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Abstand

Wichtel-OS "Das letzte Mal"
von

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Abstand

Für lange Zeit hatte Tsunade gedacht, dass es niemals mehr jemand anderen als Dan in ihrem Leben geben würde. Nicht nur, weil sie vor ihrer Vergangenheit – und damit auch der Bewältigung ihres eigenen Traumas – weglief, sondern auch, weil sie niemanden mehr an sich heranlassen wollte. Dafür wachte sie viel zu häufig mitten in der Nacht auf, verschwitzt und mit dem dringenden Bedürfnis, sich die Hände so lange zu waschen, bis die Haut vor Überreizung rot war und schmerzte. Besonders in der ersten Zeit, als die Erinnerungen noch frisch waren, hatte sie viel zu oft das Gefühl, dass ihre Hände immer noch nass vor Blut waren. Dem Blut des Mannes, mit dem sie eine Familie hatte aufbauen wollen. Mit dem sie den Rest ihres Lebens hatte verbringen wollen.

In diesen Nächten hatte sie beschlossen, dass es besser war, einen gesunden Abstand zu halten. Sie konnte nicht noch einmal jemanden verlieren, vor allem nicht auf diese Weise.

Und so hatte sie über lange Jahre in Begleitung von Shizune und Tonton das Land durchstreift, gespielt, und gehofft, dass die Albträume irgendwann von selbst aufhören würden. Natürlich war ihr bewusst, wie töricht diese Hoffnung war. Zwar wurden die Albträume mit der Zeit weniger, wenn sie aber doch einmal von ihnen heimgesucht wurde, dann mit einer Intensität die ihres Gleichen suchte. Aber trotzdem, die Hoffnung starb ja bekanntlich zuletzt. Und gerade sie hatte doch auch ein wenig Glück verdient, oder?

Aber dann hatte sich alles verändert. Erst war Orochimaru aufgetaucht, dann Jiraiya. Und mit ihm der Junge. Was auch immer es gewesen war, er hatte etwas verändert. Und sie war nach Konohagakure zurückgekehrt.

Sie war erstaunt gewesen, wie wenig sich verändert hatte. Die meisten ihrer Lieblingsplätze waren fast noch genau so, wie Tsunade sie in Erinnerung hatte. Und auch die Kneipen und Restaurants, die sie gerne besucht hatte, existierten alle noch.

In einem dieser Restaurants traf sie nach einem langen Arbeitstag erneut auf Jiraiya. Tatsächlich hatten sie es nicht geschafft, sich seit ihrer Ernennung zum Hokage zu sehen, dazu hatte sie zu viele Treffen und zu viel Papierkram, zu denen sie erscheinen und mit dem sie sich auseinandersetzen musste.

„Na, wenn das nicht ein Zufall ist“, begrüßte Jiraiya sie, als sie an seinen Tisch trat. „Man könnte fast meinen, du wärest mir gefolgt.“

Das Grinsen auf seinem Gesicht war selbst nach Jahren ohne Kontakt immer noch viel zu einfach zu lesen. Tsunade hob nur eine Augenbraue, als sie sich mit an den Tisch setzte. Seinen eigenwilligen Humor hatte Jiraiya in jedem Fall nicht eingebüßt.

Und wenn sie ehrlich war, war sie sehr froh darum. Auch im Krieg hatte sie Jiraiyas Art oftmals davor bewahrt, einfach den Kopf zu verlieren. Sie hatte es immer geschätzt, dass er gewusst hatte, wann ein Kommentar angemessen war und wann es besser war, lieber den Mund zu halten.

„Ist das Hühnchen hier immer noch so gut wie früher?“, fragte sie. Wenn Jiraiya auf eine verspätete Reaktion ihrerseits gehofft hatte, dann wurde er enttäuscht.

„Sogar besser“, antwortete er. „Und sie haben deinen Lieblingssake immer noch.“

Tsunade lächelte, so ließ sich ein anstrengender Arbeitstag gut beenden. Als eine Kellnerin an ihren Tisch trat, gab sie ihre Bestellung auf.

„Es ist alles noch so … unverändert“, nahm sie das Gespräch wieder auf. Jiraiya nickte.

„Manchmal ist es, als wäre man nie weggewesen. Und dann plötzlich gehst du um eine Ecke, und siehst statt dem kleinen Gemüseladen den du erwartet hast einen von diesen neuen Supermärkten.“

Er nahm einen Schluck von seinem Sake und schüttelte leicht den Kopf. Tsunade konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.

„Du redest nicht zufällig von dem Laden mit der Verkäuferin, die vollkommen in dich verschossen war, oder?“, fragte sie mit einem leicht neckischen Tonfall in der Stimme, als eine Kellnerin an ihren Tisch trat um den bestellten Sake vor ihr abzustellen. „Glaub nicht, dass ich vergessen habe, dass du immer mehr Gemüse bekommen hast als du tatsächlich bezahlt hast.“

Jiraiya versuchte sich an einer Unschuldsmiene, scheiterte jedoch kläglich.

„Du hast dich nie beschwert, vor allem dann nicht, wenn du vom verarbeiteten Gemüse profitieren konntest.“

Auf die Schnelle wollte Tsunade keine schlagfertige Entgegnung dazu einfallen. Tatsache war, dass Jiraiya damit nicht Unrecht hatte.

„Ich glaube, ich muss mich auf Entdeckungstour begeben“, sagte sie stattdessen. „Und ich könnte dabei ein wenig Gesellschaft vertragen.“ Sie hob eine Augenbraue. „Du kennst nicht zufällig jemanden, den ich fragen kann?“

Sie konnte beinahe sehen, wie es in seinem Kopf arbeitete. Vage formulierte Aussagen funktionierten also immer noch sehr gut mit ihm. Das musste sie sich merken. Das Lächeln auf seinem Gesicht überraschte sie dann allerdings doch ein wenig.

„Ich glaube, ich wüsste da jemanden.“
 

Natürlich hatte er sich selbst gemeint und genau darauf hatte Tsunade auch abgezielt. Es gab vermutlich niemanden in Konohagakure abgesehen von Shizune, dem sie so nahe stand wie Jiraiya. Und sie hatten einiges aufzuholen, immerhin hatten sie sich über Jahre nicht gesehen.

Zudem, und sie würde sich hüten, dies direkt vor ihm zuzugeben, war er ein sehr unterhaltsamer Stadtführer. Er hatte noch immer ein Gespür für Orte, die etwas Einzigartiges hatten, vom normalen Betrachter allerdings gerne übersehen wurden.

Sie trafen sich abends, wann immer er und sie gleichzeitig Zeit finden konnten, um alte, nostalgiegeprägte Orte aufzusuchen oder neue Plätze zu erkunden, die Jiraiya entdeckt hatte oder über die sie auf ihrem Weg stolperten.
 

Da war zum Beispiel die Karaoke-Bar, in der sie nach einer besonders nervenaufreibenden Mission in ihren jungen Jahren die aufgestaute Anspannung hatten loswerden wollen. Das dieses Vorhaben unter entsprechendem Alkoholgenuss für die Ausstattung der Bar nicht gut geendet hatte, hatte ihnen damals ein Hausverbot eingebracht, das augenscheinlich noch immer galt.

„Gott, so nachtragend“, beschwerte sich Jiraiya lautstark, während Tsunade sich ein Prusten verkneifen musste. Sie waren kindisch gewesen, aber Spaß gemacht hatte es damals trotzdem, das konnte sie nicht abstreiten.
 

Und dann war da der Süßigkeitenstand, zu dem sie schon in ihrer Kindheit gerne gegangen waren. Der Besitzer hatte zwar gewechselt, die Dango, die dort angeboten wurden, wurden allerdings immer noch nach geheimem Familienrezept gefertigt. Und nach einem ausschweifenden Nachmittag des Probierens waren Jiraiya und Tsunade sich einig, dass die Qualität sich über die Jahre eindeutig nicht verschlechtert hatte.

„Meinst du, ich kann mir davon täglich welche ins Büro liefern lassen?“, fragte Tsunade, während sie zufrieden das letzte Stäbchen auf den beachtlichen Müllberg legte, den sie auf ihrer Picknickdecke angehäuft hatten.

„Ich glaube, einen Lieferservice haben sie noch nicht“, antwortete Jiraiya. „Aber die Idee ist verlockend. Du müsstest beim nächsten Mal den Vorschlag machen, sowas einzurichten.“

Tsunade nickte. Das war eine gute Idee. Andererseits, dann würde sie im Büro teilen müssen. Und wie viel sie dann abbekommen würde …

„Vielleicht ist es auch besser, wenn es keinen Lieferservice gibt,“ gab sie zu bedenken, als sie beobachtete, wie die Sonne langsam hinter dem Horizont verschwand. „So bleibt es etwas Besonderes.“
 

Jiraiya war es auch, mit dem sie sich das erste Mal dazu durchringen konnte, Dans Grab zu besuchen. Ihre Hände zitterten, als sie die Blumen, die sie mitgebracht hatte, sorgfältig in die kleine, dafür vorgesehene Vase neben dem Grabstein stellte. Vermutlich sah man ihr an, dass sie von ihren Gefühlen beinahe übermannt wurde, denn Jiraiya schwieg und versuchte nicht, die Stille mit Worten zu füllen, die sowieso ungehört an ihr vorbeigezogen wären. Stattdessen legte er behutsam seine Hand auf ihre Schulter. Er brauchte nichts zu sagen, die Geste war deutlich genug. Ein stilles, simples: „Ich bin für dich da.“ Tsunade konnte nicht in Worte fassen, wie dankbar sie ihm in diesem Moment war. Manchmal fragte sie sich, wie dieser Mann so gegensätzlich sein konnte, und wieso er immer abschätzen konnte, wann er kindisch und idiotisch sein konnte und wann nicht.

Er blieb bei ihr, eine Hand auf ihrer Schulter und ließ sie ihren Gedanken nachhängen, so lange wie sie es brauchte. Als sie sich letztendlich aufrichtete, fühlte sie sich, als wären Jahre vergangen. Sie atmete tief ein, ließ ihren Blick noch einmal auf dem in den Stein gravierten Namen ruhen. Von nun an würde sie öfter herkommen und ihm den Respekt erweisen, den sie ihm all die Jahre verweigert hatte, weil sie sich nicht mit seinem Tod hatte konfrontieren wollen. Jetzt fühlte sie sich stark genug dafür.

„Ich könnte Sake vertragen“, waren schließlich die ersten Worte, die sie nach der langen Zeit des Schweigens an Jiraiya richtete. Dieser nickte.

„Darf es auch etwas zu essen dazu sein? Um ehrlich zu sein, ich habe einen unglaublichen Kohldampf.“
 

Es war nicht dasselbe Gefühl wie mit Dan, wenn sie mit Jiraiya unterwegs war. Tsunade wusste, so wie für Dan würde sie für keinen anderen Menschen mehr empfinden. Dieser Zug war für sie endgültig abgefahren. Aber es konnte nicht schaden, die Distanz, die sie zu anderen Menschen aufgebaut hatte, wieder zu verringern. Sie war es leid, ständig Abstand zu halten, sich ständig allein zu fühlen. Sie hatte Hilfe, Menschen, auf die sie sich verlassen konnte. Shizune war die ganze Zeit, trotz all der Widrigkeiten, an ihrer Seite gewesen und auch dort geblieben. Und Jiraiya hatte sie früher schon bedingungslos vertraut. Warum sollte sie das nicht wieder können? Sie hatte nichts zu verlieren, aber alles zu gewinnen.

Und es zu versuchen würde sie zu einem glücklicheren Menschen machen, das hatte Tsunade im Gefühl.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Rabenkralle
2016-12-11T15:16:10+00:00 11.12.2016 16:16
Hallöchen!
Endlich habe ich Zeit gefunden, dein kleines Schmuckstück zu lesen – um die Spannung vorweg herauszunehmen. Deine Geschichte hat mir wirklich gut gefallen. Du kannst unglaublich gut über Tsunade und Jiraiya schreiben. Keiner wirkte auch nur in einem Wort so, als würde er aus der Rolle fallen. Kurzum: Du hast es drauf – nicht, dass das was Neues für mich wäre. :)
Die Gefühlsbeschreibungen von Tsunade haben mir besonders gefallen. Du hast sie einfach perfekt getroffen. So und nicht anders müssen sie sein.
Jiraiya hast du ebenfalls wunderbar getroffen. Ich bin auch ganz froh, dass du auf einen Anmachspruch seinerseits verzichtet hast. Das hätte zwar zu ihm gepasst, wäre in diesen Oneshot aber fehl am Platze gewesen.
Sehr gefühlvoll ist dir auch der Besuch an Dans Grab gelungen. Und die Besuche bei den Läden aus ihrer Kindheit hat die Geschichte ein wenig aufgelockert. Großartig! :)
Das Layout schmeichelt auch den Augen und deine Rechtschreibung ist eh top, nur hier und da hat ein Komma gefehlt, aber das kann ich (als möglicherweise zukünftige Deutsch-Lehrerin :D) verschmerzen.
Kurzum: Ich bin begeistert! Eine wirklich tolle, mehr als runde Wichtelgeschichte und ich bin dankbar, dass ich das Glück hatte, dir zugelost worden zu sein. Vielen, vielen Dank! =)

Liebe Grüße,
Rabenkralle


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