Ein Unfall mit Folgen
Hektisch rannte er den langen Krankenhausflur entlang und spürte, dass seine Lunge bereits qualvoll brannte. Er war den ganzen Weg hergerannt, da kein verdammtes Taxi anhalten wollte und er zum Fahren nicht in der Lage gewesen wäre.
Er lief zur Information, sah von Panik getrieben der Oberschwester hilflos in die Augen, als seine Stimme prompt versagte und sich förmlich überschlug.
Es dauerte einen Moment, bis er sich wieder gefangen hatte und seine Sprache nach und nach zurückerlangte.
„Ich suche Hikari Yagami. Mir wurde gesagt, dass sie hier eingeliefert wurde“, sagte er hastig und schluckte schwerfällig. Sein Bruder hatte ihn vor einer knappen Stunde völlig aufgelöst angerufen und ihn informiert. Er wusste nur, dass sie mit dem Auto unterwegs war und ein paar Besorgungen machen wollte. Später hatten sie sich sogar noch fürs Kino verabredet gehabt.
Die Oberschwester tippte etwas in ihren Computer ein und huschte mit den Augen über den Bildschirm, ohne ihre Miene nur ansatzweise zu verändern und Takeru somit zu verraten, wie es um seine beste Freundin stand.
„Sind sie mit Frau Yagami verwandt?“
„Nein…aber wir kennen uns…“
„Tut mir leid, aber ich darf ihnen da wirklich keine Auskunft geben!“, unterbrach sie ihn entschuldigend.
„Aber ich bin ihr bester Freund! Ich muss doch wissen, wie es ihr geht“, polterte er aufgebracht und verzog augenblicklich das Gesicht.
„Wie ich schon sagte, ich darf keine Informationen weitergeben. Nur an ihre Angehörigen“, erwiderte sie monoton und ließ die Verzweiflung in seinen Körper emporfahren.
„Aber…können Sie denn keine Ausnahme machen? Ich bitte Sie! Ich muss wissen, wie es ihr geht“, antwortete er verzweifelt und fuhr sich durch die kurzen blonden Haare, während er den anderen Arm an der Information abstützte.
„Ich würde Ihnen wirklich gerne weiterhelfen, aber ich kann Ihnen leider keine Auskunft geben! Bitte begeben Sie sich in den Wartebereich und warten Sie bis die Angehörigen von Frau Yagami auftauchen.“
Erbost blitzten seine blauen Augen auf und musterten die Oberschwester eindringlich, die sich jedoch kein bisschen zu erbarmen schien.
Er musste doch wissen, wie es ihr ging, warum konnte sie das nicht verstehen?
„Ich muss es aber…“
„Takeru?“
Ruckartig drehte er sich herum und sah plötzlich ein bekanntes Gesicht vor sich.
„Mimi?“, er blickte in ihr trauriges Gesicht, dass vor lauter Kummer ganz angespannt war und wie eine eiserne Maske auf ihn wirkte.
Sofort fand er in ihren Armen Zuflucht und spürte augenblicklich, dass Karis Zustand ernst sein musste.
Kaum hatte er die Umarmung gelöst, blickte er Mimi hilfesuchend an, während sie mit den Tränen kämpfte. Sie war schon immer sehr nah am Wasser gebaut gewesen, aber so verzweifelt hatte er sie noch nie erlebt, weshalb der winzige Hoffnungsschlimmer, den er gehegt hatte, allmählich zu verblasen schien.
Was war nur mit Hikari geschehen? War sie etwa…nein! Das durfte er sich nicht vorstellen. Hikari war eine Kämpferin!
„W-Was ist passiert?“, brachte er mit schwerer Zunge hervor und fürchtete sich bereits vor der Antwort, die Mimi ihm gebe würde.
Angespannt presste sie die Lippen aufeinander und senkte ihren Blick.
„Wir wissen es nicht. Taichi redet gerade mit einem der Ärzte und wir warten immer noch auf seine Eltern…irgendwie will uns niemand so wirklich eine Auskunft geben, aber sie war wohl in einen Unfall verwickelt.“
Auch wenn es nichts Neues war, was er gerade hörte, spielte sich in seinem Gesicht die blanke Angst wieder.
Mimi redete noch immer, doch ihre Stimme wurde immer leiser, während sich in seinem Kopf eine gähnende Leere ausbreitete. Niemand wusste was mit ihr war. Niemand konnte ihm sagen, wie es ihr ging, ob sie Angst hatte und wer gerade bei ihr war. Wohlmöglich ein Arzt, aber das beruhigte Takeru kein bisschen.
Sie war der wichtigste Mensch in seinem Leben. Er durfte sie nicht verlieren.
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„Hey gib‘ mir das wieder“, jammerte das kleine Mädchen weinerlich und versuchte ihr Federmäppchen wiederzuerlangen, dass ihr zwei ältere Jungs aus dem Ranzen geklaut hatten.
Er war gerade im Begriff nach Hause zu gehen, wunderte sich aber schon, wo seine beste Freundin abgeblieben war, die nur nochmal schnell zur Toilette wollte.
Da Takeru sich Sorgen machte, ging er selbstverständlich zu den Toiletten, die sich auf dem Gang befanden. Als er die beiden Jungs zusammen mit Hikari sah, stockte ihm förmlich der Atem.
Er kannte Kenji und Shouta nur vom Sehen, wusste nur das sie bereits in der dritten Klasse waren und zu denen gehörten, die immer Ärger machten.
Hikari stand in der Mitte und versuchte mit ihren kurzen Armen, ihr Mäppchen zu fangen, dass die beiden Raufbolde sich immer wieder gegenseitig zuwarfen.
„Na, dann hol es dir doch“, meinte Kenji grinsend und fuchtelte vor Hikaris Nase damit herum, bevor er es wieder Shouta zuwarf.
„Du bist ganz schön langsam! So bekommst du es niemals zurück“, lachte er überheblich und brachte Hikari dazu in Tränen auszubrechen. Ein leises Wimmern durchzog den Schulflur, doch es war kein Lehrer weit und breit zu sehen.
Mit geballten Fäusten und wackeligen Knien stand Takeru immer noch am gleichen Fleck, wohlwissend, dass er eingreifen musste.
Er schluckte, als er seinen ganzen Mut zusammennahm und auf die beiden Jungs zustürmte.
„Lasst sie in Ruhe!“, brüllte er und blieb an Hikaris Seite stehen. Er wanderte mit dem Blick kurz zu ihr, als er feststellte, dass ihre Augen bereits gerötet waren.
„Ach, eilt dir dein kleiner Freund zu Hilfe? Ist ja niedlich“, sagte Shouta überheblich reckte sein Kinn.
„Was willst du denn tun, Kleiner? Hab gehört, dass du eine kleine Heulsuse bist“, steuerte Kenji bei und zog ihm prompt seine Mütze ins Gesicht.
Wütend richtete Takeru sie auf seinem Kopf und sah bedrohlich zwischen den beiden hin und her.
„Gebt ihr das Mäppchen zurück! Sofort!“, forderte der Blondschopf sie energisch auf, während Kari verstummte und das Szenario mit großen Augen beobachtete.
„Und was, wenn wir es nicht tun? Weinst du dich dann bei Mama aus?“, Shouta legte den Kopf schief und ging ein wenig in die Knie, da er einen ganzen Kopf größer als Takeru war.
„Bestimmt rennt sie gleich zur Schulleitung und beschwert sich dann“, stichelte Kenji weiter. „So ein kleines Muttersöhnchen.“
Die Wut brodelte in ihm, als er seine Augen zu Schlitzen verzog. „Haltet gefälligst eure Klappe!“, knurrte er bedrohlich, was auch Hikari zu bemerken schien.
Ängstlich berührte sie seine Schulter und wandte den Blick zum Ausgang.
„Lass uns einfach gehen! Meine Mama kauft mir bestimmt ein Neues“, drängelte sie und versuchte ihn zum Gehen zu animieren, doch Takeru wollte sich das nicht gefallen lassen.
Verständnislos blickte er zu ihr, als sich Kenji wieder zu Wort meldete.
„Hör lieber auf deine kleine Freundin. Du willst doch sicher keinen Ärger…du, Muttersöhnchen!“
Ein dreckiges Grinsen schlich sich auf sein Gesicht, als Shouta das Mäppchen erneut in die Luft warf.
Takeru drehte sich reflexartig herum und sprang, ohne darüber nachzudenken, hoch.
Er hielt die Luft an, als er seine Arme ausbreitete und das Mäppchen tatsächlich mit seinen geschickten Händen auffing.
So flink wie der Wind, packte er Hikaris Handgelenk und rannte mit ihr zusammen in Richtung Ausgang, während Kenji und Shouta sich völlig perplex musterten.
Es dauerte einen Moment, bis die beiden Takeru und Hikari brüllend nacheilten, doch der Blondschopf hatte bereits einen Plan, wie er sie abhängen konnte.
Gemeinsam mit Kari polterte er die Treppen des Eingangs hinunter, bog nach links ab und versteckte sich unter der Treppe, die einen geheimen Hohlraum hatte.
„Wir müssen jetzt ganz leise sein“, flüsterte er Hikari zu und legte den Zeigefinger auf seine Lippen, während Shouta und Kenji die Treppe hinunterrannten und den Schulhof nach ihnen absuchten.
Angespannt beobachtete Takeru sie aus seinem Versteck, während Hikari sich schützend hinter ihn presste und nicht wusste, wie ihr geschah.
Es dauerte zehn Minuten bis die beiden endgültig die Lust verloren und sich auf den Heimweg machten.
„Wir sollten ihnen noch einen kleinen Vorsprung lassen“, sagte er und drehte sich zu seiner besten Freundin um und reichte ihr das Federmäppchen weiter.
„Danke“, murmelte sie ihm entgegen, als ihre Wangen einen rötlichen Schimmer annahmen. „Ohne dich hätte ich das niemals geschafft.“
Takeru hingegen lachte nur und winkte sofort ab. „Ach so ein Quatsch Kari, für sowas sind doch Freunde da“, erwiderte er herzlich, während sie das Mäppchen in ihrem Ranzen verstaute.
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Er bewegte die Beine auf und ab, während er auf einem der Stühle Platz genommen hatte. Angespannt wartete er gemeinsam mit Mimi auf die Rückkehr von Taichi, der vor einer guten halben Stunde einen Arzt aufsuchen wollte, aber bisher noch nicht zurückgekehrt war.
Panik rann durch seine Adern, er konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen, weil sich alles nur um Hikari und ihren Zustand drehte.
Er schnaufte und fuhr sich verzweifelt durch die Haare, als er plötzlich eine Hand auf seinem Rücken spürte.
„Ihr geht es sicher gut. Du kennst sie doch. Seit sie den Führerschein hat, fährt sie immer sehr bedacht und vorsichtig. Bestimmt ist alles nur halb so wild“, versuchte Mimi ihn zu beruhigen, auch wenn er merkte, dass sie ihre eigenen Worte selbst nicht glaubte.
Es stimmte zwar, was Mimi sagte, aber dennoch musste man immer mit der Dummheit anderer Menschen rechnen – gerade im Straßenverkehr.
Es war also egal wie umsichtig Kari auch gefahren war, sie hatte einen Unfall und keiner konnte ihm eine genaue Auskunft darüber geben.
Natürlich meinte es Mimi nur gut. Sie versuchte ihn zu beruhigen, doch er wollte nur eins: Gewissheit.
Dass es ihr gut ging. Dass sie unversehrt war. Dass sie immer noch ein Teil seines Lebens sein durfte.
Es fing doch jetzt erst alles richtig an. Beide hatten vor kurzem ihren Abschluss und Führerschein gemacht und fingen gemeinsam an der Tokai Universität ein Studium an. Takeru hatte sich für Journalismus entschieden, während sich Hikari für Grundschullehramt eingeschrieben hatte.
Er wusste, dass es sich bei ihr um einen Herzenswunsch handelte. Anfangs wollte sie Kindergärtnerin werden, doch wegen eines Praktikum an einer Schule hatte sie sich dazu entschieden, ihrem Weg doch einen kleinen Richtungswechsel zu geben.
Sie wollte die Kinder auf ihrem anfänglichen schulischen Weg ein Stückchen zu begleiten, um ihnen die Angst zu nehmen und ihnen die notwendigen Wissensgrundlagen beizubringen.
Er konnte die Euphorie in ihren Augen erkennen, wenn sie sich über das Studium und ihren neuen gemeinsamen Lebensweg unterhielten. Sie hatten sich sogar dazu entschieden eine Wohnung zu suchen und als WG ins Uni-Leben zu starten.
Doch ihr gutaufgestelltes Fundament bekam deutliche Risse. Was wurde nur aus ihren Träumen? Was wenn dieser Tag alles verändern würde? Wenn nichts mehr so war, wie es heute Morgen der Fall war?
Wenn ihre Zukunft zur blassen Vergangenheit wurde, in der die Trauer sein Herz vereinnahmte und ihn es ewig bereuen ließ, niemals ehrlich zu ihr und sich selbst gewesen zu sein?
Er wusste, dass er seine Gefühle für sie verdrängt hatte. Dass er sie in einem anderen Licht sah, seit sie gemeinsam den Frühlingsball besucht hatten und sich tiefsitzendes Verlangen in ihm ausbreitete und ihm klarmachte, dass Kari mehr als nur eine Freundin für ihn war.
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Eng gepresst tanzten sie zusammen und folgten dem seichten Takt der Musik. Gemeinsam waren sie auf den Frühlingsball gegangen, der wie jedes Jahr das Highlight des gesamten Schuljahres bildete.
Sie waren im letzten Jahr der Mittelschule, was bedeutete, dass bald neue Wege auf sie warten würden.
Takeru war bereits ziemlich nervös, auch wenn noch harte Monate und die Abschlussprüfung auf sie zukamen. Natürlich waren Kari und er sich einig, dass sie die gleiche Oberschule wie ihre Brüder besuchen wollten, in der Hoffnung wieder in einer Klasse zu landen, wie es jedes Jahr der Fall war.
Sie hatten einfach Glück.
Besonders nachdem Takeru mit seiner Mutter wieder nach Odaiba gezogen war. Er wollte die Nähe seiner besten Freundin nämlich nicht mehr missen, denn seit kurzem bemerkte er zarte Veränderungen in ihrer Beziehung. Sie waren eben keine Kinder mehr, das wurde ihm von Tag zu Tag immer mehr bewusst. Seine Stimme wurde allmählich tiefer und bald würde er sich bestimmt auch rasieren müssen, um keinen Vollbart zu erhalten.
Auch bei seiner besten Freundin sah er deutliche Veränderungen. Ihr zierlicher Körper war um einiges weiblicher geworden und hatte definitiv seine Wirkung auf ihn, auch wenn er diesen Gedanken immer wieder zu verdrängen versuchte.
Doch wie sie hier standen, gemeinsam eng umschlungen tanzen und sich zärtlich berührten, schürte in ihm unbändiges Verlangen, dass er ständig kontrollierte, auch wenn es ihm immer schwerer fiel.
Dieses verdammt enge pinke Kleid schmeichelte ihrer Figur hervorragend, während sie ihr fruchtig riechendes Haar zu einer filigranen Hochsteckfrisur gesteckt hatte.
Er konnte gar nicht in Worte fassen, wie bezaubern sie aussah. Und er konnte es sich auch nicht verkneifen, ihr ein Kompliment auszusprechen, was sie prompt verlegen machte.
Er fand es unglaublich süß, wenn ihre Wangen diesen rosafarbenen Schimmer annahmen und sie so unschuldig wirken ließ.
Am liebsten würde er sich zu ihr hinunterbeugen und…
Sein Atem stockte und er hielt plötzlich inne, was Kari sofort bemerkte. Sie hob den Kopf an, den sie gegen seine harte Brust geschmiegt hatte und lächelte leicht, bevor sie die Lippen kräuselte.
„Alles in Ordnung? Brauchst du mal eine Pause?“, fragte sie keck.
„Was? Ich brauche doch keine Pause“, wiedersprach er sofort. „Ich als Basketballer habe Ausdauer und das bisschen tanzen haut mich schon nicht um.“
„Das bisschen tanzen? Ich glaube, ich sollte dich mehr fordern“, meinte sie gespielt ernst, was ihn sichtlich amüsierte. Er wusste, dass sie tanzen über alles liebte und als Hobby ausübte. Natürlich waren diese Choreographien anstrengender als dieser seichte Bierkastentanz, den sie auf der Tanzfläche hinlegten, aber er liebte es genauso sehr, sie ein bisschen aufzuziehen.
„Ich glaube, da müssen wir erst den nächsten Song abwarten. Das Lied ist viel zu langsam zum abtanzen“, meinte er und bewegte sich langsam zum Takt.
„Da hast du wohl recht. Aber bei dem nächsten schnellen Song bist du dran, mein Lieber“, antwortete sie prophezeiend und kuschelte sich wieder näher an ihn heran, was sein Herz unvermittelt zum Höherschlagen brachte.
Er schmiegte seine Arme um sie, platzierte eine Hand an ihrer Hüfte, während die andere sanft auf ihrem Rücken ruhte. Ihre Haare kitzelten an seinem Gesicht und ihr Duft raubte ihm förmlich die Sinne, sodass sich sein flehendes Herz machtvoll an die Oberfläche kämpfte.
Doch er durfte sich diesen Gefühlen nicht hingeben. Sie war doch seine beste Freundin. Und diese Freundschaft konnte er nicht riskieren.
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„Warum dauert das denn so lange? Wo ist Tai denn hingegangen?“, fragte er hektisch und war vor fünf Minuten von seinem Stuhl aufgesprungen, weil er einfach nicht mehr ruhig sitzen konnte. Mimi versuchte ihn noch immer zu beruhigen und wartete geduldig auf die Rückkehr ihres Freundes, die sich für Takeru wie ein Ewigkeit anfühlte.
„Takeru, versuch‘ bitte ruhig zu bleiben. Er wird sicher noch mit dem Arzt reden und seine Eltern sind ebenfalls auf dem Weg“, erinnerte sie ihn und faltete ihre Hände.
„Aber das dauert viel zu lang! Ich muss wissen, ob es ihr gut geht! Sofort!“, er redete sich in Rage und ging immer wieder auf und ab. Er konnte nicht still sitzen bleiben, dafür war er viel zu nervös.
„Takeru…ich weiß, dass du dir Sorgen machst, aber im Moment müssen wir warten! Bitte setz‘ dich wieder hin“, flehte Mimi und sah ihn eindringlich an, sodass er wenigstens stehen blieb.
Mimis Blick war unergründlich, als auch er bemerkte, wie verzweifelt sie eigentlich war.
Er handelte völlig egoistisch, obwohl er wusste, dass Mimi sich ebenfalls sorgte und Angst um ihre gemeinsame Freundin hatte.
Er verhielt sich völlig daneben, nur, weil er seine eigenen Gefühle nicht mehr zurückhalten konnte.
Ja, verdammt! Er liebte sie. Und er bereute es ihr niemals gesagt zu haben.
Die Vorstellung, dass er es vielleicht nicht mehr konnte, ließ ihn panisch werden. Er hatte immer gedacht, dass er noch Zeit hätte, doch er hatte sie nur vergeudet, indem er seine Gefühle versteckt hatte.
„Du hast recht“, murmelte er verhalten, ging auf Mimi zu und setzte sich direkt neben sie. „Ich habe nur eine unfassbare Angst um sie. Was ist, wenn sie…“
Mimi platzierte sofort ihre Hand auf seiner und schenkte ihm einen hoffnungsvollen Augenaufschlag. „Daran darfst du noch nicht mal denken, ja? Wir machen uns alle Sorgen, aber Hikari ist eine Kämpferin! Sie wird nicht kampflos aufgeben.“
„Denkst du wirklich?“, hakte er ehrfürchtig nach und wollte seinen negativen Gedanken eigentlich gar keinen Platz einräumen, aber sie kämpften sich gewaltvoll an die Oberfläche.
Bevor Mimi etwas sagen konnte, bemerkte Takeru, wie jemand den Warteraum betrat. Beide richteten den Blick auf den Eingangsbereich und erstarrten.
Mimi hielt seine Hand krampfhaft fest, als er auf sie zukam und einen Blick aufgelegt hatte, den Takeru einfach nicht deuten konnte.
Er rechnete schon mit dem Schlimmsten, als Taichi sich bedacht auf sie zubewegte und langsam die Lippen kräuselte.
Takeru hielt regelrecht die Luft an, als er an einen Moment zurückdachte, der hätte alles verändern können.
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Sie schniefte laut, als sie ihre salzigen Tränen mit einem Taschentuch trocknete. Völlig verzweifelt saß sie auf ihrem Bett, während Takeru ihr sanft über ihr Knie fuhr.
„Er hat dich nicht verdient“, löste sich von seinen Lippen und schürte seine Wut, die er vor ihr nicht zeigen wollte. Er konnte nicht verstehen, wie ein Mensch jemandem sowas antun konnte. Seiner besten Freundin antun konnte.
„E-Er hat einfach nur dagestanden und mich mit diesem leeren, abgeklärten Blick angestarrt. Ich habe ihn angeschrien, aber er meinte, dass er nichts für seine Gefühle könnte und er mir nicht wehtun wollte“, schluchzte sie herzzerreißend und ihre Tränen bahnten sich erneut ihre Wangen hinunter.
Takeru hatte ihre völlig verzweifelte SMS kurz nach dem Basketballtraining erhalten und war sofort zu ihr gegangen, um ihr beizustehen. Er konnte immer noch nicht fassen, dass ihr Freund Katsu sie so hintergangen hatte, auch wenn Takeru diesen Kerl nie leiden konnte. Jedoch hatte dies ganz andere Gründe. Er konnte keinen ihrer Freunde leiden, weil er sich wünschte, dass er den Platz an ihrer Seite einnehmen konnte und nicht irgendein Kerl, der sie nur enttäuschte.
Kari hatte ihm die ganze leidvolle Geschichte erzählt. Dass sie Katsu mit Ami aus der Parallelklasse auf dem Pausenhof beim rummachen erwischt hatte. Dass er ihr sagte, dass seine Gefühle für sie nicht stark genug gewesen wären und er lange dieser Versuchung widerstanden hatte, aber für seine unbändigen Gefühle nichts konnte. Dass er sie nicht anlügen wollte, es aber trotzdem getan hatte, weil er nicht wusste, wie er mit ihr Schluss machen sollte.
Kari war daraufhin in Takerus Armen zusammengebrochen und hinterfragte ihre sechsmonatige Beziehung zu Katsu vollkommen. Hatte sie sich etwa in etwas verrannt? Wollte sie die Beziehungsschwierigkeiten nicht sehen, die eigentlich offensichtlich waren?
Takeru hatte bereits gemerkt, dass Katsu und sie viel zu verschieden waren. Er war ein Draufgänger, der gerne Partys feierte, während es Kari lieber ruhiger angehen ließ, gerne DVDs schaute, sich in die Decke kuschelte und einen romantischen Abend zuhause verbrachte.
Wahrscheinlich war es sogar besser so. Diese Beziehung hätte auf Dauer keinen Bestand gehabt, auch wenn sie es zurzeit sicherlich anderes sah.
Sie war verletzt, fühlte sich hintergangen und brauchte eine starke Schulter zum Anlehnen.
Behutsam rutschte er etwas zu ihr hoch und schlang vorsichtig die Arme um sie, um sie in eine herzliche Umarmung zu verwickeln, die Kari ihm nur allzu gern gewährte.
Gemeinsam saßen sie auf ihrem Bett, während sie ihr Gesicht in sein T-Shirt drückte und ihren Gefühlen freien Lauf ließ.
„Vielleicht war er einfach nicht der Richtige für dich“, murmelte er auf einmal und spürte das sein Herz zu rasen begann. „Du brauchst jemanden, der für dich da und nicht ständig auf Achse ist. Außerdem ist er wirklich dämlich dich gehen zu lassen!“
Überrascht hob sie den Kopf an und fixierte seine blauen Augen.
„Findest du? Ich fühle mich einfach nur mies und frage mich, was ich falsch gemacht habe…“
„Du hast überhaupt nichts falsch gemacht. Du bist wundervoll und redete dir bitte nicht das Gegenteil ein, nur, weil ein schwanzfixierter Idiot das nicht erkennt“, erwiderte er sofort und brachte Kari zum Lächeln.
„Hast du gerade echt ‚schwanzfixiert‘ gesagt? Ich wusste gar nicht, dass unser angehender Schriftsteller solche versauten Wörter kennt“, amüsierte sie sich und kuschelte sich wieder in seine Arme.
„Erstens: Ich will Journalist werden. Und zweitens: Ich bin nicht so unschuldig, wie ich aussehe“, protestierte er vehement, als er Kari kichern hörte.
Sie hob den Kopf an und grinste verwegen. „Schon klar, Casanova. Und ich glaube, du wärst ein toller Autor! Du weißt wie sehr ich deine Kurzgeschichten liebe.“
Sein Atem stockte abrupt, während er sie völlig perplex anstarrte. Die Kurzgeschichten.
Er hatte sie für Hikari geschrieben, aber sie wusste natürlich nichts davon. Er hatte versucht seine Gefühle hinter geschriebenen Worten zu verbergen, doch er hatte niemals erwartet gehabt, dass sie sie jemals finden und lesen würde. Doch er hatte die Rechnung ohne Hikari Yagami gemacht, die gerne in seinem Zimmer rumschnüffelte und meist eine bessere Spürnase als Sherlock Holmes besaß.
Für einen kurzen Moment überlegte er, ob er ihr nicht die Wahrheit sagen sollte. Dass er diese romantischen Kurzgeschichten für sie geschrieben hatte und er viel mehr für sie empfand, als er eigentlich zugeben wollte.
Doch als er sie so in seinen Armen liegen sah, brachte er es einfach nicht über das Herz. Es war der falsche Augenblick. Er wollte sie damit nicht überfallen, besonders nicht kurz nach der Trennung.
Er brauchte einfach noch etwas Zeit, unwissend, dass diese vergänglich war und ihm förmlich wie Sand durch die Finger rann. Und er war nicht in der Lage das Unvermeidliche aufzuhalten…
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Mit klopfendem Herzen ging er schwerfällig zu ihrem Krankenzimmer, dass ihr Bruder ihm genannt hatte.
Erleichterung floss durch seinen Körper, als Taichi tatsächlich Entwarnung gab und bestätigte, dass seine Schwester nur ein paar oberflächliche Wunden von dem Unfall davon trug und sich lediglich von ihrem Schock erholte.
Dass sie ihn direkt sehen wollte, erfüllte Takerus Herz mit Freude. Mimi und Taichi hatten sich im Wartebereich niedergelassen und warteten noch auf die Ankunft von Taichis Eltern, während Takeru bereits vor ihrer Zimmertür stand und sachte klopfte.
Er streckte den Kopf zur Tür hinein und blickte in ein erleichtertes, aber immer noch geschocktes Gesicht.
Sie lag in einem Krankenhausbett und hatte einige kleine Schrammen im Gesicht und an ihren Armen, aber sonst fand er tatsächlich keine größeren Verletzungen, die ihm Sorgen bereiteten.
„Hey…“, begrüßte er sie mit sanfter Stimme und ging langsam auf sie zu, während sie ihn sehnsüchtig ansah und gar nicht erwarten konnte, dass er sich endlich neben sie setzte.
Kaum hatte er sich neben ihr niedergelassen, schlang sie sofort die Arme um seinen Körper und drückte ihn fest an sich.
„Takeru, ich bin so froh dich zu sehen“, murmelte sie gegen seine Halsbeuge und drückte ihr Gesicht dicht an ihn heran.
Behutsam strich er über ihren braunen Haarschopf und konnte gar nicht in Worte fassen, wie erleichtert er war, sie unversehrt wiederzusehen. Er hatte bereits mit dem Schlimmsten gerechnet und war glücklich, dass das Gegenteil eingetreten war.
„Ich bin auch froh, dich zu sehen. Und Gott sei Dank geht es dir gut“, erwiderte er nur, als er sie danach losließ, um ihr in die Augen sehen zu können. Jedoch rannen lautlose Tränen ihre Wangen hinunter und ein leises Wimmern löste sich von ihren Lippen, dass ihn etwas irritierte.
Was hatte sie nur? War es die Anspannung, die sich gerade im Moment bei ihr löste?
Zärtlich fuhr er über ihre nassen Wangen und startete einen Versuch, sie zu beruhigen.
„Hey, alles wird gut. Dir ist nichts Schlimmes passiert und ich bin da, okay?“
„Takeru…ich…“, ihre Stimme brach abrupt ab, als ihr Körper zu zittern begann und sie ihre Fingernägel in seinem Hemd vergrub. „Ich bin so dämlich gewesen.“
Er runzelte die Stirn und konnte sich nicht erklären, auf was sie plötzlich hinauswollte. Redete sie etwa über den Unfall?
„Wovon sprichst du denn?“, hakte er etwas überfordert nach, weil er diesen plötzlichen Heulkrampf seiner besten Freundin nicht verstehen konnte.
Ihr ging es doch gut. Er wollte sie nicht weinen sehen.
Sie hob jedoch ihren Kopf an und fixierte ihn dringlich.
„Ich möchte nicht mit dir in einer WG wohnen“, brachte sie hervor und ein eiskalter Griff umfasste sein Herz, das prompt aussetzte.
„W-Was? Wie kommst du denn plötzlich darauf?“
„Ich will nicht mehr mit dir befreundet sein…“, antwortete sie weinerlich und Takeru stand die Fassungslosigkeit ins Gesicht geschrieben. Hatte der Unfall etwa Auswirkungen auf ihr Gedächtnis? Sie waren immer durch dick und dünn gegangen. Waren die besten Freunde und sie wollte, dass all das endete?
Er war völlig erstarrt, als er sich etwas unsanft von ihr losmachte und überlegte einfach das Zimmer zu verlassen, während sie den Blick von ihm gewandt hatte und ihre heißen Tränen auf ihre Bettdecke tropften.
Was passierte hier nur? Wollte sie all das aufgeben, was sie sich gemeinsam aufgebaut hatten?
„I-Ich will viel mehr als das“, eröffnete sie ihm plötzlich und sah ihm direkt in die Augen. „Ich kann das nicht mehr! Ich weiß, dass ich damit unsere ganze Freundschaft aufs Spiel setze, aber der Unfall…ich möchte es nicht bereuen, es niemals gesagt zu haben.“
„Heißt, das etwa, dass du…?“, er brachte es kaum über die Lippen, da ein unkontrolliertes Grinsen sein Gesicht zierte. Glückgefühle durchströmten seinen Körper und ließen seine Hände leicht zittern.
„Ich habe mich in dich verliebt“, gestand sie ihm mit geschwächter Stimme, als eine Sicherung in ihm durchbrannte.
Sein Herz pochte gegen seine Brust und drohte bereits herauszuspringen, als er ihre Worte realisierte und sich nicht mehr zurückhalten konnte. Ohne darüber nachzudenken, setzte er sich auf ihr Bett, wanderte mit den Fingern unter ihr Kinn und hob es sachte an.
Stürmisch presste er die Lippen auf ihre und gab sich einem kurzen leidenschaftlichen Moment hin, der alle Unsicherheiten beseitigen sollte. Völlig geschockt riss sie die Augen auf, doch es dauerte keine Sekunde, als sie sich voll und ganz auf ihren Kuss einließ.
Sie empfand das gleiche für ihn, wie er für sie und sie sollte es auch wissen. Langsam ließ er von ihr ab und drückte seine Stirn gegen ihre. Ihre Augen waren immer noch weit aufgerissen, aber ein verliebtes Lächeln zog sich über ihre Lippen.
„Musst du mir so einen Schrecken einjagen? Ich dachte echt, dass du mir gerade die Freundschaft kündigst!“, erwiderte er gespielt ernst, konnte aber nicht verbergen, dass ihn dieser Moment unendlich glücklich machte.
„Ich habe wirklich gedacht, dass ich damit alles kaputt mache. Aber das Leben ist einfach so vergänglich und das wurde mir heute bewusst. In dem Moment als ich den Unfall hatte, konnte ich nur an dich denken und hatte mir gewünscht, dass du an meiner Seite bist.“
„Das werde ich immer sein, egal was auch passiert“, raunte er ihr entgegen, als er erneut die Lippen auf ihre presste.
Es war ein neuer Weg, den beide ab heute begehen würden. Eine gemeinsame Reise, die noch viele Abenteuer für sie bereithalten würde. Und Takeru konnte gar nicht erwarten, diese gemeinsam mit ihr zu entdecken. Mit der Frau, die er von Herzen liebte und mit der er für immer zusammen bleiben wollte.