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Einem fernen Tage

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Was bisher geschah...
Nach Schwierigkeiten bei der Überquerung des Mogami wird Minoru von Kappa aufgegriffen und gezwungen, ihnen zu folgen.
Takeru hat indes die ersten Linien der Panther an der Grenze zum Norden durchbrochen und ist nur noch wenige Wegstunden von seinem Rudel entfernt. Komplett anzeigen

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inmitten des tosenden Sturms. (neu)

Im Hochgebirge war Takeru die animalische Erscheinung endgültig leid. Vergebens versuchte er sein wirres, schwarzes Haar zu bändigen und strich es beharrlich hinter die Spitzohren. Früher wäre es ihm niemals in den Sinn gekommen, so viel Zeit auf allen Vieren zu verbringen. Diese Verwandlungen waren ein hübsches Kunststück – aber das waren Radschlagen und Handstand auch. Und genauso wie die Erwachsenen sich selten an kindischem Gebalge beteiligten, vermieden sie auch den rückschrittigen Übergang in Pelz und Pfoten. Bis hierher hatte die Erscheinung Takeru jedoch gute Dienste geleistet.

Mit seinem braunen Fell sah er auch wie viele Wölfe im Norden, und kein Gegner kam lange genug nah an ihn heran, um die unnatürlich grünen Augen zu bemerken. Dieses Manöver hätte zwar eher aus Minorus Feder stammen können, aber der Plan war aufgegangen: Der Spähtrupp der Panther, auf den er kürzlich gestoßen war, hatte ihn auf einen Umweg gezwungen, war aber bereits nach wenigen Kilometern umgekehrt. Dass sie dabei nicht einmal einen einzigen Pfeil auf ihn geschossen hatten, kratzte dennoch an seinem Stolz. Wie nachlässig von ihnen, nicht einmal in Erwägung zu ziehen, dass es sich bei einem einzelnen Wolf um einen Späher oder Boten handeln könnte.

Aber warum um feindliche Taktikprobleme sorgen, wenn er dadurch wenigstens besser voran kam?

Der Weg bis hierher war lang gewesen und die ganzen feindlichen Patrouillen hatten ihn in den letzten Stunden immer wieder zu neuen Wendungen gezwungen. Seine Fährte würde nicht einfach zu verfolgen sein, doch um Minoru brauchte er sich deswegen nicht zu sorgen.

So zögerlich der auch auf Gegner reagierte, bei der Jagd war er beängstigend präzise und tödlich. Ein Grund, warum Takeru ihm diese Aufgabe überlassen hatte. Im Gegensatz zu einem ausgewachsenen Yōkai, der seine Energie alleinig aus der dämonischen Aura beziehen konnte, waren sie noch auf so lästige, weltliche Dinge wie Nahrung oder Schlaf angewiesen – ein erheblicher Nachteil, wenn man, wie nun, schnell von einem Ort zum anderen wollte. Er hatte diese Behinderung unterschätzt, als er sein Rudel verlassen hatte und schalt sich dafür auch noch Monate später. Zuhause hatten die Patrouillen dafür gesorgt, dass weder die Kinder noch die gewöhnlichen Wölfe, die das Rudel begleiteten, verhungerten. Frisches Fleisch war eine Selbstverständlichkeit gewesen, für die er in seinen jungen Jahren nie hatte arbeiten müssen, Hunger ein Wort ohne Inhalt.

Dementsprechend kläglich und erfolglos waren seine ersten Jagdversuche ausgefallen, auf denen er trotz seiner Schnelligkeit summa summarum zwei, maximal drei Kaninchen erlegt hatte. Das reichte nicht einmal um den Magen für eine Woche zu füllen, geschweige denn für Monate.

Dass Minoru ihn nicht schallend ausgelacht hatte, als sie zum ersten Mal zusammen auf die Pirsch gegangen waren, hatte Takeru vermutlich nur der Tatsache zu verdanken, dass sein Begleiter sich zu derartigen Ausbrüchen nicht herabließ. Da war er trotz Kitsuneanteil ganz Inuyōkai und die waren bekannt für ihren beinahe arroganten Stolz und die große Distanz, die sie zu anderen wahrten – und auch wenn Minoru angab, mit seinem Volk nichts zu tun zu haben, trafen diese bei den Ōkami verschrieenen Wesenszüge bei ihm erschreckend zu.

Als sie sich zum ersten Mal aufeinandergetroffen waren, hatte Takeru lernen müssen, was es hieß einem Hund auf den Schwanz zu treten – und das war verflucht einfach.

Nun hätte er in seiner maßlosen Güte, mit der er den Weißen angeboten hatte, ihm von dem viel zu großen und schweren Reh ein Stück abzunehmen, vielleicht bereits nach den ersten zwei Minuten der beklemmenden Stille bemerken sollen, dass sein Gegenüber ihn zwar klar und deutlich gehört hatte, jedoch einfach nicht teilen wollte – statt sich hitzig nach dem Zustand seines Gehörs zu erkundigen. Takeru hatte feststellen müssen, dass es einem niedrig geborenen Hundemischling ohne Manieren ziemlich egal war, ob er der Erbe des Nordens war oder nicht. Zuhause hatte er sich höchstens aus Spaß mit einigen anderen Kindern gerauft, aber keiner von denen hätte ihn je beleidigt oder gar ernsthaft angegriffen – auch nicht in einem chaotischen Stamm wie seinem. Minoru hingegen hatte diesen Fakt auch auf ausdrücklichen Hinweis ignoriert, so wie er alles zu ignorieren schien, das ihn auch nur im Geringsten störte. Manchmal wünschte sich Takeru, dass alle Dämonen, die ihnen mit feindlicher Gesinnung begegneten, den Hund darauf hinwiesen, für wie klein und mickrig sie ihn hielten. Damit bekam man mehr Feuer in seinen Blick als mit einer direkten Drohung, bei der er immer noch zu überlegen schien, ob eine wehrhafte Haltung nun lohnte oder nicht.

Nachdem die beiden sich damals gegenseitig ordentlich Fell ausgerissen und den halben Wald zusammengeschrien hatten, hatte Minoru doch mit ihm geteilt. Takeru wusste bis heute nicht warum. Zwar hatte er sich bei ihm für seine unfreundliche Art entschuldigt, aber das allein hätte Minoru sicherlich nicht dazu bewegt, ihn an seiner Beute zu dulden. Aber was wusste er schon, was in diesem Kopf vorging.

Takeru rieb die Hände aneinander. Durch Fell hatte er der Winterkälte gut trotzen können, doch nun sehnten sich seine Hände nach einem warmen Lagerfeuer und sein Magen nach totem Tier. Der Regen hatte nachgelassen, aber der Wind fegte unbarmherzig zwischen den Felswänden entlang und kühlte den Stahl seines Brustpanzers mit Nachtfrost. Vergeblich bließ Takeru seinen Atem in die hohlen Handflächen und gähnte anschließend lang. Dann hielt abrupt inne. Vor ihm schoben sich ein gutes Dutzend Wölfe aus dem Schutz der Felsen und bauten sich mit gefletschten Zähnen zu voller Größe auf. Jedes Haar einzeln aufgestellt und mit zum Zerreißen gespannten Muskeln funkelten sie ihn aus wilden Augen an. Takeru wurde schlagartig übel. Er war seit Beginn der Reise so versessen darauf gewesen, die vertraute Höhle hinter dem Wasserfall zu erreichen, dass er verdrängt hatte, was passieren würde, wenn niemand erfreut war, ihn zu sehen. Dass aber ausgerechnet die Wölfe ihn so empfingen, versetzte ihm einen besonderen Stich. Die Tiere kümmerten sich nicht um politische Allianzen, sondern nur um persönlichen Verrat – und das wog schwerer. Hatten seine Eltern ihn verstoßen, wie er befürchtet hatte und kamen nun nicht einmal selbst, um den verfluchten Sohn ins Exil zu jagen?

„Beruhigt euch“, sagte Takeru und hob beschwichtigend die Hände. „Wenn ich nicht willkommen bin, werde ich wieder gehen.“

Der Rüde unmittelbar vor ihm geiferte und sprang auf ihn zu ohne auch nur eine Antwort zu erwägen. Takeru wich zur Seite aus. Er konnte unmöglich das Rudel angreifen! Wieder entging er schnappenden Kiefern nur knapp und zog die Hand gerade noch schnell genug an den Körper, bevor einer der Wölfe sie erfasste. Die gesamte Meute stürzte sich wie auf einen stummen Befehl auf ihn. Er hob abwehrend die Hände, aber sie brachten ihn augenblicklich zu Boden, pressten die schweren Körper auf seine Brust und verbissen sich in seiner Schulter, als sei er erlegte Beute.

„Lass das! Runter von mir!“ Takeru packte einen von ihnen im Nackenfell, drückte die Kiefer auseinander, die die Zähne in seine Schulter trieben und warf ihn weit von sich. Das Tier machte noch in der Luft eine Wendung und stürmte beim geringsten Bodenkontakt erneut auf ihn zu. Der Schwerste von ihnen lag auf ihm und riss ihm den Brustpanzer herunter als sei er aus Pappe. Das war Wahnsinn! Sie wussten, dass sie ihr Leben riskierten! Viel zu spät traf ihn die Erkenntnis, dass etwas nicht stimmte. Dass ihr Geruch seltsam fremd war. Wie hatte er das nur übersehen können? Ein anderes Rudel sicherlich, aber auch die hätten ihn erkennen müssen, hätten zumindest mit ihm sprechen – nein. Sie sprachen nicht! Warum sprachen sie nicht?!

Gerade als er sich mit Gewalt von ihnen freimachen wollte, legte sich kalter Stahl an seine Kehle. Sein Vater ragte ausdruckslos über ihm aus, bewegte die Klinge bis zu seinem Kinn empor. Takeru fuhr zusammen und starrte ihn an. Bis er begriff, dass auch das hier von Grund auf falsch war. Dass er Kōgas vertrauten Geruch längst wahrgenommen hätte, wenn er so dicht bei ihm gewesen wäre. Die Witterung, seine Aura, die schweigenden Wölfe. Nichts stimmte. Seine Lider wurden schwer und ohne dass er etwas daran ändern konnte, fühlte er sich mit einem Mal ausgelaugt und müde. Unendlich müde.

„Dummer kleiner Wolf“, sagte eine glockenhelle Stimme über ihm, während die Gestalt seines Vaters zu der einer rothaarigen Frau mit grünen Katzenaugen verschwamm. „Hast du wirklich geglaubt, so leicht mit eingezogenem Schwanz zu deinen Eltern zurückkriechen zu können? Wie einfältig von dir.“

Der Untergrund wurde weicher, wurde zu Gras und Takeru kam eine letzte Erkenntnis bevor der Schlaf ihn übermannte: Das alles war Illusion. Er war nicht im Gebirge, vermutlich war er dort nie angekommen.
 

Kappa hatten eine bedauernswert kurze Schrittlänge. Selbst die Größten von ihnen reichten Minoru kaum bis zur Hüfte und so bildeten die Speeren dieser gut zweihundert Kopf starken Armee ein Meer aus stahlbesetzten Spießen, das er problemlos hatte überblicken können – wenn er den menschlichen Körper nicht wieder aufgegeben hätte. Der aufrechte Gang mit gebrochenen Rippen und schmerzendem Körper war unerträglich gewesen. Auf allen Vieren fiel das Atmen leichter, obwohl er weiterhin bei jedem tiefen Atemzug zusammenzuckte.

Mit Ruhe konnte er das auskurieren, aber Jaken hatte es eilig. Auch wenn bei seiner Bergung von einer Schlange keine Spur gewesen war, hatten sie in den Augen des Heerführers zu viel Zeit verschwendet und neben den Konsequenzen für sein loses Mundwerk fürchtete er offensichtlich auch für eine Verspätung zur Rechenschaft gezogen zu werden. Wobei Minoru die leise Ahnung beschlich, dass Jaken die Schuld nicht auf sich nehmen würde. Warum der Kappa dennoch Wert darauf legte, ihn stundenlang zu belehren, wenn er ihn ohnehin ans Messer liefern wollte, erschloss sich ihm nicht. Vielleicht wollte er ihn reizen – oder einfach foltern.

Von einer handvoll Diener geschleppt und den mit zwei geschnitzten Köpfen geschmückten Stab im Schoß ruhend, saß der kleine Heerführer auf einem Holzpodest – einer Bühne für seine elendig lange Predigt über Betragen und Ehrgefühl. Nicht zu vergessen sein heruntergekommenes Auftreten und die Ungehörigkeit, dem allerhöchsten Vertreter des Fürsten mit Missachtung zu begegnen. Natürlich sprach er von sich selbst und wieder wähnte Minoru sich in einer grotesken Version der Realität, die seinem Vater vor Lachen Tränen in die Augen getrieben hätte.

Die einzige Erleichterung war, dass Jaken diese Lektionen in einem nie endenden Monolog hielt. Niemand erwartete Antworten von einem Hund – die Erscheinung allerdings ein weiterer Punkt, der dem Kappa missfiel.

Das Gefasel hing ihm allmählich zum Hals heraus, dennoch gemahnte sich Minoru zur Vorsicht. So surreal die Situation auch sein mochte, war möglich, dass ein Funken Wahrheit in alledem steckte und dann konnte das hier übel enden. Die Kappa waren, wenn überhaupt, eine zusätzliche Streitkraft des Westens, die in gewässernähe effektiv sein mochte. Wenn Jaken also drohte, dass er sich für sein Verhalten verantworten müsse, dann sicher vor einem höher gestellten Kommandanten.Wofür genau hier Absolution nötig wurde, hatte Minoru jedoch immer noch nicht begriffen. Hatte er eine geltene Ausgangssperre gebrochen? Verbotenes Gelände betreten oder war es schlicht verboten, zu ersaufen? Wenn er dem Kappa zuhörte, war sein Auftreten allein schon strafbar. Und so unwahrscheinlich war keine der Annahmen.

Was er über den Westen wusste, hatte seine Mutter ihm beigebracht und dabei nicht ein gutes Wort übrig gehabt. Ihrem Land den Rücken zu kehren, mit einem Mann zu leben, den sie selbst gewählt hatte, hatte sie zu einer Aussätzigen gemacht. Einer Verräterin obendrein, da sie nicht einmal den Anstand besessen hatte, mit einem Inu durchzubrennen. Die Rückkehr in den Westen wäre ihr sicherer Tod gewesen. Im Volk ihres Mannes war sie jedoch ebenso wenig geduldet. Also verbrachte sie ihr Dasein in einer entlegenen Hütte im Süden, zu der sich nur sein Vater hin und wieder verirrte. Aus Pflichtgefühl heraus, denn von der früheren Liebschaft war nichts weiter geblieben als ein gemeinsames Kind. Das Zeugnis einer Verbindung, die es nie hätte geben dürfen.

Vermutlich war die Konstellation auch nicht die beste, um eine funktionierende Familie aufrechtzuerhalten. Vielleicht lag es aber auch daran, dass seine Mutter ein abgrundtief böses Miststück war, bei dem Minoru sich bis heute fragte, was sein Vater jemals an ihr gefunden haben mochte. Sie war so hassenswert wie sie schön war – und auf ihre Schönheit berief sie sich nur allzu gern.

Um ihm ein Leben in irgendeiner Gesellschaft zu ermöglichen, hatte sie ihn daher auf eine Stellung am südlichen Hof vorbereiten wollen, wo sein Vater in der Armee diente. Dort verfuhr man weniger engstirnig mit dem Bastard eines Soldaten und hätte ihn vielleicht als Dienstburschen akzeptiert.

Im militaristischen Westen war es undenkbar, einem Mischling mit zweifelhafter Loyalität eine Anstellung bei Hofe oder gar in der Armee zu erlauben. Hier konnte er froh sein, wenn er als Sohn einer Blutverräterin den Kopf behalten durfte.

Minoru stapfte durch eine Pfütze und schnaubte den Regen von seiner Nase. Was für eine selten dämliche Idee es gewesen war, sich von Takeru zu trennen. Wenn er das nächste Mal so genial selbstlose Einfälle hatte, schüttelte hoffentlich jemand sein Spatzenhirn an die richtige Stelle und rückte seine Prioritäten zurecht. Er hatte gewusst, dass der Westen gefährlich war! Dass es unklug war, große Landstriche mit Zeitdruck zu passieren. Nun hatte er Takerus Fährte verloren, keinen blassen Schimmer wie weit der Mogami ihn westwärts getrieben hatte und wusste nicht einmal, ob der Wolf noch lebte oder am Grund des Flusses von den Aalen gefressen wurde! Dennoch war Aufgeben keine Option. Er hatte sein Wort gegeben. Er mochte am Leib nichts als Fetzen tragen, eine dumme Entscheidung getroffen haben und aus Pfützen saufen, aber niemand würde ihn des Wortbruches bezichtigen. Schon gar nicht gegenüber einem Freund.

Gegen Mitternacht war er so erschöpft, dass er seit geraumer Zeit Jaken beneidete, der auf seiner Trage eingeschlafen war. Minorus Pfoten tappten mechanisch über den weichen Boden und der Regen war zu einem einlullenden Hintergrundrauschen geworden. Als ein Lagerfeuer in Sichtweite kam, wurde Jaken geweckt. Der Kappa ließ die Truppen bis ans Feuer marschieren, dann hüpfte er auf den Boden und entließ seine Diener mit einer großspurigen Geste. Der Tross setzte sich wieder in Bewegung und watschelte zu einem nahegelegenen Bach. Nur eine Hand voll Wächter blieb zurück und Jaken, der in der Nähe des Feuers auf- und abging, als wäre er es, den man nun warten ließ.

Minoru blickte auf die Flammen, die das regennasse Holz knacken ließen und Funken spuckten. Es war lange her, dass er sich an einem Feuer gewärmt hatte. Er genoss die Hitze, die ihn umfing wie ein zweites Fell und seine dunkle Nase trocknete, die vielleicht eine Spur zu nahe an den Flammen hing. Aber die Wärme machte ihn auch träge. Müder, als er ohnehin schon war und da sich sonst nichts rührte, beschloss er, sich einen Moment vor dem Feuer hinzulegen. Nur kurz.

Die Berührung einer Hand riss ihn aus dem Tiefschlaf. Der Geruch von Fisch und Mensch übermannte ihn und als die junge Frau vor ihm in die Knie ging und erneut die Hand zwischen seine Ohren legen wollte, setzte etwas in ihm ein, das sie um ein Haar die Finger gekostet hätte. Doch da fuhr bereits der Kopfstab auf Minoru herab.

Dieses Mal war er schneller, warf sich herum und trieb die Kiefer in das Holz bis Splitter flogen.

Sein geschundener Körper protestierte, aber das war es wert. Der Kappa riss am Stab, schrie Feuer und Mordio, als habe Minoru die Zähne stattdessen in seinen kahlen, grünen Schädel geschlagen. Der wandte den Kopf und warf den Stab mitsamt daran hängenden Yōkai über die Wiese. Unbeholfen überschlug sich der Wicht und bremste mit der Nase voran im Gras.

Ein kurzer Triumph, denn kaum hatte Minoru das Maul wieder geschlossen, griffen die Wachen ein. Ein Schwert hieb auf ihn zu, etwas traf schmetternd seine Wirbelsäule und die Lanze, die in seine Seite fuhr, brachte ihn zu Boden. Nasses Gras schlug ihm ins Gesicht. Er riss das Maul auf, japste nach Luft, nach der sein Körper verlangte, während seine malträtierten Rippen ihn dafür hassten. Die Kappa umstellen ihn, wichen jedoch abrupt auseinander, als die Frau ihnen entgegentrat.

„Lasst ihn! Was fällt euch ein?“, sie riss einem der Dämonen die Lanze aus der Hand und drosch ihm die stumpfe Seite auf den Kopf. Dann rammte sie die Waffe mit der Spitze voran in den Boden und ließ sich neben Minoru ins Gras fallen. „Ganz ruhig. Wir schaffen das schon. Nur die Ruhe, mein Kleiner.“

Er verwandelte sich und packte ihr Handgelenk, stieß sie von sich weg. Ihre braunen Augen waren schreckgeweitet, als das, was sie für einen Hund gehalten hatte, keiner war. Fluchend presste er die Hand auf die Wunde an seiner Seite, die die Verwandlung nur weiter aufgerissen hatte, kämpfte sich auf die Knie und zog das, was von seinem Hemd übrig geblieben war über den Kopf. Mit den Fangzähnen zerriss er den Stoff, wickelte ihn um sich und zog keuchend einen festen Knoten.

„Jaken.“ Die Stimme ließ jeden Kopf im Umkreis von hundert Metern herumschnellen. „Erst diese Idee, deinesgleichen hieran zu beteiligen, und nun lässt du mich warten?“

Der Kappa gefror zur Salzsäule und warf sich umgehend selbst wieder in den Schlamm, während sich über ihm eine hochgewachsene Gestalt in voller Rüstung aufbaute. Der Blick des Yōkais lag gleichgültig auf dem zitternden Kappa zu seinen Füßen und auch Minoru schauderte, als der Mann sich ihm zuwandte. Das Haar so weiß wie die Kleidung, die Dämonenmale an Wangen, Lidern und Handrücken in tiefem Magenta und bernsteinfarbene Augen, die einem das Fleisch von den Knochen schälten – Minoru musste nicht erst Witterung oder Aura nachspüren, um zu wissen, dass das da ein Inu war. Nein, mehr als das. Der gewaltige Pelz, der sich um seine rechte Schulter und seinen Rücken herabwandt, war so dick wie die Schlange im Mogami. Das feine, weiße Fell wogte federleicht unter der Aura des Dämons, als reagiere es auf jeden Atemzug. Das da war kein Tierpelz – es war ein Teil von ihm. Minorus Gedanken überschlugen sich. Während der Großteil der Dämonen nicht einmal in der Lage war, eine menschenähnliche Form anzunehmen, war diese für Daiyōkai nichts als Blendwerk. Eine kompakte Möglichkeit, das Biest hinter hübscher Kleidung und Zierrat zu verbergen.

Umgehend wandte er den Blick zu Boden und versuchte einen klaren Gedanken zu fassen. Das war unmöglich. Niemand hatte so viel Pech an einem Tag! Er konnte nicht einfach irgendeinem Hundedämonen begegnen, nachdem er beinahe ertrunken war, nein. Er erwischte gleich den Daiyōkai! Und wenn er nur einen Moment bedachte, wie selten diese Wesen waren und was es brauchte, damit man einen Teil seiner wahren Gestalt auch noch in seiner jetzigen Erscheinung wahrnahm, dann war das der Fürst des Westens persönlich.

Der Kappa war eigentümlich blass geworden und stammelte vor den Füßen seines Meisters etwas von Flüssen und Ertrinkenden.

„Die Kappa haben ihn mitgebracht, Sesshōmaru-sama“, mischte sich die Frau ungefragt ein, als Jaken keinen verständlichen Satz zustandebrachte. „Ich war aufdringlich und es gab ein Missverständnis. Nichts weiter.“

Jaken vergaß für einen Moment, dass er Luft sein wollte und fuhr wütend herum: „Er wollte dich umbringen, du dumme Gans!“ Dann verschmolz er wieder der Länge nach mit dem Gras. „Natürlich habe ich Rin umgehend vor jedem Schaden bewahrt, mein Fürst, und e-er hat uns belauscht und von Euren hohen Plänen gehört-“

Minoru wurde eiskalt als die beiden nicht nur seine größte Sorge bestätigten, sondern der Kappa ihn obendrein mit wenigen Worten ans Messer lieferte. Belauscht! Als hätte er eine Wahl gehabt! Er hätte panisch werden sollen, das Ende fürchten, das ihm kurz bevor stand, doch stattdessen brandete eine Welle heißer Wut durch seinen Körper und zog seine Kehle zusammen. Wenn er lebend hier herauskam, würde er diesem Abklatsch von einem Dämon den hässlichen Schädel vom Rumpf reißen! Mal sehen, ob ihm das dann 'angemessen' genug für dieses Volk war! Bevor der Kappa die Behauptung jedoch weiterspinnen konnte, fuhr eine ungleich heißere Aura über sie alle hinweg.

„Zwei der Soldaten haben ihn aus dem Mogami gefischt“, jammerte Jaken ob des Gemütsausbruchs seines Herrn und gestikulierte wild. „Ich wollte sofort zu Euch, Meister. Ich schwöre es. Aber ich konnte auch nicht geringsten Eurer treuen Untertanen dem sicheren Tod überlassen. Auch wenn er genau das ist – der geringste, gewöhnlichste, abstoßendste Hund, der mir je untergekommen ist!“

„Jaken-sama! So etwas solltest du nicht sagen!“

Quietschend vor Entrüstung sah der sich zu Rin um: „Hast du Augen im Kopf? Sieh dir das Elend doch an! Er trinkt aus Pfützen! Und er hat in meinen Stab gebissen! In meinen wunderbaren Jintōjō, den Sesshōmaru-sama mir persönlich gegeben hat! Dieses undankbare, unselige Balg!“

Wenn es den Inu no Taishō kümmerte, dass diese beiden Kuriositäten vor ihm stritten, ließ er es sich nicht anmerken. Er hatte offenbar gehört, was er wollte und wandte seine Aufmerksamkeit Minoru zu, der seinen Blick auf sich spürte wie ein Brandeisen. „Warum bist du hier?“

Er hätte versuchen sollen abzuhauen, als er noch die Möglichkeit gehabt hatte. Zweihundert Kappa und eine handvoll gebrochener Rippen. Das wäre sicherlich nach hinten losgegangen, aber nun war jedwede Flucht vollkommen sinnlos.

„Nun?“

„Wenn Ihr erlaubt, behellige ich Euch nicht weiter und gehe“, antwortete Minoru. Es war demütig geplant gewesen, eher eine Betonung seiner Nichtigkeit, aber er bereute den Wortlaut umgehend. Doch sein Gegenüber blieb ruhig.

„Das habe ich nicht gefragt.“

Minoru sah zu dem Fürsten auf. Die Gelassenheit, die er an den Tag legte, verwirrte ihn. Natürlich hatte jemand wie er es nicht nötig, laut zu werden, aber auf diese Anmaßung hätte in der Regel eine umgehende Strafe folgen müssen, die absonderlicherweise ausblieb. Wenn er es gewagt hätte, diesen Ton gegenüber seiner Mutter anzuschlagen, hätte sie ihn die Klauen durchs Gesicht gezogen noch bevor er den Satz beendet hatte. Und hier stand der Fürst des Westens, mit einer Art, die absolutes Desinteresse verkündete und gleichsam Antworten verlangte. Minoru schluckte. Er hätte vom Fluss berichten können, davon, dass Jaken sich verplappert und ihm mitgezwungen hatte, aber das war nicht der Kern. Er war nicht im Westen, weil ihn das Heer aus dem Fluss gezogen hatte und dieser Mann wünschte offensichtlich keine überschwänglichen Erläuterungen.

„Ich will nach Norden.“

„Du bleibst über Nacht. Morgen früh wirst du zu deinen Eltern gebracht.“

Minoru stellten sich selbst in menschlicher Form die Nackenhaare auf. Die Rationalität hätte ihm gesagt, dass der Taishō nicht ahnen konnte, wer oder wo seine Eltern waren. Dass er ihm eher den Kopf abschlagen als eine Eskorte zur Seite stellen würde und es hier nur darum ging, einen Jungen loszuwerden, der seinen Feldzug behinderte. Dass es eine Möglichkeit wäre, zu entkommen. Stattdessen setzte eine so umfassende Leere ein, dass ihm übel wurde. „Nein.“

Der Fürst, der sich bereits halb abgewandt hatte, drehte sich wieder zu ihm und zum ersten Mal lag so etwas wie eine Regung in seinen Zügen. „'Nein'?“

Jaken sog scharf die Luft ein, bevor er erneut wild gestikulierend auf Minoru zusprang: „Wie kannst du es wagen zu widersprechen? Weißt du nicht, wer vor dir steht? Sei still, du dummer Junge, sonst verlierst du noch den Kopf!“

„Das reicht jetzt!“, zischte die junge Frau dem Kappa zu, der gleichermaßen zurückzischte. Dann wandte sie sich Minoru zu. „Hör mal. Wenn du nicht weißt wohin, werden wir jemanden finden, der sich um dich kümmert.“

Er erwiderte den mitleidigen Ausdruck in ihren braunen Augen, als hätte sie ihm mit sanfter Stimme ins Gesicht gespuckt. Jaken, der neben Minoru verstummt war, verstand nur allzu gut, was sie da gerade angedeutet hatte und starrte sie fassungslos an, ehe er resigniert seufzte.

„Ich weiß wohin“, knurrte Minoru dunkel und richtete sich trotz der schmerzenden Stichwunde auf. Die Muskeln an seinem Hals spannten sich an und als er die Hände bewegte, knackten die Gelenke hörbar. „Ich brauche niemanden, der sich um mich kümmert.“

Sie wollte etwas erwidern, das keinesfalls gut ausgegangen wäre, hielt sich jedoch zurück, als Jaken lautstark hüstelte und mahnend den Kopf schüttelte.

„Du solltest nicht nach Norden“, sagte sie stattdessen. „Ich weiß nicht, was du dort suchst, aber es wäre besser, zumindest zu warten. Dort ist es gefährlich.“

„Ich weiß, was dort ist.“

„Du bleibst die Nacht“, wiederholte der Inu no Taishō, als habe die geladene Konversation vor seinen Augen nie stattgefunden. „Bis ich anders entscheide. Jaken. Er unterliegt deiner Verantwortung.“

Der Kappa öffnete den spitzen Mund zu Widerspruch, dann jedoch äugte er über die Schulter hinauf zu Minoru, die Pupillen seiner gelben Katzenaugen zu Schlitzen verengt.



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