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Checkmate

Long live the King
von

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First Move: Hijack

Zehn Jahre später:
 

14:10 Uhr, Fr. 22.02.

Stratos City, Einall
 

Es klingelte zum Ende der Stunde und Aria packte schnell ihre Sachen zusammen, bevor sie einen kurzen Blick aus dem großen Fenster neben ihr warf, nur um festzustellen, dass Maria schon auf dem Hof stand. Also beeilte sie sich aus dem Klassenraum zu kommen und nahm die Treppe am Ostflügel, die nicht ganz so überfüllt war. Aria wollte Maria nicht schon wieder warten lassen, denn vielleicht überlegte Abiturientin es sich noch einmal anders und entschied sich, Aria nicht mehr für den Rest des Jahres nach Hause zu fahren. Denn freitags müsste Aria ziemlich lange auf die U-Bahn warten.

Aria drückte sich an ein paar plaudernden Schülern vorbei und erreichte nach einer gefühlten Ewigkeit endlich den Hauptausgang. Wie sie feststellen musste, war Maria nirgendwo zu sehen.

Ein Seufzer entwich ihr und sie verlangsamte ihr Tempo, bis sie nur noch über den Schulhof schlenderte. Es war wirklich zum Verzweifeln.

Maria Adams, Abschlussklasse, nahm sie normalerweise freitags immer mit, da sie bei Aria in der Nähe wohnte und ein eigenes Auto zu ihrem 18. Geburtstag bekommen hatte. Doch leider war Maria auch ziemlich ungeduldig und hatte einen strammen Zeitplan, weshalb sie Aria immer zehn Minuten ließ, um zu ihr zu gelangen. Ansonsten fuhr sie einfach nach Hause.

Aria hatte sie jetzt bestimmt schon zum vierten Mal verpasst.

Mit ihrem Bruder nach Hause konnte sie auch nicht, da der freitags immer länger Schule hatte als sie und erst in zwei Stunden Zuhause sein würde. Also machte Aria sich auf den Weg zur U-Bahn-Station. Vielleicht hatte sie ja Glück und ihre U-Bahn war auf wundersame Weise noch nicht weg.
 

Den Blick auf ihre schwarzen Dr. Martens gerichtete, die nass vom abtauenden Schnee glänzten, ging sie die 76. entlang. Diese Straße, auch als Trend Street bekannt, bot allerlei Einkaufsmöglichkeiten, sowie Stratos Citys weltberühmte Eisdiele und die international bekannte Stratos-Galerie. Und sie führte geradewegs ins Zentrum der Großstadt, in dem die Stratos Bank, Einalls größte Bank und zugleich riesiges Aktienunternehmen, lag. Genau davor war auch Arias U-Bahn-Station.

Aria starrte auf ihr Handy und scrollte durch ihre Nachrichten, als sie plötzlich gegen etwas prallte und zu Boden gerissen wurde. Ihr Hinterkopf traf auf dem rauen Pflaster auf und sie musste sich, den schmerzenden Kopf reibend, erst einmal neu orientieren. Ihr gegenüber saß ein junger Mann mit braunen Haaren, dessen Augen- und Nasenpartie halb von einer schlichten schwarzen Maske verdeckt wurden. Bernsteinfarbene Augen funkelten ihr aus dem Schatten entgegen und betrachteten sie argwöhnisch, während der Mann seine Maske richtete, die ihm bei ihrem Zusammenstoß wohl halb vom Gesicht gerutscht war. Doch sie kannte dieses Gesicht

irgendwoher.

Gerade als Aria schon loswettern wollte, weshalb er denn nicht aufgepasst hätte, kam neben ihm eine junge Frau in einem schwarzen Cocktailkleid zum Stehen, die sie nur mit einem kurzen Blick bedachte und den jungen Mann dann weiter scheuchte. Sie selbst nickte nur hinter sich und stürmte dann selbst auf ihren acht Zentimetern davon. Aria blickte ihr verdutzt nach. Auch sie hatte eine Maske auf, weshalb sie nur schemenhaft ihr Gesicht erkennen konnte.

Mittlerweile hatten schrille Alarmglocken begonnen zu klingeln und die Menschen auf dem Platz blieben stehen und wandten ihre Aufmerksamkeit der Bank zu. Auch Aria betrachtete geschockt den Eingang und blickte dann zurück zu den beiden, die nun in Richtung Trend Street

davonrannten.

Bevor sie sich jedoch weitere Gedanken über die beiden merkwürdigen Gestalten machen konnte, kamen weitere Personen auf sie zugerannt, zerrten sie hoch und zogen sie mit sich. Sie versuchte sich aus dem Griff einer blonden Frau zu befreien, deren Hand schien jedoch aus Stahl, sodass Aria sich darauf konzentriert bei dem Tempo, das ihre Entführer an den Tag legten, nicht auf die Nase zu fallen. Ein Blick nach hinten verriet ihr, dass noch jemand ihnen folgte, der mit einem lauten Krachen die Flügeltüren der Stratos Bank zugeknallt hatte, weshalb sie so auch nicht entkommen konnte.

Ihre Entführer sprinteten um jede Ecke, die sich ihnen bot und schlugen Haken, bis Aria die Orientierung verlor und sich nur noch hilflos mitziehen ließ. Erst dann bemerkte sie ihre wahren Verfolger. Eine ganze Horde Team Plasma Rüpel rannte hinter ihnen her, gefolgt von schwarzen Geländewagen. Aria riss die Augen auf. Wurde sie hier gerade von echten Kriminellen

entführt?

Sie versuchte zu schreien und auf sich aufmerksam zu machen, auf dass die Leute von Team Plasma sie vielleicht retten würden, doch kaum, dass sie den Mund aufgemacht hatte, wurde sie grob einen Gullydeckel hinuntergestoßen und fiel kreischend den dunklen Schacht hinunter. Anstatt jedoch unten auf dem Steg aufzuschlagen, wurde sie aufgefangen.

Dann wurde sie abgesetzt und ihre Beine zitterten, so sehr, dass sie kaum gerade stehen konnte. Sie wollte wegrennen, weg von diesen Leuten, doch eine Hand packte sie an ihrer Kapuze und zog sie zurück. Aria fand sich Auge in Auge mit der jungen Frau in dem Cocktailkleid wieder. Deren braune Augen schienen sie förmlich zu durchbohren und der Griff in ihrem Nacken verstärkte sich.
 

„Wo denkst du, gehst du hin?“, zischte die Braunhaarige. Aria presste die Lippen zusammen. Der Ton war schneidend und eisig kalt und sie entschied sich, sich lieber einfach nicht mehr zu bewegen. Sie wusste nicht, wozu diese Leute alles imstande waren und wollte es auch nicht herausfinden. Hier unten einen Versuch zu starten, andere Leute auf sich aufmerksam zu machen, war sowieso unmöglich. Vielleicht ergab sich noch eine Möglichkeit in diesem Labyrinth zu fliehen.
 

„Rose, wir müssen weiter, sie sind gleich hier unten“, meldete sich das Schlusslicht der Gruppe, ein junger Mann mit schwarzen Haaren und Brille. Er kletterte gerade die Leiter hinunter und stellte sich neben die Blondine, die Aria aus ihren grünen Augen missmutig musterte. Auch diese beiden hatten Masken auf, trotzdem erinnerten ihre Gesichter Aria an etwas.
 

Die Brünette, Rose, ließ von Aria ab und stellte sich zu ihrem Team. Aria atmete erleichtert aus und rieb sich kurz über den Hals, wo ihr ihre Jacke fast die Luft abgeschnürt hatte. Noch immer fühlte sie sich, als wären ihre Beine plötzlich zu Wackelpudding geworden und sie atmete heftig ein und aus. So schnell hätte sie selbst niemals rennen können.

Ihr Blick suchte den dunklen Tunnel ab, doch sie sah keine Möglichkeit zu entkommen; rechts von ihr floss das Abwasser wie ein dunkles Band in der Kanalrinne langsam vor sich hin, links war die mit Moos überzogene Wand und vor ihr an der Leiter standen die vermeintlichen Kriminellen.

Die einzige Chance war, dass Aria sich einfach umdrehte und den Tunnel entlang lief, doch sie würden sie sicherlich binnen Sekunden eingeholt haben und wer wusste, was dann mit ihr geschehen würde.
 

„W-warum habt ihr mich hierher gebracht?“, Aria bemerkte das leichte Zittern in ihrer Stimme und ihr war leicht flau im Magen geworden bei dem Gedanken, was diese Leute mit ihr anstellen könnten. Zwar hatte sie schon Verfolgungsjagden mit anderen Gangs als den Ravens erlebt, doch es war etwas ganz anderes von irgendwelchen Fremden ohne jegliche sichtbare Verbindung zu den Gangs aus Stratos City entführt zu werden.
 

„Nun, du hast sein Gesicht gesehen, bevor wir abtauchen konnten“, begann Rose und warf einen wütenden Blick zu dem braunhaarigen Mann, der sie nun neugierig beobachtete. „Deshalb konnten wir dich unmöglich da einfach so stehen lassen. Du hättest uns an Team Plasma verraten.“
 

„Ich…“, Aria fand keine Worte auf diese Aussage. Ihr Blick flog zu demjenigen, mit dem sie zusammengestoßen war. Dieses Gesicht kam ihr sehr bekannt vor, doch sie konnte nicht sagen woher. Eine leise Ahnung, dass dies hier keine normalen Großstadtgangster waren, machte sich in ihr breit.
 

Doch als er die Stimme erhob, wusste sie genau, wen sie vor sich hatte. Es war Jahre her, dass sie ihn das letzte Mal gesehen hatte und sie war gerade mal acht Jahre alt gewesen, doch er war ihr wie ins Gedächtnis gebrannt. Black Parker. Staatsfeind von Einall und seit fast zehn Jahren auf der Flucht vor seiner Hinrichtung. Ihr Vater hatte viel von ihm erzählt, als er noch lebte und auch von dem Kampf um das Schicksal der Pokemon, auch wenn Aria nicht viel davon verstanden hatte.
 

„Was machen wir jetzt mit ihr, Rose? Willst du sie wirklich mitnehmen?“
 

Aria sah etwas Kleines, silbernes in Rose Hand aufblitzen und wich instinktiv zurück, wollte rennen, doch der eiserne Griff der jungen Frau packte sie erneut im Genick und ihr wurde etwas Spitzes in den Hals gerammt. Ihre Sicht verdunkelte sich binnen Sekunden und Aria spürte, wie ihre Beine unter ihr nachgaben. Mit einem leisen Stöhnen driftete sie in die Bewusstlosigkeit ab.
 

Rose steckte die kleine Spritze wieder ein und holte ein dünnes Seil und ein schwarzes Tuch aus der kleinen Tasche an ihrem Oberschenkel. In schnellen Handgriffen hatte sie Arias Handgelenke gefesselt und ihr das Tuch wie eine Augenbinde umgebunden.

Dann richtete sie sich wieder auf. „Ich schätze, wir müssen sie mitnehmen. Wir haben keinen Amnesie-Rauch mitgenommen.“
 

Kollektives Nicken, dann setzte sich die kleine Gruppe wieder in Bewegung, diesmal in schnellerem Tempo als vorhin, da Team Plasma ihnen dicht auf den Fersen war. Die bewusstlose Aria wurde abwechselnd von den beiden Männern der Gruppe getragen.
 

*
 

Ein leises Brummen weckte Aria und sie öffnete blinzelnd die blauen Augen. Ihre Augenlider waren schwer und sie konnte bloß verwaschenes Schwarz sehen, doch langsam kehrten die Erinnerungen an die vergangenen Stunden zurück, was sie erschrocken aufspringen ließ. Sie wäre fast schon wieder zu Boden gefallen, hätte sie nicht jemand festgehalten. Ihr Mund war trocken und sie fühlte sich nicht in der Lage, zu schreien, sodass nur ein leises, hilfloses Krächzen ihre Kehle verließ.

Aria versuchte die Augenbinde von ihrem Kopf zu reißen, doch ihre Hände waren schmerzhaft auf ihren Rücken gefesselt. Also versuchte sie so viel Abstand wie möglich zwischen sich und denjenigen zu bringen, der sie trug.
 

„Rose, ich glaube, unser Dornröschen ist aufgewacht“, erklang es von hinten und Aria drehte den Kopf, konnte jedoch nur die verschwommenen Konturen desjenigen erkennen, der hinter ihnen stand. Der Stimme nach war es nicht Black Parker.
 

Sie erkannte lange Neonröhren durch den schwarzen Stoff auf ihren Augen. Das stetige Brummen und das Gefühl zu fallen, bestätigte sie in ihrer Annahme, dass sie sich in einem Fahrstuhl

befanden.

In aufkommender Panik versuchte sie sich aus dem Griff ihres Trägers zu befreien, auf dessen Rücken sie saß. Da er nicht damit gerechnet hatte, dass sie plötzlich so zappeln würde, lockerte sich sein Griff um ihre Beine und sie landete polternd auf dem zerkratzten Metallboden. Der Fahrstuhl war klein und auch ohne dass sie auf eigenen Beinen gestanden hätte, war wenig Platz zwischen den anderen gewesen, doch nun bestand für Aria keine Möglichkeit ihnen fernzubleiben. Die Augenbinde war ihr halb vom Gesicht gerutscht während ihres Sturzes, sodass sie nun von dem grellen Licht geblendet wurde. Sie presste sich gegen die Gitterwand, die wegen des Drucks leicht nach außen nachgab und versuchte keinen der Verbrecher aus den Augen zu lassen.

Rose warf wieder einen argwöhnischen Blick zu Black, der sie augenscheinlich getragen hatte, wandte sich dann aber ab und drängelte sich an der Blonden vorbei zu Aria durch. Zuerst dachte sie, Rose wolle ihr schon wieder eine Spritze in den Hals jagen, weshalb sie sich instinktiv kleiner machte, doch die braunhaarige Frau blieb reglos vor ihr stehen und betrachtete sie mit abschätzendem Blick.
 

„Ich werde sie mit zu Lauro nehmen. Black du kommst mit. Ihr beide“, sie fixierte die junge Frau mit den blonden Haaren und den Brillenträger, „arbeitet bitte den Bericht aus. Legt ihn mir einfach auf den Schreibtisch, wenn er fertig ist.“
 

Ein erleichtertes Aufatmen konnte sich Aria nicht verkneifen, aber sie hielt inne, als Rose den Namen Lauro erwähnte. Sie riss den Kopf hoch und begegnete ihrem braunen Blick. Diese schien Schock bemerkt zu haben.

Aria musste erst einmal verarbeiten, was sie gerade gesagt hatte. Sie meinte doch nicht etwa Lauro Harris, den ehemaligen Champion der Einall-Region. Das konnte unmöglich stimmen! Was war das hier? Erst Black Parker und dann noch der Champ der Region? Was war das hier für eine Organisation, dass sie einen Staatsfeind wie Black aufnahm?
 

Ein leises Räuspern riss sie aus ihrer Gedankenwelt und Aria blickte zu dem Black, der in der Fahrstuhltür stand und sie offenhielt. Die beiden anderen waren schon verschwunden. Nur Rose stand immer noch vor ihr und beobachtete sie stillschweigend.

Aria rappelte sich auf und wäre sie nicht in solch einer verqueren Situation, hätte sie wahrscheinlich ein leises Schnauben von sich gegeben, doch so konnte sie einfach nur stumm geradeaus blicken und versuchen, zu verarbeiten, was hier vor sich ging.
 

Es folgten ein weiterer, robusterer Fahrstuhl und eine breite Treppe, bis sie vor einer massiven Metalltür standen. Sie war in echten Stein eingelassen und von dem Moos, das auf den graubraunen Felsen wuchs, ging ein schummriges grünes Licht aus, das tiefe Schatten auf ihre Gesichter warf. Dieser Flur war nur durch die Moosbüschel erleuchtet und das Halbdunkel ließ Aria einen Schauder den Rücken hinunterlaufen.

Vielleicht war es ja gar nicht Champion Lauro, den sie gleich treffen würde, sondern nur jemand, der genauso hieß, wie dieser. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass jemand wie Lauro sich einer Verbrechergruppe anschloss.

Rose holte eine silberne Plastikkarte aus ihrer Beintasche und zog sie durch einen Scanner an der linken Seite. Das Leuchtsymbol sprang auf Grün um und mit einem leisen Zischen und schwerfälligen Rumpeln öffnete sich die Tür. Rose betrat den Raum als erste, danach Aria und Black folgte dicht hinter ihr. Auch dieser Raum war verdunkelt und nur ein riesiger Monitor an der hinteren Wand warf sein blaues Licht an die Wände. Als sie den Raum durchquerte, fiel Aria ein Tisch mit Modellhäusern auf und als sie genauer hinsah, erkannte sie die Einall Region in minimaler Größe. Bevor sie sich das Modell jedoch näher ansehen konnte, wurde sie von Black weitergeschoben und kam schließlich unmittelbar vor dem Monitor zum Stehen. Ein Schaltpult war darunter angebracht und vor ihnen stand ein großer Drehsessel, mit der Lehne zu ihnen gewandt. Als derjenige ihre Anwesenheit bemerkte, drehte sich der Sessel und ein Mann mittleren Alters mit langen rotbraunen Haaren und einem rauen Gesicht kam zum Vorschein.
 

Aria klappte der Mund auf. Sie stand zwar halb versteckt hinter Rose, konnte aber dennoch den Mann erkennen, der da in dem Ledersessel vor ihr saß. Es war tatsächlich Lauro! Fassungslos wollte sie einen Schritt zurück machen, wurde jedoch von Black daran gehindert, der sie am Arm festhielt, als sie an ihm vorbeitreten wollte.
 

„Oh, ihr seid also schon zurück“, die raue Stimme Lauros hallte unangenehm in der großen Halle und Aria hatte Mühe sich nicht einfach loszureißen und wegzulaufen. Wieso war Lauro bei einer kriminellen Organisation und allem Anschein nach sogar noch ihr Anführer? Er lebte doch friedlich in Dausing!
 

„Ja“, presste Rose hervor und ihre Stimme klang plötzlich seltsam belegt. „Die...die Mission ist gescheitert. Wir konnten den Dunkelstein nicht in unseren Besitz bringen.“
 

Sie senkte den Kopf und ihre Hände verkrampften sich leicht im schwarzen Stoff ihres Kleides. Aria lauschte angespannt Rose Worten. Dunkelstein? Was sollte sein und warum wollten sie es?

Lauro nickte nur verstehend, bis sein Blick hinter seine Agentin schweifte und er Aria entdeckte.
 

„Um Gottes Willen...“, er erhob sich aus seinem Sessel und kam in schnellen, schwerfälligen Schritten auf Aria zu, die vorsichtig zurückwich. „Wer ist das?“
 

Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Den ehemaligen Champion hier zu sehen, denjenigen, den sie nach ihrem Vater, aufgrund seiner gerechten und Menschen und Pokemon gegenüber liebenden Natur, am meisten respektiert hatte, machte sie sprachlos.
 

„Wir haben sie mitgenommen. Sie hat uns bei unserer Flucht vor Team Plasma gesehen.“
 

„Ich...Mein Name ist Aria...“, Aria versuchte Worte zu finden, die ihre jetzige Situation beschreiben konnte. Nicht nur, dass sie von Kriminellen gekidnappt wurde, nein, der Champion war sogar noch ihr Anführer!
 

„Verstehe...“, murmelte Lauro und fuhr sich durch die langen roten Haare. „Das ist ärgerlich.“
 

Aria blieb immer noch stumm, wand sich aber aus Blacks Griff und trat wieder einen Schritt vor. Ihre blauen Augen begegneten den Braunen des Champs unverwandt.
 

„Und was soll jetzt mit mir geschehen, jetzt wo ich das alles hier gesehen habe?“, fragte sie, ohne den Blickkontakt abzubrechen. Die Enttäuschung darüber, dass sie sich so sehr in ihrem Vorbild getäuscht hatte, ließ ihre Angst verfliegen. Sie wusste, sie war wagemutig, in einem solchen Ton zu sprechen, doch diese ganze Situation machte sie wütend. „Immerhin befinde ich mich hier in eurem Quartier. Wer seid ihr überhaupt?“
 

Lauro sagte zuerst nichts, dann wandte er den Kopf zur Seite und lächelte leicht. „Ganz einfach. Black hier, wird dich nach Hause bringen und dann mit Amnesie-Rauch obliviieren. Du wirst keine Erinnerungen an diesen Tag mehr haben. Und da du dich sowieso an nichts mehr erinnern können wirst, bekommst du deine Antwort. Wir sind die Rebellen von Einall.“
 

Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn dann aber wieder und verengte die Augen zu Schlitzen. „Das können Sie unmöglich ernst meinen.“ Die Offenbarung, die er ihr gerade geliefert hatte, ignorierte sie vorerst.
 

„Doch. Oder sollen wir dich hierbehalten? Denn, wie du so schön gesagt hast, befindest du dich in einem unserer Quartiere. Außerdem wärst du ein gutes Druckmittel gegen Team Plasma.“
 

Hinter Lauro war ein leises Räuspern zu vernehmen und Aria blickte an ihm vorbei zu Rose, die die Szene mit ausdruckslosem Gesicht beobachtet hatte und allem Anschein nach drängte, Lauro etwas zu sagen. Aria war jedoch damit beschäftigt dem Gesuchten hinter sich wütend anzusehen.
 

„Black, bring sie raus.“
 

*
 

16:34 Uhr, Fr. 22.02.

Rebellenquartier, Einall
 

Aria trottete hinter Black her, der von Lauro den Auftrag bekommen hatte, sie möglichst unauffällig nach Hause zu bringen. Sie war wütend. Wütend auf ihre Situation, auf die Rebellen, die sich so mir nichts dir nichts einfach entschieden hatten, es wäre besser, dass sie sie kidnappen, anstatt einfach an ihr vorbeizurennen und darauf, dass sie ganz offensichtlich in Begriff war, ihre Erinnerungen an diesen Tag einfach so zu verlieren. Wenigstens hatte Black ihr die Fesseln nach vorne gebunden, sodass sie sich nicht mehr die Schultern verrenkte.
 

„Black Parker also“, stellte Aria fest und heftete ihren Blick auf seinen Rücken. Er hatte sich die Anzugjacke ausgezogen und sich eine schwarze Kapuzenjacke über das weiße Hemd gezogen. „Wie ist es so als Staatsfeind zu gelten?“

Er schwieg zunächst und Aria hätte zu gern sein Gesicht gesehen.
 

„Ich denke, du kannst dir sicher vorstellen, dass es nicht das angenehmste Leben ist“, erwiderte er dann ruhig.
 

Aria kochte innerlich. Wäre dieser Idiot nicht gewesen, wären sie jetzt nicht in dieser Situation. „Warum seid ihr nicht einfach weitergelaufen? Ich konnte euch doch eh nicht ganz erkennen.“
 

„Aber du hast mich erkannt.“
 

„Als Rose deinen Namen gesagt hat, ja. Vorher nicht“, log Aria. Da er sie nicht ansah, brauchte sie sich um ihre Mimik keine Sorgen zu machen.
 

„Das stimmt nicht. Du hast mich schon bei unserem Zusammenstoß erkannt“, entgegnete Black genauso ruhig wie zuvor, doch sie meinte ein Schmunzeln aus seinen Worten zu hören.

Aria zog die Brauen zusammen und biss sich auf die Lippe. Dass er sie so schnell durchschaut hatte, gab ihr doch zu denken. Eigentlich war sie eine gute Lügnerin.
 

„Und die Rebellen existieren also wirklich“, stellte sie dann fest und wechselte damit das Thema. „Die meisten halten euch für einen Mythos.“
 

„Siehst du ja“, gab Black schlicht zurück. „Und es ist besser, wenn wir für die Öffentlichkeit auch bleiben, was wir sind.“
 

Aria schwieg. Er erzählte ihr anscheinend weniger als Lauro, auch wenn er wusste, dass sie es ohnehin wieder vergessen würde. Apropos vergessen. Sie musste sich schleunigst überlegen, wie sie aus dieser Misere wieder herauskam, ohne ihre Erinnerungen zu verlieren. Denn das ließ sie sich von diesen Kriminellen nicht bieten.
 

Als sie im Fahrstuhl standen, herrschte angespannte Stille. Aria kaute unruhig auf ihrer Unterlippe herum und warf immer wieder verstohlene Blicke in den Spiegel neben sich. Black starrte stur geradeaus und sie musterte sein Profil. Er sah seiner Schwester wirklich sehr ähnlich, das hatte Aria schon feststellen müssen, als ihr Vater ihr von den beiden Geschwistern erzählte. Nur seine Augen waren so ganz anders als Whites.
 

Bevor Black sie beim Starren erwischen konnte, blickte Aria zu Boden. Das Metall war mittlerweile zerkratzt und matt, außerdem waren ein paar Dellen hineingeschlagen. Sie fragte sich, was die Rebellen hier transportieren konnten, das so schwer war, dass der Boden nachgab.

Auch die Wände, die durch kleinmaschige Gitter gebildet wurden, wirkten abgenutzt und löchrig. Sie hatte wohl Glück, dass das Gitter sie bei ihrer letzten Fahrt gehalten hatte.

Was Aria viel mehr interessierte, war, wo sie sich befanden. Sie wüsste nicht, wo die Rebellen ein so technisch modernes Quartier errichtet haben könnten, da die meiste offene Fläche nah an den Städten war und Orte wie Wälder und das Wüstengebiet von wilden Pokemon nur so wimmelten, die den Menschen feindlich gesinnt waren.

Aria kannte Pokemon nur aus ihrer Erinnerung. Sie wusste, dass ihr Vater einmal ein kleines hundeartiges Wesen mit nach Hause gebracht hatte, das Feuer spucken konnte. Sein gestreiftes Fell war flauschig und warm gewesen und sie hatte gern mit dem Pokemon gespielt. Doch Scott hatte es, als sie älter war, nicht mehr mitgebracht.

Andere Pokemon, die sie kannte, waren die wilden Pokemon, die ihre Tante Rachel aus Sinnoh pflegte. Es waren meist helle, kalte Kreaturen und sie trauten sich nur selten an die Menschen heran.
 

In Einall gab es keine Pokemon, die mit Menschen zusammenlebten. Jedenfalls nicht mehr nach Team Plasmas Aufschwung. Aria hatte das alles damals noch nicht verstanden, doch während sie die kleine Wölbung unter Blacks Hoodie betrachtete, wurde ihr auf einmal klar, dass es mehr als eine politische Debatte gewesen war. Team Plasma hatte Bindungen zerstört, die nur jemand nachvollziehen konnte, der selbst einmal ein Pokemon besessen hatte.

Sie konnte nicht verstehen, wofür diese Leute hier kämpften, da sie nie eine Trainerin oder Besitzerin eines eigenen Pokemon war.
 

„Wenn wir gleich aus dem Fahrstuhl steigen, folgst du mir und redest kein Wort, verstanden?“, ergriff Black plötzlich das Wort und Aria blickte wieder zur Tür. Er sagte zwar nichts, doch sie war sich sicher, dass er bemerkt hatte, wie sie ihn beobachtete.
 

„Okay“, presste sie hervor und hielt den Blick geradeaus gerichtet. Da sie keine Ahnung hatte, wie lange sie wegen Rose Spritze bewusstlos war, hatte sie keinen Anhaltspunkt, wo das Quartier der Rebellen liegen könnte und wie sie Black entkommen konnte.
 

Denn das hatte sie vor. Er würde sie nach Hause bringen, nach Stratos City, die sie wie ihre Westentasche kannte. Sie würde ihm irgendwie auf dem Weg nach New Castelia entwischen und sich zu Ellis nach Darebridge oder zu den Ravens in den Osten von Midtown flüchten.

Aria würde die Rebellen ganz sicher nicht an ihrem Gedächtnis herumpfuschen lassen. Ihre Erinnerungen blieben dort wo sie sind und wenn sie nun wusste, wo das Quartier der Rebellen war, umso besser. Dann würde sie diese Kriminellen endlich zur Rechenschaft ziehen.
 

Es gingen Gerüchte in Stratos City um. Eine Gruppe unbekannter Personen infiltrierte die Presse, beging Anschläge und besaß illegalerweise Pokemon. Sie waren anders als die Straßengangs der Metropole und weitaus gefährlicher, wie man sagte. Diese Gruppe wurde Rebellen genannt. Eine gesichtslose Organisation, die wie ein Phantom immer mal in den Medien erschien.

Da Aria selbst Journalistin werden wollte, verfolgte sie täglich die Nachrichten. Team Plasma bemühte sich sehr, die Ereignisse, die unter dem Namen „Rebellen von Einall“ geschahen, unter den Teppich zu kehren oder mit anderen Dingen in Verbindung zu bringen, doch einige Vorkommnisse ließen sich einfach nicht anders als mit Rebellion erklären.
 

Der Fahrstuhl hielt und die Türen öffneten sich lautlos. Black stieg als Erstes aus und bedachte Aria ihm zu folgen. Sie kam seiner stummen Aufforderung willentlich nach, ließ ihren Blick jedoch durch den Flur schweifen, auf dem sie sich nun befanden. Ein gelber Streifen verkündete, dass sie sich nun auf Ebene 0 befanden. Sie waren also unter der Erde gewesen?

Black bog nach rechts und führte sie den Flur hinunter. Seine Hand, die die ganze Zeit leicht an ihrer Schulter lag, diente einerseits als Wegweiser, andererseits bemerkte sie auch die Drohung hinter der Geste. Sie würde ihm nicht entwischen.
 

Mehrere graue Türen säumten den Flur und Aria versuchte die kleinen Schilder, die neben ihnen an den Wänden befestigt waren, näher zu entziffern, konnte jedoch nur wahllose Zahlen lesen, da Black sie zügig voranschob. Sie näherten sich einer breiteren und massiveren Tür und Aria hatte das Gefühl, dass dies der Ausgang sein musste.

Black führte sie zu einem kleinen Tastenfeld, in das er einen Code eingab, den Aria angestrengt versuchte sich zu merken, dann legte er seinen Finger auf den silbernen Knopf darunter und die Zahlen leuchteten grün auf. Die Tür geriet in Bewegung, mit leisem Ruckeln öffneten sich die beiden Stahlflügel und verschwanden in den Wänden.

Von draußen peitschte ein heftiger Wind hinein und Aria musste aufgrund der Wucht des Windstoßes ein paar mal blinzeln. Goldener Sand wehte in den Gang und brachte einen Schwung Hitze mit sich. Das Wüstenresort? Also hatte sie doch nicht falsch gelegen.

Black zog sie mit sich hinaus in die unbarmherzige Hitze der Wüste.
 

Ein Sandsturm wütete über dem Naturschutzgebiet und Aria kniff die Augen zusammen, um keinen Sand hinein zu bekommen.
 

„Kannst du mir wenigstens die Kapuze aufsetzen und zuschnüren?“, fragte sie Black und ließ es extra vorwurfsvoll klingen, während sie ihre gefesselten Hände hob. Er selbst hatte sich eine schwarze Sonnenbrille und seine Kapuze aufgesetzt und sich ein schwarzes Tuch um Mund und Nase gebunden, sodass sie seine Reaktion nicht sehen konnte. Doch anstatt ihr die Kapuze aufzusetzen, band er auch ihr ein solches Tuch um das Gesicht und setzte ihr ebenfalls eine Sonnenbrille auf. Erst dann zog er die Kapuze über ihren Kopf.
 

„Ich hab dir doch gesagt, du sollst nicht reden“, bemerkte er dann. Aria funkelte ihn hinter den getönten Brillengläsern argwöhnisch an. Er hatte leicht reden.
 

Durch den Sandsturm konnte sie nicht erkennen, wohin sie gingen und das Laufen durch den losen Sand war anstrengend. Und ihr war so fürchterlich heiß.

Der Braunhaarige lief einfach seelenruhig neben ihr her, ihm schien die Wüste nichts mehr auszumachen.

Um sich herum konnte Aria auch über das Rauschen des Windes einige Pokemonrufe hören und knetete nervös ihre Hände, auf denen der Sand pikste. Was, wenn ein wildes Pokemon sie angriff? Würde Black sie beschützen?
 

Es fühlte sich an wie Stunden, während Aria mit ihrem schweigsamen Begleiter durch den Sandsturm lief. Ihre Beine wurden träge und sie kam nur noch mehr schlecht als Recht voran, als sich der Boden unter ihr plötzlich festigte und sie bald darauf auf vom Sand knirschenden Steinen lief. Dann erkannte sie das blasse Grün des Durchgangshäuschens und stand wenige Sekunden später auch schon im Kühlen. Ihre Haut prickelte immer noch unangenehm vom Sand und ihr war unendlich heiß. Die Klimaanlage kam ihr nur gelegen.

Black ließ sie einfach neben der Lüftung stehen, während er zu dem Mann hinter dem Schalter ging und ihm leise etwas zuflüsterte. Aria konnte nicht verstehen, was sie sagten, sah jedoch wie der Kontrolleur nickte, dann kam Black zurück.
 

Sie wurde wieder am Arm gefasst, diesmal fester als vorher und nach draußen geführt. Vor dem Durchgangshäuschen war es immer noch heiß, doch es wehte nur noch ein lauer Wind vom Wüstenresort herüber, sodass Black ihr das Tuch abnahm. Die Sonnenbrille behielt sie jedoch auf.

Und so ging ihr Marsch weiter. Wenn sie sich nun auf Route 4 befanden, war es nur noch eine Frage der Zeit, bis sie sich in die dunklen Straßen von Stratos City flüchten konnte.
 

*
 

16:27 Uhr, Fr. 22.02.

Rebellenquartier, Einall
 

Rose senkte den Kopf. Lauro hatte ihrem kurzen Bericht schweigend gelauscht und jetzt herrschte nur noch erdrückende Stille im Kontrollraum. Sie betrachtete eingehend ihre Schuhe und wartete auf eine Erwiderung ihres Chefs.

Seitdem ihr altes Team aufgelöst wurde, war dies ihre erste wichtige Gruppenmission gewesen und sie hatte es vermasselt.
 

„Wir müssen damit rechnen, dass sie den Dunkelstein wegbringen lassen“, begann Lauro nach einem müden Seufzer. „Wahrscheinlich zur ehemaligen Pokemonliga. Und deshalb müssen wir schnell handeln.“
 

Rose nickte, beschämt. „Wenn sie ihn erst einmal so nah bei sich haben, wird es unmöglich, ihn noch zu stehlen.“
 

„Andererseits bedarf diese Mission auch einer sehr guten Planung. Ich werde dein Team nicht vollständig davon entbinden, keine Sorge, Rose. Aber ich werde die Planung dieses Mal jemand anderem überlassen. Wir müssen den Dunkelstein bekommen, bevor sie ihn aus Stratos City fliegen“, fügte er hinzu. Rose konnte seine Gesichtszüge nur schemenhaft erkennen, da er mit dem Rücken zur einzigen Lichtquelle stand, jedoch meinte sie ein kurzes Aufglimmen in seinen Augen gesehen zu haben.
 

Rose wusste, dass diese Mission sehr wichtig für ihre Organisation war. Wenn sie den Dunkelstein erst einmal hatten, konnten sie sich Gedanken darum machen, wer der neue Held Einalls werden und Team Plasma zu Fall bringen konnte. Und sie hatte es wegen mangelnder Vorsicht vermasselt. Sie musste zugeben, dass es schon gewaltig an ihrem Ego kratzte, diese eigens geplante Mission so sehr in den Sand gesetzt zu haben. Sie waren ja gerade mal in den hinteren Bereich der Bank gekommen, als sie erwischt wurden.
 

„Bring die Baupläne der Stratos Bank bitte später hierher, sodass wir die Mission neu planen können. Und halte dein Team in Bereitschaft“, sagte Lauro, einen entschlossenen Unterton in seiner rauen Stimme und riss sie damit aus ihren trüben Gedanken.
 

Sie war sich nicht sicher, ob er schon immer so geklungen hatte. Vielleicht machte ihm die Luft hier unten doch mehr zu schaffen, als sie dachte. Er war in letzter Zeit öfter hier im Wüstenquartier gewesen und hatte sein Haus in Dausing der Pflege seines Enkels überlassen. Es beunruhigte Rose ein wenig, dass er sein normales Leben so sehr vernachlässigte, da Team Plasma immer noch ein Auge auf ihn hatte.
 

„Verstanden, Sir“, Rose salutierte leicht und wandte sich dann zum Gehen, als er sie noch einmal zurückrief.
 

„Sag Black bitte, dass ich ihn gerne noch einmal sehen würde, wenn er wieder da ist.“

Mit einem knappen Nicken verließ sie den Kontrollraum und mit dem Zuschlagen der Tür, fiel auch die Anspannung von ihr ab.
 

*
 

18:12 Uhr, Fr. 22.02.

Durchgangshäuschen Route 4, Einall
 

Der Marsch über Route 4 war nicht ganz so unangenehm und anstrengend wie die Wüste gewesen, doch Aria empfand es keinesfalls als angenehm mit ihrem leichten Sonnenbrand, den ihre Hände und ihr Gesicht davongetragen hatten, und einer Sonnenbrille in der winterlichen Vorstadt herumzulaufen. Es war zwar nicht kalt, da Route 4 direkt an die Wüste anschloss, doch für den Aufzug, in dem sie herumlief, keinesfalls angemessen.
 

Black hatte seine Sonnenbrille ebenfalls aufgelassen, genauso wie seine Kapuze, sodass man ihn als Außenstehender kaum erkennen konnte. Sie konnte verstehen, warum.

Auch wenn nur noch wenige den Flüchtlingen des Kampfes von vor zehn Jahren ihre Aufmerksamkeit schenkten oder sich gar an sie erinnerten, bedurfte es nur einer falschen Person und Black würde morgen seiner Hinrichtung entgegenblicken. Nicht, dass sie etwas dagegen hätte.

Aria hatte genug in den Nachrichten über die Verbrechen gehört, die ihm nachgesagt wurden und konnte sich bei der Hälfte durchaus vorstellen, dass er sie begangen hatte.
 

Dort standen sie nun, vor dem Durchgangshäuschen nach Stratos City und Aria fragte sich, weshalb Black zögerte. Sie wagte es nicht, ihn zu fragen, selbst wenn seine Anweisung nicht zu reden sie nicht davon abhielt.

Doch ihr blieb keine Zeit weiter zu grübeln, da Black sich neben ihr bewegte und sie mit einem leichten Druck auf ihre Schultern nach vorne schob. Dann betraten sie den Durchgang.

Dieses Mal blieb Black nicht stehen, um mit dem Mann hinter dem Tresen zu reden, sondern ging einfach stur durch die Menschen hindurch, die sich in dem kleinen Gebäude befanden. Dabei schob er Aria einfach vor sich her, sodass sie seinen Gesichtsausdruck nicht erkennen konnte, doch sie stellte sich vor, wie er versuchte so normal wie möglich auszusehen.

Sie wusste nicht, ob er Angst hatte entdeckt zu werden, doch sie vermutete, dass es ihm nicht allzu leicht viel, durch eine Stadt wie Stratos City zu gehen. Auch wenn ihm diese möglicherweise den besten Schutz bieten konnte, den er kriegen konnte.
 

Aria nestelte an den Fesseln um ihre Handgelenke herum. Das Seil war ziemlich fest, doch sie hatte es mittlerweile so sehr lockern können, dass es rutschte. Befreien würde sie sich noch nicht können, doch wenn sie sich irgendwo festhalten musste, würde es soweit hoch rutschen können, dass sie ein wenig Bewegungsfreiheit für ihre Hände hatte.

Ihr nervöser Blick galt dem Ausgang und sie zog ihre Ärmel weiter über die Fesseln, sodass Black nicht erkennen konnte, was sie tat.
 

Stratos City war hell erleuchtet und die Werbetafeln von Eskon strahlten farbenfroh gegen den dunklen Himmel. Es war mittlerweile dunkel geworden, noch etwas, das Aria bei ihrer Flucht behilflich sein konnte. Jetzt war sie in ihrem Revier; Stratos City war ihr Zuhause seit sie fünf war und sie kannte seine Viertel so gut wie ihre eigene Wohnung. Black war ihr gegenüber hier im Nachteil.
 

„Dann bring mich mal zu deinem Haus“, flüsterte er ihr zu und Aria musste sich ein kleines Grinsen verkneifen, auch wenn ihr Herz ihr bis zum Hals schlug. Sie würde ihm ganz sicher nicht zeigen, wo sie wohnte.
 

Sie nickte leicht und führte ihn dann in Richtung U-Bahn-Station. Corner Street, las sie am Schild und überlegte sich schnell, wie sie am besten von Eskon nach Darebridge kam. Bei Ellis wäre sie vorerst sicher.

Aria stieg langsam die Treppen hinunter, Black dicht hinter sich. Er hatte sie losgelassen, wahrscheinlich, da es komisch aussah, dass er sie ständig an der Schulter festhielt. Sie überlegte, weshalb er nicht einfach ihre Hand genommen hatte, doch dann fiel ihr ein, dass ihre Fesseln das nicht zulassen würden. Ein Vorteil für sie.

Da sie sich am Eingang Stratos Citys befanden, tummelten sich eine Menge Leute auf dem U-Bahnsteig und es fiel ihr umso leichter, zwischen die vielen Geschäftsleute zu schlüpfen, die auf dem Weg nach Hause waren. Aria war bewusst, dass Black ihr dich auf den Fersen war, doch sie durfte nicht zu auffällig sein. Sie hielt ihn nicht für dumm.
 

In einer schnellen Bewegung duckte sie sich zwischen zwei Männer in Flanellhemden und wurde schnell durch eine Frau mit Kinderwagen von Black getrennt. Als sie sich mit einem kurzen Blick über die Schulter vergewissert hatte, dass er sie in diesem Moment durch die ganzen Leute nicht sehen konnte, zog sie sich die Kapuze vom Kopf und nahm die Sonnenbrille ab. Ihre dunkelbraunen Haare, die sie vorher in einem Pferdeschwanz getragen hatte, ließ sie offen über ihre Schultern fallen. Zumindest für einen Moment würde er sie nicht erkennen können.

Als Nächstes schlängelte sich Aria weiter durch die wartenden Leute hindurch und entdeckte eine Bahn, die in Richtung Harlem, einem Stadtteil von Darebridge fuhr, in dem auch Ellis wohnte.

Vorsichtig schielte Aria wieder nach hinten, konnte Black zwischen den Leuten jedoch nirgends erkennen. Sie zog unauffällig ihre mit Fell besetzte Jeansjacke aus und hielt sie an ihre Brust. Aria hoffte, Black hatte sich nicht allzu viele Details ihres Pullis gemerkt.

Sie hielt am Bahnsteig und achtete darauf, dass sie erst dann stehenblieb, als sie Bahn auch schon einfuhr. Bloß keine Panik und verhalte dich so normal wie möglich, wiederholte Aria in Gedanken. Sie wartete darauf, dass sich die Türen öffneten und schlüpfte dann in die Bahn.
 

Diese fuhr an und Aria hielt sich schnell an einer Metallstange fest, um nicht umgeworfen zu werden. Ihr Blick glitt über die Personen in der U-Bahn. Sie konnte Black nirgends im Wagen erkennen und hielt sich nah an der Tür. Je schneller sie hier raus kam, desto besser.

Es waren kaum Geschäftsleute in dieser Bahn, da Darebridge eher der Künstlerdistrikt von Stratos City darstellte. Dort lebten einfache Leute, Künstler, die sich selbst verwirklichen wollten und Menschen, denen das rustikale Flair der Backsteinhäuser und Feuertreppen gefiel. Die meisten, die in Darebridge lebten, arbeiteten auch dort und nur wenige verschlug es nach Eskon, das für sein reges Nachtleben bekannt war.

Aria fiel in der Menge kaum auf. Sie hatte ihre Jeansjacke unauffällig unter ihren Pullover geschoben und sah nun ein wenig schwanger aus, doch es störte sie nicht und niemand sah sie komisch an. Die meisten waren in dicke Daunenjacken oder Lederjacken gehüllt und keiner kümmerte sich so recht um die Leute um sich herum. Irgendwo neben sich hörte Aria leise Musik aus Kopfhörern spielen und ein paar Menschen unterhielten sich leise.

Die Fahrt kam ihr unerträglich lang vor. Sie sah aus dem Fenster, in dem sich die Bahn spiegelte und behielt jeden ganz genau im Auge. Nach wie vor nichts von einer fragwürdigen Person mit Kapuze und Sonnenbrille zu sehen. Aria stand mit dem Rücken zu den Leuten, sodass nur wenige ihr Gesicht erkennen konnten.
 

Die U-Bahn hielt einige Male und mit jedem Mal wurde Aria aufgeregter. Gleich würden sie die Westminster Street erreichen und von da aus war es nur noch ein Katzensprung bis zu Ellis Apartment. Bei ihrer besten Freundin würde sie sicher sein, das wusste Aria. Und bisher sah es nicht so aus, als wäre Black ihr gefolgt.
 

Vorletzte Station. Arias Finger prickelten und sie klammerte sich an die Haltestange. Gleich wäre sie frei.
 

„Darebridge, Harlem. Westmister Street. Ausstieg links.“
 

Aria seufzte leise, als sie die erlösende Stimme des Bordcomputers hörte.

Die Bahn hielt und die Türen öffneten sich zischend. Nach dem Südländer neben ihr und einigen anderen Leuten, stieg sie aus der U-Bahn und steuerte gleich auf die Treppe zu. Zum Glück hatte niemand den Wagen kontrolliert, denn sie war schwarzgefahren. Sie war viel zu aufgeregt gewesen, um überhaupt an ein Ticket denken zu können.

Aria sah sich kurz um, als sie aus der U-Bahn-Station trat und von der regnerischen Nachtluft Darebridges empfangen wurde. Sie blieb nicht stehen und machte sich direkt auf den Weg zu Ellis.
 

Gerade als sie in die Winston Street biegen wollte, wurde sie zur Seite gerissen und ihr wurde eine große Hand auf den Mund gepresst, die ihr keine Möglichkeit zum Schreien ließ. Sie wurde gegen eine Hausmauer gedrückt und suchte panisch in der Dunkelheit nach dem Gesicht des

Angreifers.

Im schwachen Licht der Straßenlaterne an der Ecke glimmten bernsteinfarbene Augen auf und Arias Gesicht verdunkelte sich. Er hatte sie tatsächlich gefunden.
 

„Hattest du geglaubt, du könntest mir so einfach entkommen?“, Blacks Stimme hatte einen bedrohlichen Unterton.



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