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Corvus et Vulpes

von

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Fleur Delacour und der Hogwarts-Express

Sie landeten schlussendlich in einem kleinen, schummrigen Pub schräg gegenüber Gringotts. Bill lachte zwar und rollte mit den Augen, denn er wolle an seinen freien Tagen wirklich nicht an die Arbeit erinnert werden, doch man merkte ihm an, welche Freude er an seinem Beruf hatte.

Der Wirt brachte Getränk um Getränk, Jiang Li rauchte ihre letzte Chang-shou und drückte den Stängel unter Seufzen aus. „Meine letzte chinesische Zigarette, Billy. Ab übermorgen fängt der grausame Ernst des Lebens an, da sind meine Sommerferien endgültig vorbei.“

Er grinste und tätschelte mitfühlend ihre Hand. „Weißt du, Ginny und Ron werden sich freuen, eine so nette und motivierte Lehrerin zu bekommen – nein, das war jetzt kein blöder Witz!“ rief er hastig aus, als sie ihm warnend gegen den Kopf schnippte. „Autsch! Das war ernst gemeint, die letzten paar Lehrer waren doch echte Nieten, Lupin bildet da die einzige Ausnahme.“ „Und der falsche Mad-Eye Moody, hmm?“ kicherte Jiang Li und schüttete sich den Rest ihres Cocktails in die Kehle. „Hat mir Dumbledore alles erzählt. Nein, eigentlich ist es gar nicht lustig“, meinte sie und setzte, urplötzlich ernst geworden, das Glas ab. „Es ist überhaupt gar nichts Komisches daran.“

Bill schnappte sich eine von den Zigaretten, die der Wirt auf einen Wink hin gebracht hatte, und nickte ihr zu, nachdem er sie mit der Spitze seines Zauberstabes angezündet hatte.

„Na, dann erzähl’ mal. Was war denn da los in China? Du redest den halben Abend schon um den heißen Brei herum.“

Jiang Li warf ihm einen scharfen Blick zu und zog dann eine widerwillige Grimasse. „Was willst du denn hören?“

„Naja, zum Beispiel, warum die Dämonenangriffe sich in den letzten Monaten so vervielfacht haben und was du damit zu tun hast. Komm schon, Zh- Jiang, du willst doch drüber reden, also mach den Mund auf und fang an“, erklärte Bill nachsichtig und unterdrückte nur mit Mühe ein Rülpsen.

Sie schüttelte mürrisch ihr langes Haar nach hinten und schnippte ärgerlich mit den Fingern. „Na gut, wenn du drauf bestehst – ich bin schuld an der ganzen Misere. Wenn ich nämlich nicht so blöd gewesen wäre und mir einen Freund angeschafft hätte, der ein verlogener Drecksack ist, dann könnten wir noch immer glücklich und zufrieden am Huashan hausen …“ Er gab ein zustimmendes Grunzen von sich und beugte sich interessiert weiter nach vorne, um ihren Redefluss nicht zum Stocken zu bringen. Der Kellner sah die beiden an ihrem Tisch sitzen und schüttelte den Kopf. Das war ja ein feines Pärchen, betrank sich schon am frühen Nachmittag. Eindeutig Sittenverfall, obwohl andererseits auch wieder gut fürs Geschäft.

„Naja, mit Kuan-yin war ich ja schon seit Ewigkeiten zusammen, so eine Beinahe-Ehe eben. Er hatte da so eine kleine Wohnung ein Stück weit den Berg hinunter, war aber sowieso die halbe Zeit bei mir. Ein netter Kerl war er damals.“ Jiang Li bekam vor lauter Alkoholrührseligkeit ganz feuchte Augen. „Lief eigentlich gut mit uns, ich hätte nicht gemerkt, dass sich was geändert hätte. Aber so im Nachhinein – man muss ja doch ständig daran denken, irgendwie – wird mir schon klar, dass er irgendwie nervöser und zappliger war als sonst. Als hätte er was an den Nerven, obwohl es keine besonderen Vorkommnisse gab, mit Dämonen oder so.“ Sie nahm einen tiefen Lungenzug und schniefte kurz auf. „In dem Wald kann man ja Magie nicht in der Art und Weise einsetzen wie hier, das weißt du ja schon. Schutzamulette funktionieren aber schon, deshalb kam es ja auch nur selten zu Dämonenangriffen. Und das wichtigste Amulett befand – und befindet sich auch jetzt noch im Schrein der Kampfschule. Eigentlich ist es eine Jadekugel mit den fünf Elementen als Herzstück.“ Sie schniefte wieder, diesmal mit bitteren Tränen in den Augen. „Kuan-yin hatte sich eine Freundin aufgerissen, davon wusste ich aber nichts. Eines Nachts kam er vorbei und hatte ein ganz romantisches Mondscheinpicknick geplant, ich dumme Kuh hab’ mich noch gefreut. Nach dem Essen wollte er unbedingt das Amulett sehen, er wurde schon so zudringlich, dass ich ihn rauswerfen wollte. Allerdings hatte er ganz geschickt mein Essen vergiftet und kam somit an mir vorbei.“ Ein dunkler Schatten flog über ihr Gesicht und ließ ihre Augen wie abgrundtiefe Löcher erscheinen. Bill fröstelte es.

„Anders hätte er es nie geschafft, dieser Versager. Er nahm das Feueramulett und verschwand auf Nimmerwiedersehen; wenn mich Yue You nicht zufällig gefunden hätte, weil sie in der Nacht nicht gut schlafen konnte, wäre ich an Ort und Stelle krepiert, das Gift war so stark.“

Sie hob den Kopf und starrte ihn mit einem völlig in sich gekehrten Blick an, der ihm Angst machte. Jiang Li schleppte eine große Bürde mit sich herum; für einen Augenblick war er sich nicht mehr sicher, ob es klug gewesen war, sie überhaupt danach zu fragen. Aber jetzt war es ohnehin zu spät.

„Eigentlich hätte ich sofort aus der Kampfschule ausgeschlossen werden müssen. Aber die Großmeisterin wollte mich behalten, ich weiß gar nicht warum. Jedenfalls muß ich ihn finden, das Amulett zurückbringen, sonst nehmen die Biester überhand und zerstören alles.“ Das schwarze Haar fiel ihr wirr und schwer ins Gesicht, als sie für eine Sekunde den Kopf senkte und die Augen schloss. „Ich will ihn finden. Er soll mir dafür bezahlen, für all das. Für seine Lügen und seine widerliche Feigheit.“

Bill griff scheu nach ihrer Hand und suchte verzweifelt nach einer passenden, beruhigenden Antwort, als ihn eine hohe, helle Stimme dieser Notwendigkeit enthob. Mit einem entrüsteten Ausruf eilte Fleur Delacour quer durch den dämmrigen Raum auf ihren Tisch zu.

Damnation! Bill! ’ast du unsere Verabredung völlisch vergessen?“ Bill zuckte heftig zusammen und ähnelte plötzlich einer vollreifen Tomate; mit gehetzter Miene sah er sich nach einem Fluchtweg um, doch es gab keinen. Fleur war selbst mit Zornfalten schön; die tiefblauen Augen sprühten aufgebracht und musterten die schummrige Kneipe mit offensichtlichem Ekel. Mit einem kurzen gereizten Ruck warf sie ihr silbriges Haar zurück und begutachtete Jiang Li, die unter ihrem prüfenden Blick unangenehm berührt auf dem Stuhl hin- und herrutschte, mit eindeutiger Abscheu.

„Wie kannst du es nur wagen! Idiot! Mit dieser Frau ’ier zu sitzen und zu trinken, während isch ganz alleine sitze und auf disch warte!“ Die letzten Worte spie sie regelrecht aus und packte Bill mit harter Hand am linken Ohr. „Los, komm! Darüber werden wir uns unter’alten, keine Sorge!“

Während sie ihn unbarmherzig in Richtung Ausgang zog, ohne sich auch nur noch einmal umzublicken, gestikulierte Bill heftig und entschuldigend in Jiang Lis Richtung.

„Ich schicke dir eine Eule, Zhen! Au, au, au, Fleur, jetzt hör’ doch schon auf! Zhen ist eine alte Freundin von mir!“ Als diese Aussage von der jungen Französin lediglich mit einem lauten, erbosten Fauchen quittiert wurde, schrumpfte er sichtlich und bemühte sich, das Missverständnis zu klären.

„Wir waren im selben Jahrgang! Ach, Fleur, jetzt sei’ doch nicht so!“ Langsam näherten sie sich dem Ausgang, und sein Jammern verklang.

Jiang Li musste trotz allem grinsen und schüttelte gedankenvoll den Kopf. Bill hatte nun wohl endlich die Freundin gefunden, die er verdiente.

 

***

 

Der Morgen des ersten September zog klar und wolkenlos herauf, es versprach ein schöner Tag zu werden.

Jiang Li stand zum letzten Mal vor dem Spiegel und konnte sich nur mit Mühe davon abhalten, einen kleinen Kuss auf das blanke Glas zu drücken.

„Wir sehen uns im Sommer wieder! Gib’ gut auf dich Acht!“ erklärte sie treuherzig und streichelte kurz über den Rahmen. Der Spiegel lachte. „Da mach’ dir mal keine Sorgen, mir geht’s immer gut. Und dich will ich gesund und munter wiedersehen!“ Jiang Li versprach es.

Als sie sich schlussendlich auch noch von Tom gebührend verabschiedet hatte, blieb nichts weiter übrig, als mit beiden Koffern direkt zu Gleis 9 ¾ zu apparieren.

 

Der Bahnsteig war zum Bersten voll; Kinder rannten auf ihre Freunde zu, verabschiedeten sich lautstark von Eltern und Verwandten oder drückten sich verstohlen in eine Ecke, um sich kichernd irgendwelche unter Garantie verbotenen Gegenstände anzusehen. Dazwischen wuselten Katzen und andere Haustiere hin und her, während Eulen nervtötend krakeelten und in ihren Käfigen aufgeregt mit den Flügeln schlugen, bis der halbe Bahnsteig mit Federn bedeckt war.

Kaum war Jiang Li auf der Plattform erschienen, knallte sie mit dem Hinterkopf gegen einen Gepäckwagen und musste sich zusammenreißen, um nicht der Länge nach hinzufallen.

„Verflixt! Kann hier denn keiner aufpassen!“

Galatyn stieß ein ohrenbetäubendes Kreischen aus und hüpfte wie ein wildgewordener Gummiball in seinem Käfig hin und her; für die Fahrt nach Hogwarts hatte ihn Jiang Li mit List und Tücke dazu überreden müssen, darin Platz zu nehmen.

„Jetzt ist’s schon wieder gut, Dummkopf“, knirschte sie übellaunig, während sie sich den Kopf hielt und erbittert Ausschau nach dem Besitzer des Gepäckwagens hielt. Selbstverständlich schien sich dieser Jemand gerade diesen Augenblick ausgesucht haben, um unsichtbar zu werden. 

 

Dann eben nicht. Leise vor sich hinfluchend suchte sie ihre Habseligkeiten zusammen und schlurfte auf die roten Waggons zu. Wenigstens konnte sie sich jetzt einen Platz suchen und in aller Ruhe die Fahrt nach Hogwarts – nun ja, genießen – …

Wenn sie ehrlich war, fühlte sie sich von Minute zu Minute aufgeregter. Wie es jetzt wohl so sein würde, als Lehrkraft in ihrer alten Schule?

Der ganze Ärger von vorhin war auf einen Schlag vergessen, als sie ein leeres Abteil fand und sich behaglich seufzend in den weichen Sitz fallen ließ. Die Koffer wanderten samt gekränkt protestierendem Galatyn in die Gepäcknetze und Jiang Li kraulte erleichtert ihren Nacken. Sehr schön. Die erste Hürde war damit genommen.

Während der Zug ruckelnd anfuhr und sich schnatternde Schülerhorden am Abteilfenster vorbeidrückten, kramte sie friedlich in ihrer Tasche und zog schließlich den Stundenplan heraus, der ihr gestern Abend noch von einer Eule überbracht worden war.

Wenigstens hatte sie dreimal die Woche die erste Stunde frei und musste erst um fünf vor Zehn anfangen. Sie seufzte und kratzte sich gedankenverloren am Kopf. Dabei schlief sie so gerne lange! Aber weder am Huashan noch in ihrer Schulzeit hatte sie sich diesem Bedürfnis für längere Zeit hingeben dürfen.

Als sie zum zweiten Mal tief und selbstmitleidig ächzte, öffnete sich die Abteiltür mit einem heftigen Ruck.

Jiang Li schrak aus ihrer Lektüre auf und setzte sich gerader hin. Ein zierliches Mädchen mit braunen Haaren lächelte sie leicht erschrocken an und zwinkerte nervös.

„Verzeihung, ist hier noch ein Platz frei?“ Hinter ihr konnte man unscharf die Köpfe von zwei oder drei anderen Schülern erkennen, die ihre Koffer gepackt hielten und bereits ungeduldig murrten.

„Natürlich“, entgegnete Jiang Li und vergaß vor lauter Anspannung, ein höfliches Lächeln aufzusetzen. Das Mädchen errötete ein wenig, drehte sich aber sofort um und winkte ihre Freunde herein.

Kaum waren die Schüler ihrer ansichtig geworden, verstummten die gelangweilten Zankereien schlagartig und eine betretene Stille trat ein. Jiang Li beschlich plötzlich das unangenehme Gefühl, dass mit ihrem Aussehen etwas nicht stimmte, und zupfte so unauffällig wie möglich an ihren Ärmeln herum. Warum starrten diese Kinder sie bloß so an?

„Ähm, verzeihen Sie bitte, Sie sind doch nicht etwa eine neue Lehrerin, oder etwa doch?“ piepste die Braunhaarige schließlich mit hoher Stimme und lächelte wieder ihr erschrockenes Lächeln. Noch bevor Jiang Li den Mund öffnen konnte, knuffte einer der Jungen das Mädchen leicht in den Rücken. „Natalie!“

Ihr Gesicht überzog sich in Sekundenschnelle mit einem flammenden Rot und sie drehte verlegen den Kopf zur Seite.

Mitten in das unangenehme Schweigen hinein räusperte sich Jiang Li und bemühte sich, nicht allzu verkrampft zu klingen. Wie sprach man diese Kinder überhaupt an? Duzen? Siezen? Sie fühlte, wie Panik in ihr emporkroch.

„Mmh, ja, das hat schon seine Richtigkeit, ich werde dieses Jahr in Hogwarts anfangen“, antwortete sie mit der festesten Stimme, zu der sie im Moment fähig war.

Verflixt. Keines der Kinder machte auch nur den Versuch, ihr aus der Verlegenheit zu helfen und vielleicht irgendetwas zu sagen. Jiang Li bemerkte nur zu gut, wie sich der kalte Schweiß auf ihrer Stirn sammelte. Was sollte sie jetzt nur tun? Es war alles so peinlich.

Mit einem entschlossenen Ruck hebelte sie sich aus ihrem Sitz, griff mit einer fließenden Bewegung nach ihrer Tasche und verließ das Abteil. Dass ihre Schuhe bei jedem Schritt laut auf dem Waggonboden dröhnten, fiel da ja schon gar nicht mehr ins Gewicht.   

 

Draußen lehnte sie sich für einen winzigen Augenblick schwer atmend gegen das Fenster. Vermutlich warteten die Kleinen jetzt nur noch, bis sie außer Hörweite war, um sich das Maul zu zerreißen. Warum bloß konnte sie sich nie so selbstverständlich unter Leuten bewegen, wie es beispielsweise Yue You oder Bill schafften?

Schließlich stieß sie sich vom kalten Glas ab und marschierte durch den Zug. Sie musste jetzt unbedingt eine Zigarette rauchen. 

 

Vorne beim Zugführer traf sie auf die Hexe, die üblicherweise um die Mittagszeit den Imbisswagen durch die Waggons schob. Es war immer noch die gleiche wie damals, als sie selbst nach Hogwarts gegangen war und während der Fahrt nichts Besseres zu tun gehabt hatte, als sich den Bauch mit Süßigkeiten vollzustopfen. Jetzt war sie eben auf andere Suchtmittel umgestiegen, gestand sich Jiang Li in einem Anfall von reuiger Ehrlichkeit selber ein.

Als sie mit ihrer Bitte um eine Rauchgelegenheit kam, verfinsterte sich die Miene der rundlichen Hexe und sie suchte Blickkontakt mit dem Zugführer, der ebenfalls missbilligend die Stirn runzelte.

„Gequalmt wird hier nicht! Sind ja schließlich Kinder an Bord!“ blaffte er schließlich und drehte sich wieder um. Jiang Li schluckte und schloss kurz die Augen. Sie durfte jetzt nicht nachgeben.

„Bitte, ich brauche jetzt einfach eine! Das ist wirklich sehr wichtig!“ beharrte sie standhaft und blickte der Hexe flehend in die Augen. Als die immer noch zögerte, fuhr Jiang Li schwerere Geschütze auf.

„Ich erinnere nur ungern an einen Vorfall vor etwa zehn Jahren, als einige von Bertie Botts Bohnen jeder Geschmacksrichtung sowohl Geschmack als auch Wirkung von Cannabis sativa aufwiesen …“

Mit einem feinen Lächeln bemerkte sie, wie die Hexe unruhig zu werden begann.

„Nicht zu vergessen die Schokofrösche, die-“ Doch da hatte sie die Frau bereits an den Schultern gepackt und bugsierte sie sanft, aber nachhaltig aus der Tür. „Wenn’s so furchtbar wichtig ist, am Ende des Zuges gibt es noch ein paar Güterwaggons, da drin darf man rauchen. Auf Wiedersehen. Auf Wiedersehen!“

 

Die Güterwaggone waren kühl und dunkel. Es war laut; die Türen schepperten bei jedem Ruck gegen den Rahmen und der Boden quietschte protestierend, als sich Jiang Li zwischen hohen Kisten hindurchdrängte.

„Lumos!“ Die Spitze des Zauberstabes flammte auf und wies ihr den Weg durch die muffige Dunkelheit.

Plötzlich hörte sie Laute, die unmöglich von der Fracht stammen konnten. Ganz deutlich Stimmen; es war sogar möglich, unterschiedliche Sprecher zu erkennen. Sie hielt den Atem an und duckte sich instinktiv.

„Nox!“ Das Licht erlosch und ließ sie allein in einer schlagartig feindlich gewordenen Umgebung zurück. Jiang Li schloss kurz die Augen und packte den Stab fester. Die Stimmen murmelten immer noch durcheinander, doch schien sich ein beunruhigter Unterton eingeschlichen zu haben …

 

„Wer da?“ quakte es jäh dicht neben ihrem linken Ohr. Sie erschrak fürchterlich und sprang mit einem gewaltigen Satz zur Seite, mitten in eine der Kisten hinein. Ein lautes Krachen und eine gewaltige Staubwolke waren die Folge.

Jiang Li achtete nicht auf den scharfen Schmerz, der durch ihren Hinterkopf schoss, sondern wirbelte sofort in Kampfposition, den Zauberstab drohend vor sich gestreckt.

„Wer seid ihr? Zeigt euch!“ Ihre Stimme klang sicherer, als sie sich fühlte. Morgen würde sie eine gewaltige Beule zieren, soviel stand jetzt schon mal fest. Wer verbarg sich da nur in der Finsternis vor ihr?

 

„Nicht verfluchen! Bitte nicht fluchen!“ erklang eine andere Stimme, einige Meter von der ersten entfernt und Jiang Li hörte einen trockenen, leisen Knall.

Plötzlich flammte ein runder Lichtkegel auf und beleuchtete eine absurde Szenerie. Auf der einen Seite Jiang Li, staubig, keuchend, den Zauberstab so fest umklammert, dass ihre Knöchel weiß wurden, auf der anderen fünf bis sechs Hauselfen mit teils erschrockenen, teils ärgerlichen Gesichtern.

 

„Bei Merlin“, hauchte Jiang Li matt und ließ sich kraftlos in die Knie sinken. Die Hauselfen, alle mit dem Hogwarts-Wappen auf ihren Kleidern, sahen sich verwirrt an und schienen nicht so recht zu wissen, was sie nun tun sollten. Schließlich trat der Größte unter ihnen vorsichtig ein Stückchen nach vorne und musterte sie scheu.

„Wir bitten um Verzeihung, Miss, das war ein Missverständnis“, stotterte er verlegen und machte noch einen winzigen Schritt nach vorne. „Hoffentlich hat Miss keine Schmerzen –“

„Miss hätte sich nicht so anschleichen sollen, nein, wirklich nicht!“ quiekte es plötzlich von weiter hinten und eine zarte kleine Elfe drängte sich mit blitzenden Augen nach vorne. Aufgeregt stemmte sie die Arme in die Seite und runzelte abschätzig die Stirn. „Keine Art ist das, sich so aus dem Dunkeln anzuschleichen, wenn man beisammensitzt! Wie soll man denn da wissen, wer da aus dem Dunkeln so kommt, hmm?“

Die anderen raunten teils zustimmend, teils ängstlich ablehnend und wichen ein wenig zurück. Ein kleiner Hauself packte die mutige Elfe am Ellenbogen und flüsterte ihr hastig etwas ins Ohr. Daraufhin zog sie sich ebenfalls zurück, doch nicht ohne Jiang Li noch einen zurechtweisenden Blick zuzuwerfen.

„Ich wollte niemanden erschrecken, aber man hat mir gesagt, dass ich hier – mmh, dass man hier drin rauchen darf“, meinte die solcherart Getadelte mit verlegen geröteten Ohren und steckte hastig den Zauberstab wieder ein. „Ich bitte vielmals um –“

„Schon gut“, schnitt ihr der große Hauself rasch das Wort ab und wies einladend auf die Kistengruppe, auf der die Elfen zuvor gesessen hatten. „Wenn Miss die Gesellschaft von einfachen, dummen Hauselfen nicht für zu gering erachtet, wäre es eine große Ehre, wenn Miss Platz nehmen würde …“

Die Übrigen schnatterten zustimmend und geleiteten sie unter unzähligen Verbeugungen und Entschuldigungen zu einer großen Kiste, vor die sie auch noch eine flache Tonschale für die Asche stellten.

Jiang Li taten die Elfen leid. Abgesehen davon, dass ja (wie die Kleine treffend bemerkt hatte) sie der ungebetene Eindringling in der Runde war, bemühten sie sich über alle Maßen, um es ihr so bequem wie möglich zu machen, bloß weil sie ein Mensch war.

Sogar Tee und Kaffee wurden ihr sofort angeboten. Als Jiang Li den dampfenden Becher in der Hand hielt und das feine Aroma lobte, kam ihr eine Idee. Sie hatte doch …

„Möchte jemand Scones? Oder Shortbread mit Karamell?“

Gut, dass Tom ihr das noch schnell mitgegeben hatte. Glücklich kramte sie das Päckchen aus ihrer Tasche und bot den zuerst noch sehr unsicher dreinschauenden Elfen die duftenden Gebäckstücke an. Nach anfänglichem Zögern überwanden sie die Schüchternheit schnell und bald saß Jiang Li in einer fröhlich schnatternden Runde, bei der sie sich bei Weitem wohler fühlte als in Gesellschaft ihrer zukünftigen Schüler im komfortablen Personenabteil.



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