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Von Untiefen

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Von Untiefen

Ihre Füße sanken in den Sand ein. Die steife Brise zerwühlte ihr Haar. Der Riemen des Korbes schnitten ihr in die Schulter, dennoch bückte Gerrit sich nach dem nächsten Stück Treibholz. Hier auf der Insel gab es nur wenig Feuerholz, weswegen jede Familie Treibholz sammelte. Meist war es Aufgabe der Kinder. Gerrit sog die salzige Luft tief in ihre Lungen als sie sich wieder aufrichtete. Ihr Blick glitt hinaus über die wogenden Wellen und blieb an einem Fischerboot hängen. Sie presste ihr Lippen zusammen. Es war so unfair! Tobi durfte mit raus zum Fischen, aber sie nicht, nur weil sie ein Mädchen war. Dabei war Tobi zwei Jahre jünger als sie.

Sie kickte einen Stein, der auf vor ihren Füßen im Sand lag, weg. Sie wollte auch rausfahren aufs Meer. Fische fangen und Abenteuer erleben, stattdessen musste sie Treibholz sammeln!

Sie warf das aufgehobene Holzstück in den Beutel zu dem restlichen Holz. Es ließ sich nicht ändern, also kam sie besser ihrer Pflicht nach. Weiter lief sie am Strand entlang, den Blick auf der Suche darüber schweifend. Sie war schon auf dem Rückweg und fand darum keine weiteren silbrig, verwitterten Äste.

Mit dem, einigermaßen gut gefüllten Beutel auf dem Rücken, erreichte sie den Rand des Dorfes. Dort gab es einen mit Steinen befestigten Weg, der sie zum kleinen Hafen führen würde. Kurz vorher gelangte sie bei der kleinen Hütte ihrer Familie an. Davor saß ihr Großvater auf einem Stuhl und flickte ein Netz. Ein Lächeln wuchs auf Gerrits Lippen. Wenn sie schon nicht mit zum Fischen durfte, so konnte sie das Zweitbeste tun. Sie beeilt sich ihren Beutel in die Küche zu ihrer Mutter zu bringen, ihn dort neben den Herd zu stellen und hinauszulaufen, bevor ihr eine neue Aufgabe erteilt werden konnte.

Gerrit setzte sich auf die von der Sonne gewärmten Steine zu Füßen ihres Großvaters.

Sie liebte es dort zu sitzen, wenn er Netze flickte. Obwohl er schon lange nicht mehr mit den anderen Fischern des Dorfes hinausfuhr, seit es mit seiner Gesundheit schlechter wurde. Der Alte war ein wenig wirr im Kopf und taugte nur noch für häusliche Hilfsarbeiten. Gerade seine wirren Geschichten faszinierten Gerrit, sie waren immer voller spannender, neuer Dinge.

„So, sitzt du wieder hier bei einem alten Mann?“

„Ich leiste dir Gesellschaft, Opa.“

„Gesellschaft, so, so.“

Eine Weile herrschte Schweigen, in denen die knorrigen Finger ihres Opas langsam, aber geschickt und äußerst präzise, neue Knoten knüpften.

„Du musst dich vor den Untiefen in Acht nehmen.“, murmelte der Alte ohne Zusammenhang.

„Warum das?“

„In den Untiefen lauern entsetzliche Gefahren auf Seemänner. Dort herrscht das Wesen der Untiefen. Pass auf, sonst holt es dich. Sein geschuppten Körper ist langgestreckt und mit spitzen Stacheln bewehrt. Sein Maul ist voller scharfer Zähne, die den härtesten Panzer knacken können. Meist ringelt es sich um scharfkantige Felsen. Das ist sein liebster Rückzugsort. Seine Schuppen ermöglichen ihm eine perfekte Tarnung, da sie sich jeder Umgebung anpassen können. Es hat hundsgemeine Taktiken, um Schiffe anzulocken und sich an deren Mannschaft gütlich zu tun. Nachts im Mondlicht leuchtet sein Körper und gaukelt einem vor, dass sich dort ein großer Fischschwarm befände. Viele tausend Fische, deren silbrige Schuppen das Mondlicht reflektierten. In mondlosen Nächten schickt es grelle Blitze durch das Wasser. Wer sich von seinem Schauspiel anlocken lässt, ist verloren. Das man ihm auf den Leim gegangen ist, merkt man erst, wenn man zwischen seinen Kiefern zappelt.

Zu anderen Zeiten verursacht es hohe Wellen und Brecher, die ein Schiff zum Kentern bringen können. Gekenterte Schiffe, reißt es in die Tiefe und zerrt Seemänner daraus, um sie zu Fressen.

Dann wieder hebt es den Meeresboden an, so dass Schiffe auf Grund laufen und zerbersten. Von festgelaufenen Schiffe holt es sich die Mannschaft, einen nach dem anderen. Wer es mit dem Wesen der Untiefen zu tun bekommt, um den ist es geschehen.“

Gerrit nickte. „Das werde ich, Opa,“ versprach sie, obwohl sie sich recht sicher war, dass sie diesen Rat kaum gebrauchen konnte. Wenn sie mit rausfahren dürfte, wäre es etwas anders, aber so, nun ja.

Der Alte lächelte und legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Gut. Umschiff die Klippen in deinem Weg, ich bin mir sicher du wirst ihn verfolgen. Wünsche musst du verfolgen, sonst schlüpfen sie durch die Maschen deines Netzes.“

Gerrit blickte zu ihm auf. Sie war sich unsicher, ob er wusste, wovon sie träumte, aber dass war egal. In diesem Moment zählte nur, dass er an sie glaubte. Seine Worte ließen sie wissen, dass er daran glaubte, dass sie ihre Wünsche verwirklichen konnte. In ihr reifte der Entschluss, sich seinem Vertrauen würdig zu erweisen. Sie lehnte sich an sein Bein. Er verstand sie sicherlich auch ohne Worte. In einvernehmlichem Schweigen saßen sie da, umgeben von Wind und Wellenrauschen den Blick auf das, von ihnen beiden geliebte, Meer gerichtet.



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von: Futuhiro
2017-02-05T16:18:15+00:00 05.02.2017 17:18
Okay ...!? XD
Das Ungeheuer war mir ein bisschen zu allmächtig. Es ist ja okay, wenn es den einen oder anderen Trick drauf hat, um sich seine Beute zu schnappen. Aber so viele Sachen auf einmal ... Blitze verschießen, Wellen schlagen, den Meeresboden anheben, sich chamäleon-artig tarnen ... Wouw. :D
Aber die Aussage hinter der Geschichte war schön. ^^
Von: abgemeldet
2016-04-28T11:34:32+00:00 28.04.2016 13:34
Ich habe ja so schon Angst vor Unterwassermonstern in Filmen und so, aber dieses scheint neben einem gruseligen Erscheinungsbild auch noch ziemlich schlau zu sein. Aber dadurch kommt es mir mehr so vor, als habe ich gerade ein Kapitel aus Odyssee's Reise gelesen. Sehr spannend und fantasievoll erzählt, finde ich!
Antwort von:  Salix
28.04.2016 22:35
Danka schön. Das du die Monster gruselig findest, gefällt mir. An die Odysee habe ich eim Schreiben gar nicht gedacht, mir ging es darum den Großvater sein Seemannsgarn spinnen zu lassen und da passten Unterwassermonster einfach am besten. Und ich habe mich an ein paar spannende Viecher aus einem Artikel über Lebewesen in den Meerestiefen, die mit Lichteffekten jagen oder verwirren, erinnert.
Von:  Flying-squirrel
2016-01-20T13:25:30+00:00 20.01.2016 14:25
Das Monster lässt die Seeleute auf Untiefen stranden und lebt in der Untiefe, da sind also definitiv beide Bedeutungen :) .
Ich hatte auch ein paar Probleme mit der Kommasetzung und fand die zweite Hälfte zu schnell, da kann man noch ein bisschen mehr Atmosphäre aufbauen. Bei Veku's Beispielssatz hätte ich die Kommas einfach weggelassen.
Die Idee ist super, gerade weil Untiefe als Fach- und umgangssprachliches Wort schwierig für eine Januswort-Geschichte ist. Du hast die beiden Bedeutungen gut und unauffällig eingebunden, wie man sieht...
Antwort von:  Salix
20.01.2016 23:08
Danke für die lieben Worte.
Kommasetzung ist meine größte Schwäche in der Rechtschreibung, ich habe noch ein wenig verändert, aber es können immer noch Fehler enthalten sein.
Es freut mich, dass du die zweite Bedeutung entdeckt hast, um es etwas deutlicher zu machen, habe ich dennoch einen Satz verändert. Vielleicht werde ich irgendwann auch deinen Rat noch befolgen, nur derzeit, fällt mir nicht ein, wie ich noch mehr Atmosphäre im zweiten Teil aufbauen kann.

Liebe Grüße
Von:  Veku
2016-01-18T23:29:36+00:00 19.01.2016 00:29
hi,

"Untiefe" ist ein gutes Januswort, wollte ich mir auch erst nehmen *zwinker*

Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob ich deine Geschichte um das Wesen in der Untiefe verstanden habe, bzw. ob ich beide (gegensätzlichen) Bedeutungen erkannt habe.
Denn durch die Erzählung des Großvaters geht hervor, dass das Monster in den Tiefen des Meeres zu Hause ist und von dort aus auch zuschlägt. Übrigens finde ich das sehr eindrücklich erzählt, man hat eigentlich gleich eine Vorstellung davon und möchte gewiss keinen Kontakt damit =), aber... wo ist die andere Bedeutung des Wortes? Sprich, die seichtere Stelle der Untiefe?

Ansonsten ist mir noch eine Stelle aufgefallen:

Gerrit setzte sich auf, die von der Sonne gewärmten, Steine zu Füßen ihres Großvaters.

Irgendwie musste ich den Satz öfter lesen, bis ich ihn verstanden habe. Besser wäre es gewesen, wenn du den Satz etwas anders geschrieben hättest, z. B. "Gerrit setzte sich auf die sonnengewärmten Steine zu Füßen ihres Großvaters." Aber das ist nur eine Kleinigkeit, die ich erwähnen wollte.

Ansonsten war es sicherlich nicht einfach, solch eine Geschichte zu verfassen, kann ich mir vorstellen. An sich gefällt mir die Idee eigentlich sher gut. Ich hätte mir nur ein bisschen mehr Tiefgang gewünscht. Man merkt, dass Gerrit und ihr Großvater ein besonders gutes Verhältnis zueinander haben... aber für mich hat da noch ein bisschen was gefällt. Um es auf das Januswort zu beziehen, mehr Tiefe. Denn du hättest ja was die Wortanzahl angeht noch einiges an Luft nach oben gehabt.

Sprachlich kann ich kaum etwas bemängeln, hier und da ein fehlendes Komma, ansonsten gut zu lesen, sehr flüssig.
Antwort von:  Salix
20.01.2016 23:05
Danke, für deinen Kommentar. Ich habe mir die Kommata noch einmal angesehen, aber leider ist Kommasetzung meint größtes Manko...
Weil du mich darauf aufmerksam gemacht hast habe ich einen Satz verändert, um die zweite nautische Bedeutung deutlicher hervorzuheben.

Liebe Grüße


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