube heute werden wir ganz schön hart rangenommen!“

Nanami ging etwas abseits, bis sie ganz plötzlich aufschloss, um an Akiras Seite zu gehen.

„Akira-Kun, weißt du schon das Neuste?“

Mio wurde auf einmal ganz unbehaglich. Sie hatte doch nicht vor...

„Nein, was denn?“, fragte Akira sichtlich neugierig.

Nanami schenkte Mio ein selbstgefälliges Lächeln, bevor sie fortfuhr. „Unsere Mio-Chan ist jetzt mit Keiji-Sempai zusammen.“

Akira blieb abrupt stehen. „Was?“ Sein fassungsloser Gesichtsausdruck sprach Bände und Mio wurde ganz flau im Magen. Na danke, du dummes Huhn, dachte Mio verärgert bei sich und warf Nanami einen bösen Blick zu. Das hatte echt noch gefehlt. Sie hatte sich doch erst mit Akira vertragen!

„Das stimmt nicht“, erwiderte Mio, doch Nanami lachte laut auf. Wie konnte jemand nur so falsch sein?

„Du willst es leugnen? Dann hatte euer Kuss vor der ganzen Klasse wohl nichts zu bedeuten...“

Mio spannte sich an und ballte die Hände zu Fäusten. Dieses Biest! Mio würde sie umbringen.

Akira schüttelte enttäuscht den Kopf, warf Mio einen kurzen Blick zu und ging an den Mädchen vorbei. Mio schob ihre Mordpläne beiseite und lief Akira nach. Jetzt musste sie ihre Freundschaft mit Akira retten, zumindest das, was davon übrig geblieben war.

„Akira, nun warte doch! Lass es mich doch bitte erklären!“ Mio packte ihn am Arm, doch er schüttelte sie sofort ab. Er wandte sich allerdings zu ihr um und funkelte sie gereizt an.

„Was willst du mir klären, hm? Willst du mir vielleicht wieder irgendeine Lüge erzählen? - Weißt du, ich hab genug davon! Ich dachte, wenn ich das Gerücht in die Welt setze, dass ihr was miteinander habt, wirst du dich von ihm fernhalten! Aber es schweißt euch auch noch zusammen!“

Mio stand perplex da und konnte ihren Ohren nicht trauen. ER hatte das Gerücht verbreitet? ER hatte erzählt, dass sie was mit Keiji am Laufen hatte? Mio wurde schmerzvoll bewusst, dass sie die ganze Zeit jemand anderem die Schuld gegeben hatte und dass sie Akira vertraut hatte. Sie fühlte sich wie der letzte Idiot. Ihr Freund hatte sie verraten und sie, dumme Kuh, hatte versucht diese Freundschaft sogar zu retten! Blöder Arsch!

Mio trat näher zu ihm und legte ihre Hände auf seine Schultern. Sie sah ausgesprochen ruhig aus, doch innerlich kochte sie vor Wut.

„Was soll...“, fing Akira an und keuchte auf, als Mios Knie ihn mit voller Wucht im Unterleib traf. Verdammt, knapp verfehlt! Mio ließ ihn los und stampfte an ihm vorbei, während er zu Boden glitt und sich den Bauch hielt. Das nächste Mal würde sie ihn an der richtigen Stelle treffen.

Aufruhr

Mio wurde von Matsura-Sensei zur Seite genommen. Die Sportlehrerin wollte wissen, was zur Hölle hier vor sich ging. Mio verschränkte trotzig die Arme vor der Brust und gab sich stur.

„Fragen Sie doch Akira, Sensei!“

Mio war immer noch stinksauer. Sie hätte Akira für einen besseren Freund gehalten, aber er war ein Dummschwätzer, ein Lügner UND ein Verräter.

„Mio, du kannst von Glück reden, dass ich dich nicht aus dem Team werfe! Denn das müsste ich machen nach deiner heutigen Aktion! Willst du das wirklich?“

Mio presste die Lippen aufeinander. „Nein.“

Matsura-Sensei nahm das nickend zur Kenntnis. „Das wollte ich hören. - Jetzt läufst du gefälligst ein paar Extrarunden. Für heute werde ich dich vom Training ausschließen.“

Mio war das nur Recht, denn sonst hätte sie Akira noch einen Tritt verpasst, der sich gewaschen hatte. Diesmal direkt zwischen die Beine!
 

Nach dem Training gingen die Mädels in die Umkleide, um zu duschen und sich umzuziehen. Auch Mio schlüpfte aus ihren durchgeschwitzten Sportklamotten und ging unter die Dusche. Das kühle Wasser fühlte sich wunderbar auf der erhitzten Haut an. Es reinigte sie auf so viele verschiedene Weisen, als würde sie sich alles von der Seele waschen. Frisch und mit neuer Lebenskraft griff sie nach dem Handtuch und trocknete sich ab, bevor sie es um sich herum band.

Mio trat in die Umkleidekabine, als plötzlich alle Gespräche verstummten. Die Spannung war deutlich zu spüren, war beinahe greifbar. Doch Mio ließ sich nichts anmerken und steuerte zu ihrem Spind. Nach kurzem Durchwühlen ihrer Tasche wandte sie sich an ihre Kameraden, zumindest hatte sie bis jetzt immer angenommen, dass es Kameraden waren.

„Wo ist meine Schuluniform?“, fragte Mio angespannt in die Runde, doch keine einzige gab ihr eine Antwort. Mio sah hilfesuchend zu Dori, doch ihre Freundin wandte nur unsicher den Blick ab.

Mio spürte einen kleinen Stich in der Brust. Seit wann fielen ihr ihre Freunde gleichzeitig in den Rücken? „Wo ist meine verdammte Schuluniform?!“, wiederholte Mio nun etwas ungehalten und einige von den AG-Mitgliedern zuckten zusammen. Sie hatten gesehen, was sie mit Akira gemacht hatte. Sollten sie ruhig etwas Angst vor ihr haben.

„Nun spiel' dich hier bloß nicht so auf.“ Endlich meldete sich jemand zu Wort. Nanami, die Klassensprecherin. „Was denkst du eigentlich, wer du bist, hm?“

Mio hatte keine Lust auf dieses kindische Theater. Sie wollte nur ihre Schuluniform zurück. Sie hätte es sich gleich denken können, dass Nanami hinter dieser ganzen Aktion stand.

„Ich will nur meine Schuluniform zurück“, sagte Mio ruhiger, auch wenn sich innerlich alles gegen diese Ruhe sträubte. Doch wenn Mio dachte, dass sie mit dieser ruhigen, vernünftigen Art ihr Problem klären konnte, hatte sie sich mächtig geirrt.

„Die bekommst du nicht“, erwiderte Nanami entschlossen. „Weißt du, solche Mädchen wie du kotzen mich an. Du denkst wohl, du kannst jeden haben. Erst Keiji-Sempai, dann Akira-Kun! Und wenn jemand nicht das tut, was du willst, wirst du gleich gewalttätig! Du bist echt ein Abschaum für diese AG und für diese Schule. Deswegen haben wir entschieden, dass du die Uniform nicht verdienst.“

Du hast es entschieden, dachte Mio wütend bei sich und sah in die unsicheren Gesichter der anderen, die ihren Blicken auswichen. Keine traute sich auch nur ein Wort zu sagen. War es wegen Mio oder Nanami.

Mio runzelte ungläubig die Stirn. Das war nicht ihr ernst, oder!? Mio ballte eine Hand zur Faust und ließ die Wut erst einmal sacken. Vorhin, als Nanami Akira erzählt hatte, dass Mio mit Keiji zusammen ist, wollte Mio ihr gerne eine Ohrfeige verpassen. Nun würde sie ihr gerne zwei davon aufdrücken. Aber eigentlich war sie dieser blöden Kuh dankbar, weil sie nun wusste, dass Akira das Gerücht über sie und Keiji in die Welt gesetzt hatte. Was diese Sache hier anging, das konnte Mio nicht akzeptieren.

„Du willst Krieg?“, meinte Mio herausfordernd, doch Nanami schien keine Angst zu haben. Sie verschränkte ihre Arme vor dem Oberkörper und sah Mio trotzig an.

„Und was, wenn es so ist? Willst du mich dann auch schlagen wie Akira-Kun?“, erwiderte diese und formte die Augen zu Schlitzen.

Mio musste sich beherrschen. Matsura-Sensei hatte schon angedroht, sie aus dem Team zu werfen, wenn sie sich wieder aggressiv benahm. Aber wie sollte sie sich sonst verhalten, wenn man von solchen Idioten umgeben war?

Mio ging zurück zu ihrem Spind und holte aus ihrer Tasche ihre verschwitzten Sportklamotten wieder heraus. Dann musste sie eben so nach Hause laufen. Während Mio sich anzog, wagte es keiner zu reden. Niemand sagte auch nur ein Wort. Alle schienen zu begreifen, dass Mios Geduld an einem seidenen Faden hing.

Als Mio sich die Sportsachen wieder angezogen und ihre Tasche gepackt hatte, sah sie noch einmal zu Dori, ihrer angeblich guten Freundin. Diese sah sie nur entschuldigend an. Enttäuscht darüber, dass ihre Freundin und ihre Mannschaftskameraden ihr in den Rücken gefallen waren, schnappte Mio sich ihre Sachen.

„Ihr seid solche Feiglinge! Lasst euch nur von Nanami rumkommandieren!“, meinte Mio wütend und verließ die Umkleidekabine.
 

Während sie die Straße nach Hause lief, entspannte sie sich nach und nach.

Es war doch immer dasselbe, dachte sie etwas betrübt bei sich und ließ ihren Blick zum Himmel schweifen. Freunde kamen, Freunde gingen. So war es bei Keiji, so ist es nun bei Akira und Dori. Wenn sie es recht bedachte, war das auch besser so. Sie wollte keine Freunde. Sie brauchte niemanden! Sie...

Mio spürte wie ihr etwas nasses über die Wangen lief. Abrupt blieb sie stehen und wischte sich über die Wangen. Tränen? Echt jetzt?

Sie wollte es nicht wahrhaben, aber der Verrat und die Ausgrenzung trafen sie tiefer, als Mio zugeben wollte.

Zwiespalt

Nachdem Mio zu Hause angekommen war, war das erste, was sie tat, aus den verschwitzten Sportklamotten zu schlüpfen. Danach war eine zweite Dusche unvermeidbar. Das Wasser machte sie zwar äußerlich sauber, aber es konnte ihre Wut und Enttäuschung nicht fortspülen. Mio setzte sich auf den Boden der Dusche und ließ das kühle Wasser auf sich hinab prasseln. Sie fühlte sich ausgelaugt und leer.

Mio schloss die Augen und versuchte an etwas anderes zu denken. Doch jeder Versuch, ihre Gedanken in eine andere Richtung zu lenken, schlug fehl. Immer wieder wurde sie an den Strand der Erinnerungen gespült, die um Keiji und Akira kreisten.

Was Akira getan hatte, war unverzeihlich. Er hatte ihr eine Falle gestellt, in die sie blindlings hinein gelaufen war. Er hatte das Gerücht in die Welt gesetzt, nur um es Keiji in die Schuhe zu schieben. Akira hatte gewusst, dass Mio so etwas nicht auf sich beruhen lassen und Keiji-Sempai zur Rede stellen würde. Selbst wenn er es abstreite, würde Mio eher Akira Glauben schenken als ihrem ehemaligen Freund.

Wie konnte ich nur so dumm sein?, schalt sich Mio innerlich. Sie hatte Akira vertraut und er missbrauchte es, nur um sein eigenes egoistisches Ziel zu verfolgen. Als er es ihr heute auf dem Sportplatz gestand, hatte er nicht einmal Reue gezeigt. Wie konnte sie sich in diesem Menschen nur so täuschen? Hatte er die Freundschaft lediglich vorgespielt? Nein. Das konnte nicht wahr sein. Mio dachte an die vielen Momente, in denen sie gemeinsam Spaß hatten, in denen sie gelacht haben, in denen sie glücklich waren. So etwas konnte man nicht vortäuschen. Oder...

Mios Hand fuhr über den beschlagenen Spiegel. Sie hatte gar nicht realisiert, wann sie aus der Dusche gestiegen war. Das Wasser tropfte von ihren nassen Haaren, verwandelte sich in Wasserperlen, die über ihren Körper hinabliefen. Sie fröstelte leicht, machte jedoch keine Anstalten nach dem Handtuch zu greifen.

Wie in Trance fuhr sie mit ihren Fingern über die Stelle an ihrem Hals, die Keiji-Sempai gekennzeichnet hatte. Unwillkürlich dachte sie daran, wie er über ihr lag, wie seine wachsamen Augen sie fixierten.

Wenn wir das nächste mal in einem Bett liegen, kann ich mich sicher nicht mehr beherrschen.

Mio erschauderte bei dem Gedanken an seine dunkle Stimme. Dieser Kerl hatte mehr Macht über sie, als sie sich eingestehen wollte. Sie hatte versucht es mit aller Kraft zu unterdrücken, aber etwas in ihrem Inneren sagte ihr, dass es bereits zu spät war.

Mio raufte sich die Haare und gab ein gequältes Stöhnen von sich. Zum Glück war sie allein zu Hause und musste sich somit nicht beherrschen. Sie umfasste den Rand des Waschbeckens und atmete tief durch. Mutter hatte doch unrecht. Probleme lösten sich einfach nicht von selbst. Vielleicht sollte sie auswandern. Timbuktu sollte weit genug sein. Bei dem Gedanken musste sie grinsen. Sie stellte sich vor, was wohl Keiji und Akira für Augen machen würden, wenn sie nicht mehr zur Schule kam. Der Gedanke gefiel ihr. Aber... wo lag Timbuktu überhaupt?

 

Als Mios Blick das nächste Mal zur Uhr wanderte, war es bereits halb acht Uhr Abends.

Vor der gesamten Klasse hatte Keiji verkündet, dass er sich heute um 7 Uhr am Tokyo Tower mit ihr treffen wollte. Sollte er doch warten, bis er schwarz wurde!, dachte Mio gehässig und blätterte ungerührt in einem Magazin weiter, das sie bereits vor einer halben Stunde fertig gelesen hatte.

Mio war immer noch wütend auf Keiji, weil er sie als seine Freundin hingestellt hatte.

Wer auch immer das Gerücht über uns in die Welt gesetzt hat, darf sich freuen. Denn jetzt bist du offiziell meine Freundin.

Keiji hatte es verdammt noch mal ernst gemeint. Unverblümt hatte er vor der gesamten Klasse verkündet, dass sie zusammen waren. Bestimmt wusste es mittlerweile die ganze Schule.

Und wer war Schuld daran? Akira! - Dieser blöde Arsch.

Hätte er das Gerücht nicht in die Welt gesetzt, hätte Keiji sicher ihre Antwort abgewartet und das Gerücht nicht zur Wahrheit werden lassen. Er hatte ihr zwar seine Liebe gestanden, aber es war letztendlich ihre Entscheidung, ob sie mit ihm zusammen sein wollte oder nicht. Zu einer Beziehung gehörten immer noch zwei!

Wieder wanderte ihr Blick zur Uhr. Ob er noch auf sie wartete?

Mio schlug sich mit der Zeitschrift gegen die Stirn und brummte vor sich hin, was für eine Idiotin sie war.

Sollte er doch warten! Sie war nicht seine Freundin, egal was er sagte. Sie gehörte niemandem. Sie...

Mio sprang vom Bett und riss ihren Schrank auf.

Ich werde nur schnell schauen, ob er noch wartet, redete sie sich ein. Sie würde auf undercover zum Tower gehen und aus der Ferne beobachten, ob er noch da war. Genau. Und dann würde sie verschwinden. Nichts leichter als das.

Doch was sollte sie bloß anziehen?

Das rote Kleid mit den kleinen weißen Pünktchen? - Nein, zu auffällig.

Den Jeansrock mit dem gestreiften oder dem karierten Top? - Nein, zu langweilig.

Die Klamotten sammelten sich auf ihrem Bett zu einem großen Haufen, bis sie sich endlich für eine Jeansshorts und ein schlichtes weißes T-Shirt entschieden hatte. Sie durfte sich nicht zu hübsch machen. Falls er sie dann doch entdeckte, konnte sie immer noch behaupten, zufällig hier zu sein.

Raffiniert.

Ein letzter Blick in den Spiegel erinnerte sie zum Glück daran, ihren Knutschfleck überzuschminken. Da sie selbst kein Make-Up besaß, stibitzte sie es von ihrer Mama. Und wenn sie schon dabei war... Ein bisschen Lippenstift konnte nicht schaden.

 

Mit rasendem Herzen hatte Mio sich ein gutes Plätzchen ausgesucht, von wo sie den Tower gut im Blick hatte. Es tummelten sich viele Menschen herum, sowohl Touristen als auch Einheimische. Aber Keiji war nirgends zu sehen. Es war ja auch bereits kurz nach acht. Eigentlich hätte sie sich denken können, dass er nicht länger als eine Stunde auf sie warten würde. Wenn er überhaupt gekommen war. Bestimmt wusste Keiji, dass sie nicht aufkreuzen würde und war nicht einmal selbst erschienen. Wie dem auch sei... er war nicht da.

Mio seufzte resigniert und verspürte einen Anflug von Enttäuschung.

„Ach was soll's“, murmelte sie, als ihr jemand plötzlich von hinten eine Hand auf die Schulter legte. Sie gab einen erschrockenen Laut von sich und sprang mit einem Satz nach vorn. Grade wollte sie zu einer Schimpftirade ausholen, als sie Keiji-Sempai erblickte, der sie mit seinen dunklen, aufmerksamen Augen fixierte.  

Date

 „Suchst du zufällig mich?“

Keijis Stimme ließ sie kurz sprachlos werden. Sie hatte einfach nicht damit gerechnet, ihm jetzt noch zu begegnen. Er hatte seine Schuluniform gegen eine lange Hose aus leichtem Stoff und ein weißes kurzärmliges Hemd eingetauscht. Die ersten Knöpfe hatte er aufgelassen, was einen kleinen Einblick auf seinen Oberkörper bot. Als Mio ihm wieder in die Augen sah, erkannte sie Belustigung in seinem Blick. Als wollten seine Augen sagen: Na, gefällt dir was du siehst? Seine überhebliche Art brachte sie auf den Boden der Tatsachen und dafür war Mio irgendwie dankbar. Ihr Verstand setzte wieder ein und sie fand ihre Sprache wieder.

„Zufällig ja“, erwiderte sie etwas verspätet und verschränkte ihre Arme vor der Brust. „Ich wollte schauen, ob du wirklich so blöd bist und auf mich wartest.“

Sie ließ ihm keine Zeit etwas zu erwidern, sondern fuhr unbeirrt fort.

„Hätte echt nicht gedacht, dass du so ein Weichei bist und eine Stunde auf deine Verabredung wartest. Wie kann man nur so verzweifelt sein.“

„Weil du zu spät gekommen bist, ist unsere Reservierung im Restaurant geplatzt“, meinte er völlig entspannt auf ihre patzige Ansprache, „aber wir finden sicher was anderes.“ Falls ihr Spott ihn verärgerte, ließ er es sich nicht anmerken.

Mio hob skeptisch ihre Augenbraue. Sie hätte mit jeder Antwort gerechnet, aber nicht damit, dass er ihre Beleidigung seelenruhig einsteckte.

„Sag mal, hörst du mir überhaupt zu?!“, fuhr sie ihn an, doch Keiji zuckte nicht einmal mit der Wimper. Als würde er ihr tatsächlich nicht zuhören, sagte er lediglich: „Worauf hättest du denn Lust? Ich hab schon mega Kohldampf. Musste ja auch lange genug auf dich warten.“ Selbst sein Vorwurf klang nicht anklagend, da er seine Worten mit einem Lächeln unterstrich.

Mios Auge zuckte angespannt. Er raubte ihr den letzten Nerv. Redete sie hier zufällig mit einer Wand? Sie hatte sich gerade offen über ihn lustig gemacht und er plapperte irgendwas von Essen gehen.

„Das ist mir zu blöd. Ich hau ab.“

Grade als sie sich abwenden wollte, packte er sie am Arm und hielt sie vom Gehen ab. Sein Griff war sanft, doch bestimmt. So schnell schien er nicht aufgeben zu wollen. Aufgeben war zweifellos nicht seine Art. Außerdem hatte sich etwas an seinem Blick verändert, aber sie konnte nicht sagen was. Sein Lächeln war verschwunden und er sah sie ernst an.

„Bist du echt nur gekommen, um zu sehen, ob ich so dumm bin, auf dich zu warten?“

Die Art, wie er das sagte, irritierte sie. Hörte sie da etwa Unsicherheit heraus? Schwachsinn. Das war schließlich Keiji. Er war niemals unsicher. Und doch... Sie suchte in seinen Augen nach einer Regung, die ihr verriet, warum sich sein Verhalten schlagartig verändert hatte, doch fand darin nur aufrichtiges Interesse. Mio biss sich auf die Unterlippe, unfähig ihn erneut anzulügen oder zu verspotten.

„Nein“, presste sie unwillkürlich hervor und senkte den Blick, da sie seinem Blick nicht standhielt. Irgendwie machte er sie nervös. Insbesondere wenn er sie so unverblümt ansah. Sie hatte sich eingeredet, dass sie nur schauen wollte, ob er tatsächlich auf sie wartete, doch in Wirklichkeit hatte sie gehofft, ihn hier anzutreffen. Die kurze Enttäuschung, die sie verspürt hatte, als sie dachte, er wäre doch nicht gekommen, ist nicht unbemerkt an ihr vorbeigezogen. Für einen kurzen Moment hatte sie geglaubt, er hätte dieses Treffen nur deswegen vor der gesamten Klasse verkündet, um sie in Verlegenheit zu bringen. Es war eine Erleichterung, dass es doch nicht so war. Allerdings würde sie ihm das alles ganz sicher nicht auf die Nase binden.

Keiji schien mit ihrer Antwort zufrieden zu sein, denn er ließ ihren Arm los und sah nun wieder wunderbar gelaunt aus. „Da das nun geklärt ist, lass uns endlich was essen.“ Keiji war bereit zu gehen, merkte jedoch, dass sie zögerte.

Trotz ihres Eingeständnisses war sich Mio immer noch unschlüssig, ob sie sich auf dieses Date einlassen sollte. Sie hatte sich zwar entschlossen, hierher zu kommen, um zu sehen, ob er wie angekündigt erschienen ist. Allerdings hatte sie sich nicht überlegt, wie sie sich verhalten sollte, wenn sie tatsächlich auf ihn traf. Sie kam sich nun etwas blöd vor, ihn stehen zu lassen, schließlich hatte er so lange auf sie gewartet. Das musste sie ihm gutschreiben, schließlich war seine Geduld nicht selbstverständlich. Sie konnte ja immer noch verschwinden, wenn es komisch werden würde.

"Kommst du?" Keijis Stimme riss sie aus ihren Überlegungen.

"J-ja."

Die nächsten Minuten gingen sie schweigend nebeneinander her. Es war eine unbehagliche Stille. Eine Stille, wie sie gewöhnlich zwischen zwei Fremden herrschte, die gezwungenermaßen ihre Zeit zusammen verbringen mussten. Früher war das ganz anders. Obwohl ein gewisser Altersunterschied zwischen ihnen lag, konnten sie sich über alles unterhalten. Sie hatten zusammen gelacht und ununterbrochen geredet. Natürlich gab es auch ruhige Momente, in denen sie nicht so viel gesprochen haben, aber es war nie seltsam so wie jetzt. Sie waren auf derselben Wellenlänge, ja, das musste es sein. Man konnte fast sagen, sie wären seelenverwandt. Damals. In einer anderen Zeit. In einem anderen Leben. Kaum zu glauben, dass es derselbe Keiji war.

Mio betrachtete ihn nachdenklich von der Seite und musste sich unweigerlich fragen, was zwischen ihnen vorgefallen ist. Damals waren sie beste Freunde gewesen, und jetzt? Wie konnte ihre Freundschaft zerbrechen? Sie sah ihn an und musste wieder einmal feststellen, dass sie Fremde waren und dass nichts von dem damaligen Keiji geblieben war.

Die Erinnerung an ihre Freundschaft machte sie überraschenderweise melancholisch. Es hatte Monate gedauert, bis sie die "Trennung" überwunden hatte. Zumindest dachte sie, dass sie es überwunden hatte. Aber jetzt war sie sich nicht mehr so sicher. Es war ihre erste große Enttäuschung, die sie nicht vergessen konnte und die immer noch an ihr nagte. Er hatte sie allein gelassen, er hatte Abstand genommen und sie kaum noch beachtet. Und jetzt schien es, als wolle er wieder einen Platz in ihrem Leben haben. Warum so plötzlich?

Keiji ertappte sie dabei, wie sie ihn beobachtete. Mio wappnete sich bereits innerlich gegen irgendeinen frechen Kommentar von ihm, doch er lächelte sie nur an. Manchmal wurde sie einfach nicht schlau aus dem Kerl.

"Wo gehen wir eigentlich hin?", fragte sie ihn und durchbrach endlich die Stille. Sie war so in Gedanken vertieft, dass sie gar nicht auf die Umgebung geachtet hatte.

„Lass dich überraschen.“

Mio sah ihn skeptisch an.

„Oder magst du keine Überraschungen?“

„Doch“, erwiderte Mio und fügte hinzu, „aber wer weiß, wo du mich hinschleppst. Am Ende lande ich tot in einer Gasse.“

Ihr Scherz brachte ihn zum lachen.

„In eine Gasse würde ich dich gerne verschleppen. Aber ich würde ganz andere Sachen mit dir machen.“

Unwillkürlich musste sie an die Szene von vor ein paar Tagen denken, als sie auf dem Bett lagen, er über ihr. Wie er sich zu ihr beugte, ihren Hals küsste und dann hinein biss. Bei dem Gedanken daran, fing ihr Herz an zu rasen.

Mio erwiderte nichts auf seine anzüglichen Worte, sondern sah wieder auf die Straße. Solche Typen durfte man gar nicht erst beachten, wenn sie so einen Mist von sich gaben. Aber das würde schwer werden, wenn man mit so einem ausging.

 

Das Lokal, in das sie gingen, war ein kleiner Nudelsuppenladen. Die Einrichtung war schlicht und eher traditionell ausgerichtet, doch genau das versprühte eine heimische Atmosphäre, die kaum noch ein Laden bieten konnte. Eine japanische Melodie spielte leise im Hintergrund, die man aus den Lautsprechern vernehmen konnte. Es waren wenige Gäste anwesend. Bis auf einen Mann im Anzug, der alleine am Tisch saß, seine Nudelsuppe schlürfte und Zeitung las, und eine Mutter mit ihren beiden kleinen Kindern war niemand anwesend.

Aus einer hinteren Tür hinter der Theke trat ein älterer Mann und begrüßte sie höflich. Er lächelte Keiji vertraut zu.

„Keiji-san! Freut mich, dass du uns wieder einmal beehrst!“

„Du machst nun mal die beste Ramen-Suppe!“

Dass Keiji solche Lokale mochte, hätte sie nicht gedacht. Sie hatte irgendwie immer noch das Bild von ihm, wie er sich in Shibuya herumtrieb und hippe Lokale aufsuchte. Das war natürlich Schwachsinn, aber diese Erinnerung haftete an ihm fest.

„Wie ich sehe, hast du heute endlich mal ein Mädchen mitgebracht. Sehr schön! Ich dachte, du bringst sie nie mit! - Wie heißt sie denn?“

Mio stutzte. Was meinte er denn damit: Ich dachte, du bringst sie nie mit? Das ergab nur Sinn, wenn Keiji schon mal von ihr erzählte hätte. Aber warum sollte er das tun?

„Das ist Mio. Mio, das ist Ishimitsu-sensei, der beste Ramen-Koch in ganz Japan.“

Ishimitsu lachte verlegen und tat das Kompliment mit einer Handbewegung ab.

„Hör auf mich in Verlegenheit zu bringen, Keiji-san. - Wollt ihr sofort bestellen oder kurz überlegen?“

Keiji bestellte für sie gleich zwei Ramen und führte Mio an einen Platz am Fenster.

„Was meinte er eigentlich vorhin damit, als er sagte Ich dachte, du bringst sie nie mit?“, fragte Mio als sie sich hingesetzt hatten. Die Frage brannte ihr einfach auf der Seele.

Keiji zuckte nur mit den Schultern.

„Ishimitsu redet viel, wenn der Tag lang ist“, sagte er nur und damit schien für ihn die Frage geklärt zu sein.

Nachdem die Suppe serviert wurde und Ishimitsu-sensei ihnen guten Appetit gewünscht hat, probierte Mio die so viel angepriesene Nudelsuppe.

„Köstlich!“

Mit Genuss aßen sie die Nudeln und schlürften die Brühe. Wie konnte so etwas einfaches nur so unglaublich lecker sein?

„Du hast nicht übertrieben, Sempai. Die Suppe war fantastisch!“

Mio spürte, wie sie lockerer wurde, nachdem sie diese Köstlichkeit verzehrt hatte. Essen konnte einen ziemlich glücklich machen.

Keiji lächelte auf ihre Aussage hin und schob die leere Schüssel etwas zur Seite, um seine Hände auf dem Tisch abzulegen.

„Freut mich, dass es dir geschmeckt hat. Ich wollte dich zuerst in ein schickes Restaurant ausführen, aber weil du zu spät gekommen bist, war die Reservierung geplatzt. Jetzt bin ich eigentlich froh darüber. Hier gefällt es mir eh besser.“

Mio nahm das nickend zur Kenntnis. Keiji entschuldigte sich kurz und verschwand auf der Toilette. Einen Augenblick später trat Ishimitsu an ihren Tisch, um die Schüsseln abzuräumen.

„Ich hoffe, es hat geschmeckt!“, sagte er lächelnd und Mio äußerte ihm ihre Begeisterung. So eine ausgezeichnete Ramensuppe hatte sie noch nie gegessen.

„Zu freundlich das zu sagen, Mio-chan. Ich freue mich sehr, dass Keiji mir endlich seine Freundin vorgestellt hat.“ Mio wollte protestieren, doch Ishimitsu ließ sie nicht zu Wort kommen. „Er hat mir von einem Mädchen erzählt, das er schon so lange mag, aber irgendwie hat es nie geklappt, es ihr zu sagen. Er meinte, wenn es mit ihr klappt, bringt er sie irgendwann hierher.“

Ishimitsu schien die Art von Mensch zu sein, die gerne viel plauderte und sich dabei wenig Gedanken darüber machte, ob er die anderen in Verlegenheit brachte. Er meinte es sicher nicht böse, doch Mio konnte sich nicht vorstellen, dass Keiji es für gut heißen würde, wenn man ausplauderte, was er erzählte.

„Und ich soll dieses Mädchen sein, ja?“

Mio war skeptisch. Keiji hatte viele Verehrerinnen, er hatte die Qual der Wahl. Warum sollte er ausgerechnet für sie mehr empfinden? Für ein Mädchen, das er selbst Jahre lang ignoriert hatte? Deswegen hatte sie auch sein Liebesgeständnis angezweifelt. Es kam wie aus heiterem Himmel und traf sie unvorbereitet wie ein lauwarmer Regenschauer im Sommer. Vielleicht hatte er auch gar nicht sie gemeint, als er Ishimitsu von einem Mädchen erzählte, das er mochte. Vielleicht wollte er die richtige lediglich eifersüchtig machen! Aber warum nahm er dann so viel Mühe auf sich und verabredete sich mit ihr? Mios Gedanken fuhren Achterbahn, als sie sich alle mögliche Szenarien ausmalte.

Ishimitsu nickte überzeugt. „Keiji-san hat noch nie ein Mädchen hierher gebracht. Und er war oft hier. Ich denke, du bist es, von der er gesprochen hat.“ Er schenkte ihr noch ein letztes Lächeln, bevor er die Schüsseln nahm und diese wegbrachte.

 

Langsam breitete sich die Dämmerung aus. Die gelben und roten Farben am Himmel vermischten sich miteinander, gingen ineinander über und verwandelten sich in ein herrliches Schauspiel, das sich von Minute zu Minute verändern konnte. In einer Stunde würde der Himmel seinen tiefblauen, fast schwarzen Mantel überwerfen und die goldenen Sterne auf dem dunklen Hintergrund erstrahlen lassen.

„Ich sollte mich wohl bei dir entschuldigen“, meinte Mio unvermittelt und löste ihren Blick vom Himmel.

Keiji sah sie von der Seite prüfend an. „Wofür?“

„Dafür, dass ich dir nicht geglaubt und Akira vertraut habe.“

Die Stille, die darauf folgte, schien eine Ewigkeit zu dauern.

„Verständlich, dass du ihm mehr vertraut hast als mir.“ Sein Verständnis überraschte sie. Es wäre nicht verwerflich, wenn er sie schonungslos getadelt hätte, schließlich hatte er sie vor Akira gewarnt. „Hoffentlich hast du daraus gelernt. Ich würde dich nie hintergehen.“

Mio dachte einen Augenblick über seine Worte nach. Würde er nicht? Wie konnte er sich da so sicher sein? Es fiel ihr schwer, jemandem zu vertrauen. Sie hatte Keiji damals vertraut und er hatte sie verlassen. Sie hatte Akira vertraut und er hatte sie belogen. Warum sollte Keiji sie nicht wieder verlassen, wenn er genug von ihr hatte? Oder aus welchem Grund er ihre Freundschaft damals beendet hatte.

„Versprich nie, was du nicht halten kannst“, murmelte Mio. Ihr war gar nicht aufgefallen, wie sie diese Worte laut ausgesprochen hatte. Sie musste daran denken, wie ihr Keiji vor drei Jahren versprochen hatte, sie in die schillernde Welt von Shibuya mitzunehmen, wenn sie älter war. Nur einmal war er mit ihr dort gewesen, um sie ein bisschen herumzuführen. Aber mit 12 Jahren konnte man keinen Club oder Lokal betreten. Jetzt war das eh egal. Sie war zwar noch nicht volljährig, aber bereits in einigen Clubs gewesen. Mit ein bisschen mehr Make-up und dem richtigen Outfit, fragte niemand nach deinem Ausweis.

Keiji riss sie abrupt aus ihren Gedanken, als er sie plötzlich mitten auf der Straße in seine Armen zog.

„Ich weiß, du vertraust mir nicht. Aus gutem Grund. Aber ich werde dich nie hintergehen“, murmelte er nah an ihrem Ohr und drückte sie fest an sich. „Ich verspreche es.“

Die Überraschung stand ihr förmlich ins Gesicht geschrieben. Er hielt sie fest, als könnte sie ihm entgleiten und er sie für immer verlieren.

„Keiji... ich... bekomm' keine Luft.“

Er lockerte seinen Griff, ließ sie aber noch nicht gänzlich los. Seine Nähe machte sie ganz hibbelig. Wenn er ihr so nah war, war es schwer, einen klarer Gedanken zu fassen und ihre Fassade aus Mauer aufrecht zu erhalten. Sie wollte ihm so gerne glauben, aber im Moment war das unmöglich. Um diesen netten Abend jedoch nicht zu ruinieren, wollte sie jetzt mit keiner Diskussion anfangen und ihm Sachen an den Kopf werfen, die vor Jahren passiert sind.

„Wir werden sehen. - Jetzt bring mich nach Hause. Meine Mutter macht sich bestimmt schon Sorgen.“

Doch Keiji ließ sich nicht so schnell abwimmeln. Er tat selten das, was man von ihm verlangte. Stattdessen streichelten seine Hände ihren Rücken und zogen sie wieder näher zu sich.

„Willst du nicht lieber zu mir?“

Mios Wangen fingen an zu glühen.

„Du spinnst wohl! Und was sag ich meiner Mutter?“

„Dass du bei einer Freundin übernachtest“, schlug er ohne Umschweife vor und grinste.

Mio war sprachlos. Dachte er, er würde sie so leicht rumbekommen, nachdem er ein paar nette Worte geäußert hätte?

„Vergiss es!“

„Zier dich nicht so.“ Er beugte sich etwas hinab zu ihren Lippen und grinste teuflisch. „Obwohl... wenn du dich wehrst, macht es umso mehr Spaß...“

Fassungslos und mit offenem Mund blickte sie ihm entgegen. Keiji lachte und befreite sie aus seiner Umarmung.

„Du solltest dein Gesicht sehen, Mio! - Komm ich begleite dich nach Hause.“

Als sie Anstalten machte ihm zu folgen, ergriff er ihre Hand und zog ihren steifen Körper mit. „Nun guck nicht so. Das war nur Spaß.“

Mio war sich da nicht so sicher. Das Funkeln in seinen Augen verriet einem genau das Gegenteil. Keiji schien sich prächtig auf ihre Kosten zu amüsieren.

„Idiot...“, fluchte Mio und ließ sich widerwillig mitziehen.

Mobbing

Nachdem Mio am nächsten Tag ihre Klasse betrat, senkte sich das Stimmengewirr allmählich, so als würde man ein Radio leiser drehen. Alle Blicke schienen auf sie gerichtet zu sein. Sie stand in der Tür und fühlte sich wie auf dem Präsentierteller, allen ausgeliefert. Am liebsten würde sie schreien, dass sie nicht so starren und sich um ihren eigenen Kram kümmern sollten, aber sie sparte sich die Kraft und Mühe. Mios Blick wanderte zu ihrer Freundin, Dori, die sofort den Augenkontakt abbrach und unsicher zur Seite schaute. Konnte sie sie wirklich noch als Freundin bezeichnen, nachdem sie gestern mit den anderen Mädchen aus der Leichtathletik-AG ihre Schuluniform versteckt und nicht mehr hergegeben hatte? Wer solche Freunde hatte, brauchte ganz sicher keine Feinde. Mio war bewusst, dass Dori sich aufgrund von Nanamis Dominanz eingeschüchtert fühlte. Aber das würde Mio nicht länger tolerieren oder entschuldigen.

Man konnte anhand der angespannten Atmosphäre deutlich spüren, dass hier etwas faul war. Mio versuchte die Blicke ihrer Klassenkameraden zu ignorieren, doch ihre schlechte Vorahnung ließ sich nicht im Keim ersticken. Das war auch berechtigt, denn als sie an ihren Platz trat, bot sich ihr ein übler Anblick. Ihre Schuluniform, die gestern entwendet wurde, lag nass und zusammengeknüllt auf dem Tisch. Die Flüssigkeit tropfte immer noch auf den Boden herunter und bildete eine kleine Pfütze vor Mios Füßen. Zum Glück hatte Mio eine Ersatzuniform zu Hause gehabt, die sie gerade trug. Ihr Stuhl war ebenso feucht oder klebrig, das konnte sie auf den ersten Blick nicht erkennen. Aber vorher wurde dieser mit Stiften bekritzelt.

Idiotin! Hure! Dumme Kuh! Stirb!

Solche und andere Beleidigungen standen darauf.

„Na, Mio-chan. Wie war gestern dein Date mit Keiji-Sempai?“ Nanamis Stimme trällerte spöttisch durch Mios Bewusstsein, während der Rest der Klasse schwieg. „Ich hab gehört, du wurdest gestern sehr gut von ihm bezahlt für... na, sagen wir mal, gewisse Dienste.“

Keiner wagte es etwas zu sagen, jeder schien Mios Reaktion abzuwarten. Als Mio sich kurz regte, hielt jemand hörbar den Atem an. Anscheinend erwartete man, dass sie Nanami zwischen die Beine trat oder so etwas Ähnliches, sowie sie es gestern bei Akira getan hatte.

„Oh, ja. Das wurde ich in der Tat“, stimmte Mio zur Überraschung aller zu. Sie nahm ihre nasse Schuluniform vom Tisch und wandte sich direkt an Nanami, sodass sie ihr in die Augen sehen konnte. Sie hoffte, dass ihre Uniform nur von Wasser getränkt war, aber es fühlte sich irgendwie auch noch klebrig an. „Ich würde dir auch empfehlen, so etwas auszuprobieren. Das wäre für solche Schlampen wie dich genau das richtige.“

Nanamis Empörung ließ sie einen Moment lang unaufmerksam werden. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass Mio ihr so taff gegenübertreten würde. Mio ergriff diese Gelegenheit und warf die nasse Uniform auf sie. Nanami hatte nicht genug Platz, um auszuweichen, drehte sich jedoch zur Seite und wurde an der Schulter getroffen.

„Danke, dass du sie gewaschen hast, aber sie ist nicht sauber genug“, meinte Mio und wandte sich dann wieder ihrem Platz zu. Sie stellte ihre Tasche kurz auf dem Boden ab und ging zu einem Schrank am Ende des Klassenzimmers, in dem ein paar Lappen lagen. Sie nahm sich einen davon heraus und hörte grade noch wie es hinter ihr raschelte. Abrupt wandte sie sich um, doch Nanami hatte bereits den gesamten Inhalt ihrer Schultasche auf dem nassen Tisch verstreut. Da der Tisch für all die Sachen zu klein war, landeten einige davon auf dem Boden.

Mio funkelte Nanami wütend an. Diese blöde Gans wollte sie heute anscheinend fertig machen.

„Du denkst wohl, du kannst alles machen, was du willst und kommst damit heil davon“, zischte Nanami bösartig, „aber nicht mit mir. Ich werde dir das Leben zur Hölle machen!“

Mio ließ nicht zu, dass ihre Wut die Oberhand gewann. Sie steckte doch nur deswegen in Schwierigkeiten, weil sie dem beliebten Akira einen Tritt verpasst hatte, auch wenn er das garantiert verdiente. Kein Wunder also, dass sie den Zorn einiger Mädchen auf sich zog. Gewalt würde nur noch mehr Gewalt auslösen. Das war ein ewiger Teufelskreis, den sie durchbrechen musste. Irgendwann würde Nanami ihre Lust daran verlieren, Mio zu quälen. Mio musste sie nur ignorieren. Aber leider war da noch ihre große Klappe...

„Weißt du, Nanami, du bist doch bloß neidisch. Zuerst wollte Akira was von mir und jetzt Keiji-Sempai. Bitter oder, dass dich keiner will. Aber kann man es ihnen denn verübeln?“

Jeder konnte sehen, wie Nanamis Gesicht rot anlief. Wenn Mio ihr eine Ohrfeige verpasst hätte, hätte das sicher weniger weh getan.

„Du...“ Nanami wollte grade zu einer Beleidigung ausholen, als der Englischlehrer die Klasse betrat. Er fragte in die Runde, was hier los sei, als er das Chaos auf Mios Tisch sah.

„Hibayashi! Können Sie mir vielleicht erklären, was dieser Unfug soll?“

Mio sah zu Nanami, die ihr einen vernichtenden Blick zuwarf. Dann wanderte Mios Blick über ihre Klassenkameraden, die ihren Blick gesenkt hielten. Mio wusste, dass es nichts bringen würde, zu petzen. Sie würden alle gegen sie aussagen oder gar nichts sagen. Niemand würde hinter ihr stehen, um ihre Aussage zu bestätigen.

„Nur ein Missverständnis“, murmelte Mio.

Herr Kitano hob skeptisch die Braue.

„Dann räumen Sie dieses Missverständnis unverzüglich auf, damit wir mit dem Unterricht beginnen können.“

 

In der Mittagspause verließ Mio als erstes die Klasse. Man konnte nicht sagen, dass sie Angst hatte, ihren Mitschülern ausgeliefert zu sein. Dennoch war das ein gewaltiger Druck, dem sie nicht ausgesetzt sein wollte.

Sie hatte sich in der Kantine etwas zu essen geholt und setzte sich an einen leeren Tisch, musste jedoch gleich feststellen, dass sie keinen großen Appetit hatte. Mio stocherte mit ihren Essstäbchen lustlos in ihrem Essen herum und kaute unbewusst auf ihrer Unterlippe.

Nanami hatte ihr den Krieg erklärt, so schien es. Aber wenn sie dachte, dass Mio ein leichtes Opfer sein würde, dann kannte sie sie womöglich schlecht. Doch gleichzeitig stellte Mio sich die Frage, was sie gegen Nanami und ihre Gefolgsleute ausrichten konnte. Alleine im Kampf gegen alle. Ganz schön unfaire Verteilung. Her Kitano hatte eindeutig gesehen, was vorhin los war. Er müsste blind sein, um es nicht zu sehen. Aber Lehrer hielten sich bei solchen Angelegenheiten gerne raus.

Während Mio vor sich hingrübelte, spürte sie, wie ihr etwas über den Kopf gekippt wurde. Weiße Flüssigkeit tropfte von ihren Haaren hinab, lief über ihr Gesicht und landete als kleine Tropfen auf dem Tisch.

Mio drehte sich um und sah Nanami vor sich stehen, die mit einem überlegenen Grinsen auf sie herab sah. Hinter ihr standen weitere Mädchen, einige kicherten hinter hervor gehaltener Hand, während andere Mio entschuldigende Blicke zuwarfen.

„Das war für deine freche Klappe“, erklärte Nanami und wedelte mit der halbleeren Milchverpackung.

Mio spürte wie ihr Puls raste, sie nahm ihre Umgebung kaum noch wahr. Sie erhob sich abrupt von ihrem Platz, sodass der Stuhl umkippte und schlug Nanami die kleine Milchpackung aus der Hand. Nanamis Blick veränderte sich, sie wich erschrocken zurück. Mio fixierte sie mit ihrem Blick. Keiner rührte sich. Die Anspannung war deutlich zu spüren, fast zum Greifen nah. Sie schien eine Ewigkeit anzudauern.

Mio war die erste, die sich rührte. Sie schnappte ihre Tasche und drängte sich an den Mädchen vorbei. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass das Treiben in der Schulkantine für einen Augenblick innegehalten hatte und die Aufmerksamkeit einzig und allein ihr und ihren Peinigern galt. Sie hasste es im Mittelpunkt zu stehen!

Sie verließ eilig die Kantine und lief schnurstracks durch den Flur, ohne ein konkretes Ziel zu haben.

Das war grade wohl die größte Demütigung überhaupt.

Mios Haare waren zum Teil nass und die Milch war ihr sogar in den Nacken gelaufen. Ekelhaft.

Dieses Biest würde es bereuen.

Mio trat um die Ecke, um die Frauentoilette aufzusuchen und stieß hart mit jemandem zusammen. Sie taumelte nach hinten, wurde jedoch rechtzeitig am Arm gepackt und vom Hinfallen abgehalten.

„Hoppla“, meinte eine bekannte männliche Stimme.

Als Mio ihren Blick hob, erblickte sie Keiji, der sie grinsend ansah, bis er ihre nassen Haare und ihren aufgelösten Gesichtsausdruck bemerkte.

„Was ist denn mit dir passiert?“, fragte er sichtlich besorgt.

Mio wich seinem durchdringenden Blick aus und wollte ihm ihren Arm entziehen, doch er ließ sie nicht aus seinem Griff.

„Nichts.“

Sie hatte keine Lust ihm jetzt alles haargenau zu erklären und versuchte sich erneut aus seinem Griff zu befreien. Vergebens.

„Ach ja?“, sagte er wenig überzeugt. Keiji zog sie näher heran. Ohne dass ihr Zustand einer Erklärung bedurfte, schien er die Situation zu durchschauen. „Wer war das?“

„Niemand“, erwiderte Mio stur.

„Mio...“, setzte er an, doch sie schnitt ihm das Wort ab, indem sie ihm einen vernichtenden Blick zuwarf.

„Das geht dich nichts an klar! Und jetzt lass mich verdammt noch mal in los!“

Sie sah die Verärgerung in seinem Gesicht und bereute ihren Ausbruch sofort.

Keiji stieß sie etwas unsanft gegen die Wand und baute sich vor ihr auf.

„Du sagst mir jetzt, wer das war“, verlangte er in einem erstaunlich ruhigen Ton zu wissen. Doch man hörte an seinem Unterton heraus, dass er keine Widerrede duldete. Als vollkommener Gegensatz dazu, legte er seine Hand sanft an ihre Wange und hielt ihren Blick gefangen. Intuitiv wusste Mio, dass Nanami nichts gutes blühte, wenn sie sie verriet.

„Ich werde schon alleine damit fertig“, sagte sie trotzig, „außerdem... was kümmert dich das, hm? Du hast mich jahrelang ignoriert und dann auf einmal interessiert du dich für mich?“

Keijis Züge verhärteten sich.

„Du hast ja keine Ahnung...“

Seine Antwort regte sie auf. Wovon sollte sie denn keine Ahnung haben? Er sagte das so, als hätte sich sich diese Geschichte ausgedacht, als hätte er sich nicht von ihr entfernt und ihre Freundschaft ins Leere laufen lassen.

„Du bist ein Heuchler, Keiji“, sagte sie etwas ungehalten, „du hast gesagt du liebst mich, aber wie kannst du jemanden lieben, den du verlassen hast? - Du kennst mich nicht einmal mehr richtig, du weißt nichts über mich! - Du hast gesagt, wir sind zusammen, ja? Dann pass' gut auf. Ich mach Schluss mit dir.“

Sein Gesichtsausdruck ließ nicht auf seine Gefühle schließen. Sie wusste nicht, ob er verärgert, wütend, enttäuscht oder traurig war. Seine Augen hielten sie nur weiterhin gefangen. Grade wollte Mio einen erneuten Versuch starten, um aus seinen Fängen zu entkommen, aber schon die erste Regung schien Keiji-Sempai aus seinen Gedanken zurückzuholen. Er drückte sie mit seinem Körper gegen die Wand, sodass ein Entkommen unmöglich war. Bevor Mio protestieren konnte, senkte er seine Lippen auf ihre und küsste sie. Mio weitete erschrocken die Augen und drückte mit ihren Händen gegen seinen Oberkörper, doch er ließ sich keinen Zentimeter weit schieben. Selbst als sie gegen seine Brust schlug, ließ er nicht von ihr ab. Seine Zunge drang in ihren Mund ein und er küsste sie besitzergreifend.

Atemlos löste er sich von ihr.

„Hast du es immer noch nicht verstanden? - Du gehörst mir.“

Erst jetzt löste er sich von ihr und machte auf dem Absatz kehrt.

„Ich finde noch heraus, wer das war“, fügte er hinzu und ließ Mio perplex stehen.

Hilfe

Aus dem Wasserhahn der Mädchentoilette kam nur kaltes Wasser heraus. Konnte sich diese verdammte Schule denn kein warmes leisten? Ihre Hände waren bereits durchgefroren und taub von der Kälte, aber Mio wollte sich die Milch schnellstmöglich aus den Haaren waschen. Der Tag war die reinste Hölle gewesen und das Schlimmste war: er war noch längst nicht vorbei. Sie hatte noch 4 Stunden vor sich. Sollte sie schwänzen? Nein… Diesen Gefallen würde sie ihnen nicht tun. Sie würde nicht wie ein Feigling davonlaufen. Das wollten sie doch nur.

Und doch sehnte sie das Ende des Tages herbei.

Mio wrang ihre Haare aus, knetete sie kurz mit den Händen und warf sie zurück. Sie sah aus wie ein nasser Pudel. Hatte sie nicht zufällig einen Kamm dabei? Sie wühlte in ihrer Schultasche und wurde fündig. Wenigstens war ihr ein bisschen Glück vergönnt.

Als wäre ihr Tag nicht eh schon eine Katastrophe, kam ihr auch noch Keiji in die Quere und hatte sie wie aus heiterem Himmel geküsst. Dieser aufgeblasene Affe! Was fiel ihm überhaupt ein? Sie hatte mit ihm Schluss gemacht, doch das kümmerte ihn nicht. Stattdessen überfiel er sie mit seiner Kussattacke. Doch das Erschreckende daran war nicht der Kuss selber, sondern dass er ihr gefiel. Sie hatte sich zwar versucht zu währen, aber nur weil er sie überrascht hatte. Und mal ehrlich… wer wollte schon geküsst werden, wenn ihm Milch aus den Haaren tropfte?

Mio schloss die Augen und atmete tief durch, wobei sie eine Hand auf ihren Bauch legte. Genau da hatte es angenehm geprickelt, als er sie geküsst hatte. Das war doch nicht normal, dass man so empfand, wenn man gegen seinen Willen geküsst wurde. Sie musste der Wahrheit ins Gesicht sehen: Sie war genauso verkorkst wie er!

 

Der Rest des Tages verlief genauso, wie er angefangen hatte und der nächste wurde nicht besser. Nanami und ihre Gefolgschaft ließen Mio nicht in Ruhe und dachten sich neue Gemeinheiten aus. Zwar merkte Mio, dass nicht alle so viel Freude an dem Mobbing ausstrahlten wie Nanami, sich jedoch keiner von ihnen dagegenstellte. Mio hatte nie viele Freunde gehabt, aber sie war niemals ein Mobbingopfer gewesen. In der Leichtathletik-AG war sie sogar ziemlich beliebt. Na ja, bis vor kurzem noch. Jetzt gingen ihr alle aus dem Weg, entweder aus Angst, weil sie nicht ebenso Nanamis Zorn ausgesetzt sein wollten, oder aus Gleichgültigkeit. Welcher Grund es auch war, für Mio waren sie allesamt Feiglinge.

Mit Dori konnte Mio allerdings nicht ganz abschließen. Sie war ihre Freundin, auch wenn diese Bezeichnung nicht mehr ganz zutreffend war.

Trotz des derzeitigen angespannten Verhältnisses zu ihren Klassenkameraden ließ sich Mio ihren Sport nicht nehmen. Wegen so etwas würde sie die Leichtathletik-AG garantiert nicht schwänzen. Außerdem würde Matsura-Sensei sie umbringen, wenn sie nicht aufkreuzte. Bald stand doch der Wettkampf bevor.

Auf dem Weg zur Umkleidekabine wurde Mio jedoch ausgerechnet von Dori aufgehalten.

„Mio! Du willst doch nicht etwa zur AG?“

Mio hob skeptisch eine Augenbraue und verschränkte ihre Arme vor der Brust. Was sollte das denn jetzt?

„Und wenn doch?“, erwiderte sie provozierend und fixierte ihre ehemalige Freundin mit einem scharfen Blick. Sie sah deutlich, wie Dori sich anspannte.

„Bitte geh nicht“, murmelte diese und sah sich nervös um, „sie haben wieder irgendwas geplant!“

Skeptisch betrachtete Mio die Verräterin, die einst ihre Freundin gewesen war, und wägte ab, ob sie die Wahrheit sagte oder nicht.

„Geh zur Seite“, meinte Mio schließlich. Es war ihr letztendlich egal, ob diese blöden Gänse etwas ausgehackt hatten oder nicht. Mio hatte sich bereits entschlossen zum Sport zu gehen und sie würde sich von ihrem Vorhaben nicht abbringen lassen.

Unerwartet hatte Dori sie am Arm gepackt und hielt sie zurück.

„Bitte Mio, glaube mir! Ich habe gehört, wie sie geredet haben. Leider konnte ich nicht genau verstehen, was sie vorhaben.“

Mios Herz schlug aufgeregt schneller, doch sie wusste nicht recht warum. War es Wut oder Furcht, die durch ihre Adern kroch? Mio riss sich los.

„Warum erzählst du mir das?“

Bei ihrem eisigen Ton, zuckte Dori zusammen und ihr Blick wanderte langsam zu Boden. Sie spielte nervös mit ihren Händen und suchte nach einer Erklärung. Mio wartete ungeduldig auf ihre Antwort.

„Ich… wollte dich nur warnen…“

Mio weitete überrascht die Augen. Warnen? Sollte das ein Witz sein? Sie wollte nur ihr schlechtes Gewissen besänftigen.

„Hättest du dir sparen können.“ Mio wandte sich ab. Sie brauchte ihre Hilfe nicht. Schon gar nicht von einer Verräterin.

„Es tut mir leid!“, rief Dori ihr hinterher und brachte Mio somit erneut zum Stehen. Mio hörte das Mädchen hinter sich schluchzen und ihr Herz zog sich merkwürdigerweise zusammen. Sie hatte doch nicht etwas Mitleid mit jemanden, der sie hintergangen hatte? Mio ballte eine Hand zur Faust und widerstand dem Drang sich umzudrehen und Dori in den Arm zu nehmen. Sie setzte ihren Weg fort und drehte sich nicht mehr um.

 

Matsura-Sensei war heute auf Hochtouren. Da in wenigen Wochen das Leichtathletik-Tournier bevorstand, sollten alle noch einmal richtig Gas geben. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Mio konnte Dori nirgends entdecken. War auch besser so. Sie wollte ihr trauriges, verräterisches Gesicht nicht sehen.

Nachdem sich die Gruppe aufgewärmt hatte, versammelten sich Mio, Nanami und noch zwei weitere an der Startlinie.

Das Karma meint es nicht gut mit mir, dachte Mio bei sich, als sie ein mulmiges Gefühl überkam, und widerstand dem Drang zu Nanami zu sehen.

Die Startklappe ertönte und Mio rannte los. Automatisch schalteten sich alle negativen Gedanken ab und Mio konzentrierte sich nur noch aufs Laufen. Das Laufen hatte eine entspannte Wirkung auf sie und befreite ihren Kopf und ihren Geist von allen möglichen Gedanken und Sorgen.

Plötzlich tauchte jemand blitzschnell in ihrem Blickfeld auf und bevor sie sich versah, stürzte sie mit voller Wucht auf den Boden. Brennender Schmerz durchzog ihre Knie und Hände. Mio verzog sich qualvoll das Gesicht.

Sofort versammelte sich die Menge um sie herum. Matsura-Sensei redete auf sie ein, doch Mio schien ihre Umgebung gar nicht richtig wahrzunehmen. Sie hockte auf dem Boden mit aufgeschürften, blutigen Knien und Händen, die vor Schmerz pochten.

Mio schloss die Augen und versuchte den Schmerz herunterzuschlucken. Nur ein einziger Gedanke drang kurz in ihr Bewusstsein: Nanami.

„Jemand muss sie ins Krankenzimmer begleiten.“ Das war Senseis Stimme.

Erst jetzt sah Mio auf. Keiner rührte sich, keiner bot ihr seine Hilfe an. Das hatte sie auch nicht erwartet.

„Nicht nötig. Ich schaff das allein, Matsura-Sensei.“

Mio versuchte sich aufzurappeln, aber als sie sich aufrichten wollte, schoss ein jäher Schmerz durch ihren Knöchel und sie knickte wieder um. Sie wäre wieder auf den Boden gestürzt, hätte sie nicht jemand festgehalten.

„Ich bring sie hin“, meldete sich eine vertraute Stimme.

Akira.

Perplex starrte Mio ihn an, unfähig sich zu rühren oder etwas zu erwidern. Im Hintergrund vernahm sie anregendes Getuschel.

„Vielen Dank, Akira-San“, sagte Sensei, „und ihr anderen wieder auf ihre Plätze. Los!“

Als die Gruppe sich auflöste, wollte Akira Mios Arm um seine Schulter legen, damit sie sich abstützen konnte, doch Mio ließ das nicht zu.

„Lass mich! Ich schaff das schon. Kannst weiter trainieren gehen.“

Sie versuchte sich aus Akiras Griff zu befreien, doch er hielt sie unnachgiebig fest.

„Stell dich nicht so an.“

„Tu ich nicht! Du sollst mich einfach loslassen!“

Mio riss langsam der Geduldsfaden. Warum taten die Jungs in ihrer Umgebung nie das, was sie von ihnen verlangte?

Während sie krampfhaft überlegte, wie sie ihm entkommen konnte, hob er sie auf einmal auf seine Arme.

„Hey! Was soll das?“, protestierte sie.

„Sei nicht so stur, Mio. Dein Knöchel ist verletzt. Du kannst kaum stehen“, erwiderte Akira und machte sich auf den Weg Richtung Schule. Dagegen konnte sie leider nichts sagen, denn er hatte recht. Unzufrieden und nicht ganz freiwillig ließ sie sich also von ihm ins Krankenzimmer bringen.

 

„Das hättest du nicht machen müssen“, sagte Mio zu Akira, nachdem die Schulkrankenschwester das Zimmer verlassen hatte. Sie hatte die Wunden ausgewaschen und verarztet. Mio hatte sich außerdem den Knöchel verstaucht. Sie sollte ihn bestmöglich einige Zeit nicht zu sehr belasten, was so viel hieß, dass Sport erst mal für sie ausfiel.

„Doch, irgendwie schon“, erwiderte Akira, der an einer Wand gelehnt in unmittelbarer Nähe des Bettes stand, auf dem Mio saß. Er hatte seine Arme vor der Brust verschränkt und seinen Blick auf sie gerichtet.

Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus und Mio sah zur Seite.

Was wollte er noch hier?

Seit sie von seinem Verrat erfahren und ihm eine verpasst hatte, hatten sie nicht mehr miteinander gesprochen. Es hatte sie ziemlich gewundert, weshalb er ihr überhaupt geholfen hatte. Wollte er sein schlechtes Gewissen damit bereinigen?

„Ich vermisse dich, Mio“, sagte er unvermittelt und Mio zuckte zusammen, als sie seine Worte hörte. Sie sah wieder zu ihm, doch diesmal hatte er seinen Blick gesenkt.

„Als Freundin, meine ich“, fügte Akira hinzu. „Was ich getan habe, war eine scheiß Aktion, ich geb's ja zu. Habe mich zu sehr von meinen Gefühlen leiten lassen.“ Er seufzte und fuhr sich durchs Haar. „Ganz schön dumm, ich weiß.“

Sein schiefes Lächeln ließ ihn aufrichtig erscheinen. Es schien ihm wirklich leid zu tun.

Doch Mio konnte in diesem Augenblick nichts dazu sagen. Sie war sprachlos, was selten der Fall war. Vielleicht lag das auch an der Schmerztablette, die sie bekommen hatte, aber sie fühlte sich träge und ausgelaugt. Sie hatte keine Kraft mit ihm zu diskutieren.

„Ich verstehe, wenn du nichts dazu sagen willst. Ich wollte nur, dass du es weißt.“

Er stieß sich von der Wand ab und kehrte ihr den Rücken.

„Akira?“

Er stand gerade bei der Tür, bereit das Zimmer zu verlassen. Ein letztes Mal sah er zu ihr.

„Danke“, murmelte Mio und ein leichtes Lächeln legte sich auf Akiras Lippen. Er nickte ihr kurz zu und ließ sie allein.

Versuchung

Etwas weckte Mio aus ihrem süßen Schlaf. So friedlich hatte sie schon lange nicht mehr geschlafen. Sie blinzelte und erkannte, dass sie sich immer noch in dem Krankenzimmer befand. Sie war wohl eingeschlafen.

Mio kuschelte sich noch mehr in die Decke und schloss erneut die Augen. Etwas drückte sich gegen ihren Rücken, dem sie zuerst keine Beachtung schenkte.

Was ist das? – dachte sie schlaftrunken und spürte, wie sich etwas um ihren Körper schlang.

Was zum…

Mio öffnete abrupt die Augen und drehte sich zu der Person um, die sie fest umschlungen hatte.

„Keiji-Sempai!“

Er sah sie mit seinem schelmischen Grinsen an.

„Was… was tust du denn hier?!“

Mio versuchte sich aus seiner Umarmung zu lösen, aber das ließ er natürlich nicht zu, sondern drückte sie noch mehr an sich.

„Ich liege hier mit dir.“

Warum klang das aus seinem Mund nur so verführerisch? Mio spürte die Hitze in ihre Wangen aufsteigen und schüttelte sich innerlich.

„Das meine ich nicht!“

Keiji lachte leise. Anscheinend schien ihn die ganze Situation zu amüsieren.

„Ich wollte dich nach der AG abholen, aber man hat mir gesagt, du seist hier.“

„Das erklärt immer noch nicht, warum du in diesem Bett liegst!“, fuhr sie ihn an und versuchte das starke Herzklopfen zu unterdrücken. Aber das erwies sich als schwierig, wenn ein so gutaussehender Kerl in ihrem Bett lag und sie mit diesem schmachtenden Blick ansah. Immer zog er solche unberechenbaren Sachen ab. Konnte er sich nicht wie ein normaler Junge verhalten und ihr ein bisschen hinterherlaufen? Und sich nicht gleich zu ihr ins Bett legen?!

„Ist das denn nicht klar?“, murmelte er an ihrem Ohr, während seine Hand über ihre Seite strich.

Gänsehaut breitete sich über ihren Körper aus und sie schloss die Augen.

Ganz ruhig. Reiß dich zusammen, Mio! Du bist doch nicht eins von diesen Hühnern, die ihm verfallen?! Oder… ODER?

„Aus, Keiji! AUS!“

Mio legte ihm ihre Hand auf den Mund, damit er sie ja nicht wieder küsste. Sie musste sich beruhigen, aber das würde nicht funktionieren, wenn er sich ständig an sie drückte, sie auf diese Weise berührte und ihr Sachen ins Ohr flüsterte. Und was, wenn jemand hereinkam?!

Als ihre Blicke sich trafen, stockte Mio der Atem. Sein liebevoller Blick irritierte sie. Zuerst machte er sich schamlos an sie ran und jetzt sah er sie so unschuldig an, als würde er keiner Fliege etwas zu Leide tun! Warum brachte er sie so durcheinander? Sie wusste einfach nicht, was sie von ihm halten sollte. In einem Moment war er dieser dominante Kerl, der irgendwelche Forderungen und Ansprüche an sie stellte, im nächsten war er ein fürsorglicher, lieber Junge, der sie beschützen wollte. War sie die einzige, die ihn auf diese Weise sah und beide Seiten kannte?

Mio senkte den Blick.

Er sollte sie nicht so ansehen, sonst würde sie noch die Kontrolle über sich selbst verlieren.

„Hör auf damit, Keiji“, murmelte sie und nahm ihre Hand von seinem Mund.

„Was meinst du?“, fragte er sie und strich ihr eine Strähne hinters Ohr.

„Na damit! Mit diesem Spiel!“

Das war doch sicher nur ein Spiel für ihn. Wahrscheinlich langweilten ihn Frauen, die wie Hündchen hinter ihm herliefen. Jetzt brauchte er eine richtige Herausforderung. Und wer, wenn nicht sie, war besser dafür geeignet? Er hatte ihr schon einmal das Herz gebrochen, auch wenn auf einer anderen Ebene, und nun wollte er es zurückerobern. Wenn das keine reizvolle Aufgabe war!

„Spiel?“, fragte er fassungslos nach, „du denkst, ich spiele mit dir?“

Mio gab ihm keine Antwort. Er sollte sie einfach in Ruhe lassen. Ohne ihn war ihr Leben um einiges einfacher. Jetzt hatte sie nichts als Ärger. Seinetwegen wurde sie doch gemobbt! Ok, das war unfair, ihm das vorzuwerfen. Aber er war mitverantwortlich.

Keiji umfasste ihr Kinn und drehte ihr Gesicht zu sich um, damit sie ihn ansah.

„Sieh‘ mich an und sag mir, dass ich nur mit dir spiele!“

Sein herrischer Tonfall ließ sie zusammenzucken. Doch sie ließ sich von ihm nicht einschüchtern.

„Was sonst?!“, fuhr sie ihn nun an und schlug seine Hand weg. „Du hast den Kontakt zu mir abgebrochen! Dann sagst du mir wie aus heiterem Himmel, dass du mich liebst und erwartest, dass ich dir das abkaufe? Du spinnst doch!“

Mio konnte sich nicht länger beherrschen. Er hatte sie provoziert und das hatte er nun davon. Doch nachdem sie die Worte ausgesprochen hatte, tat es ihr fast schon wieder leid. Denn egal, wie unausstehlich und aufdringlich er auch war, er hatte auch nette Seiten. Bei ihrem Date hatte sie eine solche Seite kennengelernt. Und er versuchte sie immer zu beschützen, auch wenn die Art, wie er das tat, ziemlich verquer war.

Gleich würde es zwischen ihnen eskalieren, gleich würde er sie anschreien, gleich…

Keiji senkte seinen Kopf an ihre Schulter, sodass Mio verblüfft ihre Augen weitete. Diese Reaktion war das letzte, womit sie gerechnet hätte.

„Du… hast recht. Wahrscheinlich bin ich echt ein Spinner“, gab er kleinlaut bei, „die letzten Jahre war ich echt ein Feigling. Ich konnte dir nie sagen, was ich wirklich empfinde.“ Er hob seinen Blick und sah ihr ernst in die Augen. „Es mag vielleicht so aussehen, aber das ist kein Spiel für mich.“

Seine Worte klangen aufrichtig, sodass Mio ihn nur schweigend anstarren konnte. Er beugte sich zu ihr hinab und legte seine Lippen auf die ihren. Als er sie diesmal küsste, zuckte Mio nicht erschrocken zurück und stieß ihn auch nicht von sich. Sie konnte nicht. Selbst wenn das, was er sagte, eine Lüge sein sollte, war sie nicht in der Lage ihn abzuweisen. Sie wollte seine bittersüßen Worte glauben. So naiv und dumm das auch war.

Der Kuss war zärtlicher, als ihr erster. Diesmal erkundete er ganz langsam ihre Lippen, liebkoste sie mit seinen, biss sanft hinein und knabberte daran. Mio verspürte ein Kribbeln in ihrer Bauchgegend, das sie noch nie zuvor gefühlt hatte. Sie erwiderte ganz automatisch seinen Kuss und seufzte entzückt, als er sich mehr an sie drückte. Sein Bein schob sich zwischen ihre und Mio spürte, wie die Hitze ihren ganzen Körper ergriff. Ihr leises Stöhnen nahm Keiji als Aufforderung auf, den Kuss zu vertiefen. Mio konnte nicht mehr klar denken. Ihre Sorge, dass jemand den Raum betreten und sie erwischen könnte, war wie weggeblasen. Als wäre sie ihm willenlos ausgeliefert. Fühlte es sich etwa so an, wenn man sich auf den Teufel einließ und der Versuchung verfiel?

Shibuya

Das Vergnügungsviertel Shibuya strahlte heute Nacht heller als sonst. Die Bars und Clubs lockten mit ihren riesigen Leuchtreklamen. Die Menschenmassen strömten durch die Straßen auf der Suche nach Unterhaltung und Abenteuer. Und sie waren mittendrin.

„Wo wollen wir als erstes hin?“, fragte sie aufgeregt.

Obwohl Mio nicht das erste Mal in Shibuya war, war sie dennoch voller Euphorie. Eigentlich war ihr jedes Restaurant, jede Bar, jeder Club recht. Sie hatte seit Langem keine so gute Laune mehr. Sie konnte platzen vor Glück. Und das nur, weil sie mit Keiji-Sempai hier war. So, wie er es ihr damals versprochen hatte.

„Du bist heute aber ziemlich gut gelaunt“, stellte Keiji grinsend fest und zog sie näher an seine Seite. „Da möchte ich glatt über dich herfallen.“

Für diesen Spruch kassierte er einen Stoß in die Rippen. An seine anzüglichen Bemerkungen würde sie sich wohl oder übel gewöhnen müssen. Aber das hieß nicht, dass das schnell passieren würde.

Keiji lachte über ihre Reaktion und legte seinen Arm um ihre Schulter, damit sie nicht entwischen konnte.

„Wie süß du dich sträubst. Dabei…“, er machte eine bedeutungsvolle Pause und beugte sich etwas hinab zu ihrem Ohr, „…hat dir das doch letztens so gut gefallen.“

Die Hitze stieg Mio augenblicklich zu Kopf bei dem Gedanken daran, was er in dem Krankenzimmer mit ihr getan hatte. Zwar hatten sie nicht miteinander geschlafen, aber…

„Du… bist echt unmöglich“, murmelte sie kleinlaut und wandte verlegen ihren Blick ab. Wie konnte er das so unverblümt sagen? Vor allem hier in der Öffentlichkeit. Sie waren mitten auf der Straße, mitten in der Menschenmenge. Wenn jemand das hören würde, was würde man von ihnen denken? Aber wahrscheinlich war das für Keiji keine große Sache so wie für sie. Es war das erste Mal, dass ein Mann sie auf diese Weise berührt hatte. Er hatte verborgene Gefühle in ihr geweckt, deren Existenz sie nicht einmal ahnte. Er dagegen hatte sicher schon unzählige Frauen gehabt und mit ihnen alle möglichen Dinge getan…

Mios Gedankengang endete abrupt. Sie wollte sich diese Dinge nicht vorstellen, aber die Bilder nahmen unaufhaltsam Gestalt an und lösten ein beklommenes Gefühl in ihrem Herzen aus.

Sie riss sich von Keiji los und stampfte wütend davon.

„Hey, warte! Wo läufst du hin?“

Keiji holte sie mit wenigen Schritten ein und wirbelte sie herum.

„Lass mich!“, forderte sie ihn auf, doch er hielt sie umso fester an ihren Schultern fest.

„Was hast du?“, fragte er verständnislos.

Mio konnte seine Verwirrung verstehen. Gerade war noch alles in bester Ordnung und jetzt benahm sie sich plötzlich wie ein eingeschnapptes Kind, das nicht ihre Lieblingssüßigkeiten bekam. Sie presste stur die Lippen aufeinander und strafte ihn mit ihrem eisigen Schweigen.

„Mio… Nun sag schon“, hakte Keiji weiter nach, „bist du sauer, weil ich das vorhin gesagt hab?“

Nun fing er wieder davon an… Mio senkte beschämt den Blick und biss sich auf die Unterlippe.

„Ich bin eher sauer, weil das keine große Sache für dich ist und du das hier laut rumposaunst. Ich weiß, du hast sicher mit so einigen Frauen deine Erlebnisse gehabt… aber für mich ist das Neuland.“

Es war nicht fair von ihr, ihm vorzuwerfen, dass er bereits mit anderen Frauen geschlafen hatte, aber sie konnte nicht anders.

Da er ihr nicht sofort eine Antwort gab, hob sie langsam ihren Blick und glaubte nicht, was sie dort sah. Dieser unverschämte Kerl grinste sie frech an.

„Bist du etwa eifersüchtig?“, neckte er sie und brachte sie damit nur wieder auf die Palme.

Mio spürte, wie ihr linkes Auge zuckte. Er raubte ihr echt den letzten Nerv. Sie sprach offen über ihre Gefühle und er nahm sie nicht einmal ernst.

„Idiot“, schimpfte sie und versuchte sich aus seinem Griff zu befreien. Doch er hielt sie unnachgiebig fest, legte seine Arme um sie, bis sie aufhörte herumzuzappeln.

„Du bist hier der Idiot“, sagte er sanft, „diese Frauen haben mir nichts bedeutet. Sie können mit dir nicht einmal konkurrieren. Ich will doch nur dich, du Dummkopf.“ Er drückte sie etwas von sich, umfasste ihr Gesicht und sah sie ernst an. „Hast du das immer noch nicht verstanden?“

Mios Herz machte einen Sprung, um dann noch schneller zu schlagen. Sie berührte seine Hände, die auf ihren Wangen lagen, und strich leicht darüber. Was war das nur, dass sie ihm jedes Wort glaubte? War das Dummheit, Vertrauen, Liebe? So schnell konnte nur er die Wogen glätten und ihr Selbstvertrauen zurückgeben.

„Ich hab’s verstanden.“

Keiji lächelte zufrieden und hauchte ihr einen Kuss auf die Nasenspitze.

„Das will ich auch hoffen.“

Dann umfasste er unerwartet ihr Kinn und ein dunkles Glitzern, das ihr einen Schauer über den Rücken jagte, blitzte in seinen Augen auf.

„Sonst würde ich es dir gleich hier beweisen.“

Mios Atem stockte. Was seine Worte konkret bedeuteten, konnte sie nicht sagen, aber sie wusste instinktiv, dass sie es nicht unbedingt herausfinden wollte.

Bevor Mio eine gescheite Antwort einfallen konnte, lachte Keiji unbekümmert und ergriff ihre Hand, damit sie ihren Weg fortsetzten.

 

~*~

 

Zwischen den tanzenden Körpern bewegte sie sich im Rhythmus der Musik. Die Augen geschlossen, die Arme in der Luft. Es gab in diesem Moment nichts außer der Musik.

Und ihm.

Mio spürte die Wärme seines Körpers hinter sich. Die Hände an ihrer Hüfte. Den Atem an ihrer Halsbeuge.

Es war mal wieder ein Kinderspiel, sich in einen Club hineinzuschmuggeln. Diesmal hatte Keiji nichts einzuwenden, schließlich war er ihr Begleiter. Mit ihm fühlte sie sich sicher, auch wenn sie niemand war, der Angst hatte. Dennoch war es beruhigend, jemanden wie ihn an seiner Seite zu wissen.

Er hauchte ihr ihren Namen ins Ohr, woraufhin ein wohliger Schauer ihren Körper durchzog.

Konnte das die Wirklichkeit sein? Mio kam es manchmal immer noch so vor wie ein Traum.

Seit Keiji sie vor zwei Wochen auf der Krankenstation der Schule aufgesucht hatte, hatte ihre Beziehung eine konkrete Richtung angenommen. Was vorher wie ein Spiel erschien, hatte sich in etwas Ernstes verwandelt. Nicht nur, dass sie ihren Sandkastenfreund wiederhatte, sie war jetzt sogar mit ihm zusammen. Träumte sie auch wirklich nicht?

Mio drehte sich zu ihm um, um sich seiner zu vergewissern. Ein Blick in seine vertrauten Augen, die sanfte Haut seiner Wangen unter ihren Fingerspitzen bestätigten seine Präsenz.

Lächelnd zog Keiji sie fest an sich und beugte sich zu ihr hinab, um sie zu küssen.

Mio senkte den Blick und gab sich seinem Kuss hin. An seinen Lippen haftete immer noch der Geschmack des Erdbeercocktails, den sie vorhin getrunken hatten.

 

Nachdem sie genug getanzt hatten, gingen sie an die Bar, um sich Erfrischungen zu holen. Sie setzten sich an den Tresen und bestellten sich zwei Flaschen Bier.

„Weißt du noch, als wir das letzte Mal zusammen in Shibuya waren?“, fragte Mio ihn. Sie musste lauter sprechen, um den Bass zu übertönen.

Keiji nahm einen Schluck von seinem Getränk und verzog sich das Gesicht, als würde es ihm nicht schmecken.

„Als du mit Akira hier warst?“

Mio schüttelte den Kopf.

„Nein. Ich meine, damals... als ich 12 war. Weißt du noch?“

Keiji schien nachzudenken. Konnte es sein, dass er sich nicht mehr daran erinnerte? Dabei war jener Moment unvergesslich für sie.

„Da hatten wir uns doch von zu Hause weggeschlichen und sind nach Shibuya gefahren. Ich war so aufgeregt! Du hast mich durch das Vergnügungsviertel geführt und mir gesagt, dass hier jeder der sein konnte, der er wollte. Vor allem aber er selbst. Damals hatte ich es nicht verstanden, doch jetzt schon. Das kannst du doch nicht vergessen haben!“

Ihre Begeisterung färbte nicht auf ihn ab, ebenso wenig wie ihre Erzählung seinem Gedächtnis auf die Sprünge half.

Keiji lächelte leicht und strich ihr kurz über die Wange.

„Tut mir leid. Ich weiß es nicht mehr.“

Mio zog eine Schnute.

„Wirklich nicht? Erinnerst du dich denn an gar nichts, was an diesem Tag passiert ist?“

„Was soll denn sonst noch passiert sein?“

Keijis Lächeln verschwand und seine Augenbraue schoss skeptisch in die Höhe. Sie verstand diese jähe Veränderung nicht und zuckte vorsichtig mit den Schultern.

„Keine Ahnung... Irgendetwas, an das du dich vielleicht von diesem Tag erinnerst. Vielleicht erinnerst du dich dann auch an unseren Ausflug.“

Keiji-Sempai presste die Lippen aufeinander und richtete seinen Blick für einen kurzen Augenblick auf einen unbestimmten Punkt hinter ihr. Mio legte fragend den Kopf schief und winkte mit ihrer Hand vor seinem Gesicht hin und her, als er ihr nicht mehr antwortete.

„Keiji...“

Als wäre es das Stichwort, das ihn aus seiner Trance erweckte, sah er sie wieder an. Sein kalter Blick irritierte sie ein wenig.

„Warum ist es dir so wichtig, dass ich mich daran erinnere? Ich weiß es nicht mehr, ok?“

Mio blinzelte perplex und hob abwehrend die Hände. Sie wusste nicht, warum er sich deswegen so aufregte.

„Ok. Vergiss es.“

Damit war das Thema beendet und Mio sprach es an diesem Abend nicht mehr an, obwohl die Neugierde sie natürlich auffraß. Seine Reaktion war unverständlich und übertrieben. Was konnte ihn denn an ihrer Frage verärgert haben? Mio konnte sich keinen Reim darauf bilden, aber nachbohren würde sie jetzt auch nicht. Denn dann wäre die Stimmung garantiert vollkommen im Keller.

„Tanzen?“, schlug sie stattdessen vor und nahm ihm die Flasche aus der Hand, die sie auf dem Tresen abstellte. Sie glitt von ihrem Hocker und stellte sich zwischen seine Beine. „Oder bist du nicht mehr in Stimmung?“

Sie spielte an seinem Hemdkragen und sah ihn aus gesenkten Lidern an. Diese Gesten zeigten augenblicklich ihre Wirkung, denn Keijis Stimmung hellte sich im Nu auf. Er zog sie noch ein Stückchen näher, um mit seinen Lippen über ihre Wange zu wandern direkt zu ihrem kleinen Ohr.

„Du solltest mich lieber nicht so anschauen.“

Sie liebte es, wenn er ihr Sachen zuflüsterte.

„Warum nicht?“, fragte sie unschuldig, während ihre Arme sich um seinen Hals schlangen.

„Sonst könnte ich mich vergessen.“

Er biss ihr sanft ins Ohrläppchen, was eine erneute Welle von Gefühlen in ihr auslöste. Mio entwich ein leiser Seufzer. Seine Hand vergrub sich in ihrem langen Haar, während die andere über ihren Rücken strich.

Die Menschen um sie herum wurden in den Hintergrund ihres Bewusstseins gedrängt. Eine leise Geräuschkulisse. In diesem Augenblick existierten nur sie beide und sie hoffe, es würde ewig andauern.

„Vielleicht ist das ja meine Absicht…“

Ihr Mund war schneller als ihr Verstand. Die Worte hatte sie gar nicht sagen wollen. Aber nun waren sie draußen, wie ein Vogel, der unaufhaltsam in die Weite des Himmels aufstieg.

Keiji betrachtete sie aus seinen unergründlichen Augen, doch diesmal konnte Mio genau ablesen, was sich dahinter verbarg. Verlangen.

„Du solltest mit deinen Wünschen vorsichtig sein, Mio. Sie könnten in Erfüllung gehen.“

Fragen

„Bist du dir sicher, dass deine Eltern schlafen?“, fragte Mio leise und tapste etwas nervös hinter ihm her.

In der Dunkelheit konnte sie kaum etwas sehen, höchstens die Umrisse erkennen, nachdem sich ihre Augen an die Finsternis gewöhnt hatten. Obwohl Keiji ihre Hand hielt, hatte sie Angst, irgendwo dagegen zu laufen.

Keiji-Sempai antwortete ihr nicht, aber sie konnte darauf wetten, dass er gerade vor sich hin grinste. Das machte ihm sicherlich Spaß, sie zappeln zu lassen.

In dem ganzen Haus herrschte Stille, um so lauter kamen Mio ihre Schritte vor. Falls seine Eltern aufwachten und sie dabei erwischten, wie sie sich in Keijis Zimmer schlichen, würden sie garantiert sofort Mios Mutter anrufen. Da ihr Vater immer noch auf Geschäftsreise war, würde sie erst einmal keinen großen Anschiss bekommen, aber sobald er wieder da wäre... Mios Herz schlug ihr bei dem Gedanken daran bis zum Hals und sie hatte das Gefühl, Keijis Eltern könnten es sogar in ihrem Schlafzimmer hören. Es war eine Sache, sich nachts aus dem eigenen Haus zu schleichen, um sich auf einer Party zu amüsieren, und eine vollkommen andere, sich nach der Party in das Zimmer eines Jungen zu schleichen. Erst als sie Keijis Zimmer erreichten, atmete sie erleichtert auf.

„Mach's dir bequem“, sagte Keiji, nachdem er die Tür leise geschlossen und das Licht eingeschaltet hatte. Er zog sich die Jacke aus, die er dann über einen Stuhl legte.

Mio setzte sich aufs Bett und sah sich etwas um. Es war ein komisches Gefühl, sein Zimmer nicht wegen der Nachhilfestunden zu betreten. Sie versuchte sich daran zu erinnern, wann sie das letzte Mal hier gewesen war, bevor ihre Freundschaft in die Brüche ging. Doch statt einer Antwort, drängte sich ihr eine weitere, ungeklärte Frage auf. Aus welchem Grund musste ihre Freundschaft überhaupt enden? Wenn Mio sich richtig erinnerte, hatten sie sich nicht einfach auseinander gelebt. Es kam von einem Tag auf den anderen, dass er anfing sie zu meiden. Und als er damals dieses eine Mädchen auf dem Schulflur geküsst und Mio die beiden gesehen hatte, war es endgültig aus zwischen ihnen. Aber warum? Was hatte Keiji-Sempai in seinem Herzen vergraben, wovon sie nichts wusste? Ob das etwas mit seiner seltsamen Reaktion von vorhin zu tun hatte, als sie ihn auf ihren ersten Ausflug in das Vergnügungsviertel angesprochen hatte?

Mio kaute nachdenklich auf ihrer Unterlippe herum und merkte recht spät, dass Keiji sich neben sie gesetzt hatte und von der Seite betrachtete.

„An was denkst du?“

Seine Stimme drang mitten in ihre Überlegungen hinein und Mio sah überrascht zu ihm auf.

„Was?

Ihr irritierter Gesichtsausdruck brachte ihn zum Schmunzeln.

„Du sahst so nachdenklich aus“, meinte er und strich ihr eine Strähne hinters Ohr.

Auch wenn diese Geste scheinbar nichts Besonderes war, brachte sie Mios Herz in Wallung. Er beugte sich zu ihr hinab und küsste sie zärtlich, bevor sie antworten konnte. Gut so. Denn es wäre nicht der richtige Zeitpunkt, ihn mit ihren Fragen zu bombardieren. Außerdem... spielte das überhaupt noch eine Rolle, welche Beweggründe er damals hatte, sie zu meiden? Jetzt waren sie zusammen und das zählte. Während Mio versuchte, sich das einzureden, flüsterte ihr eine andere, leise Stimme zu, dass es ihr wichtig war, die Wahrheit zu kennen.

Mio schlang ihre Arme um seinen Hals und erwiderte seinen Kuss, der immer leidenschaftlicher wurde. Sie schob ihre Gedanken beiseite und nahm sich vor, ihn sobald wie möglich darauf anzusprechen, aber jetzt wollte sie nur noch von ihm geküsst werden.

Keiji zog sie auf seinen Schoß und streichelte ihr über die Seiten. Ein wohliger Schauer breitete sich auf ihrem Körper aus. Mio vergrub ihre Hand in seinem Haar und zog sanft daran seinen Kopf zurück. Ihre Lippen lösten sich voneinander und er sah sie aus seinen verschleierten Augen an, während seine Hände auf ihren Hüften ruhten. Sie hatte das Gefühl, sich in den Tiefen seiner Augen zu verlieren und in den Abgrund zu stürzen. Doch genau das wollte sie. Sich fallen lassen.

„Küss mich“, raunte er mit seiner rauchigen Stimme und Mio tat ihm gern den Gefallen. Sie umfasste sein Gesicht und küsste ihn mit voller Hingabe.

Keijis Arme legten sich wie Ketten um ihren Körper und zogen sie fest an sich, bevor er plötzlich die Stellung wechselte und sie zurück in die Kissen drückte.

Seine Hände schienen überall auf ihrem Körper zu sein und die Lust war kaum noch auszuhalten. Mios Hände glitten unter sein Shirt und trafen auf heiße Haut. Ob ihr Mut vom Alkohol herrührte oder es eine andere Ursache dafür gab, dass sie ihr prüdes Verhalten abgelegt hatte, interessierte sie in diesem Augenblick nicht.

Er flüsterte ihren Namen, bevor seine Hand zum Nachttischchen griff und das Licht der kleinen Stehlampe dämpfte.

Flucht

Das Licht blendete sie, als Mio sich auf die Seite drehte. Sie verzog sich das Gesicht und legte sich einen Arm über die Augen, um den aufdringlichen Sonnenstrahlen zu entgehen. War es wirklich schon Morgen? Sie wollte noch nicht aus ihrem schönen Traum gerissen werden. Keiji-Sempai hielt sie doch gerade im Arm, sie spürte sogar seine Wärme im Rücken, als wäre er tatsächlich da. Mio wollte noch ein bisschen länger liegenbleiben und von ihm träumen.

Das zufriedene Lächeln wich aus ihrem Gesicht, als ihr schlagartig bewusst wurde, dass es gar kein Traum war. Die Ereignisse der letzten Nacht spielten sich vor ihrem inneren Auge im Schnelldurchlauf ab und vertrieben den letzten Funken Müdigkeit aus ihrem Leib.

Mio sprang abrupt aus dem Bett und suchte hastig nach ihrem Handy, während der schlafende Keiji unerkennbare Laute von sich gab. Scheiße, scheiße, scheiße! Das gehörte nicht zu ihrem Plan, bei ihm einzuschlafen. Sie hatte vorgehabt, noch in derselben Nacht nach Hause zu fahren. Er hatte ihr sogar versprochen, sie nach Hause zu bringen, aber anscheinend waren sie so müde gewesen, dass sie beide eingeschlafen waren.

Mio hockte auf dem Boden und durchwühlte mit rasendem Herzen die kleine Tasche, die sie gestern Abend mitgenommen hatte. Als sie fündig wurde, warf sie einen Blick auf ihren Handydisplay und stellte erleichtert fest, dass es erst kurz vor 7 Uhr morgens war. Da ihre Mutter frühestens um 8 Uhr aufstand, hatte sie noch genügend Zeit, nach Hause zu kommen und vorspielen, als wäre sie nie weg gewesen. Vorausgesetzt Keiji fuhr sie mit seinem Motorrad.

Mio setzte sie sich zurück aufs Bett und bemerkte erst jetzt die Digitaluhr auf Keijis Kommode. In all der Hektik war sie ihr gar nicht aufgefallen. Mio sah zu Keiji, der weiterhin friedlich schlummerte und nichts von seiner Umgebung mitbekam. Er lag auf dem Bauch und gab eine gute Sicht auf seine linke Gesichtshälfte frei. Es war ein seltener Anblick, sodass sie diese Gelegenheit glatt ausnutzte und ihn näher in Augenschein nahm. Es musste wohl stimmen, was man über schlafende Menschen sagte: Sie sahen in der Tat unschuldig aus. Selbst Keiji-Sempai, der immer einen frechen Spruch auf den Lippen hatte, wirkte in diesem Moment wie ein harmloser Junge, der niemandem etwas zu Leide tun konnte.

Mio grinste bei dem Gedanken daran und malte sich aus, wie er wohl reagieren würde, wenn sie es ihm erzählte. Sie streckte ihre Hand nach ihm aus und fuhr ihm durchs Haar, das sich erstaunlich weich anfühlte.

„Wach auf“, flüsterte sie ihm zu, „du musst aufstehen und mich nach Hause fahren.“

Keijis Grummeln ließ sie nicht davon abbringen, weiterzumachen, bis er widerwillig die Augen öffnete und verschlafen zu ihr sah.

„Wie spät ist es?“, fragte er mit einer heiseren Stimme und setzte sich auf. Mio kam nicht umhin, einen verstohlenen Blick auf seinen nackten Oberkörper zu werfen. Die Haut war glatt und leicht gebräunt wie sein Gesicht. Sie hatte das Verlangen, darüber zu streichen, wie gestern Nacht. Als ihre Blicke sich trafen, machte Mios Herz einen Satz, als hätte er sie gerade bei etwas Verbotenem erwischt, doch er sah sie weiterhin nur fragend an.

„S-sieben“, stotterte sie und ärgerte sich innerlich über ihren Mangel an Beherrschung. Wo war denn auf einmal ihre Lässigkeit geblieben? Mio wandte ihren Blick wieder ab und strich sich, um ihre Verlegenheit zu verbergen, eine Strähne hinters Ohr. „Wir sollten los, bevor meine Mutter aufsteht und merkt, dass ich nicht da bin.“

Sie nahm Keijis Nicken aus dem Augenwinkel wahr, doch statt aufzustehen und sich anzuziehen, zog er sie in seine Arme.

„Hey, was tust du da?“, protestierte Mio. „Wir sollten los, hörst du?“

„Ja, in fünf Minuten, okay?“

Mio seufzte, gab aber sofort nach und schmiegte sich an ihn. Es war süß von ihm, dass er noch kuscheln wollte, bevor sie losfuhren. Dieser dominante Kerl, von dem man eigentlich keine Zärtlichkeiten erwarten würde, strich ihr sanft über den Rücken.

„Wie fühlst du dich?“

Mio spürte, wie seine Frage ihr die Hitze in die Wangen trieb. Sie hätte nicht gedacht, dass sie ihre Hemmungen ablegen könnte, aber letzte Nacht war genau das geschehen. Keiji-Sempai hatte ein gewisses Talent dafür, Frauen zu verführen, und Mio konnte ihm dieses Mal nicht widerstehen. Es wäre falsch, dem Alkohol die ganze Schuld zuzuschreiben. Früher oder später wäre es eh passiert und in Keiji-Sempais Fall eher früher. Er war ein leidenschaftlicher Mensch, dem Nähe äußerst wichtig war. Aber das war nicht der Grund, warum Mio sich auf ihn eingelassen hatte.

Mittlerweile wunderte es sie auch nicht mehr, dass er so viele Verehrerinnen hatte. Sie würde lügen, wenn sie behauptete, es würde sie kalt lassen und sie wäre nicht im Mindesten eifersüchtig, aber er hatte gesagt, dass diese Frauen ihm nichts bedeuteten und daran klammerte sie sich.

„Gut.“

„Ich bin froh, dass ich dein erster war“, sagte er unverblümt und kassierte von Mio einen Schlag gegen die Brust. Er rieb sich die Stelle, konnte sich aber ein Grinsen nicht verkneifen. „Was ist? Ist doch ganz normal, dass ich so empfinde.“

„Aber du musst es nicht auch noch laut aussprechen!“, fuhr sie ihn empört an und schimpfte ihn einen blöden Affen. „Hör auf, mich ständig in Verlegenheit zu bringen.“

Keiji lachte nur und zog sie fester an sich, damit sie ihn nicht noch einmal schlagen konnte.

„Unter einer Bedingung.“

Mio sah ihn skeptisch an.

„Und die wäre?“, fragte sie vorsichtig.

Keiji sah sie verheißungsvoll an und strich ihr mit dem Handrücken über die Wange.

„Du sollst nur mich sehen, Mio.“

Mios Augen weiteten sich überrascht. Nur ihn sehen? Das tat sie doch jetzt schon. Kein anderer Junge interessierte sie. Doch Keiji schien es aus ihrem Mund hören zu wollen, denn er packte sie sanft aber bestimmt am Kinn und forderte eine Antwort. „Hast du das verstanden?“

Mio hatte nicht das Gefühl, dass ihr eine andere Wahl blieb, als seine Bedingung zu akzeptieren. So eine ähnliche Situation hatten sie doch schon einmal.

Bevor Mio ihm eine Antwort geben konnte, klopfte es unerwartet an der Tür.

„Keiji? Bist du etwa schon wach?“

Ihre Blicke wanderten zeitgleich zur Tür.

„Verdammt... Deine Mutter...“, gab Mio unüberlegt von sich und spürte plötzlich Keijis Hand auf ihrem Mund. Er befahl ihr mit einem Blick still zu sein.

„Ja, bin wach. Ist irgendwas?“

„Prima! Das Frühstück ist gleich fertig. Dann können wir endlich wieder zusammen essen!“

„Ich esse später.“

Damit schien sich seine Mutter nicht zufrieden zu geben.

„Das finde ich aber nicht in Ordnung. Du bist kaum zu Hause und wenn du doch zu Hause bist, essen wir nicht einmal gemeinsam. Nimm dir doch bitte wenigstens dafür Zeit!“

Keiji schnalzte genervt mit der Zunge.

„Ist ja schon gut.“

Hinter der Tür hörte man leise Schritte, die sich entfernten.

Keiji-Sempai nahm seine Hand von Mios Mund und fuhr sich mit derselben durchs Haar.

„Was machen wir denn jetzt?“, fragte Mio etwas panisch. Wenn seine Eltern hiervon Wind bekamen, würden auch Mios davon erfahren und dann drohte ihr lebenslanger Hausarrest oder Schlimmeres...

Keiji gab ihr keine Antwort, sondern grübelte vor sich hin. Während er nachdachte, löste sich Mio von ihm und zog sich ihre Kleidung vom Vortag an. Sie holte einen kleinen Spiegel aus ihrer Handtasche und richtete, soweit es ihr möglich war, das Haar. Das Make-up konnte man allerdings nicht mehr retten. Da sie gestern Nacht ihr kleines Intermezzo hatten, war der Lippenstift zum größten Teil verwischt und die Wimperntusche ein wenig unter den Augen verschmiert. Mio versuchte vergeblich, das untere Lid mit dem Zeigefinger sauber zu reiben, und gab nach wenigen Versuchen auf.

„Keiji-Sempai“, sagte sie, nachdem sie sich schnellstmöglich fertiggemacht hatte, „wie sollen wir das denn jetzt machen?“

Keiji stand mittlerweile am Fenster und sah hinaus.

„So machen wir's“, sagte er und zeigte auf das Fenster, als würde diese Erklärung ausreichen, doch Mio hatte keine Ahnung, was er meinte.

„Du kletterst aus dem Fenster.“

Mio blinzelte und runzelte entgeistert die Stirn.

„Was...?!“

„Wir sind im Erdgeschoss, das sollte zu schaffen sein.“

„Und was, wenn mich eure Nachbarn sehen?“

Die Einfamilienhäuser standen in dieser Wohnsiedlung dicht nebeneinander und wurden nicht einmal durch eine Hecke voneinander getrennt. Die Wahrscheinlich war groß, dass sie von jemandem aus der Nachbarschaft entdeckt werden könnte.

„Wäre es dir lieber, wenn meine Eltern dich sehen?“

Mio kaute nachdenklich auf der Unterlippe. Sie war von diesem Plan nicht besonders angetan, aber ihr wurde schnell bewusst, dass sie gar keine andere Wahl hatte.

„In Ordnung.“

Keiji ging zu seinem Schrank und holte einen Kapuzenpullover und eine Jogginghose heraus, die er ihr reichte.

„Hier, zieh das an. Damit dich niemand erkennt.“

Mio tat wie ihr geheißen, zog sich das Kleid wieder aus und schlüpfte in die etwas weite Jogginghose, die sie fest an der Hüfte zuschnürte, damit sie nicht abrutschte. Um nicht zu stolpern, krempelte sie die langen Hosenbeine hoch. Dann zog sie den Pullover an und die Kapuze gleich mit über den Kopf. Der Pulli verströmte Keiji-Sempais unverkennbaren Geruch. Er dachte immer ein paar Schritte voraus, denn so konnte sie nicht nur schwerer erkannt werden, sondern konnte sich ebenso bequemer auf das Motorrad schwingen. Nachdem sie fertig war, öffnete Keiji das Fenster und hob Mio auf die Fensterbank.

„Meine Schuhe!“

Die hatte sie gestern Nacht aus Gewohnheit im Flur stehen lassen. Was, wenn seine Mutter sie bereits entdeckt hatte? Nein, dann wäre sie garantiert bereits in Keijis Zimmer gestürmt und hätte ihm die Hölle heiß gemacht.

„Ich hole sie gleich, wenn ich rausgehe. Du läufst am besten ein Stück bis zur nächsten Straßenecke, damit man dich von unserem Haus aus nicht sieht. Ich komme sofort nach und bringe deine Schuhe. Alles klar?“

Mio nickte und verspürte eine tiefe Aufregung, die sie packte.

Keiji half ihr aus dem Fenster zu steigen. Tat sie das gerade wirklich? Es war wie in einem Film. Einfach unrealistisch. Seit seinem Liebesgeständnis ging ihr Leben drunter und drüber. Oft war es nicht einfach gewesen, auch wenn sie nach außen hin nie Schwäche gezeigt hatte. Sie hatte versucht, mit allem allein fertig zu werden, aber vielleicht musste sie das gar nicht. Vielleicht war er schon immer an ihrer Seite gewesen und, ohne dass sie es bemerkt hätte, und hatte auf sie aufgepasst.

Mio landete mit ihren nackten Füßen im Gras, das vom Tau noch ein wenig feucht war. Sie hatten Glück, dass es Sommer war und sie sich durch diese Aktion keine Erkältung holen konnte. Früh Morgens hatte sich die Hitze noch nicht festgesetzt und es war angenehm frisch.

„Alles okay?“, erkundigte er sich mit aufrichtiger Besorgnis.

„Ja“, antwortete Mio mit einem kläglichen Lächeln in seine Richtung, „außer, dass das hier total verrückt ist.“

Keijis dunkles Lachen war ansteckend, sodass Mio die ganze Situation nicht mehr ernst nehmen konnte. Auch sie grinste breit.

„Wir sehen uns dann gleich“, meinte Keiji-Sempai und schloss das Fenster, bevor Mio sich auf den Weg machte. Sie schaute vorsichtshalber zu den Fenstern des Nachbarhauses, um sich zu vergewissern, dass man sie nicht beobachtete, aber dort regte sich nichts.

Mio tapste wie verabredet zu der nächsten Straßenecke, darauf bedacht, auf nichts Scharfes oder Kantiges zu treten und niemandem zu begegnen. Aber die Sorge schien vollkommen unnötig zu sein, denn der Fußgängerweg war sauber gefegt und menschenleer.

Mio musste nicht lange auf Keiji warten. Nach wenigen Minuten hörte sie bereits sein Motorrad näherkommen. Er hielt vor ihr an und klappte das Visier seines Helms hoch.

„Was hast du deiner Mutter gesagt?“, fragte Mio, während sie in ihre High Heels schlüpfte. Sie musste eine witzigen Anblick bieten, in dem übergroßen Trainingsanzug und den schicken Schuhen.

„Ich meinte, ich muss kurz weg“, erzählte er mit einem ungerührten Schulterzucken.

„Hoffentlich bekommst du keinen Ärger.“

Der Helm dämpfte Keijis Lachen. Der schien sich ja gar keine Sorgen zu machen. Auch vorhin, als seine Mutter plötzlich vor seinem Schlafzimmer stand, hatte er seelenruhig mit ihr geredet. Mio war überrascht, dass seine Mutter ihm das einfach durchgehen ließ. Aber vielleicht war die Erziehung bei Jungen einfach anders als bei Mädchen. Bevor Mio einen weiteren Gedanken spinnen konnte, zog er sie zu sich.

„Zieh meinen Helm aus.“

Mio sah etwas irritiert drein, kam seiner Bitte jedoch nach. Da er immer noch auf dem Motorrad saß und sie hohe Absätze trug, war sie nun diejenige, die größer war und auf ihn herabblicken konnte.

„Küss mich.“

Ihr erster Impuls war es, dagegen zu protestieren, aber ihr fiel kein schlagfertiges Argument ein. Keine Menschenseele befand sich auf den Straßen, die ganze Stadt schien zu schlafen. Niemand würde sie beobachten, also gab es keinen Grund, seinem Wunsch nicht nachzukommen.

„Unter einer Bedingung.“

In Keijis dunkelbraunen Augen spiegelte sich Schalk, aber auch Interesse wieder.

„Da bin ich ja mal gespannt.“

Mio holte tief Luft.

„Du darfst mich nicht wieder verlassen“, sagte sie entschlossen, bevor sie der Mut verließ. Mit klopfendem Herzen wartete sie auf seine Reaktion. Keijis Gesichtsausdruck veränderte sich langsam, wurde ernster.

„Das werde ich nicht.“

Die Freude, die seine Worte in ihr auslösten, war unbeschreiblich. Sie würde am liebsten einen Luftsprung machen, aber hielt sich zurück.

„Nun schau nicht so ernst“, sagte sie dann mit einem Grinsen und stupste mit ihrem Zeigefinger seine Nasenspitze an. „Hier hast du deinen Kuss.“

Mio schlang ihre Arme um seinen Hals und drückte sich, so weit es diese Position zuließ, an ihn. Sie küsste ihn zärtlich, bevor sie sich auf den Weg zu ihr nach Hause machten.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Liebe Alle :D

Ich habe das Kapitel ein bisschen umgeändert >_<"
Leider gabs hier ein paar Sachen, die sich im weiteren Verlauf der Geschichte widersprochen haben. Und ich hasse sowas xD Wenn es irgendwann einfach keinen Sinn ergibt...
In diesem Kapitel spricht Mio davon, dass sie mit Keiji noch ein wenig befreundet ist, aber eigentlich stimmt das nicht. Ihre Wege haben sich getrennt, sie sehen sich praktisch nur in der Schule oder bei der Nachhilfe.
Ich werde die anderen Kapitel auch ein wenig überarbeiten, aber die Geschichte bleibt natürlich dieselbe :D

Ganz liebe Grüße
May_Be Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo meine lieben Leserinnen ^^

Irgendwie musste ich zu diesem Kapitel ein Nachwort schreiben.
Erst mal, ich bin selbst ganz überrascht, was ich hier so geschrieben hab XD Vor allem habe ich den Schluss nicht kommen sehen *hehe* Es kam einfach über mich ^^" Einige, die selbst schreiben, wissen sicher was ich meine :)

Ich hoffe, ihr seid mir nicht allzu böse, dass Keiji in diesem Kapitel, nun ja, sagen wir mal "fordernd" war *hust*
Hab schon überlegt, das ganz sein zu lassen, nur um Missverständnisse zu vermeiden. Sein Verhalten ist bisschen gewöhnungsbedürftig... aber diese dunkle Seite an ihm macht ihn nun mal aus. Aber er wird schon nichts tun, was zuuu krass ist ^^" ich halte ihn an der Leine XD

Vielen Dank schon mal an alle, die sich die Zeit genommen haben, mein neues Kapitel zu lesen!
Über eure Kommentare würde ich mich ebenfalls freuen ^^

Viele Liebe Grüße
May_Be Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
#Spoiler!!

na, was hattet ihr gedacht, wer zur Hilfe kommt? ^^

Ich dachte mal, ich bringe IHN wieder ins Spiel, sonst wird es ja langweilig XD Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (85)
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Von:  Tasha88
2018-11-17T08:23:24+00:00 17.11.2018 09:23
<3
Das war ja süß <3
Das hätte ich nicht erwartet...
Mehr Drama und so...
Freue mich auf alles weitere :D

... Kurzes kommi >.<

<3 <3 <3
*Twix da lasse*
Von:  Tasha88
2018-11-01T19:57:44+00:00 01.11.2018 20:57
Hallo vielleicht,
So so, da fällt er also über sie her ;p

Und wann werden wir erfahren, wie die Sache ausgeht? Ob sie es durchziehen? Mio Panik bekommt und Kenji weg stößt? Kenji die Kurve bekommt? Ob die Eltern reinkommen?

Weiter bitttttteeeee
*Twix hinschieb*

<3
Antwort von:  May_Be
02.11.2018 09:27
Liebe Tasha,

nun, man kann sich doch denken, was da jetzt abgeht ;)
Aber wie ich sehe, willst du Details :P

*twix knabber*
Von:  Elichika
2018-10-17T17:17:00+00:00 17.10.2018 19:17
Bitte schreib weiter!!
Antwort von:  May_Be
17.10.2018 20:36
Hi Elichika :)
Das werde ich auf jeden Fall tun, sobald ich ein bisschen mehr Zeit habe ^^"
Von:  cyaeln
2018-08-11T20:23:37+00:00 11.08.2018 22:23
Hot Hot Hot!

Hatte die Story damals mit meinem alten Account gelesen, den ich dann aber gelöscht habe. Nach einer langen Zeit habe ich einen neuen erstellt und die Story nicht mehr in Erinnerung gehabt. Heute hab ich sie zufällig wieder gefunden und freue mich echt. Damals gab es wenn ich mich recht entsinne eine lange Pause, und freue mich jetzt umso mehr das es jetzt endlich weitergeht. :3

Liebe Grüße~ <3
Antwort von:  May_Be
12.08.2018 08:02
Ui da bin ich aber froh, dass du zurückgefunden hast :D
Ja, es hatte leider etwas gedauert, bis es weiter geht >_< hasse mich selbst dafür xD
Ich hoffe, wir lesen uns wieder!

Liebe Grüße und einen schönen Sonntag <3
Von:  Yinyin24
2018-07-20T11:30:26+00:00 20.07.2018 13:30
Uuii wie heiß 😈
Von:  Yinyin24
2018-07-20T11:08:09+00:00 20.07.2018 13:08
Keiji hat null Respekt vor Frauen also echt jetzt 😡😡
Von:  Yinyin24
2018-07-19T16:50:59+00:00 19.07.2018 18:50
Voll süß von Akira 😍
Von:  Yinyin24
2018-07-19T16:50:43+00:00 19.07.2018 18:50
Voll süß von Akira 😍
Von:  Yinyin24
2018-07-19T16:50:32+00:00 19.07.2018 18:50
Voll süß von Akira 😍
Von:  Yinyin24
2018-07-19T16:39:01+00:00 19.07.2018 18:39
Da ist jemand richtig sauer 😡💪 Los Keiji zeigt denjenigen natürlich Nanami wer der Boss ist? Hahaha ob es rauskriegt?


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