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Durch Aarsòns Augen

von

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Kapitel 1

 

 

 

Es handelte sich um jenen Dämon, der mich gefangen genommen und hierher in sein Reich verschleppt hatte, als ich noch bewusstlos gewesen war.

Ich rüttelte an den Fesseln und wollte wissen, mit was man mich gefesselt hatte. Aber als ich auf meine Handgelenke blickte, waren sie nicht zu sehen. Dennoch spürte ich sie.

Meine Atmung ging schneller, als ich wieder auf die Gestalt vor mir blickte und wie langsam sie sich mir näherte. So langsam, dass es mir wie in Zeitlupe vorkam.

Dabei hatte alles so gut angefangen, wenn ich nicht ihn ...

 

Wir hatten uns in einer Schwulenbar kennengelernt. Ich wollte an diesem Tag unter Menschen sein, einfach Spaß haben. Und da sah ich ihn, inmitten von Männern umgeben. In seiner menschlichen Gestalt fand ich ihn überirdisch schön und sein Lächeln galt nur mir, als er sah, wie ich ihn anstarrte. Mein Herz schlug zum ersten Mal schneller. Ich fühlte mich sofort zu diesem Mann hingezogen und sah mit Entzücken, dass ich ihm auch gefiel. Wir kamen schnell ins Gespräch. Ab da wusste ich, ich wollte mehr als nur ein oberflächliches Kennenlernen.

Alles um mich herum nahm ich kaum noch wahr, da ich nur Augen für ihn hatte. Mit seinen langen schwarzen Haaren und den dunklen Augen war er für mich mehr als nur anziehend. Zwar redeten wir über banale Dinge, Alltägliches, nichts Besonderes, aber als ich, während unseres Gespräches, einen Tick zu lange in seine Augen geblickt hatte, erkannte ich, dass er nicht menschlich war. Hinter seiner anthropomorphischen Maske verbarg sich ein Dämon. Denn seine Augen hatten für einen kurzen Moment die Farbe gewechselt, und waren rot geworden. Eigentlich hätte man das mit bloßem, menschlichem Auge oder Verstand nicht wahrnehmen können, aber ich schon. Für mich war es lang genug gewesen, um zu wissen, dass er kein Mensch war. Auch wusste ich aus unerklärbaren Gründen auf einmal seinen richtigen Namen und nicht den, den er mir zuerst vorgab, als wir uns einander vorgestellt hatten.

„Aarsòn?“

 

Als ich ihn erkannt und ihn mit seinem wahren Namen angesprochen hatte, war alles sehr schnell gegangen.

Der Dämon musterte mich, während er sich mir weiter näherte. Dies tat er immer noch sehr langsam.

Und nun war ich hier!

Dass ich den Dämon von einem früheren Leben her kannte, dessen wurde ich mir immer sicherer. Ich hatte es mir nicht nur vorhin in der Bar eingebildet. Noch wusste ich die Zusammenhänge nicht richtig einzuordnen und zu deuten. Aber eines wusste ich genau, dass wir uns nicht aus diesem Leben her kannten, sondern schon vor sehr, sehr langer Zeit, als es den Menschen so in der Form noch nicht gab.

Aber warum begann ich mich erst jetzt daran zu erinnern und nicht schon viele Leben davor? Ich hätte doch ein Bauchgefühl haben müssen, als ich in der Bibliothek Nachforschungen über mich anstellen wollte? Oder musste ich erst auf ihn treffen, um mich zu erinnern.

Schon immer hatte ich das Gefühl gehabt, dass wir nicht nur ein Leben lebten.

Aber noch stand ich vor einem großen Fragezeichen. Noch!

Der Dämon war inzwischen stehen geblieben. Er sah mich knurrend und fauchend an. Seine Reißzähne blitzten dabei gefährlich auf, als er sein Maul weit aufriss. Dann setzte er sich wieder in Bewegung.

 

Meine Gedanken schweiften zu meiner Person.

 

Ich wusste nichts von meiner Herkunft, hatte nie meine Eltern kennengelernt, als man mich urplötzlich vor einem Waisenhaus aufgabelte, als wäre ich vom Himmel gefallen.

Ich war noch sehr jung, konnte kaum sprechen, war zudem verängstigt und verwirrt, wie man mir später erzählte. Keiner wusste, woher ich kam. Eigentlich hätte ich unscheinbar gewirkt, wenn nicht meine Haare mich etwas anders aussehen ließen. Sie waren weiß, wie die eines Albinos. Ich trug sie mittlerweile sehr lang und meistens zu einem Zopf gebunden. Auch meine Haut war heller, schimmerte beinahe porzellanfarbig. Albinos sehen ungewöhnlich aus, aber dennoch war ich anders. Meine Augen waren nicht rot, sie waren stahlblau und von einer Reinheit geprägt.

Das machte mich irgendwie andersartig!

Man schätzte mein Alter anhand der Knochendichte, als ich später von einem Arzt untersucht wurde. Man gab mir dort denn gebräuchlichen Platzhalternamen John Doe. Der Arzt konnte nichts Ungewöhnliches an mir feststellen, als die Untersuchungen an mir abgeschlossen wurden.

Immer wenn ich versuchte, mich an die Zeit zurück zu erinnern, bevor man mich vor dem Waisenhaus gefunden hatte, legte sich ein Nebel vor den Verstand und eine Schwärze der Unwissenheit breitete sich aus.

Heute war ich so um die Dreißig, vielleicht war ich jünger, vielleicht älter. Was spielte es eine Rolle, ob ich jetzt 29 oder bereits 31 Jahre alt war. Meinen Geburtstag feierte ich seitdem an dem Tag, an dem man mich vor dem Waisenhaus gefunden hatte. Es war der erste Dezember.

Ich hatte weder in meiner Kindheit noch während meiner Jugend Freunde. Immer galt ich als Außenseiter. Ein Einzelgänger, der eigenbrötlerisch sich nicht anpassen wollte und konnte. Während Andere in dem Alter Fußball spielten oder sich beim Zocken von Videospielen begeisterten, las ich lieber Bücher über uralte Kulturen, und war mehr in Bibliotheken anzutreffen, als sonst irgendwo. Daher wurde ich gerne als ein Freak und Bücherwurm bezeichnet. Auch in der Schule passte ich mich nicht richtig an und die Lehrer hatten es schwer mit mir. Ich hatte mit manchen Themen Probleme. Zum Beispiel im Geschichtsunterricht wusste ich manchmal genau, dass manche Sachen, die die Lehrer uns anhand von Lehrbüchern lehrten, völlig falsch waren. Andere Dinge, wie Sprachen und Gebräuche hingegen, kamen mir zuerst neumodisch und fremdartig vor, bis mich das Gefühl überkam, sie zu kennen. Ich wusste genau, nein, fühlte, dass ich sie auch beherrschte und verstand. Daher spürte ich auch, dass es noch andere Sprachen gab, die man noch nicht entdeckt hatte, weil die Wissenschaft sie nicht entschlüsseln konnte. Alte Sprachen, die eigentlichen Schriftsprachen und wesentlich älter waren als die Hebräische. Viel antiker sogar als Sumerisch, eine isolierte, altorientalische Sprache. Aber keiner, außer mir, wusste, dass die erste Sprache, lange Zeit vor der Sumerischen, die Sprache der Götter war und man nannte sie nur: die Sprache der Alteingesessenen.

Ich wurde von Mitschülern ausgelacht, als ich meinen Verdacht äußerte. Selbst die Lehrer hielten es für Fantastereien. Ein Kind mit zu viel Fantasie eben.

Ab da zog ich mich immer mehr zurück, vertraute keinem mehr und sprach auch mit niemanden mehr darüber. Aber die Neugierde über meine Herkunft wuchs täglich an. Wer war ich und warum wusste ich Dinge, die Andere nicht wussten?

Ich kam ins Erwachsenenalter.

Meinen Namen änderte ich, sobald ich mein geschätztes achtzehntes Lebensjahr erreicht hatte. Der Name John gefiel mir nicht, ab da nannte ich mich Leonard Doe. Den Nachnamen beließ ich, der war mir egal.

Und ich musste, ob Waise oder nicht, irgendwann meinen Lebensunterhalt selbst bestreiten.

Nachdem ich das Waisenhaus verlassen hatte, suchte ich mir ein kleines Zimmer in der Nähe der Bibliothek. Es war nichts Besonderes und von der kleinen Unterstützung im Heim konnte ich vorerst das Zimmer für einen Monat mieten. Ich wurde ein Überlebenskünstler, jobbte mal hier mal da. Trotz meines Aussehens bekam ich meistens die Stelle. War es mein Charisma? Ich wusste es nicht. Oft brauchte ich nur den Menschen in die Augen zu sehen und schon sagten sie zu fast allem Ja und Amen. Ich konnte irgendwie in ihre Seelen blicken, und wusste genau, wer gut oder böse war. Schon damals als Kind wusste ich sofort, welches der Kinder eine boshafte und welches eine gütige Seele besaß. Daher suchte ich mir auch die Menschen in meiner Umgebung aus, wenn auch nicht als Freunde, sondern als Bekannte, aber so hatte ich meine Ruhe. Ich richtete mein Zimmer nach und nach ein und konnte es nach dem Monat weiter behalten, da ich die Miete weiter bezahlen konnte.

Während der Arbeit verbarg ich meine Augen meistens hinter einer dunklen Sonnenbrille. Dann war ich nur der komische Albino mit den langen weißen Haaren. Ich mochte die häufigen Fragen, warum meine Augen denn so blau waren, nicht beantworten.

Irgendwann war eine Aushilfsstelle in der Bibliothek ausgeschrieben. Da mich die Leute dort kannten, bekam ich die Stelle. Ich wollte sie auch.

Ich freute mich darüber, waren die Jobs vorher Knochenarbeit und schlecht bezahlt gewesen. Jetzt konnte ich endlich richtig über mich und meine Herkunft recherchieren, so dachte ich zumindest. Aber bald war Ratlosigkeit mein ständiger Begleiter, als ich viele Bücher die für meine Herkunft hätten wichtig sein können, durchgelesen hatte.

Ich kam nicht weiter. Und da ich mich keinem anvertraute, wusste keiner von meiner Sorge, wer ich denn tatsächlich war.

Die Bücher dort waren alsbald ausgelesen - die Forschungen noch lange nicht so weit, wie ich es gerne gehabt hätte. Und auf den Ämtern hatte ich es längst aufgegeben, zu fragen, wessen Sohn ich denn wirklich war.

Ich war, wie damals die Leute im Heim sagten, als sie mich fanden: „… vom Himmel gefallen, vielleicht bist ja du ein Engel?“

Ein Engel! An diese Dinge wollte ich nicht glauben und doch beschlich mich immer so ein eigenartiges Gefühl dabei, wenn ich an Götter und auch an Dämonen dachte. Aus irgendeinem Grund glaubte ich an Wesen, die unerkannt unter uns lebten.

Ich war ein abgesonderter, junger Mann, aber mit einem Selbstbewusstsein. So verlor ich niemals meinen Lebensmut.

Wenn aber meine Einsamkeit zu unerträglich wurde, hielt ich mich in Schwulenbars auf. Ich war ständig auf der Suche nach etwas oder jemanden. Frauen interessierten mich nicht. Ich kam nicht mal auf den Gedanken, mich in eine weibliche Person zu verlieben. Warum das so war, wusste ich selbst nicht.

Aber sobald sich mir ein Mann anbot, wurde ich dagegen wählerisch. Ich entschied, wer mir gefiel und wer nicht. Das hinterließ bei vielen einen eher arroganten Eindruck. Ich scherte mich nicht drum.

Und jetzt stand ich vor einer Kreatur, die mir eigentlich Angst einflößen müsste, doch war etwas anders bei diesem Dämon hier. Etwas was ich nicht erklären konnte. Noch nicht! Es war eher ein Gefühl, ein Gedanke …

Ich musste kurz die Augen schließen, da mir der Schweiß übers Gesicht gelaufen war und mir die Sicht erschwert hatte. Aber es half nicht viel. Die salzige Hautausdünstung brannte in meinen Augen.

Als ich einen Augenblick später meine Lider aufschlug, zuckte ich zusammen, als ich sah, dass er direkt vor mir thronte. Ich ignorierte das Brennen in meinen Augen.

Mein Herz schlug noch einen Tick schneller in meiner Brust, aber nicht vor Angst, nein, im Gegenteil, sondern wegen etwas Anderem. Etwas, das ich noch nicht richtig begriff, da auch mein Gedächtnis noch Lücken aufwies.

Etwas war mit mir passiert. Es war, als würde ich dieses Wesen ewig kennen, als würden wir uns ewig kennen! Obwohl ich genau wusste, dass er ein Abgesandter des Teufels war, ein absolut böses Wesen, das immer stärker wurde, weil er sich von Menschen und deren Essenz ernährte, kannte ich ihn auf eine paradoxe Art und Weise schon sehr, sehr lange. Länger als mein Menschenleben überhaupt. Es irritierte und faszinierte mich gleichermaßen, wie es mich auch wiederum abschreckte.

Wer oder was war ich denn?

In all den Büchern über Dämonen oder mystische Wesen, die ich bereits gelesen hatte, waren es immer nur die Fantasien eines Autors oder eines verrückten Wissenschaftlers gewesen.

Konnte doch etwas Wahres dran sein?

Egal wie ich mir den Kopf darüber zermarterte, es gab ein Problem! Er erkannte mich nicht. Noch nicht! Auch nicht, als er weiterhin vor mir stand und mich ansah.

Ich ihn schon, wenn auch nur in Bruchstücken. Trotzdem fand ich, dass der Dämon von sich aus eine Verbindung zu mir spürte.

Ich fühlte es.

Ich sah es an seinen Augen, sah, wie Liebe in ihnen sich widerspiegelte, sah all diese Zuneigung für mich und nur für mich und doch wusste ich, er war gefährlich! Paradoxerweise war ich mir sehr sicher, was mein Gefühl dafür anging.

Seitdem ich hier bin, kam das Puzzle der Erinnerung Stück für Stück zurück.

Ja, ich liebte diese Kreatur, einen uralten Dämon namens Aarsòn. Und nun wusste ich mit Sicherheit, ich hatte schon einmal gelebt, und zwar vor sehr, sehr langer Zeit …

 

 

©Randy D. Avies 2016

Betaleser: peonie



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