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West Coast

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo, ihr lieben!
Danke für die bisherigen Kommentare!

Es geht wieder weiter - und zwar dramatisch.
Drama, Baby, Drama! Komplett anzeigen

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Flut & Ebbe

Ryou’s Sicht:

Das Wasser brauste sich auf und schäumte gar über. Die mächtigen Wellen erhoben sich und brachen. Alle ließen ihre Zigaretten und Flaschen augenblicklich fallen und liefen zu ihren Fahrzeugen. Ahnungslos saß ich da und beobachtete das Szenario. “Bringt euch und eure Fahrzeuge in Sicherheit!”, schrie der Dunkelhaarige energisch.

Die ganze Gruppe rannte sehr schnell davon, alle stiegen in ihr Auto oder auf ihr Motorrad. Gleich darauf drifteten alle davon, außer Mai.
 

“Seto!”, kreischte Mai von weiter weg. Seto rief ihr laut zu, dass sie sofort den Ort verlassen solle. Sie zögerte zuerst, stieg dann aber doch auf ihre Maschine und fuhr davon. Als sich Seto sicher war, dass alle auf dem Heimweg waren, rannte er ebenfalls weg. Ich wurde panisch und wusste nicht, ob ich auch weg hätte sollen und wohin. Ruckartig blieb Seto stehen und drehte sich zu mir um; “RYOU!”. Er hatte die Augen weit aufgerissen, lief zu mir zurück und zog mich stark hoch.
 

“Ryou, nimm meine Hand und schau’ nicht zurück!”, er war ganz außer Atem und seinen Blick erkannte ich nicht wieder. Als er merkte, dass ich seine Hand nicht nahm, weil ich verwirrt war, nahm er stattdessen meine und zog mich kräftig mit sich. Kaum hatten wir ein paar Schritte gemacht, brach plötzlich eine große Welle über uns ein. Wir wurden nach vorne und nach hinten gespült, das Wasser schien zu tanzen. Wir kamen mit unseren Köpfen nicht an Luft und ich schluckte Wasser.
 

Das Salzwasser brannte in meinen Augen und meine Sicht war verklärt. Alles, was ich zu sehen bekam, war Wasser, obwohl ich atmen musste; doch überall nur Wasser. Es war nicht komplett schwarz um mich, doch dunkel genug, dass man sich verdammt fühlte. Das Meer hatte uns in sich geschlossen und Seto wurde von mir weggerissen. Unsere Hände hatten sich gelöst und ich hatte Angst, zu ertrinken. Es schien in dem Augenblick so, als wäre Sauerstoff ein Gerücht gewesen und hätte nie existiert. Meine Lungen waren überfordert und anstatt von kaltem Wind schluckte ich nur das Meer. Seto versuchte, zu mir zu schwimmen, doch der Trieb des Stromes war stärker. Ich hatte Angst, nie wieder aufzutauchen und zu sterben, ohne meinen Vater drei Tage lang gesehen zu haben.
 

Ich ließ einen kräftigen Schrei aus, der sich nur mit Wasserblasen sichtbar machte. Es zerstückelte mich innerlich, seinen Gesichtsausdruck zu vor mir zu sehen, mit dem Wissen, dass sein einziger Sohn ertrunken ist. Er würde es seelisch nicht überstehen, er wäre für sein Leben lang verwundet. Aus Verzweiflung ließ ich noch einen Schrei aus, doch niemand hörte mich. Unter Wasser hört dich keiner. Du bist der Macht des Meeres ausgeliefert. Es gab keine Aussicht auf ein Ende, es erstreckte sich ins Unendliche.
 

Wir wurden hin und her geschwemmt, ich spürte, wie mein Körper gezerrt wurde. Unfähig schlug ich mit Händen und Füßen um mich, schrie und weinte, falls das überhaupt unter Wasser möglich war. Ich zog die Jacke und die Handschuhe aus, die sofort in eine andere Richtung gespült wurden.
 

Ich konnte die Luft nicht länger anhalten und mir wurde schon schwarz vor Augen, als uns der gewaltige Strom ausspuckte. Hustend ringte ich nach Luft, das Salzwasser stand uns bis zu den Füßen, hätte uns aber jederzeit wieder bis über den Kopf stehen können. In einem Schockzustand derart befand ich mich noch nie, ich spürte das Adrenalin und den Drang, zu überleben.
 

“Seto”, wimmerte ich kleinlaut und suchte mit meinen brennenden Augen nach ihm. Er stand ein paar Meter weiter und rannte - so gut man es in in dem Zustand konnte - zu mir. Erneut griff er fest meine Hand und zog mich mit sich. Ohne Worte liefen wir in Richtung der dicken Äste, die für das Lagerfeuer benutzt wurden. Es waren nur noch zwei da, der Rest wurde mitgerissen. Das war unser Standpunkt vor der ersten Welle, doch wir wurden so weit nach hinten gespült, dass wir aufholen mussten.
 

Plötzlich rutschte Setos Hand aus meiner und ich drehte mich erschrocken um, worauf mich das Meer wieder in seinem Griff hatte. Um uns schwamm Sand, einige der leeren Alkfläschchen, Muscheln, Algen, kleine Steine und winzige Fische. Ich wurde in alle möglichen Richtungen gedreht, es war ein sehr großer Druck in den Ohren und im Brustkorb wahrzunehmen. Seto war vor mir und versuchte vergeblich, an meine Hand zu kommen. Er streckte seine gespannt aus, es hätten nur ein paar Zentimeter gefehlt. Wir schafften es nicht, unsere Hände wieder ineinander zu stecken. Der nächste Hieb des Wassers folgte und Seto wurde von mir getrennt.
 

Nur noch seine Silhouette war in dem blauen Chaos zu erkennen. Obwohl ich wusste, dass es nicht viel ändern würde, schwamm ich. Ich schwamm, doch kam nicht von der Stelle. Alles bewegte sich, zerrte an mir und diese Gewalt wollte mich nicht mehr loslassen. Ich war dem Meer zum Opfer gefallen. Das Salz in meinen Augen brannte fürchterlich und sie waren wahrscheinlich schon total rot.
 

Abgesehen von dem Geräusch des ständig Richtung wechselnden Wassers war es still. So etwas wie Zeit schien es dort nicht zu geben; eine ganz andere Welt. Es war geräuschlos und wie erstarrt. Die Unterwasserwelt faszinierte mich schon immer, doch als Mensch erlebte man mehr Schattenseiten als Vorteile in dem Gebiet. Die Fische schwammen wie gewohnt ihre Route, konnten durch ihre Kiemen atmen und hatten keine Probleme. In diesem Moment, schwöre ich euch, wäre ich am liebsten ein Fisch gewesen.
 

Mein Brustkorb war wie zugeschnürt und durchgestochen. Als hätte man ihn mit einem dicken Knoten versehen und danach einen Dolch reingerammt. Seto war nicht mehr in meinem Blickfeld, ich war in diesem bewegenden Grab auf mich alleine gestellt. Diese Angst ums Überleben war schrecklich. Luft, Luft, Luft - ich brauchte Luft! Doch das gnadenlose Meer zeigte kein Mitleid und ließ mich in seinen Klauen tanzen. Der Raum in meinen Lungen wurde knapp, mein Blickfeld wurde schwarz. Die Vorstellung an meinen Vater wurde jedoch immer schärfer. Er weint, er schreit, er schlägt um sich - genau so, wie ich es in dem Moment tat.
 

Das Meer schwemmte uns wieder an die Oberfläche, ich war aber total desorientiert. Sofort begann ich, zu laufen. Ich sah nicht, wohin ich lief, ob ich wieder in den Rachen des Wassers rannte. Jedoch musste ich stehen bleiben und Luft einatmen. Wie ein Hyperventilierender stand ich an der Stelle und hatte Angst, an Sauerstoffmangel zu sterben.
 

Mein Herz blieb fast stehen, als jemand meine Hand nahm und mich davonzerrte. “Ryou, hüpf’ auf meinen Rücken!”, befahl mir die bekannte Stimme Setos. Dafür, das ihm genau dasselbe passiert war, wie mir, hatte er noch einen kräftigen Ausdruck beim Sprechen. Ich blinzelte einige Male, bis sich meine Welt wieder bunt färbte und mir bekannt vorkam. Ohne einen weiteren Gedanken zu verschwenden stieg ich auf Setos Rücken und hielt mich an seinen Schultern fest. Er hielt mich an den Beinen und rannte los. Er hatte eine beachtliche Ausdauer.
 

“Es ist alles in Ordnung, es wird alles gut, Kleiner”, versicherte er mir. Er knickte einige Male beim Laufen ein, doch er blieb nicht stehen. Ich dachte, wir hätten nun endgültig keine Chance mehr, als uns zum dritten Mal eine Welle verschlang. Einige Sekunden waren wir in ihrem Bann, bevor sie uns in den Sand rammte. Ich lag auf Setos Rücken, er lag am Grund und konnte nicht atmen, weil er zu viel Gewicht am Rücken hatte. Augenblicklich rollte ich mich von ihm runter und blieb kraftlos liegen.
 

“Wir dürfen nicht aufgeben!”, schrie er energisch und stand mit viel Mühe auf. Seto zerrte mich zu sich hinauf und trug mich auf Händen. Mit letzter Kraft steuerte er zu seinem Motorrad, das am Übergang zwischen Straße und Sand war. Er trug mich in seinen starken Armen und es war so wunderschön, trotz der fürchterlichen Panik, die meinen Körper zu besitzen schien.
 

“Wir sind gleich da”, machte er mich aufmerksam, während seine Beine immer wieder einknickten. Wir hörten, wie sich hinter uns das Wasser wieder aufbrauste und der Adrenalinkick veranlasste Seto dazu, richtig Gas zu geben und nicht auf seine erschöpften Beine zu hören. Wir waren von Kopf bis Fuß durchnässt und der Wind war dadurch noch eisiger. Wir erreichten sein Fahrzeug und er setzte mich ab. Danach stieg er sofort auf die Maschine und startete den Motor. Ich setzte mich hinter ihn und hielt mich gut fest.
 

Erst jetzt merkte ich, dass sein Mantel fehlte. Er hatte ihn wahrscheinlich im Wasser ebenfalls abgeworfen. “Ist dein Vater zuhause?”, fragte er. “Nein, der hat Nachtschicht”, antwortete ich noch in Schock. Dadurch, dass wir schnell unterwegs waren, wurde die Kälte, die wir ohnehin schon spürten, noch schlimmer und gar unerträglich. Zitternd hielt ich mich an Seto fest und konnte nicht glauben, dass wir in Sicherheit waren.
 

Vorsichtig blickte ich zurück und erkannte die überschwemmte Küste. Wellen brachen immer noch ein und beanspruchten das ganze Gebiet für sich. “Dann bring’ ich dich zu mir”, sagte der Fahrer entschlossen und machte eine sehr scharfe Kurve, die mir noch einen extra Schock verschaffte. Die Kälte drang mir bis ins Knochenmark und setzte sich fest.
 

Als Seto anhielt und seine Maschine parkte, standen wir vor einem zweistöckigen Haus. Ich fragte mich, ob ich bei Seto in guten Händen war oder ob er mir mit seinem tödlichen Blick schon zu viel verraten hatte.
 

Seto’s Sicht:

Das Wasser brauste sich auf und schäumte gar über. Die mächtigen Wellen erhoben sich und brachen. Wir alle erkannten diese Warnung und ließen unsere Zigaretten und die Flaschen sofort fallen. “Bringt euch und eure Fahrzeuge in Sicherheit!”, schrie ich meinen Freunden energisch zu. Sie alle rannten zu ihren Fahrzeugen, stiegen in ihr Auto oder auf ihr Motorrad. Gleich darauf driteten alle davon, außer Mai.
 

“Seto!”, kreischte sie von weiter weg. Wütend rief ich ihr zu, dass sie gefälligst so schnell wie möglich den Ort verlassen solle. Ich hätte es mir nicht verzeihen können, wenn einer von meinen Freunden wegen der Flut draufgeht, nur, weil ich sie nicht streng genug weggeschickt hatte. Mai zögerte zuerst, stieg dann aber auf ihre Maschine und fuhr davon. Als ich mir sicher war, dass die wichtigsten Leute in meinem Leben das Weite gesucht hatten, begann auch ich, wegzulaufen. Ruckartig blieb ich jedoch stehen und sah in meiner Erinnerung zwei dunkelbraune, unschuldige Augen. Ruckartig drehte ich mich um und schrie mit weit aufgerissenen Augen seinen Namen; “RYOU!”. Ich zog ihn zu mir herauf.
 

“Ryou, nimm meine Hand und schau’ nicht zurück!”, ich war ganz außer Atem und machte es mir zur Aufgabe, ihn vor der gewaltsamen Macht des Meeres zu retten. Er war kein Küstler, er wusste nicht, wie man in so einer Situation klug handelt und wie man überlebte. Ich musste ihn um jeden Preis beschützen. Er jedoch hatte keine Ahnung, was ich von ihm verlangte und weshalb - er nahm meine Hand nicht. So nahm ich seine und zog ihn kräftig mit mir mit. Kaum hatten wir ein paar Schritte gemacht, brach plötzlich eine große Welle über uns ein. Wir wurden nach vorne und nach hinten gespült, das Wasser schien zu tanzen. Wir kamen mit unseren Köpfen nicht an Luft und Ryou schluckte Wasser.
 

Das Salzwasser brannte in den Augen und meine Sicht war verklärt. Trotzdem sah ich Ryous verzweifelten, panischen, angsterfüllten Blick. Er suchte hier in den Tiefen die Luft. Er fragte sich, wo die Luft zum Atmen geblieben war, er hatte Todesangst. Unsere Umgebung war nicht vollkommen dunkel, aber dunkel genug, um sich davor fürchten zu müssen, welches Tier hinter einem lauert. Das Meer hatte uns in sich geschlossen und ich wurde von Ryou getrennt. Unsere Hände hatten sich gelöst, und ich hatte furchtbare Angst, den Kleinen aus den Augen zu verlieren und ihm keine Sicherheit versprechen zu können. Vergeblich versuchte ich, zu ihm zurück zu schwimmen, doch der Trieb des Stromes war stärker. Ich warf meinen teuren Mantel ab, um mich besser bewegen zu können. Verdammt! Wie sollte ich das seinem Vater erklären? Ich hatte als einzig übrig gebliebener zum Zeitpunkt der Flut die Verantwortung für das Leben von Ryou.
 

Man hörte Blasen, die nur davon kommen konnten, dass jemand aufschrie. Ryou schrie, was das Dümmste war, das man in so einem Moment machen konnte. Dadurch verengte sich der Raum in seinen ohnehin schon fast leeren Lungen noch mehr. ‘Du Idiot’, dachte ich mir, ohne es böse zu meinen. Wenn er es bis zum Auftauchen nicht schaffen würde, die übrige Luft anzuhalten, würde es sehr schlecht für ihn aussehen. Wir Küstler hatten Erfahrung mit Ebbe und Flut und wir kannten die Techniken, die einem halfen, die Luft sofort und langzeitig anzuhalten. Touristen aber hätten ohne einen Küstler keine Überlebenschance.
 

Wir wurden hin- und hergeschwemmt, ich änderte meine Körperspannung, um das Zerrungsgefühl zu mildern. Der Weißhaarige jedoch konnte sich in diesem Punkt ebenfalls nicht helfen und musste die deutlichen Schmerzen zu spüren bekommen. Ich hoffte so sehr, dass er es bis zum nächsten Luftschnappen durchhielt.
 

Augenblicklich spuckte uns der gewaltige Strom aus, ich schnappte nach Luft. Ich sah mich eilig nach Ryou um, worauf ich ein Husten hörte, das mir die Richtung angab. Das Wasser stand uns bis zu den Füßen und konnte jederzeit wieder bis über unsere Köpfe stehen. Ich rannte, so gut ich konnte, zu meinem Schützling, griff fest seine Hand und zog ihn mit mir mit. Ohne Worte liefen wir Richtung der dicken Äste, die für das Lagerfeuer benutzt worden waren. Es waren nur noch zwei da, der Rest wurde mitgerissen. Das war unser Standpunkt vor der ersten Welle, doch wir wurden so weit nach hinten gespült, dass wir aufholen mussten.
 

Wir waren gut in der Geschwindigkeit, doch plötzlich verlor ich Ryous Hand und wurde vom Wasser mitgezogen. Ich reagierte reflexartig und konnte, noch bevor ich ganz unter Wasser war, blitzschnell Luft schnappen. Um uns schwamm Sand, einige der leeren Alkfläschchen, Muscheln, Algen, kleine Steine und winzige Fische. Der Weißhaarige hatte wieder keine Gelegenheit dazu, genug Sauerstoff in den Lungen zu haben, um auf die kleine Weile unter Wasser vorbereitet zu sein. Er hatte diesbezüglich keine Erfahrung und ich fühlte mich so verdammt machtlos, ihm nicht helfen zu können.
 

Ryou war vor mir und versuchte vergeblich, zu schwimmen. Ich war mir sicher, dass ihm bewusst war, dass es in der Situation unmöglich war, die Richtung, in die man geschwemmt wurde, zu kontrollieren. Aber in der Verzweiflung tut man nun mal Dinge, die man sich selber nicht erklären kann. Wir beide wurden hilflos in allen verschiedenen Richtungskombinationen herum gespült. Während Ryou mit Todesangst kämpfte, konzentrierte ich mich mehr darauf, ihn zu retten, als an mein eigenes Leben zu denken.
 

Es war unglaublich still, es passte gar nicht zu der lebensgefährlichen Situation. Abgesehen von dem Geräusch des ständig Richtung wechselnden Wassers war alles ruhig. Die Unterwasserwelt war zwar wunderschön, doch an Küsten, wo das Meer in die Ozeane floss, trieben sich sehr gefährliche Tiere herum. Vorallem bei Flut war es gut möglich, dass solche Lebewesen an die Nähe der Küste gespült wurden. Die Chancen standen gut, dass eine Seeschlange oder ein Hai uns direkt in die Augen blicken würde.
 

Ich stellte mir Ryous hilflosen Blick vor, wenn diese Situation eintreffen würde. Viele Leuten glaubten es nicht, aber es gab Taktiken, wie man einen Hai verschrecken konnte. In diesem Moment würde man einen kräftigen Schrei brauchen; Haie hassen Überraschungen. Durch den plötzlichen Druck würden sie verwirrt wegschwimmen.
 

Mein Herz schmerzte, als ich daran dachte, wie Ryou nach Luft suchte. Er suchte nach Luft. Wie ein kleines Kind, das seine Mutter verloren hatte, und sich mit Tränen in den Augen umsah; aber sie war nicht mehr da.
 

Das Meer schwemmte uns wieder an die Oberfläche und ich wünschte mir so sehr, dass es der Kleine geschafft hatte, die Luft so lange anzuhalten. Einen tiefen Atemzug machte ich, bevor ich wieder nach meinem Ryou Ausschau hielt. Er stand dort, paar Meter weit weg von mir, und hyperventillierte. Es hörte sich so an, als hätte er Wasser in der Lunge gehabt. Scheiße! Sofort lief ich zu ihm rüber und zerrte ihn von der Stelle, an der er war. “Ryou, hüpf’ auf meinen Rücken!”, befahl ich ihm und spürte den irrsinnigen Zeitdruck, den wir hatten. Die nächste Welle war unberechenbar. Die Person hinter mir sprang auf und ich rannte, so schnell ich noch konnte, in die entgegengesetzte Richtung des Meeres. Zum Glück war der schmächtige Junge nicht schwer und verzögerte meine Bewegungen nicht.
 

“Es ist alles in Ordnung, es wird alles gut, Kleiner”, versicherte ich ihm. Ich knickte einige Male beim Laufen ein, doch blieb auf keinen Fall stehen. Was für ein hoffnungzerstörendes Gefühl es wohl für Ryou sein musste, als uns zum dritten Mal eine Welle verschlang. Einige Sekunden waren wir in ihrem Bann, bevor sie uns in den Sand rammte. Ich lag auf dem Bauch und hatte Ryou noch auf meinem Rücken, weshalb ich schwer Luft bekam. Er rollte sich sofort von mir runter und blieb kraftlos liegen. Du musst aufstehen.
 

“Wir dürfen nicht aufgeben!”, schrie ich engergisch und stand mit viel Mühe auf. Ich zerrte den am Boden Liegenden zu mir hinauf und trug ihn auf Händen. Mit letzter Kraft steuerte ich zu meinem Motorrad, das am Übergang zwischen Straße und Sand war. Ich trug ihn sicher in meinen Armen und fand es so wunderschön, trotz der fürchterlichen Angst, die wir beide zu spüren bekamen.
 

“Wir sind gleich da”, machte ich ihn aufmerksam, während meine Beine immer wieder einknickten. Wir hörten, wie sich hinter und das Wasser wieder aufbrauste und der Adrenalinkick veranlasste mich dazu, richtig Gas zu geben und nicht auf meine erschöpften Beine zu hören. Wir waren von Kopf bis Fuß durchnässt und der Wind war dadurch noch eisiger. Wir erreichten mein Fahrzeug und ich setzte Ryou ab. Ich stieg sofort auf meine Maschine und startete den Motor. Ryou setzte sich hinter mich und hielt sich gut fest.
 

Ich war so schwer erleichtert, als wir außerhalb der Gefahrenzone waren. “Ist dein Vater zuhause?”, fragte ich mit stabilem Ton. “Nein, der hat Nachtschicht”, antwortete mein Mitfahrer noch in Schock. Dadurch, dass wir schnell unterwegs waren, wurde die Kälte, die wir ohnehin schon spürten, noch schlimmer und gar unerträglich. Zitternde Hände hielten sich an meinem Bauch fest. Wahrscheinlich konnte er noch nicht glauben, dass wir in Sicherheit waren.
 

Ich merkte, wie sich Ryou hinten umdrehte. Nicht zurück schauen, Kleiner. Ganz schlechte Idee. “Dann bring’ ich dich zu mir”, sagte ich entschlossen, bevor ich eine sehr scharfe Kurve machte.
 

Als ich anhielt und parkte, standen wir unversehrt vor meinem zweistöckigem Haus. Ich fragte mich, ob in dieser Nacht meine Vernunft anhalten würde, oder ob ich dem Drang, ihn zu berühren, nicht widerstehen können würde.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Veri
2015-10-23T08:32:34+00:00 23.10.2015 10:32
Naaaaw so spannend ! ><
Ich hoffe, er kann NICHT widerstehen :D <3


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