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People always leave

Fortsetzung zu 'And now we can't have it'
von

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Schatten der Vergangenheit

Tai streckte seine müden Glieder und griff dann nach seinem Handy, was neben ihm auf dem Nachttisch lag und hell erleuchtete. Es vibrierte ein paar Mal und kündigte eine SMS an.
 

„Hey man, wo bleibst du? Die Party ist fast vorbei :-P“
 

Tai seufzte und legte es wieder weg. Ray hatte ihm schon den ganzen Abend immer wieder Nachrichten geschickt, wie viele heiße Girls auf seiner Party wären und dass er sich nur eine aussuchen müsste. Aber Tai wollte nicht irgendein Mädel abschleppen, nur weil er es konnte. Er wollte nur eine. Und die … war tausende Kilometer von ihm entfernt.

Er drehte sich zur Seite und sah auf die Uhr seines Weckers.

Es war 01.09 Uhr, mitten in der Nacht.

Häufig lag er noch um diese Uhrzeit wach, weil er wusste, dass Mimi es auf der anderen Seite der Welt auch war. Und wieder einmal überkam ihn die Hoffnung, dass sie vielleicht heute rangehen würde.

Erneut vibrierte sein Handy. Wieder Ray.
 

„Schwing deinen Arsch hier her, Alter. Ich hab dir extra ne Braut klargemacht und die wartet darauf, dass du sie mal ordentlich ran nimmst.“
 

Gott.

Auch das noch.

Warum fühlte dieser Typ sich eigentlich dazu berufen, sich um sein Sexualleben zu kümmern? Ray war manchmal wirklich etwas daneben und fühlte sich für Dinge verantwortlich, die ihn absolut nichts angingen. Aber das war wahrscheinlich der Preis dafür, wenn man mit jemanden wie ihm befreundet war.

Seufzend und mit den Augen rollend ignorierte Tai die Nachricht. Er streckte sich und stand auf, um zu seinem Schreibtisch zu gehen. Sein Laptop war geöffnet und er setzte sich davor. Dann klickte er auf Skype und scrollte zu Mimis Namen.

Er konnte nicht mehr zählen, wie viele Male er in dieser Woche schon versucht hatte, sie zu erreichen.

Nachdem er sie Monate lang in Ruhe gelassen und sie sich auch nicht bei ihm gemeldet hatte, sehnte er sich nun danach, wieder Kontakt zu ihr aufzunehmen. Und diese Sehnsucht wurde von Tag zu Tag ein Stück unerträglicher.

In den letzten Tagen hatte er ihr Mails geschrieben, SMS, hatte versucht sie anzurufen, doch sie antwortete nicht – kein einziges Mal.

Die Mails kamen nicht an. Die Anrufe gingen ins Bodenlose. Vermutlich hatte sie ihre Nummer geändert. Selbst Sora hatte schon ewig nichts von ihr gehört. Kari auch nicht. Niemand wusste etwas von ihr – was sie tat oder wo sie gerade steckte, wie es ihr ging …

Hätte er gewusst, dass sie auf diese Art und Weise für immer aus seinem Leben verschwinden würde, hätte er alles Menschenmögliche getan, um sie zurückzugewinnen. Er vermisste ihre Stimme. Er vermisste ihre Albernheiten, ihr Lachen, ihre unbeschwerte Art. Er vermisste es mit ihr zu tanzen und verrückte Dinge mit ihr anzustellen. Die Zeit zusammen mit Mimi – auch wenn sie von Lügen geprägt war – war die Schönste in seinem Leben gewesen.

Alles an ihr war gut.

Und jetzt …

War gar nichts mehr gut.

Tai schluckte den Kloß in seinem Hals runter und ignorierte das leichte Zittern seiner Finger, als er auf anrufen klickte.

Es klingelte ein paar Mal und mit jedem Tuten, stieg die Hoffnung, dass sie diesmal abnahm.
 

Abgebrochen.
 

Der Anruf wurde nicht erwidert. Er hatte keine Ahnung, ob Mimi überhaupt noch Skype benutzte oder ob sie ihn sogar blockiert hatte.

Er biss sich auf die Unterlippe und versuchte es noch mal, wartete weitere quälende Sekunden auf eine Antwort.
 

Abgebrochen.
 

„Verdammt!“, stieß er wütend aus und klappte den Laptop knallend zu. Tai raufte sich die Haare. Er kam sich so erbärmlich vor. Wie so ein naives Kind saß er da und trauerte einer verpassten Chance hinterher. Einer Chance, die nie wiederkommen würde. Und er hatte es immer noch nicht eingesehen, hatte es immer noch nicht begriffen, dass es endgültig vorbei war. Wahrscheinlich hatte sie schon längst einen anderen und dachte keine Sekunde mehr an ihn.

Verflucht, sie war seit Monaten weg, natürlich hatte sie jemanden. Ein hübsches Mädchen wie Mimi, blieb nicht lang alleine.

Scheiße!

Allein bei dem Gedanken daran, es könnte so sein, drehte sich ihm der Magen um.

Wütend über sich selbst sprang er von seinem Stuhl auf und tigerte in seinem Zimmer umher. Er musste sie endlich aus seinem Kopf kriegen. Er musste abschalten – jetzt sofort!

Entweder er würde sie jetzt ein für alle Mal vergessen können, oder er würde auf der Stelle durchdrehen.

Kurzentschlossen griff er nach seinem Handy, obwohl er genau wusste, was das bedeutete. Doch auch diesmal war er zu schwach, um der Versuchung, für ein paar Stunden alles zu vergessen, zu widerstehen.
 

„Bin auf dem Weg.“
 

Die SMS wurde an Ray versandt. Tai zog sich seine Klamotten über und verließ eilig die Wohnung. Alles, was er jetzt noch wollte, war sich abzuschießen und zu vergessen.
 

Bei Rays Haus angekommen, konnte er gerade noch sehen, wie die letzten Gäste die Party verließen. Anscheinend war schon alles vorbei, bevor Tai überhaupt die Gelegenheit hatte, mitzufeiern. Aber dafür war er ja auch nicht hergekommen.

Er schlenderte über den Rasen, doch sie nahmen keine Notiz von ihm. Sie lachten und waren viel zu vollgedröhnt. Sie hatten das, was er auch haben wollte. Was er haben musste …

Die Tür war offen, also ging er einfach rein, wie er es schon dutzende Male zuvor getan hatte. Inzwischen war er deutlich öfter bei Ray als zu Hause.

Er ging geradewegs ins Wohnzimmer, wo Ray mutterseelenallein auf dem Sofa hockte. Er hatte sich weit nach vorne gebeugt und hielt einen Controller in der Hand, auf dem er wie verrückt drauf rumdrückte. Auf dem Fernseher, der vor ihm an der Wand hing, rasten Autos durchs Bild. Der Gestank von Zigarettenrauch und Alkohol hing schwer in der Luft.

Erst registrierte er ihn gar nicht, doch als Tai sich wortlos neben ihn aufs Sofa schmiss, zuckte Ray hefig zusammen.

Sein Rennwagen krachte gegen die nächste Wand und die Worte GAME OVER blinkten auf.

„Alter“, hauchte Ray erschrocken und blinzelte. „Musst du dich so anschleichen?“

Tai grinste schief zur Begrüßung und schmiss einen Arm über die Lehne.

„Hast du Schiss, dass ich ein Bulle bin?“

„Nein“, kommentierte Ray trocken und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Bildschirm. „Aber wegen dir habe ich verloren, danke auch.“

„Immer wieder gern“, antwortete Tai.

Ray schmiss den Controller vor sich auf den Tisch und stand auf, um in die angrenzende Küche zu gehen.

„Dachte, du kommst nicht mehr. Hast das Beste verpasst, es waren ein paar echt heiße Schnecken hier. Willst du auch ein Bier?“

„Klar.“

Ray ging zum Kühlschrank und holte zwei eiskalte Flaschen Bier raus. Er öffnete sie und reichte Tai eine, als er sich wieder aufs Sofa setzte.

Nach dem ersten Schluck stöhnte Ray auf, als hätte er plötzlich einen Geistesblitz.

„Gott, ich hab vergessen, Ami deine Nummer zu geben.“

Tai zog irritiert eine Augenbraue in die Höhe.

„Wer ist Ami?“

Ray verdrehte die Augen. „Na, die Kleine, von der ich dir erzählt habe. Erinnerst du dich? Sie ist nicht die hellste Kerze auf der Torte, aber sie macht einen verdammt guten Job, wenn du verstehst, was ich meine.“

Ray zwinkerte ihm vielsagend zu und machte eine eindeutige Geste mit seiner Hand und seinem Mund. Tai schüttelte es. Den Gedanken, mit einer Frau im Bett zu landen, die vorher seinem Kumpel einen geblasen hatte, fand er widerlich. Zumal er nicht auf emotionslose Bettgeschichten aus war.

Trotzdem zwang er sich zu einem Lächeln.

„Vielleicht ein ander mal.“

„Jaah“, meinte Ray und zuckte mit den Schultern, ehe er noch einen großen Schluck von seinem Bier nahm. „Also, warum bist du doch noch gekommen? Ich dachte, du pennst schon.“

Tai versuchte cool zu bleiben und sich nichts anmerken zu lassen. Doch die Wahrheit war, dass er sich jedes Mal, wie ein beschissener Kleinkrimineller vorkam, der seiner Mama Geld klaute.

„Hast du … hast du … Also, ich dachte, du könntest vielleicht …?“

„Oh, man“, stieß Ray frustriert aus und lehnte sich weiter zu ihm rüber. „Soll ich dir etwa einen blasen?“

Tai hob abwehrend die Hände. „Nein, danke, kein Bedarf.“

„Na also, warum stotterst du dann so rum?“, entgegnete Ray lachend und holte ein Tütchen aus seiner Hosentasche, wie andere einen Kaugummi.

„Sag doch einfach, dass du deswegen hier bist. Ist doch so, oder?“

Er schmiss ihm das Tütchen mit dem weißen Inhalt auf den Schoss und lehnte sich zufrieden zurück, während Tai betreten zu Boden sah.

Er hasste es, wenn Ray so tat, als wäre das alles völlig normal und nicht der Rede wert. Für ihn war es das vermutlich auch. Drogen waren ein fester Bestandteil seines Lebens. Sie waren sein Business. Für Tai hingegen war es der allerletzte Ausweg. Doch heute konnte er mal wieder nicht anders. Er brauchte sie, um sich besser zu fühlen. Weil es sonst nichts mehr gab, womit er sich gut fühlte.

„Danke“, murmelte er und machte sich daran, das Tütchen zu öffnen und eine Line auf dem mit Bierdosen überfüllten Tisch zu ziehen.

„Bedank dich später, wenn du mein nächstes Referat vorbereitest“, sagte Ray. „Ohne dich und deinen schlauen Kopf wäre ich sicher schon längst von der Uni geflogen. Und wo sollte ich dann meine ganzen Kunden herbekommen?“

Ja, natürlich musste er ihn auch noch ausgerechnet jetzt an ihren beschissenen Deal erinnern: Drogen gegen Hausarbeiten und Referate. Aber Tai hatte keine andere Wahl, wenn er dieses Zeug wollte. Ray wollte von ihm kein Geld. Er wollte sein Wissen ausnutzen, um an der Uni weiter Drogengeschäfte abzuwickeln – und das war weitaus schlimmer, als wenn er ihm jeden Monat sein Taschengeld abgezogen hätte.

Tai wischte sich über die Nase, nachdem er das Crystal weggezogen hatte. Er ignorierte Rays Kommentar, lehnte sich zurück und genoss stattdessen die Wirkung der Droge, die sich bereits jetzt in seinem ganzen Körper bemerkbar machte.

Er fühlte sich federleicht. Als könnte er Bäume ausreißen. Und Mimi … die war meilenweit weg.

Gut so. Endlich fühlte er sich besser.

„Hey, hast du noch ein Bier?“, fragte Tai, noch bevor er seine Flasche ansetzte und weg exte.

„Klar, Kühlschrank“, sagte Ray. Tai stand auf und ging in die Küche. „Fühl dich wie zu Hause, Kumpel.“

Das musste er ihm nicht zwei Mal sagen. Tai und Ray zockten noch eine ganze Weile das Autorennspiel und Ray fluchte wie wild, weil Tai ständig gegen ihn gewann, während dieser einfach nur wie irre lachte. Völlig benebelt zog er sich ein Bier nach dem anderen rein und zwischendurch schenkte Ray ihnen noch ein paar Shots ein. Er fühlte sich berauscht und hatte alles andere um sich herum vergessen. Er wusste nicht einmal mehr, wie spät es war, geschweige denn welcher Tag gerade war.

„Ha!“, stieß er aus und schmiss sich zurück in die Kissen. „Ich hab dich schon wieder besiegt.“

„Verdammte Scheiße!“ Ray schmiss den Controller auf den Tisch, der dort aufprallte und danach krachend zu Boden fiel. „Wie kannst du so zugedröhnt und trotzdem noch so gut sein?“

„Tja, ich bin eben ein Naturtalent“, grinste Tai überheblich und Ray zischte.

„Du hat einfach nur ein zu großes Ego, das ist alles.“

„Die einen sagen so, die anderen sagen so.“

Ray musste lachen und zündete sich eine Zigarette an. „Willst du auch?“

Er hielt sie Tai vor die Nase und dieser nahm dankend an. Normalerweise rauchte er nicht, aber es fiel ihm von mal zu mal leichter sich in Rays Gegenwart anzupassen.

„Danke“, sagte Tai und nahm einen Zug von dem Glimmstängel, während sich Ray eine Neue anzündete. Dann lehnte er sich zurück und musterte Tai fragend.

„Was ist los mit dir?“

Tai zuckte mit den Schultern und nahm noch einen Zug. „Was meinst du?“

„Ach, komm schon“, entgegnete Ray ungläubig. „Du verpasst absichtlich eine Party und tauchst dann mitten in der Nacht auf, um ein paar Drogen abzugreifen? Das ist selbst für dich ungewöhnlich. Also, was ist passiert?"

„Nichts“, brummte Tai und gönnte sich noch einen Schluck Bier, aber er stellte es schnell wieder auf den Tisch, denn so langsam bemerkte er den Nebel, der sich in seinem Kopf breit machte.

„Es ist wieder diese Kleine, hm?“, bohrte Ray weiter. Tai wandte den Blick ab. Ray lachte und klopfte ihm auf die Schulter.

„Man, wann vergisst du sie endlich?“

„Ich bin dabei.“

„Du lügst.“

„Ja, vielleicht.“

Was wollte er denn hören? Dass ihm Mimi egal war? Das würde leider niemals passieren.

„Du solltest dich echt mal mit anderen Frauen treffen“, schlug Ray zuversichtlich vor und knetete ihm die Schulter, als hätte er den absoluten Durchblick.

„Du musst dich endlich wieder auf was anderes konzentrieren, als immer nur auf diese Mimi. Das ist nicht gesund, man.“

„Wem sagst du das“, seufzte Tai und nahm noch einen letzten Zug von seiner Zigarette. „Aber sie geht mir nun mal einfach nicht aus dem Kopf. Sie ist … wie ein Geist. Ein Geist, der in meinem Hirn rum spukt und sich dort festgesaugt hat.“

Ergab das Sinn?

Vermutlich nicht.

Tai wusste selbst nicht mehr, was er hier eigentlich redete. Er war einfach schon zu vollgedröhnt und sein Blick verschwamm immer mehr. Sein Kopf war ein einziges Kettenkarussell.

Kettenkarussell … toll. Und schon wieder dachte er an Mimi.

„Wenn das so ist“, sagte Ray und überlegte laut. „Musst du sie dir aus dem Hirn vögeln.“

Stirnrunzelnd wandte sich Tai zu ihm um.

„Was?“

„Du. Musst. Sie. Dir. Aus. Dem. Hirn. Vögeln“, wiederholte Ray, als wäre er taub. Oder bescheuert.

„Ich hab dich schon verstanden, ich bin nicht dämlich“, maulte Tai ihn an, während Ray nur verstohlen grinste.

„Sorry Bruder, aber das ist das Einzige, was dir noch helfen kann. Sex hat bisher noch jedem geholfen.“

Er sagte das, als hätte er gerade ein Heilmittel gegen Krebs erfunden.

„Vielleicht schreibst du doch mal dieser Ami. Ich sage dir, es lohnt sich. Und, wenn das nicht reicht, kann ich dir auch noch eine verschaffen. Oder noch eine. Wir könnten einen wilden Dreier machen oder … vielleicht gleich eine Orgie …“

„Okay!“, unterbrach Tai ihn in seiner Euphorie, bevor er sich zu sehr reinsteigerte. „Das ist definitiv der Zeitpunkt, an dem ich gehen werde.“

Er drückte den Rest seiner Zigarette in einem Aschenbecher aus und erhob sich. Dann machte er einen ungeschickten Schritt zur Seite.

Woah. War der Boden schon immer so schief gewesen?

„Hey, warum hast du`s plötzlich so eilig?“, lachte Ray. „Willst du jetzt wirklich noch nach Hause? Du kannst gerne hier pennen.“

„Nein, danke“, erwiderte Tai mit schwerer Zunge. „Du bist mir unheimlich. Das mit der Orgie war echt zu viel des Guten.“

Ray lachte noch lauter, hielt sich den Bauch und ließ sich rücklings aufs Sofa fallen.

„Ich schicke Ami deine Adresse.“

Tais Antwort war der erhobene Mittelfinger.

„Fick dich, Ray.“

Doch Ray lachte einfach immer weiter. Dieser Typ war vollkommen irre.

Tai verließ das Haus und atmete die frische Nachtluft ein. Gott, er konnte inzwischen keinen klaren Gedanken mehr fassen. Und verflucht, alles vor seinen Augen wankte gefährlich. Wie viel hatte er noch mal getrunken? Definitiv mehr als er gemischt mit den Drogen vertragen konnte. Wenn er das Crystal nahm, verzichtete er danach in der Regel auf Alkohol. Das heute war einfach zu viel.

Zu viele Drogen.

Zu viel Alkohol.

Zu viele quälende Gedanken.

Er wagte einen Schritt nach unten und die erste Stufe schaffte er ohne Probleme. Die Zweite auch. Bei der dritten geriet er ins Stolpern und stürzte förmlich die restlichen Treppenstufen hinunter.

Taumelnd versuchte er irgendwie, das Gleichgewicht zu halten, doch der nächste Schritt brachte ihn zu Fall.

Er landete mit seinem Gesicht im Gras und ein stechender Schmerz zuckte durch seine Glieder.

Alles drehte sich. Oben war unten und unten war oben. Der tiefschwarze Nachthimmel tauchte alles in Dunkelheit und Tai hatte das Gefühl, sie würde ihn verschlucken.

Was nicht weiter schlimm war, denn er fühlte sich schon längst eins mit der Dunkelheit. Und dieses Gras war so verdammt weich. Und wie das duftete … so frisch und blumig und irgendwie ein bisschen nach Mimi.

Mimi …

Wie sehr er sie vermisste. Das tat so verdammt weh in seiner Brust.

Sie war immer der letzte Gedanke, bevor er einschlief.

Er dachte an ihre weiche Haut.

An den Klang ihrer Stimme.

Die Farbe ihrer Augen.

Daran, wie ihre Lippen schmeckten und wie sie …

Tai schloss die Augen und ließ sich endgültig und ohne Wiederkehr fallen. Die dunkle Nacht verschluckte ihn und bettete seine müden Gedanken in eine Wolke aus Nebel.
 

„Tai … Tai …“

Jemand rüttelte an ihm. Unsanft. Grob.

„Geeeh“, murrte er. Weg mit ihm. Er wollte jetzt nicht aufstehen. Sein Bett war so schön weich und roch so gut. Es war nur etwas erhitzt. Und auch sein Rücken brannte.

Er rollte sich mit einem gequälten Laut auf die Seite. Irgendjemand rüttelte immer noch an ihm. Und es stank ganz entsetzlich. Etwas zerrte an seinem Arm.

„Waaas?“

„Tai, jetzt wach auf, verdammt!“

Irgendwoher kannte er diese Stimme. Seine Mutter war es jedenfalls nicht.

„Tai, du dummer Idiot. WACH. AUF.“

Matt? Das war doch eindeutig Matts Stimme. Oder … na klar, das bildete er sich ein. Eine Nebenwirkung der Drogen und des Alkohols. Ganz klar. Matt konnte ja unmöglich hier sein, in seinem Zimmer. Und wenn doch, dann sollte er ihn einfach nur in Ruhe lassen.

Im nächsten Moment, während Tai schon wieder drohte abzuschweifen, packte ihn jemand unter den Armen und hievte ihn hoch.

Widerstrebend öffnete Tai die Augen.

Bei dem Anblick, der sich ihm bot, erschrak er so heftig, dass er rückwärts taumelte.

Was zur Hölle …?

Ja, das war sie. Es war die Hölle und sie brannte lichterloh. Rauch stieg in einer dicken, undurchdringlichen Wolke zum Himmel auf und verpestete die Luft. Er musste husten. Verdammt, wie lange hatte er den Rauch schon eingeatmet? Und wo war er überhaupt?

„Komm, schon. Wir müssen hier weg“, hörte er wieder Matts Stimme, so dicht an seinem Ohr und so voller Panik. Und trotzdem fragte er sich, ob er sie sich nicht doch eingebildet hatte. Doch sein Freund zerrte weiter an seinem Arm. Weiter weg vom Höllenfeuer, das ihn verschlucken wollte.

„Tai, man jetzt komm endlich. Die Feuerwehr wird gleich hier sein und die Polizei auch. Wir müssen von hier verschwinden.“

„Das ist …“, stammelte Tai wie benommen und konnte seinen Blick nicht von dem Höllenfeuer abwenden, was vor seinen Augen immer weiter gen Himmel stieg. „Das ist der Teufel. Er ist gekommen, um mich zu holen. Weil ich so ein verdammtes Arschloch war.“

Matt schmiss ihn auf die Rückbank eines Autos, wo Tai wie ein nasser Sack liegen blieb. Er begann zu husten und seine Kehle brannte mit einem Mal, als hätte er Feuer geschluckt.

Gott, das war der heftigste Tripp, den er jemals hatte.

So was Abnormales war ihm zuvor noch nie passiert.

„Du bist zwar ein dummer Idiot, aber deshalb ist noch niemand in der Hölle gelandet“, sagte Matt gehetzt. „Lass uns einfach von hier abhauen. Schnell!“

Tais Gedanken tanzten wie die Flammen, sein Kopf schmerzte und er betete, dass die Wirkung der Drogen schnell nachlassen würden. Er bekam mit einem letzten Augenblinzeln gerade noch mit, wie Matt nach vorn auf die Fahrerseite sprang und den Motor startete.

Dann glitt er erneut davon …
 

Tai schreckte so heftig hoch, dass sein Kopf sofort zu hämmern anfing.

„Oh, fuck“, stöhnte er gequält auf und kniff die Augen vor Schmerz zusammen.

„Hey, alles in Ordnung?“

Schon wieder war da Matts vertraute Stimme, doch diesmal hörte er sie so klar und deutlich, dass er wusste, es war keine Einbildung.

Er öffnete die Augen und war zurück in der Realität. Was für ein krasser Traum … Oder war es eher eine Erinnerung?

„Geht es dir gut?“, fragte Matt, der neben seinem Bett saß und ihn besorgt musterte.

„Alles okay“, log Tai und ließ sich behutsam zurück in sein Kissen sinken. „Hab nur schlecht geträumt.“

Dabei fühlte es sich so real an, als wäre es wirklich passiert.

„Wie lange war ich weg?“, erkundigte sich Tai mit belegter Stimme.

„Fast drei Stunden“, erwiderte Matt. „Nachdem Izzy rausgegangen war, bist du sofort wieder eingeschlafen. Der Arzt hat dir in der Zwischenzeit eine weitere Dosis Schmerzmittel verabreicht.“

„Jaah“, meinte Tai gedehnt und griff sich an den Kopf. „Ich fühle mich ganz gut.“

„Du sollst trotzdem noch liegen bleiben.“

„Kommt die Anweisung von dir oder von dem Arzt?“

Matt seufzte. „Warum bist du so bissig? Ich bin schließlich nicht daran schuld, dass du jetzt hier liegst.“

„Nein“, entgegnete Tai eine Spur zu gereizt und richtete den Blick auf die leere Wand gegenüber, anstatt seinem Freund in die Augen zu sehen. „Und wer ist dann deiner Meinung nach daran schuld? Mimi? Kyle? Ich selbst?“

Matt verschränkte die Arme vor der Brust. „Das hat doch gar keiner gesagt, Tai. Es ist nur …“

„Es ist nur so, dass ihr mich die ganze Zeit angelogen habt“, beendete Tai seinen Satz und warf ihm einen giftigen Blick zu. Er konnte ja in gewisser Weise verstehen, dass sie ihn nur beschützen wollten. Aber von seinem besten Freund hätte er mehr erwartet. Letztendlich war es Izzy gewesen, der ihm die ganze Wahrheit erzählt hatte. Er hätte sich von Matt dieselbe Aufrichtigkeit gewünscht.

„Hör mal, Tai. Ich hab die ganze Zeit nur versucht, dich zu beschützen.“

„Das habe ich in letzter Zeit wirklich zu oft gehört.“

„Aber es ist die Wahrheit.“

Tai wusste, dass Matt es ernst meinte. Trotzdem war er enttäuscht von ihm. Aber das konnte noch warten. Er hatte noch alle Zeit der Welt, um auf seinen besten Freund sauer zu sein. Zunächst musste er sich um eine andere Sache kümmern, bevor er New York für immer verließ.

„Ich möchte nicht mit dir streiten, Matt“, sagte Tai versöhnlich, was den Musiker aufsehen ließ. „Ich möchte dich um einen Gefallen bitten.“

„Klar, alles, was du willst.“

Tai wandte den Kopf und sah Matt in die Augen. „Geh zu Mimi und bitte sie her.“

Matts Miene versteinerte sich und sein Blick wurde kühl. Tai runzelte die Stirn. Er wusste, dass Matt schon seit längerem nicht gut auf die Brünette zu sprechen war. Aber in seinen Augen lag mehr als nur Verachtung. Das kannte er so nicht von ihm. Seit wann war er Mimi gegenüber so feindselig gestimmt?

„Bitte, Matt“, flehte Tai, doch Matt ließ sich nicht erweichen.

„Vergiss es“, antwortete er entschieden und lehnte sich mit verschränkten Armen im Stuhl zurück. „Du hast durch sie bereits genug Probleme bekommen, findest du nicht?“

„Matt, komm schon.“ Betrübt ließ Tai den Kopf sinken. „Ich bitte dich ja nicht, sie für mich zu fragen, ob sie mich heiraten möchte. Ich möchte mich lediglich verabschieden. Das ist alles.“

Tai hoffte inständig, dass sein bester Freund ihn verstand. Er musste doch verstehen, dass er nicht einfach so verschwinden konnte, ohne ihr alles zu erklären. Ohne sie ein letztes Mal zu sehen. Aber Matts Gesichtsausdruck blieb eiskalt.

„Bitte, Matt. Kannst du mich nicht verstehen?“

„Doch, ich verstehe dich besser als du denkst. Aber trotzdem … nein.“

Tai schürzte die Lippen und krallte die Hände ins Laken. Wieso war er nur so verdammt stur?

„Findest du nicht, ich habe was gut bei dir?“

Eigentlich wollte er diese Karte nicht ausspielen, aber Matt ließ ihm gerade keine andere Wahl.

Matt sah ihn widerstrebend an und öffnete den Mund, um etwas zu sagen. Doch dann verstummte er.

„Ja, hast du.“

„Danke.“

„Wieso fragst du nicht Izzy oder Kari? Oder Sora?“

Tai legte den Kopf schief und zog eine Augenbraue in die Höhe.

„Ist das nicht offensichtlich? Izzy ist viel zu stark mit in diese Sache mit Kyle involviert. Er ist quasi sein Boss. Ich habe keine Lust darauf, Izzy ebenfalls von der Straße kratzen zu müssen, wenn Kyle ihn bei Mimi sieht. Und Kari und Sora? Im Ernst? Willst du wirklich, dass die beiden dort hin gehen, wenn Kyle eventuell auch da sein könnte und der Typ, der mir das angetan hat?“

Er zeigte mit dem Finger auf seinen Kopf und Matt nickte entschieden.

„Stimmt, daran hatte ich nicht gedacht.“

Sein bester Freund verengte die Augen zu Schlitzen. „Aber nur, dass das klar ist. Ich werde sie nur ein mal fragen. Wenn sie nein sagt, werde ich sie nicht anbetteln.“

Tai presste die Kiefer aufeinander.

„Okay.“

Hoffentlich würde es nicht dazu kommen. Er musste Mimi unbedingt sehen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Kleines-Engelschen
2020-11-13T10:44:13+00:00 13.11.2020 11:44
Ein schönes Kapitel. ich bin gespannt wie es weitergeht!

greetz
Von:  Hallostern2014
2020-11-11T11:28:48+00:00 11.11.2020 12:28
Huhu meine Liebe ❤😘

Nun komme ich endlich dazu dein schönes Kapitel zu Kommentieren.

Jetzt wissen wir schon bzw können uns vorstellen wie es zum Feuer kam. Evtl ist der Aschembecher runtergefallen. Aber dieser Ray ist genau so ein Arsch wie Kyle beiden haben nur Geld und Sex im Kopf. Zum glück ist Tai nicht uf seine Vorschlage drauf eingegangen.

Dennoch bin ich enttäuscht das er sich mit Drogen so Kaputt gemacht hat. Auch wenn er wegen Mimi leidet hätte er was anderes machen sollen. Z.b gleich zu ijr fahren und um sie zu Kämpfen.

Dass Mimi nicht rangegangen ist oder sich gemeldet hat könnte an Matt liegen. Er hat ja es zu ihr gesagt das sie Tai in Ruhe lassen soll. Und Kyle der Mimi da schon in seine Fängen hatte.

Ich bin gespannt ob Matt Tais wünsch erfühlt und Mimi holt. Ich hoffe auch das denn Mimi mit ihn mit geht. Und Tai dann merlt das da etwas nicht stimmt und doch bleibt.

Ich freue mich wie immer riesig aufs neue Kapitel. 😍😍😍


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