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Nur mit dir, für dich

von

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Unfall

André vermisste seine langjährige Freundin in letzter Zeit wie noch niemals zuvor. Er träumte fast jede Nacht von ihr, sie beherrschte sein Leben und sein Sein. Ja, er gab das nicht einmal sich selbst gegenüber zu, aber er war verliebt: Verliebt in die junge Frau, die das natürlich nicht merkte und seine Gesellschaft meistens als selbstverständlich empfand.

Oscar war durch ihre Erziehung als Mann und Soldat nicht in der Lage solche Gefühle zu verstehen, geschweige denn selbst zuzulassen. Er dagegen tat für sie praktisch alles, was sie von ihm verlangte oder auch brauchte. Nicht, dass sie beide sich gestritten hätten - nein, das nicht... Aber sie unternahmen kaum noch etwas miteinander. Oscar behielt meistens die Kronprinzessin im Auge, hauptsächlich weil diese zu oft Besuch von Graf von Fersen bekam.

So auch heute, an einem schönen Frühlingstag, als sie durch den prachtvollen Garten von Versailles liefen und Ihre Hoheit mit ihren Hofdamen und dem jungen Grafen aus gebührender Entfernung beobachteten.

 

Sie interessiert sich nur für Marie Antoinette...“, dachte der neunzehnjähriger André betrübt bei sich. Er stand zusammen mit Oscar an einem dieser Weggabelungen, die von beiden Seiten mit prachtvollen Rosensträuchern bestückt waren.

Die Kronprinzessin mit ihren Hofdamen und dem Graf von Fersen spazierten nicht weit entfernt und sie genoss die Schönheit der Natur um sich. Ihre helle und fröhliche Stimme drang sogar bis zu ihnen herüber.

Oscar schien nur sie zu sehen und ihren Freund neben ihr nahm sie kaum noch wahr. André seufzte tief. Er wollte, dass sie sich seiner Anwesenheit bewusst wurde und meinte daher ganz beiläufig: „Wie es aussieht, ist Marie Antoinette ein wenig verliebt in den Grafen.“

 

Oscar sah nur stur in Richtung der spazierenden Kronprinzessin. Aber wenigstens ließ sie ihn diesmal nicht ohne Antwort da stehen: „Sie verbirgt ihre Gefühle nicht besonders gut und das könnte ihr schaden.“

 

„Wenigstens sie hat Gefühle. Warum soll sie sie dann auch verbergen?“, sagte André gleich das Nächste aus, ohne vorher darüber nachzudenken.

 

Oscar warf ihm daraufhin einen eisigen Blick von der Seite zu. „Was soll das heißen?“

 

„Ach, nichts. Es ist mir nur so ausgerutscht.“ André wandte seinen Blick verlegen von ihr und wippte leicht auf seinen Stiefelspitzen auf und ab. Er konnte ihr doch nicht sagen, dass er in letzter Zeit nur noch von ihr träumte und dass sie sein ganzes Denken beherrschte...

 

Oscar konnte sich nicht im Geringsten vorstellen, was in ihm vorging, aber sie spürte plötzlich ein seltsames Kribbeln in ihrer Magengegend. Wie verloren er da stand! Warum redete er nicht mit ihr über das, was ihn bedrückte? Sie waren doch Freunde! Sie hätte ihn angehört und bestimmt eine Lösung für sein Problem gefunden!

 

Hufschläge von mehreren Pferden rissen sie aus den Gedanken, noch bevor sie über seine melancholische Gemütsverfassung nachsinnen konnte. Eine kleine Truppe Reiter galoppierte an ihnen vorbei und Oscar erkannte unter ihnen die Mätresse des Königs.

Es war zwar nichts Außergewöhnliches, dass Dubarry manchmal mit ihren Hofdamen im Garten von Versailles ausritt, aber nun hatte sie auch die Kronprinzessin gesehen und verspürte prompt den Wunsch, auch auf so einem edlen Pferd ausreiten zu wollen!

 

All die Überredungskünste sie von diesem Wunsch abzubringen nützten nichts. Nicht einmal ihr Gemahl konnte überzeugt werden, dass es gefährlich für die Kronprinzessin sei, im Gegenteil: Prinz Louis schenkte stattdessen seiner Gattin einen temperamentvollen, weißen Hengst, den sie ohne zu zögern ausprobierte. Jedoch, kaum dass Marie Antoinette auf dem Pferd saß, ging es mit ihr durch. André, der das Tier an den Zügel gepackt hielt, wollte es aufhalten, aber wurde stattdessen mitgeschleift. Das Pferd war einfach zu stark für ihn und nicht aufzuhalten.

„Du musst seine Zügel loslassen!“, schrie Oscar aus voller Kehle ihrem Freund nach und preschte schon selbst auf ihrem Schimmel hinterher.

 

„Nein, ich muss es aufhalten!“ André umklammerte den losen Zügel noch fester. Sein Körper schmerzte bei dem schnellen Galopp des Hengstes, seine Kleider scheuerten auf, die Nähte gaben schnell nach und dann riss der Zügel plötzlich. André blieb unerwartet liegen und nahm nur wahr, wie Oscar auf ihrem Schimmel an ihm vorbei preschte.

 

Es dauerte nicht lange, bis Oscar die Kronprinzessin einholte, zu ihr in den Sattel hinübersprang und dann zusammen mit ihr von dem durchgegangenen Hengst auf Erdboden fiel. Alle beide landeten im weichen Gras und Oscar spürte, dass etwas schneidendes in ihren linken Oberarm eindrang - es war ein abgebrochener Ast, wie sie beim Aufstehen im nächsten Moment feststellte. Mit verzogenem Gesicht zog sie ihn heraus und ein heftiger Schmerz durchfuhr ihren Arm.

Ihre eigene Verletzung war aber nebensächlich, denn die Kronprinzessin lag bewusstlos auf dem Boden und Oscar ignorierte deshalb alle ihre Schmerzen, hob Marie Antoinette auf die Arme und trug sie bis zum Hof zurück.

 

 

 

- - -

 

 

 

André seinerseits kam mit wenigen Abschürfungen davon. Dank seiner dicht gewebten Dienstkleider hatte es ihn nicht allzu schlimm erwischt. Dennoch wollte er auf Nummer Sicher gehen und die Wunden wenigstens reinigen, damit sie sich nicht entzünden konnten. Er schaffte es gerade bis zum Stall, als ihm schon die königliche Abordnung entgegen kam.

„Ihr kommt mit!“

Zwei Soldaten packten ihn dabei schon grob von beiden Seiten an.

André war zu verblüfft, um Reißaus zu nehmen und nur ein halblautes: „Wieso...“, verließ seine Lippen.

 

„Befehl des Königs!“, meinte einer der Soldaten barsch und trieb ihn mit einem heftigen Stoß an.

 

 

 

- - -

 

 

 

Die Kronprinzessin befand sich in ihren Gemächern und war bereits versorgt worden. Oscar war bei ihr geblieben, denn Marie Antoinette lag noch immer bewusstlos in ihrem Bett, während die Ärzte sie untersuchten und die Hofdamen dabei in ihre Taschentücher schnieften.

Oscar flehte in Gedanken, dass ihre Hoheit schon bald aufwachen möge. Ganz beiläufig hörte sie hastige Schritte außerhalb des Gemachs und sah zur Tür. Graf de Girodel, einer ihrer Untergebenen in der königlichen Garde, lugte vorsichtig herein. „Lady Oscar. Ich muss Euch etwas Wichtiges mitteilen.“

 

Oscar wollte nicht, aber ging aus Höflichkeit mit ihm vor der Tür. „Was gibt es, Girodel? Sprecht rasch, denn ich muss wieder zu Ihrer Hoheit zurück!“

 

„Gewiss, Lady Oscar. Ich bringe Euch eine unerfreuliche Nachricht.“ Victor senkte seine Stimme zu einem Flüsterton: „Man hat Euren Freund André gerade eben, auf Befehl des Königs, verhaftet.“

 

„Wie bitte?“ Das traf Oscar wie ein harter Schlag, mitten ins Gesicht. Viele unfassbare Fragen wirbelten ihr durch den Kopf und gleichzeitig brach für sie die Welt zusammen. Warum hatte man André verhaftet? Er war doch vollkommen schuldlos!

 

Oscar rannte ohne zu zögern, wie noch nie in ihrem Leben, los. Das Blut der Armwunde tränkte den Stoff ihrer weißen Uniform und sickerte ihren Ärmel entlang. Oscar bedeckte die Verletzung im Laufen mit der Hand und rannte schneller. Ihr körperlicher Schmerz war ihr gleichgültig. Die Nachricht, André sei verhaftet, sauste ihr wie ein geißelnder Peitschenhieb durch den Kopf! Ihr Atem stockte, ihr Herz pumpte rasend und ihre Gefühle überschlugen sich. Niemals würde sie zulassen, dass man André dem Henker übergab!

 

Nach endlosen, prachtvollen Gängen und vielen, mit Goldmuster verzierten Türen, erreichte Oscar endlich den Audienzsaal. Mit aller Kraft stieß sie die große Doppeltür auf und ungeachtet dessen, was der König gerade gesprochen hatte, rief sie laut über die Köpfe all die Schaulustigen hinweg: „Nein, Euer Majestät! Haltet ein!“

Sie kam gerade noch rechtzeitig. Man wollte André schon abführen und in den Kerker werfen. Oscar ahnte: Der König hatte ihn für den Vorfall mit dem durchgegangenen Pferd und für den darauffolgenden Sturz der Kronprinzessin verantwortlich gemacht, ihn für schuldig erklärt. Man hatte ihm die Todesstrafe auferlegt. Wie ungerecht!

 

„Nein, Oscar, nicht!“, rief André ganz überrascht von ihrem urplötzlichen Erscheinen. Er wollte nicht, dass sie wegen seiner Wenigkeit in Schwierigkeiten geriet und sich deshalb für ihn einsetzte.

 

Oscar ignorierte seinen Ausruf geflissentlich und marschierte gradlinig durch den Saal. Der polierte Fließboden knirschte leise unter ihren Stiefeln und die empörten Gesichtsausdrücke der Anwesenden schienen sie zu durchbohren. Das gab es doch nicht! Niemand wagte seiner Majestät zu widersprechen, aber diese selbstgerechte Lady Oscar war anscheinend anderer Meinung. Was für ein beispielloses und unverschämtes Auftreten ihrerseits!

 

Fest entschlossen und auf alles gefasst stellte sich Oscar neben ihrem Freund und beugte huldvoll das Knie vor dem König. „Eure Majestät! Das war ein Unfall! Bitte lasst André gehen, er ist unschuldig!“

Der König stand turmhoch vor ihnen in seinem Hochmut und wand nur verächtlich das Gesicht ab. Er hatte den Urteil gesprochen und würde es nicht mehr zurückziehen!

Oscar geriet derweilen innerlich in Rage. Das Blut in ihren Adern brodelte heiß und kalt. Sie schaute die versammelte Höflinge im Saal vernichtend an. „Viele der hier Anwesenden haben den Vorfall beobachtet und wissen, dass es keine Rechtfertigung für einen Todesurteil gibt!“ Sie vernahm, wie manche scharf die Luft einzogen und irgendwelche Floskeln der Fassungslosigkeit unter ihrer Nase murmelten. Ohne nachzudenken, zog Oscar ihr Schwert und richtete ihn mit dessen Spitze in die Höhe. Dabei richtete sie ihr Augenmerk wieder auf den König. „Ich fordere eine gerechte Gerichtsverhandlung und ein gerechtes Urteil! Und im Namen der de Jarjayes gewähre ich André Schutz bis dieses geschehen ist! Wenn Ihr jedoch weiterhin auf ein Todesurteil besteht, Majestät, dann tötet mich ebenso!“

 

„Aber Oscar...“, stotterte André perplex vor sich. Er hatte sich getäuscht! Er war ihr nicht gleichgültig! Seine Freundin erschien ihm in einem neuen Licht, das er als angenehm und gleichzeitig ernüchternd empfand.

Oscar legte ihr Schwert neben sich ab und senkte ihr Haupt. Schweigende Stille legte sich über den Saal und kein Mensch wagte sich zu regen. Nur einer von ihnen fasste seinen Mut zusammen und trat hervor. Er beugte an der Seite von Oscar und vor dem König das Knie. „Eure Majestät! Kapitän Oscar hat recht. André trifft keinerlei Schuld. Das war nur ein Unfall.“

Oscar schielte überrascht nach links und sah Graf von Fersen direkt neben sich. „Er hat Mut...“, dachte sie bei sich dabei erstaunt: „Was würde der König jetzt wohl tun?“

 

Weiterhin Stille...

Die Sekunden verstrichen wie unerträglich langwierige Stunden und die stickige Luft schien noch schwerer über dem Saal zu hängen als noch wenige Augenblicke zuvor.

 

„Eure Majestät!“, hallte es unverhofft aus einem Nebenraum und alle Köpfe drehten sich in die Richtung, aus der die Stimme kam. „Bestraft bitte niemanden!“ Marie Antoinette eilte von Abseits des Thronstuhls herbei und warf sich vor dem König auf die Knie. „Ich alleine trage die Schuld an dem Unfall! Niemand ist dafür verantwortlich!“

 

Der König schaute reglos auf die aufgelöste Kronprinzessin herab, überlegte eine kurze Weile, ließ die Spannung etwas in die Länge ziehen und nickte dann versonnen. „Nun gut. Wenn Ihre Hoheit das so sagt, dann ist wirklich niemand dafür verantwortlich.“ Sein Blick schweifte sogleich über die drei vor ihm Knieenden und er hob den Ton: „Erhebt euch alle! André, du hast noch einmal Glück gehabt. Bedanke dich bei Ihrer Majestät!“

 

„Danke, Euer Majestät...“, sagte André mit vor Erleichterung tränenden Augen. Er konnte sein Glück kaum fassen! Er warf einen Blick auf Oscar und lächelte sie an. Er konnte das, was er gerade für sie empfand kaum in Worte fassen: Beseelt, dankbar und beflügelt waren einer dieser unbeschreiblichen Emotionen von Gefühlen, die ihn gerade vereinnahmten.

 

Oscar atmete erleichtert auf. Diese Sache war gerade noch einmal gut ausgegangen und niemand musste sterben! Ohne das Eingreifen von Fersens und Marie Antoinettes, wäre das Ganze bestimmt anders verlaufen. Ob zum Guten oder nicht, darüber wollte Oscar lieber nicht nachzudenken. André wurde verschont und das war das Wichtigste für sie, was gerade zählte!

Oscar wollte gerade aufstehen, als ihr auf einmal schwarz vor Augen wurde. Ihre Verletzung forderte nun den Tribut und sie schwankte. Ihr Gesicht verzog sich schmerzlich und ihr Körper kippte zur Seite, direkt in Andrés Arme.

„Oscar!“ André fing sie erschrocken auf und entdeckte die blutverschmierte Stelle am Arm. Er erbleichte. „Sie ist verletzt!“



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  chrizzly
2016-10-07T18:57:43+00:00 07.10.2016 20:57
Chris, Ira macht immer beides. Ganz toll geworden. Freue mich schon auf das nächste Kapitel. 😍😍😍😍😍
Antwort von:  Saph_ira
08.10.2016 20:09
Vielen lieben und herzlichen Dank! :-) ;-) :-*
Von:  YngvartheViking86
2016-10-05T17:24:10+00:00 05.10.2016 19:24
Deine Beschreibungen sind wirklich klasse :)
Veränderst du weitgehend die Geschichte oder umschreibt sie neu?
LG Chris
Antwort von:  Saph_ira
05.10.2016 19:37
Dankeschön :-)
Ich werde auf deine Frage nicht viel verraten, aber es wird in der Geschichte schon einiges anders kommen bzw. die Veränderung und etwas von Umschreibung werden schon da sein. :-)
Liebe Grüße,
Ira
Antwort von:  YngvartheViking86
05.10.2016 23:04
Coole Sache ;)
Freu mich schon drauf, wie es weitergeht.
Antwort von:  Saph_ira
06.10.2016 14:28
Das ist schön, danke. ;-)


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