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Mit geschlossenen Augen genoss ich die Berührung. Ich genoss sie auch noch, als seine Lippen schon gar nicht mehr auf meinen lagen. Ich blinzelte und sah ihn an. Seine Augen stachen aus der Dunkelheit heraus. Sie strahlten Neugierde aus, Verunsicherung, sowie Zweifel und Lust. In mir breitete sich Verwirrung aus. Es war schön. Und ich hatte auch diese Gedanken. Aber er hatte Sora. Wieso hatte er mich geküsst.
Er schloss die Augen und atmete aus, dann drehte er sich auf den Rücken und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Seine Hand krallte sich in die Haare und er starrte an die Decke. Wie von selbst wanderte meine linke Hand an meine Lippen und strichen darüber, während meine rechte den Herzschlag an meiner Brust fühlte.
„Entschuldige“, murmelte er. „Ich hätte das nicht tun dürfen, das war unangebracht.“ Er klang bedrückt. Niedergeschlagen.
„Matt ...“, doch ich kam nicht weiter.
„Es war falsch, ich weiß doch, dass du und ...“
„TK?“, beendete ich schon vorausahnend und mit einem genervten Unterton den Satz.
„Ja, ihr seid doch ...“
„Wir sind beste Freunde. Aber was ist mit Sora?“
Er sah weiter an die Decke, die Arme hatte er mittlerweile hinter dem Kopf verschränkt. „Kannst du mir einen Gefallen tun und Tai hiervon nichts sagen?“, er sah zur Seite. Sein Blick irrte in meinem Gesicht herum.
Ich nickte. Es wäre mir nicht eingefallen meinem Bruder das hier zu erzählen. Aber so weit war ich noch gar nicht gekommen. Ich drückte mein Gesicht in das Kissen. Ich strich noch einmal über meine Lippen. So schön das auch war, das hier ging nicht. Matt sah mich an. Ein Lächeln legte sich auf meine Lippen.
„Danke nochmal“, flüsterte ich, „und danke, dass ich hier schlafen darf.“
„Ich könnte es Tai niemals antun, seiner Schwester nicht zu helfen“, er erwiderte das Lächeln, „aber jetzt solltest du wirklich schlafen.“
Ich nickte, „ja, ich hab morgen schließlich ein Spiel.“ Ich lächelte müde und kuschelte mich in die Decke. Ich atmete aus und im gleichen Atemzug schloss ich meine Augen. Mein Kopf ließ es aber leider nicht zu. Ich konnte das gerade passierte nicht vergessen. Es lag immer noch im Raum und ließ mich nicht schlafen. Dabei war es …
… und dann legte er seine wundervollen Lippen auf meine.
Mit gespitzten Lippen berührte ich die Wand und schlug verwundert meine Augen auf. Gähnend betrachtete ich die Wand und drehte mich dann um. Dabei fiel mir auf, dass das gar nicht mein Zimmer war. Die andere Bettseite war leer. Stattdessen lächelte mir ein Bass von der anderen Zimmerseite entgegen und strahlte in seiner schönsten Form. Das war kein Traum. Ich schluckte schwer und erinnerte mich an seine weichen Lippen. Mit dem Ausatmen schüttelte ich den Kopf und meine Füße berührten den Boden. Meine Finger berührten für einen Moment meine Lippen und im nächsten lagen sie bereits auf der Türklinke. Mein Herz dröhnte in meinen Ohren, es schlug mir bis in den Hals. Ich schloss meine Augen und rief mich zur Ruhe. Langsam atmete ich ein und wieder aus, ehe ich meine Augen und die Tür öffnete. Augenblicklich zog ich den Duft nach frischem Reis, Omelett und gebratener Fisch ein. Matt stand vor dem Herd, mit dem Rücken zu mir. Um seine Hüfte war eine Schürze gebunden und er war völlig vertieft in sein Tun. Leise schloss ich die Tür hinter mir und trat an den bereits gedeckten Tisch. Der Blonde summte leise vor sich hin, schaltete den Herd aus und drehte sich, mit der Pfanne in der Hand herum. Als sich unsere Blicke trafen, lächelte ich leicht, er hingegen riss seine Augen auf und stolperte zurück. Zischend zog er die Luft ein, als sein Ellenbogen die heiße Herdplatte berührte. Fast hätte er dabei die Pfanne fallen gelassen. Ich schnappte nach Luft und stürzte zu ihm. Eilig nahm ich ihm die Pfanne ab und stellte sie auf eine kalte Platte. Danach griff ich nach Matts Arm und zog ihn zum Waschbecken. Auf das kalte Wasser wartend, begutachtete ich den roten Fleck. Dabei versuchte ich, ihm nicht in die Augen zu sehen.
Ich versuchte immer noch die Situation zu verarbeiten. Es war gerade zu viel. Gestern Abend. Der Kuss. Heute Morgen. Das Aufwachen. Neben ihr zu liegen. So dicht an ihrem Körper. Sie war direkt neben mir gelegen. Mit dem Gesicht zur Wand, hatte ruhig geatmet und sah so unschuldig aus. Die Decke hatte sie nicht mehr komplett verhüllt. Mein Shirt war etwas zu weit hochgerutscht. Ich konnte nicht still liegen bleiben. Darum hatte ich beschlossen aufzustehen, zu duschen und Frühstück zu machen.
Und jetzt war sie dort plötzlich gestanden und ich war unvorbereitet gewesen. Normalerweise war ich nicht so schreckhaft, aber nach dieser Nacht war ich völlig überfordert. Aufmerksam beobachtete ich das Mädchen, welches nun sanft meinen Arm unter den kalten Wasserstrahl schob. Der Schmerz war schon lange vergessen, trotzdem tat es gut. Sie atmete hörbar aus, aber versuchte immer noch meinem Blick auszuweichen. Das verriet mir ihre rote Nasenspitze.
„Danke dir.“
„Ist es besser?“, jetzt sah sie mir wieder in die Augen. Ich nickte. „Trotzdem sollte es weiter gekühlt werden“, sie legte den Kopf schief.
„Soll ich den ganzen Tag an der Spüle stehen?“
Sie lachte mit einem Mal laut auf, „Tai hat sich einmal den Finger verbrannt, er ist den ganzen Tag mit einem Glas Wasser durch die Gegend gelaufen.“
„Kann ich mir vorstellen, aber ich hab was besseres“, ich zwinkerte ihr zu und machte mich zum Bad auf. Ich erinnerte mich, dort eine kühlende Salbe gesehen zu haben. Entweder gegen Verletzungen und Mückenstiche oder gegen Sonnenbrand.
Erleichtert stieß ich die Luft aus. Es war nicht so, als würde ich die Hitze und Röte nicht bemerken. Ich drehte mich wieder zum Spülbecken, das Wasser lief noch. Kurzerhand spritzte ich mir etwas ins Gesicht und machte es aus. Da kam er auch schon zurück. Meine Hand wischte noch über mein Gesicht und schon hatte ich seines wieder vor Augen. Er cremte sich seinen Ellenbogen ein.
„Es ist zwar Apré-Sonnencreme, aber was solls, kühlt auch“, lächelte er, komm jetzt, bevor alles wieder kalt wird.“
Ich versuchte mich auf das Essen zu konzentrieren. Der Tisch war gedeckt und es gab so gut wie keine freie Stelle. Matt legte noch den gebratenen Fisch auf einen Teller und zeigte dann auf den Platz sich gegenüber. Nickend setzte ich mich. Der Stuhl war kühl. Verstohlen sah ich nach unten und merkte, dass ich immer noch das Shirt von Matt trug und nichts weiter. Als ich aufsah, kreuzten sich wieder unsere Blicke.
„Wann beginnt dein Spiel?“
Ich sah mich im Raum um und suchte eine Uhr. Da er es gerade ansprach. Mich beschlich ein Gefühl, dass ich spät dran war. Er zeigte auf den Videorekorder. „In knapp drei Stunden.“
„Dann haben wir ja etwas Zeit und du kannst ordentlich was essen. Hab's versucht energiereich für Sportler zu machen – naja kenn ich mich nicht wirklich aus.“
„Und ich dachte schon, du wolltest für Tai kochen“, lachte ich auf.
Auch er fiel mit in das Gelächter ein, „tut mir Leid, er war wohl doch zu oft hier. Aber dann nehmen wir ihm nachher den Rest mit.“
Erschrocken sah ich auf, „ich muss nachher noch kurz Heim und mein Trikot holen.“
Nun sah er auf die Uhr, „dann beeilen wir uns doch ein wenig und schauen noch bei dir vorbei. Dann iss“, er hielt mir einen Teller mit gebratenem Fisch entgegen.
Seufzend nahm ich ihn und so füllte sich mein Teller.
Satt lehnte ich mich zurück. Ich hatte wohl doch für Tai gekocht. Es war mehr als genug übrig geblieben. Kari hatte schon vor einiger Zeit aufgehört zu essen.
„So, dann würde ich vorschlagen, dass du Duschen gehst und dich fertig machst und ich räum hier so lange auf“, ich brauchte einen Moment, bis ich merkte, dass das etwas doof war.
„Gut“, sie stand auf und zog sich das Shirt zurecht. Sie lächelte verlegen und lief ihrer Tasche.
„Handtücher sind in dem Regal neben der Dusche.“
„Danke“, sie nahm sich die Tasche und verschwand im Bad.
Hörbar erleichtert atmete ich auf und stand auf. Wir hatten noch etwas mehr als zwei Stunden Zeit. Demnach sollte ich mich beeilen. Mein Ellenbogen brannte wieder etwas, also beschloss ich, mich abzulenken. Ich zog eine Bentobox aus dem Schrank und packte die Reste hinein, ließ währenddessen Wasser in das Spülbecken.
„Bin fertig“, meldete ich mich rechtzeitig zu Wort, ehe ich den Blonden wieder erschrecken konnte. Er trocknete im Moment die Teller ab und räumte diese noch weg. Ich hielt das Shirt hoch und fragte noch, wo ich es hinlegen sollte. Da nahm er es mir auch schon ab und räumte es ins Bad. Er zog sich noch ein anderes Oberteil an und packte die Box ein. Dann war er auch schon startklar. Wir zogen uns unsere Schuhe an und machten uns auf den Weg.
„Ich wollte nochmal danke sagen.“
„Wie gesagt, das war doch selbstverständlich. Aber ich werde Tai nachher anrufen, dass dich bei dir abholt.“
„Kommst du nicht mit zum Spiel?“
„Doch, wenn du willst. Nur nach heute Nacht...“
Ich schüttelte den Kopf, „nein, komm mit.“