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Corvus et Vulpes

von

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Ein bindender magischer Vertrag

Die nächste Woche verging für Jiang Li wie im Flug. Sie musste Madam Malkin zweimal aufsuchen, sich endlosen Diskussionen über Stoffe, Muster, Farben, modische Roben und was die Hexenwoche darüber zu sagen hatte, anhören, verschiedenste Modelle anprobieren und sich zu guter Letzt auch noch drei Paar neue Schuhe kaufen. Denn zu den neuen dunkelroten, blauen und grünen Kleidern passten die altgedienten Treter aus China wirklich nicht mehr.

Jiang Li biss die Zähne zusammen und stöhnte innerlich. Schwarz, verlangte sie, schwarz und bitte bequem. Nach zwei Stunden in dem kleinen Schuhladen war sie mit den Nerven am Ende und musste sich nach geglückter Transaktion im Tropfenden Kessel von Tom mit einer großen Portion Brownies trösten lassen.

 

Und dann blieb da natürlich noch die Frage nach den Lehrmaterialien. Quentin Trimble mit seinem Kurs zur Selbstverteidigung für die erste Klasse, das hatte ihr der Verkäufer von Flourish & Blotts empfohlen. Was sie mit den höheren Klassen machen sollte, war ihr momentan noch unklar. Auf jeden Fall viel praktisches Üben, damit handelte sie gewiss im Sinne Dumbledores.

In diesem Zusammenhang fiel ihr ein, dass man Zauberstäbe von Zeit zu Zeit überprüfen lassen sollte, und der ihre war jahrelang allzu stiefmütterlich behandelt worden. Mit einem angespannten Gefühl in der Magengrube raffte sie sich schließlich auf und machte sich auf den Weg zu Ollivander. Gern ging sie nicht dorthin, der seltsame Mann machte ihr Angst.

Erstaunlicherweise befand sich Kundschaft im engen, staubig-bedrückenden Verkaufsraum. Ein dicklicher, weichlich aussehender Junge drückte sich eingeschüchtert in einer der Ecken herum, während seine Begleitung, eine resolute ältere Dame, mit gebieterischer Stimme zu Ollivander sprach. Sie wirkte wie eine waschechte englische Lady, dachte sich Jiang Li, die mit mustergültig durchgedrücktem Rückgrat in Türnähe stehen blieb und die Szene mit Respekt verfolgte. Vermutlich gehörte die Dame einer der alten Zaubererfamilien an, denen das Kommandieren wie selbstverständlich im Blut lag. Jiang Li wollte da lieber keinen Fehler begehen und hielt sich daher unauffällig im Halbschatten verborgen.

Schließlich war aber auch diese Kundschaft zu beiderseitiger Zufriedenheit bedient und die energische Dame rauschte aus der Tür, ihren schüchternen Begleiter in einem fort mit strengen Ermahnungen überschüttend.

Jiang Li sah den beiden noch einen kurzen Moment nach und wandte sich dann Ollivander zu, der sie mit einem durchdringenden Blick aus seinen silberhellen Augen musterte.

Noch bevor sie etwas sagen konnte, öffnete er den Mund und begann mit leiser Stimme zu sprechen.

„Fräulein Lian, wie schön, Sie wieder einmal hier zu sehen. Ebenholz und ein Teil der Handschwinge einer Harpyie, 13 Zoll, wenig biegsam. Eine der eigenartigsten und bedenklichsten Sonderanfertigungen, die ich jemals angefertigt habe“, meinte er in einem gleichmütig schwebenden Tonfall und streckte leicht die Hand aus. Jiang Li nickte verwirrt und legte wie aus einem Reflex heraus den schwarz schimmernden Zauberstab in die bleiche Hand.

„Vielen Dank“, äußerte Ollivander wieder mit derselben Betonung und schwang den dunklen Stab mit einem schnellen Ruck nach vorne. Er reagierte überhaupt nicht, was den alten Mann allerdings nicht im Mindesten zu verwundern schien. Mit einem leisen Schnauben hob er den Stab erneut und schnippte leicht mit der linken Hand gegen die Spitze.

Jiang Li zischte erschrocken auf und riss beide Arme vor das Gesicht, als der Zauberstab im nächsten Moment zu explodieren schien und sprühende Funken spie. In wirbelnden Kreisen fegte die Glut durch den Raum und es schien wie das reinste Wunder, dass dabei nicht die ganze schäbige Einrichtung inklusive der Zauberstäbe in Brand geriet.

Nach der ersten Schrecksekunde allerdings bemerkte Jiang Li, dass sich die Funken, knapp bevor sie ihr Gesicht oder ihren Körper trafen, in winzige glühende Motten verwandelten, die nach wenigen Augenblicken ihr kurzes Leben aushauchten. Mit großer Verwunderung nahm sie die Arme vom Gesicht und starrte Ollivander erstaunt an.

„Was hat das zu bedeuten?“

„Harpyien sind schwer zu bändigen, Fräulein Lian“, lächelte der alte Verkäufer trocken und schnalzte mit der Zunge. „Ich habe es Ihnen schon damals gesagt, als Ihre Mutter mit der Feder ankam. Dieser Zauberstab belauert Sie, er wird jegliche Schwäche gnadenlos ausnutzen. Allerdings verfügt er auch über ein großes magisches Potential, daher“, er reichte ihr den Stab zurück und verneigte sich leicht, „denke ich, Sie werden Ihre Gründe dafür gehabt haben, eine derartige Sonderanfertigung von mir zu verlangen. Und abgesehen davon ist es, wie gesagt, immer der Zauberstab, der sich den Träger aussucht.“ Er lächelte wieder, ebenso humorlos wie zuvor. „Er ist vollkommen in Ordnung, es bleibt mir also nicht mehr, als Ihnen auch weiterhin gutes Gelingen zu wünschen.“

Jiang Li nahm ihren Zauberstab und drehte ihn etwas unschlüssig zwischen den Fingern. Sie wollte eigentlich noch etwas fragen, doch da öffnete sich plötzlich die kleine Ladentür und so verbeugte sie sich nur zum Abschied leicht vor Ollivander und verließ mit einem höflichen Dankeschön den schmalen, unordentlichen Raum, während sich eine kleine, pausbäckige Hogwartsschülerin, flankiert von beiden Eltern, aufgeregt umsah. 

 

Plötzlich zeigte der Kalender den 30. August und Jiang Li setzte sich auf ein letztes Eis zu Florean Fortescue. Der Tag war angenehm warm und mild, daher saßen viele Hexen und Zauberer auf den kleinen runden Tischen vor dem Salon, genossen ihre Eisbecher und schwatzten behaglich durcheinander.

Jiang Li begnügte sich mit einer winzigen Portion Orangensorbet, die ihr Florean mit einem Augenzwinkern hinstellte. Er hatte sich in den letzten Tagen, wenn sie vorbeigekommen war, oft mit ihr unterhalten und wusste nun, dass sie nie viel Süßes aß. Jiang Li zwinkerte zurück und wollte sich gerade einen kleinen Löffel der eisigen Köstlichkeit in den Mund schieben, als sie unvermittelt von jemandem angesprochen wurde.

„Miss Lian?” Die Stimme klang zögernd. Jiang Li hob erstaunt den Kopf und ließ den Löffel sinken. Ein rothaariger Mann, der sich das ausdünnende Haar in einem verzweifelten Kaschierungsversuch über den Glatzenansatz gekämmt hatte, lächelte sie unsicher an.

„Mein Name ist Arthur Weasley“, fügte er nach einer kurzen Verlegenheitspause, in der sie ihn nur ratlos anstarrte, hinzu und streckte ihr beherzt die Hand hin.

Sie erinnerte sich. Im „Tagespropheten“ hatte sie schon einiges über ihn gelesen und auch Dumbledore hatte ihn erwähnt ... noch dazu war der Name offenbar ziemlich häufig, da sie in Hogwarts auch mit einem Weasley im selben Jahrgang gewesen war. Mit einem Ruck stand sie auf, schüttelte ihm die Hand und verneigte sich höflich. „Mr Weasley, wie schön, Sie zu sehen. Verzeihen Sie bitte, dass ich Sie nicht gleich …“

„Du liebe Zeit, bleiben Sie doch sitzen.“ Mr Weasley wedelte hastig mit der Hand und zog sich nun selbst einen Stuhl herbei.

Jiang Li wunderte sich, beschloss aber, zuerst einmal abzuwarten. Weasley, Weasley, ach ja, Orden des Phönix, fiel ihr ein, gerade in dem Moment, als er mit etwas unglücklicher Miene einen Bogen Pergamentpapier hervorzog und sich mit einem Taschentuch die Stirn abtupfte.

„Bin natürlich viel zu warm angezogen, Molly hat mich noch gewarnt, das hab’ ich jetzt davon.“ Er ächzte und schob ihr das Papier über den Tisch zu. „Miss Lian, bevor Sie nun also in Hogwarts zu unterrichten beginnen, hätten wir da noch einige Formalitäten zu klären …“

Sie starrte auf den honiggelben Bogen und runzelte erstaunt die Stirn. Das hier hatte definitiv nichts mit ihrer Lehrertätigkeit in Hogwarts zu tun, denn unter anderem stand hier in schön geschwungenen Buchstaben „… erklärt sich das Mitglied dazu bereit, einen bindenden magischen Vertrag einzugehen, dessen Bruch tiefgreifende Konsequenzen nach sich ziehen wird …“. Jiang Li sah auf und formte mit ihren Lippen bereits die ersten Buchstaben, als sie Arthur Weasleys Absatz auf ihren Zehen spürte. Und da Arthur Weasley an diesem Tag etwas raueres Schuhwerk trug als gewöhnlich, hielt sie es für das Beste, den Mund zu halten. Er nickte zufrieden und hob die robuste Sohle wieder von ihren nagelneuen Schuhen. Jiang Li fluchte innerlich, schielte unauffällig nach den breiten Staubspuren, die nun auf ihrer linken Stiefelspitze klebten, und schnalzte verbittert mit der Zunge. Das hat man davon, wenn man die blöden Dinger einmal per Hand poliert, dachte sie. Das nächste Mal waren wieder die Hauselfen dran.

„Nun, Miss Lian?“ Weasley schaute sie fragend an und tat eine aufmunternde Handbewegung; er hatte es wohl eilig. Pikiert hob sie die linke Augenbraue und kramte in einer der geräumigen Taschen, die ihr Madam Malkin auf ausdrücklichen Wunsch hin in die Robe hatte einarbeiten müssen, nach einer Schreibfeder. Dann zog sie das Papier näher an sich heran und las es noch einmal von Anfang bis Ende durch, sehr sorgfältig, um ja keine Fehler zu machen. Wie gesagt, ein bindender magischer Vertrag, der sie davon abhalten sollte, den Orden des Phönix zu hintergehen. Verriet sie geheime Pläne oder machte irgendwelche Anstalten, zum Feind überzulaufen, drohten ihr ungenannte Konsequenzen. Jiang Li nickte tief in Gedanken und schnaubte beifällig. Klar, ungeschoren kamen Verräter garantiert nicht davon. Damit war sie ja auch voll und ganz einverstanden. Trotzdem …

„Mr Weasley, wie kann ich mir sicher sein, dass Sie ein – verzeihen Sie meine unbeholfene Wortwahl – vertrauenswürdiger Bote sind …?“, fragte sie mit einem prüfenden Lächeln und hob wieder die linke Augenbraue, diesmal fragend.  

Arthur Weasley bekam Ohren, die seinem Haar an Intensität den Rang abgelaufen hätten, wenn das bei diesem Rot überhaupt noch möglich gewesen wäre, und räusperte sich peinlich berührt. Dennoch fackelte er nicht lange, sondern zog einen flachen Gegenstand aus seiner Tasche. „Dumbledore war sich sicher, dass Sie sich nicht so ohne Weiteres darauf einlassen würden“, meinte er mit dem leichten Anflug eines Lächelns und schob ihr das runde Objekt über den Tisch hin.

Es war ein Siegel aus einem seltsamen Material, Jiang Li konnte es nicht richtig einordnen. Es glänzte silberhell, wirkte rein und klar wie Wasser und physisch ebenso unbeständig. Dennoch war die feine Oberflächenzeichnung deutlich erkennbar; ein Viereck, durch dessen linke obere Ecke zwei Diagonalen führten. In dem kleinen Dreieck hinter der ersten Schräglinie saß ein seltsamer Schnörkel, der aussah wie ein um 90 Grad gekipptes U; um die längere der beiden Linien wand sich eine Serpentine, über der wiederum drei rechtwinklige kleine Balken saßen. Den freien Platz darunter nahm ein riesiges Symbol ein, das in der linken unteren Ecke mit einem kleinen Kreis begann und sich wie eine Peitsche nach rechts oben wand, den Abschluss bildete ein kurviger Rhombus.

Ein seltsames Siegel, Jiang Li war sich sicher, es noch nie zuvor gesehen zu haben. Verwirrt kniff sie die Augen zusammen und streckte schon die Hand aus, um es zu berühren, doch dann besann sie sich eines Besseren. Mit einem letzten scharfen Blick auf Arthur Weasley, der sie schweigend musterte, hob sie ihren Zauberstab und tippte kurz auf die Scheibe.

Es war, als würde sie von einem reißenden Strudel mitgerissen, kräftig durchgeschüttelt und dann frei schwebend in der Luft zurückgelassen. Vor sich sah sie weder Winkelgasse noch Floreans Eissalon, das alles war mit einem Schlag verschwunden. Stattdessen waberte vor ihr eine dunkelblau glühende Masse, die ihr gesamtes Blickfeld einnahm.

Jiang Li schnappte erstaunt nach Luft, als plötzlich ein harter Ruck durch ihren Körper ging und sie sich in einem weichen Sessel wiederfand. Sie saß in einem hellen, lichtdurchfluteten Raum; vor ihr stand ein kleiner, runder Tisch und ihr gegenüber – saß Dumbledore, entspannt und mit einem silbernen Schälchen vor sich, aus dem er etwas aß, das wie Zitronensorbet aussah.

„Professor …?“

„Guten Tag, meine Liebe“, sagte er und nahm umständlich seine Brille ab, um darauf zu hauchen und sie mit dem Ärmel zu putzen.

„Was …“

„Ich nehme an, dass Ihnen Arthur Weasley gerade den bindenden magischen Vertrag vorgelegt hat“, meinte Dumbledore mit gütiger Stimme, setzte seine halbmondförmige Brille wieder auf und lächelte. Jiang Li gab sich einen Ruck und setzte sich gerade hin.

„Ja. Stimmt. Also, ich meine …“

Sie war verwirrt und wusste nicht, was sie sagen sollte.

„Sie haben offensichtlich Fragen, den Vertrag betreffend. Nun – ich bin ganz Ohr und voll für Sie da.“

„Ich – sind das wirklich Sie, Professor? Ich wollte … eine Garantie für die Echtheit“, sagte sie lahm. „Ich meine …“

„Das ist sehr klug von Ihnen. In Zeiten wie diesen sollte man niemandem leichtfertig vertrauen.“

„Das ist alles nur in meinem Kopf, nicht wahr?“, fragte sie mit leichtem Misstrauen. „Welche Garantie können Sie mir geben?“

„Warum sollte etwas, das in Ihrem Kopf stattfindet, denn nicht real sein?“, fragte er mit einem leichten Schmunzeln zurück. Jiang Li sah für eine Weile vor sich auf den Tisch und seufzte schließlich.

„Macht Sinn.“

„Mein Siegel ist der Garant für die Echtheit des Vertrages. Sollte ich nicht ich sein, dann kommt er nicht zustande und Sie haben keine Verpflichtungen. Sobald Sie in Hogwarts sind und der Orden zusammentritt, werde ich – Albus Dumbledore, wie er leibt und lebt – Ihnen das Siegel zeigen und erst dann ist unser Vertrag gültig. Wie klingt das für Sie?“

Jiang Li dachte nach und nickte langsam.

„Klingt akzeptabel.“

Dumbledore klatschte begeistert in die Hände.

„Ausgezeichnet. Ich entlasse Sie wieder zu Florean Fortescues Eiscreme – die übrigens eine der besten ist, die ich jemals gegessen habe.“

Er zwinkerte ihr zu und sie fühlte, wie ein mächtiger Strom ihren Körper erfasste. Als sie wieder zu sich kam, glaubte sie im ersten Moment, ersticken zu müssen und rang panisch nach Luft. Erst als Mr Weasley ihr einige Male kräftig auf den Rücken schlug und irgendetwas Beruhigendes murmelte, normalisierte sich ihre Atmung wieder.

Keuchend sah sie auf.

„Wissen Sie nun alles, was Sie wissen wollten?“ fragte Mr Weasley ernst und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Einige der Gäste, die bereits alarmiert die Köpfe gehoben und aufmerksam zu ihnen hergesehen hatten, wandten sich wieder ihren Eisbechern zu.

Jiang Li nickte leicht und schloss kurz die Augen. Die Erinnerung an das kurze Erlebnis verflog schon wieder so rasch, dass sie bereits daran zweifelte, wirklich etwas gesehen zu haben. Nur das Wissen blieb zurück, aufgrund dessen sie sich nun resolut nach vorne beugte und die Feder auf das Pergament setzte.

„Bitte unterschreiben Sie mit allen Namen, unter denen Sie jemals bekannt waren, und mit Ihrem Geburtsnamen selbstverständlich auch. Vielen Dank“, warf Mr Weasley noch rasch ein und verschränkte abwartend die Arme.

Sie kam der Aufforderung wortlos nach und begann mit ihrem mandschurischen Geburtsnamen. Mühsam malte sie die für sie ungewohnten Zeichen aufs Papier. Es war ihr schon schwergefallen, die chinesischen Zeichen bei der Meisterin zu lernen; in den Ferien war sie dann von den Eltern auch noch in die mandschurische Schrift eingeführt worden. Es war schon eine elende Plackerei gewesen, dachte sie missmutig und schloss das letzte Zeichen schwungvoll ab. Dann noch ihren Schüler- und Meisterinnennamen, dann war sie endlich fertig und reichte Weasley aufatmend das Dokument.

Ihre Unterschrift verblasste, noch während er einen Blick darauf warf, und war in der nächsten Sekunde spurlos verschwunden, als hätte das Papier die Tinte ratzekahl aufgesaugt. Jiang Li beschloss ganz einfach, sich nicht weiter darum zu kümmern und lehnte sich bequem zurück.

Geschafft, dachte sie erleichtert. Jetzt war sie offiziell Mitglied im Orden des Phönix, was auch immer daraus noch resultieren mochte. Daran wollte sie jetzt allerdings wirklich nicht denken, darum reckte sie sich kurz und sah nach ihrem Sorbet. Eine fruchtige Abwechslung war genau das, was sie brauchte …

Fehlanzeige. Enttäuscht starrte sie auf die traurige orange Lache, die einmal zum Stolz des Hauses Fortescue gezählt hatte, und seufzte tief auf. Soviel zum letzten Eis des Jahres.

 

„Paps? Zhen? Zhen Jiang?“ Eine tiefe, samtweiche Stimme, die ihr vage bekannt vorkam, ertönte dicht hinter ihnen. Mr Weasley sah erschrocken hoch und sprang hastig auf die Beine, als ob er bei etwas Verbotenem ertappt worden wäre, und bekam ganz rote Wangen.

„Du liebe Zeit, Bill! … Molly! Ihr seid aber früh dran …“ Er verhaspelte sich und lachte verlegen, während er sich zappelig mit der Hand über die Stirn wischte.

Jiang Li sah sich überrascht um. Ihr Blick blieb auf einer Jacke aus schwarzem Leder hängen, wanderte dann nach oben und …

„Bill! Billy!“ Sie erhob sich nun nahezu ebenso eilig wie zuvor Mr Weasley und wollte Bill Wesley mit einem erfreuten Lächeln die Hand reichen. Der jedoch schüttelte nur lachend den Kopf und schloss sie ohne weitere Umstände herzlich in die Arme.

„Bei Merlin, Zhen, sei doch nicht so schrecklich förmlich. Jetzt haben wir uns ja wirklich schon seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen!“ Er drückte sie so heftig, dass ihr die Luft zum zweiten Mal an diesem Tag wegblieb.

„Wie geht’s dir denn so? Geschmackvoll, muß ich schon sagen“, lächelte sie fröhlich und berührte den Schlangenzahn an seinem Ohrläppchen sanft mit der Spitze ihres Zeigefingers. Bill grinste und zwinkerte ihr verschwörerisch zu. „Den Burschen hab’ ich eigenhändig gefangen und den Zahn abgenommen!“

„Jaja.“ Sie lachte spöttisch und hieb ihm spielerisch gegen die Schulter. „Seit du damals Hals über Kopf vor den Hippogreifen abgehauen bist, obwohl du mir da ganz fest versprochen hattest, mir mit Snapes Strafarbeit zu helfen, habe ich unbegrenztes Vertrauen in deinen Mut, Billy.“ Dann unterbrach sie sich plötzlich und runzelte die Stirn. „Was tust du denn überhaupt hier?“ 

„Wie immer etwas schwer von Begriff, die liebe Zhen“, grinste Bill hänselnd, packte sie an beiden Schultern und drehte sie herum. Sie schaute in Arthur und Molly Weasleys verdutzte Gesichter, von denen sich wenigstens Mollys Sekunden später schlagartig aufhellte.

„Das ist doch das Mädchen, mit dem du Briefkontakt gehalten hast, richtig?“ Auch Jiang Li begriff endlich.

„Deine Eltern sind das, Billy?“ fragte sie vorsichtig, setzte ein verzweifelt-höfliches Lächeln auf und spürte, wie ihr Gesicht immer röter wurde. Selten dämlich war das wieder mal gewesen, da hatte sie zuerst noch daran gedacht, dass sie mit einem Weasley zur Schule gegangen war, und dann diese Blamage. Sie versetzte Bill einen gehörigen Tritt, den seine Eltern zum Glück nicht bemerkten, und ließ sich von Molly Weasley herzlich umarmen.

„Soviel hat er uns schon von dir erzählt, aber nicht, dass er dich einmal eingeladen hätte …“ Bill kassierte zusätzlich zu seinem lädierten Schienbein einen giftigen Seitenblick, der ihn aufjaulen ließ.

„Schön, dich mal kennenzulernen.“ Sie schob Jiang Li ein Stückchen von sich und betrachtete sie aufmerksam. Ihre kleinen, an dunkle Perlen erinnernden Augen schimmerten und erinnerten Jiang Li an ihre Großmeisterin. Die schien einen Menschen auch immer bis ins Innerste durchleuchten zu können.

Auch Arthur Weasley kam nun vorsichtig näher und lächelte ihr verlegen zu. Ihm war die ganze Sache offensichtlich ebenso peinlich.

Zum Glück nahm Mrs Weasley resolut die Zügel in die Hand und schnalzte missbilligend mit der Zunge, als sie Jiang Lis kläglichen Eisrest sah.

„Wie wäre es, wenn du uns begleitest?“ fragte sie kopfschüttelnd und winkte Florean Fortescue, der schon seit einer ganzen Weile neugierig in ihre Richtung schaute, heran.

Jiang Li bezahlte und warf ihrem geschmolzenen Sorbet noch einen traurigen Blick zu.

„Tschüß, Florean, bis nächstes Jahr“, meinte sie leise und bemühte sich, dem alten Mann einen fröhlichen Blick zuzuwerfen. Er drückte ihre Hand ganz fest und zwinkerte verschwörerisch. „Bis nächstes Jahr dann!“

 

Bill schien die gesamte Spanne der sieben Jahre, in denen sie nicht das Geringste voneinander gehört hatten, in fünf Minuten überbrücken zu wollen. Er erzählte ihr von seinem Beruf bei Gringotts, von seinen Zukunftsplänen, von seinen vielen Brüdern … Jiang Li schwirrte bereits nach kurzer Zeit der Kopf. Schließlich wurde es Mrs Weasley zu bunt und sie griff energisch ein. „Jetzt laß’ ihr doch ein bisschen Zeit zum Verschnaufen, Bill! Entschuldigung“, meinte sie, zu Jiang Li gewandt. „Ich hoffe übrigens, dass ich ‚Du’ sagen darf …“ „Aber selbstverständlich“, beeilte die sich zu antworten. Es dürfte schwer sein, dachte sie sich, zu Bills Mutter ein anderes als ein mütterliches Verhältnis aufzubauen. Sie konnte sich eine steif und förmlich agierende Mrs Weasley wirklich nicht vorstellen.

Bill grinste nur und drückte Jiang Li heftig an sich. „Du hast dich ja auch nie mehr gemeldet, du treuloses Ding. Dabei haben wir uns in Hogwarts geschworen, Kontakt zu halten!“

„Erstens, du warst ja selbst zu faul dazu, dich mal zu melden. Zweitens“, sie sah ihn schräg von unten her an und grinste spitzbübisch. „hast du nicht mal mitgekriegt, dass ich schon lange nicht mehr Zhen Jiang heiße, obwohl ich dir damals eine Nachricht geschickt habe!“

Sie musste über sein maßlos erstauntes Gesicht lachen, denn natürlich hatte er das längst vergessen.

 

Über ihre ganzen Neckereien waren sie unmerklich immer tiefer in die Winkelgasse gewandert und befanden sich nun vor einer kleinen Konditorei, vor der ebenso wie bei Florean viele kleine Tische unter bunten Sonnenschirmen standen.

Jiang Li erkannte den Rest von Bills Familie beinahe sofort – so feuerrotes Haar konnten wirklich nur die Weasleys haben.

An zwei aneinander geschobenen Tischen saßen zwei stämmige Jungen, die sich glichen wie ein Ei dem anderen – freches Grinsen inklusive. Sie erkannte die berühmt-berüchtigten Zwillinge, denen Argus Filch vermutlich die Hälfte seiner grauen Haare zu verdanken hatte. Daneben sog ihre Schwester, klein, sommersprossig und drahtig mit gelangweilter Miene an einem giftgrünen Drink, bei dessen Anblick allein es Jiang Li schon den Magen umdrehte. Einer der beiden Zwillinge entdeckte sie und winkte.

„Da seid ihr ja endlich! Wir warten schon seit einer Ewigkeit, und Ginny trinkt ständig so ekliges Zeug wie das da!“ Sein Bruder streckte die Zunge heraus und grinste. „Und unsere Snacks willst du dir nicht mal ansehen, Mum!“ Beide lachten, dass es sie nur so schüttelte, als sie Mrs Weasleys Gesichtsausdruck sahen.

Bill verdrehte die Augen und schüttelte amüsiert den Kopf.

„Wenn ich vorstellen darf: meine werten Herrn Brüder, du dürftest sie aus Hogwarts ohnehin kennen, keiner musste so oft nachsitzen wie die zwei“, die Zwillinge erhoben sich eilfertig und streckten ihr mit so übertriebener Beflissenheit die Hände hin, dass sie grinsen musste. „Fred und George, bloß Mutter mit kann sie mit absoluter Sicherheit auseinanderhalten.“ „Schon recht Bill, dafür strickt sie uns ja jede Weihnachten neue Pullover, damit auch du das endlich mal schaffst“, warf einer der beiden (war es Fred oder George? Jiang Li kapitulierte.) ein und lachte. Bill nickte nur und wies dann auf das Mädchen. „Und hier hätten wir noch Ginny, das Nesthäkchen. Du wirst sie übrigens unterrichten, sie ist im fünften Jahr.“

Seine Schwester warf ihr einen langen, prüfenden Blick zu und lächelte dann freundlich, sagte allerdings nichts, als sie ihr die Hand gab. Jiang Li lächelte ihr ebenfalls zu (sie war so schrecklich unsicher, warum hatte sie sich bloß auf Dumbledore eingelassen?) und nickte bedächtig. „Da mache ich mir eigentlich keine Sorgen, wir werden schon miteinander auskommen.“ Wenigstens die Zwillinge konnten nicht mehr in ihre Klasse kommen. Es war zwar schon lange her, aber sie konnte sich trotzdem noch ganz gut an die ständigen Aufregungen erinnern, die es wegen des Brüderpaars gegeben hatte.

„Ginny, wo sind Ron und Harry? Sie sollten doch schon längst hier sein!“ mahnte Mrs Weasley und warf einen prüfenden Blick die Straße entlang. Mr Weasley rieb sich die Hände und betrachtete die verlockende Auslage. „Wir sollten uns einfach eine Weile hersetzen und warten, Molly. Wahrscheinlich sind die beiden wieder mal im Quidditch-Laden hängen geblieben und haben die Zeit übersehen.“

„Ja, aber wir wollten uns doch um drei Uhr mit den Grangers treffen, da sollten wir schon pünktlich sein!“ jammerte Mrs Weasley, setzte sich aber trotzdem hin. Die Kuchen waren schlicht und einfach zu verführerisch.

Bill dagegen warf einen kurzen Blick in die Runde und schaute dann zu Jiang Li. „Weißt du was“, meinte er und kniff ein Auge zusammen. „Wir sind einfach unhöflich und verschwinden in ein gemütlicheres Lokal. Du bist doch nicht böse, oder, Mum?“

Seine Mutter schüttelte den Kopf und lächelte, plötzlich verschwörerisch. „Nein, nein, das verstehe ich doch. Oder, Arthur?“ wandte sie sich mit erhobener Stimme an ihren Mann, der zerstreut nickte. „Geht nur“, nuschelte er, bereits in die Speisekarte vertieft, wobei er gar nicht bemerkte, dass die Zwillinge mit einem hinterhältigen Grinsen den Keks bei seinem gerade gebrachen Kaffee gegen ein appetitlich aussehendes Karamellbonbon austauschten.



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