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People always leave

Fortsetzung zu 'And now we can't have it'
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Es ist soweit.
Ich bin so aufgeregt!
Endlich kann ich euch die Fortsetzung zu "And now we can't have it" präsentieren, worauf ja einige schon sehnsüchtig gewartet haben :P Und ihr habt Glück. Eigentlich wollte ich den Prolog frühestens in einer Woche veröffentlichen, aber ich dachte mir es wäre eine nette Überraschung für euch ;)
Außerdem werdet ihr auf das erste Kapitel ein bisschen warten müssen, da ich morgen erst mal nach Barcelona fliege und mich ein wenig von dieser einzigartigen Stadt inspirieren lasse... auf welche Art und Weise auch immer :D Also genug Zeit für euch um mir vielleicht eine erste Meinung da zu lassen. Wie ihr euch denken könnt, nach dem Ende im ersten Teil, geht der Zweite nicht unbedingt rosig los... Aber nun genug der öden Worte - ich wünsche euch viel Spaß mit der Geschichte.
Let the drama begin ;) <3 Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo ihr Lieben :) Ich melde mich aus dem Urlaub und mit einem neuen Kapitel zurück und wünsche euch schon mal viel Spaß beim lesen ;) Ich werde mir Mühe geben heute noch eine Charakterbeschreibung zur Geschichte zu erstellen, damit ihr schon mal einen kleinen Überblick bekommt. Charaktere, die bis jetzt noch nicht vorgekommen sind, werden erst mal bewusste weggelassen, damit nicht zu viel verraten wird ;)
Also bis bald <3 Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hi, ihr Lieben :) da ich am Wochenende wahrscheinlich nicht dazu kommen werde, lade ich einfach heute schon das neue Kapitel hoch. Und, mögt ihr Alison? ;D
Auf der anderen Seite, auf der ich hochlade, habe ich manchmal einen kleinen Song für die Leser, der mich beim Schreiben inspiriert hat :) Ich wollte ihn euch hier auch nicht vorenthalten. Keine Ahnung, wieso.. aber eine Kollegin hat mir diesen Ohrwurm in den Kopf gesetzt. Ich mags echt voll gern: "Layla" von Eric Clapton (https://www.youtube.com/watch?v=Q_L-0Ryhmic)
Bis zum nächsten Kap <3 Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Halli hallo ihr Lieben!! Endlich hab ich es mal geschafft ein neues Kapitel hochzuladen ;P Ich hoffe, es ist nicht zu verwirrend, weil es aus drei verschiedenen Perspektiven geschrieben ist: Mimi, Izzy & Kyle. Ihr bekommt jedenfalls schon mal einen ersten Eindruck von Izzys Gefühlswelt und von Kyle... mehr verrate ich noch nicht. Bis bald :P
Fast wieder vergessen... ein bisschen Mucke... kennt sicher jeder aus "Eiskalte Engel" ;) Placebo - every you every me Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallöchen ihr Lieben! Es tut mir mega leid, dass ich euch momentan nicht regelmäßiger ein Kapitel dalassen kann. Aber ihr wisst, wie das ist in der Urlaubszeit: man ist zu sehr mit anderen Freizeitaktivitäten beschäftigt xD Aber damit ihr nicht denkt, ich hätte euch vergessen, habe ich mich heute wirklich mal rangesetzt, um endlich das Kapitel zu vollenden. Wenn ihr mögt, könnt ihr euch noch System Of A Down - Lonely Day reinziehen. Viel Spaß damit und hoffentlich bis ganz bald :P
Eure Khaleesi Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Halli hallo ihr Lieben :) Ich melde mich auch hier mal mit einem etwas längerem Kapitel zurück und hoffe, ihr habt ein wenig Ausdauer mitgebracht ;D Viel Spaß beim lesen :)
Achja, ein bisschen music gibts auch gleich aufs Ohr ;)
The Sounds - Thrill und Night after Night Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
So, ihr Lieben, nun folgt die letzte Weihnachtsüberraschung für 2019. Wird ja auch Zeit, nach fast einem Jahr :D
Wer die Serie Suits kennt, dem wird vielleicht auffallen, dass hier ein gewisser Anwalt einen Gastauftritt hat xD
Viel Spaß beim Lesen!
Banners - Start A Riot Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hi, ihr Lieben :) Hier ein neues Kapitel für euch, mit ein bisschen Mucke ;P
Machine Gun Kelly, X Ambassadors, BeBe Rexha - Home
Viel Spaß beim Lesen!
Eure Khaleesi <3 Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Heute gibts mal wieder ein wunderschönes Lied zum Kapitel :)
Lady Gaga - Million Reasons

Schaut gerne auch auf meine Spotify Playlist zu dieser Fanfic ;) Die Playlist ist öffentlich und es sind dort alle bisher verlinkten Songs zu finden <3
People Always Leave Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hey ihr Lieben :)
Ich habe die Charakter Profile etwas überarbeitet und demnächst werden auch Sora, Matt und Kari dort auftauchen. Vielleicht mögt ihr mal vorbeischauen ;)

So und nun zum Kapitel... Viel Spaß beim Lesen!
James Bay - Let It Go
Ruelle - Deep End Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Within Temptation - Mad World COVER - by Diana Leah & Alex Staltari
Leider habe ich den Song als Cover nicht auf Spotify gefunden, daher gibt es dort in meiner Playlist das Original ;-)
Viel Spaß beim Lesen! Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hui, ihr Lieben, endlich mal ein neues Kapitel hier... was ehrlich gesagt schon lange fertig ist *hust* Sorry! Ich hoffe, ich komme wieder öfter zum Schreiben/Hochladen. Viel Spaß mit dem Kapitel - heute mal aus Matt's Sicht...

Halsey - Without Me
People Always Leave - Spotify Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hi ihr Lieben,

kommen wir zu Mimis Rückblick und dazu, was vor einigen Monaten mit ihr passiert ist.
An dieser Stelle gibt es fairerweise eine kleine Triggerwarnung.
Ich weiß von einigen von euch, die ich persönlich kenne, dass ihr schon weitaus schlimmere Sachen gelesen habt :D Aber ich muss es trotzdem angeben, um später keine Schwierigkeiten zu bekommen. Mimi wird in diesem Kapitel etwas zustoßen, aber da man bei einer Triggerwarnung nicht triggert, kann ich nicht mehr verraten.

Normalerweise sage ich ja immer "Viel Spaß beim Lesen", aber ... naja, lest selbst. :D Komplett anzeigen

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Prolog

Schwerfällig öffnete er seine Augen.

Das Licht blendete ihn und er fühlte sich völlig benommen.

Wie lang hatte er geschlafen?

Er musste sich den Arm vors Gesicht halten, um diesem grellen Licht zu entkommen.

Gleichzeitig versuchte er seine Gedanken zu ordnen.

Was war passiert?

„Tai?“, ertönte die leise Stimme seiner Schwester neben ihm.

Warum klang sie so besorgt, als sie seinen Namen aussprach?

Er fühlte sich nicht gut. Sein Magen drehte sich um und Übelkeit kroch in ihm hoch. Ehrlichgesagt hatte er sich lang nicht mehr so mies gefühlt, wie jetzt. Sein Körper schien wie ein Stein an dem Bett zu haften, in dem er lag. Ein Bett, dass sich nicht wie seins anfühlte.

Er zwang sich dazu den Arm von seinem Gesicht zu nehmen und die Augen zu öffnen. Alles war ziemlich verschwommen und er musste ein paar Mal blinzeln, um normal zu sehen.

Das erste, was er sah, war Karis Gesicht. Ihre Augen waren gerötet und sie schniefte.

Hatte sie etwa geweint?

Verwirrt sah er sich weiter im Raum um.

Da waren Sora… und Matt, die ihn ebenfalls sorgenvoll ansahen.

Was machten sie alle in seinem Schlafzimmer?

Und wieso war hier alles so verdammt hell?

Erst jetzt, als er sich weiter umsah, bemerkte er, dass es nicht sein Zimmer war, in dem er lag.

Alles war weiß. Wo er hinsah – weiß, weiß, weiß. Selbst das Licht schien weiß zu sein.

Sein Arm schmerzte.

Eine Infusion?

„W-wo bin ich hier?“, stammelte er verwundert und mit brüchiger Stimme. Seine Kehle fühlte sich staubtrocken an und schmerzte.

„Tai…“, begann sein bester Freund unsicher, stützte sich auf das Bettende auf und sah ihn eindringlich an. „Weißt du denn gar nicht mehr, was passiert ist?“

Der Braunhaarige blinzelte und schüttelte den Kopf. Alleine diese kleine Bewegung bescherte ihm ein unergründliches Stechen in der Schläfe.

Was war denn passiert?

„Du bist im Krankenhaus, Taichi“, erklärte ihm seine Schwester, die immer noch neben seinem Bett saß und den Blick nicht von ihm wendete.

„W-warum?“, wollte er sofort wissen, während er in seinem Gedächtnis nach einer Erklärung hierfür suchte. Wie um alles in der Welt kam er ins Krankenhaus?

Er wollte sich aufrichten, um besser sehen zu können, doch noch bevor er das tun konnte, schmerzte sein Brustkorb so sehr, dass er stöhnend zurück ins Kissen sank.

„Nicht! Du musst dich noch etwas ausruhen“, befahl ihm seine kleine Schwester aufgebracht und legte ihre Hand auf seine.

„Jetzt sagt mir endlich, was ich hier mache!“, sagte Tai unter zusammengebissenen Zähnen und hielt sich die schmerzende Brust.

Sora sah ihn besorgt an und nun stiegen auch ihr die Tränen in die Augen.

Gott im Himmel – was hatte er nur getan, dass alle so unfassbar traurig waren?

„Du hattest eine Alkoholvergiftung“, erklärte sie ihm.

Eine was?

Tai sah erschrocken abwechselnd zu Sora, Matt und zu seiner Schwester.

„Du bist ohnmächtig geworden und hattest einen Atemstillstand. Sie mussten dich wiederbeleben und dir danach den Magen auspumpen“, erläuterte ihm Matt weiter.

Sie mussten was? Atemstillstand? Wiederbeleben? Alkoholvergiftung?

„Du machst wohl Witze“, meinte Tai und rang sich ein zaghaftes Grinsen ab. „Wenn das so wäre, wüsste ich das ja wohl.“

„Das ist nicht witzig, Tai!“, blaffte ihn Kari an und sah ihn wütend an, während ihr wieder die Tränen in die Augen stiegen.

„Kari hat recht“, schloss sich Matt mit ruhiger Stimme an. „So geht das nicht weiter!“

Tai sah betreten nach unten. Er krallte seine Finger ins Laken und versuchte krampfhaft zusammen zu kriegen, was passiert war.

Doch er konnte sich an nichts erinnern. An nichts, bis auf…

„Mimi“, kam es ihm kaum hörbar über die Lippen, doch da sich sonst niemand weiter in diesem Zimmer befand, konnten seine Freunde sehr wohl hören, was er gesagt hatte.

„Was ist mit ihr?“, wollte Sora wissen und sah ihn fragend an.

Tai sah sie nur ebenso fragend an und wusste nicht, was er darauf erwidern sollte.

Dass sie alles war, an was er denken konnte, seit zehn Monaten?

Dass sie, auch wenn sie weg war und er seitdem nichts mehr von ihr gehört hatte, weiterhin sein Leben bestimmte und es somit zu einem Fluch machte?

So sehr er es auch versucht hatte, er entkam ihr nicht. Sie war überall, in seinen Gedanken, in seinem Herzen, sogar in seinen Träumen. Sie verfolgte ihn auf Schritt und Tritt, bestimmte immer wieder aufs Neue sein Handeln. Alles, was er die letzten zehn Monate getan hatte, war krampfhaft zu versuchen, sie aus seinem Kopf zu kriegen… und aus seinem Herzen. Doch immer noch war sie allgegenwärtig und das, obwohl sie ganze Kontinente voneinander trennten. Sie war immer da…

„Tai?“, meinte Matt plötzlich mit ernster Stimme und brachte ihn somit zurück in die Realität. „Wir haben beschlossen, dass sich etwas ändern muss! Es geht nicht, dass du weiter einer Illusion hinterherjagst.“

Sein ganzer Körper versteifte sich.

Was hatte das zu bedeuten?

Er hatte doch schon versucht sie hinter sich zu lassen. Und war kläglich daran gescheitert, wie man unschwer daran erkennen konnte, dass er mit einer Alkoholvergiftung im Krankenhaus gelandet war.

„Wir werden dir helfen!“, ergänzte Sora und sah ihn eindringlich an.

Ihm helfen? Wie wollten sie ihm helfen? Wollten sie ihm sein Herz herausreißen und es verbrennen? Denn das war das Einzige, was bei dieser Art von Schmerz noch helfen konnte.

Kari drückte seine Hand, woraufhin er sie flehend ansah.

„Du fliegst nächste Woche nach New York“, sagte sie entschlossen.

Sechs Monate – ab jetzt

Tai dachte im ersten Moment, er hätte sich verhört.

Völlig verwirrt sah er in die Gesichter seiner Freunde.

„N-nach New York?“, stammelte er. „Was soll das heißen?“

„Das heißt, dass wir dir helfen werden, sie zurück zu gewinnen“, meinte Sora fast schon euphorisch.

„Was…?“, setzte Tai an, doch seine Schwester unterbrach ihn ebenso begeistert wie die Rothaarige.

„Das bedeutet, du siehst sie endlich wieder. Ist das nicht toll?“

Der Student schluckte den dicken Kloß schmerzhaft hinunter, der sich in seinem Hals gebildet hatte.

„Genau, und nächste Woche geht’s schon los“, ergänzte Sora heiter lächelnd, doch Tai schüttelte nur energisch den Kopf. Er krallte sich in sein Laken und presste die Lippen aufeinander.

„Aber… Aber ich will das nicht!“, platzte es hektisch aus ihm heraus. Aufgebracht sah er von einem zum anderen, während Matt frustriert aufstöhnte. „Hab ich’s euch nicht gesagt, dass das kommen wird?“, meinte er, verschränkte die Arme vor der Brust und ging zum Fenster.

„Ernsthaft“, wiederholte Tai und sah Sora und Kari eindringlich an. „Ich will sie nicht wiedersehen!“

„Was redest du denn da? Natürlich willst du sie wiedersehen!“, entgegnete Kari überzeugt und zog irritiert eine Augenbraue nach oben.

„Nein, Kari. Im Ernst, ich habe die letzten Monate damit gekämpft, sie aus meinem Kopf zu kriegen.“

„Was ja super funktioniert hat“, antwortete seine kleine Schwester leicht angesäuert, wischte sich die letzten Tränen aus dem Gesicht und stand ebenfalls auf.

„Meinst du etwa, ich sehe zu, wie mein Bruder vor die Hunde geht? Denn genau das wäre letzte Nacht beinahe passiert.“

Tai schluckte und wandte den Blick beschämt von ihr ab. Es ärgerte ihn, dass er sich an nichts erinnern konnte. Was hatte er nur getan, dass seine Freunde so drastische Maßnahmen ergriffen?

Er konnte doch nicht einfach nach New York fliegen… das ging doch gar nicht!

„Mein Studium…“, fiel es ihm plötzlich ein. „Ich kann überhaupt nicht weg, ich studiere doch immer noch.“

„Darüber brauchst du dir keine Sorgen machen“, erwiderte Matt tonlos, während er weiter aus dem Fenster starrte. „Dein Vater hat ein paar Beziehungen spielen lassen und veranlasst, dass du ein Semester im Ausland studieren kannst.“

Was? So schnell?

So langsam gingen ihm die Argumente aus und Angst kroch in ihm hoch.

Er konnte doch nicht wirklich nach New York fliegen und sie einfach so wiedersehen. Nicht, nachdem sie einfach so gegangen war…

„A-aber, wie stellt ihr euch das vor?“, stammelte er weiter herum, während er langsam aber sicher ziemlich nervös wurde. Seine Freunde schienen es ernst zu meinen!

„Ich kann doch nicht einfach nach New York fliegen und sagen ‚Hey Mimi, na wie geht’s? Komm wieder mit nach Japan, bitte!‘, das würde sie niemals tun! Und außerdem, wo soll ich denn da wohnen und wer bezahlt das alles?“

In diesem Moment klopfte es an der Zimmertür.

Tai sah gespannt zur Tür. Wahrscheinlich war das der Arzt, der wissen wollte, wie es ihm ging.

Und sobald er das gefragt hatte, würde Tai aufspringen und sich selbst entlassen. Er wollte nur noch hier weg!

Die Tür öffnete sich und er erkannte ein alt vertrautes Gesicht.
 

Sein Herz rutschte in den Keller. Was machte er hier? Er hatte ihn das letzte Mal vor zehn Monaten am Flughafen gesehen, als er sie einfach hatte gehen lassen… und seitdem nicht mehr.

„Was machst du denn hier?“, fragte er sofort und hätte ihm am liebsten direkt wieder rausgeschickt. Diese Situation war einfach zu merkwürdig und Tai hatte kein gutes Gefühl.

Der Rothaarige runzelte die Stirn und schloss die Tür hinter sich.

„Da hast du deine Antwort auf deine Frage“, sagte Matt und wandte sich Tai zu.

„Izzy wird dich begleiten!“

Bitte was?

Das sollte wohl ein schlechter Scherz sein! Erst diese Schnapsidee mit New York und jetzt sollte auch noch ausgerechnet Izzy ihn begleiten?

„Niemals“, protestierte Tai sofort und warf allen Anwesenden einen finsteren Blick zu.

„Tai, bitte sei doch vernünftig“, flehte ihn Sora an und erneut stiegen ihr Tränen in die Augen. „Izzy hat angeboten…“, versuchte sie zu erklären, doch Izzy unterbrach sie.

„Ich habe gesagt, du kannst bei mir wohnen“, sagte er mit fester Stimme, woraufhin Tai ihn herablassend musterte.

„Bei dir?“

„Ich muss geschäftlich nach New York. Mein Auftraggeber will expandieren und ich soll eine Zeit lang von dort aus arbeiten und ein Projekt leiten.“

Tai sah sich ungläubig im Raum um.

„Ihr wollt mich verarschen.“

Das konnte einfach nicht ihr Ernst sein!

„Verdammt, Tai!“, brach es nun aus Matt heraus. Anscheinend riss ihm nun endgültig der Geduldsfaden.

„Sei doch nicht immer so verdammt stur! Wir versuchen doch alle nur dir zu helfen, einschließlich Izzy!“

Der Braunhaarige warf seinem alten Freund einen bösen Blick zu. Er traute ihm nicht über den Weg, kein Stück!

Matt bemerkte diesen Blick, was ihn nur noch mehr auf die Palme brachte.

„Hör endlich auf dich wie ein Vollidiot zu benehmen und unternimm endlich was! Wenn du weiter so machst, wird das kein gutes Ende haben und entschuldige wenn ich nicht bereit bin, einfach dabei zuzusehen!“, schrie er ihn nun an, was Tai zurück zucken ließ.

So aufgebracht hatte er seinen besten Freund selten erlebt. Hätte er nicht im Krankenbett gelegen, wäre er sicher gewesen, dass Matt ihm gleich eine verpassen würde.

Doch war es verwunderlich, nachdem was letzte Nacht geschehen ist? Was auch immer es war… selbst Matt musste es tierisch Angst gemacht haben. Sonst würde er nicht so verbissen reagieren.

Er kannte seinen besten Freund zu gut und wenn dieser sich erst mal was in den Kopf gesetzt hatte, ließ er sich so schnell nicht davon abbringen. Und so, wie es aussah, hatte Matt sich in den Kopf gesetzt, Tai zum Flughafen zu tragen, wenn es sein musste.

„Außerdem“, mischte sich Sora wieder ein und versuchte anscheinend deeskalierend zu wirken. „Du bist dort ja nicht allein und wir kommen auch bald nach.“

Tai runzelte die Stirn und sah sie fragend an. „Was meinst du damit?“

„Wir treten dort in ein paar Wochen als Vorband in ein paar kleineren Bars auf. Es ist nichts großes, aber immerhin eine Möglichkeit den Bekanntheitsgrad zu erhöhen“, erklärte Matt nun wieder etwas ruhiger.

„Genau. Und während Matt dort auftritt, mache ich einfach ein kurzes Praktikum bei einer bekannten Designerin. Es tut sicher gut, mal etwas seinen Horizont zu erweitern“, ergänzte Sora und schien nun wieder ganz zuversichtlich.

Tai sah abwechselnd zwischen ihr und Matt hin und her.

„Das klingt, als hättet ihr das schon lang geplant…“, mutmaßte er und konnte nicht verhindern, dass er sich hintergangen fühlte.

Wieso planten sie so eine Aktion einfach so hinter seinem Rücken?

Er sah zu Izzy, der immer noch wie angewurzelt dastand und keine Miene verzog.

Dann warf er seiner Schwester einen flehenden Blick zu.

„Hab ich eine Wahl?“, fragte er sie fast schon verzweifelt.

Sie stand mit verschränkten Armen vor ihm und schüttelte den Kopf.

Ihr Blick war entschlossen.
 

Die blecherne Stimme kündigte ihnen an, dass es Zeit war.

Zeit sich zu verabschieden.

Tai drehte sich um und nahm seine Schwester in die Arme. Er drückte sie fest an sich.

„Du weißt schon, dass wir uns wieder sehen“, sagte sie und er konnte spüren, wie sie grinste.

Er ließ sie los und sah sie noch ein Mal eindringlich an. Es hatte keinen Zweck, sie vom Gegenteil zu überzeugen. Sie hatte Angst um ihn. Angst, ihn endgültig zu verlieren. Und wahrscheinlich würde genau das passieren. Er würde sich selbst verlieren, wenn das nicht schon während der letzten zehn Monate geschehen war…

Er verengte die Augen zu Schlitzen und warf seinem besten Freund einen vorwurfsvollen Blick zu.

„Ich hasse dich dafür.“

„Ich wieß“, entgegnete Matt nur gelassen und grinste ihn triumphierend an.

Sora kam auf ihn zu und umarmte ihn innig.

„Pass auf dich auf!“

„Ich versuch’s“, brachte der Braunhaarige nur leise über die Lippen.

Er hatte keine Ahnung, was ihn in New York erwarten würde.

Ob sie schon bereit war ihn wieder zu sehen?

Er war es auf jeden Fall nicht…! Doch was sollte er tun? Er wollte seine Freunde nicht noch mehr verletzen mit seinem Verhalten. Auch sie hatten die letzten Monate genug gelitten.

Er wusste immer noch nicht, was in der Nacht vor seinem Krankenhausaufenthalt geschehen war, doch vielleicht war das auch besser so.

Er hatte nicht noch ein Mal danach gefragt.

Fakt war, es war schlimm genug und ausschlaggebend dafür, dass er diesen Schritt jetzt einfach gehen musste, ob er wollte oder nicht. Und wenn er es nicht für sich tat, dann wenigstens für Kari und seine Freunde.

„Bist du soweit?“, fragte Izzy, der hinter ihm stand.

Tai drehte sich um und nickte stumm. Dann nahm er seinen Koffer und sah sich noch ein letztes Mal um.

Ob sie wussten, was sie da taten?
 

Sie drängelten sich an den anderen Passagieren vorbei, bis hin zu ihren Plätzen. Tai verstaute ihr Handgepäck und ließ sich danach stöhnend in den Sitz fallen.

Schon jetzt schlug ihm das Herz bis zum Hals. Wie sollte das erst werden, wenn er vor ihr stand?

Wahrscheinlich würde er einen zweiten Atemstillstand erleiden.

„Hast du Angst?“, fragte Izzy plötzlich, als er Tai’s ernste Miene sah.

Tai sah ihn irritiert an. Izzy war wirklich der letzte Mensch auf Erden, den er dabeihaben wollte. Doch leider ließen ihm seine Freunde keine andere Wahl.

Es war komisch. Sie waren sich so vertraut… und doch wie Fremde.

„Etwas“, gestand er ihm jedoch, ehe er den Blick wieder aus dem Fenster richtete.

„Musst du nicht“, sagte Izzy und wollte ihn anscheinend damit beruhigen. „Du hast immerhin sechs Monate Zeit.“

Tai atmete schwerfällig aus, als der Motor des Flugzeugs startete.

Ja, sechs Monate.

Sechs Monate, um alles wieder gut zu machen.

Wie auch immer er das anstellen sollte…
 

Grelles Licht.

Er wankte zurück, hatte Probleme sich auf den Beinen zu halten.

Rauch.

Er brannte in seinen Augen und vernebelte ihm die Sicht.

Das Zersplittern von Glasscherben.

Das auflodern der Flammen.

Verschwommen sah er auf seine Hand.

Hatte er die Flasche geworfen?

Wut.

Wut. Wut. Wut.

Er ballte die Hände zu Fäusten.

Plötzlich spürte er eine Hand auf seiner Schulter.

„Was machst du da, Tai?“
 

Erschrocken und nach Luft ringend fuhr er hoch.

Er hatte Probleme sich zu orientieren. Wo ist der Rauch hin?

Unruhig sah er sich um, blickte in Izzy’s verwirrtes Gesicht. Seine Hand ruhte auf seiner Schulter.

„Alles in Ordnung mit dir?“

„J-ja…“, stammelte Tai und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. „Nur ein Albtraum.“

War es das? Nur ein Albtraum? Er wusste nicht warum, aber irgendwie kam es ihm so… real vor…?

„Gut, komm, wir sind schon gelandet.“

„Was, jetzt schon?“

Wie lang hatte er geschlafen? Sie waren bereits in New York und wieder meldete sich sein schweres Herz zu Wort.

Jetzt trennten sie keine Kontinente mehr.

Es trennten sie keine Meere mehr.

Keine Zeitverschiebung.

Lediglich eine Tür trennte ihn von dem, was er wollte und was er immer wollen wird. Er musste sie nur durchqueren. Sie aufstoßen und loslaufen.

Mehr nicht.

So einfach.

Als er sich dem bewusstwurde, hatte er das erste Mal das Gefühl vielleicht doch das Richtige zu tun. Irgendetwas hatte sich verändert. Veränderte ihn. Plötzlich spürte er jenes Gefühl der Freiheit wieder, welches er die letzten Monate über so sehr vermisste. Er hatte sich gefangen gefühlt. Gefangen in sich selbst. Ohnmächtig, außer Stande selbst etwas zu tun, dass seine Situation verändert hätte. Wut, Verzweiflung und Trauer bestimmten sein Leben, doch nun keimte das erste Mal wieder Hoffnung in den tiefen seines Herzens auf. Zuversicht, der Glaube daran, dass vielleicht doch noch alles gut werden würde, war noch nicht verloren. Er hatte sein Schicksal selbst in der Hand und er konnte es verändern, wenn er wollte. Er spürte es. Spürte, wie ihn die Hoffnung immer mehr erfüllte und ihn antrieb einen Fuß vor den anderen zu setzen, um mit jedem Schritt seinem Ziel ein Stückchen näher zu kommen.
 

Sechs Monate Zeit.

Sechs Monate – ab jetzt.

„Keine Verzweiflung ist so absolut, wie die, die wir mit dem Augenblick unseres ersten großen Kummers erleben.

Wenn wir noch nicht erfahren haben, was es heißt zu leiden und sich davon zu erholen,

verzweifelt gewesen zu sein und wieder Hoffnung zu schöpfen.“

George Elliot
 

Sprung ins kalte Wasser

„Und, wo genau wohnen wir?“, fragte Tai, als sie gerade im Taxi Richtung New York City fuhren.

Der Rothaarige warf seinem Sitznachbarn einen vielsagenden Blick zu.

„Die Wohnung ist auf jeden Fall groß genug für uns beide. Also kannst du mir aus dem Weg gehen, wenn du willst.“

Tai runzelte die Stirn. Er wusste immer noch nicht, was er davon halten sollte, mit Izzy unter einem Dach zu wohnen. Aber wahrscheinlich würden sie beide eh so viel zu tun haben, dass sie gar nicht oft zu Hause sein würden. Und wenn er schon selbst sagte, er könne ihm aus dem Weg gehen…

„Und wer bezahlt dir so eine große Wohnung? Ich meine, du studierst doch nebenbei auch noch…“

„Mein Auftraggeber. Schließlich wollte er, dass ich für ein halbes Jahr nach New York komme.“

„Also war das alles nur Zufall, dass wir beide jetzt zusammen hier sind?“, hakte Tai nach und sah Izzy eindringlich an, der jedoch keine Miene verzog.

„Ja, natürlich“, antwortete er und wandte den Blick wieder aus dem Fenster.

Tai zog bedächtig eine Augenbraue nach oben. Er wusste nicht, in wie weit er Izzy noch vertrauen konnte. Es hatte sich so viel verändert und dies war tatsächlich das erste richtige Gespräch, was sie seit den letzten Monaten miteinander führten. Und eigentlich reichte ihm dieser kurze Austausch auch schon, fürs erste hatte er kein Bedürfnis noch weiter mit Izzy zu reden. Doch eine Sache musste er noch wissen…

„Hast du was von ihr gehört, in den letzten zehn Monaten?“

Izzy sah weiter aus dem Fenster, wirkte gedankenverloren. Tai fragte sich, ob er gerade an sie dachte und was er dabei empfand. Eigentlich wollte er es lieber nicht wissen. Er wollte nicht wissen, ob Izzy trotz der Distanz immer noch Gefühle für sie hegte. Ob es wirklich eine gute Idee war, zusammen hier her zu kommen?

Schließlich schloss Izzy die Augen und schüttelte kaum merkbar den Kopf.

„Nein.“
 

Izzy hatte nicht zu viel versprochen.

Die Wohnung war wirklich groß genug für sie beide. Es hätten locker noch ein, zwei mehr Leute hier wohnen können, so groß war das Apartment, dass sie eben betraten. Es besaß wirklich sämtlichen Luxus, den man sich vorstellen konnte.

„Dein Arbeitgeber muss an dir viel Kohle verdienen, wenn er dir so ein riesen Apartment bezahlt“, stellte Tai leicht beeindruckt fest, als er aus dem Fahrstuhl trat.

Er ging zur großzügigen Fensterfront, die sich über den ganzen Wohnbereich erstreckte und blickte hinunter auf die Stadt, auf die Menschen die unten auf der Straße entlanggingen, auf die Taxis, die vorbeifuhren.

Irgendwo da unten war sie…

„Kann man so sagen“, meinte Izzy und stellte sich neben ihm. „Vorausgesetzt unser Projekt ist erfolgreich.“

Tai erwiderte nichts weiter darauf. Früher hätte er ihn sicher genauer ausgefragt, um welches Projekt es sich handelte und so weiter, doch so wie die Situation momentan war, hatte er keine Lust mit ihm Small-Talk zu führen.

„Also, welches ist mein Zimmer?“, fragte er und sah sich um. Vom Wohnzimmer aus gingen mehrere Türen weg. Außerdem schien das Apartment noch einen zweiten Stock zu besitzen.

Izzy zuckte nur gleichgültig mit den Schultern.

„Kannst du dir aussuchen.“

Tai sah zur Treppe. „Ist oben auch ein Schlafzimmer?“

„Ja.“

„Dann geh ich nach oben.“

Eigentlich ziemlich unhöflich – dachte er sich. Es war nicht seine Wohnung und theoretisch hätte er Izzy fragen müssen, ob ihm das recht war. Aber ihn hatte ja auch niemand vorher gefragt…

Kurzentschlossen nahm er seinen Koffer und ging die Treppen nach oben. Beinahe wäre er wieder rückwärts runtergefallen, als ein kleines, haariges Wesen auf ihn zusprang und ihn… an miaute?

„Na nu, wer bist du denn?“, fragte er verwirrt, als das Kätzchen sich um seine Beine schmiegte.

„Mimi? Komm runter!“

Mimi?

Die Katze reagierte sofort auf das Rufen und sprang die Treppe hinunter zu Izzy. Tai streckte den Kopf nach unten und sah, wie Izzy sie hochnahm und sie mit ihm schmuste.

„Du hast sie Mimi genannt?“

Er fragte sich, was er davon halten sollte. Hing Izzy etwa doch noch an Mimi?

Izzy sah ihn an. „Mimi hat sie mir geschenkt.“

Das erklärte natürlich einiges. Das war eines der Kätzchen, die sie ihm damals gezeigt hatte, in ihrem geheimen Versteck. Als er sich in sie verliebt hatte…

Wortlos nahm Tai seinen Koffer wieder in die Hand und ging durch die Tür, die vor ihm lag. Ein sehr geräumiges Schlafzimmer, mit eigenem Bad.

Hier würde er also die nächsten sechs Monate bleiben. Er stellte seinen Koffer vor den Kleiderschrank und schmiss sich aufs Bett.

Seit seiner Ankunft war er hin und hergerissen zwischen Hoffnung und Zweifeln.

Konnte er Izzy wirklich vertrauen? Was, wenn er doch noch Gefühle für Mimi hatte? Auszuschließen wäre es ja nicht. Und was war mit Mimi? War sie überhaupt bereit dafür, ihn wieder zu sehen? Und wenn nicht? Wenn sie ihn wegschicken würde, was würde er dann tun? Aber er wollte sie nicht aufgeben, denn allein dieser Gedanke daran, wie er vor ihr stand, ihr in die Augen blickte… allein dieser Gedanke ließ ihn hoffen. Er wollte es so sehr. Ihr endlich wieder gegenüberstehen. Ihr endlich wieder in die Augen sehen. Auch, wenn es sein konnte, dass diese Augen ihn endgültig zerstören würden, für den Rest seines Lebens…
 

„Tai? Tai, zieh dich an!“

„Was?“, murmelte Tai und drehte sich noch ein mal um. Doch dann schreckte er hoch und schaute auf die Uhr.

Was, schon so spät? Er war wohl auf seinem Bett eingeschlafen.

Verwirrt griff er sich an die Stirn und sah sich um. Izzy wirbelte in seinem Zimmer herum und knallte ihm die Koffer aufs Bett.

„Hier, du solltest dir was Anderes anziehen.“

Was sollte das denn jetzt? Warum war er in seinem Zimmer und warum sollte er sich umziehen? Der Braunhaarige stöhnte auf und ließ sich wieder aufs Bett fallen. Er verschränkte die Arme hinter dem Kopf und schloss erneut die Augen.

„Warum soll ich mich anziehen? Es ist schon abends und ich bin müde.“

„Heute ist die Semester Eröffnungsparty an der Uni, an der du studieren wirst“, erklärte ihm Izzy.

Tai zuckte nur gleichgültig mit den Schultern. „Na und? Dort muss man doch nicht hingehen. Ich kenne doch dort eh keinen.“

„Es ist dieselbe Uni, an der Mimi studiert.“

Wie bitte? Jetzt saß Tai wieder kerzengerade im Bett.

„Hat dir das keiner gesagt?“, fragte Izzy irritiert und ging zur Zimmertür hinaus, nachdem er noch mal einen auffordernden Blick zu Tai warf.

„Also, wenn du hierhergekommen bist, um zu schlafen, dann bleib ruhig liegen. Wenn du aber Mimi heute Abend sehen willst, dann solltest du dich jetzt umziehen und mit zu dieser Party kommen.“

Er schloss die Tür hinter sich und ließ Tai völlig verdattert auf seinem Bett sitzen. Dieser wusste gar nicht, wo ihm so plötzlich der Kopf stand.

Wieso hatte ihm niemand gesagt, dass er an derselben Uni, wie Mimi studieren würde und wieso erfuhr er erst jetzt, dass er sie schon heute Abend wiedersehen sollte?

Das ging ihm alles zu schnell. Darauf war er doch gar nicht vorbereitet. Zugegebenermaßen hatte er sich noch gar keine Gedanken darübergemacht, wann und wo er sie das erste Mal wiedersehen würde. Dass es jetzt ausgerechnet die Uni Party sein sollte war eine Überraschung. Und er wusste nicht, ob er das gut oder schlecht finden sollte.

Er stand auf, öffnete seinen Koffer und betrachtete seine Klamotten. Er zog eine frische Jeans und ein schwarzes Shirt raus.

Wie würde sie reagieren, wenn sie ihn dort ohne jede Vorwarnung sah. Allein bei dem Gedanken daran rutschte sein Herz in die Hose, die er sich gerade anzog.

Als er nach unten ins Wohnzimmer kam, wartete Izzy bereits vor dem Fahrstuhl auf ihm.

„Kommst du etwa mit?“, fragte Tai und musterte ihn argwöhnisch.

„Willst du etwa allein da hin?“, stellte Izzy die Gegenfrage, die Tai eindeutig innerlich mit einem nein beantwortete. Obwohl er sich dabei nicht sicher war, wie Mimi es auffassen würde, sie gleich BEIDE wiederzusehen.

„Woher weißt du so genau, dass sie dort sein wird? Vielleicht hat sie ja auch gar keine Lust auf diese Party“, hakte Tai nach, als sie in den Fahrstuhl traten.

Izzy zuckte mit den Schultern und betätigte den Knopf.

„Ich weiß es nicht. Aber es wäre sehr wahrscheinlich.“

Na super! Es stand also noch nicht mal eindeutig fest, dass sie überhaupt dort war. Irgendwie machte ihn diese Tatsache nur noch nervöser.

Sollte sie nicht da sein, würde das bedeuten, dass ihr erstes Treffen noch länger auf die lange Bank geschoben werden würde und er wusste nicht, ob er das aushalten konnte – jetzt, wo er ein mal hier war und ihn quasi nur noch eine Autofahrt von ihr trennte.

Als sie unten angekommen waren, orderte Izzy ein Taxi und nannte dem Fahrer die Adresse. Die Fahrt dauerte nicht lange, aber immerhin lang genug, um immer nervöser zu werden. Tai wusste gar nicht mehr, wohin mit seinen Gedanken und seinen Gefühlen, die sich geradezu überschlugen. Er war aufgeregt, sie wieder zu sehen, denn noch vor ein paar Tagen hatte er nicht damit gerechnet, dass das je wieder passieren würde. Außerdem hatte er wirklich Angst vor ihrer Reaktion. Ihr Abschied war ziemlich dramatisch über die Bühne gelaufen. Als sie ging, sagte sie zwar, dass sie ihn liebte, doch… sie war gegangen. Trotz allem war sie gegangen. Und das hatte doch etwas zu bedeuten, oder?

Außerdem waren inzwischen zehn Monate vergangen. Für ihn zehn qualvolle Monate, doch das musste nicht heißen, dass sie für Mimi genauso qualvoll waren und dass sie ihn genauso vermisste, wie er sie. Vielleicht war genau das Gegenteil der Fall.

Er würde es erfahren, sobald er ihr das erste mal in die Augen sehen würde.

Das Taxi hielt an und Tai sah durch das Fenster.

„Eine Studentenverbindung? Ernsthaft?“

„Na ja“, sagte Izzy und warf ebenfalls einen zweifelnden Blick aus dem Fenster. „Wir sind in Amerika.“

Tai stöhnte leise auf, als sie ausstiegen. Kaum hatte er einen Fuß auf die Straße gesetzt, kamen ihm schon die ersten Betrunkenen entgegengelaufen. Lachend, lallend… sich in einem Busch übergebend.

„Scheint `ne super Party zu sein“, scherzte Izzy und warf einen unsicheren Blick zum Haus. Die Party war bereits im vollen Gange. Es war laut, es war wild, es war… „Ganz nach Mimis Geschmack“, ergänzte der Rothaarige noch und Tai vergrub seine Hände in den Hosentaschen. Hier sollte er sie also das erste Mal wiedersehen? Ob das wirklich eine gute Idee war?

„Lass uns reingehen“, sagte Izzy und ging schon mal vor. „Oder kneifst du jetzt?“

Nein, das war nicht das Problem. Tai folgte ihm. Solche Partys kannte er zur Genüge und es erinnerte ihn schmerzhaft daran, wie er in den letzten Monaten gelebt hatte.

Sie betraten das Haus und es war einfach brechend voll und drohte aus allen Nähten zu platzen. Zumindest kam es ihm so vor. Alle waren am Feiern und am Tanzen und am Trinken und spielten alberne Spiele… Er konnte es sich nicht verkneifen sich direkt nach ihr umzusehen. Suchend ließ er seinen Blick über die Leute schweifen. Wie sah sie jetzt wohl aus? Würde er sie gleich wiedererkennen?

Izzy und er drängten sich durch die Leute und suchten einen Raum nach dem anderen nach ihr ab. Doch von Mimi war nichts zu sehen. Anscheinend hatte sie genauso wenig Lust gehabt wie Tai, diese Party zu besuchen.

Tai stöhnte genervt auf, als ihn erneut irgendein betrunkenes Mädchen anrempelte, das wieder nicht sie war.

„Lass uns wieder abhauen. Sie ist nicht hier“, schrie er Izzy an, denn es war wirklich verflucht laut in diesem Haus.

Izzy runzelte die Stirn und sah sich ein letztes Mal suchend um. „Hm, sieht wohl so aus. Lass uns gehen.“

Enttäuschung machte sich in Tai breit, als er sich umwandte und ihm klarwurde, dass er sie heute Abend nicht wiedersehen würde.
 

„Mimi! Mimi! Mimi! Mimi!“

Erstaunt sah er zu Izzy. Diese Rufe kamen von draußen.

„Mimi! Mimi! Mimi! Mimi!“ Es waren mehrere Leute, die immer wieder ihren Namen riefen. Wieso waren sie so blöd gewesen und hatten nicht im Garten nachgesehen? Er warf Izzy einen vielsagenden Blick zu und beide drängten sich nach draußen, wo die Rufe nur noch lauter wurden.

„Mimi! Mimi! Mimi! Mimi!“ Er folgte den Blicken der anderen, die alle jubelnd nach oben blickten. Sie feuerten ein brünettes Mädchen an, welches in einem Bikini ziemlich weit oben auf einem Sprungbrett stand und anscheinend gerade dabei war in den Pool springen zu wollen, der sich unter ihr erstreckte. Tai konnte nicht fassen, dass sie wirklich hier war.

Sie rief den Leuten etwas zu, welche sie anfeuerten. Sie ließ ihren Blick durch die Menge schweifen, erkannte ihn jedoch nicht. Sie sah ihn nicht, doch er sah sie und das war für den ersten Moment genug.

„Hey Leute, schön, dass ihr alle gekommen seid zu unserer Semester Eröffnungsparty, die geilste Party des Jahres!“, rief sie den Leuten zu, die augenblicklich wieder zu jubeln anfingen und die Gläser erhoben.

Es war merkwürdig ihre Stimme nach all der Zeit wieder zu hören. Außerdem hatte Tai nicht vermutete, dass die ersten Worte, die er aus ihrem Mund hören würde, solche sein würden. Aber egal. Hinter Mimi tauchte plötzlich ein Junge auf, der am Sprungturm hochgeklettert war. Er legte einen Arm um die Brünette und erhob ebenfalls sein Glas.

„Und ein Hoch auf den umwerfenden Kyle, der uns diese Party organisiert hat!“, rief er und nahm einen großen Schluck, während die Leute auch ihm zujubelten.

Danach drückte er Mimi einen Kuss auf die Wange. Eine Geste, die Tai so gar nicht gefiel.

„Also“, rief Mimi, nahm ihm sein Glas aus der Hand und erhob es abermals. Alle machten mit und prosteten ihr zu. „Auf den `umwerfenden` Kyle“, äffte sie ihn nach und Tai musste sich ein Grinsen verkneifen. Was für ein Schnösel.

„Und auf das neue Semester!“

Sie setzte das Glas an ihre Lippen, ließ den Blick erneut über die rufende Menge schweifen und blieb hängen.

An ihm.

Sie blickte ihm direkt in die Augen und man konnte förmlich sehen, wie sie in ihrer Bewegung erstarrte.

Ihre Blicke trafen sich und es war wie ein Blitz, der Tais Herz durchfuhr. Nie hätte er gedacht, dass sie mit einem einzigen Blick wieder solche Gefühle in ihm auslösen könnte. Er hätte gern gewusst, was sie jetzt dachte, was in ihr vorging. Doch sie wandte sich schneller wieder von ihm ab, als ihm lieb war, leerte ihr Glas in einem Zug und drückte es diesem Kyle wieder in die Hand.

Sie ging an den Rand des Sprungbrettes, während die Leute sie wieder anfeuerten und sie aufforderten endlich zu springen. Sie warf ein weiteres Mal einen kurzen Blick in seine Richtung, der wieder nicht verriet was in ihr vorging.

Sie machte einen Schritt nach vorne und sprang ohne mit der Wimper zu zucken ins kalte Wasser und es fühlte sich fast so an, als wäre Tai derjenige, der gerade gesprungen war. Als wären sie eben beide gesprungen. Und er wusste nicht, was ihn erwartete, sobald er wieder auftauchen würde.

Die Leute tobten, als Mimi sprang und schließlich wieder an die Oberfläche tauchte. Danach widmeten sich alle wieder diesem Typen, der immer noch oben auf dem Sprungturm stand und anscheinend hinterher springen wollte. Auch er wurde tatkräftig angefeuert.

Tai jedoch hatte nur Augen für eine Person.

Sie schwamm zum Rand des Pools, zog sich hoch und kletterte heraus.

Zielstrebig ging sie auf ihn zu, sah ihn unvermittelt an und er hatte das Gefühl, dass diese Augen ihn entweder gleich vernichten oder ihn für immer lieben würden.

Jetzt stand sie vor ihnen, sah abwechselnd zwischen ihm und Izzy hin und her, während ihr Blick immer fester, immer unergründlicher wurde.

Er sollte etwas sagen. Er sollte etwas sagen und nicht einfach wie ein Idiot dastehen und sie anstarren. Doch ehe er sich entschieden hatte, was er ihr sagen wollte, holte sie aus und schlug ihn völlig überraschend mit der flachen Hand ins Gesicht.

Danach warf sie Izzy einen vernichtenden Blick zu, ging an ihnen vorbei und ließ sie stehen. Einfach so.

Was erwartete ihn, wenn er ins kalte Wasser springen und wieder auftauchen würde? Jetzt hatte er die Antwort auf seine Frage.

Alison

Sie hoffte inständig, dass sie sich gerade versehen und den falschen Typen geschlagen hatte. Es durfte einfach nicht wahr sein, dass er tatsächlich hier war. Dass sie BEIDE hier waren. Was dachten sie sich dabei? Nach zehn Monaten tauchten sie einfach hier auf und wollten was…? Was zum Teufel wollten sie hier?

Verärgert ging sie an den anderen Studenten vorbei und setzte sich auf die Treppe, die nach oben führte. Sie musste erst mal wieder Luft holen. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Nie im Leben hätte sie damit gerechnet ihn heute und hier gegenüber zu stehen. Warum hatte ihr Sora nicht geschrieben und sie vorgewarnt, dass er vorhatte hier aufzutauchen.

Diese Situation brachte sie so durcheinander, dass sie gar nicht wusste wohin mit sich. Sie fuhr sich nervös durch die nassen Haare. Was sollte sie jetzt nur tun? Sie wollte ihn nicht sehen. Nicht jetzt, wo es ihr langsam wieder besserging.

„Hey, was war das denn eben?“, fragte ein Mädchen mit kurzen, braunen Haaren und setzte sich neben sie.

„Warum hast du dem Typen eine reingehauen?“

Sie fand das wohl sehr amüsant, doch sie wusste ja auch nicht, wer dieser Typ war.

„Nur so. Er hat mir an den Arsch gegrabscht“, erwiderte Mimi trocken, woraufhin das Mädchen herzhaft anfing zu lachen.

Mimi seufzte. „Mir ist übel, Alison.“

„Ach, wirklich?“, fragte das Mädchen verwirrt und hörte augenblicklich auf zu lachen. „Möchtest du dich hinlegen?“

„Nein, ich…“, begann Mimi, als Kyle auf sie zukam, ebenfalls pitschnass.

„Wo bist du denn so plötzlich hin? Komm, lass gleich noch mal springen!“, forderte er Mimi auf, packte sie am Handgelenk und wollte sie mit sich ziehen.

„Nein, ich will nicht mehr“, sagte die Brünette und entzog sich seinem Griff. Schwer atmend ließ sie sich wieder auf die Stufen sinken.

„Sie sagt, ihr ist übel“, erklärte ihm Alison und legte ihr mitfühlend eine Hand auf die Schulter.

„So? Hast den Sprung wohl doch nicht so gut weggesteckt, was?“

Mimi rang sich ein zaghaftes Lächeln ab und fasste sich an die Stirn. Sie wusste wirklich nicht wo ihr der Kopf stand. Das Beste war es wohl, wenn sie einfach von hier verschwinden würde. Nein, das Beste wäre es, wenn Tai und Izzy von hier verschwinden würden und zwar so schnell wie möglich. Und dann musste sie ihn wieder aus ihren Kopf kriegen. Auch so schnell wie möglich.

Kyle wollte sie gerade in Ruhe lassen und wieder gehen, als sie ihn festhielt.

„Hey, warte…“

Erst sah er sie fragend an, grinste dann jedoch und wusste, was jetzt kam.

Sie zog ihn mit sich nach oben, während Alison ihnen nur kopfschüttelnd hinterher sah.

Oben angekommen zerrte sie ihn in das erste freie Zimmer, was sie fand, schloss die Tür hinter sich und presste ihren nassen Körper an seinen.

„Na, so schlecht scheint es dir ja doch nicht zu gehen“, grinste er und umfasste ihre Taille.

„Ich brauch nur mal ein bisschen Ablenkung“, hauchte sie ihm entgegen und legte ihre Lippen auf seine. Ihre Zungen begannen wild miteinander zu spielen, als sie sich rücklinks aufs Bett fallen ließen, wo Kyle sogleich anfing ihren eh schon halbnackten Körper zu erforschen.

Sie musste ihn aus ihrem Kopf kriegen, ganz schnell!

Er konnte nicht einfach hier auftauchen und sich urplötzlich wieder in ihre Gedanken schleichen. Gerade, als sie ihn endlich vergessen hatte. Das konnte er ihr nicht antun.

Kyle küsste ihren Hals, ihr Dekolleté, hinab über ihren Bauch, während sie sich mit den Fingern in seine braunen Haare krallte.

Wieso konnte er sie nicht in Ruhe lassen, so wie er es die letzten Monate über getan hatte?

Kyle fuhr mit der Zunge über ihren Bauch, immer weiter nach unten und befreite sie schließlich von ihrem Bikini Slip. Mimi entwich ein sanftes Stöhnen.

Ob er jetzt noch da unten war und sie suchte? Sie wollte es nicht wissen. Er sollte einfach wieder verschwinden! Sie sollten beide wieder verschwinden!

Genussvoll krallte sie sich ins Laken, als Kyle begann ihre empfindliche Stelle zu liebkosen und sie sich ihm sehnsuchtsvoll entgegenreckte.

Ja, er sollte einfach wieder verschwinden…
 

„Hast du ‘ne Ahnung, wo sie hin sein könnte?“, fragte Tai verwirrt, als sie wieder reingingen. Er hielt sich die schmerzende Wange. Mimi hatte ganz schön zugeschlagen. Das hatte er nicht erwartete. Er hatte mit vielem gerechnet, aber nicht damit, dass sie ihm eine reinhauen würde.

Izzy zuckte mit den Schultern und sah ihn niedergeschlagen an. „Ist wohl das Beste, wenn wir erst mal wieder gehen. Sie scheint nicht sehr angetan davon zu sein, dass wir hier sind.“

„Ach, was?“, entgegnete Tai sarkastisch. Er konnte doch jetzt nicht einfach wieder gehen. Was für eine bescheuerte Aktion! Erst flogen sie den weiten Weg hier her, nur damit er sie wiedersehen konnte und alles was er jetzt davon hatte, war eine pochende Wange. Er hatte ja damit gerechnet, dass sie vielleicht nicht begeistert sein könnte, ihn so plötzlich wieder zu sehen. Dass sie noch nicht bereit dafür war, okay. Aber, dass sie sich so vergaß? Was war nur in sie gefahren?

Gerade wollten sie die Party verlassen, als sein Blick auf ein Mädchen mit kurzen, braunen Haaren und einer Brille fiel, die auf der Treppe saß und ihm einen amüsierten Blick zuwarf.

„Na, hat wehgetan oder? Man sieht es ihr nicht an, aber sie hat ganz schön Kraft in der rechten Hand.“

Was wollte sie denn jetzt? Und wieso fand sie die Tatsache so witzig, dass Mimi ihm eine Ohrfeige verpasst hatte?

„Schön, dass ich wenigstens eine Person auf dieser Party erheitern konnte. Genau das war mein Ziel.“ Er war wirklich mehr als genervt von diesem Abend und hatte keine Probleme damit es raushängen zu lassen. Was für eine Schnapsidee! Einfach alles hier!

Die Brünette auf der Treppe lachte auf, stützte ihr Kinn auf ihrer Handfläche auf und warf ihm einen vielsagenden Blick zu.

„Du musst Taichi sein.“

Was?

Woher kannte sie seinen Namen?

Izzy runzelte die Stirn. „Woher weißt, wer wir sind?“

Das Mädchen lachte erneut auf. „Tut mir leid, aber wer du bist weiß ich nicht.“ Dann sah sie wieder zu Tai. „Aber ich habe eins und eins zusammengezählt. Ein Typ, den ich hier noch nie gesehen habe und dem Mimi einfach so grundlos eine knallt… Das kann nur Tai sein. Wisst ihr, sonst ist sie nämlich ein sehr friedliches Mädchen.“

Sehr witzig.

Das war ja wohl nicht ihr Ernst, dass sie, nur weil Mimi ihn geohrfeigt hatte, sofort wusste, wer er war.

„Hat sie dir von mir erzählt?“, fragte Tai tonlos nach. Das Mädchen grinste und warf einen gleichgültigen Blick zur Decke.

„Kann schon sein. Sie hat mal gesagt, wenn sie diesen Tai jemals wiedersieht, würde sie ihm eine reinhauen. Oder ihm in die Eier treten. Das weiß ich nicht mehr so genau.“

Wow. Dieses Mädchen schien nicht auf den Mund gefallen zu sein. Aber anscheinend kannte sie Mimi.

„Du scheinst das ja sehr lustig zu finden“, meinte Tai und setzte sich neben sie auf die Treppe. Wenn dieses Mädchen Mimi kannte, was ja offensichtlich der Fall war, dann konnte sie ihm vielleicht weiterhelfen.

„Vielleicht kannst du mir ja auf die Sprünge helfen“, sagte er so freundlich wie möglich, während sie ihn misstrauisch beäugte.

„Mein letzter Standpunkt war nämlich, dass Mimi in mich verliebt ist. Das war zumindest vor ein paar Monaten noch so. Warum also hat sie mir eine Ohrfeige verpasst?“

Das Mädchen grinste triumphierend.

„Sie ist in dich verliebt? Das ist mir ja ganz neu. Und warum ist sie dann gerade mit meinem Bruder nach oben gegangen?“

Sie deutete mit dem Finger in die obere Etage, wo anscheinend die Schlafzimmer lagen. Tai schluckte schwer, denn er wollte gar nicht wissen, was sie dort oben gerade trieb.

„Mit deinem Bruder, ja?“, hakte er geistesabwesend nach, woraufhin das Mädchen nur bestätigend nickte.

„Tai, ich denke, wir sollten es für heute gut sein lassen und verschwinden“, unterbrach Izzy die Unterhaltung.

Tai seufzte und stand auf. „Ja, wahrscheinlich hast du recht.“ Er konnte unmöglich hierbleiben, wenn sie dort oben gerade mit einem anderen Typen zugange war. Das würde er nicht ertragen und um sich das anzutun, dafür war er nicht so weit gereist.

„Soll ich ihr etwas von dir ausrichten?“, fragte die Brünette ihn und Tai kam nicht umhin sich zu fragen, ob sie sich insgeheim über ihn lustig machte und was sie wirklich über Mimi und ihn wusste.

„Sag ihr…“, meinte Tai und überlegte. „Sag ihr, dass ich nicht wieder gehen werde. Das kann sie vergessen!“
 

„Ali, warum bist du noch hier?“

Als Mimi die Treppe runterkam und sah, dass Alison immer noch dort saß, setzte sie sich zu ihr.

„Die Party ist doch so gut wie gelaufen“, sagte sie und sah sich um. Es war wirklich kaum noch jemand da. Aber es waren ja inzwischen auch ein paar Stunden vergangen, während Mimi mit Kyle oben war. Sie hatte sich sein Shirt übergezogen. Wahrscheinlich würde sie heute eh bei ihm übernachten und sie wusste ohnehin nicht, wo ihre Klamotten abgeblieben waren.

„Was zeichnest du da?“, fragte sie Alison und warf einen Blick auf den Block, den sie in der Hand hielt.

Mimi biss sich auf die Unterlippe.

„Darf ich es zerreißen, wenn du es beendet hast?“

Alison sah zu ihr auf. „Wieso? Magst du seine Augen nicht? Ich finde, er hat sehr markante Augen.“

Ja, das hatte er wirklich.

„Deswegen musst du ihn noch lange nicht malen“, entgegnete Mimi trotzig und versuchte Alison den Zeichenblock wegzunehmen. Doch diese hielt ihn weit genug von ihr weg, so dass Mimi nicht rankam.

„Keine Sorge, ich zeig’s auch nicht Kyle, versprochen.“

„Ha ha, sehr witzig, Ali.“ Manchmal war sie wirklich unmöglich. „Er weiß doch sowieso nicht, wer das ist“, sagte Mimi gleichgültig und stützte ihren Kopf auf der Hand ab.

„Aber du scheinst ja ganz genau zu wissen, wer das war, nicht?“, fragte sie Alison, die sie vielsagend angrinste.

„Meinst du etwa, ich hätte ihn nicht sofort erkennt? Braune Haare, groß, sportlich, unglaublich gutaussehend…“, zählte sie auf, woraufhin Mimi leicht errötete. So genau hatte sie ihn beschrieben? Daran konnte sie sich gar nicht erinnern. „Und nicht zu vergessen: du hast ihm eine geknallt, was übrigens erste Sahne war. Er hat sich Minuten später immer noch die Wange gerieben.“

Alison lachte auf und auch Mimi musste unwillkürlich schmunzeln. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, Tai zur Begrüßung einfach eine reinzuhauen? Das passte doch gar nicht zu ihr… auch, wenn er es irgendwo verdient hatte, nach den letzten Monaten.

„Ich hab mich kurz mit ihm unterhalten, bevor er gegangen ist. Was dieser Izzy hier macht, ist mir allerdings schleierhaft“, meinte Alison plötzlich und legte den Kopf schief.

Mimi stöhnte auf. „Warum hörst du mir nur immer so genau zu, wenn ich dir was erzähle?“

„Keine Sorge“, wank Alison schnell ab. „Ich hab so getan, als würde ich nicht wissen, wer er ist. Wenn die beiden spitzgekriegt hätten, WIE gut ich dich kenne, hätten sie mich sicher ausgequetscht, wie eine reife Tomate.“

Mimi lachte auf. Doch auch, wenn sie jetzt lachte, wusste sie, dass sie das Problem schnell wieder loswerden musste. Und das Problem hieß Tai.

„Wie werde ich ihn nur wieder los?“, seufzte Mimi auf und schloss verzweifelt die Augen.

„Gar nicht“, erwiderte Alison und zeichnete weiter auf ihrem Block rum. Mimi sah sie überrascht an. „Wie, gar nicht?“

„Na, das hat er gesagt.“ Alison hielt das Bild von Tai hoch, welches sie aus dem Gedächtnis gezeichnet hatte und deutete auf ihn.

„Er hat gesagt, er wird nicht wieder gehen. Und wenn du mich fragst, hat er verdammt entschlossen gewirkt…“

Geh nicht

Das war die dümmste Idee, die sie je hatte. Und doch war es die Einzige, die ihr einfiel. Wie sonst sollte sie ihn wieder loswerden? Von alleine würde er sicher nicht wieder gehen. Das hatte er ja schon angekündigt und wahrscheinlich hatte nicht einmal die Ohrfeige gezogen. Mimi wusste, dass sie in diesem Moment völlig überspitzt reagiert hatte, doch was hätte sie tun sollen? Sein plötzliches Auftauchen und dann auch noch mit Izzy an seiner Seite haben bei ihr sämtliche Sicherungen durchbrennen lassen.

Wieso jetzt?

Wieso tauchte er ausgerechnet jetzt auf, wo sie gerade dabei war sich von den letzten Monaten zu erholen. Das war einfach nicht fair. Sie hatte so hart mit sich gekämpft ihn endlich hinter sich zu lassen und jetzt war er hier. Einfach so. Das konnte und wollte sie nicht akzeptieren.

Sie sah noch mal auf ihrem Handy nach, ob das auch die richtige Adresse war und drückte dann auf die Klingel. Er musste wieder gehen. Mehr wollte sie nicht.
 

„Das war die dümmste Idee, die ihr je hattet!“, beschwerte sich Tai und presste sein Handy fest ans Ohr.

„Wie konnte ich nur so blöd sein und diesen Scheiß auch noch mitmachen? Oh ja, Tai. Flieg nach New York, Tai. Dann kannst du sie endlich wiedersehen, Tai. So eine Schnapsidee!“

Er war so sauer! Aber am meisten auf sich selbst, weil er sich überreden ließ und tatsächlich in dieses Flugzeug gestiegen war. Er hatte zwar gesagt, dass er auf keinen Fall wieder abhauen würde, doch nach dem letzten Abend waren seine Hoffnungen ins bodenlose gesunken. Er konnte es nicht verstehen. Was hatte sie nur geritten? War das überhaupt noch die Mimi, die er kannte und liebte?

„Jetzt beruhig dich doch erst mal“, versuchte seine Schwester ihn zu besänftigen. „Sicher tut es ihr schon leid und außerdem dachte ich, dass du nicht so schnell das Handtuch wirfst.“

Kari hatte leicht reden. Nach dieser Abfuhr gestern…?

Seufzend setzte er sich aufs Bett und fuhr sich durchs Haar. „Ja, ich weiß. Das habe ich ihrer Freundin auch gesagt, dass ich nicht so einfach aufgeben werde, aber… mal ehrlich, Kari. Hat das überhaupt einen Sinn?“

Am anderen Ende der Leitung hörte er Kari seufzen.

„Ich kann verstehen, dass du enttäuscht bist und dass du dir eurer erstes Wiedersehen anders vorgestellt hast, aber ich denke, du solltest nicht gleich aufgeben. Denn eins weiß ich: wenn Mimi sich so vergisst, dann nicht ohne Grund. Da steckt doch sicher mehr dahinter…“

Tai dachte nach. Eigentlich hatte Kari recht. Aber…

„Ich weiß nicht, Kari. Menschen ändern sich eben. Vielleicht hat sie sich verändert.“

Wieder ein schweres Seufzen. „Das wirst du nur rausfinden, wenn du dortbleibst.“

Auch wieder wahr.

Was sollte er nur tun? Tausend Fragen kreisten durch seinen Kopf und er fand einfach keine Antwort darauf. Nur eins wusste er: dass sie ihm viel zu wichtig war.

Wenn sie sich wirklich so dermaßen verändert haben sollte, dann wollte er den Grund dafür erfahren.

In dem Moment klingelte es und Tai sah auf.

„Wir telefonieren später noch mal“, sagte er eilig und legte auf. Er ging die Treppen ins Wohnzimmer hinunter und sah Izzy fragend an.

„Bekommst du Besuch?“

An der Anzeige des Fahrstuhls konnte er bereits erkennen, dass Derjenige sich auf dem Weg nach oben befand.

Izzy klappte seinen Laptop zu, mit dem er auf dem Sofa saß und sah ihn entschuldigend an.

„Nein, aber du.“

Tai runzelte die Stirn. „Wer sollte mich denn hier besuchen?“

Er warf noch mal einen Blick auf die Fahrstuhltür, bis es bei ihm Klick machte.

„Was? Nicht dein Ernst!“

Erschrocken sah er zu Izzy, der gerade dabei war aufzustehen und in sein Zimmer zu verschwinden. „Sie hat mir eine Mail geschrieben und gefragt, wo wir wohnen.“

Tai war fassungslos. Wieso konnte er ihn nicht zumindest einmal vorwarnen?

„Hast du auch mal daran gedacht, dass ich sie vielleicht gerade gar nicht sehen will?“

„Warum bist du dann noch hier?“, fragte Izzy resigniert und schloss die Tür hinter sich.

Im selben Moment ging die Fahrtstuhltür auf.
 

Erst jetzt fiel ihm auf, dass sie wieder ihre natürliche Haarfarbe trug. Als er sie das letzte Mal gesehen hatte, hatte sie sich gerade ihre Haare dunkel gefärbt. Aber egal… So oder so, für ihn würde sie immer eines der schönsten Mädchen bleiben, das er je gesehen hatte.

Sie kam auf ihn zu, wich seinem Blick aus, sah sich stattdessen in der großzügigen Wohnung um und die Tatsache, dass sie jetzt gerade hier war, ließ erneut Hoffnung in ihm aufkeimen. Vielleicht hatte Kari ja doch recht.

„Das ist echt schön hier“, sagte sie leise und zwang sich dazu ihn anzusehen. Ihr Blick ließ ihn erstarren. Er war so ganz anders. Nicht mehr so kalt, wie am Abend zuvor, aber dennoch irgendwie… leer. Das waren nicht mehr ihre Augen.

Er schluckte und steckte die Hände in die Hosentaschen. „G-geht es dir gut?“

Wieder wich sie seinem Blick aus, ging an ihm vorbei, ohne ihm zu antworten. Dabei hätte er wirklich gerne gewusst, wie es ihr ging.

„Ich wollte mich bei dir entschuldigen“, sagte sie stattdessen und ignorierte die letzte Frage. „Ich hätte dich nicht schlagen dürfen.“

Da war sie. Die Aufrichtigkeit, die er immer so sehr an ihr geliebt und bewundert hatte.

„Aber du musst trotzdem wieder gehen.“ Sie wandte sich um und sah ihn unvermittelt an. „Flieg wieder nach Hause, Tai.“

Was? Dafür war sie hergekommen? Überrascht sah er sie an. „Du… du willst, dass ich wieder gehe?“

Sie hielt seinem Blick stand. Sie meinte es wirklich ernst.

„Es wäre das Beste für dich. Und für mich“, sagte sie tonlos, doch Tai schüttelte nur den Kopf. „Du sagst das einfach so, als wäre das die Wahrheit“, sagte er traurig und senkte den Blick. „Aber das stimmt nicht.“

„Tai“, sagte sie noch ein Mal mit Nachdruck und schloss die Augen. „Was willst du hier?“

Er sah sie an und schluckte den dicken Kloß in seinen Hals hinunter, der sich gebildet hatte. „Ich denke, das weißt du.“

Sie seufzte schwermütig und ließ die Schultern hängen. „Du willst es nicht verstehen, oder?“

Sie ging auf ihn zu und sah ihn an. „Es gibt keine Zukunft mehr für uns. Und je eher du das einsiehst, desto besser.“

Diese Worte hätten sein Herz vernichten müssen. Sie hätten ihm klarmachen müssen, dass es aussichtslos war um etwas zu kämpfen, was längst verloren war. Doch das war nicht so.

„Wieso glaube ich dir das nicht?“, antwortete Tai zögerlich und beobachtete ihre Reaktion. Wieder wich sie seinem Blick aus. Glaubte sie ernsthaft selbst an die Worte, die sie eben gesagt hatte?

Ihr Blick verfinsterte sich. „Ist mir egal, ob du mir glaubst, so ist es nun mal. Geh einfach wieder nach Hause, Tai“, forderte sie ihn noch mal mit fester Stimme auf und ging an ihm vorbei, doch Tai hielt sie am Handgelenk fest.

„Lass mich los!“, giftete sie ihn an, doch er hielt sie fest.

„Nein“, sagte er und sah ihr entschlossen in die Augen. So würde er sie nicht wieder gehen lassen. „Erst, wenn du mir sagst, was mit dir los ist.“

Ihre Augen veränderten sich wieder. Sie wurden kalt und starr. Was war nur mit ihr los?

„Sag mal, was willst du eigentlich von mir?“, schrie sie ihn an und riss sich von ihm los. „Du tauchst hier einfach so auf, nach zehn Monaten und erwartest was von mir, Tai? Dass ich mich freue dich zu sehen? Dass ich dir um den Hals falle?“

„Warum willst du, dass ich wieder gehe?“

Sie wich ein Stück zurück, als er auf sie zuging, verschränkte die Arme vor der Brust.

„Weil ich dich hier nicht gebrauchen kann. Du warst die letzten zehn Monate nicht hier und du brauchst auch jetzt nicht hier zu sein!“

So, wie sie das sagte, klang es, als hätte er sie im Stich gelassen. Er verstand sie nicht…

Ihr stiegen Tränen in die Augen.

„Was ist, wenn ich dich brauche?“, fragte er mit leiser Stimme. Sie schloss die Augen, versuchte weiterhin ihre Tränen zurück zu halten.

„Ich hätte dich in den letzten Monaten auch gebraucht.“

Tai zuckte zurück. Sie hätte ihn gebraucht? Aber… warum hatte sie sich dann nie gemeldet?

„Du hast mich allein gelassen“, sagte sie vorwurfsvoll, öffnete ihre Augen und sah ihn mit wütenden, verklärtem Blick an.

Was redete sie da? Er hatte sie allein gelassen?

„Das ist nicht fair“, erwiderte er und konnte einfach nicht fassen, was sie ihm hier vorwarf. „DU bist gegangen, Mimi.“

Die Brünette zuckte leicht zusammen, sah ihn mit großen Augen an. Wahrscheinlich hatten sie diese Worte mehr getroffen, als Tai wollte, doch… so war es nun mal. Sie war Diejenige, die gegangen war und nicht anders rum. Ihm jetzt vorzuwerfen, er wäre nicht für sie da gewesen, war einfach nur unfair und ergab keinen Sinn. Sie hätte doch nur ein Wort sagen müssen… Nur ein Wort.

„Danke, dass du mich daran erinnerst“, sagte sie traurig und senkte den Blick, ehe sie sich abwandte.

„Woran erinnern?“, stutzte Tai. Wollte sie etwa schon gehen? Schon wieder?

Mimi drückte den Fahrstuhlknopf und die Türen öffneten sich. Sie ging hinein und drehte sich um.

„Flieg wieder nach Hause, Tai.“

Die Türen schlossen sich und da stand er nun. Sie war wieder ein mal weg und hatte ihn mit so vielen Fragen zurück gelassen. Schnaufend setzte er sich aufs Sofa und stützte den Kopf auf die Hände. Er fuhr sich durchs Haar. Was war nur mit ihr los? Er dachte daran, ob sie tatsächlich noch das Mädchen war, in das er sich verliebt hatte. Irgendetwas an ihr war anders. Nicht irgendetwas, sondern alles. Diese wunderbare Aura, die sie immer umgab, diese Aufrichtigkeit, diese Wärme in ihren Augen. Es war alles weg.

Konnten zehn Monate einen Menschen so sehr verändern? Und wenn ja, was hatte sie so verändert?
 

„Was hat er gesagt?“

Mimi trat aus dem Gebäude, hinaus auf die Straße und atmete schwermütig aus. Sie wischte sich erneut über die immer noch feuchten Augen und versuchte zu begreifen, was das für ein Gefühl war, das er eben in ihr ausgelöst hatte. Das erste Gefühl, welches sie seit Monaten empfand und es fühlte sich schrecklich an. Er machte, dass sie sich schlecht fühlte. Schlecht, weil sie damals gegangen war. Schlecht, weil sie damit ihr Schicksal besiegelt hatte. Was hatte sie damit nur angerichtet? Da waren sie wieder – die Schuldgefühle.

Und trotzdem, er durfte nicht bleiben! Wenn er blieb, würde sie diese Hölle erneut durchleben müssen und das würde sie nicht packen. Nicht nachdem was in den letzten Monaten alles geschehen war. Sie wollte sich seinetwegen nicht schlecht fühlen. Lieber wollte sie gar nichts fühlen. Wäre er doch nur die letzten Monate für sie da gewesen. Doch das war er nicht. Und jetzt… jetzt war es zu spät.

„Nichts hat er gesagt“, sagte Mimi und sah Alison an.

„Und du? Was hast du gesagt?“, fragte ihre Freundin. Mimi versuchte sich zu sammeln und straffte die Schultern. „Ich habe gesagt, dass er wieder gehen soll.“

Alison runzelte die Stirn. „Meinst du, er macht es?“

Mimi seufzte und warf einen letzten Blick nach oben zum Apartment. „Ich hoffe es.“
 

„Sie will, dass du wieder gehst?“, fragte Kari fassungslos. Tai stand mit dem Handy am Ohr am Fenster und sah auf die vielbefahrenen Straßen hinunter. Er musste einfach mit jemanden darüber reden. Ihm ging einfach zu viel durch den Kopf. „Und… w-wirst du das machen?“, hakte seine Schwester vorsichtig nach. Tai seufzte auf. „Ich glaube, das kann ich nicht.“

„Das ist gut“, meinte Kari und klang dabei ziemlich erleichtert, was Tai ein wenig stutzen ließ, doch er beschloss dem keine weitere Beachtung zu schenken. Ihre Augen gingen ihm einfach nicht mehr aus dem Kopf.

„Ich muss wissen, was geschehen ist. Warum wirft sie mir vor, ich hätte sie allein gelassen?“

Am anderen Ende der Leitung herrschte Stille. Wahrscheinlich wusste Kari darauf auch keine Antwort und Tai fragte sich, ob überhaupt jemand außer Mimi wusste, was sie damit meinte.

„Ihre Augen, Kari“, sagte Tai leise. „Ihre Augen waren so leer. Als würden sie gar nicht mehr richtig leben.“

„Tai“, setzte seine Schwester zögerlich an. „I-ich… ich muss dir etwas sagen.“

In dem Moment klingelte es. Tai stutzte und sah überrascht auf. Ob sie noch mal zurückgekommen war?

„Tut mir leid, Kari. Ich muss auflegen. Wir hören uns“, sagte Tai eilig und ehe Kari noch irgendetwas einwenden konnte, legte er auf.

Er lief zum Fahrstuhl und drückte den Knopf. Er fuhr nach oben, während sein Herz in die Hose rutschte. Wer sonst könnte es sein, wenn nicht sie?

Gespannt wartete er darauf, dass die Türen sich öffneten und als sie es taten, sah er überrascht auf die Person, die herauskam.

„Was machst du denn hier?“

„Nette Begrüßung“, sagte sie und zog eine Augenbraue nach oben. Neugierig sah sie sich um. Was wollte sie hier? Mimi musste ihr gesagt haben, wo er wohnt.

Er verschränkte die Arme vor der Brust und sah sie skeptisch an. Immerhin war sie die Schwester dieses Typen, mit dem Mimi gestern Abend zu Gange war und sie hatte es ihm brühwarm unter die Nase gerieben. Also konnte es nichts Gutes sein, was sie hier wollte.

„Kannst du mir einfach antworten?“

Sie war immer noch dabei, sich in der großzügigen Wohnung umzusehen. „Wow, bist du immer so nett zu anderen?“

Tai zischte, als sie geradewegs aufs Sofa zuging und es sich bequem machte. Was sollte denn das? Warum führte sie sich so auf?

„Wer bist du eigentlich?“, fragte er und musterte sie. Sie grinste. „Ich bin Alison und wir haben uns gestern auf der Party kennengelernt.“

„Ich hab kein Alzheimer, danke. Aber kennengelernt ist wohl nicht das richtige Wort dafür. Denn du kanntest mich ja anscheinend schon vorher…“, erwiderte Tai und warf ihr einen prüfenden Blick zu, doch das brachte Alison keineswegs aus der Ruhe.

„Allerdings. Und genau deswegen bin ich hier.“

„Weswegen?“ Tai verstand nicht, worauf sie hinauswollte.

„Mimi hat viel von dir erzählt.“

„Ist das so?“

Okay, diese Alison kannte Mimi anscheinend ziemlich gut. Und das wiederum bedeutete, dass sie ihm vielleicht weiterhelfen konnte.

„Was hat sie denn so erzählt?“ Am liebsten hätte er sie ausgequetscht wie eine reife Tomate. Doch Alison sah nicht so aus, als würde sie das so schnell zulassen, denn sie grinste ihn nur an und lehnte sich nach vorne. „Als ob ich dir das sagen würde. Mimi wird eh stinksauer auf mich sein, wenn sie erfahren sollte, dass ich bei dir war.“

Sie stand auf und ging im Raum umher. „Aber ich denke, es gibt einen Grund, warum du hier bist, Tai.“ Sie blieb vor einer Kommode stehen und nahm eine der Figuren in die Hand, die dort standen, nahm sie genau unter die Lupe. Dann stellte sie sie wieder hin und sah ihn unvermittelt an. „Und ich möchte dich bitten, nicht wieder zu gehen.“

Tai stockte der Atem. Warum tat sie das? Was wusste sie? Wenn sie ihn um so etwas bat, obwohl Mimi ihre Freundin und ihr klar war, dass Mimi ihn nicht hierhaben wollte… dann musste sie etwas wissen. Etwas, was Tai nicht wusste.

„Wahrscheinlich falle ich ihr gerade damit in den Rücken. Und nicht nur ihr, sondern auch Kyle.“

„Wer ist dieser Kyle?“, fragte Tai und runzelte die Stirn.

„Das weißt du doch.“ Alison sah ihn überrascht an. „Er ist mein Bruder. Der Typ, mit dem Mimi gestern…“

Tai wank schnell ab. „Das wollte ich nicht wissen. Falsche Wortwahl, sorry. Ich meine, was hat sie mit ihm zu tun?“

„Achso“, sagte Alison und zuckte mit den Schultern. „Sie ist mit ihm zusammen.“

Wie er schon befürchtet hatte. Nun verstand er gar nichts mehr.

„Und warum bittest du mich dann, zu bleiben? Wenn sie mit ihm zusammen ist, warum sollte ich dann nicht einfach wieder gehen und sie in Ruhe lassen?“

Eine berechtigte Frage, wie Tai fand. Alison sah leicht beschämt zur Seite. Doch dann wurde ihr Blick äußerst entschlossen. „Weil er nicht gut für sie ist.“

Tai konnte nicht fassen, dass sie so von ihrem eigenen Bruder sprach. Doch nicht nur das schockierte ihn. Sondern auch die Tatsache, dass Mimi mit jemanden zusammen war. Mit jemanden, der sie vielleicht schlecht behandelte.

„Hat sie sich deswegen so verändert? Ist es wegen ihm?“

Alison schüttelte traurig den Kopf und das zeigte Tai, dass sie genau wusste, wovon er sprach. Er hatte keine Ahnung, wie lang Alison und Mimi sich schon kannten, aber auch sie musste bemerkt haben, dass sie nicht mehr so war wie früher.

„Nein, es ist nicht wegen ihm.“ Sie ging einige Schritte auf ihn zu und sah ihn eindringlich an. „Sie braucht dich, Tai. Auch, wenn sie es nicht zugeben will.“

Der Braunhaarige sah sie vielsagend an. Nun wusste er es. Er war sich sicher, dass Mimi sich verändert hatte und dass noch jemand außer ihr den Grund dafür kannte. Und diese Person war Alison.

Kyle

„Hey, wo warst du?“

Fragend sah er sie an, während Mimi ihre Schuhe in eine Ecke seines Zimmers schmiss. Kyle saß auf dem Bett und hatte ein Buch in der Hand.

„Spazieren“, antwortete die Brünette knapp und wirkte dabei leicht gestresst. Das zweite Zusammentreffen mit Tai innerhalb so kurzer Zeit hatte sie ziemlich aufgewühlt. Immer noch schaffte er es sie durch seine bloße Anwesenheit nervös zu machen.

„Spazieren?“ Kyle runzelte misstrauisch die Stirn. „Mit wem?“

Mimi stöhnte leicht genervt auf. Vertrauen war noch nie seine Stärke gewesen. Aber sie konnte ihm ja auch schlecht sagen, dass Tai in der Stadt und dass sie eben bei ihm war. Das würde er sicher nicht gut finden. Und da Tai ja auch schon bald wieder weg war, war es die Mühe nicht wert es ihm lang und breit zu erklären.

„Mit Alison.“

Kyle überlegte kurz, als würde er nicht wissen, ob er ihr glauben sollte. Aber es blieb ihm nichts Anderes übrig, also zuckte er mit den Schultern und sah wieder in sein Buch.

Mimi setzte sich neben ihn und schielte hinein. „Was machst du da?“

„Ich lerne, das siehst du doch.“

Die Studentin verzog den Mund und ließ die Schultern hängen. „Schade.“

Kyle zog eine Augenbraue nach oben, klappte das Buch zusammen und legte es zur Seite. Er lehnte sich zu ihr hinüber. „Ich kann auch aufhören“, hauchte er in ihr Ohr und gab ihr einen sanften Kuss auf den Hals. Mimi wich zurück und schob ihn sanft von sich. Das hatte sie nicht damit gemeint, als sie sagte, es wäre schade.

„Das sollte keine Aufforderung sein.“

Kyle grinste. „Du musst mich auch nicht auffordern.“ Erneut versuchte er sie zu küssen, doch sie drückte ihn wieder von sich. „Kyle, bitte. Ich bin wirklich nicht in der Stimmung.“

Er hielt inne und sah sie verwirrt an. „Nicht?“

„Nein, wirklich nicht. Stell dir vor, man kann auch noch andere Sachen tun, außer miteinander zu schlafen“, sagte Mimi leicht gereizt.

„Und was?“

Unfassbar. Entsetzt sah sie ihn an, bevor er anfing zu grinsen. „War doch nur ein Scherz. Was willst du denn machen?“

„Ähm… ich weiß nicht“, antwortete sie und zuckte leicht mit den Schultern. „Vielleicht können wir einfach nur reden.“ Reden war eine gute Idee. Das kam in der letzten Zeit eh zu kurz und vielleicht würde er ihr ja diesmal sogar zuhören.

Kyle lehnte sich zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. „Und über was willst du reden?“

„Na ja, also…“, setzte Mimi an, doch weiter kam sie leider nicht. Sein Handy klingelte und er zog es aus seiner Hosentasche. „Hey, was gibt’s?“

Etwas verdattert saß Mimi da und fragte sich, ob das gerade sein Ernst war.

„Klar, bin sofort da.“

Er legte auf. Und so, wie er sie ansah, bedeutete das, dass das Gespräch zwischen ihnen jetzt zu Ende war.

„Soll ich raten?“, fragte Mimi mit einem ironischen Unterton in der Stimme.

„Das war Scott“, erklärte Kyle, als wäre das eine Überraschung. War es aber nicht.

„Und was wollte er?“

„Das Übliche. Ich soll ihm wieder irgendwelche Mathe Aufgaben erklären. Er schreibt bald eine Prüfung.“

Mimi ließ den Kopf hängen. Sie wusste, dass „Mathe“ nur das Synonym für irgendetwas anderes war, doch was das war, wollte sie gar nicht wissen. Kein Mensch konnte so viel Mathe lernen, wie Scott es angeblich tat. Und seit ein paar Tagen bekam sie Kyle deswegen fast gar nicht mehr zu Gesicht.

„So oft, wie ihr Mathe lernt, sollte er bald Professor an der Uni werden“, warf sie dennoch sarkastisch in den Raum.

Kyle lachte kurz auf, da er das offensichtlich als Spaß verstand. Was es für Mimi allerdings ganz und gar nicht war. Sie wusste nicht, warum er so oft mit Scott abhing oder was sie taten, wenn sie alleine waren und das war vermutlich auch besser so. Und doch wurmte es sie, dass sobald Scott anrief, sie nur noch an zweiter Stelle stand. Oder an dritter. Oder an welcher auch immer. Aber das hatte eigentlich noch nicht einmal etwas mit Scott selbst zu tun. Das war auch so oft genug der Fall.

„Ich komme später wieder. Bis dann, Süße“, sagte Kyle wie selbstverständlich, drückte ihr einen Kuss auf die Wange und war auf und davon. Wieder einmal. Natürlich fragte er sie nicht, ob es ihr recht war. Das war eben nicht seine Art.

Mimi wusste, dass es Kyle wahrscheinlich nicht besonders ernst war mit ihrer „Beziehung“ oder was immer sie auch hatten. Dafür war er einfach nicht der Typ. Und dennoch tat es weh, wenn er sie sitzen ließ. Irgendwie hatte sie sich eingeredet, dass sie eine innigere Verbindung hätten, durch alles was sie in den letzten Monaten zusammen erlebt hatten. Doch durch solche Situationen führte er ihr immer wieder das Gegenteil vor Augen. Er hätte doch sehen müssen, dass es ihr nicht gut ging. Dass sie irgendetwas belastete. Er hätte wissen müssen, dass Mimi so gut wie nie spazieren ging und dass das nur ein Vorwand war. Er hätte sie einfach nur fragen müssen und vielleicht hätte sie ihm sogar gesagt, was sie bedrückte. Nämlich die Tatsache, dass Tai hier war. Dass gerade alles Geschehene wieder hochkam und allein seine Anwesenheit ihr die Kehle zuschnürte.

Es war völlig verdreht. Tai, der sie zehn Monate nicht gesehen hatte, bemerkte sofort, dass etwas mit ihr nicht stimmte. Dass sie nicht mehr die Alte war. Und Kyle… Kyle sah sie fast jeden Tag und er verlor keinen Ton darüber, dass sie sich verändert hatte. Dass es ihr immer noch nicht gut ging, obwohl sie jeden Tag ihr Bestes gab, um das zu verbergen. Aber vielleicht war es ihm auch egal…

Seufzend ließ sie sich auf sein Bett fallen und schloss die Augen. Irgendwann würde schon alles gut werden – redete sie sich immer wieder ein. Irgendwann. Oder sobald Tai wieder verschwunden war.
 

***
 

„Und, wie war’s?“

„Hm?“

Völlig in Gedanken versunken sah Tai das erste Mal seit einer gefühlten Ewigkeit von seinem Laptop auf. Er saß auf dem Sofa, wahrscheinlich schon seit Stunden. Izzy stand vor ihm und sah ihn gespannt an. Er hatte einfach völlig die Zeit vergessen. Es war jetzt schon Stunden her, dass Mimi und auch Alison gegangen waren und immer noch hatte er keine Antwort darauf, was er tun sollte.

„Na, was hat Mimi gesagt?“

Tai runzelte die Stirn. „Willst du das wirklich wissen?“

Izzy warf ihm einen bedeutungsvollen Blick zu, woraufhin Tai aufstöhnte. „Sie möchte, dass ich wieder gehe.“

„Okay“, meinte Izzy und legte ein nachdenkliches Gesicht auf. „War ja klar, dass sie keine Luftsprünge macht, aber ich hätte nicht gedacht, dass sie dich ernsthaft bittet… Tai? Was machst du da?“ Izzy war um das Sofa herumgegangen und erhaschte beim Sprechen einen Blick auf Tais Laptop. Seine Augen blieben an dem Bildschirm haften und er nahm die Seite genauer unter die Lupe.

„Was soll das? Ein Flug von New York nach Tokyo?“, fragte er nun empört. „Du willst abhauen?“

Tai rümpfte die Nase und klappte den Laptop zu. Was mischte er sich da überhaupt ein? Das ging ihn doch gar nichts an.

„Vielleicht. Ich weiß es noch nicht.“

Izzy verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich hätte nicht gedacht, dass du so schnell aufgibst.“

„Ich gebe nicht auf.“

„Ach, nein? Das sieht aber ganz danach aus.“

„Das geht dich nichts an“, entgegnete Tai kühl und stand auf.

Izzy warf ihm einen ziemlich wütenden Blick zu. „Pah! Und du sagst, du liebst sie!“

Okay, das war zu viel. Tai wirbelte herum und musste an sich halten, einigermaßen ruhig zu halten.

„Man, Izzy. Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht was ich tun soll, okay? Natürlich liebe ich sie. Aber falls du es noch nicht bemerkt hast: sie will mich nicht hierhaben! Vielleicht ist es dann wirklich besser, wenn ich sie in Ruhe lasse.“

„Ja, Tai… und so was nennt man aufgeben“, antwortete Izzy äußerst resigniert, was Tai nur noch wütender werden ließ.

„Warum ist dir das überhaupt so wichtig?“, fragte er entrüstet. „Dir kann es doch völlig egal sein, was mit uns beiden passiert!“

„Ist es aber nicht“, unterbrach Izzy ihn und wurde nun äußerst ernst. „Falls du das vergessen hast, wir waren mal Freunde. Wir alle drei. Ziemlich gute sogar. Und ich weiß, dass es euch nicht gut geht, euch beiden nicht. Das sieht man.“

„Oh, wie selbstlos von dir“, blaffte Tai ihn an. Er war so wütend auf Izzy, dass er ausgerechnet jetzt mit der Freunde-Nummer kam. Als ob ihre Freundschaft tatsächlich nach allem was passiert war noch eine Chance hätte. „Du willst doch nur dein Gewissen erleichtern, weil du damals scheiße gebaut hast.“

Izzy zuckte zurück und in diesem Moment fiel auch Tai auf, wie hart er seine Worte gewählt hatte. Er wusste doch schließlich gar nicht, welche Absichten Izzy tatsächlich mit dem Ganzen verfolgte und früher hätte er ihm so etwas Egoistisches niemals unterstellt.

„Mach, was du willst“, meinte Izzy dann jedoch nur und ging zu seinem Zimmer zurück. „Aber ich an deiner Stelle… ich würde nicht gehen.“
 

***
 

„Willkommen, Mr. Izumi. Bitte setzen Sie sich doch. Mr. Kendler wird gleich für sie da sein.“

„Danke.“

Eine Sekretärin führte Izzy in den Wartebereich, wo er Platznehmen durfte. Eigentlich sollte er sich auf sein bevorstehendes Gespräch konzentrieren. Schließlich war das ein großer Auftrag und eine riesen Chance für ihn, sich einen Namen zu machen. Doch alles, was ihm im Kopf rumgeisterte war Mimi. Warum wollte sie Tai nicht sehen? Warum wollte sie ihn nicht hier haben? In den letzten Tagen hatte er oft daran gedacht, wie sie damals gegangen war. Sie hatte sich dazu gezwungen gefühlt, weil einfach zu viel passiert war und sie Abstand brauchte. Das alles hatte er verstanden. Und er hatte sie gehen lassen. Seitdem waren zehn Monate vergangen, in denen er nichts von ihr gehört oder gesehen hatte. Diese Tatsache tat ihm sehr leid. Zu gerne hätte er gewusst, wie es ihr ging oder was sie so machte. Doch ihre Freundschaft endete mit dem Tag ihres Abschlussballs und daran war er ganz allein schuld.

Tai hatte recht. Er hatte ein schlechtes Gewissen, denn er wusste, dass das alles nicht passiert wäre, wenn er sich nicht in Mimi verliebt hätte. Wenn er nicht Tai als Freund ausgenutzt hätte. Wenn er sich nicht zwischen sie gestellt und versucht hätte einen Keil zwischen die beiden zu treiben. Am Ende hatte er nicht nur einen Freund, sondern auch eine Freundin verloren. Und auch der Kontakt zu den Anderen war seitdem etwas eingeschlafen, was er durchaus verstehen konnte. Wie gerne wäre er auch einfach wie Mimi abgehauen, ohne zurück zu sehen. Doch was würde das ändern? Das schlechte Gewissen würde ihn auf Schritt und Tritt verfolgen.

Tai hatte ihm unterstellt selbstgerecht und egoistisch zu handeln. Und so ganz unrecht hatte er damit nicht. Auch er wollte seine Freundin wieder. Er vermisste sie unheimlich. Und das nicht auf diese romantische Art, wie Tai es tat. Er vermisste einfach, dass sie da war. Aber er hatte sich fest vorgenommen, dieses Gefühl hintenan zu stellen und stattdessen alles daran zu setzen, Tai zu helfen. Nach all dem, was Tai in den letzten Monaten durchgemacht hatte, begriff er, dass es nichts hätte geben dürfen, was zwischen den Beiden stand. Nicht er und auch sonst niemand. Ohne Mimi war Tai nicht komplett. Und er war sich sicher, dass es Mimi nicht anders ging. Sonst hätte sie nicht so vehement darauf bestanden, dass er wieder gehen sollte. Würde sie nichts mehr für ihn empfinden, wäre es ihr egal, dass er hier war. Schließlich hatte sie IHN nicht darum gebeten, wieder nach Hause zu fliegen.

Doch wie sollte er Tai helfen, wenn dieser bereits daran dachte aufzugeben und wieder nach Hause zu fliegen? Mal ganz davon abgesehen, dass ihn zu Hause vermutlich noch etwas Schlimmeres erwarten könnte.

„Herr Izumi?“

Die Stimme der Sekretärin riss ihn förmlich aus seinem Gedankenkreislauf.

„Mr. Kendler wäre dann soweit.“

„Ja, ich komme.“

Izzy stand auf und folgte ihr. Irgendwie musste er jetzt versuchen, sich auf dieses Meeting zu konzentrieren. Sonst war er schneller wieder in Tokyo als ihm lieb war.

Er betrat den Meetingraum und die Sekretärin schloss die Tür hinter ihm.

„Mr. Izumi“, sagte ein gestandener Mann am Ende des Tisches, den Izzy schon von Videokonferenzen kannte. „Schön, Sie mal live und in Farbe zu sehen. Bitte setzen Sie sich doch.“

„Danke“, meinte Izzy nur etwas unbeholfen und setzte sich. „Und danke, dass Sie mir diese Chance ermöglichen. Ich verspreche, ich werde mein Bestes…“

„Ja ja, schon gut“, wank der Mann nur eilig ab. „Ich weiß, das werden Sie. Lassen Sie uns nur noch eben ein paar Feinheiten besprechen, dann kann es morgen sofort losgehen.“

Etwas eingeschüchtert nickte Izzy und schielte auf den Zettel, den Mr. Kendler zu ihm rüber schob.

„Lesen Sie ihn aufmerksam durch und unterzeichnen Sie dann.“

Okay. Der Mann wusste, was er wollte. Aber er war schließlich nicht umsonst Eigentümer einer millionen schweren Firma.

Izzy begann das Schriftstück aufmerksam zu lesen, stutzte jedoch schon bei Punkt zwei. „Ehm, Mr. Kendler“, räusperte er sich, woraufhin der Mann ihn genervt ansah. „Ich dachte, ich leite das Projekt. Ich wusste nicht, dass ich noch jemanden unterstellt bin. Außer Ihnen natürlich…“

Der Mann, der irgendwie ziemlich groß auf Izzy wirkte, lachte nur kurz auf.

„Ich weiß, das hatten wir so besprochen. Doch es haben sich kurzfristig einige Neuerungen ergeben.“

In diesem Moment öffnete die Sekretärin erneut die Tür und kam herein, gefolgt von einem jungen Kerl, ungefähr in Izzys Alter.

„Sorry, bin zu spät, ich weiß.“

„Gut, dass es dir wenigstens selbst auffällt“, unterbrach Mr. Kendler kurz seine Erklärung und warf diesem Typen einen merkwürdigen Blick zu, ehe er sich wieder Izzy zuwandte. „Na ja, jedenfalls wird mein Sohn hauptsächlich das Projekt leiten. Sie werden ihm zwar unterstellt sein, aber Sie werden trotzdem alle Entscheidungen, die die Entwicklung betreffen selbst in der Hand haben. Es ist sozusagen nur pro-forma.“

Der Typ, der eben reingekommen war, steckte die Hände in die Hosentaschen, ging um den Tisch drum rum und setzte sich Izzy gegenüber.

Und erst jetzt erkannte Izzy ihn. Er schluckte schwer, als er ihm seine Hand entgegenhielt.

„Hi, du musst Izzy sein. Hab schon viel von dir gehört.“

Izzy schüttelte seine Hand, doch seine Kehle war so zugeschnürt, dass er keinen Ton über die Lippen brachte.

„Das ist Kyle, mein Sohn“, erklärte Mr. Kendler. „Er soll sich schon mal ein wenig in Führungsaufgaben üben, da er in ein paar Jahren mein Unternehmen übernehmen wird.“

Kyle.

Kyle! DER Kyle! Das durfte nicht wahr sein!

Ausgerechnet dieser Typ, der ganz offensichtlich etwas mit Mimi hatte. Der Typ von der Party. Das war der Sohn des Chefs, für den Izzy arbeiten sollte?

„Ähm… e-es freut mich“, stotterte Izzy herum und kam sich dabei sichtlich blöd vor. Zum Glück hatte dieser Kyle keine Ahnung, wer er war, denn dann würde er sicher nicht mehr mit ihm zusammenarbeiten wollen. Und dann wäre das Projekt für Izzy gestorben und er säße mit Tai im nächsten Flieger nach Hause. Innerlich versuchte er sich zu sammeln. Er wusste nicht, wer er war und das konnte auch so bleiben. Jetzt musste er nur noch darauf achten, sich niemals in seiner Gegenwart zu verplappern und nicht zufällig mal auf Mimi zu treffen, während Kyle dabei war. Was für ein Schlamassel.

„Ich freu mich, auf unsere Zusammenarbeit“, sagte Kyle und legte ein merkwürdiges Grinsen auf. Irgendwie hatte dieser Typ was Einschüchterndes an sich.

„Danke, ich mich auch.“
 

***
 

Kyle saß auf dem Stuhl seines Vaters, der vor fünf Minuten Izzy zur Tür begleitet hatte und las sich noch ein Mal aufmerksam den Vertrag durch. Er konnte es immer noch nicht fassen, dass er seinen Vater überreden konnte, ihm die Führung für dieses Projekt zu überlassen. Das war wirklich ein hartes Stück Arbeit gewesen, vor allem, weil er sich vorher nicht die Bohne dafür interessiert hatte. Doch irgendwann lenkte er ein und jetzt hatte er es schwarz auf weiß, dass alles so geschah, wie er es wollte.

Es klopfte an der Tür und ohne, dass Kyle ihn hereinbeten musste, ging die Tür auf.

„Na, du Genie.“

„Scott.“

Kyle lehnte sich grinsend im Chefsessel zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Sein Freund schloss die Tür hinter sich und kam auf ihn zu.

„Das hast du ja geschickt eingefädelt. Hab gesehen, dass er gerade gegangen ist“, meinte Scott und lächelte ihn triumphierend an. „Das heißt also…“

„Ja, es verläuft alles nach Plan“, ergänzte Kyle und lehnte sich entspannt zurück. Scott, der ungefähr einen halben Kopf größer als er und im Gegensatz zu ihm ziemlich blond geraten war, kannte er schon seit seiner Kindheit. Nicht, dass sie immer beste Freunde waren – das auf keinen Fall. Für richtige Freundschaften war in seinem Leben sowieso kein Platz. „Freunde kannst du dir sparen, sobald du viel Geld hast“, hatte sein Vater immer gesagt. Aber dennoch war Scott für ihn eine große Hilfe, in jeglicher Hinsicht, das konnte man nicht abstreiten. Sie waren eben ein gutes Team, nicht mehr und nicht weniger. Auch, wenn er ihn in der Öffentlichkeit immer als seinen besten Freund verkaufen musste.

„Frage mich wirklich, wie du es geschafft hast, deinen Vater rumzukriegen, dir diesen Job zu geben“, meinte Scott und setzte sich ihm gegenüber.

Kyle zuckte nur gelangweilt mit den Schultern, als wäre es keine große Sache gewesen. „Ich kann eben sehr überzeugend sein, wenn ich etwas unbedingt will.“

„Allerdings“, grinste sein Freund, lehnte sich zurück und schlug die Beine übereinander. „Und Mimi? Hat sie etwas erwähnt?“

Kyle schüttelte den Kopf. „Mit keiner Silbe.“

„Hm, das ist gut“, nickte Scott. „Dann hat sie nicht bemerkt, dass ich sie gestern beobachtet habe.“

Kyle stand auf, steckte die Hände in die Hosentaschen und ging zum Fenster. „Möchte zu gern wissen, was sie bei ihm wollte“, sagte er und seine Miene verfinsterte sich bei dem Gedanken daran, dass Mimi gestern bei ihrem Ex-Freund war. Diesem Tai. Und ihm keinen Ton davon erzählt hatte. Wie sie nur denken konnte, er wüsste nicht schon längst, dass er in der Stadt war. Eigentlich müsste sie ihn inzwischen besser kennen.

Scott stöhnte auf. „Das kriegen wir auch noch raus. Aber vorerst solltest du dich auf diesen Izzy konzentrieren. Der Typ scheint nicht nur wegen des Projekts hier zu sein.“

„Ist mir schon klar“, antwortete der Braunhaarige ernst und wandte sich um. „Wenn die glauben, sie können hier einfach so auftauchen und alles kaputt machen, was ich mir in den letzten Monaten erarbeitet habe, dann haben sie sich getäuscht!“

Unerwartetes Aufeinandertreffen

Die ganze Nacht hatte er darüber nachgedacht. Darüber, was Izzy gesagt hatte. Darüber, was Alison gesagt hatte. Dass sie ihn gebeten hatte zu bleiben. Er dachte daran, was Mimi gesagt hatte. Und dass sie ihn aufforderte zu gehen. Was sollte er nur tun? Sollte er gehen? Oder sollte er bleiben?

Stundenlang hatte er auf die Seite der Airline gestarrt und überlegt, ob er tatsächlich wieder nach Hause fliegen sollte. Doch irgendetwas in ihm sträubte sich dagegen. Und dieses Gefühl war so stark, dass er es einfach nicht fertigbrachte. Er konnte sie nicht hierlassen und einfach wieder gehen. Nicht so. Nicht, wie sie ihn gestern angesehen hatte… mit diesen leeren Augen. Sicher wäre es vernünftig gewesen, sich in den nächsten Flieger zu setzen. Doch dies war keine Entscheidung der Vernunft. Sondern eine des Herzens.

Seufzend klappte Tai den Laptop zu und drehte sich auf den Rücken. Er starrte an die dunkle Decke seines Zimmers. Es gab einfach zu viele Fragen. Und wahrscheinlich würde er erst wieder ruhig schlafen können, wenn er Antworten bekam. Leider konnte ihm nur Mimi diese Antworten geben und diese weigerte sich offensichtlich mit ihm zu reden.

Frustriert fuhr er sich durch die Haare und überlegte. Dann griff er nach seinem Handy in seiner Hosentasche. Die letzten Monate hatte er es vermieden, seine Freunde darauf anzusprechen, doch jetzt fiel ihm gerade nichts Besseres ein.
 

„Kann ich dich was fragen? Wann hast du das letzte Mal etwas von Mimi gehört?“

Er schickte die SMS ab und wartete auf eine Antwort. Sora ließ nicht lang auf sich warten.
 

„In den ersten Monaten nach ihrer Abreise hatten wir häufiger telefoniert. Aber dann ist der Kontakt irgendwie abgebrochen. Ich habe noch ein paar Mal versucht, sie zu erreichen, aber sie hat nicht mehr auf meine Anrufe reagiert oder war kurz angebunden. Hilft dir das weiter?“

Tai seufzte.

„Das weiß ich noch nicht…“

Sehr merkwürdig. Warum sollte Mimi mir nichts, dir nichts den Kontakt zu ihrer besten Freundin abbrechen? Früher waren sie fast unzertrennlich und dann…? Dann meldet sie sich einfach nicht mehr bei ihr? Reagiert auf keine Anrufe? Was war nur mit ihr los?

Er fuhr mit der Hand seinen Hals entlang unter sein Shirt und holte eine Kette hervor. Reumütig betrachtete er sie, ehe er sie ganz fest an sich drückte. Seit dem Tag, an dem sie gegangen war und ihm diese Kette als Abschiedsgeschenk dagelassen hatte, trug er sie bei sich. Die Kette, die er ihr zum Abschlussball geschenkt hatte. Sie erinnerte ihn immer daran, was er getan hatte und warum er hier war. Und genau deswegen konnte er nicht gehen, denn diese Kette würde ihn sein Leben lang daran erinnern, was er verloren hatte und dann würde er sich niemals verzeihen können. Und sie ihm auch nicht.
 

***
 

„Und, hast du deinen Flug gebucht?“, fragte Izzy mit einem Unterton in der Stimme, als Tai am nächsten Morgen in die Küche kam. Die Nacht war recht durchwachsen gewesen und Tai taumelte zwischen schlafen und Gedankenkreisen. Für Sarkasmus war es also definitiv noch zu früh.

„Nein“, antwortete er deswegen nur etwas zerknautscht und goss sich eine große Tasse Kaffee ein.

„Gut“, entgegnete Izzy und nahm ebenfalls einen Schluck aus seiner. „Ich hab dich nämlich eben online für deine erste Vorlesung angemeldet. Zufällig die gleiche, in der Mimi auch sitzt.“

Tai sah ihn erstaunt an. „Woher weißt du das?“

„Ich habe im Sekretariat nachgefragt. Hab ihnen erzählt, dass ich noch wichtige Aufzeichnungen für sie habe, die sie nachher in der Vorlesung braucht, sie aber leider gerade nicht erreichen kann.“ Izzy zuckte mit den Schultern, als wäre es keine große Sache. Doch irgendwie war es das doch, musste Tai sich eingestehen. Sicher wäre er jetzt nicht hier, wenn Izzy nicht gewesen wäre und sicher würde er auch nicht mit Mimi in einer Vorlesung sitzen, hätte Izzy es nicht eingefädelt. Und trotz allem hatte er immer noch nicht das Gefühl ihm vertrauen zu können. Wahrscheinlich war dafür einfach zu viel geschehen.

Tai nahm den letzten Schluck aus seiner Tasse und stellte sie ab.

„Ich hau dann mal ab.“

„Gut. Ich muss mich auch an die Arbeit machen.“

Der Braunhaarige ging zum Fahrstuhl und betätigte den Knopf.

„Ach und Tai?“

Er drehte sich noch ein Mal um und sah Izzy fragend an, der eine etwas ernste Miene aufgelegt hatte. „Vermassle es nicht.“

„Keine Sorge, das hab ich nicht vor.“
 

***
 

„Oh, ich habe gar keine Lust“, nörgelte Mimi, streckte sich und gähnte herzhaft, als sie mit Alison über den Campus zur ersten Vorlesung schlenderte. In der letzten Nacht hatte sie kaum geschlafen. Zu gern wüsste sie, ob Tai bereits abgereist war. Und Izzy? Was war mit ihm? Ob er auch wieder nach Hause fliegen würde? Ach, es machte einfach keinen Sinn sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Wahrscheinlich saßen beide schon im Flugzeug gen Heimat und Mimi konnte sich wieder ganz auf sich konzentrieren. Und auf Kyle. Und auf die Uni natürlich.

„Hat mein Bruder dich die ganze Nacht wachgehalten oder warum bist du so müde?“, fragte Alison und sah sie mit einem prüfenden Blick an.

„Nein, er war ja nicht da“, antwortete Mimi, als wäre es ihr gleichgültig. Dabei gefiel es ihr gar nicht, dass ihr Freund des Öfteren über Nacht nicht nach Hause kam und wer weiß wo übernachtete. Er erzählte ihr zwar immer, er würde bei Scott schlafen, doch nicht das erste Mal fragte sich Mimi, ob das die ganze Wahrheit war.

„Dann hat er also mal wieder die Nacht durchgefeiert.“

Mimi zuckte mit den Schultern. „Sieht so aus.“ Sie hatte keine Lust sich jetzt darüber Gedanken zu machen. Viel schlimmer war, dass sie gleich ihre erste Vorlesung hatte und jemand anderes die ganze Zeit in ihrem Kopf rumgeisterte. Dabei war es so wichtig, dass sie sich konzentrierte und anstrengte, sonst war das Stipendium schneller wieder weg als ihr lieb war. Alison stöhnte, als sie den Saal, in der die Vorlesung stattfand, erreicht hatten.

„Komm, bringen wir’s hinter uns.“

Na sie hatte leicht reden, dachte sich Mimi. Als ob sie sich wirklich anstrengen müsste, um aufzupassen, damit sie die Prüfungen bestand. Von wegen… Alison gehörte zu der Sorte Mensch, denen so etwas wie Wissen einfach nur so zuflog. Man könnte auch sagen, sie war eine Art Genie. Sie hatte ihren Abschluss ein Jahr früher gemacht und war selbst jetzt, in ihrem ersten Jahr an der Uni, vielen anderen Studenten weit voraus. Sie saugte einfach alles Wissen, wie ein Schwamm in sich auf und manchmal erinnerte sie Mimi sogar ein wenig an Izzy.

Seufzend suchten die Beiden sich einen freien Platz im Saal. Alison setzte sich neben Mimi, die gerade dabei war ihre Sachen auszupacken, als sie plötzlich große Augen bekam und an Mimi vorbei sah. Dann sah sie Mimi an und grinste.

„Was ist?“, fragte die Brünette verwundert und sah sie irritiert an. „Hab ich was im Gesicht.“

Alisons Grinsen wurde immer breiter. „Nein, aber da hat sich gerade so ein Typ zwei Plätze weiter von dir gesetzt, der ziemlich heiß aussieht.“

Mimi stöhnte kurz auf und konnte es sich nicht verkneifen mit den Augen zu rollen.

Alison stützte den Kopf auf ihre Hand ab und sah unentwegt weiter an Mimi vorbei. „Du solltest ihn dir wirklich mal ansehen.“

„Was denn?“, kicherte Mimi. „Sieht er so gut aus?“

Verstohlen warf sie einen Blick zur Seite und beinahe hätte sie der Schlag getroffen.

Schnell wandte sie sich wieder ab und warf ihrer Freundin einen zornigen Blick zu.

„Willst du mich verarschen? Was macht der denn hier?“, flüsterte sie ihr zu, während ihr Herz drohte, aus der Brust zu springen. Sie war fest davon ausgegangen, dass Tai nach ihrer Ansage seine sieben Sachen gepackt und abgereist war. Was zum Teufel machte er ausgerechnet in ihrer Vorlesung?

Alison zuckte unschuldig mit den Schultern und Mimi verstand nicht, warum sie den Ernst der Lage nicht zu begreifen schien. Sie wollte ihn doch nicht hier haben!

Die Vorlesung begann und Mimi schlug hektisch ihren Schreiblock auf. Sie riss ein Stück Papier raus und kritzelte etwas darauf.

„Hast du deinen Flug verpasst?“

Dann faltete sie es zusammen und bemühte sich nicht zu ihm hinüber zu sehen, als sie ihm den Zettel rüberschob. Aus dem Augenwinkel konnte sie erkennen, dass er ihn an sich nahm und las. Keine zehn Sekunden später bekam sie ihre Antwort. Eilig faltete sie das Stück Papier auseinander.

„Einfach in ein Flugzeug zu steigen und abzuhauen, ist nicht so mein Ding.“

Mimi knirschte mit den Zähnen über diese Antwort. Wollte er sie reizen? Der Professor hatte bereits mit seinem Vortrag begonnen, doch das war Mimi gerade völlig egal. Wie konnte er es wagen, einfach so hier aufzutauchen?

„Hab ich mich nicht klar ausgedrückt?“

Mit zittrigen Fingern schob sie den Zettel zu ihm rüber, machte sich dabei nicht mal mehr die Mühe ihn zusammen zu falten. Seine Antwort kam genauso schnell, wie die Vorherige.

„Macht dich meine Anwesenheit nervös?“

Das war ja wohl die Höhe! Was bildete er sich ein? Und ja – sie war nervös! Aber musste er das sofort durchschauen? Eines der Nachteile, wenn man sich zu lang schon kennt. Auf keinen Fall würde sie ihm eine Antwort darauf geben! Stattdessen drehte sie sich weg, damit er ihr nicht noch mehr aus dem Gesicht lesen konnte und trotzdem spürte sie, wie er sie ansah, was sie nur noch nervöser machte. Alison kicherte leise. „Du bist ein wenig rot.“

„Ach, halt die Klappe“, flüsterte Mimi, stützte ihren Kopf ab und versuchte sich krampfhaft auf die Vorlesung zu konzentrieren – was jedoch durch sein plötzliches Erscheinen völlig zwecklos war…
 

Mimi hatte das Gefühl, dass das eben die längste Vorlesung war, an der sie je teilgenommen hatte. Zu wissen, dass Tai die ganze Zeit über neben ihr saß und ihr so nah war, machte sie wahnsinnig. Am liebsten hätte sie ihn aus dem Saal geschliffen und höchstpersönlich in ein Taxi zum Flughafen verfrachtet. Das konnte er doch nicht machen. Was dachte er sich nur dabei? War denn nicht eh schon alles schlimm genug? Konnte er nicht einfach wieder gehen und sie in Ruhe lassen?

Energisch packte sie ihre Sachen ein und wollte so schnell wie möglich weg. Doch wieder ein Mal hatte sie die Rechnung ohne Tai gemacht, der plötzlich neben ihr stand.

„Hi, Alison. Ich wusste gar nicht, dass du auch hier studierst.“

Erstaunt sah Mimi auf und dann zu Alison, die Tai freundlich anlächelte. „Woher kennt ihr beide euch, wenn ich fragen darf?“, fragte sie verwirrt.

Alison zuckte mit den Schultern. „Na, von der Party neulich.“

Grummelnd wandte sich Mimi ab und packte weiter ihre Sachen zusammen. „So? Na, wie schön für dich, Tai, dass du schon eine Freundin hier gefunden hast.“ Sie wusste selbst nicht, warum sie so biestig reagierte, doch irgendwie gefiel ihr die Vorstellung nicht, dass Tai und Alison sich eventuell verstehen konnten. Mochte sie ihn etwa? Und was hatten sie auf der Party überhaupt miteinander geredet? Und wieso wusste sie davon nichts? Und wieso hatte Alison so gegrinst, als er vorhin auftauchte, obwohl sie wusste, wie Mimi dazu stand? Mimi wusste genau, dass sie ihn heiß fand… das hatte sie ja selbst gesagt.

„Nimm das nicht persönlich“, meinte Tai grinsend an Alison gerichtet. „Ich mache sie eben nervös.“

Bitte, was? Zornig sah sie zu ihm auf und wollte ihm gerade die passende Antwort auf seine Unverfrorenheit geben, als plötzlich jemand anderes neben sie trat und ihr einen Kuss auf die Wange drückte.

„Hey, Babe. Hab dich schon überall gesucht.“

Kyle. Na, super. Auch das noch.

„Äh… hey… ähm… w-was machst du denn hier?“ Okay, jetzt war sie wirklich nervös. Kyle und Tai in einem Raum zur selben Zeit – mit ihr?! Das konnte niemals gut ausgehen. Aber noch wusste Kyle ja nicht, dass das Tai war, der hier vor ihr stand und wenn Tai auch nur einen Hauch von Verstand besaß, würde er das auch lieber für sich behalten.

Kyle lachte. „Hab ich doch eben gesagt? Ich hab dich gesucht. Bist du noch etwas müde oder was ist los?“

Mimi grinste unsicher, als zu ihrem Entsetzen auch noch Tai das Wort ergriff. „Wahrscheinlich. Die Vorlesung war wirklich sehr anstrengend.“

Ihre Blicke begegneten sich. Oh nein, bitte nicht! Mimi warf ihm einen warnenden Blick zu, den Tai jedoch nur mit einem Lächeln quittierte, als er Kyle auch schon die Hand hinhielt.

„Hi, ich bin Matt und ich bin neu hier. Deine Freundin ist so nett und führt mich gleich ein wenig auf dem Campus rum, hat sie gesagt.“

Ach, hat sie das?

Für diese Antwort wäre sie ihm am liebsten an den Hals gesprungen. Aber viel wichtiger war, dass er ihr Signal verstanden und nicht seinen richtigen Namen gesagt hatte. Von Matt hatte sie Kyle nie erzählt.

Kyle grinste und schüttelte Tai zur Begrüßung die Hand.

„Hi, Matt. Du kommst nicht von hier oder?“

Tai schüttelte den Kopf. „Nein, ich komme eigentlich aus Japan. Aus Osaka, um genau zu sein.“

„Ah, na dann habt ihr ja was gemeinsam“, meinte Kyle und sah Mimi an, die nur unsicher grinste und einfach überhaupt nicht wusste, wie sie sich verhalten sollte. „Mimi kommt auch aus Japan, aus Tokyo.“

Wie gut, dass Kyle nicht wusste, dass sie doch so viel mehr miteinander verband, als einfach nur das Herkunftsland.

„Hey, ich hab eine Idee“, platzte es plötzlich übertrieben freudig aus Kyle heraus. „Wieso kommst du nicht heute Abend zu meiner Party? Dann können wir uns ein bisschen besser kennen lernen.“

Oh, nein! Das. War. Ein. ALPTRAUM! Am liebsten wäre sie im Erdboden versunken.

Mimis Herz rutschte augenblicklich in die Hose, während sie sich fragte, warum ihr Freund plötzlich so nett zu anderen war und während sie insgeheim auch noch dafür betete, dass Tai nein sagen würde.

„Klar, ich komme gerne.“

Das durfte nicht wahr sein! Konnte es noch schlimmer werden? Erstaunt sah sie ihn an. Tai grinste. Ob er wusste, was er da tat? Am liebsten hätte sie sich die Hand vors Gesicht geschlagen und wäre schreiend davongelaufen, doch das wäre eindeutig zu auffällig gewesen. Kyle durfte auf keinen Fall merken, dass hier etwas nicht stimmte, also zwang sie sich zu einem freundlichen Lächeln.

„Klar, du kannst gerne kommen. Wir würden uns freuen.“

„Super“, entgegnete Kyle und wandte sich zum Gehen um. „Wir sehen uns dann später. Viel Spaß beim rumführen. Verlauft euch nicht.“

Mimi stand wie versteinert da und sah ihm hinterher und in ihrem Kopf war nichts weiter, außer der Frage, wie sie das nur verhindern konnte. Wenn Kyle auf dieser Party mitbekommen würde, dass Matt gar nicht Matt war, sondern Tai – Tai, Ex-Freund-Tai – dann würde das eine Katastrophe geben und alles, was sie sich die letzten Monate über erkämpft hatte, würde den Bach runtergehen.

„So“, sagte Tai schließlich, was Mimi wieder aus ihren Gedanken riss. „Zeigst du mir jetzt den Campus?“

Immer noch zwischen Entsetzen und Erstaunen hin und hergerissen, sah sie ihn an. Sie fand einfach keine Worte dafür, was er da tat. Was er in Begriff war anzurichten. Ihre Miene verfinsterte sich. „Klar zeig ich dir den Campus. Und danach zeig ich dir auch gerne den Weg zum Flughafen.“

Tai grinste sie vielsagend an. Warum war er so selbstsicher? Wusste er denn gar nicht, wie dumm es war, was er da tat?

„Gut, dann eben nicht“, meinte er und nahm seine Sachen. „Dann sehen wir uns heute Abend.“

„Tai“, sagte Mimi und merkte selbst, dass sie allmählich nervös wurde, da er es wirklich ernst zu meinen schien. „Du machst einen Fehler.“

Tai blieb stehen und wandte sich noch ein Mal um. Sein Blick wirkte entschlossen und Mimi wusste, was das bedeutete. Dafür kannte sie ihn zu lange.

„Nein, Mimi. Den Fehler hast du damals gemacht, als du gegangen bist. Und den werde ich nicht wiederholen.“

Er ging und Alison trat neben sie. „Also eins musst du ihm lassen: er ist ziemlich verbissen. Fast so dickköpfig wie du.“

Mimi sah ihm fassungslos hinterher. Was sollte sie jetzt nur tun?

Gefühlsausbruch

„Ali, was mache ich denn jetzt?“

Mimi stand vor ihrem Kleiderschrank und wühlte darin herum, während sie darüber nachdachte, wie sie Tai zum nach Hause fliegen bewegen konnte.

Alison lag auf ihrem Bett und malte etwas in ihrem Zeichenblock. „Hmm, also ich finde, du solltest das grüne Top anziehen.“

„Oh, das meine ich doch gar nicht“, stöhnte Mimi auf, wühlte nach dem grünen Top, zog es raus und schmiss es aufs Bett. Sie wollte es sowieso anziehen…

„Ich meine, was mache ich mit Tai?“, fragte sie genervt und zog sich ihr Shirt über den Kopf, um das Top anzuziehen. Alison sah stirnrunzelnd zu ihr auf.

„Na ja, also ich an deiner Stelle würde Kyle den Laufpass geben und mit diesem Tai durchbrennen. Der ist echt heiß.“

Unfassbar.

Sauer ließ Mimi sich auf ihr Bett fallen, um sich ihre Schuhe anzuziehen. „Kannst du mich ein Mal ernst nehmen? Und hör auf, dass zu sagen.“

„Was zu sagen?“

„Na, dass er heiß ist.“

Das war jetzt schon das zweite Mal an diesem Tag, dass sie das sagte und irgendwie gefiel ihr das nicht.

Alison zuckte mit den Schultern.

„Aber es ist die Wahrheit.“

„Kyle ist auch heiß.“

„Urgs.“

Mimi warf ihrer Freundin einen skeptischen Seitenblick zu und zog eine Augenbraue nach oben. „Man könnte meinen, du bist im Team-Tai. Du solltest lieber zu deinem Bruder halten.“

„Ich bin im Team-Mimi“, erwiderte Alison und zeichnete weiter. „Und du weißt, was ich von meinem Bruder halte. Ich denke, egal, was Tai getan hat…“

Mimi schnaubte und stand auf, um zum Spiegel zu gehen und sich die Haare zu stylen. „Du weißt, was er getan hat!“

„Ich weiß und es ist nichts im Vergleich zu dem, was mein Bruder bereit wäre zu tun, um dich zu halten.“

Mimi wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Bei Alison klang es so, als wäre Tai das kleinere Übel oder die bessere Wahl. Dabei war es Kyle, zu dem sie gehören wollte und nicht Tai. Sie kannte Kyle und wusste, was er für ein Mensch war. Wie Alison ihn manchmal hinstellte, war für sie völlig unverständlich. Es war klar, dass die beiden noch nie ein gutes Verhältnis zueinander hatten, was daran liegen konnte, dass Alison adoptiert worden war, als Kyle noch ein kleiner Junge war. Somit war sie nicht seine leibliche Schwester. Und doch waren sie von klein auf Geschwister und sollten eine höhere Meinung voneinander haben, als sie es taten.

„Na, wie auch immer“, sagte Mimi und steckte sich ein paar Haarsträhnen mit Haarnadeln nach oben. „Ich werde ihn heute schon noch dazu kriegen, dass er wieder nach Hause fliegt.“

Alison sah von ihrem Block auf und richtete sich auf. Sie musterte Mimi und ein Grinsen umspielte ihre Lippen.

„So, wie du aussiehst, wird er garantiert nicht wieder gehen.“

Was?

Mimi warf zunächst ihr und dann ihrem Spiegelbild einen fragenden Blick zu und verzog dann angesäuert das Gesicht.

Verdammt.

Sie hatte recht. Ein bisschen weniger attraktiv hätte es auch getan. Genervt über sich selbst und über Alison, weil sie mal wieder recht hatte, zog sie sich die Haarnadeln wieder aus dem Haar und wuschelte es durch. Dann tauschte sie High Heels gegen Sneaker und zog sich über ihr grünes Top einen viel zu weiten, weißen Pullover an.

„So, bin soweit. Kommst du?“

Alison klappte ihren Block zu und hüpfte vom Bett. „Du kannst machen, was du willst“, säuselte sie mit einem triumphierenden Lächeln. „Du würdest selbst in einem Kartoffelsack noch heiß aussehen.“

Mimi verdrehte die Augen und ging grummelnd hinter ihr her. Heiß aussehen war das Letzte, was sie wollte und außerdem würde sie schon dafür sorgen, dass Tai es sich anders überlegte.
 

***
 

„Kommst du nachher mit zur Party?“

„Klar! Ich saß den ganzen Tag im Büro. Würde guttun, mal unter Leute zu kommen. Wer feiert denn?“

Tai ging zum Kühlschrank und nahm sich ein Bier raus, während Izzy gerade seinen Laptop zuklappte und sich genüsslich streckte.

„Kyle.“

Izzy stutzte kurz und zog eine Augenbraue nach oben. „Äh… dann lieber nicht.“

Tai warf ihm einen skeptischen Blick zu. „Warum nicht?“

„Ach, ich glaube, ich bin doch ziemlich müde und bleibe lieber hier“, gähnte Izzy, während Tai diese Antwort so hinnahm und mit den Schultern zuckte. „Wird Mimi auch da sein?“

Der Braunhaarige grinste. „Ich gehe sicher nicht wegen diesem Kyle da hin.“ Er nahm einen großen Schluck aus seiner Flasche. Irgendwie half das Bier ihm auch nicht so richtig dabei, sich zu beruhigen. Nach außen hin wirkte er zwar recht gelassen, aber innerlich war er ziemlich aufgeregt. Mimi hatte ihm mehr als deutlich gesagt, dass sie nicht wollte, dass er hier war. Und er hatte es ignoriert. Wer wusste, was ihm heute blühte…

„Wer weiß, ob sie überhaupt kommen wird. Nachdem, wie ich sie heute in der Uni provoziert habe.“

Izzy sah überrascht auf. „Du hast was?“

„Ach, nicht so wichtig“, entgegnete Tai beiläufig. Er konnte Izzy ja schlecht sagen, dass er sich als Matt ausgegeben hatte und Mimi dieses Spiel zwangsläufig mitspielen musste, wenn sie nicht wollte, dass dieser Kyle erfuhr, wer er wirklich war.

Und bevor Izzy ihn weiter mit fragenden Blicken durchbohren konnte, entschied er sich dazu, es einfach hinter sich zu bringen. Vielleicht war ja doch noch nicht alles verloren. Eigentlich war er sich sogar ziemlich sicher, dass er ihr noch etwas bedeutete. So, wie sie auf sein Auftauchen in der Vorlesung reagiert hatte…
 

***
 

Die Party war schon in vollem Gange, als Mimi und Alison dort auftauchten. Es waren mal wieder so viele Studenten, dass man keinen Überblick mehr hatte und viele von ihnen kannte Mimi nicht. Aber alle kannten Kyle und da Mimi mit ihm zusammen war, kannten auch zwangsläufig alle sie. Auch, wenn es gefühlt nur als Kyles Anhängsel war. So zumindest kam es ihr manchmal vor. Nicht die Hälfte der Leute würde sich für sie interessieren, wenn sie nicht seine Freundin wäre. Und noch weniger würden sie sich wahrscheinlich für ihn interessieren, wenn sein Vater nicht so verdammt reich wäre und Kyle somit diese ganzen ausgelassenen Partys schmeißen konnte.

„Oh, ich hasse es hier. Jedes Mal aufs Neue“, stöhnte Alison total genervt auf, woraufhin Mimi grinsen musste.

„Warum bist du dann hier?“

„Um dich vor meinem durchtriebenen Bruder zu beschützen, das weißt du doch.“

Mimi lachte. Alison hatte für gewöhnlich einen Hang zu Übertreibungen. Wobei sie das Gefühl hatte, seit Tai auf der Bildfläche erschienen war, stieg auch ihre Abneigung gegenüber ihrem Adoptivbruder.

„Hallo, kleine Schwester. Na, hast du es geschafft, dich von deiner brotlosen Kunst loszureißen?“

Kyle kam auf sie zu, offensichtlich schon sichtlich angetrunken und schenkte Alison ein gönnerhaftes Lächeln.

„Ja, du mich auch“, entgegnete Alison tonlos und verschränkte die Arme vor der Brust. Mimi stöhnte auf. Es war immer dasselbe mit den Beiden.

„Du solltest weniger zickig sein. Da stehen die Typen gar nicht drauf“, lachte Kyle auf und Mimi wusste, dass er sie mit seinen Kommentaren einfach nur reizen wollte. Zum Glück war Alison viel zu schlau, um sich von ihm provozieren zu lassen. Sie verdrehte lediglich die Augen.

„Ich denke, ich werde mir heute Abend mal so richtig die Kante geben. Sonst ertrag ich diesen Idioten hier nicht“, sagte sie an Mimi gewandt.

„Viel Glück“, antwortete diese und warf ihr einen verständnisvollen Blick hinterher, als Alison reinging, um sich etwas zu trinken zu besorgen.

„Oh man, musste das jetzt schon wieder sein?“, fragte sie Kyle sauer, der weiterhin gehässig grinste.

„War doch nur Spaß. Sie kann das ab.“

Er nahm einen großen Schluck aus seiner Flasche und musterte seine Freundin kurz. „Was ist eigentlich mit dir passiert? Sonst wirfst du dich doch immer richtig in Schale.“

Mimi zog gekränkt die Unterlippe nach vorne, auch, wenn es eigentlich eine berechtigte Frage war.

„Hey, was ist aus deiner sexy Freundin geworden? Sie sieht aus, wie ein Mauerblümchen.“

Scott tauchte neben Kyle auf und grinste Mimi diabolisch an, woraufhin sie ihm einen nicht weniger bösen Blick zuwarf. War ja klar, dass er nicht weit war. Sie konnte diesen Typen einfach nicht ausstehen!

„Also, ich finde, sie sieht ziemlich gut aus.“

Mimi wirbelte herum und erkannte Tai, der plötzlich neben ihr stand. Er war tatsächlich gekommen. Sie schluckte, als sie merkte, wie sein Auftauchen ihr Herz zum Rasen brachte. Er hatte immer noch Wirkung auf sie.

„Cool, dass du gekommen bist, Matt“, begrüßte Kyle ihn. „Aber pass auf, dass du ihr nicht zu viele Komplimente machst. Sonst bekommen wir beide bald Ärger miteinander.“ Kyle lachte zwar, doch Mimi wusste, welche versteckte Drohung sich hinter diesem Witz verbarg. Dafür kannte sie ihn zu gut.

Tai zog nur eine Augenbraue nach oben, grinste vielsagend zurück und stand ganz locker mit den Händen in den Hosentaschen da, als würde ihn diese Drohung relativ unbeeindruckt lassen. Dabei war sich Mimi ziemlich sicher, dass er die Botschaft nicht überhört hatte.

„Hi, ich bin Scott“, sagte der Blonde neben Kyle und hielt Tai die Hand hin. „Matt…, richtig?“, fragte er und warf dabei seinem Freund für einen Sekundenbruchteil einen Blick zu, der Mimi stutzig werden ließ.

„Richtig. Ich bin relativ neu hier und Mimi war so freundlich mich heute über den Campus zu führen.“

Verlegen sah sie zur Seite, auch, wenn sie fast schon beeindruckt davon war, wie überzeugend Tai seine Rolle als Matt spielte.

„Vielleicht kann ich mich mit einem Drink bei ihr revanchieren“, schlug er vor, woraufhin die Brünette leicht zusammenzuckte. Er ließ nichts unversucht, um mit ihr allein sein zu können. Doch war es nicht genau das, was sie auch wollte? Um ihn überreden zu können, wieder nach Hause zu fliegen?

„Gute Idee, das bist du mir schuldig“, witzelte sie und lachte gespielt auf.

„Okay, wir sehen uns sicher später noch. Aber füll sie nicht ab“, meinte Kyle und lachte ebenfalls.

„Ha ha, du bist so lustig, Kyle.“ Mimi warf ihm einen genervten Blick zu und konnte es sich nicht verkneifen mit den Augen zu rollen.

Sie ging mit Tai ein Stück Richtung Haus, doch als sie außer Sichtweite waren, zog sie ihn weiter in den hinteren Teil des Gartens. Hier hörte man die Musik nicht so laut, daher waren dort nur einige wenige Leute und keiner von ihnen kannte sie.

„Du hältst dich wohl für sehr witzig“, begann sie ohne weitere Umschweife und sah Tai wütend an. „Erst tauchst du einfach so in meiner Vorlesung auf und jetzt hier. Und dann diese Matt-Nummer… was für ein Schwachsinn! Weißt du, was passiert, wenn rauskommt, wer du wirklich bist?“

Tai verschränkte betont lässig die Arme hinter dem Kopf und legte sein schiefes Grinsen auf. Konnte er das nicht einfach mal lassen?

„Ihr führt keine besonders innige Beziehung, oder?“, fragte er, ohne auch nur auf eine ihrer Fragen einzugehen.

„Was?“

Völlig perplex stand Mimi da, während ihr Fassungslosigkeit ins Gesicht geschrieben stand. Was bildete er sich eigentlich ein? Sie verschränkte abwehrend die Arme vor der Brust und straffte ihre Schultern.

„Ich wüsste nicht, was dich das angeht, MATT.“

„Ich weiß, was du willst, Mimi.“

Er ging einen Schritt auf sie zu und Mimi schluckte. Unsicher sah sie zu ihm auf. Er hatte nichts von dem verloren, was sie früher so anziehend an ihm fand. Es war immer noch da. Mehr als ihr lieb war und mehr als sie sich eingestehen wollte.

„Woher willst du wissen, was ich will?“

„Weil ich dasselbe will“, flüsterte er beinahe schon und sah ihr tief in die Augen. Ihr Herz begann erneut zu rasen. Was tat er da nur mit ihr? Seine Augen fixierten sie und es war, als würde er ihr den Atem rauben, allein mit seinem Blick. Sie sog stark die Luft ein und versuchte mit aller Kraft sich diesem Blick zu entziehen, indem sie einige Schritte nach hinten ging.

Das war einfach zu viel Nähe!

Er konnte nicht einfach hier auftauchen und so verflucht gut aussehen, in seinem schwarzen Hemd.

„Verdammt!“

Oh nein… hatte sie das gerade laut ausgesprochen?

Schnell ballte sie die Hände zu Fäusten, um sich irgendwie zu beruhigen. Egal, was er in ihr auslöste und warum das so war. Es durfte nicht so ein! Nie wieder!

„Du weißt gar nichts“, sagte sie und verfestigte ihren Blick.

Sie setzte sich in Bewegung und wollte an ihm vorbei zurück zu Kyle und Alison gehen, doch er hielt sie am Handgelenk fest, sodass sie zu ihm rumwirbelte. Gerade wollte sie ihn anschreien, er solle sie loslassen, doch dann sah er sie mit einem so unergründlichen Blick an, dass es ihr die Sprache verschlug.

„Du hast recht“, sagte er und Mimi hielt in ihrer Bewegung inne.

„Ich weiß gar nichts. Ich habe keine Ahnung, was mit dir in den letzten Monaten passiert ist oder warum du dich auf so einen Typen, wie Kyle einlässt, aber egal, was du sagst. Ich werde nicht wieder gehen. Auf keinen Fall. Nicht, bevor ich nicht weiß, was mit dir los ist.“

Mimi schluckte den dicken Kloß runter, der sich in ihrem Hals gebildet hatte. Warum machte er sie immer noch so nervös? Nach all der Zeit, die inzwischen vergangen war?

Er grinste und legte den Kopf schief.

„Aber eins zumindest weiß ich. Nämlich, dass du dich zu mir hingezogen fühlst. Immer noch.“

Immer noch.

Wie gern hätte sie ihm gesagt, dass das nicht wahr sei und dass er aufhören solle, sich so etwas einzureden. Doch war sie nicht im Grunde diejenige, die sich etwas einredete?

Er ließ sie los und wandte sich von ihr ab. Er hatte seinen Standpunkt klargemacht und auch Mimi erkannte in diesem Moment, dass es zwecklos war. Er hatte recht. Es war völlig egal, was sie sagen würde…

Tai wollte gehen, doch als sie an seine Augen dachte und daran, wie er sie eben angesehen hatte, was er gesagt hatte…

„Tai?“

Er drehte sich um und sah sie an. Sie ging auf ihn zu und in diesem Moment war es ihr egal, welche Konsequenzen das Ganze hatte. Sie wollte einfach nur noch den Gefühlen Luft machen, die er in ihr ausgelöst hatte. Kurzentschlossen stellte sie sich auf die Zehenspitzen, legte eine Hand in seinen Nacken und küsste ihn. Und dieser Kuss war das intensivste Gefühl, welches sie in den letzten Monaten erfahren durfte. Es war wie ein Ventil für all die angestauten Emotionen, die die ganze Zeit unter der Oberfläche gebrodelt hatten.

Es war kein sanfter Kuss und auch kein leidenschaftlicher Kuss. Er glich eher einem Sturm, der urplötzlich von ihr Besitz ergriff. Tai erwiderte den Kuss, umfasste ihre Taille und drückte sie enger an sich, während sie ihre Finger in seinem Haar vergrub.

Ihre Gefühle überschlugen sich und es war heftiger als sie es sich vorgestellt hatte. Sie wusste, sie würde es bereuen, ab dem Zeitpunkt, wenn sich ihre Lippen wieder voneinander trennten und sie auf dem Boden der Realität aufschlug. Doch das war ihr egal.

Kurz lösten sie sich voneinander, um Luft zu holen, dann verschmolzen ihre Lippen erneut miteinander und sie spürte, wie sich mehr in ihr regte, als seine Zunge fordernd in ihren Mund eindrang.

Erst jetzt begriff sie, wie sehr sie ihn vermisst hatte.

Doch ihr war auch bewusst, dass sie diesem Gefühl nicht die Oberhand lassen konnte.

Abrupt löste sie sich von ihm, zwang sich einen Schritt zurück zu gehen und ihn von sich zu drücken.

Völlig überfordert mit der Situation fuhr sie sich durchs Haar und versuchte ihre Gedanken zu ordnen.

„Was war das?“, fragte sie sich selbst und Tai lächelte.

„Das waren wir.“
 

***
 

„Sag mal, machst du dir keine Sorgen?“, fragte Scott seinen Freund, der nur desinteressiert mit den Schultern zuckte.

„Worüber?“

„Darüber, dass deine Freundin mit diesem Tai abgehauen ist.“

Kyle grinste und nahm einen Schluck aus seiner Flasche. „Sie wird ihm keine Gelegenheit geben. Sie ist durch mit ihm und sobald sie ihm das klargemacht hat, wird er im nächsten Flieger nach Tokyo sitzen. Und wenn nicht…“, sagte er und warf Scott einen vielsagenden Blick zu. „Werden wir ein wenig nachhelfen.“

Scott grinste ihn an, als sein Blick an ihm vorbei wanderte. Mimi kam geradewegs auf die Beiden zugesteuert.

„Hey, was ist denn mit dir los?“, rief Scott ihr entgegen. Die Brünette ging direkt auf Kyle zu und packte ihm am Arm. Sie sah sichtlich aufgewühlt aus.

„Lass uns von hier abhauen.“

„Was? Warum denn?“, fragte dieser verdutzt und sah sich um. „Wo hast du denn diesen Matt gelassen? Ist er schon gegangen?“

„Ja ist er und ich möchte auch gehen. Irgendwie fühle ich mich nicht so gut.“

„Frag doch Alison, ob sie mitkommt. Wir sind noch nicht fertig hier“, antwortete Scott stattdessen, was Mimi mit einem finsteren Blick quittierte.

„Babe, ich will gern noch ein bisschen bleiben. Geh doch schon mal allein nach Hause, ich komme dann später nach.“

Für einen kurzen Moment hielt die Brünette die Luft an, doch anstatt zu widersprechen, verschränkte sie wütend die Arme vor der Brust und stapfte davon. „Fein. Dann geh ich eben alleine.“

„Wow, die ist aber sauer“, lachte Scott, als Mimi auf und davon war. Kyle zuckte mit den Schultern. „Sie wird’s überleben. Wir haben noch was zu erledigen.“ Er stellte seine Bierflasche auf dem Boden ab und ging in die Richtung, aus der Mimi gekommen war.

Sie gingen an ein paar anderen Studenten vorbei, die ausgelassen feierten, als sie ihn entdeckten und er ebenfalls gerade dabei war, zu verschwinden.

„Wo willst du denn hin? Willst du etwa schon gehen?“, rief Kyle ihm entgegen, woraufhin Tai sich überrascht umdrehte.

Kopf oder Herz

„Ich wollte gerade gehen“, entgegnete Tai nur beiläufig und wandte sich um. Er hatte wirklich keine Lust sich jetzt mit diesem Kyle zu unterhalten. Nicht nachdem was Mimi und er gerade getan hatten. Sie hatte ihn geküsst, obwohl sie vorher noch von ihm verlangte, wieder nach Hause zu gehen. Das alles brachte seine Gefühlswelt völlig ins Wanken. Sich jetzt mit Kyle zu unterhalten und sich als Matt auszugeben, war das absolut Letzte, worauf er jetzt Lust hatte.

„Wieso denn?“, fragte Kyle mit einem fiesen Grinsen. „War meine Freundin nicht nett zu dir? Manchmal kann sie ganz schön ihre Krallen ausfahren.“

Wie bitte? Was sollte das denn jetzt? Wie hatte er dieses fiese Grinsen und diesen Kommentar einzuordnen? Unweigerlich beschlich ihn das Gefühl, dass hier etwas nicht stimmte.

„Was meinst du damit?“, fragte Tai und verfinsterte seinen Blick. Diesen Typen traute er kein Stück über den Weg. Und seinem Anhängsel Scott fast noch weniger.

„Ich denke, du weißt genau, was ich meine“, fuhr Kyle fort und ging einen Schritt auf ihn zu. „Und ich denke, sie war netter zu dir als sie es hätte sein dürfen.“

Das genügte. Auf solche Spielchen hatte Tai keine Lust und wie er über Mimi sprach, gefiel ihm gar nicht.

„Wie wär’s, wenn du einfach sagst, was du sagen willst.“

„Eine gute Idee“, sagte Kyle und trat ihm gegenüber, ohne den Blick von ihm zu richten. Tai erwiderte diesen Blick und sah ihm fest in die Augen. Etwas blitzte in ihnen auf.

„Ich möchte hier nur eins klarstellen: lass deine Finger von ihr!“

Also doch! Darum ging es hier also.

„Mimi gehört mir.“

Tai grinste. „Hast du etwa Angst, dass ich sie dir wegnehme?“

Ein kurzes Grinsen huschte über Kyles Lippen, während er Tai anfunkelte. „Nein, das würdest du nicht schaffen. Aber ich sehe, wie du sie ansiehst. Von der ersten Minute an.“ Er trat wieder einen Schritt zurück. „Und ich wollte lediglich von Anfang an die Fronten klären. Auf ein Mädchen wie Mimi muss man gut aufpassen. Sie ist etwas Besonderes. Das verstehst du doch, oder Matt?“

Tai warf ihm einen finsteren Blick zu, als er sich umdrehte und ging. War das gerade eine Drohung? Sah er IHN als Bedrohung?

Tai grinste. Ja, Kyle hatte Angst. Es klang fast so, als wüsste er, wer er wirklich war. Aber wie auch immer. Er hatte ihm soeben offengelegt, dass Tai eindeutig eine Konkurrenz für ihn war. Und das hätte er nicht getan, wenn er nicht glauben würde, dass er ihm Mimi wegnehmen könnte.

„Hey, was machst du denn hier?“

Tai fuhr zusammen und wandte sich um. Alison stand hinter ihm und sah ihn fragend an. „Was stehst du hier so allein rum? War Mimi nicht vorhin noch bei dir?“

„Ehm… ja, schon. Aber jetzt nicht mehr. Ich dachte, sie wäre zu dir gegangen.“ Nach diesem unerwarteten Kuss, der anscheinend nicht nur Tai überrumpelt hatte, war sie förmlich geflüchtet. Ohne eine Erklärung.

Alison verdrehte die Augen. „Nein, ist sie nicht und ich ahne schon warum. Mein Bruder hat es mal wieder verkackt. So ein Idiot.“

Tai grinste. „Wieso? Er ist doch ganz nett. Eben hat er mir sehr freundlich gesagt, dass ich meine Finger von ihr lassen soll.“

„Und?“, fragte Alison grinsend und nahm einen Schluck aus ihrem Becher. „Machst du das?“

Tai legte den Kopf schief und sah sie vielsagend an. Dieses Mädchen wusste doch mehr als sie sagte. Daran gab es keinen Zweifel. „Nein.“

„Gut so. Also, wie sieht’s aus? Soll ich dich zu ihr bringen?“

„Zu wem?“, fragte Tai.

„Zu Mimi.“

Überrascht sah er sie an. „Das würdest du tun?“

„Klar“, meinte Alison schulterzuckend und leerte ihren Becher in einem Zug, ehe sie ihn wegwarf. „Sie ist sicher bei sich zu Hause. Und die Party ist eh scheiße.“
 

***
 

Als Mimi zu Hause ankam, war es noch nicht spät, doch sie hatte absolut keine Lust mehr auf diese Party und auf Kyle, der sich wieder mal wie ein egoistisches Arschloch verhalten hatte. Wieso konnte er nicht ein Mal mit ihr mitgehen? Warum zog er ständig andere Dinge ihr vor? Sie war so wütend! Wütend über Kyle. Wütend auf Tai. Aber vor allem wütend auf sich selbst. Wieso hatte sie sich nur zu diesem Kuss hinreißen lassen? Damit hatte sie ihre letzte Chance, Tai zu bewegen nach Hause zu fliegen, völlig verspielt. Niemals würde er nach diesem Kuss wieder gehen, das war ihr klar. Aber… vielleicht wollte sie auch genau das. Vielleicht hatte sie ihn gerade deswegen geküsst, weil sie es wusste. Er würde nicht wieder gehen. Und das stellte ihre Gefühlswelt völlig auf den Kopf.

Es hatte sich so gut angefühlt, ihm so nah zu sein. Es hatte sich so richtig angefühlt, obwohl es falsch war. Mit Kyle zusammen zu sein, war das einzig Richtige. Und doch fühlte es sich so falsch an. Wie war sie nur in diese Situation hineingeraten? Gerade jetzt, wo alles wieder gut zu werden schien.

Sie fuhr mit dem Aufzug hoch in das Apartment, welches ihren Eltern gehörte, die sich gerade auf einer Weltreise befanden. Viel zu leer und kalt wirkte dieses zu Hause auf Mimi. Eigentlich übernachtete sie viel lieber bei Kyle, um nicht allein sein zu müssen. Doch das war das Letzte, was sie heute tun sollte.

Oben angekommen, stieg sie aus und ging, ohne das Licht anzumachen durch die menschenleere Wohnung. Sie schmiss ihre Schuhe in eine Ecke und ging in den offenen Wohnbereich, wo sie sich den Fuß an der Tischkante stieß.

„Oh, verdammte scheiße!“, fluchte sie laut und lies sich aufs Sofa fallen, um sich den schmerzenden Fuß zu halten.

„So eine scheiße!“, wiederholte sie und biss sich auf die Lippe. Eine stumme Träne rollte ihr über die Wange. Es war eine Lüge. Ihr ganzes Leben war eine Lüge. Und es fiel ihr immer schwerer diese Lüge zu ihrer Wahrheit zu machen.
 

***
 

„Sag mal, woher kennst du Mimi eigentlich?“, fragte Tai, als sie die beleuchteten Straßen bis zu Mimis Apartment entlanggingen. „Früher hat sie nie von dir erzählt. Das heißt, ihr müsst euch erst kennengelernt haben, als sie wieder zurück nach New York gezogen ist.“

Alison sah ihn schief von der Seite her an und grinste. „Schlau kombiniert, Watson. Aber so ganz stimmt das nicht. Wir kannten uns früher schon, als sie noch hier mit ihrer Familie in Amerika gelebt hat. Sie und Kyle waren in einem Jahrgang und ich einen darunter.“

„Aha“, meinte Tai und dachte darüber nach, dass er eigentlich gar nicht so viel über Mimis Vergangenheit wusste. Sie hatten nie wirklich viel über ihre Zeit in Amerika geredet. Dass sie Kyle damals schon kannte, war ihm nicht bewusst. Sie hatte nie von ihm gesprochen.

„Du fragst dich gerade, warum sie dir nie von ihm erzählt hat oder?“, fragte Alison plötzlich spitzfindig.

Tai musste lachen. „Woher weißt du das, Sherlock?“

Sie zuckte beiläufig mit den Schultern. „Manchmal kann ich mich ganz gut in andere Menschen hineinversetzen. Oder aber ich bin eine Hexe und kann Gedanken lesen. Such dir eins aus.“

„Okay. Na gut, du Gedankenleserin. Was hatten die beiden früher für eine Beziehung zueinander? Waren sie befreundet? Waren sie schon mal ein Paar?“

„Ja und nein. Oder… weder noch.“

„Sehr aufschlussreich“, seufzte Tai frustriert. Das war nicht die Antwort, die er sich erhofft hatte. Überhaupt wusste er nicht, was er sich davon erhoffte. Was brachte es ihm, zu erfahren, was früher zwischen Kyle und Mimi lief? Aber vielleicht konnte er so besser diese „Beziehung“ verstehen, die sie jetzt führten. Wenn man das überhaupt Beziehung nennen konnte.

„Na ja, sie waren nicht wirklich ein Paar. Und befreundet waren sie auch nicht.“

Tai runzelte die Stirn. Das ergab keinen Sinn. „Was waren sie dann?“

Alison zog eine Augenbraue nach oben und warf ihm einen eindeutigen Blick zu, als es ihm dämmerte.

„Was? Nein!“, lachte er unsicher auf. „Nein, niemals! Ich weiß ganz genau, dass Mimi vor mir erst ein Mal mit jemanden…“

Er blieb stehen.

„Oh Gott.“

Ungläubig sah er Alison an. „Er war das? Kyle war ihr erstes Mal?“

Die Brünette sah ihn entschuldigend an. „Ich denke nicht, dass es damals schon etwas zu bedeuten hatte. Kyle fand sie zwar damals schon „ziemlich heiß“ – wie er immer so schön sagte – aber Mimi wollte nichts von ihm. Sie hatte sich nur auf ihn eingelassen, weil sie total betrunken war und sich über ihre Freundin geärgert hatte. Also hat sie ihn ihr kurzerhand ausgespannt.“

„Ja“, gab Tai schmunzelnd zurück und wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. „Ich kenne die Geschichte.“ Er konnte sich noch gut daran erinnern, wie Mimi ihm damals davon erzählt hatte. Nachdem sie das erste Mal miteinander geschlafen hatten. Er hatte sich darüber lustig gemacht, doch jetzt wurde ihm bei dem Gedanken daran, dass Kyle ihr Erster war ein wenig mulmig zumute. Also verband sie doch mehr als er ahnte. Und wer konnte schon wissen, was da noch alles war…

Alison.

„Und… jetzt ist das anders?“, hakte Tai vorsichtig nach. „Also, ich meine, jetzt will sie mehr von ihm als früher?“

Alison sah stur geradeaus und überlegte kurz, was sie antworten sollte. „Ich denke, das muss sie dir selbst erzählen. So…“, sagte sie und blieb stehen. „Wir sind da.“

Schade, eigentlich. Gerne hätte er sie noch mehr ausgefragt. Wenn hier irgendjemand Bescheid wusste, dann war es Alison, da war sich Tai sicher. Sie wusste, was mit Mimi los war. Warum sie mit diesem Kyle zusammen war. Aber sie wollte es nicht sagen. Sie wollte, dass er es von Mimi selbst erfuhr. Und ob das jemals geschehen würde, stand in den Sternen…

„Hier, ich habe einen Schlüssel. Eigentlich nur für den Notfall, aber…“, begann Alison und kramte in ihrer Tasche. „…irgendwie habe ich das ungute Gefühl, dass es ihr gerade nicht gut geht. Und das ist doch so was wie ein Notfall oder?“

Tai lächelte sie dankend an und nahm den Schlüssel entgegen. „Danke, Ali.“

„Kein Problem. Kümmer dich um sie. Sie braucht dich, Tai.“
 

***
 

Als der Fahrstuhl nach oben fuhr, wurde Tai immer unruhiger. Alison meinte, es ginge ihr womöglich nicht gut und wahrscheinlich hatte sie recht. Sie gleich so sehen zu müssen, machte ihm das Herz um einiges schwerer. Er atmete noch einmal tief ein, als die Türen sich öffneten und er austrat. Alles war dunkel.

„Hallo?“

Keine Antwort. Die Wohnung wirkte ziemlich groß und verlassen. Ob sie wirklich hier war? Vielleicht irrte sich Alison auch und sie war gar nicht zu Hause. Er ging ein paar Schritte weiter. Das Licht der Straßen schien durch die Fenster und auf sie.

„Mimi? Was machst du da?“

Er ging zu ihr und setzte sich neben sie. Sie kauerte auf dem Sofa, ein Bein angewinkelt. Die Haare fielen ihr ins Gesicht, so dass er ihre Augen nicht sehen konnte, doch sie schniefte.

„Was machst du denn hier?“, fragte sie leise.

„Das sollte ich dich fragen. Warum sitzt du hier im Dunkeln?“

„Hab mir den verdammten Fuß gestoßen“, sagte Mimi, als wüsste sie nicht, worauf er hinauswollte.

„Kein Wunder. Es ist stockdunkel hier“, meinte Tai und lächelte, als er ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht strich, um ihre Augen sehen zu können. Sie lachte müde auf, sah ihn jedoch nicht an.

„Ich denke, es ist keine gute Idee, dass du hier bist.“

Sie richtete sich leicht auf und wandte den Kopf um. Jetzt sah sie ihn an, direkt in die Augen. Und diese Augen sprachen eine ganz andere Sprache.

Er fuhr mit der Hand vorsichtig über ihre Wange. Selbst wenn sie weinte sah sie noch wunderschön aus. Sie hatte etwas zartes und zerbrechliches an sich. Von ihrer früheren Stärke, die sie immer ausgestrahlt hatte, war nicht mehr viel übrig.
 

***
 

Mimi lag auf dem Sofa und hatte die Beine hochgelegt. Sie hatte keine Ahnung, warum Tai gekommen war, aber sie war froh, dass er da war. Auch, wenn sie es eigentlich nicht hätte sein dürfen. Doch sie spürte, wie ihre Gefühle wieder einmal drohten, sie zu übermannen und das Letzte, was sie wollte, war allein sein. Oft schlief deshalb Alison bei ihr. Sie half ihr wirklich, dieses erdrückende Gefühl der Einsamkeit in der Nacht fernzuhalten. Doch mit Tai war das etwas ganz anders. Wenn er in ihrer Nähe war, fühlte sie sich nicht nur nicht mehr einsam, sondern zudem noch vollkommen. Ein Gefühl, welches sie zu lange vermisst hatte.

Tai kam aus der Küche zurück.

„Hier, was Besseres habe ich nicht gefunden.“

Mimi musste lachen. „Erbsen.“

„Was ist an Erbsen so komisch?“, fragte Tai lächelnd, setzte sich zu ihr und bettete ihren Fuß auf seinen Schoß, um die kalte Packung darauf zu legen.

„Izzy hat mir auch mal Tiefkühlerbsen gebracht. Als ich Kopfschmerzen hatte“, erklärte sie ihm.

„Und, haben sie geholfen?“

„Haben sie.“

„Na dann. Ein Hoch auf Tiefkühlerbsen.“

Unfassbar, wie locker sie plötzlich hier gerade zusammensaßen. Fast so, als wäre nie etwas passiert. Fast so, als hätte es die letzten zehn Monate nicht gegeben. Wie sehr sie sich doch wünschte, es hätte sie nie gegeben.

„Ist schon seltsam oder?“, meinte sie reumütig und sah Tai an.

„Was denn?“, fragte Tai stirnrunzelnd.

„Dass wir hier sind. Wir beide.“

Tai grinste. Wie sie dieses Grinsen vermisst hatte…

„Ja, schon. In Anbetracht der Lage, dass du mich heute Morgen noch persönlich zum Flughafen fahren wolltest.“

„Wer sagt, dass ich das nicht immer noch will?“, entgegnete sie neckend.

„Vieles sagt mir das.“

Mimi wusste, dass er auf den Kuss von vorhin anspielte. Dieser Kuss, der sie beide überfallen hatte und alte Gefühle wieder aufflammen ließ.

„Wie geht es Izzy?“, fragte sie schnell, um vom Thema abzulenken. Sie war noch nicht bereit, jetzt darüber zu reden.

„Ehm… wir reden zwar momentan nicht sehr viel miteinander, aber ich denke, es geht ihm ganz gut. Sein neues Projekt macht ihm sicher Spaß.“

Mimi verkniff sich die Frage, warum sie nicht viel miteinander redeten. Sie konnte sich denken, dass Tai vielleicht immer noch nachtragend war, wegen dem was passiert war. Verübeln konnte sie es ihm nicht. Sie kannte diese Gefühle.

„Welches Projekt?“

„Er arbeitet hier für irgend so eine Firma, die irgendwas entwickelt und für die Izzy irgendein neues Projekt leiten soll“, erklärte Tai beiläufig.

Mimi schmunzelte. „Wow. Ihr redet echt nicht viel. Sag mal, wie bist du eigentlich hier reingekommen?“

„Alison“, grinste Tai.

Mimi zischte. „Ach, das versteht sie also unter einen Notfall.“

„Sie dachte, du solltest nicht alleine sein.“

Ach, Alison. Wie recht sie doch hatte.

„Wo sind eigentlich deine Eltern?“, fragte Tai plötzlich und sah sich neugierig um. Es deutete einfach nichts darauf hin, dass hier mehrere Personen unter einem Dach lebten, trotz der Größe des Apartments.

„Sie sind schon seit ein paar Monaten auf Weltreise. Mein Vater brauchte wohl mal eine Auszeit vom Business“, sagte Mimi seufzend. Es war irgendwie komisch, dass sie schon so lang nicht mehr da waren. Dabei hatte sie es die ersten Monate nach ihrer Rückkehr so sehr genossen, sie um sich zu haben.

„Das heißt, du wohnst hier ganz allein?“, hakte Tai interessiert nach.

„Ja, so ziemlich. Manchmal übernachtet Alison hier, aber sonst…“ Sie versuchte, so zu klingen, als würde ihr dieser Umstand nichts ausmachen. Doch in Wahrheit schmerzte es, so oft allein sein zu müssen. Es war nicht dasselbe wie in Japan. In Japan hatte sie einfach alles. Hier hatte sie nichts.

„Und was ist mit deinem Freund?“, fragte Tai, was Mimi aufsehen ließ. Warum fragte er ausgerechnet jetzt nach ihm?

„Kyle? Was soll mit ihm sein?“

„Na ja“, meinte Tai unsicher. „Ich dachte… Ihr seid zusammen. Warum wohnt er nicht hier? Oder du bei ihm?“

Mimi lachte kurz auf. „Nun ja, ich denke nicht, dass das was für uns wäre. So… zusammenleben meine ich. Wie ein richtiges Paar.“

Tai runzelte die Stirn und sah Mimi skeptisch an. „Seid ihr kein richtiges Paar?“

Eine Frage, die sie sich selbst oft gestellt hatte. Was sollte sie darauf antworten? „Du kennst ihn nicht. Er ist eben… speziell. Außerdem braucht es dich nicht zu interessieren!“, entgegnete sie forsch. Diese Sachen gingen ihn schlichtweg nichts an und sie musste ganz dringend klare Verhältnisse schaffen. Auch, wenn sie vorhin diese alten Gefühle zugelassen hatte, musste sie sich jetzt wieder besinnen und auf den Boden der Tatsachen ankommen, wenn sie nicht noch mehr riskieren wollte.

„Wenn ihr kein richtiges Paar seid, warum erhebt er dann Besitzansprüche auf dich?“, fragte Tai und sah ihr dabei direkt in die Augen, was Mimi irgendwie verunsicherte. Was meinte er damit?

„Ich habe nie gesagt, dass wir kein Paar sind“, antwortete sie lediglich und hoffte inständig, dass diese Diskussion damit beendet wäre.

„Und wo ist er dann jetzt?“

Mimi zuckte zurück. Was sollte das? Warum trieb er sie so in die Enge?

„Was willst du eigentlich von mir, Tai?“, entgegnete Mimi trotzig und verschränkte die Arme vor der Brust. „Bist du nur hierhergekommen, um mich über meine Beziehung auszufragen?“

„Was?“, fragte Tai überrascht. „Nein, ich bin wegen dir hier!“

Mimi wich seinem Blick aus, da sie keine Ahnung hatte, was sie davon halten sollte. Tai seufzte schwermütig. „Vielleicht ist es doch besser, wenn ich wieder gehe.“ Er nahm Mimis Fuß von seinem Schoß und stand auf. „Tut mir leid. Ich wollte dich nicht sauer machen.“

„Warte“, rief Mimi und sprang auf, ehe sie verstand, was sie da eigentlich tat. Sollte sie ihn gehen lassen? Sollte sie ihn bitten zu bleiben? Sollte sie auf ihren Kopf hören? Oder auf ihr Herz? Was sollte sie tun?

„I-Ich bin nicht sauer. Kannst du…“, stammelte sie nervös. „Kannst du vielleicht… hierbleiben? Geht das?“

Tai sah sie unvermittelt an und in diesem Moment wusste sie, dass sie es nicht geschafft hatte. Sie hatte es nicht geschafft auf die Stimme der Vernunft zu hören, die ihr eindeutig sagte, dass es besser gewesen wäre, ihn gehen zu lassen. Die Nacht alleine zu verbringen, aber… „Ich will nicht allein sein.“

Alte Liebe rostet nicht

Tai ging einige Schritte auf sie zu, blieb vor ihr stehen und sah ihr in die Augen. „Natürlich kann ich bleiben“, lächelte er. Ihr Herz schlug höher. Sie wusste, sie hatte dieses Lächeln vermisst. Sie hatte sich nach diesem Lächeln gesehnt. Und doch wusste sie auch, dass dieses Lächeln ihr endgültiger Untergang sein konnte…

Zaghaft lächelte sie ihn an. Ob es ihm genauso ging?

„Zeigst du mir jetzt dein Zimmer?“, fragte Tai keck und Mimi grinste. Er hatte sich nicht verändert. Sie ging mit ihm nach oben. „In dem oberen Teil des Apartments befinden sich die Schlafräume.“ Tai sah sich gespannt um. „Ich kann verstehen, dass du dich hier einsam fühlst. Es ist viel zu groß für dich allein.“ Mimi zuckte mit den Schultern. Dabei hatte er mehr als recht. Es war einsam. Verdammt einsam.

Die erste Tür, die sich rechts befand, stand offen. Tai wollte sie durchqueren, doch Mimi stellte sich ihm in den Weg. „Das nicht.“

„Oh, ich dachte… die Tür stand offen“, sagte er und ging einen Schritt zurück.

„Nein“, sagte Mimi leise und schloss die Tür hinter sich. „Mein Zimmer ist da hinten, am Ende des Flurs.“

„Achso, okay“, meinte Tai beiläufig und ging weiter. Mimi öffnete die Tür für sie und die beiden traten ein. Sie knipste eine Nachttischlampe an.

Tai sah sich um. „Es sieht so anders aus, als dein Zimmer in Japan“, stellte er fest. Mimi lächelte und schlug die Bettdecke zurück, die fein säuberlich gefaltet war.

„Es sieht so…“

„Erwachsen aus?“, beendete sie seinen Satz und lächelte ihn traurig an. Auch damit hatte er recht. Tai nickte.

Mimi warf einige Kissen und eine Decke auf den Fußboden. Erst jetzt fiel ihr auf, dass das Bett eigentlich groß genug für beide war. Schließlich schlief sie mit Alison auch immer in einem Bett, wenn sie hier übernachtete. Und früher hatte sie auch mit Tai in einem Bett geschlafen.

Sie seufzte, bei dem Gedanken daran, wie sie früher einfach am liebsten Tagelang im Bett liegen geblieben wären. Ein wohliges Gefühl machte sich in ihrer Magengegend breit.

„Hast du was?“, fragte Tai und riss sie somit aus ihren Gedanken. Niemals durfte sie diese Gedanken wieder zulassen. Sie musste einfach an etwas anderes denken.

Sie schüttelte den Kopf und versuchte sich zu beruhigen. „Nein, alles gut. Es macht dir doch nichts aus, auf dem Fußboden zu schlafen oder?“

Tai grinste, schmiss sich in die Kissen und verschränkte die Arme hinter den Kopf. „Nein, ich denke nicht.“

„Gut“, lächelte Mimi und strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr. „Ich werd mich kurz umziehen. Vielleicht schreibst du Izzy eine Nachricht, dass du heute nicht nach Hause kommst. Sonst macht er sich noch Sorgen.“

„Er ist doch nicht meine Mutter.“

Mimi warf Tai einen vielsagenden Blick zu, woraufhin dieser stöhnte und das Handy aus seiner Hosentasche rausholte.
 

Übernachte heute woanders. Bis morgen.

„Absenden. Zufrieden?“

Die Brünette nickte und lächelte zustimmend, ehe sie ins Bad verschwand. Sie schloss die Tür hinter sich, lehnte sich dagegen und atmete tief durch. Unfassbar, wie durcheinander sie innerlich war. Und dass nur durch seine bloße Anwesenheit.

„Gott, ich muss mich zusammenreißen!“, ermahnte sie sich selbst, wusste jedoch gleichzeitig, dass das eine große Herausforderung war. Aber egal. Gleich würden sie beide schlafen und im Schlaf kann man schließlich nicht denken. Nur träumen.

Vor diesen Träumen fürchtete sie sich jetzt schon…

Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn sie Alison gebeten hätte, bei ihr zu übernachten. Doch sie konnte sie nicht ständig rufen, wenn sie sich mies fühlte. Sie war ihre Freundin, nicht ihre Babysitterin. Wahrscheinlich war es ihr sogar schon lästig, ständig bei ihr zu übernachten, wenn Kyle keine Zeit hatte.

Mimi putzte sich die Zähne und wusch sich das Gesicht mit kaltem Wasser.

Und jetzt?

Sie betrachtete sich im Spiegel. Früher hatte sie sich keine Gedanken darübergemacht, wie Tai sie sah. Sie zog sich bis auf die Unterwäsche aus und kämmte sich die Haare. Es folgte ein Blick der Skepsis.

„Nein, das geht so nicht“, fluchte sie und band sich die Haare zu einem Zopf. Sie sah sich im Bad um. Keine Nachtwäsche hier.

„Mist!“

Eilig sammelte sie das Shirt auf, welches sie eben ausgezogen hatte, und zog es sich jetzt wieder über. Dann ging sie zur Tür, legte die Hand auf den Türknauf und drehte wieder um. Stand wieder vor dem Spiegel und öffnete ihre Haare. Doch viel besser so. Ehe sie es sich wieder anders überlegen konnte, löschte sie kurzerhand das Licht und ging wieder in ihr Zimmer. Sie huschte an Tai vorbei, dessen Blicke ihr still folgten, schlüpfte ins Bett und knipste die Nachttischlampe aus.

Sie hörte, wie Tai schmunzelte. Zum Glück konnte er nicht sehen, wie rot sie gerade geworden war. Wie kindisch. Es war doch nicht das erste Mal, dass sie nebeneinander schliefen. Oder dass er sie so gesehen hatte. Beschämt schlug sie sich die Hand vors Gesicht, woraufhin Tai anfing zu lachen.

„Was ist?“, fragte sie wütend und drehte sich zu ihm rum. Sie stützte sich auf den Ellenbogen und sah ihn an. Sein Grinsen war selbst in der Dunkelheit unverkennbar.

„Nichts“, lachte er. „Warum warst du so lang im Bad? Was hast du da gemacht?“

Mimi zog beleidigt die Unterlippe nach oben. „Ich war überhaupt nicht lang im Bad. Und außerdem fragt man ein Mädchen nicht danach, was sie im Bad gemacht hat.“

Tai richtete sich auf, so dass sein Gesicht ihrem ziemlich nah war.

„Ach, nicht?“

Mimi schnaubte und ließ sich auf den Rücken fallen. „Du hast keine Manieren. Wie immer.“

Der Student lachte und legte sich ebenfalls wieder hin.

Nach einer Weile der Stille drehte Mimi sich erneut auf die Seite. Seine Anwesenheit verunsicherte sie so sehr, dass sie kein Auge zubekam.

„Ich kann nicht schlafen“, stöhnte sie und ließ einen Arm am Bett runter hängen.

„Mache ich dich wieder nervös?“

„Unglaublich, wie selbstverliebt du bist.“

„Ich geb mein Bestes.“

Mimi stöhnte innerlich auf. Das half ihr auch nicht beim Einschlafen.

„Warum kannst du denn nicht schlafen?“, fragte Tai plötzlich leise und begann vorsichtig mit den Fingerspitzen ihren Arm zu streicheln. Kurz zuckte sie zurück, doch dann ließ sie es zu. So eine winzig kleine Geste und doch war es genau das, was ihr fehlte. Zuwendung.

„Ich weiß nicht“, log sie. Tai fuhr mit seinen Fingern langsam ihren Arm nach oben und wieder nach unten. Ein angenehmer Schauer legte sich auf ihre Haut.

„Was machst du denn sonst, wenn du nicht schlafen kannst?“

Seine Stimme war so unglaublich beruhigend. Es tat wirklich gut ihn hier zu haben. Auch, wenn sie sich das nicht eingestehen wollte.

„Nichts“, sagte sie leise. „Ich bin einfach wach. Einfach nur wach.“

Seine Fingerspitzen berührten so sanft ihre Haut, dass sie anfing zu kribbeln.

„Manchmal…“, kicherte Mimi plötzlich. „…kuscheln wir auch. Dann fühl ich mich besser.“

Als keine Antwort kam, fiel Mimi auf, wie taktlos das eben von ihr war. „Ich meine Alison“, fügte sie daher schnell noch hintenan. Tai lachte auf. „Du kuschelst mit Alison?“

„Ja, was ist daran so verwerflich?“, fragte Mimi beleidigt.

„Was ist mit Kyle?“

„Nein“, antwortete sie bedrückt. „So was ist nichts für uns.“

„Für euch oder für ihn?“

Mimi verzog das Gesicht. „Für uns!“, betonte sie noch einmal bissig, doch ehe sie sich versah, packte Tai sie am Arm und zog sie vom Bett. Ihr entfuhr ein kurzer Schrei, als sie bäuchlings direkt auf ihm landete. „Hey, was soll das?“, schimpfte sie und sah ihn vorwurfsvoll an. Sein Grinsen war nicht zu übersehen.

„Siehst du. Du kuschelst doch gern“, entgegnete er süffisant. Sie sah ihn irritiert an, während ihre Gesichter sich nun so nah waren, dass sie seinen Atem hören konnte. Dass sie fühlen konnte, wie er langsam Luft holte. So nah, dass ihr Herz anfing zu rasen. Sie musste an den Kuss denken, der so bittersüß geschmeckt hatte, dass es ihr völlig die Sinne vernebelte. Allein bei dem Gedanken daran, ihn noch einmal zu küssen, beschleunigte sich ihre Atmung. Sie wurde nervös. Denn sie wusste ganz genau, dass es niemals gut enden konnte, wenn sie sich so nah waren, wie eben.

Sie spürte seine Hände an ihrem Rücken. Wie er sie festhielt. Wie seine Fingerspitzen langsam nach oben wanderten, bis in ihren Nacken. Allein diese Berührung verursachte ein so starkes Kribbeln in ihrer Magengegend, dass sie Mühe hatte sich zusammenzureißen. Wie sollte das je gut ausgehen?

Sie fuhr mit der Hand vorsichtig über seine Wange, sah durch die Dunkelheit in seine viel zu braunen Augen. Ihr Puls beschleunigte sich und sie atmete unruhig ein und aus. Sie schaffte es nicht. Sie schaffte es einfach nicht, ihre Gefühle unter Kontrolle zu halten. Sein Griff verfestigte sich und drückte sie so noch enger an sich.

Das genügte. Es war einfach zu viel. Nie im Leben hätte sie dieser Versuchung noch länger standhalten können. So stark war sie nicht. Dafür war das Verlangen umso stärker.

Ohne darüber nachzudenken, welche Konsequenzen es haben könnte, beugte sie sich zu ihm hinunter und küsste ihn – das zweite Mal an diesem Abend. Innerlich verfluchte sie sich dafür, dass sie so schwach war. Doch dieser Kuss fühlte sich so unglaublich gut an, dass es ihr sämtliche Sinne raubte. Er nahm ihr förmlich den Verstand. So, dass sie nur noch auf ihr Herz hörte. Und ihr Herz wusste, was es wollte.

Er erwiderte den Kuss – das zweite Mal an diesem Abend. Dieser Kuss machte sie wahnsinnig. ER machte sie wahnsinnig! Ihre Lippen ließen nicht voneinander ab, nicht einmal um Luft zu holen. Dieser Kuss schmeckte nach Sehnsucht und unerfülltem Verlangen, welches inzwischen so groß war, dass Mimi die schwache Stimme der Vernunft gänzlich beiseite warf.

Sie ließ kurz von ihm ab, richtete sich auf und zog sich das Shirt über den Kopf, nur um sich gleich wieder zu ihm hinab zu beugen und ihn erneut zu küssen. Seine Hände fuhren über ihren Rücken, was sie augenblicklich erschaudern ließ. Kaum auszudrücken, wie ihr dieses Gefühl gefehlt hatte.

Plötzlich packte Tai sie mit beiden Händen an der Hüfte, hob sie leicht an und drehte sie mit einem Ruck um. Er drückte sie in die Kissen, küsste sie, verschränkte seine Finger mit ihren. Plötzlich war es wie früher. Als wäre nie etwas zwischen ihnen geschehen. Als wären sie nie getrennt gewesen. Sie drückte sich ihm lustvoll entgegen, während sie ihre Finger von ihm löste und mit den Händen seinen Rücken hinab strich. Sie hatte ihn so schmerzlich vermisst und es gab nichts, was sie in diesem Moment mehr wollte, als ihn zu spüren. Sie fuhr unter sein Shirt, wollte es ihm ausziehen. Abrupt löste sich Tai von ihr und sah sie an.

„Was ist?“, keuchte sie und verstand nicht, warum er aufhörte. Sie wollte ihn wieder küssen, doch er richtete sich leicht auf und schuf somit Abstand zwischen ihnen. Er stützte sich auf seine Hände ab, während Mimi einfach nur dalag und ihn irritiert ansah. Was hatte er denn so plötzlich? Es gefiel ihr nicht, wie er sie ansah. Da war er wieder, dieser Blick. Warum sah er sie so an? Wollte er es denn nicht auch? Sich wieder mit ihr verbunden fühlen?

„Mimi, i-ich…“, stammelte er unsicher und wich ihrem Blick aus.

„Ist schon okay, Tai“, sagte sie einfühlsam, immer noch überwältigt von ihren eigenen Gefühlen und legte eine Hand in seinen Nacken. Sie wollte ihn wieder zu sich ziehen, doch er rührte sich keinen Zentimeter.

„Was hast du denn?“, fragte sie beinahe schon beleidigt. Wies er sie hier etwa gerade zurück? Nachdem er sie ebenso leidenschaftlich geküsst hatte wie sie ihn?

Entschlossen sah er ihr in die Augen. „Ich bin nicht hierhergekommen, um mit dir zu schlafen.“

Völlig perplex sah sie ihn an. Das hatte sie nicht erwartet. Was taten sie hier eigentlich? Wenn es nicht darauf hinaus lief…?

„Warum bist du dann hier?“, fragte sie ihn schroff. Sie fühlte sich gekränkt. Zurückgewiesen. Ihr Hochgefühl, welches sie eben noch hatte, wich dem tiefen Loch, dass sie schon kannte. Für einen kurzen Moment hatte er es geschafft, dieses Loch zu füllen. Und sie hatte es zugelassen, dass er das tat.

Wie dumm von ihr.

Stirnrunzelnd sah er sie an. „Tut mir leid. Ich wusste nicht, dass du…“

„Was?“, sagte sie zornig und kroch unter ihm hindurch, um sich eilig ihr Shirt überzustreifen. „Dass ich es darauf anlege mit dir zu schlafen? Tue ich nicht, mach dir da mal keine Sorgen.“ Sie sprang zurück in ihr Bett, legte sich hin und wandte ihm den Rücken zu. „Wenn sich hier jemand entschuldigen muss, dann bin ich es. Tut mir leid, dass ich zu weit gegangen bin, ich dachte nur…“ Ihre Stimme brach und eine Träne bahnte sich ihren Weg über ihre Wange. Sie wischte sie schnell weg. Er sollte nicht bemerken, wie verletzt sie war. Dass er sie gerade zurückgewiesen hatte, war so ziemlich das Schlimmste, was sie in den letzten Wochen erfahren hatte. Kyle hätte sie niemals zurückgewiesen. Niemals. Aber genau da lag der Unterschied zwischen den beiden. Kyle war niemand, der groß nachdachte, bevor er etwas tat. Niemand, der sich um Gefühle scherte. Es wäre ihm egal gewesen, wie Mimi sich danach gefühlt hätte. Tai war viel besonnener, auch als sie. Er besaß die Standhaftigkeit, die sie nie besaß. Viel zu oft ließ sie sich von ihren Gefühlen leiten, entschied meistens aus einer Intuition heraus, so wie eben. Es fiel ihr schwer, aber sie musste sich eingestehen, dass das eben ein Fehler war so weit zu gehen, sich wieder einmal hinreißen zu lassen, zu etwas, was ihr am Ende doch nur leidgetan hätte. Ob Tai das auch wusste?

Plötzlich spürte sie, wie er sich hinter sie legte und seinen Arm um sie legte.

„Es ist okay, Mimi.“

Sie zuckte zurück. War es das?

Sie schüttelte den Kopf. „Tut mir leid, dass ich so zu dir bin.“

„Entschuldige dich nie wieder dafür, wie du bist!“, flüsterte er und umarmte sie noch fester. Sie drückte ihren Kopf ins Kissen und fing an zu weinen. Wie machte er das nur? Wie konnte er so großherzig sein, obwohl sie ihn seit seiner Ankunft nur von oben herab behandelt hatte? Es war fast wie früher. Er wich nicht von ihrer Seite, auch nicht, wenn sie es wollte. Und diesmal ließ sie es zu.
 

***
 

Unfassbar, dass sie nicht zu ihm gekommen war. Sie war einfach nach Hause gegangen, ohne ihm ein Wort davon zu sagen. Kyle war davon ausgegangen, dass Mimi bei ihm zu Hause auf ihn warten würde. Doch als er später nach der Party dort ankam, war keine Spur von ihr. Ein paar Mal schon hatte er versucht sie zu erreichen, doch sie hob nicht ab. Reagierte auch auf keine SMS. Ihn beschlich das ungute Gefühl, dass er diesmal zu weit gegangen war. Er hatte keine Ahnung, was sich gestern zwischen Mimi und diesem Tai abgespielt hatte, doch so was hatte sie noch nie getan. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann Mimi das letzte Mal eine Nacht alleine verbracht hatte. Und er wusste definitiv, dass Alison allein nach Hause gegangen war. Kyle hatte zwar Tai eine mehr als deutliche Ansage gemacht, doch innerlich hatte er die leise Ahnung, dass das nicht genügen würde, um ihn loszuwerden.

Als er bei Mimi ankam, überlegte er kurz, wie er das wieder geradebiegen konnte. Diesmal musste er wohl wirklich zu Kreuze kriechen. Stinksauer war sie gestern Abend abgedampft und ihm war es egal gewesen. Doch, dass sie sich nicht ein Mal bei ihm gemeldet hatte in der Zwischenzeit war kein gutes Zeichen.

Er seufzte und holte den Schlüssel aus der Tasche, den Mimi ihm gegeben hatte. Normalerweise war er eher selten hier und brauchte ihn nicht. Aber heute musste er ihn benutzen, um sich wieder mit ihr zu versöhnen. Böses Blut mit ihr war wirklich das Letzte, was er gebrauchen konnte.

Er schloss auf, ging zum Fahrstuhl und drückte den obersten Knopf. Oben angekommen war alles wie leergefegt. Keine Spur von seiner Freundin, aber wahrscheinlich schlief sie ohnehin noch.

Leise ging er die Treppen nach oben. Sicher würde sie sich freuen, von ihm geweckt zu werden. Romantische Überraschungen lagen ihm ja sonst nicht. Er ging bis zum Ende des Flurs und öffnete vorsichtig ihre Zimmertür.

„Was…?“

Kyle konnte nicht glauben, was er da sah. Was machte dieser Typ hier? Und noch viel wichtiger: was machte Mimi da mit ihm?

Er hatte es geahnt. Nein, er hatte es gewusst! Es hatte sie direkt in seine Arme getrieben. Nur wegen eines doofen Streits.

Er ballte die Hände zu Fäusten. Am liebsten hätte er diesen Kerl aus ihrem Bett gezogen und ihm eine verpasst. Wie sie da lagen… eng umschlungen und schliefen – nichtsahnend.

Plötzlich kroch ein Gefühl in ihm hoch, welches er so noch nie zuvor gespürt hatte. Immer schon war er sich seiner Sache zu sicher gewesen. Zu sicher war er sich, dass Mimi Tai hinter sich gelassen hatte und nur noch ihn wollte. Doch dieses Gefühl, welches er jetzt auf einmal empfand, machte ihn wütend. Und ein Gedanke verunsicherte ihn zunehmend. Konnte es sein, dass Mimi Tai immer noch liebte?

Zweite Chancen und Eifersucht

Völlig erschlagen öffnete sie ihre Augen. Zu lange hatte es gedauert, bis ihre Tränen aufhörten zu fließen. Tai hatte sie die ganze Zeit über in seinen Armen gehalten. Er wich nicht einen Zentimeter von ihrer Seite und sie spürte, dass er es auch jetzt immer noch nicht tat. Eng umschlungen lagen sie auf ihrem Bett. Die Sonne schien durchs Fenster und ein Blick auf dem Wecker verriet ihr, dass sie viel zu lang geschlafen hatte. Den ersten Kurs in der Uni hatte sie bereits verpasst, deswegen lohnte es sich nicht aufzuspringen und zu hetzen. Tais Arm umschloss sie fest. Sie betrachtete ihn, fing an mit dem Finger kleine Kreise auf seiner Haut zu zeichnen, während sie versuchte zu verstehen, was gestern Abend alles geschehen war. Ob es nun klug war oder nicht, Tai bei sich übernachten zu lassen… ihn zu küssen. Es war geschehen und sie konnte es nicht rückgängig machen. Und da nun die Schatten der Nacht vorübergezogen waren, meldete sich ihr schlechtes Gewissen zu Wort. Was um alles in der Welt hatte sie sich dabei gedacht? Tai lag hier, mit ihr, in ihrem Zimmer – in ihrem Bett! Gestern wäre sie beinahe drauf und dran gewesen mit ihm zu schlafen. Einfach, weil sie ihre Gefühle nicht im Griff hatte. Das war das Dümmste, was sie die letzten Monate übergetan hatte. Auf keinen Fall wollte sie, dass Tai sich jetzt Hoffnungen machte. Natürlich verfluchte sie ihn immer noch dafür, was alles geschehen war, aber sie wollte ihn nicht leiden lassen. So war sie nicht. Sie musste einfach ehrlich zu ihm sein. Und ihm sagen, dass das was gestern zwischen ihnen passiert war, ein fataler Fehler war, der sich nie mehr wiederholen durfte.

Kyle.

Was würde er dazu sagen, wenn er es wüsste?

Wahrscheinlich war es ihm sogar egal. So, wie er sich in letzte Zeit ihr gegenüber benahm. Es gab eine Phase in ihrem Leben, da hatte sie gedacht, sie stünden sich näher. Nach allem, was sie zusammen durchgemacht hatten. Doch gestern Abend hatte er sie gehen lassen, ohne mit der Wimper zu zucken.

Wahrscheinlich sollte sie nicht nur die Beziehung zu Tai, sondern auch die zu Kyle überdenken. Tai hatte recht. Er hatte es sofort durchschaut. Sie und Kyle verhielten sich nicht wie ein richtiges Paar – kein Stück! Es war nicht ihr erstes Mal, welches sie mit ihm erlebt hatte, was sie miteinander verband. Es war viel mehr. Gemeinsam waren sie durch eine schwere Zeit gegangen und Mimi hatte sich dabei eingeredet, dass sie das auf irgendeine Art und Weise zusammengeschweißt hätte. Dass es Liebe war, was sie für ihn empfand. Tais plötzliches Auftauchen brachte ihre ganze Welt ins Schwanken.

„Du bist ja schon wach.“

Mimi zuckte zurück. Sie war so in Gedanken versunken, dass sie gar nicht bemerkt hatte, wie sie die ganze Zeit seinen Arm gestreichelt hatte.

„Oh… ähm… tut mir leid, ich wollte dich nicht wecken“, sagte sie eilig, kroch unter seinem Arm hinweg und schlüpfte aus dem Bett.

Tai gähnte und streckte sich genüsslich. „Ist schon gut. Ich muss sowieso zur Uni.“

Mimi stand vor ihrem Kleiderschrank und zog wahllos ein paar Kleidungsstücke heraus, nur damit sie ihn nicht ansehen musste. „Also… hast du vor hier zu bleiben?“, fragte sie vorsichtig nach.

Tai stand auf, ging zu ihr hinüber und stellte sich dicht hinter sie. Mimi sog scharf die Luft ein. Immer wieder diese unaufhaltsame Nähe…

„Was denkst du denn? Ich habe doch schon gesagt, dass ich nicht wieder gehen werde. Mehr als ein Mal“, sagte er und strich mit der Hand über ihren Arm.

„Hmm, ja das hast du.“

Wie sollte sie es ihm nur sagen?

Er musste doch wissen, dass sie nicht einfach so wieder zusammen sein konnten.

Sie wich ihm aus und ging zu ihrem Nachttisch, um auf ihr Handy zu sehen. Sie erschrak. So oft hatte er versucht, sie zu erreichen? Neben den Anrufen, waren auch unzählige SMS eingetroffen. Sie öffnete die Letzte.

„Bin auf dem Weg zu dir. Ich hoffe, du bist schon wach, Prinzessin.“

Mimi erschrak und hielt sich die Hand vor den Mund.

„Was ist denn?“, wollte Tai wissen.

„Du musst hier weg!“

Erstaunt sah er sie an. „Was?“

„Kyle ist jeden Moment hier.“

Tai verdrehte die Augen, verließ jedoch wortlos das Zimmer. Er ging nach unten zum Fahrstuhl und betätigte den Knopf. Mimi lief ihm hinterher und hielt ihm am Arm fest. „Tut mir leid, dass ich dich rausschmeißen muss.“

„Schon gut“, lächelte er schwermütig, grinste dann jedoch zuversichtlich. Er wandte sich ihr zu und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. „Du weißt, ich bin immer für dich da.“

Mimi nickte zaghaft, als er in den Fahrstuhl einstieg.

„Warte mal, Tai.“ Der Braunhaarige hob den Kopf und sah sie überrascht an.

„Hast du heute Abend schon was vor?“

Er grinste. „Nein. Warum?“

„Gut. Kannst du gegen 20.00 Uhr vorbeikommen?“

Sie musste unbedingt mit ihm darüber reden. Gleich würde Kyle in der Tür stehen, also hatte sie keine Zeit mehr, ihm alles zu sagen, was ihr auf der Seele brannte.

Tai nickte und zwinkerte ihr zu, ehe die Türen sich schlossen. Mimis Knie worden weich. Sie musste Tai ein für alle Mal klarmachen, dass das eine absolute Ausnahme war und dies nie wieder geschehen durfte. Wenn sie die Dämonen der Vergangenheit nicht wieder einholen sollten, musste sie sich sobald wie möglich wieder von Tai fernhalten. Obwohl sie wusste, dass das schon längst zu spät war. Sie waren hier. Sie waren überall. Sie hatte sie zwar weggesperrt, doch nachdem sie sich ihren alten Gefühlen hingegeben hatte, waren sie präsenter als je zuvor. Sie ging nach oben zu den Schlafräumen und stand vor der ersten Tür. Die Tür, die sie gestern Abend verschlossen hatte. Kurz überlegte sie reinzugehen. Sehr lang war sie schon nicht mehr drin gewesen und das war gut so. Allerdings wurde der Drang danach wieder größer, seit Tai aufgetaucht war. Sie hatte die Hand bereits auf die Klinke gelegt, als sie hörte, wie die Fahrstuhltür sich öffnete.

Schnell rannte sie nach unten.

„Kyle.“

„Hallo“, brachte er nur trocken über die Lippen. Sie bemerkte, wie er ihrem Blick auswich. Sehr merkwürdig. Das tat er sonst nie.

„Ich hab dir was mitgebracht“, sagte er fast schon kleinlaut und holte hinter seinem Rücken einen Blumenstrauß hervor.

Mimi stand total perplex da und staunte. Noch nie hatte sie Blumen von ihm bekommen. Skeptisch sah sie ihn an und verschränkte die Arme vor der Brust. „Hast du etwa ein schlechtes Gewissen?“

„So könnte man es ausdrücken“, entgegnete Kyle und ging auf sie zu.

„Wieso denn?“, fragte Mimi sarkastisch. „Du hast nur getan, was du immer getan hast.“

Oh nein. Auf keinen Fall würde sie ihm diesmal so schnell vergeben! Dafür konnte sie sich noch gut genug daran erinnern, wie sie sich gestern Abend gefühlt hatte, als er sie hatte gehen lassen.

„Ich war ein Idiot!“, sagte er plötzlich, woraufhin Mimi beinahe der Mund aufklappte. Sollte das gerade so etwas wie eine ernsthafte Entschuldigung sein? Aus seinem Munde?

„Was hat dich denn geritten?“, fragte sie ungläubig. „Kyle Kendler sagt von sich selbst, dass er ein Idiot ist? Tut mir leid, aber das glaub ich einfach nicht.“

Sie stand immer noch mit verschränkten Armen vor ihm und weigerte sich weder seine Entschuldigung, noch seine Blumen anzunehmen, was ihn so langsam wütend machte. Ungeduldig sah er sie an. „Oh man, Mimi. Was willst du denn hören? Ich entschuldige mich gerade bei dir. Reicht das denn nicht?“

Ernsthaft? Wieso dachte er immer, dass sie so leicht zu haben wäre? Denn das war ein absoluter Trugschluss und so langsam musste er das erkennen. Auf keinen Fall war sie ein leichtes Mädchen. Zu oft hatte sie nichts gesagt und ihn machen lassen, was er wollte. Doch diesmal nicht.

„Nein, das reicht nicht.“ Es fiel ihr zwar schwer, doch sie wandte sich ab und ging die Treppen nach oben.

„Tut mir ja leid, dass ich gestern Abend nicht bei dir war“, rief er ihr wütend hinterher. „Aber dein Bett war ja schließlich schon belegt.“

Mimi blieb abrupt stehen und drehte sich erschrocken zu ihm um.

„Schau mich verdammt noch mal nicht so an!“, schrie er ihr plötzlich entgegen und schmiss die Blumen auf den Fußboden. Mimi schrak zurück. Woher wusste er das? Das konnte einfach nicht sein!

„Ich weiß genau, dass er hier war und bei dir übernachtet hat.“

Mimis Augen weiteten sich. Nicht nur, dass Kyle wusste, dass sie die Nacht mit Tai verbracht hatte… Zudem hatte sie ihn noch nie so aufgewühlt gesehen. Er war völlig aus der Fassung, was sie absolut nicht verstand. Kyle war nie ein Freund, der eifersüchtig auf andere Männer war. War Tai in seinen Augen etwa eine wirkliche Bedrohung für ihn? Wie konnte das sein? Er wusste doch nicht, dass es Tai war. Für ihn war Tai doch eigentlich nur irgendein Typ.

Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Dass er sie so offensichtlich damit konfrontierte, damit hatte sie nicht gerechnet.

„Ich hab euch gesehen, Mimi. Wie er in deinem Bett lag. Und dich umarmt hat.“

Beschämt sah sie zu Boden. Warum kam sie sich plötzlich wie eine Betrügerin vor?

Ja… weil es so war. Egal, welche Form von Paar sie und Kyle abgaben – es änderte nichts an der Tatsache, dass sie gestern einen anderen geküsst hatte. Zwei Mal.

Kyle ging zur Treppe, setzte sich hin und stützte sich auf seine Knie ab.

„Wenn du es mir hättest heimzahlen wollen, hättest du nicht gleich mit dem nächstbesten Typen in die Kiste springen müssen“, sagte er nun ruhiger.

„Was?“

Mimi konnte nicht fassen, was sich hier gerade abspielte. So hatte sie ihn noch nie erlebt. Sie ging zu ihm.

„Du denkst, ich hätte mit Ta… äh Matt geschlafen?“, fragte sie entgeistert und setzte sich neben ihn.

Er zog eine Augenbraue nach oben und sah sie wissend an. „Sag bloß, ihr habt nur gekuschelt.“

Mimi verschränkte die Arme vor der Brust. „Sag mal, was denkst du eigentlich von mir?“

Na ja, so ganz unrecht hatte er ja nicht. Beinahe wäre es wirklich dazu gekommen, hätte Tai nicht die Notbremse gezogen. Dafür müsste sie ihm eigentlich danken. Denn hätte er sie nicht zurückgewiesen, würde sie jetzt ein noch schlechteres Gewissen haben als sie es eh schon hatte.

Kyle sah sie ungläubig an.

„Und ja, wir haben nur gekuschelt. Und das auch nur, weil ich nicht allein sein wollte. Weil du nicht da warst. Ergo bist du an allem schuld. Wärst du mit mir nach Hause gekommen, wäre das gar nicht erst passiert“, sagte sie giftig und wollte aufstehen, doch Kyle hielt sie am Handgelenk fest und zog sie zu sich auf seinen Schoß.

„Du hast recht. Es tut mir leid. Ich hätte mit dir mitgehen sollen“, sagte er ruhig und lächelte.

Mimi stutzte. Meinte er das wirklich ernst? Das sah ihm so gar nicht ähnlich. Vorsichtig legte sie eine Hand an seine Stirn. „Bist du krank?“

Kyle schlug ihre Hand zur Seite und sah sie eindringlich an. „Nimm mich doch bitte ein Mal ernst. Ich wollte mich vorhin wirklich bei dir entschuldigen.“

Mimi senkte den Blick. Dass er jetzt plötzlich so lieb und aufrichtig war, verwunderte und beschämte sie nur noch mehr. Dass sie gestern einfach so hinterrücks mit Tai zusammen war, das hatte er nicht verdient. Er wusste ja nicht mal, wer er war.

„Mir tut’s auch leid“, sagte sie deshalb und sah ihn aufrichtig an. Er grinste. „Ich hab eine Idee“, verkündete er. „Was hältst du davon, wenn wir die Uni heute schwänzen und uns stattdessen einen schönen Tag zusammen machen?“

Bitte was? Jetzt war sich Mimi sicher, dass sie träumen musste. „Äh… so was wie… wie ein Date?“, stammelte sie verwirrt und sah ihn perplex an. Er nickte.

„A-Aber wir hatten noch nie ein richtiges Date.“ Plötzlich kam sie sich total deplatziert vor. Das alles passte doch überhaupt nicht zu ihm. Warum tat er das also? Wollte er wirklich Buße tun oder nur sein Revier markieren, da er Tai als Konkurrenz betrachtete?

„Na dann wird es so langsam Zeit, oder?“, entgegnete er triumphierend. „Ich möchte wirklich wieder gut machen, dass ich dich in letzter Zeit so oft allein gelassen habe. Und ich möchte etwas mehr Zeit mit dir verbringen. Das meine ich ernst, Mimi.“

Mimis Herz schlug einen Augenblick höher. Er konnte ja schon immer sehr charmant sein, wenn er wollte, aber das…? Das war neu. Sie lächelte und nickte. „Also gut, ich ziehe mich nur noch um.“

Er nahm ihr Gesicht in seine Hände und drückte ihr einen Kuss auf die Lippen, ehe sie aufsprang und nach oben rannte.

„Ach ja, wo wollen wir eigentlich hin?“, rief sie ihm noch entgegen.

„Na ja“, meinte Kyle und überlegte. „Ich habe eine goldene Kreditkarte und du hast eine Schwäche für Klamotten.“

Mimi ging ein paar Schritte zurück, lehnte sich über die Brüstung und sah ihn ungläubig an. „Dein Ernst?“, fragte sie verdutzt.

Kyle grinste und nickte.

„Okay!“, strahlte die Brünette übers ganze Gesicht und verschwand in ihrem Zimmer. Unfassbar. Sie kam sich vor wie im falschen Film, aber… irgendwie gefiel ihr dieser Film.

Verdammt. Jetzt hatte er sie doch wieder rumgekriegt. Dabei wollte sie doch eigentlich sauer auf ihn sein. Aber wenn er es diesmal wirklich ernst meinte, wollte sie ihm die Chance geben, es zu beweisen. Ganz konnte sie ihn einfach noch nicht aufgeben.
 

***
 

Nicht zu fassen, was er gerade gesagt hatte. Was hatte er sich da nur eingebrockt? Shoppen? Mit Mimi? Irgendwie hatte dieses Gespräch eine deutlich andere Form angenommen, als er es geplant hatte. Eigentlich wollte er ihr nur die Blumen geben, sie um Verzeihung bitten und das wäre es dann gewesen. Sie hätte ihm verziehen und damit hätte sich die Sache erledigt. Um Tai hätte er sich später gekümmert. Aber das würde er ohnehin noch tun. Warum musste sie auch so verdammt stur sein? Es gab doch tatsächlich noch Momente, in denen sie ihn überraschte. Nie hätte er gedacht, dass sie sich noch mal auf Tai einlassen würde. Sie waren definitiv zu weit gegangen und es war wohl an der Zeit, dass er diesen Tai dies spüren ließ.

Aber als allererstes musste er sich um Mimi kümmern. Es fiel ihm schwer, sich das einzugestehen, aber er sah bereits seine Felle davonschwimmen. Tai war ihr bereits viel zu nah. Er beeinflusste sie. Erinnerte sie an die gemeinsame Zeit und an das, was sie beide verloren hatten. Niemals würde er es zulassen, dass er ihm Mimi wegnahm. Plötzlich schoss ihm wieder das Bild von heute Morgen in den Kopf. Wie er da lag, den Arm um sie gelegt hatte… dieses Bild machte ihn wahnsinnig. Definitiv ein Gefühl, welches er vorher so nicht kannte. Aber egal. Auf keinen Fall würde er es zulassen, dass Tai Mimi gegen ihn aufhetzte. Und wenn das bedeutete, dass er mit ihr shoppen gehen musste, um die Wogen zu glätten, dann tat er es eben. Ein wirklich kleines Übel, wenn er daran dachte, wie weit er bereit wäre noch zu gehen.
 

***
 

„Hey, wo warst du?“

Izzy saß auf dem Sofa und sah Fern, als Tai nach Hause kam.

„Hey, ich war…“, begrüßte Tai ihn ebenfalls und ging in die Küche, um sich ein kaltes Glas Milch einzuschenken. „Ich war bei Mimi.“

Izzy starrte ihn an. „Du warst was?“ Er knipste den Fernseher aus, während Tai nur mit den Schultern zuckte. „Was ist daran so verwunderlich?“

Der Rothaarige schüttelte den Kopf. „Äh… gar nichts. Absolut nichts. Ich dachte nur, na ja, dass es länger dauert.“

„Was?“, entgegnete Tai und zog skeptisch eine Augenbraue nach oben. „Bis ich sie rumkriege?“

„Was? Nein… NEIN! So meinte ich das doch gar nicht.“

„Schon klar“, grinste Tai und freute sich darüber, dass er ihn aufziehen konnte. Er war so glücklich darüber, dass er die Nacht mit ihr verbringen durfte und dass sie ihn für heute Abend wieder eingeladen hatte, das machte den Disput mit Izzy fast schon zweitranging.

„Es wundert mich nur. Wollte sie dich nicht loswerden?“, hakte Izzy nachdenklich nach und auch Tai musste sich eingestehen, dass das ein ganz schönes hin und her die letzten Tage war und er, was ihre Gefühlswelt betraf, so gar keinen Durchblick hatte.

„Na ja, wie auch immer“, meinte Izzy plötzlich und stand auf. „Ich gehe ein bisschen was einkaufen. Kommst du mit?“

„Nein, muss zur Uni. Was ist mit deinem Projekt? Hast du heute frei?“, antwortete Tai und stellte das Glas ab, um gleich noch schnell unter die Dusche zu springen.

„Sozusagen“, entgegnete Izzy und kratzte sich am Hinterkopf. „Der oberste Projektleiter hat eben angerufen und alles für heute abgesagt. Zu ärgerlich.“

„Oberster Projektleiter? Ich dachte, du leitest das Projekt?“

„Ach, ist kompliziert“, meinte Izzy und wank eilig ab.

„Na gut“, zuckte Tai mit den Schultern und ging nach oben. „Wenn du zehn Minuten wartest, können wir ein Stück zusammengehen.“

Izzy sah ihn verwundert an. „Okay… klar, gerne.“

Tai ging ins Badezimmer und drehte die Dusche auf. Es war so langsam an der Zeit sich nicht nur Mimi, sondern auch Izzy wieder ein wenig anzunähern. Jetzt, wo ihm Mimi vielleicht doch eine zweite Chance geben würde… hatte da nicht auch Izzy eine zweite Chance verdient?
 

„Meine Güte. Bilde ich mir das ein oder ist es hier schlimmer als in Tokyo?“

Tai und Izzy gingen durch die Straßen New Yorks, während Izzy zwei Einkaufstüten trug und Tai seine Tasche mit den Unterlagen für die Uni unter den Arm geklemmt hatte. „Wo kommen all die Menschen her?“

Der Rothaarige lachte. „Das kommt dir nur so vor. Weil hier so viele verschiedene Kulturen leben. Wusstest du, dass zwei von fünf Einwohner der vereinigten Staaten Europäer sind?“

Tai sah ihn stirnrunzelnd an. „Nein, aber danke, für die Info.“ Alter Klugscheißer. Aber irgendwie hatte er das auch vermisst.

„Weißt du, Mimi möchte, dass ich heute Abend noch mal bei ihr vorbeikomme“, fing Tai plötzlich an zu erzählen und wusste selbst nicht, warum. Vielleicht sollte Izzy das gar nicht wissen. Aber nun war es eh zu spät.

„Das ist toll“, meinte dieser. „Am Anfang habe ich ziemlich gezweifelt, ob das wirklich eine gute Idee war. Aber inzwischen denke ich, dass es eine gute Entscheidung war, dich mit hierher zu nehmen. Ich denke, sie braucht dich, genauso wie du sie.“

Tai stutzte und sah ihn ungläubig an. Das klang gerade wirklich aufrichtig und augenblicklich tat es ihm leid, dass er ihn die letzten Wochen so herablassend behandelt hatte.

Sie bogen um die nächste Ecke und Tai blieb abrupt stehen.

Fast hätte ihn der Schlag getroffen.

„Mi-Mimi?“, stammelte er erstaunt, doch noch viel mehr überrascht war er über ihre Begleitung.

Die Brünette sah ihn völlig perplex an. Sie hielt mit Kyle Händchen, während dieser in der anderen Hand mehrere Shoppingtaschen trug.

„Oh! Hi, Matt“, begrüßte Kyle Tai übertrieben freundlich und sah dann Izzy an. „Hallo Izzy, ich wusste gar nicht, dass ihr beide euch kennt.“

Was?

Ungläubig sah Tai zwischen Izzy und Kyle hin und her, während Izzy ebenfalls ein fragendes Gesicht auflegte.

„Matt?“

Ach du scheiße!

Er hatte Izzy ja noch gar nichts davon erzählt, dass er sich offiziell als Matt und nicht als Tai vorgestellt hatte.

„Ja, wir wohnen zusammen“, meinte Tai schnell und räusperte sich. Aber eins war hier viel wichtiger. Woher kannten sich Kyle und Izzy? Und was machte Mimi hier mit ihm? War sie nicht sauer auf ihn?

„Ah, interessant“, sagte Kyle und sah zu Mimi. „Wir machen gerade eine kleine Shopping-Tour. Ich wollte Mimi mal wieder etwas Gutes tun“, grinste er nun Tai an, der sich beherrschen musste, dass ihm nicht alles aus dem Gesicht fiel. Ernst sah er Mimi an, die den Blick beschämt zur Seite gerichtet hatte. „Das heißt, du kommst heute nicht zur Uni?“

Sie schüttelte den Kopf und fing an, an Kyles Hand zu ziehen. „Komm, lass uns endlich weiter.“

„Schon gut“, lachte Kyle auf und ließ sich von ihr an Tai und Izzy vorbeiziehen. „War nett. Viel Spaß in der Uni. Bis morgen, Izzy.“

Das war nicht ihr verdammter Ernst! Wütend sah er den beiden hinterher. Am liebsten hätte er ihm eine reingehauen und ihm sein selbstgefälliges Grinsen aus dem Gesicht gewischt. Wie hatte er es nur wieder hingekriegt, Mimi milde zu stimmen? Das konnte doch nicht ausschließlich an den Klamotten liegen, die er offensichtlich für sie gekauft hatte. So war Mimi nicht. Sie ließ sich nicht kaufen. Aber warum war sie dann mit ihm hier? Und dann auch noch Izzy…

Fragend und sauer zugleich sah er den Rothaarigen an.

„Kannst du mir mal erklären, was du mit diesem Typen zu schaffen hast?“

Er hatte Izzy ganz klar erkannt und eindeutig „bis morgen“ gesagt. Also… was hatte das zu bedeuten?

Izzy sah betreten zu Boden und seufzte. „Ich muss dir wohl was sagen, Tai.“

Und was fühlst du?

An Uni war an diesem Tag definitiv nicht mehr zu denken. Nachdem Tai und Izzy auf Mimi und Kyle getroffen waren, hatte Tai kurzerhand auf dem Absatz kehrtgemacht und war nach Hause gestürmt. Als er das Apartment betrat warf er seine Tasche in die Ecke und schmiss sich aufs Sofa, nur um Izzy wütend anzusehen, als auch dieser aus dem Fahrstuhl trat und die Einkäufe in die Küche brachte.

Seelenruhig öffnete er den Kühlschrank und begann die Lebensmittel einzusortieren, ohne ein Wort zu sagen. Was Tai nur noch mehr aufregte.

„Redest du vielleicht mal mit mir?“, fuhr er ihn an. „Was zum Teufel hast du mit diesem Kyle zu schaffen?“

Izzy seufzte schwer auf und wandte sich um, um sich auf der Arbeitsplatte abzustützen.

„Ich wollte es dir erst nicht sagen, um dich nicht zu beunruhigen“, begann der Rothaarige und sah Tai schuldbewusst an. Das bedeutete nichts Gutes, da war Tai sich sicher.

„Aber Kyle ist so was wie mein Boss.“

„WAS?“, rief Tai entsetzt und saß plötzlich kerzengerade. „Ist das dein Ernst?“

„Leider ja“, antwortete Izzy. „Als ich das Projekt übernommen habe, wurde mir gesagt, dass ich die alleine Leitung der Arbeit übernehmen würde. Doch dann hat sich herausgestellt, dass Kyle der Erbe der Firma ist, für die ich arbeite.“

Tai sah seinen Freund fassungslos an.

„Kyle soll sich schon mal in der Führungsposition üben oder so ähnlich, deswegen hat sein Vater ihn auch für das Projekt eingeteilt.“

Der Braunhaarige schlug die Hände über den Kopf zusammen und versuchte zu begreifen, was Izzy ihm hier gerade eröffnete.

„Das ist nicht gut“, sagte er schließlich und kramte in seinem Kopf bereits nach einer Lösung für dieses Problem.

„Ich weiß“, meinte Izzy und kam zu ihm, um ihn eindringlich anzusehen. „Aber Tai… Dieses Projekt ist wirklich unglaublich wichtig für mich. Ich arbeite schon länger mit dieser Firma zusammen und sie haben großes Vertrauen in meine Arbeit. Diese Sache könnte mich wirklich extrem weiterbringen. Wenn ich jetzt kündige, war’s das für mich.“

Es war zwecklos zu grübeln. Es gab keine Lösung für dieses Problem!

„Das verstehe ich, Izzy“, gestand Tai ihm zu und versuchte ruhig zu bleiben.

„Aber warum hast du mir das nicht eher erzählt?“

Izzy senkte den Blick. „Was hätte das denn geändert?“

Tai zuckte mit den Schultern und sah beinahe verzweifelt aus.

„Keine Ahnung. Ich wäre vielleicht vorsichtiger gewesen. Auf jeden Fall muss ich in Zukunft vorsichtiger sein, was Mimi anbelangt.“

„Was meinst du damit?“

Tai sah seinen Freund vielsagend an. „Das heißt, ich werde ganz bestimmt nicht von dir verlangen, dass du deinen Job für mich aufgibst. Das wäre nicht fair. Außerdem habe ich dafür gesorgt, dass Kyle keine Ahnung hat, wer ich bin, was uns einen deutlichen Vorsprung verschafft.“

Izzy runzelte die Stirn. „Meinst du die Sache, dass du dich bei ihm als Matt ausgegeben hast?“

Tai nickte. „Wenn er herausfindet, wer ich wirklich bin, dann weiß er auch, wer du bist und was wir mit Mimi zu schaffen haben. Und meinst du, er würde dich dann noch an dem Projekt arbeiten lassen?“

Izzy schwieg und biss sich angestrengt auf die Unterlippe.

„Eben“, bestätigte Tai.

„Und was machst du jetzt mit Mimi?“

Das war eine gute Frage. Und Tai wusste nicht, ob es überhaupt eine Antwort darauf gab. Er wusste nur, dass er Mimi unter keinen Umständen aufgeben würde.

„Ich denke, ich werde mich weiter mit ihr treffen können, ohne, dass er merkt, wer ich bin. Oder wer du bist. Wenn sie mich überhaupt noch sehen will.“

Nach der Aktion von vorhin war sich Tai da plötzlich nicht mehr so sicher. Sie hatte zwar gesagt, dass er später noch bei ihr vorbeikommen sollte, doch wollte sie das jetzt immer noch? Jetzt, wo sie sich offensichtlich wieder mit diesem Idioten versöhnt hatte?

„Geh und find es raus“, sagte Izzy plötzlich, woraufhin Tai ihn überrascht ansah.

„Geh einfach zu ihr. Und sei ehrlich. Dann wirst du sehen, was sie sagt.“
 

***
 

„Du hättest ihr Gesicht sehen müssen, als sie mich mit Mimi gesehen haben“, lachte Kyle, während er sich das Handy ans Ohr hielt. Nach der ausgiebigen Shoppingtour hatte er Mimi noch zum Abendessen eingeladen. Sie war gerade auf der Toilette, um sich frisch zu machen, weswegen er diese Chance direkt nutzte und vor die Tür gegangen war, um Scott anzurufen und ihm von seinem kürzlichen Zusammentreffen mit Tai und Izzy zu erzählen.

„Das hätte ich nur zu gern gesehen“, antwortete Scott amüsiert am anderen Ende. „Und was ist unser nächster Schritt?“

Kyle überlegte. Auch, wenn er Mimi für den Moment milde gestimmt hatte, hatte er ein ungutes Gefühl. Ihm waren Tais Blicke nicht entgangen. So schnell würde er nicht aufgeben, da war er sich sicher.

„Ich möchte wissen, was er als nächstes tut. Ich habe das dumpfe Gefühl, dass er seine Finger nicht von Mimi lassen wird. Kümmere du dich um Tai… pardon. Matt. Ich behalte Izzy im Auge.“

„Geht klar“, meinte Scott nur und legte auf.

„Hey, was machst du da?“

Perfektes Timing.

Kyle legte ein Lächeln auf und drehte sich um.

„Da bist du ja. Ich musste nur kurz telefonieren“, erklärte er Mimi, die zu ihm nach draußen gekommen war und sich die Arme rieb, da sie offensichtlich fröstelte.

Kyle musterte sie und grinste. „Das Kleid steht dir zwar super, aber ich wollte nicht, dass du dich deswegen zu Tode zitterst.“

Die Brünette zischte. Sie trug ein kurzes, blaues Cocktailkleid, welches Kyle für sie ausgesucht hatte. Er wollte es unbedingt an ihr sehen und sie schick zum Essen ausführen. Doch es war inzwischen dunkel geworden. Und kalt.

„Sehr nett von dir. Gib mir lieber deine Jacke“, forderte sie ihn auf, woraufhin Kyle zwar lachte, jedoch trotzdem seine Jacke auszog, um sie ihr umzulegen.

„Bringst du mich jetzt nach Hause? Ich bin ziemlich müde.“

Kyle zog grinsend eine Augenbraue nach oben und zog sie an sich.

„Bist du mir denn noch böse?“

Die Brünette lächelte verwegen. „Na ja, du hast dir heute ziemlich Mühe gegeben, also…“

Das hörte sich doch schon mal gut an.

„Das überzeugt mich nicht“, sagte Kyle jedoch, was Mimi stutzen ließ. „Was hältst du davon, wenn wir noch einen kleinen, romantischen Spaziergang machen?“

„Spaziergang?“, entgegnete Mimi skeptisch. „Romantisch?“

Kyle rollte mit den Augen. Konnte dieses Mädchen denn nicht einmal mitspielen?

„Hast du etwa schon was anderes vor?“

Seine Freundin sah kurz zur Seite und biss sich auf die Unterlippe. Dann schüttelte sie schnell den Kopf.

„Nein, überhaupt nicht. Lass uns spazieren gehen!“

Sie hakte sich bei ihm unter.

Kyle konnte sich denken, warum sie lieber nach Hause wollte. Doch diesen Raum wollte er ihr nicht geben. Dafür hatte sich das Bild von ihr und Tai am Morgen zu sehr ins Gedächtnis gebrannt. Und wenn er alle Register ziehen musste… niemals würde er Mimi ihm überlassen.
 

***
 

Izzy hatte recht. Wenn er wissen wollte, was Mimi dachte, wie sie empfand, wo sie standen, dann musste er zu ihr gehen und sie fragen. Mimi hatte ihn nicht umsonst zu sich bestellt. Auch sie wollte anscheinend noch mal reden. Doch, dass sie den Tag mit Kyle verbracht hatte, verunsicherte ihn zunehmend.

Er befand sich gerade auf dem Weg zu ihr, als sein Handy klingelte.

Tai hob ab. „Hallo?“

„Hey, Tai“, erklang die Stimme seines besten Freundes, woraufhin Tai grinsen musste.

„Hey, Namensvetter.“

„Hä? Was soll der Blödsinn? Wieso Namensvetter?“

„Schon gut“, lachte Tai. „Was gibt’s?“

„Unsere New York Tour hat sich verschoben. Wir kommen schon nächste Woche. Sora kommt später nach, da sie ihr Praktikum leider nicht vorziehen konnte. Aber ich habe gute Neuigkeiten: Kari und T.K. kommen mit.“

„Wirklich? Das ist ja klasse!“, freute Tai sich ehrlich. „Mimi wird sich sicher auch freuen, euch alle mal wieder zu sehen.“

„Jaah“, meinte Matt nun etwas unsicher. „Wegen Mimi… Ich habe diesen Kyle mal gegoogelt, von dem du mir geschrieben hast. Der Typ ist echt nicht ohne.“

Tai runzelte die Stirn. „Was meinst du damit?“

„Na ja, zum einen ist er steinreich. Also noch nicht so wirklich, aber die Firma seines Vaters ist Millionen schwer und so wie es in den Medien heißt, wird er wohl nach seinem Studium das Erbe antreten. Wobei wohl auch die Tochter für die Nachfolge in Frage kommen könnte.“

„Alison?“, lachte Tai laut auf. „Niemals!“

„Ist ja auch egal. Worauf ich hinaus wollte“, setzte Matt unbeirrt fort und eine gewisse Ernsthaftigkeit schwang in seiner Stimme mit.

„In der Klatschpresse ist Mimis Freund kein unbeschriebenes Blatt. Angeblich hat er sich immer wieder hinterrücks in die Geschäfte seines Vaters eingemischt, potenzielle Kunden bestochen und zwischen Geschäftspartnern intrigiert. Alles nur Gerüchte, aber irgendwie macht mir das ein ungutes Gefühl.“

Tai schluckte. Nicht nur Matt hatte bei diesen Informationen kein gutes Gefühl und nachdem er Kyle ein wenig kennenlernen durfte, hatte er den Eindruck, dass dies nicht nur Gerüchte waren.

„Auf jeden Fall solltest du aufpassen“, riet sein bester Freund ihm schließlich.

„Keine Sorge. Das werde ich.“

Das machte alles nur noch komplizierter. Erst die Sache mit Izzy und jetzt auch noch die Bestätigung, dass Kyle offensichtlich gerne mit falschen Karten spielte. Sicher würde er auch bei Mimi nicht davor zurückschrecken.

„Ich muss jetzt auflegen“, sagte er, als er vor Mimis Apartment angekommen war. „Aber ich freue mich, dass ihr bald kommt. Bis dann.“

Er legte auf und überlegte kurz. Ob Mimi von all dem wusste?
 

***
 

Händchenhaltend schlenderten sie durch die lichtbefluteten Straßen. Eigentlich total romantisch und eigentlich genau das, was Mimi sich immer gewünscht hatte. Und doch war sie mit dem Kopf ganz woanders. Ungeduldig sah sie auf ihre Armbanduhr.

„Ist schon ziemlich spät, findest du nicht?“

Kyle lächelte nur zufrieden vor sich hin. Mimi seufzte leicht. Was sollte das hier alles? So etwas hatten sie noch nie getan und jetzt plötzlich…? Sie sollte sich darüber freuen, was sie anfangs auch getan hatte, doch eine gewisse Begegnung ging ihr nicht aus dem Kopf. Wie er sie angesehen hatte... Seitdem hatte Mimi keinen klaren Gedanken mehr fassen können. Sie wollte doch Tai nicht damit verletzen, niemals würde sie ihm absichtlich weh tun, egal was er getan hatte. Aber momentan war sie einfach hin und hergerissen.

Kyle. Tai. Sie dazwischen. Das war einfach zu viel. Ihr Herz wusste einfach nicht, was es wollte. Wenn sie bei Tai war, wollte sie Tai. Wenn sie mit Kyle zusammen war, wollte sie ihn, weil es das einzig Richtige war. Und jetzt spazierte sie ernsthaft mit ihm händchenhaltend durch die Straßen, was alles war, was sie sich die ganze Zeit gewünscht hatte, und konnte trotzdem nur an Tai denken. Wahrscheinlich stand er schon vor ihrer Tür und wartete auf sie.

Erneut sah sie auf die Uhr. Sie hätte vor zehn Minuten zu Hause sein müssen. Um mit Tai zu reden. Eigentlich wollte sie heute Abend endgültig klarstellen, dass es für sie keine zweite Chance gab. Allerdings war sie den ganzen Tag mit ihrem Freund unterwegs gewesen und hatte dabei an einen anderen gedacht. Sollte ihr das nicht zu denken geben?

Mimi schielte zu ihm hinüber und irgendwie tat es ihr fast schon leid. Kyle hatte sich zwar oft genug wie ein Arsch aufgeführt, aber heute hatte er sich echt Mühe gegeben. Ein perfekter Tag, der sich trotzdem nicht perfekt anfühlte.

„Ich sollte wirklich langsam nach Hause gehen“, setzte sie erneut an, um endlich wegzukommen. „Ich habe heute den ganzen Tag geschwänzt und habe sicher einiges nachzuholen bis morgen.“

„Du willst jetzt noch lernen?“, fragte Kyle misstrauisch.

„Ja. Ich habe ein Stipendium, falls du es vergessen hast. Wenn meine Noten nicht stimmen, bist du mich schneller los, als dir vielleicht lieb ist.“

Kyle blieb stehen und drückte sie an sich. „Ich bin stolz auf dich, dass du so fleißig bist. Wir sind wirklich ein gutes Team.“

Ein gutes Team? Sie sollten mehr sein, als ein gutes Team. Wenn sie das überhaupt waren…

Mimi lächelte unsicher. Ob Tai überhaupt noch da war?

„Soll ich dich noch nach Hause bringen? Ich könnte bei dir übernachten.“

„Nein, das ist wirklich nicht nötig“, warf Mimi schnell ein, obwohl sie dieses Angebot durchaus nett fand. „Du würdest mich eh nur vom Lernen abhalten.“

„Da hast du wahrscheinlich recht“, stimmte Kyle ihr grinsend zu. Mimi zog eine Augenbraue nach oben. Wollte er nur deshalb mit zu ihr kommen?

„Okay, ich geh dann mal“, sagte sie und versuchte sich von ihm zu lösen, doch er hielt sie weiter fest.

„Kriege ich keinen Abschiedskuss?“

Mimi blinzelte verwirrt. „Äh, doch. Natürlich.“

Er beugte sich zu ihr und küsste sie innig, als würde er versuchen, so viel Gefühl wie möglich hineinzulegen. Ein Kuss, der irgendwie anders war, als all ihre Küsse zuvor.

Schließlich war es Mimi, die sich von ihm löste und ihn skeptisch ansah.

„Irgendwie bist du komisch.“

Kyle grinste nur und ließ sie los.

„Sehen wir uns morgen in der Uni?“

„Natürlich. Bis morgen. Und danke, für den Tag“, lächelte Mimi und winkte ihm zum Abschied. Sie ging weiter und bog um die nächste Ecke. Ein kurzer Blick auf die Uhr. Schon zwanzig Minuten zu spät.

„Verdammt!“, fluchte sie und rannte in ihren High Heels los. „Wieso kann man nicht an zwei Orten gleichzeitig sein?“

Wenn Tai nicht mehr da war, würde sie ernsthaft enttäuscht darüber sein. Diese Frage beschäftigte sie so sehr, dass sie gar keine Zeit mehr hatte, darüber nachzudenken, was sie ihm überhaupt sagen wollte. Aber vielleicht war das auch besser so. Sie wollte einfach nur, dass er noch da war. Dass er noch nicht gegangen war.

Immer wieder sah sie währenddessen auf ihre Uhr, als wieder einige Minuten verstrichen waren und sie nur noch einen Block von ihrem Apartment entfernt war.

Schließlich bog sie um die letzte Ecke und wäre beinahe noch gestolpert, ehe sie endlich ankam und Tai im Eingang stehen sah.

Er hatte die Hände in die Hosentaschen gesteckt und wandte den Kopf.

Nach Luft ringend blieb sie vor ihm stehen und stützte die Hände auf ihre Knie ab.

„Tut… mir… leid.“

Tai lachte. „Hast du einen Marathon hingelegt?“

„So ähnlich“, antwortete die Brünette, richtete sich auf und legte eine Hand auf ihre Brust, um ihre Atmung wieder unter Kontrolle zu bringen.

„Und das in den Schuhen“, merkte Tai an und zeigte auf ihre schwarzen High Heels.

„Ich wollte dich nicht noch länger warten lassen. Ich dachte schon, du wärst wieder gegangen.“

Der Student lächelte. „Ach, was. Für dich hätte ich auch die ganze Nacht hier gewartet. Wobei ich mir nicht sicher war, ob du überhaupt noch kommst.“

Mimis Herz schlug plötzlich wild gegen ihre Brust und sie wusste, dass es nicht wegen des Laufs war.

„Ja, ich… i-ich war verhindert.“

„Nennt man das jetzt so, wenn man ein Date hat?“

Mimi verzog das Gesicht und verschränkte die Arme vor der Brust, als hätte er sie beim Lügen ertappt. „Ach, komm schon, Tai. Hör auf, damit!“

„Womit denn? Ich habe mich nur gefragt, warum du den Tag heute mit ihm verbracht hast, obwohl wir gestern… also ich meine, obwohl ich gestern bei dir…“

„Er hat mich eben gefragt, das ist alles“, unterbrach ihn Mimi forsch. Eigentlich wollte sie jetzt nicht über Kyle reden. Den ganzen Tag lang konnte sie nur an ihn denken und jetzt stand er endlich vor ihr und wollte mit ihr über Kyle reden?

Tai seufzte. „Ich weiß, dass du nicht darüber sprechen willst, Mimi.“

Fast beschämt sah sie zur Seite. Heute Morgen wollte sie noch genau das mit ihm besprechen und jetzt? Jetzt wollte sie eigentlich nichts lieber, als dass er ruhig war. Konnte er nicht einfach nur da sein? So, wie letzte Nacht?

„Aber wir müssen darüber reden.“

„Worüber denn?“, fragte sie ganz unschuldig, als hätte sie keine Ahnung, worum es hier ging.

„Über diese Situation.“

Ja, das hatte sie eigentlich auch vorgehabt.

Tai seufzte erneut und griff nach ihren Händen, was sie unvermittelt aufsehen ließ. Eindringlich sah er sie an.

„Ich merke doch, dass da etwas ist. Zwischen uns, meine ich. Das bilde ich mir doch nicht ein.“

Sie biss sich schmerzhaft auf die Lippe. Ja, das war wahrscheinlich offensichtlich. Wie hätte sie das auch nach letzter Nacht noch abstreiten können?

„Aber dann sehe ich dich heute mit diesem Kyle und frage mich ernsthaft…“

Er brach ab. Als müsste er seine nächsten Worte genau überdenken. Dann sah er sie entschlossen an.

„Was willst DU eigentlich, Mimi?“

Sie zuckte zurück. Diese Frage hatte sie bis jetzt erfolgreich verdrängt. Und doch wusste sie, dass sie sie früher oder später einholen würde.

„I-ich… ich weiß es nicht“, gab sie offen zu und senkte den Blick. Was sollte sie nur tun?

Tai. Kyle. Tai. Kyle. Tai. Kyle.

Wohin mit ihren Gefühlen für beide?

„Du bist mir nicht egal, Tai“, sagte sie leise und sah ihm in die Augen. „Aber Kyle ist mir auch nicht egal. Ich habe mich gefreut, als er sich heute Morgen bei mir entschuldigt hat, doch dann“, sie schluckte schwer. „Dann musste ich den ganzen Tag an dich denken, als wir uns über den Weg gelaufen waren. Und das gestern Abend… das hat mich verwirrt. Es ist, als wäre ich innerlich zerrissen. Hin und hergerissen zwischen dem, was richtig ist und dem, was ich fühle.“

Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Warum war nur plötzlich alles so furchtbar kompliziert?

„Ich möchte niemandem wehtun. Ich denke, ich gehöre zu Kyle und deshalb…“

„Du denkst?“, unterbrach Tai sie und sah sie fragend an. „Du denkst, du gehörst zu ihm?“

Er verstand es nicht. Aber wie könnte er auch?

„Aber was fühlst du, Mimi? Was FÜHLST du?“

Sie wischte sich schnell eine Träne weg, die ihr über die Wange rollte.

„Ganz ehrlich? Manchmal gar nichts. Und dann doch wieder zu viel.“

Eine Weile standen sie schweigend da, während keiner von beiden wusste, was er sagen sollte. Doch Tai hielt immer noch ihre Hand fest.

„Soll ich…“, begann er schließlich zaghaft. „Soll ich heute Nacht wieder bei dir bleiben?“

Diesmal musste sie nicht lang überlegen.

„Ja, das wäre schön“, antwortete sie und lächelte vorsichtig.

Hochmut kommt vor dem Fall

„Wenn ich selbst weiß, was ich will, dann werde ich es dir sagen.“

Breakfast at Tiffany‘s


 

„Also, warum hast du ihm verziehen?“, begann Tai, als beide den Fahrstuhl verließen und sich in dem großzügigen Flur von Mimis Apartment widerfanden, wo Mimi sofort ihre Schuhe in die nächste Ecke warf.

„Na ja“, meinte sie und zog Kyles Jacke aus, die er ihr gegeben hatte, um sie aufzuhängen. „Manchmal kann er eben sehr charmant sein.“

Und das stimmte. So charmant, dass er sich heute beinahe selbst übertroffen hatte. Mit so viel Aufmerksamkeit seinerseits hatte sie wirklich nicht gerechnet. Und doch, je mehr Aufmerksamkeit er ihr entgegenbrachte, umso mehr musste sie an jemand anderen denken.

„Ich kann auch sehr charmant sein.“

Mimi schmunzelte, während Tai nun vor ihr stand, die Hände in den Hosentaschen vergraben hatte und sie auffällig musterte.

„Ist das neu?“

„Was?“, meinte Mimi verwirrt. „Das Kleid?“

„Ja“, sagte er und sah sie nachdenklich an. „Es steht dir nicht. Blau ist nicht deine Farbe.“

Mimi schnaufte und stemmte die Arme an die Seite.

„Ja, du hast recht. Du kannst wirklich sehr charmant sein“, entgegnete sie beleidigt und dampfte in die Küche ab. Tai folgte ihr.

„Kyle fand das Kleid sehr schön.“

„Ach ja?“, fragte Tai und grinste leicht, während Mimi sich ein Glas aus dem Schrank nahm und es mit Leitungswasser füllte.

„Ich finde, grün steht dir viel besser.“ Er ging auf sie zu und stellte sich dicht hinter sie, um sich zu ihrem Ohr hinunter zu beugen. „Oder rot…“

Sein Flüstern an ihrem Ohr hinterließ einen Schauer auf ihrer Haut. Schnell nahm sie einen großen Schluck von dem Wasser. Ihre Kehle war staubtrocken.

Tai trat einen Schritt zurück.

„Ich habe Hunger. Du auch?“

Hunger? Sein Ernst?

Ja, Hunger hatte sie wirklich. Aber nicht auf Essen.

„Äh… nein. Ich habe schon gegessen. Aber ich kann dir gerne was machen.“ Mimi hechtete förmlich zum Kühlschrank und riss diesen auf.

„Worauf hast du Lust? Warm? Kalt? Hmm, viel ist nicht da“, sagte sie nachdenklich und durchforstete den Inhalt des Kühlschranks, der ihr recht mager erschien.

„Mir egal. Ich mag alles von dir“, entgegnete Tai, woraufhin Mimi direkt wieder verlegen wurde und einfach ein paar Eier aus dem Kühlfach holte.

„Wie wär’s mit Rührei?“

„Wunderbar. Ich habe schon den ganzen Tag Lust auf Rührei.“

Mimi lachte, holte eine Pfanne aus dem untersten Küchenschrank und schmiss den Herd an.

Tai grinste und setzte sich auf einen Hocker an die Theke, von wo aus er sie gut beobachten konnte. Zufrieden folgte er jedem einzelnen Schritt von ihr, was Mimi schon fast unangenehm war.

Warum sah er sie so an?

Ob es wirklich eine gute Idee war, ihn wieder bei sich übernachten zu lassen?

Doch, das war es ganz sicher. Sie hatte den ganzen Tag an ihn gedacht. Nie im Leben hätte sie schlafen können, wäre er nicht geblieben.

Tai stützte seinen Kopf ab und beugte sich ein Stück weiter nach vorne, um einen Blick in die Pfanne zu werfen.

„Das sieht ganz zauberhaft aus, wie du das Ei in der Pfanne wendest.“

Mimi lachte auf.

„Ja, findest du?“

„Oh ja, allerdings. Sehr beeindruckend“, grinste er.

„Du meinst… so?“, sagte Mimi schmunzelnd und schwang künstlerisch den Pfannenwender, um das Ei zu wenden.

„Fantastisch!“, staunte Tai gespielt begeistert, woraufhin beide anfingen zu lachen.

„So, fertig. Bon appétit“, sagte Mimi und löffelte das fertige Rührei auf einen Teller, um es ihm rüber zu schieben.

„Danke. Hast du Ketchup?“, fragte Tai.

„Ich glaube schon“, überlegte Mimi, ging zum Kühlschrank und nahm eine Flasche Ketchup heraus. Kritisch beäugte sie diese.

„Hmm, ist wohl schon etwas älter. Ich koche nicht so oft für mich allein, weißt du. Außerdem esse ich meistens außerhalb.“ Während sie sprach, begann sie die Flasche wie wild in der Luft zu schütteln, um zu sehen, wie viel überhaupt noch darin war. Dabei löste sich der Deckel, der Flasche und der Inhalt spritzte ihr über das neue Kleid. Ein quietschender Schrei entfuhr ihr, als Tai sich reflexartig die Hand vor den Mund schlug, um nicht lauthals loszulachen.

„Aaah, oh nein!“, schrie Mimi und stellte sofort die Flasche ab, um das Unglück zu begutachten.

„Jetzt kannst du endlich dieses hässliche Kleid ausziehen“, rutschte es Tai raus und er prustete los.

Mimi zog beleidigt die Unterlippe nach oben und sah ihn böse an. Ihr hatte das Kleid sehr gut gefallen. Aber nun war es für die Tonne.

„Wenn du willst, helf ich dir dabei, es auszuziehen“, sagte Tai immer noch lachend und hielt sich den Bauch.

Die Brünette wurde prompt puterrot im Gesicht. Was dachte sich dieser Kerl eigentlich?

„Danke, ich komm schon klar“, giftete sie ihn an und verschränkte beleidigt die Arme vor der Brust.

Tai nahm einen Bissen von dem Rührei, stand auf und ging zu Mimi. Er stellte sich dicht vor sie und streifte mit dem Zeigefinger über ihr Schlüsselbein, wo ebenfalls Ketchup gelandet war. Mimi zuckte unter dieser Berührung zurück, während er sich seinen roten Finger genüsslich in den Mund steckte.

„Schmeckt aber gut.“

Okay. Das war eindeutig zu viel des Guten. Mimi war sich ziemlich sicher, dass ihr Gesicht inzwischen genau dieselbe Farbe, wie der Ketchup angenommen hatte, weshalb sie sich wegdrehte. Doch dann kam ihr ein Gedanke. Dieses Spiel konnte nicht nur einer spielen.

„Na gut, es nützt ja nun alles nichts“, sagte sie frustriert, nahm ihre Arme nach oben und hielt sich die langen Haare hoch. „Ich denke, ich muss es sofort waschen. Könntest du mir helfen?“

Tais Lachen erstarb augenblicklich und Mimi konnte seinen geschockten Blick förmlich auf ihrem Rücken spüren. Jetzt war sie es, die sich das Lachen verkneifen musste.

„Beim Ausziehen, meine ich“, fügte sie noch verführerisch hinzu und grinste innerlich über den Triumph, den sie soeben errungen hatte. Tai stand einfach nur da, völlig perplex. Doch gerade, als sie ihre Haare wieder fallen lassen und ihm eröffnen wollte, dass alles nur ein Spaß war, begann er den Reißverschluss ihres Kleides langsam nach unten zu ziehen.

Kurz überlegte Mimi, ob sie es zulassen sollte, doch sie hatte gar keine Zeit weiter darüber nachzudenken, denn ehe sie sich versah, war Tai ganz unten angelangt. Der Reißverschluss war offen und legte ihren Rücken frei.

Wie automatisch nahm sie ihre Arme wieder nach unten, woraufhin ihr auch das Kleid von den Schultern rutschte und zu Boden fiel.

Plötzlich stand sie vor ihm, nur noch in Unterwäsche bekleidet und alles, was ihr durch den Kopf ging, war die Frage, was wohl als nächstes geschehen würde.

Als rein gar nichts geschah, fing ihr Herz wie wild an zu schlagen. Er musste doch irgendetwas tun oder irgendetwas sagen! Oder sollte sie etwas tun? Aber was? Sich umdrehen und ihn küssen? Es noch einmal darauf anlegen? Sich endlich das holen, wonach ihr Herz sich so schmerzlich sehnte?

Plötzlich berührte Tai ihren Arm und ein wohliger Schauer breitete sich auf ihrer ganzen Haut aus. Er bückte sich und Mimi bekam echtes Herzrasen, bei dem Gedanken daran, was gleich passieren könnte.

„Hier. Damit du es waschen kannst.“

Er hielt ihr das Kleid hin.

Wie vom Donner gerührt stand Mimi da und wusste im ersten Moment nicht, was sie tun sollte. Schließlich griff sie danach und drückte es fest an sich.

„Äh… danke“, brachte sie nur kleinlaut über die Lippen. „Du kannst ja noch aufessen. Ich gehe schon mal nach oben.“

Ohne ihn noch einmal anzusehen, verließ sie die Küche und eilte die Treppen nach oben in ihr Schlafzimmer. Sie schloss die Tür hinter sich und lehnte sich schwer atmend dagegen. Wieder etwas, womit sie nicht gerechnet hatte…
 

***
 

Hätte ihm die Situation vorher jemand erzählt, hätte er selbst nicht geglaubt, was er eben getan hatte. Kurz war er versucht es einfach zu riskieren. Sich einfach der Versuchung hinzugeben, die ihn so bittersüß lockte. Ihre nackte Haut endlich wieder an seiner zu spüren. Doch alles, woran er denken konnte, war einfach nichts Falsches zu tun. Nichts zu tun, was er im Nachhinein bereuen könnte. Oder was sie bereuen könnte. Seine Beziehung zu Mimi stand wieder ganz am Anfang und war zerbrechlicher, denn je. Wenn er es jetzt überstürzt hätte, hätte dies dazu führen können, dass sie sich erneut voneinander entfernten. Und das durfte er einfach nicht zulassen. Also entschied er sich gegen sein Bauchgefühl, sie einfach an sich zu ziehen und zu küssen und sie stattdessen so zu behandeln, wie sie es verdient hatte. Mit Respekt. Was wäre er für ein Typ, wenn er diese Situation schamlos ausgenutzt hätte? Er wusste nicht, ob das vielleicht nur ein Gefühl war, aber er hatte nicht den Eindruck, dass Mimi sonderlich standhaft ihm gegenüber war. Das hatte sie am Abend zuvor bereits bewiesen gehabt. Und genau deswegen war es wichtig, dass wenigstens er einen kühlen Kopf bewahrte. Er war schließlich nicht für Sex nach New York gekommen. Nein. Er wollte viel mehr als das.

Er wollte ihr genug Zeit geben, sich umzuziehen, also aß er länger an seinem Rührei, als nötig. Stellte sogar noch das benutzte Geschirr in die Spülmaschine und wusch die Pfanne ab. Danach atmete er noch einmal tief ein und aus, ehe er ebenfalls nach oben ging. Schon wie am Abend zuvor ging er an diesem Zimmer vorbei, von dem er dachte, es sei Mimis Schlafzimmer. Wieder stand es einen Spalt breit offen. Kurz überlegte er, ob er reingehen sollte. Einfach nur, um nachzusehen, was sich darin befand. Mimi hatte äußerst seltsam darauf reagiert, als er es betreten wollte und die Tür sofort zugezogen.

Allerdings konnte es auch einfach sein, dass das das Schlafzimmer ihrer Eltern war und sie deshalb nicht wollte, dass er es betrat.

Also entschied er sich gegen den Drang hineinzugehen und ging stattdessen weiter bis zum Ende des Flures, wo sich Mimis Zimmer befand.

Anstandsmäßig klopfte er an.

„Schläfst du schon?“

„Nein, komm rein.“

Langsam öffnete er die Tür. Das Licht im Zimmer war gedämpft und Mimi lag auf ihrem Bett, während in dem Fernseher gegenüber ein Film lief. Tai beäugte den Bildschirm, runzelte die Stirn und sah dann Mimi skeptisch an, die es sich in ihrer Pyjamahose und ihrem Top, worin sie unglaublich sexy aussah, auf dem Bett bequem gemacht hatte.

„Frühstück bei Tiffany’s? Dein Ernst?“

Er fing sich einen vorwurfsvollen Blick von ihr ein.

„Du hast überhaupt keine Ahnung von guten Filmen, Tai!“

Dieser lachte kurz auf. Na schön, dann würde er es eben über sich ergehen lassen, wenn sie es so wollte. Er ging ums Bett drum rum und hatte erwartet, dass wieder einige Kissen und eine Decke auf dem Boden für ihn bereitlagen, was ihm definitiv nichts ausgemacht hätte. Doch er fand nichts.

„Ähm… wo soll ich schlafen?“, fragte er verwirrt und sah sich verwundert um. Wollte sie etwa, dass er in einem Gästezimmer schlief?

Mimi rutschte ein Stück zur Seite und klopfte mit der flachen Hand neben sich.

Sie wollte, dass er mit ihr in einem Bett schlief?

Kurz zögerte er zwar, doch dann legte er sich doch zu ihr. Schließlich hatten sie letzte Nacht auch schon zusammen in einem Bett geschlafen. Er suchte die richtige Position und wandte sich ein paar Mal hin und her. Sollte er einen Arm um sie legen? Sollte er mehr Abstand halten und doch lieber an den Rand des Bettes rutschen? Er wusste es nicht. Also legte er sich einfach auf den Rücken und verschränkte die Arme vor der Brust.

Mimi grinste ihn schief von der Seite her an.

„Weißt du, der Film hilft mir manchmal beim Einschlafen“, erklärte sie ihm.

Tai gähnte, als Audrey Hepburn in ein Taxi stieg und „Aber tüchtig drauftreten, Darling“, sagte.

„Der ist ja auch zum Einschlafen.“

Mimi lächelte. „Er hilft mir eben dabei. Genau, wie Alison. Oder du.“ Dann griff sie nach seiner Hand und verschränkte ihre Finger mit seinen. „Außerdem hat er ein Happy End. Also ist er gar nicht so schlecht.“

Tai stutzte zunächst, lächelte dann jedoch zufrieden, als er nun doch etwas näher an sie ran rutschte und sie ihren Kopf auf seiner Schulter bettete. Der Duft ihrer Haare stieg ihm in die Nase, was ihn an früher erinnerte. Immer, wenn sie nebeneinanderlagen, hatte er ihr einen Kuss aufs Haar gegeben und dieser Duft half ihm wiederum beim Einschlafen. Es war beruhigend zu wissen, dass sich noch nicht alles verändert hatte.

„Weiß du was?“, fragte er plötzlich, denn ihm fiel etwas ein.

„Nein, was denn?“, entgegnete Mimi neugierig und schielte zu ihm hoch.

„Sora und Matt wollen uns bald besuchen kommen. Kari und T.K. kommen auch mit.“

Die Brünette richtete sich leicht auf, um ihn anzusehen.

„Ehrlich? Sie kommen her?“

Ihrem Gesichtsausdruck zu urteilen wusste sie noch nichts davon. Was wiederum bedeuten musste, dass sie zu Sora immer noch keinen weiteren Kontakt hatte.

„Ja… freust du dich?“

„Na ja“, meinte Mimi und legte sich wieder hin. Irgendwie hatte Tai das Gefühl, dass diese Neuigkeit nicht sonderlich viel Begeisterung in ihr auslöste. Müsste sie sich nicht eigentlich freuen, ihre alten Freunde wieder zu sehen?

„Möchtest du das nicht?“, hakte er unsicher nach.

„Doch, doch sehr gerne!“, entgegnete Mimi eilig. „Ich freue mich, sie alle mal wieder zu sehen. Na ja, fast alle.“

Warum nur hatte er den Eindruck, dass das nicht die Wahrheit war?

„Warum wolltest du mich heute Abend eigentlich sehen?“, fragte er, da ihm diese Frage schon den ganzen Tag beschäftigt hatte. „Du wolltest doch sicher nicht nur diesen komischen Film mit mir gucken, oder?“

Mimi überlegte kurz und er konnte spüren, wie sie lächelte und dabei den Kopf schüttelte.

„Nein, eigentlich war das alles gar nicht geplant. Ich wollte dich sehen, um dir zu sagen, dass wir nicht zusammen sein können.“

Ein Stich durchfuhr sein Herz. Meinte sie das etwa ernst? Hatte sie ihn deshalb zu sich bestellt?

„Aber wir sind doch zusammen. Genau jetzt“, widersprach er ihr.

„Da hast du recht“, sagte Mimi zufrieden und kuschelte sich noch enger an ihn. „Und es fühlt sich gut an. Das ist gerade das Einzige, was ich weiß. Weißt du, Tai… es gab eine Zeit, da hatte ich vor, zu dir zurückzukommen. Zurück nach Japan zu fliegen, meine ich.“

Überraschung machte sich auf seinem Gesicht breit. Und das sagte sie ihm jetzt? Nach all der Zeit, die vergangen war und in der er gelitten hatte, wie nie zuvor in seinem Leben, eröffnete sie ihm einfach mal so, dass sie vorhatte, zu ihm zurück zu kommen?

„Aber ich konnte es nicht. Dann nicht mehr…“, sagte sie traurig und er spürte, wie eine Träne über ihre Wange rollte, die sie jedoch schnell wegwischte. Was hatte das zu bedeuten: „Dann nicht mehr…“?

„Ich muss mit Kyle reden“, sagte sie plötzlich entschlossen.

„Was?“, hakte Tai verwundert nach.

„Es ist das einzig Richtige. Bis ich weiß, was ich wirklich will, ist es wohl besser, wenn wir uns erst einmal trennen.“

Tai schluckte schwer und versuchte zu verinnerlichen, was sie gerade alles gesagt hatte. Er wusste, sie musste sich früher oder später entscheiden, aber er hatte nicht damit gerechnet, dass es jetzt sein würde. Gerade nicht, weil sie den ganzen Tag mit ihm verbracht hatte und er eigentlich nicht den Eindruck gehabt hatte, dass es ihr nicht gefiel, so viel Aufmerksamkeit von ihm zu bekommen.

„Ist schon gut. Du musst nichts dazu sagen. Ist schließlich meine Angelegenheit“, fügte Mimi noch hinzu, klang dabei jedoch immer noch äußerst entschlossen.

Er legte einen Arm um sie und zog sie fest an sich.

„Du allein musst wissen, was das Richtige für dich ist, Mimi. Diese Entscheidung kann dir keiner abnehmen.“

Mimi nickte und wischte sich eine weitere Träne weg.

„Wobei ich zugeben muss, dass ich dich gerne jeden Abend so im Arm halten würde“, sagte Tai leise und schloss die Augen.

Mimi antwortete nichts mehr darauf und das war in Ordnung so. Sie musste nichts mehr sagen. Er war einfach nur froh, dass sie endlich den ersten Schritt tun und sich von Kyle lösen würde. Auch, wenn das immer noch hieß, dass sie weiterhin nicht zusammen sein konnten. Jedenfalls noch nicht. Aber er würde auf sie warten, so viel stand fest. Bis sie wusste, was sie wirklich wollte.
 

***
 

Als der Wecker klingelte öffnete Mimi die Augen und fand sich genau dort wieder, wo sie eingeschlafen war. In Tais Armen. Ihr Kopf lag auf seiner Brust und sie konnte seinem gleichmäßigen Atem lauschen. Was für ein schönes Gefühl.

Gestern Abend hatte sie den Entschluss gefasst, dass es so vorerst nicht weitergehen konnte. Kyle war toll gewesen und lieb und aufmerksam, aber… solange ihr Tai nicht aus dem Kopf ging, wäre es nicht fair, ihn weiterhin zu hintergehen, indem sie sich immer wieder heimlich mit ihm traf. Sie brauchte einfach Zeit zum Nachdenken. Sie fühlte sich, als würde sie vor zwei Türen stehen und sie wusste einfach nicht, welche der beiden sie durchqueren sollte. Und solange sie das nicht wusste, war es das Beste für alle, wenn sie sich und Kyle etwas Abstand gönnte. Doch ein wenig hatte sie auch Angst davor. Denn das bedeutete, dass sie erst mal wieder allein war. Und allein sein war eines der Dinge, vor denen sie sich am meisten fürchtete. Aber es konnte schließlich nicht ewig so weitergehen und so langsam musste sie wieder lernen, auf eigenen Beinen zu stehen. Ohne ihn.

Sie hatte ja noch Alison. Und bald würden auch ihre alten Freunde New York einen Besuch abstatten. Der Gedanke, Sora wiederzusehen, machte sie zugegebenermaßen nervös. Sora war ihre beste Freundin gewesen und hatte es immer sofort erkannt, wenn etwas nicht mit ihr stimmte. Würde sie auch diesmal hinter die Fassade sehen können, die Mimi sich so mühsam errichtet hatte? Das durfte sie auf keinen Fall zulassen.

Tai streckte sich genüsslich und zog sie noch ein Stück enger an sich. Mimi musste lächeln bei dem Gedanken daran, dass er tatsächlich wieder bei ihr übernachtet hatte. Mit ihm zusammen zu sein war wirklich ein gutes Gefühl, welches, jetzt, wo sie es endlich wieder hatte nicht mehr missen wollte.

„Hey, wir müssen aufstehen“, flüsterte sie, woraufhin Tai murrte.

Vorsichtig versuchte sie sich aus seinen Armen zu befreien, doch er zog sie zurück auf seine Brust.

„Noch nicht.“

Mimi grinste. „Ich weiß nicht, wie es bei dir aussieht, aber ich habe gestern die Uni geschwänzt. Was heißt, dass ich heute einiges aufarbeiten muss.“

„Hmm“, knurrte Tai. „Ich habe auch geschwänzt.“

Die Brünette musste lachen. „Wieso? Hattest du etwa auch ein Date?“

„Nicht witzig“, entgegnete Tai wieder murrend, als Mimi sich schließlich doch aus seinen Armen befreite und aus dem Bett hüpfte, um sich zu strecken.

„Ich spring schnell unter die Dusche. Dann geht’s los. Frühstück holen wir unterwegs.“

Tai rollte sich auf die Seite, auf der sie eben noch gelegen hatte und vergrub sein Gesicht in das Kissen.

„Okay. Aber ich muss vorher noch nach Hause und meine Sachen holen. Und duschen“, nuschelte er ins Kissen.

„Du kannst im Bad meiner Eltern duschen“, schlug Mimi ihm vor. „Es befindet sich unten, neben ihrem Schlafzimmer.“

Tai sah verdutzt auf.

„Unten? Ihr Schlafzimmer ist unten?“

„Ja, natürlich“, lachte Mimi unsicher. „Ich habe die ganze Etage für mich. Außerdem sind sie eh so selten da. Da haben sie quasi das Gästezimmer zu ihrem Schlafzimmer gemacht.“

Tai setzte sich auf und nickte, als Mimi sich ein paar Sachen aus ihrem Kleiderschrank holte und nebenan ins Bad verschwand.
 

***
 

Tai ging nach unten und erst jetzt bemerkte er die Tür, die sich neben dem Flur befand. Sie war ihm vorher gar nicht aufgefallen. Er öffnete sie. Für ein Gästezimmer war der Raum ziemlich groß und doch wirkte es so, als hätte hier seit Monaten keiner mehr geschlafen. Neben dem Zimmer war ein kleines Bad mit einer Dusche. Er zog seine Klamotten aus und stellte das heiße Wasser an.

Wenn das Schlafzimmer ihrer Eltern hier unten war…

Was war dann oben in diesem Zimmer, von dem Mimi nicht wollte, dass er es betrat?

Irgendwie erschien es ihm ein wenig merkwürdig, aber er wollte sich jetzt nicht den Kopf darüber zerbrechen. Schließlich hatte sie ihm gestern Abend gesagt, dass sie sich vorerst von Kyle trennen wollte und das war ja wohl mal die beste Nachricht, der letzten Tage. Er wusste, er sollte sich allein deshalb nichts erhoffen, doch er konnte nicht anders. Wenn Kyle erst mal aus dem Weg war, konnte er mehr Zeit mit Mimi verbringen und das war das Einzige, was ihn momentan interessierte. Er wollte einfach nur so oft wie möglich bei ihr sein. Dieser Gedanke allein machte ihn glücklich.

Nach einer ausgiebigen Dusche schlüpfte er in seine Klamotten, föhnte sich die Haare und stylte sich ein wenig. Als er rauskam, stand Mimi bereits fix und fertig vor ihm, hatte die Arme vor der Brust verschränkt und tippte ungeduldig mit dem Fuß.

„Mein Gott, was hast du da drin gemacht? Ich warte seit einer halben Ewigkeit hier!“

Tai runzelte die Stirn und ging unbeirrt zum Fahrstuhl.

„Immer noch die Königin der Übertreibungen.“

Mimi zischte verächtlich, konnte sich jedoch ein leichtes Grinsen nicht verkneifen. Sie stellte sich neben Tai, der sie unauffällig musterte.

„Du siehst gut aus“, sagte er offen, woraufhin sie leicht errötete.

Sie trug blaue Jeans Shorts und ein weißes Oberteil mit ein wenig Spitze. Ihre Haare fielen ihr offen über die Schultern.

„Danke“, antwortete sie und strich sich verlegen eine Haarsträhne hinters Ohr.

Auf dem Weg zu Tais Apartment hielten sie bei einem Café, um sich ein Frühstück mitzunehmen. Tai bestellte sich einen Bagel und Mimi ein Croissant und einen Kaffee to go. Als sie bei Tai angekommen waren, sagte Mimi: „Ich warte kurz hier unten“, während Tai nach oben eilte, um seine Sachen zu holen. Verwundert sah er sich in der Wohnung um. Izzy schien schon längst weg zu sein. Aber das war wohl auch besser so, sonst wären nur unnötige Fragen aufgekommen. Schnell kramte er alle seine Sachen zusammen und stopfte sie in seine Tasche.

„Bin soweit“, sagte er, als er wieder unten war und Mimi gerade genüsslich in ihr Croissant biss.

Sie hatten es nicht weit bis zur Uni, deswegen verzichteten sie auf die U-Bahn und gingen zu Fuß, was Tai auch deutlich lieber war. So hatte er Gelegenheit ihr noch ein wenig auf den Zahn zu fühlen.

„Bist du dir sicher, dass du mit Kyle sprechen willst?“, fragte er unsicher nach, woraufhin Mimi ihn stutzig ansah.

„Ja. Ja, ich denke schon. Es ist nicht fair, wenn ich mich ständig hinter seinem Rücken mit dir treffe.“

Das hieße ja dann wohl, sie hatte vor, sich weiterhin mit ihm zu treffen. Auch, wenn Kyle nicht mehr da war. Tai konnte es nicht verhindern, aber er strahlte über das ganze Gesicht.

Mimi grinste und blieb stehen, als sie am Campus angekommen waren.

„Das scheint dir wohl auch noch zu gefallen“, warf sie ihm gespielt beleidigt vor.

„Nun, ich kann nicht behaupten, dass ich Kyle besonders mag“, antwortete Tai ehrlich und wandte sich zu ihr um.

Mimi schüttelte verständnislos den Kopf. „Du weißt aber, dass ich ihn trotzdem mag, oder?“

Warum musste sie das jetzt sagen?

Tai nickte verständnisvoll und ging auf sie zu.

„Ja, das weiß ich“, entgegnete er und legte eine Hand an ihre Wange. „Aber ich denke, mich magst du mehr.“

Mimi schmunzelte und wollte gerade etwas antworten, als Alison plötzlich hinter ihr auftauchte und ihr um den Hals fiel.

„Na, ihr Täubchen. Ich hab euch vermisst!“

„Übertreib nicht“, entgegnete Mimi spitz und rollte mit den Augen.

„Wieso übertreiben? Ihr kommt zusammen zur Uni, was ja wohl heißt...“

„Psssscht!“, zischte Mimi und hielt den Zeigefinger an die Lippen, um Alison zum Schweigen zu bringen. „Muss ja nicht gleich der ganze Campus erfahren, dass Tai bei mir übernachtet hat.“

„Ach, komm schon, Darling. Stell dich nicht so an“, meinte Tai grinsend und legte Mimi beruhigend eine Hand auf die Schulter. Diese verdrehte nur die Augen, doch Alison prustete los.

„Sie hat dich gezwungen Breakfast at Tiffany’s mit ihr zu gucken, stimmt’s?“

Tai nickte lachend.

„Gott, ich kann diesen verdammten Film auswendig. Dabei will ich das gar nicht!“, beschwerte sich Alison theatralisch und warf die Arme in die Luft, während sie einfach weiterging. Die beiden folgten ihr und ausgerechnet heute hatten sie alle die erste Vorlesung zusammen. Tai blieb kurz stehen, als er sah, wer noch in der Vorlesung saß und auf wen Mimi zielstrebig zuging. Kyle.

„War ja klar, dass der auch hier ist“, stöhnte er genervt auf, während Mimi sich direkt neben ihn setzte.

Plötzlich wurde Tai angerempelt und zwar so stark, dass er beinahe das Gleichgewicht verloren hätte.

„Man, pass doch auf!“, meckerte er den Unbekannten an und bemerkte, dass es eigentlich gar kein Unbekannter war.

Scott grinste ihm überlegen ins Gesicht.

„Tut mir leid. Hat’s wehgetan?“

Tai biss die Zähne aufeinander, um jetzt nichts zu sagen. Am liebsten hätte er ihm sein selbstgefälliges Grinsen aus dem Gesicht gewischt. Aber er wollte hier an der Uni jetzt keinen Streit provozieren. Scott ging weiter und setzte sich in eine der vordersten Reihen.

Alison nahm den Platz neben Mimi und damit es nicht zu auffällig war, setzte Tai sich in die Reihe dahinter. Er beobachtete Mimi dabei, wie sie ihre Sachen auspackte und versuchte, Kyle nicht anzusehen.

Er sah, wie sie kurz miteinander sprachen. Zuerst hatte er sie freudig begrüßt und angelächelt, doch dann sah er, wie sein Lächeln langsam erstarb, als Mimi ihm eröffnete, dass sie später mit ihm reden musste. Er nickte nur und warf Tai einen unmissverständlichen Blick zu. Er konnte förmlich spüren, wie sehr Kyle ihm jetzt am liebsten an die Gurgel gegangen wäre. Sicher hatte Mimi noch nichts Genaueres zu ihm gesagt, doch Kyle war kein Idiot. Mit großer Wahrscheinlichkeit konnte er sich denken, dass Tai an der ganzen Sache nicht unschuldig war. So selbstsicher, wie er neulich bei der Party vor ihm stand und ihm gedroht hatte, war er plötzlich nicht mehr. Kyle spürte, dass Mimi nicht länger sein Besitz war und das wurmte ihn. Dafür hasste er Tai, da war er sich hundertprozentig sicher.

Die Vorlesung begann und er versuchte sich auf den Inhalt zu konzentrieren und fleißig mitzuschreiben, doch es wollte ihm nicht so recht gelingen. Immer wieder warf Kyle verstohlene Blicke nach hinten und sah ständig auf seine Uhr, was Tai nicht unbemerkt blieb.

Keine zehn Minuten später ging plötzlich die Tür zum Hörsaal auf und alle drehten sich erschrocken um.

„Polizei. Drogenfahndung.“

Alle sahen sich überrascht an. Drogenfahndung? Was hatten die hier zu suchen?

„Tut uns leid, dass wir Ihre Vorlesung stören, aber wir haben einen Hinweis bekommen, dass sich in diesem Hörsaal einige Studenten befinden, die in Besitz von illegalen Drogen sind. Daher möchten wir Sie alle bitten, Ihre Taschen zur Kontrolle zur Verfügung zu stellen. Bitte legen Sie alles aus der Hand und stehen Sie auf, damit wir unsere Arbeit machen können. Danach geht es sofort mit Ihrer Vorlesung weiter.“

Einen Hinweis? Von wem sollten sie einen Hinweis bekommen haben, dass sich ausgerechnet hier Drogen befinden? Dieser sogenannte Hinweis erschien dann doch zu präzise, um ihn ernst nehmen zu können.

Tai sah fragend zu Alison, die erst ihm und dann ihrem Bruder einen merkwürdigen Blick zuwarf. Vielleicht war er ja in Besitz von Drogen. Das konnte Tai sich gut bei ihm vorstellen. Kyle war alles zuzutrauen.

Doch nach seinem entspannten Gesichtsausdruck zu urteilen, war dies nicht der Fall. Müsste er nicht nervös sein, wenn er Drogen bei sich hätte?

Die Polizisten teilten sich auf und fingen an, sämtliche Taschen und Rucksäcke zu kontrollieren. Inzwischen waren sie in der Reihe hinter Tai angekommen. Bis jetzt schien ihre Suche jedoch erfolglos zu sein.

„Ich glaube, da hat sich jemand einen schlechten Scherz erlaubt“, meinte Mimi plötzlich und verschränkte genervt die Arme vor der Brust.

„Wer weiß“, entgegnete Kyle und zuckte mit den Schultern.

Irgendetwas war komisch. Irgendetwas stimmte hier nicht.

„Entschuldigung? Ihre Tasche bitte“, sagte ein Beamter, der nun vor Tai stand und auf seine Tasche zeigte.

„Ja, natürlich“, entgegnete Tai und reichte sie ihm, damit er sie untersuchen konnte. Wenn das wirklich ein Scherz war, dann war das ein ganz schlechter. Er warf einen Blick zu Mimi, die plötzlich die Arme sinken ließ und ungläubig an ihm vorbei sah.

„Was…?“ Tai sah zu dem Beamten, der eben eine kleine Tüte aus seiner Tasche gezogen hatte, worin sich zweifellos ein weißes Pulver befand. Und was zweifellos aus seiner Tasche stammte. Tais Augen weiteten sich.

Drogen? Bei ihm? Das konnte nicht sein!

„Ich habe hier etwas“, verkündete der Polizist seinen Kollegen, woraufhin gleich zwei weitere Beamte auf Tai zukamen. Ehe er sich versah, wurden ihm die Hände auf den Rücken gedrückt und Handschellen angelegt.

„Was… was soll das?“, fragte Tai entsetzte, während er versuchte zu begreifen, was hier geschah.

„Hey, was machen Sie da? Lassen Sie ihn los!“, protestierte nun auch Mimi und sah die Polizisten wütend an.

„Tut uns leid, aber wir müssen ihn mitnehmen. Wir haben illegales Rauschgift bei ihm gefunden und haben die Pflicht, der Sache nachzugehen.“

Tai versuchte sich noch einmal zu wehren, doch es half nichts. Sie hatten ihn fest im Griff und er wusste, je mehr er sich jetzt zur Wehr setzen würde, umso mehr würde das ihren Verdacht verhärten, dass er schuldig war.

„Okay, ich komme mit“, sagte er schließlich einsichtig, woraufhin Mimi zusammenzuckte.

„Aber… du hast doch nicht…“, stammelte sie fassungslos, doch Tai konnte nichts mehr sagen. Alles, was er jetzt sagte, konnte ihm positiv oder negativ ausgelegt werden. Also war es besser, vorerst den Mund zu halten. Er ließ sich von den Beamten abführen, jedoch nicht, ohne Kyle einen bösen Blick zuzuwerfen. Es war nicht auszuschließen, dass er etwas mit der Sache zu tun hatte. Doch dieser wirkte äußerst gefasst und griff stattdessen nur nach Mimis Hand, um sie zu drücken. Was Tai nur noch wütender machte. Sein Blick fiel auf die unteren Reihen, auf die anderen Studenten, die ihn alle entsetzt ansahen und anfingen zu tuscheln. Ein fieses Grinsen.

Scott.

Tai presste die Lippen aufeinander.

Scott!
 

***
 

„Sie haben genau einen Anruf frei. Ich würde Ihnen empfehlen, Ihren Anwalt anzurufen“, riet ihm ein Polizist, als er Tai die Handschellen auf dem Revier abnahm und ihm ein Telefon rüberschob. „Bis der hier ist, müssen Sie allerdings erst mal in Untersuchungshaft bleiben.“

„Ja ja, schon klar“, entgegnete Tai gereizt und rieb sich seine schmerzenden Handgelenke. Er nahm den Hörer ab und überlegte. Wen sollte er anrufen? Er hatte doch gar keinen Anwalt. Jedenfalls nicht hier in New York.

Izzy.

Er wählte Izzys Nummer. Es tutete.

„Komm schon, Izzy! Heb ab!“

Es tutete. Dann wurde er weggedrückt.

„Oh, was? Dein Ernst, Izzy?“, fluchte er und knallte den Hörer hin. Verdammt! Warum ging Izzy nicht ran?

„Mein Anwalt geht nicht ran. Kann ich jemand anderen anrufen?“, fragte Tai, woraufhin der Polizist die Stirn runzelte.

„Na ja, eigentlich nicht. Aber sie sind kein amerikanischer Staatsbürger, also… bitte. Versuchen Sie es woanders. Aber das ist der Letzte.“

Okay. Noch ein Anruf. Wen sollte er anrufen? Wen? Wer konnte ihm jetzt helfen, aus dieser Nummer wieder rauszukommen? Leider fiel ihm nur eine Person ein und selbst bei dieser war Tai sich nicht sicher, ob sie überhaupt etwas ausrichten konnte. Aber welche Möglichkeiten hatte er schon?

Kurzentschlossen wählte er seine Nummer und hoffte inständig, dass er abhob.

Es tutete.

Dann…

„Hallo?“

„Matt!“, entfuhr es ihm erleichtert.

„Tai? Was ist passiert? Von welcher Nummer rufst du an?“

„Matt, du musst mir helfen“, sagte Tai seufzend.

„Kannst du deinen Flug nach New York vorverlegen? Ich stecke hier echt in der Klemme…“

Falsche Freunde

Tage vergingen, in denen einfach nichts geschah. Tai saß weiterhin in Untersuchungshaft. Da er keinen weiteren Anruf frei hatte, hatte er keine Möglichkeit, Izzy oder irgendjemand anderen zu informieren. Er konnte nur hoffen, dass Mimi so geistesgegenwertig war und Izzy Bescheid gab. Und, dass Matt bald eintreffen würde. Allerdings wusste er nicht, was zurzeit in Mimi vorging und ob sie nach der Nummer überhaupt noch etwas mit ihm zu tun haben wollte. Sie hatte sich nicht gemeldet. Seit vier Tagen saß er nun schon in Untersuchungshaft und sie hatte sich noch nicht bei ihm gemeldet. Und sie kam auch nicht vorbei. Er konnte es ihr nicht verdenken. Er würde wahrscheinlich auch nicht das Beste von sich halten, wenn er sich mit Drogen in der Uni erwischt hätte und alles den Anschein erweckte, dass sie ihm gehörten. Tai dachte an Scott und an dieses fiese Grinsen, welches ihn immer wieder wütend machte. Wahrscheinlich wäre es in Zukunft besser gewesen, diesen Typen zu meiden. Aber da er weiterhin versuchen wollte, Mimi zurück zu gewinnen, war das wohl kaum möglich. Tai war ihm und Kyle ein Dorn im Auge, so viel stand nun fest. Doch seine Chancen, Mimi zurückzugewinnen, sahen ohnehin nicht sonderlich gut aus.

Verzweifelt stützte er den Kopf in die Hände. Was sollte er nur tun? Sicher würden sie ihn abschieben und dann wäre er kläglich gescheitert und sein Studium konnte er wahrscheinlich obendrein auch noch vergessen.

In diesem Moment ging die Tür zu seinem Zimmer auf und ein Polizist kam rein.

„Taichi Yagami? Sie haben Besuch.“

Überrascht sah Tai auf und sein Herz machte einen Sprung. Ob das Mimi war? Er folgte dem Beamten in ein Zimmer, wo nichts weiter stand, außer ein Tisch und zwei Stühle. Ganz wie im Film. Er kam sich vor wie ein Schwerverbrecher.

„Zehn Minuten“, verkündete der Polizist und öffnete die Tür, um Tais Besuch rein zu lassen und selbst raus zu gehen. Unerwarteter Weise war es Izzy, der durch die Tür trat.

„Izzy?“, fragte Tai ungläubig, als dieser am Tisch ihm gegenüber Platz nahm.

„Wo zum Teufel hast du gesteckt? Ich hab versucht dich anzurufen!“

„Tut mir leid, ich war ein paar Tage nicht in der Stadt. Mein Boss… ich meine, Kyle, hat mich auf eine Tagung in Philadelphia geschickt. Ich war so beschäftigt, dass ich keine Gelegenheit hatte, Anrufe zu beantworten. Auch Mimi hat ein paar Mal versucht mich zu erreichen.“

Tai fiel es wie Schuppen von den Augen. Wütend ballte er die Hände zu Fäusten. „Dieser verdammte Kyle!“

„Tai, was hat er damit zu tun?“, wollte Izzy eilig wissen und sah ihn fragend an. „Ich verstehe das nicht. Als ich gestern nach Hause kam und Matt mich anrief, bin ich aus allen Wolken gefallen.“

„Er hat das alles geplant. Kyle, meine ich. Dieses Arschloch. Er will mich aus dem Weg räumen.“

„Gehst du da nicht etwas zu weit?“, gab Izzy skeptisch zu bedenken. „Ich weiß, er ist ein mieser Typ, aber… ich bin mir nicht sicher, ob er tatsächlich so weit gehen und dir was unterschieben würde.“

„Meinst du, ich habe mir die Drogen selbst untergejubelt?“, entgegnete Tai böse.

„Nein, das sage ich ja gar nicht. Aber es hätte jeder sein können, Tai.“

„Doch nur einer hatte ein Motiv.“

Wieso wollte Izzy nicht die Wahrheit sehen? Tai war eine Bedrohung für Kyle. Also musste er aus den Weg geschafft werden. Davon war Tai überzeugt.

„Na, wie auch immer. Jetzt ist erst mal wichtig, deine Unschuld zu beweisen. Pass auf!“, sagte Izzy verschwörerisch und lehnte sich über den Tisch. „Ich werde so schnell wie möglich einen Anwalt für dich auftreiben. Vielleicht haben sie ja gar nichts genaueres gegen dich in der Hand. Haben sie Fingerabdrücke auf der Tüte gefunden? Sie haben sicher einen Drogentest gemacht…“

„Haben sie, aber da dürften sie nichts finden. Was die Fingerabdrücke angeht... Ich habe keine Ahnung. Sie sagen mir nichts“, gestand Tai frustriert. Er wusste, er hatte die Drogen nicht angefasst. Aber sie waren in seiner Tasche, also war es nicht unwahrscheinlich, dass er sie beim rausholen seiner Schulbücher mit den Fingern berührt hatte.

„Okay, vielleicht lassen sie die Anklage gegen dich auch fallen, wenn sie nichts weiter finden, aber… Wir sollten besser auf alles vorbereitet sein. Matt wartet vor der Tür. Er ist heute Nachmittag hier gelandet.“

Tai sah ihn erstaunt an. Matt hatte es tatsächlich geschafft, herzukommen? Ein kleines Fünkchen Hoffnung machte sich in ihm breit. Er konnte Izzy definitiv dabei helfen, ihn aus diesem Loch zu holen. Izzy stand auf und ging zur Tür. „Ich hole jetzt Matt. Und Tai? Bete dafür, dass du nicht morgen im nächsten Flieger nach Hause sitzt.“

Izzy verließ den Raum und ließ Tai allein, mit seinen kläglichen Gedanken darüber, wie das Ganze nur enden mochte. Er hatte absolut keine Ahnung, wie er aus dieser Nummer wieder rauskommen sollte. Kyle hatte wirklich ganze Arbeit geleistet. Wahrscheinlich half jetzt wirklich nur noch beten.

Die Tür ging erneut auf und Matt kam herein. Als Tai ihn sah, machte sich Erleichterung in ihn breit. Allein sein Gesicht zu sehen, machte die ganze Sache schon etwas erträglicher.

„Ich bin so froh, dass du kommen konntest“, sagte Tai, als Matt sich ihm gegenübersetzte.

„Ich hatte mir unser Wiedersehen zwar anders vorgestellt, aber… ich konnte dich ja nicht im Stich lassen. Also, was ist passiert?“

Tai schnaufte. „Das weißt du doch schon.“

„Ja, aber ich will es aus deinem Mund hören und zwar von Angesicht zu Angesicht“, sagte Matt entschlossen und faltete die Hände auf dem Tisch.

„Denkst du, ich lüge?“, hakte Tai irritiert nach, da er Matts Gesichtsausdruck nicht richtig zu deuten wusste.

„Du weißt, du kannst ehrlich zu mir sein.“

Tai biss sich schmerzlich auf die Unterlippe. Er wusste genau, woran sein bester Freund gerade dachte.

Matt seufzte schwer. „Drogen, Tai? Dein Ernst?“

Tai sah seinen Freund fassungslos an.

„Ich war das nicht, Matt!“, schrie er ihn fast schon an, als ein Polizist den Kopf durch die Tür steckte. „Alles in Ordnung hier?“

„Ja, keine Probleme, Officer“, antwortete Matt und der Mann verließ den Raum wieder.

„Tut mir leid, aber ich musste dich das fragen“, sagte Matt und sah Tai entschuldigend an.

„Schon klar“, erwiderte Tai leise und sah beschämt zur Seite. „Ich hab das hinter mir gelassen und das weißt du.“

„Ich weiß. Umso schlimmer, dass jemand versucht hat, dir Drogen unterzujubeln. Was meinst du, wer es war?“

Tai zog eine Augenbraue nach oben und warf Matt einen bedeutungsvollen Blick zu.

„Dieser Kyle? Mimis Freund? Im Ernst?“, fragte Matt ungläubig.

„Sozusagen. Oder besser gesagt, es war sein Handlanger, Scott.“

„Von dem hast du mir noch gar nichts erzählt. Wer ist das?“

„Er erledigt die Drecksarbeit für Kyle, denke ich. Ich habe ihn bis jetzt nicht wirklich als Bedrohung wahrgenommen. Sie mich dafür umso mehr, wie’s aussieht“, erklärte Tai und fuhr sich gestresst durch die Haare.

„Meinst du, das ist wegen Mimi?“, fragte Matt nachdenklich.

Tai nickte. „Eine andere Erklärung gibt es nicht. Wir sind uns wieder etwas nähergekommen. Mimi wollte sich sogar von Kyle trennen. Ich denke, er hat in den letzten Wochen mehr mitbekommen, als ich geglaubt habe. Man, wie dumm war ich eigentlich? Wieso war ich nicht vorsichtiger?“

Wütend schlug Tai mit der Faust auf den Tisch, ehe er Matt verzweifelt ansah.

„Was soll ich denn jetzt nur tun?“

„Erst mal holen wir dich hier raus. Keine Ahnung, ob das klappt, aber Izzy wird dir einen Anwalt besorgen. Und dann sehen wir weiter. Wenn du hier rauskommen solltest, ist es vielleicht besser, wenn du dich vorerst von Mimi fernhältst. Vielleicht solltest du sogar einfach wieder mit nach Hause kommen.“

Tai sah ihn fassungslos an. „Was? Ist das dein Ernst? Ich bin doch nicht so weit geflogen, um mich dann von ihr fernzuhalten.“

„Du bist auch nicht so weit geflogen, um dann im Knast zu landen, Tai“, entgegnete Matt entschlossen und stand auf. „Ich komme morgen wieder. Vielleicht haben wir ja bis dahin schon etwas erreicht.“

Tai nickte und Matt verließ den Raum. Er hoffte inständig, dass seine Freunde es schaffen würden, ihn hier rauszuholen. Wie es danach weitergehen sollte, wusste er selbst noch nicht. Doch eins wusste er: er würde sich definitiv nicht von Mimi fernhalten und Kyle so genau das geben, was er wollte. Und er würde ihn dafür büßen lassen, so viel stand fest!
 

***
 

Mimi saß im Warteraum des Polizeireviers und hatte die Hände in den Schoß gefaltet. Sie hoffte inständig, dass es Tai gut ging. Eben hatte sie sich mit Izzy darüber unterhalten, was sie tun konnten, um Tai zu helfen. Nie hatte sie gedacht, dass Tai wirklich schuldig war. Nicht eine Sekunde. Im Gegenteil. Seit seiner Verhaftung war sie verzweifelt. Sie konnte weder zu ihm, noch konnte sie irgendetwas für ihn tun. Da Matt und Izzy eingestimmt hatten, sich offiziell um Tais Angelegenheiten zu kümmern, wollten sie sie nicht zu ihm lassen. Außerdem war sie an dem Tag, als Tai im Hörsaal verhaftet wurde, dabei und hatte alles live miterlebt. Sie war quasi ungewollt zu einer Zeugin geworden und wollte Tai mit ihrer Anwesenheit nicht noch mehr in Schwierigkeiten bringen. Allerdings war sie am Abend zuvor mit ihm zusammen gewesen und auch am Morgen. Sie hatte überlegt, ob das Tai vielleicht ein Alibi verschaffen würde. Jederzeit würde sie für ihn aussagen, doch das allein bewies leider noch gar nichts. Er hätte die Drogen auch genauso gut einstecken können, als er von sich zu Hause seine Unisachen geholt und sie vor der Tür gewartet hatte. Am Ende würde sie sich nur selbst in Schwierigkeiten bringen und Tai wahrscheinlich mit ihrer Aussage nur noch mehr schaden, als helfen.

Verzweifelt stützte sie ihren Kopf in die Hände und war den Tränen nah. Was sollte sie nur tun? Sie wollte ihn nicht schon wieder verlieren. Nicht jetzt.

Als sich die Tür am anderen Ende des Raumes öffnete und wieder schloss, hob sie erwartungsvoll den Kopf. Matt kam heraus. Er steckte die Hände in die Hosentaschen und ging auf sie zu.

„Matt!“, rief Mimi und sprang auf, um ihm entgegen zu laufen.

„Du bist immer noch hier?“

„Natürlich! Wie geht es Tai? Was hat er gesagt? Hast du ihm meine Botschaft überbracht?“

Hoffnungsvoll sah sie ihm in die Augen, doch diese verrieten absolut nichts. Er schüttelte den Kopf.

„Nein, ich habe ihm deine Botschaft nicht überbracht. Er weiß nicht, dass du hier bist.“

Mimi sah den Musiker fassungslos an. „Was? Aber warum nicht?“

„Es ist besser, wenn du Tai in Ruhe lässt. Durch dich ist er hier nur in Schwierigkeiten“, sagte er kühl.

„Durch mich? Ich habe doch gar nichts gemacht“, wiedersprach Mimi, doch Matt blieb regungslos.

„Du vielleicht nicht. Aber dein ach so toller Freund. Kyle. Er hat Tai die Drogen untergejubelt.“

Mimis Augen weiteten sich. Woher wusste Matt von Kyle? Hatte Tai ihm das erzählt, dass Kyle ihm die Drogen untergeschoben hätte? Das konnte nicht sein! Wann hätte er das machen sollen? Mimi war doch zusammen mit Tai in den Hörsaal gekommen und Tai saß in der Reihe hinter ihr und Kyle. Wann also hätte er das machen sollen?

„Ich sehe, wie es in deinem Kopf arbeitet und du versuchst Gedanke, für Gedanke zusammenzufügen“, meinte Matt plötzlich, als sie ihn überrascht ansah. „Aber lass dir eins gesagt sein: wäre Tai dir nicht um die halbe Welt gefolgt, wäre das alles nicht passiert. Hättest du ihn damals nicht verlassen, wäre das alles nicht passiert. Also, es ist egal, ob du sagst, du hättest nichts damit zu tun. Indirekt bist du doch daran schuld, dass es ihm monatelang schlecht ging und dass er jetzt in diesem Loch sitzt und verzweifelt darüber nachdenkt, wie er trotz allem mit dir zusammen sein kann. Wenn du mich fragst: das war ein großer Fehler, ihn zu dir zu schicken.“

Völlig perplex über Matts Worte starrte sie ihn an. War das denn wirklich sein Ernst, was er da sagte? War sie wirklich an allem schuld, was Tai wiederfahren war?

„Das denkst du also? Dass ich an allem schuld wäre und dass Tai und ich nicht zusammen sein sollten? Ist es das, was du mir sagen willst?“

Wut kroch in ihr hoch und sie spürte, wie die Hitze in ihr Gesicht stieg. Wie konnte Matt es wagen, so über sie zu urteilen?

„Ja, das denke ich. Und das habe ich dir schon vor Monaten gesagt. Erinnerst du dich?“

Natürlich erinnerte sie sich. Wie hätte sie das nur vergessen können? Damals, als es ihr am schlechtesten ging und sie Tai gebraucht hätte, war es Matt, der ihr einen Riegel vorgeschoben und verhindert hatte, dass sie zu ihm Kontakt aufnahm.

„Mimi, ich habe Wochen und Monate mit angesehen, wie schlecht es Tai nach deiner Abreise ging. Wie sehr er gelitten hat. Was er alles getan hat. Du hast keine Ahnung! Um ehrlich zu sein, hatte ich gehofft, dass, wenn er nach New York reist und dich sucht, er endlich erkennt, dass du ihn nicht willst. Dass er sich endlich von dir lösen und wieder nach vorn blicken kann. Zumindest war das meine Hoffnung. Aber genau das Gegenteil ist der Fall. Er lebt weiter in der Vergangenheit. Ich war nie so gutgläubig, wie die anderen und habe an ein Happy End für euch geglaubt. Mal ehrlich, dafür ist einfach zu viel passiert. Dafür hat sich Tai zu sehr selbst geschadet.“

Matts Blick war eiskalt. So hatte sie ihn noch nie gesehen. Was war nur geschehen?

„Und… U-und Izzy? Warum ist er dann hier? Warum ist er mitgekommen?“

„Um ehrlich zu sein, war der Plan von Anfang an, dass Tai und Izzy sich dadurch endlich wieder versöhnen. Und dass er dich endlich vergessen kann. Wieso musstest du es ihm so schwermachen, Mimi?“

Mimis Augen füllten sich mit Tränen. Sie wusste, dass Matt nicht besonders gut auf sie zu sprechen war, das hatte er ihr vor Monaten am Telefon schon deutlich gemacht. Aber, dass er sie so hassen würde, dafür, was sie Tai angetan hatte, das wusste sie nicht. Seine Worte waren wie ein Stich in ihr Herz und es schmerzte so sehr, vor Augen geführt zu bekommen, was ihre Abreise damals wirklich bei Tai ausgelöst hatte. Matt hatte recht. Sie hatte wirklich keine Ahnung. Keine Ahnung, was Tai durchgemacht hatte oder wie sehr er unter der Trennung gelitten hatte. Aber Matt hatte auch keine Ahnung, was sie durchmachen musste, genauso wenig wie Tai oder sonst irgendwer. Sollten sie nicht allein deswegen eine zweite Chance verdient haben? Um den Schmerz der Vergangenheit wieder gut zu machen, den sie sich gegenseitig zugefügt hatten?

„Du kannst mich nicht von ihm fernhalten!“, meinte Mimi plötzlich verbissen und unter Tränen.

„Ich weiß“, sagte Matt tonlos und ging an ihr vorbei. „Er wird schon noch selbst erkennen, dass du nicht gut für ihn bist. Ihr habt euch wohl beide mit den falschen Leuten eingelassen, was?“

Und mit diesen Worten ließ er sie stehen, einfach so. Mimi schlug die Hände vors Gesicht und schluchzte drauf los. Sie wusste, dass das Zusammentreffen mit Matt nicht unbedingt versöhnlich sein würde, aber…, dass er sie so dazu brachte, an sich selbst und an Tai zu zweifeln, darauf war sie nicht vorbereitet. Sie hatte sich gerade mit dem Gedanken angefreundet, ihre alten Gefühle für Tai wieder zuzulassen. Sie hatte gerade damit angefangen, sich wieder gut zu fühlen. Seine Nähe tat ihr gut. Doch, vielleicht hatte Matt recht. Vielleicht konnte sie Tai mit dieser Nähe nur Schaden zufügen.

Sie wusste nicht, ob Kyle etwas mit dieser Sache zu tun hatte und sie wollte es auch nicht wissen. Sie wollte niemanden mehr sehen. Weder Kyle, noch Izzy, noch Matt und für Tai war es anscheinend wirklich besser, wenn sie sich von ihm fernhielt. Wenn es wirklich Kyle war, der ihm die Drogen untergeschoben hatte, dann hatte es eh keinen Zweck. Sie kannte Kyle und er würde nicht aufhören, bis er bekommen hatte, was er wollte. Er wollte Mimi und das wusste sie. Und wenn Tais kleines Rollenspiel aufflog und Kyle herausfand, dass er gar nicht der war, für den er sich ausgab, hatten sie ein ernstes Problem.
 

***
 

Matt ging aus dem Polizeirevier, drehte sich noch einmal um und seufzte, ehe er sich auf den Weg zu Izzys Apartment machte. Er hatte alle Hebel in Bewegung gesetzt, um so schnell wie möglich herzukommen und Tai zu helfen. Als er ihn vor kurzem hierhergeschickt hatte, hätte er nicht geahnt, dass Tai so in Schwierigkeiten geraten könnte. Insgeheim hatte er tatsächlich gehofft, dass Tai schnell einsehen würde, dass es ein Fehler war, Mimi nachzulaufen oder ihr hinterher zu trauern und dann bald wieder in einem Flieger zurück nach Japan saß. Manchmal musste man eben einen Schritt zurück machen, ehe man einen Schritt nach vorne machen konnte, so hatte Matt gedacht.

Noch nie hatte er seinen besten Freund so leiden sehen, wie in den letzten Monaten, nach Mimis Abreise. Es machte ihn fertig, ihn so zu sehen. Und er konnte und wollte nicht länger tatenlos danebenstehen, während Tai ganz langsam vor die Hunde ging.

Tai hatte es wirklich übertrieben gehabt und das nicht nur einmal. Matt konnte sich noch gut daran erinnern, wie er ihn manchmal Nacht für Nacht irgendwo eingesammelt und nach Hause gebracht hatte…
 

„Gott, Tai… was hast du nur wieder alles getrunken?“

Schwer atmend schleppte er ihn die Treppen zu seiner Wohnung hinauf. Tai war mal wieder die ganze Nacht weggewesen. Bis Matt einen Anruf von einem Bekannten erhielt, der ihm erzählte, in welchem Club Tai war und er meinte, dass Matt ihn besser abholen sollte. Matt fragte gar nicht erst danach, in welchem Zustand Tai sich befand oder ob er nicht einfach in ein Taxi steigen und selbst nach Hause fahren konnte. Er kannte dieses Spiel schon zur Genüge. Doch er war nun mal sein bester Freund. Was sollte er machen? Er konnte ihn nicht hängen lassen, also holte er ihn ab und brachte ihn nach Hause, wie immer.

„Mach wenigstens ein bisschen mit, Kollege. Du bist echt schwer!“, nörgelte Matt, wusste jedoch, dass es eh keinen Sinn hatte. Er lehnte Tai gegen die Wand und hoffte, er würde für zwei Sekunden selbst stehen können, während er die Tür aufschloss.

„Na, dann los. Komm schon. Bringen wir dich ins Bett“, sagte Matt und hievte Tai in die Wohnung. Er schlug die Tür mit seinem Fuß zu, und schleifte Tai durch den Flur in Richtung Schlafzimmer. Kurz öffnete der Braunhaarige die Augen.

„Warum bin ich zu Hause?“, fragte er schläfrig und sah sich desorientiert um.

„Weil du völlig zugedröhnt bist?“, entgegnete Matt keuchend und drängte ihn weiter ins Schlafzimmer.

Mit einem Ruck ließ er ihn aufs Bett fallen. Er band Tai die Schnürsenkel auf und zog seine Schuhe aus, während dieser schon wieder völlig weggedrehten zu sein schien.

Dann suchte er in seiner Jackentasche nach seinem Portemonnaie und Handy, um sicherzugehen, dass Tai es unterwegs nicht verloren hatte. Zum Glück war alles noch da. Er kramte sie Sachen heraus und legte sie auf den Nachttisch, als eine kleine Tüte aus Tais Tasche fiel.

Matt hob sie hoch und betrachtete sie. Sie war leer.

„Na, klasse“, seufzte er und deckte Tai zu. „Schlaf deinen Rausch aus, Kumpel.“

Er würde mal wieder auf seiner Couch nächtigen, um sicher zu sein, dass es Tai morgen früh auch aus dem Bett schaffte und nicht den ganzen Tag verschlief.

Gerade, als er die Tür hinter sich schließen wollte, klingelte Tais Handy. Natürlich bekam dieser nichts davon mit. Wahrscheinlich war es Kari, die sich mal wieder Sorgen um ihren Bruder machte. Matt seufzte, ging zurück zum Nachttisch und hob ab, ohne aufs Display zu achten.

„Kari? Hier ist Matt. Ich hab ihn…“

„Matt? Hier ist Mimi.“

Matt erstarrte. Mimi? Warum rief sie ihn an? Sie hatte sich monatelang nicht gemeldet und plötzlich rief sie ihn an? Mitten in der Nacht?

„Mimi, was willst du?“, kam es schneller über seine Lippen als beabsichtigt. „Ich habe keine Ahnung, wie spät es bei dir ist, aber hier ist es mitten in der Nacht und falls du Tai sprechen willst… der schläft.“

„Oh… Das… Das tut mir leid“, stotterte sie am anderen Ende. Ihre Stimme klang komisch. Fast so, als hätte sie geweint. Doch das war ihm eigentlich ziemlich egal. Matt schielte zu Tai hinüber, der gerade dabei war, seinen Rausch auszuschlafen. Mal wieder. Das durfte so einfach nicht weitergehen und wenn Mimi jetzt urplötzlich wieder in sein Leben treten würde, würde das alles nur noch schlimmer machen, da war er sich sicher. Was bildete sie sich ein, nach Monaten einfach hier anzurufen? Wenn Tai das mitbekommen hätte, würde er erneut in Verzweiflung versinken und sich wieder an allem die Schuld geben. Aber er hatte es ja nicht mitbekommen. Und das sollte auch so bleiben.

„Matt, kannst du Tai ausrichten, dass ich angerufen habe?“, schluchzte Mimi am anderen Ende der Leitung.

„Nein. Nein, kann ich nicht“, antwortete der Musiker zähneknirschend.

„Was?“

„Ganz ehrlich, Mimi, mir ist scheißegal, warum du gerade anrufst oder was du plötzlich wieder von ihm willst. Aber mir ist nicht egal, was das mit ihm macht. Er ist gerade dabei zu verarbeiten, dass du einfach so aus seinem Leben verschwunden bist. Also ruf hier nicht einfach an und tu so, als wäre das okay.“

„Matt, hör mir zu…“, setzte Mimi an, doch Matt ließ sie nicht zu Wort kommen. Es reichte ihm endgültig!

„Nein, DU hörst mir zu! Ruf hier nie wieder an! Lass Tai in Ruhe! Ein für alle Mal!“

Und damit legte er auf.

Hoffentlich war diese Botschaft angekommen. Auf keinen Fall würde er zulassen, dass sie seinen besten Freund noch mal so verletzen würde, wie sie es getan hatte.

Auge um Auge

Seit Tagen hatte er nichts von ihr gehört. Mimi hatte sich nicht mehr bei ihm gemeldet, seit ihr Ex Freund Tai aus dem Hörsaal abgeführt wurde. Was für eine Genugtuung ihn in Handschellen zu sehen. Kyle hoffte, dass er auf dem Polizeirevier verrottete, so sehr hasste er ihn. Er wusste genau, dass Tai und Mimi sich bereits wieder viel zu nah gekommen waren und es war an der Zeit, dem einen Riegel vorzuschieben. Tai war ihm ein Dorn im Auge – schon immer. Als Mimi nach New York zurückgekehrt war, um hier zu studieren, waren sie sich das erste Mal seit ihrer Schulzeit wieder auf dem Campus über den Weg gelaufen. Mimi war schon immer ein tolles Mädchen gewesen, das hatte er bereits gemerkt, als sie damals nach dem Abschlussball ihre erste gemeinsame Nacht miteinander verbracht hatten. Auch wenn sie sich damals noch kaum kannten. Doch auch als er sie wiedersah, war sie ihm sofort ins Auge gesprungen. Sie war hübsch, hatte Köpfen, war für jeden Spaß zu haben und war so unglaublich gutmütig. Sie sah das Leben mit anderen Augen als er. Er war fasziniert von ihr. Aber noch faszinierter war er von der Tatsache, dass Mimis Vater ebenfalls ein Unternehmen besaß, dessen gesellschaftlichen und industriellen Aufstieg er schon seit Jahren beobachtete. Mimi hegte zwar keinerlei Interesse für die Arbeit ihres Vaters, er hingegen aber schon. Wie traumhaft wäre es, die beiden Firmen zu fusionieren? Dann hätte er noch mehr Einfluss. Und mehr Einfluss bedeutet mehr Macht. Und diesen Weg zur Macht ebnete ihm Mimi. Mit ihr an seiner Seite war so vieles möglich, woran er vorher nicht mal zu denken gewagt hatte. Wie beeindruckt würde sein Vater nur von ihm sein, wenn er letztendlich nicht nur eine Firma, sondern gleich zwei leiten würde? Mimi würde sie irgendwann ein mal Erben und die Tatsache, dass sie selbst null Interesse daran hatte, kam ihm nur zu gute. Alles, was er tun musste, um an sein Ziel zu gelangen war, mit Mimi zusammenzubleiben.

Doch das stellte sich nun schwieriger raus als gedacht. Tai war plötzlich aufgetaucht und brachte diesen ganzen Plan ins wanken. Wenn sie ihn jetzt verlassen und zurück zu diesen Versager gehen sollte … dann wäre alles umsonst gewesen. Keine Mimi – keine Fusion.

Und das würde er nicht zulassen.

Entschlossen stand er vor ihrem Apartment und zögerte trotzdem nach oben zu ihr zu gehen. Eigentlich wollte sie mit ihm reden, hatte sie gesagt. Doch seit diesem Vorfall mit Tai waren nun mehrere Tage vergangen und er hatte sie weder gesehen, noch gesprochen.

Er überlegte, was er ihr sagen konnte, um sie wieder milde zu stimmen. Er war noch nie der Beziehungstyp gewesen. Um ehrlich zu sein, hatte er vor Mimi noch nie eine feste Freundin. Und das war auch gut so. „Frauen lenken dich nur von dem Wesentlichen ab“, hatte sein Vater immer gesagt und damit sollte er recht behalten. Wie viel Kraft hatte es ihn bereits gekostet, Mimi irgendwie zu halten? Sie nicht von heute auf morgen an so einen dahergelaufenen Typen aus Japan zu verlieren, der ihm nicht ansatzweise das Wasser reichen konnte?

So ein Idiot. Jedesmal, wenn Kyle an Tai dachte, loderte etwas in ihm auf. Erst hatte er gedacht, dieser Kerl würde sich leicht abschütteln lassen. Doch spätestens als er die beiden eng umschlungen in Mimis Bett gesehen hatte, wusste er, dass Tai eine ernstzunehmende Bedrohung war. Er musste verschwinden. Und das so schnell wie möglich.

Er nahm den Schlüssel zu ihrem Apartment aus der Hosentasche, den sie ihm gegeben hatte und schloss auf. Dann ging er zum Fahrstuhl und betätigte den Knopf. Die Bagel in seiner Hand waren noch warm, so wie Mimi sie mochte. Er kannte sie inzwischen ziemlich gut. Sogar die Seite an ihr, die Tai niemals kennenlernen würde.

Je weiter der Fahrstuhl nach oben fuhr, umso nervöser wurde er. Kyle war sich bewusst, dass Mimi ihn wahrscheinlich nicht sehen wollte und er war sich nicht sicher, ob ein mitgebrachtes Frühstück das ändern konnte.

Der Aufzug hielt im obersten Stockwerk des Hochhauses und Kyle stieg aus. Das Apartment wirkte leer. Vielleicht war sie gar nicht zu Hause.

Gerade, als er sich etwas genauer umsehen wollte, hörte er, wie jemand die Treppe runter kam.

Mimi hielt sofort in ihrer Bewegung inne, als sie ihn sah.

„Was machst du denn hier?“

Kyle legte ein gezwungenes Lächeln auf. „Hallo Schatz, es ist auch schön, dich zu sehen.“

Mimi verzog das Gesicht und wickelte den seidenen Morgenmantel, den sie trug noch etwas enger um ihren zierlichen Körper, während sie ihn finster anblickte. Sie hätte wirklich nicht begeisterter sein können.

„Jetzt zieh nicht so ein Gesicht“, forderte Kyle sie auf. „Ich habe dein Lieblingsfrühstück mitgebracht.“ Er hielt die Tüte mit den Bagels hoch wie eine weiße Fahne im Wind.

„Danke, keinen Hunger“, erwiderte Mimi jedoch nur knapp und ging die Treppen weiter hinab, um ins Wohnzimmer zu gehen und sich aufs Sofa zu setzen.

Kyle seufzte schwer. So, wie es aussah, hatte er ein ganzes Stück Arbeit vor sich.

Unaufgefordert ging er hinter ihr her und setzte sich neben sie.

„Falls du es nicht bemerkt hast, das war ein Friedensangebot“, sagte er so freundlich wie möglich, während Mimi ihn ignorierte und eine Zeitung aufschlug.

Okay, das reichte.

„Warum bist du eigentlich so sauer?“, hakte er nun haltlos nach. Dieses Getue von ihr ging ihm gehörig auf den Keks. „Ich habe doch gar nichts gemacht.“

Mimi wirbelte herum. „Du hast nichts gemacht?“, fuhr sie plötzlich aus der Haut. „Oh, dann hast du wohl auch Matt nicht diese Drogen untergejubelt, damit er verhaftet wird.“

Kyle biss die Zähne zusammen. „Wie kommst du denn auf so einen Blödsinn?“

„Ach, ich weiß nicht, Kyle. Vielleicht, weil du eifersüchtig auf ihn bist.“

Er lachte höhnisch auf und schmiss die Bagel vor ihr auf den Tisch. Eifersucht. Wenn das wenigstens alles wäre, was Tai in ihm auslöste. Natürlich war er auch eifersüchtig auf Tai gewesen, aber noch viel mehr hasste er ihn dafür, dass er ihm Mimi entriss.

Gestresst stand er auf und fuhr sich durch die Haare.

„Jetzt gib es doch endlich zu, dass du es warst“, bedrängte Mimi ihn weiter.

„Und dann?“, erwiderte er gereizt. „Willst du dann mich bei der Polizei anzeigen?“

„Verarsch mich nicht, Kyle“, schrie Mimi ihn wütend an und sprang vom Sofa auf.

„Nein, Mimi, verarsch du mich nicht“, entrüstete er sich. Die Gefühle drohten überzukochen. So hatte er sich das eigentlich nicht vorgestellt. Aber dieses Mädchen machte es ihm nicht gerade leicht.

„Denkst du, ich weiß nicht längst, wer er wirklich ist? Für wie blöd hältst du mich?“ Mimi verstummte. Wut kroch in ihm hoch und er ballte die Hände zu Fäusten.

Erschrocken sah Mimi ihn an.

„Du … du weißt es?“

Kyle nickte. „Sich als Matt auszugeben … ziemlich armselig, wenn du mich fragst.“

Er konnte sehen, wie Mimi schluckte. Dass er von Anfang an Bescheid wusste, damit hatte sie wohl nicht gerechnet. Mimi sagte nichts mehr.

„Was?“, meinte Kyle nur und quittierte ihren Blick mit einem wissenden Grinsen. „Hast du ernsthaft gedacht, ich habe nicht sofort gemerkt, wer er ist und was er hier sucht? Dann kennst du mich ziemlich schlecht.“

Offenbar war sie so geschockt von seiner Offenbarung, dass sie ihn nur wortlos ansehen konnte.

„Ja“, meinte sie irgendwann, nach einer gefühlten Ewigkeit. „Da hast du wohl recht. Ich kenne dich nicht.“

Fix und fertig ließ sie sich zurück aufs Sofa plumpsen, um ins Leere zu starren. Tränen traten ihr in die Augen.

Oh, man. Jetzt weinte sie auch noch? Das war zu viel.

„Hey, jetzt komm schon“, versuchte Kyle sie zu beschwichtigen. „Ich habe dir schließlich auch verziehen, dass er in deinem Bett geschlafen hat.“

Mimi warf einen Blick nach oben, während er sich neben sie setzte, um eine Hand auf ihre zu legen. „Vielleicht stimmt es, dass du mich noch nicht gut genug kennst. Aber ich kenne dich. Und zwar besser als es dieser Tai je tun wird.“

Er beugte sich nach vorn und flüsterte in ihr Ohr. „Ich kenne deine Dämonen, Mimi. Ich weiß, was dich nachts wach hält.“ Kyle spürte, wie Mimi unter seinen Worten erschauderte. „Und ich stehe hinter dir – immer und egal, was noch passiert. Wird Tai das auch tun, wenn er die ganze Wahrheit kennt?“
 

***
 

„Das war’s. Sie können gehen.“ Ein Polizist nahm Tai die Handschellen ab. Ganze fünf Tage hatte er in dieser Hölle hocken müssen und um ehrlich zu sein, hatte er sich schon längst in einem Flieger gen Heimat sitzen sehen.

Tai rieb sich die Handgelenke. Was für ein Gefühl. Er hatte es geschafft. Die Anklage wurde wegen Mangels an Beweisen fallen gelassen. Und das hatte er allein Izzy und Matt zu verdanken. Er drehte sich zu dem Mann um, dem es gelungen war, ihn aus dieser Sache rauszuboxen.“

„Nochmals, ich kann Ihnen gar nicht genug danken, Mr. Specter.“

Der Anwalt grinste und klopfte ihm auf die Schulter. „Danken Sie nicht mir, sondern Ihren Freunden, die meine Sekretärin so penetrant belästigt haben. Mein Terminkalender für diese Woche war eigentlich schon voll.“

„Verstehe“, lächelte Tai verwegen, während er sich von seinem Anwalt aus dem Polizeirevier führen ließ. Izzy und Matt hatten in kürzester Zeit wirklich alle Hebel in Bewegung gesetzt und ihm einen der besten Anwälte der Stadt verschafft. Ohne diesen Mann wäre Tai vermutlich noch in der Zelle versauert.

„Trotzdem, danke“, wiederholte er, woraufhin Mr. Specter nur die Schultern zuckte.

„War eigentlich keine große Nummer. Die Polizei hat zu ihrem Glück ganz schön geschlampt. Die hätten Sie gar nicht so lange festhalten dürfen, denn Sie hatten Ihnen nicht Mal das Recht auf Freilassung auf Kaution erklärt. Niemand muss wegen einer geringen Grammzahl Kokain eine ganze Woche in die Zelle. Außerdem würden Sie weder positiv auf Rauschgift getestet, noch haben Sie Ihre Fingerabdrücke auf dem Tütchen gefunden – was Ihre Aussage, jemand habe Ihnen die Drogen nur untergejubelt untermauert. Ich musste denen einfach nur mal gehörig auf die Füße treten und schon haben Sie die Anzeige fallen lassen. Keine Beweise, kein Verfahren. Wollen Sie eigentlich Anzeige erstatten?“

Tai blinzelte, als Sie den Ausgang des Reviers verließen und hinaus in die Sonne traten. Man, war das hell. Es kam ihm fast vor, als wäre er eine Ewigkeit nicht an der frischen Luft gewesen.

„Wie?“, hakte er nach, da er die Frage nicht so ganz verstand. Wen sollte er denn anzeigen, wenn er gar keine Beweise hatte.

„Sie könnten eine Anzeige gegen Unbekannt erstatten. Dann würde alles noch mal geprüft werden. Aber ich sage Ihnen jetzt schon, dass das wahrscheinlich nicht viel bringen wird.“

Tai schüttelte den Kopf. „Nein, ich werde keine Anzeige erstatten.“ Natürlich wusste er genau, dass Kyle und Scott dahintersteckten. Doch was sollte er tun? Die beiden würden es ohnehin niemals zugeben.

„Okay, mein Freund. Dann wünsche ich Ihnen noch alles Gute“, sagte Mr. Specter und schüttelte Tai zum Abschied die Hand.

„Danke, das wünsche ich Ihnen auch“, entgegnete Tai. Als der Anwalt sich an die Straße stellte, um ein Taxi zu ordern, rief Tai ihm jedoch noch mal hinterher. „Was ist mit der Rechnung?“

Der Anwalt drehte sich um und sah ihn fragend an.

„Wie hoch ist Ihr Honorar?“, ergänzte Tai.

„Keine Sorge, das hat bereits Ihr Freund Izzy übernommen“, sagte er, bevor er noch ein mal die Hand zum Abschied hob und in ein Taxi stieg, das vor ihm anhielt.
 

Als Tai in seinem und Izzys Apartment ankam, fiel ihm ein riesen Stein vom Herzen. Dieser Kyle hatte ihm ganz schön Ärger eingebrockt. Wahrscheinlich erwartete er jetzt, dass entweder die Polizei ihn abschob, oder er freiwillig zurück nach Japan ging.

Doch da hatte er die Rechnung ohne Tai gemacht. Dieser hatte während der letzten Tage nämlich genügend Zeit gehabt, um nachzudenken. Und wenn ihm eins klargeworden war, dann dass er Mimi nicht so schnell aufgeben würde. Im Gegenteil. Diese ganze Intrige hatte ihn nur noch mehr angestachelt, es Kyle so richtig heimzuzahlen. Als aller erstes musste er aber Mimi von diesem Drecksack wegholen. Unfassbar, dass sie nicht sah, was für ein Mensch er war.

„Hey“, meinte Tai tonlos, als er aus dem Fahrstuhl stieg und schlurfte zum Sofa.

Izzy, der gerade in der Küche stand und sich ein Sandwich machte, sah überrascht auf.

„Tai? Du bist draußen? So schnell?“

„Jaah“, gähnte der Braunhaarige und ließ sich auf die weichen Sofakissen fallen. „Der Anwalt hat ganze Arbeit geleistet. Danke noch mal dafür. Ohne ihn wäre es sicher nicht so schnell gegangen.“

Izzy schüttelte den Kopf. „Nicht dafür. Warum hast du nicht angerufen? Matt und ich hätten dich abgeholt.“

„Das war nicht nötig, es ging alles so schnell. Ich wollte einfach nur nach Hause. Wo ist Matt eigentlich?“

„Der hat in ein Hotel eingecheckt. Seine Band ist inzwischen angereist und sie bereiten sich auf ihre Gigs vor“, erklärte Izzy und stellte Tai das Sandwich vor die Nase, welches er sich soeben eigentlich selbst gönnen wollte. „Iss. Du hast es, glaube ich, nötiger als ich“, forderte er Tai auf, dem bereits das Wasser im Mund zusammenlief. Das ließ er sich nicht zwei Mal sagen. Genüsslich nahm er einen Bissen davon.

„Danke, dass du den Anwalt bezahlt hast. Der war doch sicher super teuer. Ich zahl es dir auf jeden Fall zurück, mit Zinsen“, nuschelte Tai, während er auf seinem Sandwich rum kaute. Wie konnte so etwas Einfache nur so fantastisch schmecken?

Izzy wank eilig ab. „Bitte, das musst du nicht. Das war das Einzige, was ich für dich tun konnte. Außerdem hat mein Auftraggeber mich bereits großzügig bezahlt. Was hätte ich sonst mit all dem Geld machen sollen?“ Izzy grinste und auch Tai musste lächeln. Ein warmes Gefühl mache sich in seiner Magengegend breit. Er fand es schön zu wissen, dass er sich doch immer noch auf Izzy verlassen konnte, wenn es drauf ankam. Nach allem, was zwischen ihnen passiert war, hatte sich wenigstens diese eine Sache nicht geändert.

„Hast du was von Mimi gehört?“, fragte er endlich und sein Blick wurde ernst.

Izzy schüttelte traurig den Kopf. „Leider nein. Nicht, nachdem sie mit auf dem Revier war.“

Tai sah ihn erstaunt an. „Wie? Sie war dort?“

„Ja, aber nur kurz. Sie ist gegangen, nachdem Matt auch da war.“

Sie war dort und hatte ihn nicht sehen wollen? Hatte ihm nicht ein mal eine Nachricht zukommen lassen? Was war nur los mit ihr? Konnte es sein, dass sie doch an seiner Unschuld gezweifelt hatte und nun nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte? Das konnte er sich nicht vorstellen. Tai kannte Mimi und Mimi kannte Tai. Und auch, wenn sie von seiner Vergangenheit nichts wusste, was er alles angestellt hatte, nachdem sie gegangen war, so musste sie doch wissen, dass er nichts damit zu tun hatte. Er würde doch nicht um die halbe Welt fliegen, nur um dann mit so einer unüberlegten Tat alles kaputt zu machen.

„Okay“, sagte Tai, schluckte den letzten Bissen von dem Sandwich hinunter und stand auf. „Ich muss zu ihr. Danke, für das Essen. Ich gehe erst mal duschen und dann bin ich weg. Warte nicht auf mich.“

„Willst du dich nicht erst mal etwas ausruhen?“, hakte Izzy besorgt nach.

„Ich habe mich fast eine ganze Woche lang ausgeruht“, antwortete Tai nur und war schon auf dem Weg nach oben in sein Zimmer. Außerdem hatte er dafür keine Zeit. Jede Minute, die verstrich, war eine Minute, in der Kyle sie weiter bearbeiten konnte. Ihr Dinge einreden konnte, die nicht wahr waren. Er musste so schnell wie möglich zu ihr und selbst mit ihr sprechen.
 

***
 

„Ich denke nicht, dass er dich verstehen wird. Nicht so, wie ich dich verstehe.“ Kyle legte beide Hände an Mimis Wangen und drehte ihr Gesicht zu sich, damit sie ihn ansehen musste. Sie wusste haargenau, worauf er hinaus wollte.

„Du willst es doch noch, oder?“, fragte er sie und sah sie eindringlich an. Beim Gedanken daran, verkrampfte sich Mimis Herz.

„Ich bin mir nicht mehr sicher“, gestand sie ihm und ließ den Blick sinken, als er sie losließ.

„Warum nicht? Ich dachte, wir hatten einen Plan“, sagte Kyle. Mimi stand auf und schloss ihre Arme um ihren Körper, fast so, als müsste sie sich selbst festhalten, damit sie nicht jeden Moment durchdrehte. Immer, wenn sie mit der Vergangenheit konfrontiert wurde, damit, was vor sechs Monaten geschah, hatte sie das Gefühl sich zu verlieren.

„Ich weiß nicht mehr, ob es das Richtige ist. Ich weiß gar nichts mehr.“

Gestresst fuhr sie sich durch ihr offenes Haar, als Kyle hinter sie trat. Er schloss die Arme um sie und legte sein Kinn auf ihre Schulter.

„Mir ist es egal, wofür du dich entscheidest. Wenn du Gerechtigkeit willst, für das, was dir genommen wurde, dann bekommst du sie.“

Allein bei dem Gedanken daran, fing ihr Puls an zu rasen.

Gerechtigkeit.

Ja, insgeheim sehnte sie sich nach Gerechtigkeit. Danach, dass dieser Kerl, der ihr Leben zerstört hatte, seine gerechte Strafe bekam. Diesen Drang verspürte sie schon lange, und doch weigerte sie sich, ihm nachzugeben. Sie dachte daran, was Tai wohl von ihr hielt, wenn er es wüsste …

„Denk nicht mal daran. Er wird es nicht verstehen“, flüsterte Kyle, als hätte er ihre Gedanken lesen können. „Tai ist nicht wie ich, Mimi. Er würde nie über Leichen gehen, um das zu beschützen, was seins ist.“

„Ach, und du schon?“, fragte sie leise, während sich genau in diesem Augenblick die Türen des Fahrstuhls öffneten.

Mimis Augen weiteten sich, als sie sah, dass Tai aus dem Aufzug trat. Auf der einen Seite freut sie sich, zu sehen, dass er offenbar nicht mehr in Untersuchungshaft saß. Und auf der Anderen fragte sie sich, was um alles in der Welt er hier wollte. Sie hatte sich bewusst nicht mehr bei ihm gemeldet, weil Matt ihr unmissverständlich zu verstehen gegeben hatte, dass sie an Tais Lage schuld war. Und er hatte recht. Wenn sie nicht gewesen wäre, dann …

„Was machst du denn hier?“, fragte Kyle ziemlich unhöflich und Tais Blick verfinsterte sich augenblicklich, als er feststellte, in welcher Position sich die beiden gerade befanden. Kyle hatte Mimi immer noch fest umschlungen, löste sich jedoch just von ihr und ging auf Tai zu.

„Ich dachte, du versauerst noch bei Wasser und Brot, Matt. Oder ist es dir lieber, dass ich dich endlich bei deinem richtigen Namen nenne?“

Tais Mundwinkel zuckten. „Du weißt es also.“

Kyle ging auf Tai zu und zeigte mit dem Finger auf seine Brust. „Hast du ernsthaft gedacht, du kannst hier einfach auftauchen und Mimi für dich gewinnen? Das ist der größte Witz des Jahres. Wie armselig.“

Tai presste die Zähne aufeinander und schubste Kyle von sich. „Und du meinst, du kannst sie an dich binden, wenn du mir Drogen unterjubelst? Wer ist hier armselig, huh?“

„Du checkst es nicht, oder?“, lachte Kyle auf. „Mimi hat dich schon lange abgeschrieben. Oder was meinst du, wer in den letzten Monaten für sie da war? Ich geb dir einen Tipp: du warst es nicht.“

Tai machte einen Schritt nach vorn und funkelte Kyle bedrohlich an. „Mit dieser Drogennummer bist du definitiv zu weit gegangen. Das wirst du noch bereuen, das verspreche ich dir! Und auch Mimi wird noch erkennen, was du für ein hinterlistiger, feiger …“

„Verdammt, das reicht!“, schrie Mimi plötzlich auf, woraufhin die beiden Männer sie erschrocken ansahen. Ihr Gesicht glühte vor Wut und Tränen glitzerten in ihren Augen.

„Habt ihr sie noch alle?“, tobte sie und sah abwechselnd von einem zum anderen. „Ihr redet über mich, als wäre ich gar nicht da. Als würde ich nicht direkt neben euch stehen und euch darüber streiten hören, wer mit mir zusammen sein darf.“

Sie kam sich so lächerlich vor. Wie der Preis eines Wettstreits, den jeder unbedingt haben wollte. Denn genau das war das hier gerade – nichts weiter als ein Wettstreit. Und beide verstanden im Moment nicht, wie sehr es ihre Gefühle verletzte. Sollte sie nicht diejenige sein, die entschied, mit wem sie zusammen sein wollte? Hatte sie überhaupt jemals ihre Sicht der Dinge geäußert? Nein, denn dazu hatte sie gar keine Gelegenheit gehabt. Jedes Mal, wenn die beiden aufeinander trafen, fochten sie. Trugen irgendeinen albernen Kampf aus und inzwischen hatte sie sogar den Eindruck, dass es noch nicht einmal nur mehr um sie alleine ging, sondern einfach darum, sich gegenseitig auszuspielen.

„Ihr benehmt euch, als müsstet ihr hier irgendein albernes Duell austragen. Aber wisst ihr was? Dazu habe ich keine Lust mehr.“

„Mimi, ich …“ Tais Blick wurde sanft und er wollte einen Schritt auf Mimi zumachen, doch diese hielt ihn zurück.

„Halt, nein“, stoppte sie ihn und sah dann zu Kyle. „Ich muss nur eins wissen. Hast du Tai die Drogen untergejubelt, ja oder nein?“

Kyles Augen verengten sich schlagartig zu Schlitzen. Eigentlich hatte sie sich geschworen, es nicht wissen zu wollen. Doch sie brauchte endlich Klarheit. Sie musste wissen, ob es stimmte, was Matt sagte. Wenn Kyle das wirklich gemacht hatte, dann gab es nur einen Grund dafür – und der war sie.

„Ja oder nein?“, wiederholte sie schroff.

Kyle ballte die Hände zu Fäusten. „Ja.“

Also doch. Sie hatte es die ganze Zeit über geahnt. Sie war an allem schuld. Sie war der Grund dafür, dass Tai verhaftet worden war. Für alles hier, war sie der Grund.

„Du kannst ehrlich sein?“, zischte Tai von der Seite. „Wusste ich gar nicht.“

„Ach, halt doch dein Maul“, giftete Kyle zurück. „Wenn du denkst, das war schon alles, dann hast du dich geschnitten. Das war lediglich eine kleine Warnung.“

Tai kochte förmlich vor Wut und wollte gerade etwas erwidern, als Mimi sich erneut an die beiden wandte.

„Ich möchte, dass ihr jetzt geht. Alle beide.“

Irritiert sahen sie sie an. Doch sie konnte einfach nicht mehr. Das alles war zu viel für sie. Sie wollte das nicht mehr. Weder wollte sie, dass Kyle mit unfairen Mitteln um sie kämpfte, noch wollte sie, dass Tai somit in die Schussbahn geriet. Sie wollte einfach nicht, dass überhaupt irgendwer um sie kämpfte. Und am allerwenigsten Tai. Der hatte schon genug durchmachen müssen, ihretwegen.

„Geht einfach! Euer Streit ist hiermit beendet. Ich will keinen von euch beiden“, schleuderte sie ihnen entgegen und versuchte dabei krampfhaft, nicht zu weinen.

Kyle grinste unsicher. „Babe … das meinst du doch nicht ernst?“

„Mimi, lass uns bitte darüber reden“, versuchte nun auch Tai beschwichtigend auf sie einzuwirken, aber das half nichts.

„Es wurde bereits genug gesagt“, erwiderte Mimi bitter und verschränkte die Arme vor der Brust.

Als Kyle und Tai unsichere Blicke wechselten und sich immer noch keiner von beiden von der Stelle rührte, wurde es ihr zu bunt. Dachten die zwei etwa, sie scherzte?

„Jetzt haut endlich ab! Ich will euch nicht mehr sehen!“, schrie sie ihnen entgegen. Das hatte gesessen. Beide wirkten, wie vor den Kopf gestoßen. Sie konnte an Tais Blick sehen, dass er sie nicht weiter bedrängen wollte. Und fürs Erste war es gut so. Sie brauchte dringend etwas Freiraum, um einen klaren Kopf zu bekommen. Tai wandte sich ab und ging zum Fahrstuhl. Kyle jedoch wollte sich nicht so einfach abwürgen lassen.

„Mimi, jetzt komm erst Mal runter. Du bist ja völlig durch den Wind“, sagte er zaghaft und legte ihr eine Hand an den Arm, die Mimi wegschlug.

„Fass mich jetzt nicht an. Ich hab echt genug von deinen Spielchen. Geh einfach.“

Kyles Blick versteinerte sich und sein Gesicht strahlte eine gewisse Härte aus, die sie vorher noch nie bei ihm gesehen hatte. Er würde sie nicht in Ruhe lassen, so viel stand fest. Nein, er wirkte geradezu verbissen.

„Hast du nicht gehört?“, rief Tai von hinten, der die Aufzugtüren mit einer Hand offen hielt, damit sie sich nicht schließen konnten. „Sie will dich nicht mehr sehen. Uns beide nicht. Also, steigst du jetzt freiwillig in diesen Fahrstuhl oder muss ich dich hier rein schleifen?“

Kyle ballte die Hände zu Fäusten und verkniff sich einen letzten Kommentar, während Mimi den Blick von ihm abwandte. Als auch er sich endlich umdrehte und ging, sah sie Tai dankbar an. Dieser verstand sofort und seine Mundwinkel zuckten zu einem kaum erkennbaren Grinsen.

Kyle stieg in den Aufzug und würdigte Tai keines Blickes mehr, als die Türen sich schlossen.

Mimi stieß erleichtert die Luft aus. Das alles erdrückte sie förmlich und wuchs ihr über den Kopf. Hätte sie doch von Anfang an mehr darum gekämpft, Tai zu überreden, nach Hause zu fliegen. Dann wäre das alles nicht passiert. Es wäre gar nicht erst soweit gekommen. Doch jetzt stand sie wieder allein da. Und das nur, weil sie mal wieder zu schwach war. Zu schwach, um das zu tun, was richtig gewesen wäre.

Sie ging die Treppen ihres Apartments hoch und stand vor dem ersten Zimmer des langen Flures. Kurz zögerte sie hineinzugehen, aber dann stieß sie doch die Tür auf und betrat den dunklen Raum. Die Vorhänge waren zugezogen und ließen keinen Sonnenstrahl hindurch. Sie ging geradewegs zum Fenster auf der anderen Seite und zog sie auseinander, damit Licht das Zimmer fluten konnte. Staub wirbelte auf und glitzerte in der Luft.

Es war ein Gästezimmer, daher befand sich nicht allzu viel darin. Ein Bett, ein Kleiderschrank und ein Sessel mit einem Beistelltischchen. Alles sah unbenutzt aus, wie immer. Mimi ging zum Bett und nahm einen braunen Teddybären in die Hand, der dort mutterseelenallein rum saß und der einst ihr gehört hatte. Später hätte sie ihn gerne mal an ihr Kind weitergegeben.

Sie klopfte sein Fell ab, was noch mehr Staub aufwühlte und trotzdem schloss sie ihn in die Arme und drückte ihn ganz fest an ihre Brust.

Dann fiel ihr Blick auf die Wand direkt gegenüber dem Bett. Sie war nahezu gänzlich bedeckt mit Fotos, die Mimi im Laufe der letzten Monate gesammelt hatte. Und alle zeigten nur eine bestimmte Person.

Einen jungen Mann, mit braunen Haaren, lediglich ein paar Jahre älter als sie.

Daryl Watkins.

Sie trat näher an die vielen Fotos heran, um sie eingehender zu betrachten.

Daryl beim Einkaufen.

Daryl beim Gassi gehen mit seinem Hund.

Daryl in einem Café.

Daryl, wie er gerade ein Fahrradschloss knackte.

Daryl vor seinem Haus.

Daryl beim Müll entsorgen.

So setzten sich sämtliche Szenen fort, Foto für Foto.

Während sich ihr Magen bei dem Anblick seines Gesichts umdrehte, prickelte es in ihrem Nacken. Dieser verdammte Mistkerl. Er hatte ihre ganze Zukunft zerstört und es scherte ihn einen feuchten Dreck. Vermutlich dachte er noch nicht ein mal mehr an sie und lebte einfach sein armseliges Leben weiter wie bisher.

Doch Mimi dachte an ihn. Jeden Tag. Jede Nacht. Sie dachte daran, was er getan hatte. Was er ihr genommen hatte.

Wut kroch in ihr hoch, während sich jede weitere Pore ihres Körpers mit Hass füllte. Ja, sie hasste Daryl dafür, was er ihr angetan hatte. Und dass er einfach so damit davongekommen war. Das war auch der Grund, weshalb sie zusammen mit Kyle einen Privatdetektiv engagiert hatte, um ihn zu beschatten.

Inzwischen wusste sie mehr über sein Leben, als es vermutlich seine Nachbarn taten. Daryl war ein Einzelkind, hatte mit dreizehn die Schule abgebrochen und seither war die Liste der kriminellen Straftaten endlos. Nichts Dramatisches. Überwiegend stahl er Autos und fuhr damit illegale Straßenrennen. Oder er vertickte geklaute Sachen an irgendwelche Leute. Natürlich geriet er so immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt, doch das hielt ihn nicht davon ab, weiterzumachen. Nach außen hin führte er sogar ein ganz bescheidenes Leben, wohnte alleine in einer kleinen Mietwohnung und lieferte nebenbei Pizza aus.

Er wirkte wie eine unbedeutende Person, die unbedeutende Dinge tat.

Doch das war nicht so. Das musste Mimi am eigenen Leib erfahren, als sie ungewollt ein Opfer seiner kriminellen Machenschaften wurde.

Mimi riss eines der Fotos von der Wand, auf dem Daryl gerade Pizza auslieferte und sein Gesicht unter einer roten Baseballkappe verbarg.

Sie biss sich so fest auf die Unterlippe, dass sie Blut auf ihrer Zunge schmeckte. Sie zerknüllte das Foto in ihrer Hand und ging zurück zum Bett, um sich im Schneidersitz darauf zu setzen. Den Bären immer noch fest umschlungen, starrte sie an die Wand gegenüber.

Es gab keine Worte dafür, was sie für diesen Mann empfand.

Sie wusste nur eines. Dass sie Gerechtigkeit wollte. Nur leider war sie sich inzwischen nicht mehr sicher, ob es der richtige Weg war, den Kyle und sie sich überlegt hatten. War das, was sie vorhatten wirklich gerecht?

Ein Leben für ein anderes?

Auge um Auge?

Verschleierte Wahrheit

Als Tai zu Hause ankam, wusste er nicht, wo ihm der Kopf stand. Es tat ihm weh, einfach zu gehen. Mimi hatte so verzweifelt gewirkt – was er ihr nicht verübeln konnte. Aber er musste ihr Freiraum geben und respektieren, dass sie Zeit brauchte. Er hatte sich aber auch ziemlich dämlich verhalten. Anstatt zu ihr zu gehen und mit ihr in Ruhe zu reden, legte er sich mit Kyle an und ging auch noch auf seine Provokationen ein. Kein Wunder, dass Mimi die Nase von beiden voll hatte. Wenn das so weiter ging, würde er sie nie zurück gewinnen. Endlich war er ihr so nah wie schon lange nicht mehr und doch schien es als würden sie sich immer weiter voneinander entfernen.

Er stieg aus dem Fahrstuhl und ging geradewegs zum Sofa, um sich darauf fallen zu lassen. Zunächst ein Mal musste er Mimi in Ruhe lassen, das war ihm klar. Und dann würde er versuchen, alles wieder gerade zu biegen. Auch wenn er noch keine Ahnung hatte, wie er das anstellen sollte …

Gestresst fuhr er sich durch’s Haar. Er fühlte sich müde.

In dem Moment kam Izzy aus seinem Zimmer und sah ihn fragend an.

„Oh, du bist schon zurück. Wie lief’s?“

Tai stöhnte und rieb sich die schweren Augen.

„Sorry, aber ich habe gerade keine Lust darüber zu reden. Kyle war da und … irgendwie hat er es geschafft, mich zu provozieren und … es lief alles aus dem Ruder.“

Izzy zog verdächtig eine Augenbraue in die Höhe.

„Aus dem Ruder? Du hast doch nichts Dummes gemacht, oder?“

Zweifelnd hob Tai den Kopf und sah den Rothaarigen an. Für was hielt er ihn, bitte? Ja, okay, in der Vergangenheit hatte er bereits ein Mal die Beherrschung verloren und es war Izzy, der dies zu spüren bekam, aber … auch er lernte aus seinen Fehlern.

„Nein, Izzy. Ich habe nichts Dummes gemacht“, antwortete er daher leicht gereizt.

Izzy nickte. „Gut, denn noch einen Gefängnisaufenthalt können wir wirklich nicht gebrauchen.“ Er ging in die Küche, um sich eine Cola aus dem Kühlschrank zu holen, während Tai ihn mit seinen Blicken verfolgte.

„Fall du es vergessen hast, war es nicht meine Schuld, dass ich dort gelandet bin und ich entschuldige die Unannehmlichkeiten, die ich euch bereitet habe.“

Mit einem Klick öffnete Izzy die Coladose und nahm einen Schluck davon, ehe er Tai entschuldigend ansah.

„Darum geht es doch gar nicht. Tut mir leid, das sollte nicht so rüberkommen. Ich will nur nicht, dass du dich erneut in Schwierigkeiten bringst.“

„Was soll das heißen – erneut? Worum geht es dann? Wenn du darauf anspielst, dass ich vor kurzem im Krankenhaus gelandet bin, dann kann ich nur sagen, dass ich darüber hinweg bin. Ich bin nicht so bescheuert und mache zwei Mal den gleichen Fehler.“

„Ja, ich weiß doch. Es ist nur …“ Izzy stoppte und biss sich auf die Unterlippe, als würde er sich selbst daran hindern wollen, weiterzusprechen. Er wich Tai’s Blick aus. Gerade als Tai ihn zur Rede stellen wollte, was zum Teufel los war, hörte er Schritte.

Er wandte den Blick in Richtung der Treppe, wo Matt herunterkam.

„Was machst du denn hier?“

Matt hatte einen Koffer in der Hand – seinen Koffer – den er, unten angekommen, vor die Treppe stellte.

„Hey“, sagte sein bester Freund ein wenig kleinlaut und versteckte die Hände in den Hosentaschen.

„Hey“, entgegnete Tai skeptisch und zeigte auf den Koffer. „Was hast du mit meinem Koffer vor?“

„Ich …“, setzte Matt an und wechselte einen bedeutungsschwangeren Blick mit Izzy. „Ich habe für dich gepackt. Wir fliegen zurück nach Tokyo.“

Tai fiel alles aus dem Gesicht.

„Was?“

„Ich … wir … also, Izzy und ich denken, es wäre das Beste, wenn du nach Hause fliegst.“

Tai war fassungslos und starrte seinen besten Freund an. Dann sah er zu Izzy, der wie ein kleiner Junge, der eine Dummheit gemacht hatte, an seiner Coladose rumfummelte, als wäre sie super spannend, nur, um ihn nicht ansehen zu müssen.

„Was zum Teufel …“, stammelte Tai verwirrt. „Habt ihr sie noch alle? Wieso sollte ich jetzt zurückfliegen?“

„Weil …“ Matt schluckte und kam schnellen Schrittes zu Tai rüber, um sich neben ihm zu setzen und ihn ernst anzusehen. „Weil es so das Beste ist. Du kannst nicht hierbleiben und dich weiter mit Kyle anlegen. Dass du jetzt gerade hier sitzt und nicht mehr in Untersuchungshaft, hast du Izzy zu verdanken und den Umständen, dass der Typ, der dir die Drogen untergejubelt hat, ziemlich geschlampt hat. Daher denken wir …“ Matt sah erneut zu Izzy, als müssten sie sich stillschweigend abstimmen. Ein kaum erkennbares Nicken kam von dem Rothaarigen.

„Wir denken, dass das, was passiert ist, lediglich eine Warnung war. Keiner von uns hat Lust rauszufinden, was dir passiert, wenn Kyle ernst macht.“

Tai saß mit offenem Mund da und brauchte ein paar Sekunden, um die Worte zu verdauen, die Matt ihm eben gesagt hatte. Dann schluckte er hart und ballte die Hand zur Faust.

„Denkst du, ich werd nicht mit ihm fertig?“

Matt seufzte und fuhr sich gestresst durch seine blonden Haare.

„Darum geht es nicht, Tai.“

Dieser zischte und stand auf, um beiden einen wütenden Blick zuzuwerfen.

„Schon klar, das hat Izzy eben auch schon gesagt. Was soll das? Was sollen diese ganzen Anspielungen? Redet endlich Klartext!“

Wieder tauschten die beiden Blicke, woraufhin Tai fast der Kragen platzte.

„Um was geht es hier?“, drängte er deutlich gereizt und sah beide so eindringlich an, als könnte er ihnen damit alles entlocken.

Matt stand auf und ging einen Schritt auf ihn zu. „Um nichts. Es geht um dich, nur um dich und dein Wohlergehen.“ Er streckte die Hände nach ihm aus, um ihn zu beruhigen, doch Tai wich zurück.

„Nein, das kauf ich euch nicht ab“, sagte er verbissen. „Erst schickt ihr mich hier her, um Mimi zurückzuerobern und beim ersten Problem, soll ich die Fliege machen? Einfach so? Nur wegen eines kleinen Würmchens, das den Dicken markiert? Das stinkt zum Himmel.“

Matt stöhnte nun deutlich genervt auf und wurde nun ebenfalls lauter. „Wieso kannst du uns nicht einfach vertrauen? Siehst du denn nicht, dass die ganze Situation hier aus dem Ruder läuft? Kyle hat dir Drogen untergeschoben, um dich loszuwerden. Wegen ihm hast du tagelang im Knast gesessen. Und das alles wegen eines Mädchens, das dich schon längst abgeschrieben hat. Warum kapierst du nicht, wie dumm und leichtsinnig es ist, hierzubleiben? Was meinst du, wird er als nächstes unternehmen, um dich loszuwerden?“

„Was denn? Was will er schon machen?“ Spott lag in Tais Blick. „Meinst du, er hetzt mir ein paar Schlägertypen auf den Hals?“, fragte er fast schon amüsiert. Wieso dachten sie, dass von Kyle eine derartige Bedrohung ausging? Klar, der Typ hatte anscheinend ernsthaft einen an der Waffel und seine absurden Besitzansprüche auf Mimi, waren mehr als übertrieben. Aber Tai hatte keine Angst vor ihm. Wie hieß es so schön? Hunde, die bellen, beißen nicht.

Matt und Izzy hingegen schienen die Situation jedoch gänzlich anders einzuschätzen, so wie sie sich ansahen.

Tai legte den Kopf schief. „Ist nicht wahr! Ihr … ihr denkt allen Ernstes, dieser Typ würde mir was antun?“

So wie Tai dies in den Raum warf, klang es total absurd, was seinen Freund nur noch wütender machte. Matts Blick wurde finster.

„Ich habe keine Lust, dich noch mal im Krankenhaus besuchen zu müssen.“

Tai sog scharf die Luft ein, ehe er sich abwand und die Arme vor der Brust verschränkte.

„Das ist doch lächerlich“, sagte er zu sich selbst und sah hinaus aus dem Fenster. Dicke Wolken zogen am Himmel auf und vertrieben jeglichen Sonnenschein aus der Stadt. Ein Wetter, was gerade super zu seiner Stimmung passte.

„Bitte, sei vernünftig“, ergriff nun endlich auch Izzy das Wort, doch Tai würdigte ihn keines Blickes. „Du hast eben selbst gesagt, dass es vorhin bei Mimi nicht gut lief. Ich hätte es euch beiden gegönnt, dass ihr wieder zusammenkommt, aber … ich denke, ihr habt euch bereits zu sehr voneinander entfernt und solange Kyle da noch mitmischt, wird es vermutlich auch so bleiben. Es wäre wirklich für alle das Beste, wenn du sie einfach gehen lässt und nach Hause zurück fliegst.“

Es hätte sich ein Loch auftun können und Tai wäre just in diesem Moment hineingesprungen. Warum nur?

Warum fielen ihm seine Freunde so in den Rücken?

Kapierten sie denn nicht, dass Tai nicht gehen konnte? Nicht jetzt! Mimi und er hatten sich vor dieser Drogengeschichte gerade erst wieder angenähert und nur, weil sie ihn im Moment nicht sehen wollte und Kyle keine Anstalten machte, kampflos aufzugeben, sollte er sich wie ein Kaninchen in seinen Bau zurückziehen?

„Ihr verlangt ziemlich viel von mir“, sagte er dunkel und stierte weiter aus dem Fenster.

„Das wissen wir“, seufzte Matt, ging auf ihn zu und legte ihm eine Hand auf die Schulter.

„Aber du musst uns vertrauen, bitte Tai.“

Beinahe hätte er aufgelacht. „Vertrauen?“, entgegnete er ruhig. „Ihr vertraut mir doch auch nicht.“

Er spürte förmlich die bohrenden Blicke in seinem Rücken. Warum dachten eigentlich alle, dass sie am besten wüssten, was gut für ihn war? Sicher hatte er sich in den letzten Monaten nicht mit Ruhm bekleckert, aber deshalb konnten sie nicht einfach über sein Schicksal bestimmen, wie es ihnen gerade passte.

„Also, was ist jetzt?“, drängte Matt ihn behutsam zu einer Antwort. „Kommst du mit nach Hause?“

Tai musste nicht lange überlegen. Der Gedanke an Mimi, wie verzweifelt sie vorhin gewirkt hatte, das allein reichte, um eine Entscheidung zu fällen.

„Nein“, antwortete er entschieden und wandte sich ab, um zu seinem Koffer zu gehen. Er hob ihn hoch und ging geradewegs zum Fahrstuhl.

„Ich komme nicht mit und ich werde hier ausziehen“, entschied er kurzentschlossen.

Izzy stand da wie vom Donner gerührt, während Matt ungläubig auflachte.

„Oh, komm schon, Tai“, meinte er und warf die Arme in die Luft. „Willst du jetzt wirklich so eine Show abziehen? Musst du unbedingt die Drama Queen spielen?“

Tai antwortete nicht und sah seinen Freund auch nicht mehr an. Es enttäuschte ihn zutiefst, dass sie ihm nicht mehr vertrauten. Dass sie nicht daran glaubten, dass er selbst am besten wisse, was zu tun ist.

„Wenn ihr glaubt, ihr könnt einfach so über mein Leben bestimmen, wie es euch gerade passt, dann …“

„Gott, das musste ja jetzt kommen …“, stöhnte Matt auf und rieb sich die Schläfen. „Sei nicht albern! Wir bestimmen nicht über dein Leben. Wir versuchen, dich zu beschützen.“

„Ja, schon klar“, gab Tai tonlos zurück und stieg in den Aufzug, als dieser ankam. Er kam sich vor wie ein kleines Kind, was von zu Hause weglief. Aber er hielt es keine Minute länger mit seinen sogenannten Freunden in diesem Apartment aus.

„Halt mal, warte“, brach es nun aus Izzy heraus und er eilte zum Fahrstuhl, um die Türen aufzuhalten. Sorgenvoll sah er ihn an. „Wo willst du denn jetzt hin?“

„Geht euch nichts an“, antwortete Tai eine Spur zu hart. Aber sie mussten verstehen, dass er es ernst meinte. „Ich brauche keine Aufpasser mehr. Und jetzt nimm die Hand da weg.“

Izzy zögerte, doch Tais Blick war so drohend, dass Izzy nach kurzem Überlegen die Schultern sacken ließ und die Hand wegnahm.

Die Türen schlossen sich. Noch nie im Leben hatte Tai sich so … verraten gefühlt. Er traute seinen Freunden kein Stück mehr über den Weg. Erst setzten sie Himmel und Hölle in Bewegung, um ihn gegen seinen Willen nach New York zu schleppen und jetzt taten sie das genaue Gegenteil. Was auch immer faul an der Sache war … es spielte keine Rolle. Es spielte keine Rolle, was sie über ihn dachten oder von ihm wollten. Nur noch eins spielte eine Rolle und das war Mimi. Und es war an der Zeit, dass auch Matt und Izzy das kapieren.

Unten angekommen regnete es bereits in Strömen.

„Super, auch das noch.“

Tatsächlich hatte er keine Ahnung, wo er jetzt hingehen sollte. Er hatte so abrupt die Flucht ergriffen, dass er gar keine Zeit gehabt hatte, darüber nachzudenken. Er wollte einfach nur noch weg. Tai zog seine Jacke enger um sich und holte das Handy aus seiner Hosentasche. Gerade fiel ihm nur eine Person ein, die er anrufen konnte …

Eilig wählte er die Nummer, die sie ihm vor kurzem zur Sicherheit gegeben hatte.

Es klingelte nur zwei Mal, bis sie abhob.

„Hallo?“

„Alison? Hier ist Tai. Ich brauche deine Hilfe.“
 

***
 

Izzy schlug das Herz bis zum Hals, als plötzlich sein Telefon klingelte. Denn er wusste ganz genau, wer dran war …

Die letzte halbe Stunde hatte er mit Matt darüber gestritten, wie sie Tai am besten zur Vernunft bringen konnten. Da Matt’s Plan, einfach auf ihn einzureden, gänzlich fehlgeschlagen war und alles nur noch schlimmer gemacht hatte, plädierte Izzy dafür, ihm die Wahrheit zu sagen. Nachdem, was Tai wiederfahren war, wusste er, wie ernst die Lage inzwischen war. Er konnte nicht hierbleiben.

Izzy saß auf dem Sofa und Matt ihm gegenüber, während er sein Gesicht mit beiden Händen bedeckte, um nicht auf sein Handy schauen zu müssen, welches penetrant weiter klingelte. Verdammt. In was für eine Lage hatten sie sich nur manövriert?

„Du musst rangehen“, unterbrach Matt seine Gedankengänge.

Izzy stöhnte auf. „Ich weiß.“ Gestresst fuhr er sich durch die roten Haare, ehe er nach dem Handy grabschte, was vor ihm auf dem Tisch lag.

Er schluckte schwer und überlegte kurz, den Anruf einfach zu ignorieren. Doch das würde die Situation auch nicht besser machen.

Kyle’s Name leuchtete ihm dick und fett entgegen. Izzy wurde übel, als er abhob.

„Habt ihr die Sache erledigt?“

„Wir …“

Er warf einen Blick zu Matt, der ihn anstarrte und dabei die Hände vor dem Mund gefaltet hatte.

„Wir sind dran.“

Kyle lachte höhnisch auf. „Ich muss dich ja wohl nicht daran erinnern, dass euch die Zeit davonrennt. Wir hatten einen Deal. Drei Tage.“

Izzy sprang auf und ging unruhig im Raum auf und ab.

„Es ist nicht so leicht, ihn zu überzeugen.“

„Dann legt euch etwas mehr ins Zeug. Von mir aus, betäubt ihn mit Chloroform und setzt ihn bewusstlos in den nächsten Flieger zurück nach Tokyo. Sonst tuen wir das.“

Izzy wusste nicht, ob Kyle einfach nur völlig verrückt war oder das eben ernst gemeint hatte. Und wen er mit ‚wir‘ meinte, wollte er gar nicht erst wissen.

„Ich erinnere dich gern noch einmal daran, was passiert, wenn ihr Tai nicht los werdet. Oh, und dein tolles Projekt kannst du dann natürlich auch an den Nagel hängen.“

Izzy blieb stehen und ballte die Hand zur Faust. Sein Blick verfinsterte sich. Als ob ihm dieses Projekt nicht inzwischen scheißegal wäre.

„Ihr seid ja so schlau …“, verspottete Kyle ihn und Izzy konnte förmlich spüren, wie breit dieser Mistkerl am anderen Ende der Leitung grinste.

„Habt ihr ernsthaft gedacht, ich wüsste nicht, dass das von Anfang an nur ein Theaterspiel war? Ich wusste genau, wer Matt, beziehungsweise Tai, in Wirklichkeit ist. Ich wusste, wer du in Wirklichkeit bist. Ich kenne den wahren Grund, warum Tai in New York ist. Meinst du allen Ernstes, ich würde das nicht gegen ihn verwenden, nachdem ich es rausgefunden habe? Dann bist du noch naiver als ich dachte.“

Izzys Puls raste vor Wut. „Du kannst uns nicht drohen“, entgegnete er zornig.

Er war selbst ein wenig überrascht über seinen Mut, der jedoch sofort wieder erlosch, als er Kyle am anderen Ende wütend schnauben hörte.

„Also ist es dir egal, was mit deinem Freund passiert? Auch, wenn das bedeutet, dass er wahrscheinlich für Jahre weggesperrt wird?“

In Izzys Hals bildete sich ein dicker Kloß. Am liebsten hätte er das Handy gegen die Wand geschleudert. Er hasste es, dass Kyle so viel Druck auf ihn ausübte.

„Ihr habt noch zwei Tage. Kümmert euch um das Problem. Oder ich tue es. Vielleicht verschaffe ich ja eurem Freund auch noch einen weiteren Aufenthalt im Gefängnis … oder im Krankenhaus? Na, wir werden sehen.“

Kyle legte auf und Izzy schlug mit der flachen Hand gegen die Fensterscheibe.

„Verdammt!“

Das war es, was Tai für ihn war. Ein Problem – nichts weiter. Ein Problem, das beseitigt werden musste.

„Was hat er gesagt?“, wollte Matt wissen.

„Dass wir noch zwei Tage Zeit haben, um Tai aus der Stadt zu schaffen. Sonst …“

Er musste nicht weiter sprechen. Das Geräusch von Matts Faust, die auf dem Tisch landete reichte aus, um ihm zu zeigen, dass Matt ihn nur allzu gut verstanden hatte.

„Scheiße!“, fluchte er, während Izzy angespannt nachdachte.

„Wir hätten ihm alles sagen sollen. Die ganze Wahrheit.“

„Auf keinen Fall“, widersprach Matt sofort. Nachdenklich tigerte er im Raum umher, als Izzy sich zu ihm umdrehte.

„Er vertraut uns nicht mehr, Matt“, redete er auf seinen Freund ein. „Er wird niemals mit zurück nach Hause kommen, wenn er uns nicht vertraut. Wir hätten ihn einfach nicht anlügen dürfen.“

„Ach, nein?“, entgegnete Matt zornig und blieb stehen. Aufgebracht sah er ihn an. „Und wie hättest du ihm das erklären wollen? Also, Tai, es ist so … eigentlich wollten wir nur, dass du Tokyo verlässt, weil dort eventuell ein Verfahren wegen Brandstiftung und fahrlässiger Körperverletzung auf dich wartet. Tut uns leid, dass wir dich angeschwindelt haben. So in etwa …?“

Izzy schüttelte den Kopf. „Nein, natürlich nicht so. Ich hätte … ich hätte einfach …“

Er hatte keine Ahnung.

Er wusste selbst nicht, wie er es Tai beigebracht hätte, ohne am Ende genau da zu stehen, wo sie jetzt gerade standen. Tai wäre so oder so ausgerastet. Herr Gott, warum hatte er sich überhaupt erst auf diese ganze Sache eingelassen? Er dachte, er müsse Tai beschützen, genau wie Matt und die anderen. Er dachte, er konnte wieder gut machen, was er ihm und Mimi angetan hatte. Doch mit jemanden wie Kyle hatte er nicht gerechnet und nun begann alles aus dem Ruder zu laufen. Ihnen blieb nicht mehr viel Zeit …

Izzy legte den Kopf schief und dachte nach.

„Er kann nicht zurück nach Tokyo. Jetzt noch nicht, das ist zu früh. Wenn rauskommt, dass er in diesen Brand verwickelt war, wird er große Schwierigkeiten bekommen. Die Ermittlungen wurden noch nicht fallengelassen. Der Plan war, ihn so lang von zu Hause fernzuhalten, bis Gras über die Sache gewachsen ist.“

„Pläne ändern sich“, warf Matt ein. „Tai kann nicht hierbleiben. Er muss nach Hause, wenn wir nicht wollen, dass Kyle ihm noch mehr zusetzt. So wie es momentan aussieht, haben sie bis jetzt sowieso nichts gegen ihn in der Hand. Der Typ, der mit in die Sache verwickelt war, erinnert sich nicht mal mehr daran. Und Tai zum Glück auch nicht. Niemand weiß bisher, dass er daran beteiligt war. Unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass es so bleibt. Wenn Kyle allerdings alles ausplaudert und offenlegt, was er über Tai herausgefunden hat … dann ist Mimi Tais kleinstes Problem.“

Izzy nickte und legte Daumen und Zeigefinger an sein Kinn. Matt hatte recht. Tai war in ein paar verhängnisvolle Dinge geraten. Drogen, Alkohol, dann der Brand und der Krankenhausaufenthalt … Das Schlimmste, was passieren konnte war, dass Kyle dies herausfindet und gegen Tai verwenden könnte. Und genau das war passiert – was nicht zuletzt Izzys Schuld war. Er war einfach unvorsichtig gewesen. Hätte er besser aufgepasst, wären sie jetzt nicht in dieser Lage. Irgendwie musste es doch möglich sein, Tai zu helfen …

„Mir kommt da eine Idee.“

Matt stutzte und zog eine Augenbraue in die Höhe, als Izzy sich auf das Sofa setzte und seinen Laptop aufklappte.

„Ach, wirklich? Und welche?“

„Vielleicht kann ich es so drehen …“, sagte Izzy nachdenklich und öffnete ein Programm, dass er eigenständig entwickelt hatte, welches er aber nie veröffentlichen würde, da er sich rechtlich gesehen damit auf ziemlich dünnem Eis bewegte. „ … dass Tai zum Zeitpunkt des Brandes …“

Izzy schürzte die Lippen, während er weiter tippte und alle Puzzleteile gekonnt zusammenfügte. Matt stand hinter ihm und hatte sich über die Sofalehne nach vorne gebeugt. „ … gar nicht anwesend war. Er war schlichtweg …“

Ein letzter Klick.

„ … nicht da.“

Matt riss die Augen auf und begutachtete das Ergebnis.

„Das ist …“, setzte er an, doch fand nicht die richtigen Worte dafür.

„Illegal?“, entgegnete Izzy. „Ich weiß.“

„Ich wollte eigentlich sagen genial. Ich wusste gar nicht, dass du so was kannst. Das sieht verdammt echt aus.“ Eine Spur Begeisterung schwang in Matts Stimme mit. „Meinst du, das funktioniert?“

Izzy zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung, ich habe es ehrlich gesagt noch nicht getestet.“

Der Anflug eines Grinsens huschte über Matts Lippen. „Hätte mich auch gewundert.“

„Aber wenn es funktioniert“, sagte Izzy. „Dann hätten wir eine Sorge weniger. Tai könnte nach Hause zurückkehren und hätte nichts mehr zu befürchten. Er hätte ein Alibi.“

„Jaah“, meinte Matt und verdrehte die Augen. „Wo wir wieder bei unserem ersten Problem wären. Das alles nützt uns nichts, wenn wir ihn nicht überzeugen können, nach Hause zu fliegen.“

Izzy lehnte sich zurück. „Das können wir auch nicht.“

„Was?“

„Wir werden ihn nicht überzeugen können, zurück nach Tokyo zu gehen.“

„Gibst du etwa auf?“ Matts Stimme klang vorwurfsvoll.

„Du hörst mir nicht richtig zu“, antwortete Izzy ruhig und verschränkte die Arme vor der Brust. „Wir werden Tai nicht überzeugen können. Aber jemand anders kann es bestimmt.“

Es dauerte nicht lange, bis bei Matt der Groschen fiel.

„Mimi“, hauchte er nachdenklich und Izzy nickte.

„Wenn es jemand schaffen kann, dann sie.“

Nur ein kleiner Fehler

„Hast du was von Tai gehört?“, fragte Izzy am nächsten Morgen, als er Matt in der Küche antraf, der sich gerade einen Kaffee eingoss.

„Nein. Du?“, entgegnete er müde und kippte sich das dunkle Gebräu gleich ohne Milch und Zucker hinter. Anhand seiner Augenringe konnte man erahnen, was für eine Nacht sie hinter sich gebracht hatten. Überwiegend waren sie wachgeblieben, um an den letzten Feinheiten für Tais Alibi zu arbeiten. Es erforderte einiges an Zeitaufwand, bis Izzy jedes kleinste Detail gecheckt und überarbeitet hatte. Es war schwerer gewesen als gedacht, ein Flugticket und sämtliche andere offiziell eingetragene Daten so zu fälschen, dass Tai angeblich genau zwei Wochen eher nach New York geflogen sei. Nicht zuletzt musste er sich in die Datenbank der Universität einhacken, um auch dort Tais Auslandsaufenthalt zwei Wochen nach vorn zu korrigieren. Sicher hatte Izzy einige Erfahrungen mit Computern und wusste, was alles möglich war … aber praktisch war das auch für ihn neues Terrain.

„Nein, ich habe auch nichts gehört“, gähnte der Rothaarige und schnappte sich eine Tasse, um es Matt gleich zu tun.

„Hast du eine Idee, wo er jetzt sein könnte? Meinst du, er ist irgendwo untergekommen?“, hakte Matt nach und gab sich dabei Mühe, seine Sorge um Tai zu verbergen, indem er ganz unbewegt in sein Buttertoast biss. Doch Izzy merkte ihm deutlich an, dass auch er ein schlechtes Gewissen hatte.

„Ich habe leider keine Idee, wo er sein könnte. Aber mach dir keine Sorgen. Er kann auf sich aufpassen.“

„Ich mach mir keine Sorgen“, kam es achselzuckend von dem Musiker zurück, wobei er versuchte betont gleichgültig zu wirken.

Izzy grinste in sich hinein. Er konnte es wirklich nicht zugeben, aber die Auseinandersetzung mit Tai tat Matt doch mehr leid als es nach außen hin den Anschein machte. Izzy bewunderte Matt oft für seine selbstlose Art, immer für andere da zu sein. Auch wenn er meist den Unnahbaren mimte, so konnten seine Freunde doch immer auf ihn zählen.

Matt hatte ihm nicht mal einen Vorwurf gemacht, dass es eigentlich Izzys Schuld war, dass Tais Geheimnis aufgeflogen war.

„Mach dir nicht so viele Gedanken“, rüttelte Matt Izzy wieder wach. „Es war nicht deine Schuld.“

Erst jetzt bemerkte Izzy, dass er die ganze Zeit wie angewurzelt dagestanden und aus dem Fenster gesehen hatte. Seine Hände hatte er zu Fäusten geballt und seine Fingernägel bohrten sich schmerzlich in die Innenseiten seiner Handflächen.

„Ich weiß“, sagte Izzy hinter zusammengebissenen Zähnen. „Trotzdem … so ein Fehler hätte mir nicht passieren dürfen. Ich war unvorsichtig.“
 

~Rückblick~
 

Izzy tippte hastig auf seinem Laptop herum und hämmerte dabei so sehr auf die Tasten ein, dass es ihm fast schon weh tat. Er war wütend. Tai saß nun schon seit 4 Tagen in Untersuchungshaft und bis jetzt hatte er ihm nicht helfen können. Obwohl er wirklich alle Hebel in Bewegung gesetzt hatte … aber niemand wollte einen jungen Mann vertreten, der kein amerikanischer Staatsbürger war und wegen illegalen Drogenbesitzes auf ausländischem Boden verhaftet wurde. In wenigen Tagen sollte Tai dann ein Pflichtverteidiger gestellt werden und das Ganze würde sich nur noch mehr in die Länge ziehen und damit enden, dass Tai ausreisen musste. Izzy biss sich auf die Unterlippe. Das durfte auf keinen Fall passieren.

Angestrengt tippte er weiter und starrte dabei auf seinen Projektplan, weswegen er ja unter anderem hergekommen war. Er kam gut voran. Aber die Geschichte mit Tai kostete ihn doch einiges an Nerven, weswegen er sich schlecht konzentrieren konnte und mit dem heutigen Zeitplan etwas hinterherhinkte.

Gerade, als Izzy sich in seinem Stuhl zurücklehnte und sich streckte, um die müden Glieder zu dehnen, blinkte eine neue Mail auf.

Sie war von einem der Anwälte, die Izzy angeschrieben hatte. Er öffnete die Mail sofort, überflog die Zeilen und atmete endlich erleichtert auf.

Der Anwalt schrieb, dass er sich Tais Akten angesehen und sich dem Fall annehmen werde. Da die Polizei keine stichhaltigen Beweise gegen ihn in der Hand hatte, würde er ihn binnen weniger Tage aus der Untersuchungshaft bekommen und, so wie er die Gesamtsituation beurteilte, würde die Anklage vermutlich fallen gelassen.

Izzy schlug vor Begeisterung mit den flachen Händen auf den Tisch und ihm entfuhr ein lautes: „Endlich!“

Wie gut, dass er ein Büro für sich alleine hatte und niemand ihn hören konnte. Izzy öffnete den Anhang, den der Anwalt mitgeschickt hatte, in dem sich eine Rechnung befand.

Izzy schluckte. Rechtsverteidiger schienen sich ihren Job anständig bezahlen zu lassen. Kurz verzog er das Gesicht, schrieb jedoch gleich darauf eine Mail zurück, dass er sich für die Zusage bedanke und das Honorar in wenigen Stunden überwiesen sei. Sein Herz machte einen Satz, als er auf Senden drückte. Er freute sich unheimlich für Tai, dass er bald wieder auf freiem Fuß war und eine weitere Katastrophe abwenden konnte. Tai hatte ja keine Ahnung, was alles für ihn auf dem Spiel stand …

Seine Euphorie über die guten Neuigkeiten veranlasste ihn, sofort zum Telefon zu greifen und Karis Nummer zu wählen. Es dauerte eine Weile, bis sie schlaftrunken abhob.

„Hallo?“

„Kari? Ich bin’s.“

Kari stutzte. „Wer ist ich?“

„… Izzy?“

Stille.

„Izzy?“, fragte Kari nach und gähnte. „Weißt du, wie spät es ist?“

Oh. Nein, das wusste er nicht. Izzy hatte gar nicht an die unterschiedlichen Zeitzonen gedacht, als er sie anrief.

„Tut mir leid. Ich wollte dich nicht wecken“, bedauerte er sofort.

„Schon okay“, antwortete Kari und ein Rascheln war zu hören. „Ist irgendetwas mit Tai?“

„Kann man so sagen. Aber diesmal sind es gute Neuigkeiten.“

Er konnte förmlich hören, wie Kari am anderen Ende die Luft einsog und den Atem anhielt.

„Ich habe einen Anwalt gefunden, der Tai dort rausholen kann“, platzte es aus Izzy heraus und ein breites Grinsen zog sich über sein ganzes Gesicht.

„Wirklich? Izzy, das ist wunderbar! Wann wird er rauskommen?“

„Ich rechne in den nächsten ein bis zwei Tagen damit.“

„Das ist schön.“ Kari seufzte. Die Erleichterung war ihr deutlich anzumerken. „Ich weiß gar nicht, wie wir das je wieder bei dir gutmachen können.“

Izzy schüttele den Kopf, als könne sie ihn sehen.

„Das müsst ihr nicht. Ihr seid meine Freunde. Und Matt war mir auch eine große Hilfe hier. Ohne ihn hätte ich es sicher nicht in der kurzen Zeit geschafft.“

„Trotzdem“, sagte Kari dankbar. „Vielen Dank euch beiden!“

Izzy stand von seinem Schreibtisch auf und ging zum Fenster seines Büros, um einen Blick nach draußen auf die lebhafte Straße zu werfen. Er vergrub eine Hand in der Hosentasche seiner Jeans.

„Du kannst uns danken, wenn das alles vorbei ist und unser Plan aufgegangen ist.“

Kari seufzte auf. „Ja, da hast du wohl recht. Die Ermittlungen dauern leider immer noch an.“

Izzy verkrampfte sich. „Gibt es schon etwas Neues?“

„Nicht wirklich“, hörte er Kari sagen. „Was gut ist. Sein Freund … dieser Ray erinnert sich nicht mehr daran, was geschehen ist. Genauso wie Tai. Sie waren wohl beide zu vollgedröhnt. Ich habe ihn vor ein paar Tagen besucht, um die Lage abzuchecken. Es geht ihm soweit gut. Keine Ahnung, ob er sein Drogen Business wieder aufgenommen hat. Er hat sich nach Tai erkundigt und mir erzählt, dass er nur noch weiß, dass sie eine riesen Party gefeiert haben. Danach erinnert er sich an nichts mehr. Die Polizei habe wohl mehrere der Gäste ausfindig gemacht und befragt. Doch die sagen alle das Gleiche: dass sie gegangen sind, bevor der Brand ausbrach und daher nicht wissen, was passiert ist. Momentan sieht es so aus, als würde die Polizei es als einen Unfall abtun. Bis jetzt haben sie keine Ahnung, dass Tai in die Sache verwickelt war. Er kam ja erst dazu, als alle schon weg waren und er mit Ray alleine war. Und da dieser sich an nichts erinnert … Oh Izzy, ich hasse mich dafür, dass ich so etwas denke, aber … ich hoffe, das bleibt so. Ich hoffe, Ray’s Erinnerungen an diesen verfluchten Abend sind für immer verloren.“

Izzy atmete erst aus, als Kari zu Ende erzählt hatte. Als er vor einigen Wochen einen Anruf von ihr erhalten hatte, dass Tai im Krankenhaus lag und dass es schlecht um ihn stand, weil er sich aufgrund von Mimis plötzlichem Verschwinden total gehen ließ und jetzt auch noch in eine Straftat verwickelt war wusste er, dass er ihm einfach helfen musste – egal wie. Das war er ihm schuldig. Die Idee, ihn vorerst mit nach New York und somit aus der Schussbahn zu schaffen, war letztendlich seine gewesen. Natürlich alles unter dem Deckmantel der Liebe. Mimi zurückzuerobern war für Tai der Grund dieser Reise gewesen.

„Ich mache mir Sorgen, Izzy“, riss Kari den Rothaarigen aus seinen Gedanken, als er nichts weiter geantwortet hatte. „Was, wenn Ray sich doch noch erinnert? Dass sie die Letzten in dem Haus waren? Dass Tai dort geraucht hat und vermutlich so den Brand ausgelöst hat? Dass Ray fast dabei drauf gegangen und es Tai’s Schuld gewesen wäre? Oh Izzy, ich habe solche Angst um ihn. Das hat er nicht verdient. Nicht nach allem, was er durchgemacht hat.“

Izzy konnte deutlich hören, wie Karis Stimme zu brechen drohte. Er verstand ihre Sorge. Tai steckte ziemlich tief in der Scheiße. Und die Situation, in der er sich gerade befand, machte es nicht besser.

„Außerdem ist das Tai gegenüber nicht fair. Wenn er rauskriegt, dass er fast einen anderen Menschen auf dem Gewissen gehabt hätte …“

„Hat er aber nicht“, fiel Izzy ihr schnell ins Wort, bevor sie weitersprach. „Es ist niemand ernsthaft zu Schaden gekommen, was Glück war. Tai schöpft keinen Verdacht. Und selbst, wenn Ray sich erinnern sollte … er wird nicht so dumm sein und alles ausplaudern. Schließlich war er irgendwie mit Schuld an der ganzen Geschichte. Oder wer war es, der Tai an dem Abend bis zur Besinnungslosigkeit abgefüllt hat? Wir müssen Tai unbedingt aus den Ermittlungen raushalten. Es steht zu viel für ihn auf dem Spiel.“

Ein bedeutungsschwangeres Schweigen erfüllte den Raum. Keiner von beiden sagte mehr etwas. Bis Kari schließlich hörbar ausatmete.

„Ich weiß, du hast recht. Ihr habt alle recht. Ich wünschte nur, es gäbe einen anderen Weg.“

Izzy seufzte schwer und richtete den Blick betrübt zu Boden. „Wenn mir einer einfällt, bist du die Erste, die es erfährt. Momentan haben wir keine andere Wahl. Jetzt müssen wir erst mal sehen, dass wir Tai aus der Untersuchungshaft bekommen und die ganze Geschichte keine weiteren Auswirkungen auf sein Studium haben wird. Und dann sehen wir weiter.“

„Du hast recht“, sagte Kari geknickt, aber einsichtig. „Danke, dass du angerufen hast. Bitte gib mir Bescheid, wenn sich etwas tut.“

„Mach ich“, antwortete Izzy und legte auf. Gestresst fuhr er sich durchs Haar. Das Ganze war wirklich nicht ohne und so langsam fragte auch er sich, ob dies der richtige Weg war. Auch wenn er gerade versucht hatte, Kari genau davon zu überzeugen. Trotzdem hatte er das Gefühl, dass ihnen die Sache so langsam über den Kopf wuchs.

Wie auch immer. Tai würde bald frei sein und dann mussten er und Matt dringend einen Plan machen, wie es weiterging. Aber zunächst einmal musste er sich auf seine Arbeit konzentrieren. Er hing heute eh schon hinterher und wollte Kyle oder dessen Vater keinen Grund geben, sauer auf ihn zu werden. Wenn er bis jetzt eins festgestellt hatte, dann dass man sich mit der Kendler Familie so wenig wie möglich einließ.

Just in diesem Moment, als er sich zurück an den Schreibtisch machen wollte, ging die Tür zu seinem Büro auf, ohne dass derjenige es auch nur für nötig hielt, anzuklopfen. Erst wollte er sich beschweren, doch dann sah er, dass Kyle geradewegs in den Raum marschierte. Izzy schluckte kaum merklich, als dieser neben seinem Schreibtisch stehen blieb und ihn vielsagend ansah.

„Izzy“, sagte er lediglich zur Begrüßung und warf ihm ein fast schon ekelerregendes Grinsen zu. Izzy drehte sich der Magen um, denn so etwas hieß bei Kyle meist nichts Gutes.

„Wie kommst du mit unserem Projekt voran?“, wollte Kyle wissen.

Izzy stutzte kurz, bevor er antwortete. „Ähm … soweit ganz gut denke ich.“

„Ich habe die Aufträge gecheckt und du hängst heute etwas im Zeitplan hinterher“, konfrontierte er ihn ohne Umschweife.

„Ja, ich … ich werde mich gleich zurück an die Arbeit setzen. Es ist noch einiges zu überarbeiten, aber wenn ich mich ranhalte, schaffe ich es bis 14 Uhr.“

Kyles Lippen formten ein wissendes Grinsen, während Izzy immer nervöser wurde. Was sollte dieser Blick? Ein ziemlich ungutes Gefühl machte sich in seiner Magengegend breit.

„Jaah, natürlich wirst du das“, flötete er und sah dem Rothaarigen dann direkt in die Augen. „Aber vielleicht solltest du das nächste Mal nicht so lang telefonieren. Dann hinkst du auch nicht mit deiner Arbeit hinterher.“

Izzy zuckte kurz zurück. Wieso wusste er, dass er eben telefoniert hatte? Unauffällig checkte er die Ecken des Raumes ab – es waren keine Überwachungskameras installiert.

„Falls du dich fragst, woher ich das weiß“, sagte Kyle, als könne er Gedanken lesen und zeigte mit dem Finger auf Izzys Telefon in der Hand. „Du hast dein Firmentelefon benutzt. Nicht dein Privates. Und eine Liste aller Anrufe wird unverzüglich an mich weitergeleitet. Aber das steht alles in deinem Vertrag. Hast du ihn überhaupt gelesen, Izzy?“

Scheiße!

Izzy schluckte den Kloß in seinem Hals hinunter. Verdammt noch mal, wie konnte er nur so dumm sein?

„Ich …“, stammelte Izzy, hielt jedoch Kyles bohrenden Blick stand. „Ich musste kurz bei meiner Familie zu Hause anrufen. Ein Notfall.“

„So so“, sagte Kyle nur knapp und stieß sich vom Schreibtisch ab, um in Izzys Büro herumzutigern. Dabei nahm er alles genaustens unter die Lupe, jede Ecke, jede Notiz auf Izzys Schreibtisch und Izzy … gefiel das gar nicht. Was wollte dieser Typ denn noch von ihm?

„Tut mir leid“, hängte er schnell noch hintenan. „Das nächste Mal werde ich für private Auslandsgespräche natürlich mein Privattelefon benutzen.“

Kyle blieb stehen und vergrub die Hände in den Hosentaschen. Dann wandte er sich ihm ganz zu und legte den Kopf schief.

„Ich denke, du weißt, dass es nicht darum geht.“

Izzy presste die Kiefer aufeinander. Seine Handflächen begannen zu schwitzen. Als er nichts darauf antwortete, grinste Kyle breit.

„Oh man, du bist mir voll auf den Leim gegangen. Ist dir denn nicht klar, dass mir nicht nur jeder ein- und ausgehende Anruf deines Diensttelefons übermittelt wird, sondern dass die Gespräche auch aufgezeichnet werden? Du weißt schon … um sicherzugehen, dass unsere Mitarbeiter keine firmeninternen Angelegenheiten preisgeben.“

Oh Gott. Deshalb war er also hier? Weil er das Gespräch mit Kari abgehört hatte? Alles, von Anfang an – jedes Wort, was zwischen den beiden gefallen war?

Izzy wurde schlagartig speiübel, während Kyle den Kopf in den Nacken legte und überlegen grinste.

„Gott, Izzy. Du solltest wirklich deinen Vertrag genauer lesen.“

Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Dass dieses Vatersöhnchen sich über ihn lustig machte.

„Und was möchtest du jetzt mit dieser Info anstellen?“, fragte Izzy ganz direkt. Seine Stimme war fest und klar. Es hatte keinen Sinn um den heißen Brei herumzuschleichen. Wenn Kyle das gesamte Gespräch mit angehört hatte, war es doch ganz offensichtlich, warum er hier war.

„Ich?“, fragte Kyle gespielt unwissend, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und schlenderte zum Fenster. „Nichts.“

Izzy zog eine Augenbraue in die Höhe. Das ganze stank zum Himmel.

„Ich denke, wir wissen beide, dass das nicht stimmt. Und ich denke auch, dass du inzwischen längst weißt, dass Tai dir vorgegaukelt hat, er wäre jemand anderer.“

Kyle tat völlig unberührt, was Izzy nur verdeutlichte, wie recht er mit seiner Vermutung hatte.

„Zugegeben“, sagte er schließlich und wirkte sogar leicht amüsiert darüber. „Ich wusste von Anfang an, wer ihr beide seid und in welchem Verhältnis ihr zu Mimi steht. Wobei es doch recht witzig war, euch in dem Glauben zu lassen, ihr könntet mich an der Nase rumführen“, lachte Kyle.

Er besaß allen Ernstes die Frechheit zu lachen. Am liebsten wäre Izzy aufgestanden und hätte ihm eine verpasst.

„Dann ist es ein offenes Geheimnis, dass du Tai loswerden willst und dass du es warst, der ihm die Drogen untergeschoben hat“, konfrontierte Izzy ihn weiter mit den Tatsachen, auch wenn ihm dabei das Herz bis zum Hals schlug.

Kyle zischte verächtlich. „Ich bitte dich. Als ob ich selbst die Drecksarbeit für mich erledige. Aber ja, du hast recht. Ich war es. Und das wird nie jemand herausfinden.“

Die Art, wie er es sagte, ließ Izzy hochfahren. Er klammerte sich mit all seiner Kraft an den Rand seines Schreibtisches fest, um Kyle nicht direkt an die Gurgel zu springen. Dieser schien das Ganze hier für einen Witz oder mehr noch, für eine Art Spiel zu halten, denn nun wandte er sich ihm zu und ein breites Grinsen zierte sein Gesicht.

„So, wie ich das sehe, hast du jetzt genau zwei Möglichkeiten.“ Er hob einen Finger in die Luft.

„Erstens“, setzte er an. „Du versuchst deinen Freund aus dem Gefängnis zu holen und ihr verfolgt weiter euren Plan. Allerdings werde ich dann dafür sorgen, dass jeder und ich meine wirklich JEDER – das schließt nicht nur die Polizei, sondern auch Mimi mit ein – von eurem kleinen Geheimnis erfährt. Tai landet im Knast und er wird Mimi und seine Familie für eine sehr lange Zeit nicht sehen. Oder zweitens …“

Izzy schluckte.

„ … du versuchst alles, um ihn dazu zu bewegen, nach seinem kleinen Gefängnisaufenthalt nach Hause zu fliegen. Er verlässt New York und kommt nie wieder. Er wird Mimi nie wiedersehen. Und im Gegenzug verspreche ich, dass die Polizei niemals von Tais Tat erfahren wird.“ Kyles Augen verengten sich zu zwei schmalen Schlitzen, was Izzy das Blut in den Adern gefrieren ließ. Er zweifelte nicht eine Sekunde daran, dass es ihm todernst war.

Kyle breitete die Arme aus und wog diese leicht in der Luft auf und ab, als wären sie eine Waagschale. „So oder so. Es läuft alles darauf hinaus: entweder Gefängnis oder zurück nach Japan. Entscheide dich, Izzy.“

Izzy klappte der Mund auf. War das sein verdammter Ernst? Er wollte ihn erpressen? Im nächsten Moment fragte er sich selbst, warum er so erstaunt darüber war. Schließlich war von Kyle nichts anderes zu erwarten. Dennoch überforderte ihn diese Situation zunehmend, weshalb er nicht wusste, wie er darauf reagieren sollte. Tausend Dinge schossen ihm durch den Kopf. Gott, er musste unbedingt mit Matt reden …

„Keine Sorge“, sagte Kyle schließlich und ließ die Hände sinken. „Ich verstehe, dass du Zeit brauchst, um darüber nachzudenken.“ Er sagte dies, als müsse Izzy sich zwischen zwei Hosen entscheiden und nicht über das Schicksal eines seiner Freunde.

Kyle setzte sich in Bewegung und ging zur Tür, doch dann drehte er sich noch ein mal um, um Izzy einen letzten, warnenden Blick zuzuwerfen.

„Mir ist es übrigens gleich, wie du dich entscheidest – denn Mimi wird er ohnehin verlieren, egal wie das hier ausgeht.“
 

„Du hast getan, was du konntest“, riss Matt ihn aus seinen Gedanken. Izzy hatte bereits viele Fehler gemacht, zu viele. Vor allem, was Mimi und Tai betraf. Aber dieser letzte Fehler konnte Tai endgültig das Genick brechen. Er fühlte sich so schuldig.

„Ich weiß“, sagte er trotz seines schlechten Gewissens und starrte weiter aus dem Fenster, als wäre irgendwo da draußen eine Antwort auf all seine Sorgen. Er musste was tun. Er musste das unbedingt wieder in Ordnung bringen. Kari und alle anderen verließen sich auf ihn.

„Wir müssen Tai davon überzeugen, dass es das Beste ist, nach Hause zu fliegen. Und zwar um jeden Preis.“

Izzy drehte sich um und sah, dass Matt sich aufs Sofa gesetzt und den Kopf in die Hände gestützt hatte. Er raufte sich die Haare und biss sich dann auf den Daumen.

„Das gefälschte Alibi ist gut. Es müsste ausreichen, aber ich möchte es trotzdem nicht darauf ankommen lassen. Jetzt müssen wir nur noch Mimi auf unsere Seite ziehen.“

Izzy verschränkte die Arme vor der Brust.

„Ja … aber wir müssen aufpassen, Matt. Wir stecken eh schon alle viel zu tief mit in der Scheiße.“

„Ich weiß.“ Matt schloss gequält die Augen und Izzy konnte sich denken, woran Matt gerade dachte. Was Tai wohl jetzt machte? Und ob es ihm gut ging…?

Ich liebe ihre Dämonen

„Ich danke dir vielmals, Alison. Wirklich, du hast echt was gut bei mir.“

Tai öffnete die Brottüte, die Alison ihm entgegenhielt und ein herrlicher Duft nach frischen Bagels stieg ihm in die Nase. Wie auf Kommando fing sein Magen an zu knurren.

„Für die Bagels?“ Alison runzelte grinsend die Stirn und betrachtete Tai, wie er sich einen der warmen Bagel in den Mund schob und dann mit einem großen Schluck schwarzen Kaffee nachspülte.

„Ja, das auch“, erwiderte er mit halb vollem Mund. „Aber ich meinte eigentlich das alles hier. Ohne dich hätte ich die letzte Nacht auf der Straße verbracht.“

„Ach das. Gar nicht der Rede wert.“ Alison schüttelte den Kopf und wank ab. Als hätte sie ihm nicht ein Hotelzimmer auf unbestimmte Zeit spendiert, was wirklich mehr als großzügig war.

„Du bist zu bescheiden.“ Tai lächelte schief. Als er gestern Hals über Kopf aus dem Apartment geflüchtet war, fiel ihm erst viel zu spät ein, dass er keine Ahnung hatte, wo er hingehen sollte. Dank eines Geistesblitzes rief er Alison an, die ihm seine Nummer für den Notfall gegeben hatte. Und das war definitiv einer. Denn so traurig es auch war, aber sie war momentan die einzige Person in seinem näheren Umfeld, der er noch vertraute. Er hatte keine Ahnung, was plötzlich in Matt und Izzy gefahren war, aber irgendwie lies ihn das Gefühl nicht los, dass da eine ganz miese Sache hinter seinem Rücken lief. Als hätten sie alle nichts aus der Vergangenheit gelernt. Was immer es auch war, er wollte da auf keinen Fall mitspielen. Umso dankbarer war er für Alisons Hilfe. Sie hatte sich sofort bereiterklärt die Kosten für ein Hotelzimmer zu übernehmen, bis sich die Sache mit den Jungs wieder eingerenkt hatte.

„Ich bitte dich“, sagte Alison und griff ebenfalls in die Tüte, um sich einen Bagel zu angeln. „Meine Familie ist reich. Es tut keinem weh, wenn ich die Kreditkarte meines Vaters mal ein bisschen zum Glühen bringe. Ich gebe sonst nie irgendetwas von unserem Geld aus. Ich meine, sieh dir mal meine Schuhe an.“

Sie ließ sich auf Tais Bett plumpsen und hielt ihre Beine in die Höhe, damit Tai ihre pinken, abgerockten Chucks besser sehen konnte. Sie hatten einige kleine Löcher und sahen aus, als würde Alison sie Tag und Nacht tragen.

„Von daher musst du kein schlechtes Gewissen haben. Und übrigens: Kyle gibt viel mehr von Pap’s Geld aus. Fast jeden Monat reizt er das Limit seiner Kreditkarte voll aus.“

Tais letzter Bissen blieb ihm fast im Halse stecken, als er Kyles Namen hörte. Manchmal vergaß er einfach, dass Alison seine Schwester war. Vermutlich, weil die beiden absolut nichts gemeinsam hatten, wofür er sehr dankbar war. Das lag sicherlich auch daran, dass Alison und Kyle nicht blutsverwandt waren.

„Warum machst du es nicht auch?“, fragte Tai interessiert.

„Was? Mehr Geld ausgeben?“

„Nun … ja.“

„Ich weiß nicht“, meinte Alison und zuckte mit den Schultern. Ihr Blick glitt zu Boden. „Ich bin der Meinung, es steht mir nicht zu.“

„Was?“, Tai lachte ungläubig auf. „Weil du adoptiert wurdest?“

Alison nickte. „Das ist nicht wirklich meine Familie. Ich meine, klar, sie haben mich großgezogen und ich hatte eine sehr unbeschwerte Kindheit. Alle Steine in meinem Leben wurden mir stets aus dem Weg geräumt. Ich musste mich nie anstrengen, um irgendwas zu bekommen. Lach mich ruhig aus, aber mir erscheint das unfair. Nur, weil ich das Glück hatte und reiche Eltern bekommen habe, heißt das doch noch lange nicht, dass ich mich auf ihren Erfolg ausruhen kann. Ich möchte ihr Geld nicht. Ich möchte selbst etwas schaffen – mit meiner Kunst. Kyle wird irgendwann unsere Firma übernehmen, weil er sein leiblicher Sohn ist und der männliche Erbe und weil sich das irgendwie so gehört, glaube ich. Aber insgeheim weiß einfach jeder, dass Paps lieber mich auf dem Posten sehen würde. Das Zeug dafür hätte ich und dann wäre ich steinreich … Aber ich möchte das alles nicht. Klingt das bescheuert?“

Zweifelnd sah sie zu Tai auf. Dieser setzte sich neben sie aufs Bett.

„Nein“, sagte er und lächelte aufmunternd. „Das klingt mutig.“

Alison erwiderte sein Lächeln, wenn auch leicht verlegen. „Danke! Manchmal denke ich, Kyle kann mich deshalb nicht so richtig leiden.“

„Weshalb?“

„Weil Paps mehr von mir hält, als von ihm. Er weiß, dass ihm der Ehrgeiz fehlt. Und ganz nebenbei bemerkt bin ich auch viel schlauer als mein Bruder.“

Tai musste laut auflachen. „Das glaube ich dir sofort.“ Dann lehnte er sich in ihre Richtung und hielt die Hand vor den Mund, als müsste er ihr ein Geheimnis zuflüstern.

„Aber mal ganz unter uns gesagt: ich glaube, Kyle kann niemanden so richtig leiden. Außer sich selbst natürlich.“

Nun war es Alison, die lachte und den Kopf in den Nacken warf. „Da könntest du recht haben. Was mich auf den eigentlichen Grund meines Besuchs zurückführt.“

Tai schluckte schwer und seine Miene wurde ernst, denn er wusste, was jetzt kommen würde.

„Du weißt, sie will mich nicht sehen.“

„Sie erzählt viel, wenn der Tag lang ist. Glaub mir, sie will.“

Tai erhob sich und rieb sich gestresst mit Daumen und Zeigefinger über den Nasenrücken. „Sie war sehr deutlich, Alison. Und ehrlich gesagt kann ich sie verstehen. Ich an ihrer Stelle würde auch niemanden sehen wollen – keinen von uns. Wir sind wohl alle etwas über das Ziel hinausgeschossen.“

Alison pustete geräuschvoll die Luft aus und verdrehte dabei die Augen. „Das kannst du laut sagen. Trotzdem …“

Sie stand auf und packte Tai unvermittelt an den Schultern. Todernst sah sie ihn an.

„Du darfst jetzt nicht aufgeben, hörst du? Mimi braucht dich, mehr als ihr klar ist und mehr als dir klar ist.“

Tai runzelte die Stirn.

„Was genau meinst du damit?“

Es war ganz offensichtlich, dass Alison mehr wusste, als sie sagte. Aber sie schüttelte den Kopf.

„Das kann ich dir nicht sagen. Aber was ich dir sagen kann ist, wo Mimi heute den ganzen Tag über sein wird.“

Sie kramte in ihrer Tasche und hielt Tai schließlich ein blaues Stück Papier vor die Nase.

Ein Kinoticket?

Tai begriff sofort, was Alison vorhatte. „Oh, nein, ich denke nicht, dass das eine gute Idee ist. Ich möchte nicht …“

„Ruhe, verdammt!“, fuhr sie ihm über den Mund und Tai zuckte zusammen, als sie ihn mit wütenden Augen anfunkelte.

„Du denkst zu viel, Yagami. Das Denken solltest du lieber mir überlassen. Du solltest lieber handeln!“

Wow, dieses Mädchen war fast zwei Köpfe kleiner als er und sie hatte keine Probleme damit, ihm ihre Meinung ins Gesicht zu sagen. Ganz schön mutig von ihr.

„Moment“, sagte Tai und grinste verwirrt. „Hast du mir gerade durch die Blume gesagt, dass ich dumm bin?“

Alison zog bedächtig eine Augenbraue in die Höhe, während sie ihn endlich los lies und die Arme vor der Brust verschränkte. Sie baute sich noch ein wenig mehr vor ihm auf.

„Vielleicht? Dumm wäre es auf jeden Fall heute nicht dort hin zu gehen“, meckerte sie und tippte mit dem Zeigefinger auf das Ticket in Tais Hand. „Aber wenn du dich lieber weiter hier in deinem Hotelzimmer verstecken willst, dann bitte. Komm nicht angekrochen und heul dich bei mir aus, wenn Kyle mal wieder schneller war und Mimi rum gekriegt hat. Denn so wie ich das sehe, war er dir ja bis jetzt immer einen Schritt voraus.“

Autsch! Damit hatte sie einen wunden Punkt getroffen.

Tai biss sich schmerzvoll auf die Unterlippe. Verdammt, Alison hatte recht. Wenn er jetzt nicht handelte … wozu war er dann überhaupt noch hier? Dann hätte er längst nach Hause fliegen können. Denn jeder Tag ohne Mimi war ein verlorener Tag. Es war richtig, dass Kyle ihm bisher immer einen Schritt voraus war, was Mimi betraf. Und es wurde Zeit, dass sich das änderte.

„Oooh“, machte Alison und grinste ziemlich breit. „Habe ich da etwa einen Nerv getroffen?“

„Kann man so sagen“, gab Tai hinter zusammengebissenen Zähnen zurück.

„Okay, wo muss ich hin?“

„Dort hin.“ Ehe sich Tai versah, hatte Alison nach ihrem Handy gegriffen und simste ihm eine Adresse. Tai sah nach. Es war die Adresse eines alten Kinos, ganz in der Nähe.

„Mimi wird den ganzen Tag dort sein“, erklärte sie ihm.

Tai blickte sie skeptisch an. „Den ganzen Tag?“

Alison zuckte kurz mit den Schultern. „Sie macht das öfter, um den Kopf frei zu kriegen und sich abzulenken. Dann sieht sie sich dort einen Film nach dem anderen an. Das Kino ist ziemlich alt und es laufen dort keine aktuellen Filme, weshalb fast niemand dort ist“

„Das ist irgendwie …“ Tai fehlten ein wenig die Worte. Die Vorstellung, dass Mimi den ganzen Tag lang alleine in einem dunklen Kino hockte und sich einen Film nach dem anderen reinzog, passte so gar nicht zu ihr.

„Schräg?“, beendete Alison seinen Satz und er nickte. „Ich weiß, das ist sogar ziemlich schräg. Aber sie ist nicht mehr das unbeschwerte Mädchen von damals. Sie ist nicht mehr so, wie du sie kanntest. Sie hat sich verändert.“

Tai’s Herz machte einen Satz. Er ballte die Hand zur Faust, um seine Gefühle unter Kontrolle zu kriegen. „Das ist mir egal“, entgegnete er entschlossen. „Ich liebe sie, in weicher Gestalt auch immer. Ich liebe sie, wenn sie fröhlich ist und ich habe ihre unbeschwerte Art geliebt. Aber ich liebe sie auch, wenn sie traurig ist. Ich möchte bei ihr sein und sie halten, wenn ihre Tage am dunkelsten sind. Ich möchte derjenige sein, der sie nachts auffängt, wenn die Albträume sie auffressen. Es ist mir egal, welche Stürme in ihr toben. Ich liebe sie genauso, wie sie ist. Ich liebe sie und ich liebe ihre Dämonen.“ Und Tai war sich sicher, dass Mimi einige davon hatte.

Alison stand wie vom Donner gerührt vor ihm und starrte ihn fassungslos an.

„Wow“, hauchte sie ergriffen. „Mein Herz trieft vor Schnulz.“

Tai lachte kurz auf. „Ich nehme an, das war ein Kompliment.“

„Nicht wirklich. Aber sag das bitte genauso Mimi. Sie steht auf diesen Gefühlskram – und wie!“

Tai warf den Kopf in den Nacken und sein Lachen wurde noch lauter. Dieses Mädchen war ein absolutes Unikat. Kein Wunder, dass sie Mimi’s Freundin war. Ein bisschen durchgeknallt und ein bisschen anders als alle anderen – genau wie sein Mädchen.

Er hatte keine Ahnung, wie Mimi reagieren würde, wenn sie ihn heute sah. Wo sie doch so deutlich gemacht hatte, dass sie das nicht wollte. Aber er hatte nicht vor, sie jetzt im Stich zu lassen. Nicht jetzt, wo sie ihn offenbar so sehr brauchte …
 

***
 

„Hey, Leute.“ Matt ging auf Sora zu und schloss sie in eine innige Umarmung.

„Hey“, flüsterte sie an seiner Schulter, ehe er sie losließ und auch Kari begrüßte.

„Hallo“, sagte diese und schenkte Matt und Izzy ein zaghaftes Lächeln.

„Gib mir deinen Koffer“, forderte Izzy sie auf und griff nach Karis Koffer, ohne auf eine Antwort zu warten.

„Danke, Izzy. Wie ist die Lage?“ Kari verlor keine Zeit, obwohl sie gerade mitten auf dem überfüllten New Yorker Flughafen standen und Sora und Kari erst vor ein paar Minuten gelandet waren. Izzy und Matt tauschten einen bedeutungsschweren Blick, was nichts Gutes verhieß.

Sora stöhnte und fuhr sich durchs Haar. „Wisst ihr denn wenigstens, wo er gerade steckt?“

Die beiden tauschten wieder einen Blick, diesmal gemischt mit Schuldgefühlen.

„Oh, verdammt! Wirklich?“, fluchte die Rothaarige. „Ist das euer Ernst? Ihr habt keine Ahnung, wo Tai sich gerade aufhält?“

„Was sollen wir machen? Er geht nicht an sein Handy“, beteuerte Matt und gestikulierte dabei wild mit den Händen. Sie waren keine fünf Minuten da und schon stritten sie sich, ganz toll.

„Wir …“ Izzy räusperte sich unbehaglich. „Wir haben ihn wohl in die Flucht geschlagen – wortwörtlich. Keine Ahnung, wo er gerade steckt. Im Zweifelsfall würde ich mal tippen, dass er bei …“

„… Mimi ist?“, beendete Kari seinen Satz, da dies tatsächlich die einzig logische Schlussfolgerung war. Wo sonst sollte er sich aufhalten? Er kannte außer Mimi niemanden in New York.

„Also gehen wir zu ihr?“, hakte Kari nach und machte den Eindruck, als wäre sie schon auf dem Sprung.

Matt rieb sich nachdenklich das Kinn. „Nun, wir können da ja schlecht so einfach alle reinplatzen.“

„Wieso nicht?“, zuckte Sora mit den Schultern und warf einen fragenden Blick in die Runde. „Wir sind schließlich Freunde, die sie besuchen wollen. Außerdem machen wir uns Sorgen um Tai. Ich finde, das rechtfertigt alle mal einen unangekündigten Besuch bei Mimi.“

„Ich sehe das wie Sora“, pflichtete Kari ihr sofort bei. Nur Matt und Izzy schienen noch nicht so ganz überzeugt.

„Ich weiß ehrlich nicht, ob das so eine gute Idee ist“, gab Izzy zu bedenken. Er glaubte nicht, dass es Sinn machte, Tai weiter unter Druck zu setzen. Sie, als seine engsten Freunde, müssten eigentlich wissen, dass er dann erst recht das genaue Gegenteil tat. Je mehr sie ihn bedrängten, desto mehr würde er sie alle zurückweisen und sein eigenes Ding durchziehen. Und das durfte auf keinen Fall passieren.

„Na gut, einen Versuch ist es wert“, sagte nun jedoch auch Matt, womit Izzy überstimmt war.

„Wisst ihr, wo sie wohnt?“, fragte Sora und setzte sich bereits in Bewegung. Kari und Matt folgten ihr. Nur Izzy blieb wie angewurzelt stehen. Sein Bauchgefühl sagte ihm, dass das genau der falsche Weg war.

Ihr Licht in der Dunkelheit

Es ist unfassbar, dass so wenige Leute gute alte Filme zu schätzen wissen. Okay, dieser hier war nicht ganz nach Mimis Geschmack, aber dennoch gut, insofern man nicht auf ein Happy End hoffte, denn das gab es in diesem Film nicht.

Anna Karenina, in schwarz-weiß, aus den 40er Jahren flimmerte über die Leinwand und wenn man sie mitzählte, saßen gerade ein mal vier Leute im Saal. Es war ein Drama und schon der dritte Film, den sie sich heute ansah. Die Szenerie war im Grunde ganz klischeehaft: Frau verliebt sich unsterblich auf den ersten Blick, ist jedoch leider schon in festen Händen.

Ja, so ein Pech! Und welch Ironie …

Am Schluss endet natürlich alles in einer Tragödie. Eifersucht und Misstrauen führen letztendlich in den Tod.

Sehr aufbauend.

Währen Mimi sich ihre zweite Tüte Popcorn in den Mund schaufelte, fragte sie sich, warum anscheinend seit Ewigkeiten alle dieselben Probleme mit der Liebe hatten und was es den Menschen eigentlich brachte? Wieso stand man so oft im Leben zwischen zwei Menschen und wieso konnte man den einen nicht haben, ohne den anderen zu verletzen? Warum wurde es immer kompliziert, wenn eine dritte Person mit ins Spiel kam? Warum konnte nicht einfach mal alles klar sein? Und warum endete es immer in Schmerz?

Die zentrale Frage ist doch nicht, zu wem Anna Karenina gehört – zu ihrem Mann oder ihrem Liebhaber?

Die Frage ist doch: Warum ist Liebe so ein Arschloch?

Wütend über ihre eigenen Gedanken zu diesem Film, griff sie erneut in die Tüte und fasste ins Leere. Popcorn alle, na toll. Sie knüllte das Papier zusammen und überlegte, es auf die Leinwand zu pfeffern. Allerdings, in Anbetracht, dass sie in eine der hintersten Reihen saß, würde sie wohl kaum treffen. Und die anderen drei Besucher hätte es garantiert auch gestört.

Mimi seufzte und ließ sich tief in ihren Sitz sinken. Dass dieser Film besser war, als alles, was sie da draußen in der echten Welt erwartete, sagte so einiges über ihre Situation aus.

Gerade, als sie sich aufrichten wollte, um sich einen Popcorn-Nachschub zu holen, zuckte sie zurück, als sich jemand direkt in den Sitz neben sie sinken ließ.

Man … der Saal war so gut wie leer und diese Person hatte nichts Besseres zu tun, als sich direkt neben sie zu setzen und sie mit ihrer Anwesenheit zu belästigen?

Die Brünette wollte gerade etwas sagen und denjenigen bitten, sich einen Sitz weiter zu setzen, als sie erkannte, wer sich da neben sie niedergelassen hatte. Es war Tai.

Mit großen Augen und vermutlich offenem Mund starrte Mimi ihn an, wie eine Fata Morgana, während er den Kopf in ihre Richtung wandte und sie angrinste. Er hob die Hand zum Gruß, danach glitt sie in eine Tüte und er stopfte sich eine Hand voll Popcorn in den Mund.

Mimi hatte es förmlich die Sprache verschlagen. Was zum Teufel machte er hier? Und woher wusste er, wo sie war?

„Kein Grund zur Panik“, unterbrach er als Erster die Stille zwischen den beiden. „Ich bin nur hier, um dir Gesellschaft zu leisten.“

Erneut fiel ihr die Kinnlade runter, während ihr Herz holprig pochte. Wie kam er darauf, dass sie Gesellschaft haben wollte?

„Ja, genau“, zischte Mimi, verschränkte die Arme vor der Brust und ließ sich zurück in ihren Sitz sinken, um angespannt auf die Leinwand zu starren. „Ich gehe in ein fast verlassenes Kino und sehe mir uralte Filme an, weil ich Gesellschaft suche. Schlau kombiniert, Watson.“

Sie sah ihn nicht an, weil sie wütend darüber war, dass er hier einfach auftauchte, doch sie nahm trotzdem wahr, wie er mit den Schultern zuckte.

„Na, wie auch immer.“

Dann stopfte er sich noch mehr Popcorn in den Mund. Mimi grummelte. Hatte er sie gerade gar nicht für voll genommen?

„Möchtest du?“, fragte er ganz unbeirrt und hielt ihr sein Popcorn hin. Mimi warf einen Blick darauf und sah dann wieder nach vorne, ohne ihm zu antworten.

„Okay, dann nicht“, sagte er gleichgültig und aß weiter. Man, Tai hatte echt Nerven. Er konnte doch nicht einfach hier auftauchen und sich aufdrängen. Hatte er denn nicht zugehört, als sie sagte, sie will keinen der beiden sehen? Das Beste wäre noch, wenn Kyle jetzt auch noch auftauchen und sich auf den anderen freien Sitz neben sie setzen würde. Dann wäre das Drama perfekt – nicht nur auf der Leinwand.

Mimi versuchte, Tai einfach zu ignorieren, aber nach schier endlosen fünfzehn Minuten, in denen er einfach neben ihr gesessen und Popcorn geknabbert hatte, hielt sie es nicht mehr aus.

„Woher wusstest du eigentlich, wo ich bin?“, zischte Mimi leise, ohne ihn anzusehen.

Tai antwortete mit nur einem Wort. „Alison.“

Diese Verräterin! War ja klar, dass sie ihm mal wieder half. Wieso konnte sie nicht ein mal ihren Mund halten? Und wieso war sie immer noch im Team Tai? Glaubte sie allen Ernstes, zwischen ihnen würde sich alles wieder geradebiegen, wenn er neben ihr im Kino hockte?

„Das ist total lächerlich“, motzte Mimi rum und presste die Kiefer aufeinander, so sauer war sie. Warum berücksichtigte eigentlich niemand, was sie wollte? Sie wollte einfach nur allein sein, verdammt! Allein mit sich und ihrem Schmerz. Dabei wollte sie niemanden sehen, der es noch schlimmer machte, als es eh schon war. Und Tai war leider derjenige, der es schlimmer machte, da sie jedes Mal, wenn sie ihn ansah, daran denken musste, was sie verloren hatte.

Tränen der Wut schossen ihr in die Augen.

„Das ist mir echt zu blöd.“

Mimi wollte aufstehen und abhauen. Sollte Tai doch von ihr aus weiter hier hocken bleiben und Däumchen drehen. Aber er hielt sie zurück, indem er Mimi am Handgelenk festhielt.

„Hey, jetzt komm schon“, flehte er. „Ich will dich doch gar nicht zu irgendwas drängen. Du musst nicht mal mit mir reden, wenn du nicht willst. Ich wollte lediglich für dich da sein.“

Bissig sah sie ihn an. „Ich brauche keinen Beschützer.“

Und schon gar nicht ihn …

Tai seufzte frustriert. „So war das nicht gemeint. Lass es mich anders ausdrücken: Ich wollte einfach nur bei dir sein. Nicht mehr und nicht weniger.“

Am liebsten wäre Mimi hart geblieben und hätte ihm gesagt, dass er sich verziehen soll, stattdessen wurde ihr Blick etwas sanfter. Wie machte er das nur immer wieder? Manchmal kam es ihr vor, als wäre Tai ihr Gegenstück. Als wäre er die zweite Hälfte ihres Herzens – die bessere Hälfte. Sie hatte keine Ahnung, warum das so war, aber allein seine Berührung um ihr Handgelenk schien sie zu beruhigen und zu besänftigen.

„Ist das erlaubt?“, fragte Tai und legte leichte den Kopf schief. „Darf ich bitte einfach nur bei dir sein?“

Mimi setzte sich wieder hin und sah ihn an. Seine Frage klang weder aufdringlich, noch flehend. Es war einfach nur eine aufrichtige Bitte. Ihr Herz fing an, schneller zu schlagen. Dann ließ er ihr Handgelenk wieder los und sie nickte. Mimi sackte zurück in ihren Sitz und die Anspannung, die sie bis eben noch empfunden hatte, verschwand. Zu wissen, dass er ohne irgendwelche Forderungen gekommen war, beruhigte sie ein wenig.

„Möchtest du jetzt etwas von dem Popcorn haben?“ Tai hielt ihr erneut die Papiertüte hin und diesmal griff Mimi beherzt zu.

„Ich kann dir aber nicht versprechen, dass du den Film magst“, nuschelte sie mit vollem Mund.

„Was ist das für ein Film?“

„Anna Karenina.“

„Au Backe!“

Die Brünette musste kichern. „Sag ich’s doch.“

„Was kommt danach?“, erkundigte sich Tai hoffnungsvoll.

„Es wird nicht besser“, gestand sie ihm und machte damit all seine Hoffnungen wieder zunichte. „Planet der Affen.“

„Hey, den kenn ich, der ist gar nicht so übel.“

„Die erste Version, von 1968.“

Sie konnte förmlich hören, wie Tai’s Kartenhaus in sich zusammenfiel und er immer tiefer in seinem Sitz versank.

„Na, Bravo!“

Sie lachte auf, so dass die anderen drei Besucher einen kurzen Blick über ihre Schulter warfen.

„Noch hast du die Möglichkeit zu gehen“, schlug sie ihm vor. Ihr war schon klar, dass das hier äußerst schräg war und niemand, der noch alle beisammen hatte, sich diese Filme freiwillig reinzog. Aber Tai schüttelte entschieden den Kopf.

„Niemals!“

Dann griff er nach ihrer Hand und verschränkte seine Finger mit ihren, was ein Kribbeln auf Mimis Haut auslöste.

„Wenn das der Preis ist, um bei dir sein zu dürfen, dann zahle ich ihn“, sagte er heldenhaft, was sie schmunzeln ließ. Tai hatte es noch vor Ende des Films geschafft, dass sie sich für einen kurzen Moment gut fühlte. Und allein wegen dieses kleinen Augenblicks, war sie doch irgendwie froh, dass er gekommen war.

Tai hielt tapfer einen Film nach dem anderen durch und Mimi musste zugeben, dass sie schwer beeindruckt war. Denn um ganz ehrlich zu sein, die Filme waren größtenteils Ur-Ur-alt und sie wusste, dass Tai kein Fan davon war.

„Du ziehst das echt durch, was?“, sagte sie und schielte in seine Richtung, als gerade die letzte Szene aus „Krieg und Frieden“ lief.

Tai war tief in seinen Sitz gesunken und stützte seine Stirn mit zwei Fingern, als hätte er Kopfschmerzen. Zwischenzeitlich dachte Mimi immer mal wieder, er würde einschlafen, weil die Filme, vor allem die Dramen, unglaublich langweilig für ihn sein mussten. Aber er zog das hier eiskalt durch.

„Klar, was denkst du denn?“, antwortete er mit einer Gegenfrage und sah sie an. Er richtete sich wieder etwas auf. „Gefällt es dir hier?“

Mimi nickte. „Ich weiß, du findest es ziemlich abgedreht, aber ja. Ich find’s super hier.“

„Na, dann find ich es auch super. Es kann ja schließlich nicht schaden, mal etwas seinen Horizont zu erweitern“, grinste Tai idiotisch. „Außerdem … wenn du glücklich bist, bin ich es auch.“

„Wow“, lachte sie viel zu laut auf und hielt sich die Hand vor den Mund. „Ich muss dir ja echt viel bedeuten, wenn du dir für mich diese ganzen Streifen reinziehst.“

„Ich habe nie etwas anderes behauptet“, entgegnete er wie aus der Pistole geschossen. „Du bedeutest mir alles, Mimi.“

Diese Worte ließen ihr Lachen verstummen. Wieso fing bei seinem Blick ihr Herz wie wild an zu pochen? Sie verstand überhaupt nichts mehr. Sie wollte doch sauer auf ihn sein, verdammt! Auf ihn und auf Kyle. In dem Moment, wo sie an Kyle dachte, wurde ihr plötzlich etwas klar.

Mimi sah eine Weile in Tai’s braune Augen, dann lehnte sie sich ihm ein Stück entgegen, so dass ihre Gesichter sich näherkamen.

„Ich denke …“, begann sie zaghaft. Die Worte wollten ihr fast nicht über die Lippen kommen, doch sie waren so klar in ihrem Kopf. So deutlich, wie schon lange nichts mehr. Mimi schluckte die Unsicherheit herunter und wagte es, den Worten ihres Herzens zu folgen.

„Ich denke, ich liebe dich noch immer, Taichi Yagami.“

Es fühlte sich so befreiend an, es endlich auszusprechen. Es hatte so lange unter der Oberfläche gebrodelt, doch erst jetzt konnte sie ehrlich zu sich selbst und zu ihren Gefühlen sein. Dass sie Tai immer noch über alles liebte, wurde ihr bewusst, als sie eben an Kyle gedacht hatte. Daran, dass es auch er hätte sein können, der sie hier im Kino aufgesucht und sich neben sie gesetzt hätte. Kyle hätte genau das Gleiche tun können wie Tai. Der Unterschied war nur, dass sie nicht geblieben wäre, wenn es Kyle gewesen wäre. Sie wäre aufgestanden und wäre gegangen und nichts, was Kyle gesagt hätte, hätte sie umstimmen können. Sie war noch nicht bereit seine Nähe zu ertragen oder ihm zu verzeihen. Bei Tai hingegen war es etwas anderes. Etwas Tiefes verband sie und es war immer noch da. Sie genoss es, dass er bei ihr war. Und insgeheim wollte sie, dass er bei ihr blieb. Bei ihm fühlte sie sich sicher. Bei ihm fühlte sie sich gut. Bei ihm fühlte sie sich weniger kaputt.

Tai hob die Hand und strich eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht. Seine Finger ruhten an ihrer Wange, während ein aufrichtiges Lächeln seine Lippen umspielte. Gott, wie sehr hatte sie dieses Lächeln vermisst.

„Ich weiß, Kleines“, sagte er liebevoll. „Ich liebe dich auch immer noch und …“ Sein Daumen wanderte nach unten zu ihren vollen Lippen und strich sanft darüber. „… ich werde dich niemals wieder allein lassen. Das verspreche ich dir.“

Dann lehnte er sich zu ihr und besiegelte dieses Versprechen mit einem Kuss. Mimi wurde heiß und kalt und dann wieder heiß. Die Schmetterlinge in ihrem Bauch überschlugen sich und ein wohliger Schauer ging über ihre Haut. Tai’s Kuss war so intensiv, so bittersüß, so echt. Etwas, dass so wahrhaftig war, konnte doch unmöglich falsch sein, oder? Alles an ihm fühlte sich richtig an. Richtig und gut. Dieses Gefühl hatte sie schon viel zu lange schmerzlich vermisst. Doch dieser Kuss hatte auch einen bitteren Beigeschmack. Sie hatte schon oft darüber nachgedacht, aber jetzt in diesem Moment, als sie sich beide ihre Gefühle eingestanden hatten und sich küssten, schlich sich dieser Gedanke erneut in ihr Herz und umschlang es fest wie eine Dornenranke. Sie hatte Schuldgefühle.

Schuldgefühle, weil sie damals gegangen war. Weil sie Tai keine zweite Chance gegeben hatte. Weil sie sich gegen ihn und gegen ihre Liebe entschieden hatte. Und dieser Gedanke – Was wäre wenn? – fraß sich immer tiefer in ihr Herz. Es zermürbte sie, zu wissen, dass sie an ihrem Unglück selbst schuld war. Dass all das nie passiert wäre, wenn sie über ihren Schatten gesprungen und bei Tai geblieben wäre. Tai hatte von alledem keine Ahnung. Wie hätte sie es ihm auch erklären sollen? Was passiert ist, ist passiert. Und weder Tai, noch sie, noch irgendjemand konnte das rückgängig machen.

„Mimi …?“, flüsterte Tai an ihren Lippen, die hitzig von dem Kuss brannten. „Warum weinst du?“

Mimi schrak zurück und griff sich an die Wange. Tränen flossen wie ein Wasserfall über ihr Gesicht und sie hatte es nicht bemerkt. Schnell vergrub sie ihr Gesicht in beide Hände, denn sie wollte nicht, dass Tai sie so sah – so zerbrochen. Das war nicht sie. So wie sie jetzt war, kannte er sie nicht. Sie hatte sich in den wenigen Monaten, in denen sie getrennt waren verändert und sie wusste nicht, ob Tai dies akzeptieren würde. Er sagte, er liebte sie, doch konnte er sie immer noch lieben, wenn er alles wusste, die ganze Wahrheit? Würde er es verstehen? Konnte er in ihre tiefsten Abgründe blicken und sie dann immer noch lieben, mit all ihren schwarzen Dämonen? Mimi hatte unendliche Angst vor dieser Antwort. Sie war nicht bereit, sie zu ertragen. Wenn er wusste, wie sie wirklich war, würde er sie verlassen. Und sie würde es ihm nicht verübeln können. Wie könnte sie von ihm erwarten, dass er ihre kaputte Seele akzeptierte, wenn sie selbst nicht einmal dazu in der Lage war? Sie ertrug diese Gedanken nicht mehr …

Mimi sprang auf und flüchtete vor Tai und vor ihren Gefühlen. Doch noch ehe sie die Saaltür des Kinos erreichte, packte Tai sie am Handgelenk. Sie wirbelte zu ihm rum und wollte ihn von sich stoßen, doch Tai war schneller und zog sie fest an sich. Er schloss sie in seine starken Arme und presste seinen Körper an ihren, so dass sie keine Chance hatte zu entkommen. Sie musste sich ihm ergeben und in seinen Armen weinen. Er hielt sie so fest umschlungen, dass sie noch nicht einmal zusammenbrechen konnte. Im Hintergrund lief immer noch der Film, der sie beide anstrahlte. Sowohl in Licht, als auch in Dunkelheit getaucht, standen sie da und bewegten sich keinen Zentimeter. Lediglich ihre Schultern bebten, während sie sich in Tais Shirt krallte und es mit ihren Tränen durchnässte. Eine ganze Weile standen sie so da, bis irgendwann der Abspann lief und Tai das Wort ergriff.

„Du musst dich vor mir nicht verstecken“, flüsterte er, den Kopf auf ihren gebettet.

„Bitte lauf nicht wieder weg. Stoß mich nicht von dir, wenn es dir schlecht geht, nur weil du denkst, du müsstest alles mit dir allein ausmachen.“

„Tai …“, wisperte Mimi, während sie sich immer noch an ihm festhielt. „Ich bin nicht gut, Tai. Nicht mehr. Und ich bin nicht gut genug für dich.“ Eine weitere Träne fiel ihr von der Wange und sie schloss die Augen.

„Du bist gut, Mimi“, beteuerte Tai und hielt sie noch fester. „Ich sehe, dass du Kämpfe mit dir selbst ausfechtest. Und ich habe keine Ahnung, wie schwer das für dich sein muss oder was du gerade durchmachst. Du musst es mir auch nicht erzählen, wenn du nicht willst, okay? Ich möchte einfach nur … Bitte lass mich einfach bei dir sein. Ich möchte für dich da sein, egal wie dunkel deine Welt gerade ist.“

„Das kannst du nicht“, schniefte Mimi und war dabei, sich wieder etwas zu fassen. „Und ich kann es nicht von dir verlangen.“ Ihre Stimme war betont fest. Sie versuchte, stark zu sein, um Tai nicht mit in ihre Abgründe zu ziehen. Es war besser, wenn Tai von alledem nichts wusste. Was brachte es, ihn ebenfalls diesen Schmerz auszusetzen? Nein, das konnte sie ihm nicht antun. Dafür liebte sie ihn zu sehr.

„Aber ich kann es zumindest versuchen.“ Tai löste sich von ihr und hob ihr Kinn an, damit sie ihn ansah. Auch, wenn es ziemlich dunkel war, konnte sie deutlich in seinen Augen erkennen, wie ernst es ihm war. Tai machte keine halben Sachen oder versprach ihr Dinge, die er dann nicht einhielt. Er war nicht wie Kyle. Deswegen wusste sie auch sofort, dass jedes Wort ernst gemeint war, was nun aus seinem Mund kam.

„Ich liebe dich, Mimi“, sagte er. „Ich liebe dich und es tut mir weh, zu sehen, wie du dir selbst im Weg stehst. Du sagst, du wärst nicht gut genug. Aber das stimmt nicht. Du bist gut! Genauso wie du bist. Es ist völlig egal, ob du dich verändert hast, ob du nachts nicht schlafen kannst, weil dich schlimme Gedanken quälen oder ob du dich den ganzen Tag in einem dunklen Kino verkriechst, damit du der Welt da draußen nicht begegnen musst. Das alles ist in Ordnung für mich. Ich kann damit umgehen, glaub mir.“

Nein, kannst du nicht …

„Du bist immer noch Mimi – meine Mimi. Du hast immer noch dieses Licht in dir. Du kannst es nur gerade nicht sehen. Lass mich dir zeigen, dass es immer noch da ist.“

Tai nahm ihr Gesicht in beide Hände und legte seine Stirn gegen ihre. Mimi konnte seinen Atem spüren, während seine Worte sich den Weg unter ihre Haut und mitten in ihre Seele bahnten. Sie wollte ihnen so gerne glauben. Sie wollte so gerne glauben, dass sie wahr waren.

„Aber wie?“ fragte sie ihn leise und versuchte dabei nicht wieder in Tränen auszubrechen. „Wie willst du mir etwas zeigen, was schon längst verloren ist?“

Tai antwortete nicht sofort, sondern gab ihr stattdessen einen langen Kuss auf die Stirn, bei dem Mimi gern geglaubt hätte, dass einfach alles wieder gut wird.

„Komm mit“, sagte Tai schließlich. „Ich habe eine Überraschung für dich.“

Nur ein halbes Leben

Tai griff nach ihrer Hand und führte sie hinaus aus dem Kinosaal. Mimi musste mehrmals blinzeln, um sich an die Helligkeit der Deckenlampen zu gewöhnen. Sie hielt eine Hand vor’s Gesicht, als Tai sie hinter sich her und hinaus auf die Straße zog. Es war bereits dunkel geworden, was Mimis Augen deutlich angenehmer war. Sie nahm die Hand runter und folgte Tai blindlings weiter, obwohl sie keine Ahnung hatte, was er vorhatte.

„Wo gehen wir hin?“, fragte sie ihn.

„Na ja, da unser Date ja noch nicht vorbei ist …“, redete er drauf los.

„Äh … wir haben doch gar kein Date.“

„ … dachte ich, wir machen eine kleine Spritztour.“

„Eine Spritztour?“

Eine Spritztour. Tai und sie. In einem Auto? Oh, nein …

Mimi wurde ganz mulmig zumute. Davon bekam Tai jedoch nichts mit, denn er zog sie zielstrebig weiter hinter sich her, bis sie in eine etwas abgelegenere Nebenstraße einbogen und sich nun auf einem öffentlichen Parkplatz befanden.

Tai blieb vor einem schwarzen Cabrio stehen und holte einen Schlüssel aus seiner Hosentasche. Das Auto blinkte kurz auf, als Tai es durch einen Klick öffnete.

Wie angewurzelt blieb Mimi stehen.

„Woher hast du das?“

„Es ist ein Leihwagen“, erklärte Tai und ging zur Beifahrerseite, um die Tür zu öffnen. „Ich wollte eigentlich eine andere Farbe, der alten Zeiten Willen.“ Er grinste so breit, dass Mimi sofort klar war, dass er nur auf ihren Geburtstag anspielen konnte. Als er sie ebenfalls mit einer Spritztour überrascht hatte.

„Aber ich dachte mir, der hier tut’s auch. Lust auf eine kleine Rundfahrt? Du könntest mir deinen Lieblingsplatz in New York zeigen. Ich kenne mich hier ja so gut wie gar nicht aus.“

Er hielt ihr die Tür auf und erwartete, dass sie einstieg, doch Mimi blieb einfach stehen und rieb sich unbehaglich über die Arme.

„Ich … ich weiß nicht, Tai. Ich denke, ich bin nicht in Stimmung für so was.“

Sie wich seinem Blick absichtlich aus, damit er die Panik nicht erkennen konnte, die sich so langsam in ihren Augen breit machte.

Doch anstatt es gut sein zu lassen, seufzte Tai nur, schlug die Tür wieder zu und ging zu ihr rüber. Mimi stand in sicherer Entfernung zum Wagen, als könnte er sie irgendwie beißen.

„Wovor hast du Angst?“, fragte Tai scharfsinnig. Mimi wirbelte herum und sah zu ihm auf.

„Ich habe keine Angst!“

„Kannst du nicht mit mir allein sein? Ist es das?“

Mimi biss sich auf die Unterlippe, als er näher an sie herantrat.

„Nein, das ist es nicht. Ich …“, begann sie, aber sie hatte keine Ahnung, wie sie den Satz beenden sollte. Also schwieg sie, in der Hoffnung, Tai würde einfach aufgeben.

„Mimi“, sagte er stattdessen und strich ihr mit der Hand durchs Haar. „Ich habe keine Ahnung, warum du dir selbst nicht mehr gestattest glücklich zu sein. Es kommt mir vor, als würdest du nur noch ein halbes Leben leben.“

Mimi krallte unwillkürlich die Fingernägel in ihr Fleisch. War das so? Lebte sie tatsächlich nur noch ein halbes Leben?

„Ich möchte dich wieder glücklich sehen, Mimi. Ich möchte, dass du Spaß hast. Ich möchte, dass du lachst. Aber vor allem möchte ich dir helfen, diesen Abgrund zu überwinden, vor dem du gerade stehst.“

Mimi schluckte den dicken Kloß, der sich in ihrem Hals gebildet hatte herunter. Der Anflug eines Grinsens schlich sich auf Tais Lippen, während er sie liebevoll ansah.

„Weißt du noch, wie viel Spaß du hattest, als ich dich auf deinem Geburtstag mit diesem Auto überrascht habe und wir damit durch die Gegend gefahren sind?“

Mimi konnte ein Lächeln nicht unterdrücken.

„Natürlich weiß ich das noch.“ Wie könnte sie das je vergessen? An diesem Abend hatte sie sich hoffnungslos in Tai verliebt. „Das war ein wundervoller Abend.“

„Komm mit mir, ja?“, entgegnete Tai und ein zaghaftes Flehen lag in seinem Blick. „Lass mich dir zeigen, dass es wieder so sein kann. Wir sind immer noch zusammen, Mimi. Genau hier und jetzt. Lass mich dir zeigen, dass sich nicht alles verändert hat. Du bist immer noch du und ich bin immer noch ich und zusammen können wir immer noch wundervoll sein. Das Leben kann wundervoll sein.“

Tais Augen funkelten so hoffnungsvoll, dass Mimis Herz kurz davor war, sich zu öffnen und diese Hoffnung in sich aufzunehmen. Ehe sie überhaupt darüber nachdenken konnte, was sie da tat, legte sie eine Hand in Tais Nacken und schenkte ihm ein Lächeln. Sie zog ihn zu sich und küsste ihn. Womit hatte sie diesen Mann nur verdient? Sie hatten so viel durchgemacht. Sie hatte ihn verlassen und wollte ihn nie wieder sehen. Und trotzdem stand er hier vor ihr und kämpfte um sie und um ihre Liebe. Das war mehr, als überhaupt jemals ein Mensch für sie getan hatte. Sie musste versuchen, über ihren Schatten zu springen, ihm und ihr selbst zu Liebe.

„Überredet“, wisperte sie an seinen Lippen, als sie sich von ihm löste. „Lass uns eine Spritztour machen.“

Tais Miene erhellte sich und er strahlte bis über beide Ohren, wie ein kleiner Junge, woraufhin Mimi kichern musste. Dass er sich so sehr darüber freute, dass sie seine Einladung annahm, fand sie unglaublich süß. Es gab ihr die Zuversicht, die sie brauchte, um in dieses Auto zu steigen.

Tai führte sie zum Wagen und hielt ihr erneut die Tür auf. Mimi zwang sich, nicht zu zögern und einfach einzusteigen. Es fühlte sich komisch an, wieder in einem Auto zu sitzen, aber es war okay. Tai war ja bei ihr.

Er selbst stieg auf der Fahrerseite ein und schnallte sich an. Auch ihre Hand legte sich um den Sicherheitsgurt. Sie schloss ihn und prüfte noch einmal nach, ob er auch richtig saß. Dann sah sie zu Tai, der breit grinste.

„Bereit?“

„Bereit, wenn du es bist.“ Während Mimi noch ein mal tief durchatmete, startete Tai den Motor.

Allein das Geräusch des Wagens ließ sie zusammenzucken, doch sie gewöhnte sich schneller als gedacht daran. Auch wenn ihr das Herz bereits jetzt bis zum Hals schlug. Ihre Hände begannen zu schwitzen und ohne, dass sie es bemerkte, krallte sie die Finger fest um ihren Gurt.

Ganz ruhig, Mimi. Es ist alles in Ordnung. Du schaffst das. Sei mutig!

Ihr Mund wurde staubtrocken und ihre Augen waren weit aufgerissen, als Tai anfahren wollte und der Wagen einen Satz nach vorne machte. Sie schrie für einen kurzen Moment auf, während Tai fluchte. „Shit!“

Das Blut rauschte in ihren Ohren und sie begann zu zittern, als die Erinnerungen sie wie eine Welle aus dem Nichts fluteten. Sie erfassten sie und ergriffen Besitz von ihr. Erneut erweckten sie die Angst zum Leben. Mimi schien wie versteinert.

„Tut mir leid“, sagte Tai, der von alledem nichts mitzubekommen schien und kratzte sich verlegen am Hinterkopf. „Ich bin noch nicht mit Gangschaltung gefahren“, entschuldigte er sich und wollte den Zündschlüssel wieder rumdrehen. „Das haben wir gleich. Mit ein bisschen Übung …“

„NEIN, WARTE!“

Panisch griff Mimi nach seiner Hand, um ihn daran zu hindern, den Motor erneut zu starten.

Etwas irritiert sah er die Brünette an.

„Was ist denn?“

Auf Mimis Stirn hatten sich Schweißperlen gebildet und in ihren Augen spiegelte sich die blanke Furcht. Sie wusste, dass sie vermutlich so aussah, als würde sie gleich durchdrehen, aber das war ihr egal. Um nichts in der Welt konnte sie auch nur eine weitere Sekunde in diesem Auto sitzen. Sie musste von hier verschwinden und das schnell, bevor sie völlig den Verstand verlor. Sie stand kurz vor einem Anfall …

„Stimmt was nicht?“, hakte Tai nun deutlich besorgt nach, da auch er bemerkt hatte, wie kreidebleich sie geworden war.

„Tut mir leid“, brachte Mimi lediglich über ihre staubtrockenen Lippen. „Aber … i-ich kann das nicht.“

Ohne ein weiteres Wort der Erklärung, öffnete sie mit zittrigen Fingern den Sicherheitsgurt und dann die Wagentür. Stürmisch sprang sie aus dem Wagen und stolperte dabei fast noch über ihre eigenen Füße.

„Mimi, warte“, rief Tai ihr noch hinterher, doch sie drehte sich nicht mehr nach ihm um. Sie wollte weg. Nur noch weg.

Weg von diesen Erinnerungen, die sie schneller eingeholt hatten, als ihr lieb war. Sie dachte, sie hätte stark sein können. Sie dachte, sie würde es schaffen, sich nichts anmerken zu lassen. Doch ihre Reaktion eben im Auto machte ihr nur allzu deutlich, dass sie noch lange nicht so weit war, ihre Dämonen hinter sich zu lassen. Sie verfolgten sie und waren immer bei ihr. Ob sie sie wahrnahm oder nicht. Sie waren immer da! Wie konnte sie nur so dumm sein und denken, dass sie sie in Tais Nähe loswerden könnte?

Mimi rannte immer weiter und somit immer weiter weg von Tai und der Vergangenheit. Mehrere Leute sahen sie merkwürdig an, als sie durch die Straßen eilte, als würde sie jemand verfolgen. Doch diesen Verfolger konnte sie einfach nicht abschütteln, egal wie schnell sie vor ihm floh.
 

***
 

Völlig außer Atem kam sie zu Hause an. Sie schleppte sich in den Fahrstuhl und fuhr nach oben in ihr Apartment. Die drückende Leere schlug ihr entgegen, sobald sie es betreten hatte. Sie wollte hier nicht sein. Sie wollte nirgendwo mehr sein. Warum war alles nur so furchtbar aus dem Ruder gelaufen?

Was sollte sie jetzt tun?

Alison anrufen? Sich von Tais in ihre Arme flüchten? Nein, das konnte sie nicht machen. Nicht, nachdem Alison so offensichtlich auf Tais Seite stand. Sie würde sie nur dazu drängen, wieder zu Tai zu gehen, mit ihm zu reden und ihm endlich die ganze Wahrheit zu erzählen. Nein! Auf keinen Fall würde sie das tun. Dann lieber würde sie in dem Schmerz ertrinken, der sie Tag für Tag heimsuchte.

Vom Rennen war sie durchgeschwitzt und die Haare klebten an ihrer Stirn, doch anstatt unter die Dusche zu gehen, ging sie an die Bar ihrer Eltern, die in der Küche stand. Sie bückte sich und griff in eines der unteren Fächer des Tresens, um eine Flasche Wodka hervorzuholen. Dann ging sie nach oben, in das Zimmer, dass niemand betreten durfte, außer sie.

Sie streifte sich die durchnässten Klamotten ab, die an ihrer Haut klebten und warf sie auf den Boden. Dann setzte sie sich nur noch in Unterwäsche gekleidet auf das einzige Bett, was in dem Raum stand, der nahezu dunkel war. Nur das Licht der offenen Tür schien herein. Mimi öffnete die Flasche. Sie nahm einen großen Schluck davon und verzog angeekelt das Gesicht, ehe sie augenblicklich in Tränen ausbrach. Schluchzend presste sie sich eine Hand auf den Mund, um das Geräusch zu unterdrücken, das ohnehin niemand hören konnte.

Was war nur in sie gefahren?

Hatte sie ernsthaft geglaubt, Tai könnte ihr helfen?

Seine Worte waren so schön, wie Balsam für ihre Seele. Und für einen kurzen Moment hatte sie sich hinreißen lassen und ihnen geglaubt. Bis sie eiskalt auf den Boden der Tatsachen aufschlug – erneut. Tai hatte recht. Immer wieder stand sie sich selbst im Weg und ja … das Leben, was sie gerade lebte, war bestenfalls ein halbes Leben, mehr nicht. Tai sagte, sie wäre immer noch sie selbst. Doch wenn sie in den Spiegel sah, erkannte sie schon lange nicht mehr das Mädchen, das sie einmal war. Was sie sah, war eine leere Hülle, die zerfressen war von Schuldgefühlen.

Sie setzte die Flasche abermals an und diesmal nahm sie gleich mehrere Schlucke von dem herben Alkohol. Dann stützte sie den Kopf in ihre Hand und begann immer wieder manisch nach vorn und nach hinten zu wippen, während ihr die Tränen weiter übers Gesicht liefen.

Sie hatte keine Ahnung, was Tai in ihr sah. Wahrscheinlich war es ein Wunschgedanke. Er schien an der Vorstellung festzuhalten, dass sie immer noch sie war und dass sie immer noch zusammen sein konnten. Dass sie es natürlich schaffen würde, ihre Abgründe zu überwinden. Doch diese waren inzwischen so groß, so tief, dass Mimi nicht wusste, wie sie diese jemals hinter sich lassen sollte.

Nach einem weiteren großen Schluck, schob sie die Hand in den Mund und biss sich schmerzlich auf die Finger, damit sie etwas anderes spürte, als diesen seelischen Schmerz. Jeder Schmerz war besser als dieser. Ihre Zähne bohrten sich ins Fleisch, bis sie Blut auf ihrer Zunge schmeckte. Sie ließ von sich selbst ab und wischte sich die letzten Tränen aus dem Gesicht. Starr richtete sie den Blick auf die Wand gegenüber. Auf die unzähligen Fotos, die sie gesammelt hatte – auf Daryl Watkins.

Und plötzlich verspürte sie nur noch eins: Hass.

Er war der Grund für ihre Schmerzen.

Er war der Grund, warum ihr Leben einem Scherbenhaufen glich.

Und es interessierte ihn einen Scheißdreck! Er lebte einfach weiter, als wäre nie etwas gewesen. Als hätte er nicht innerhalb von Sekunden ihre Welt zum einstürzen gebracht.

Mimi stand vom Bett auf und stellte sich direkt vor die Fotos. Es tat weh, aber sie wollte diesem Mistkerl in die Augen sehen. Sie wollte, dass ihm bewusstwurde, was er ihr angetan hatte.

Noch mehr … er sollte leiden.

Leiden wie sie.

Mimis Herz verkrampfte sich, bei dem Gedanken daran, doch es brachte ihr auch noch etwas anderes – das Gefühl von Genugtuung. Es wurde Zeit, dass Daryl Watkins seine gerechte Strafe erhielt.

Er sollte dafür bezahlen, was er ihr angetan hatte. Erst dann würde sie ein für alle Mal mit der Sache abschließen können.

Sie nahm eines der Fotos von der Wand und betrachtete es eingehend. Das erste Mal war sie sich absolut sicher, was nun zu tun war. Und es gab nur einen einzigen Menschen auf der Welt, der sie dabei unterstützen würde. Die einzige Person, die ihre Dämonen besser verstand als sie selbst. Die einzige Person, die sie wirklich so akzeptierte, wie sie war und der kein Problem damit hatte, mit ihr gemeinsam in den Abgrund zu steigen.

Sie spürte, wie die düsteren Gedanken gemischt mit dem Alkohol ihre Sinne vernebelten. Und doch schien plötzlich alles so klar, als sie nach ihrem Handy griff, was aus ihrer Hosentasche auf den Boden gefallen war.

Während sie die Nummer wählte und wartete, starrte sie weiter das Foto von Daryl an, wie er gerade völlig unbeschwert mit seinem Hund Gassi ging.

Nein, er dachte wirklich keine Sekunde an Mimi.

„Hallo? Mimi?“

„Kyle“, sagte sie mit fester Stimme, als er endlich abhob.

„Ich wusste, du würdest dich melden“, antwortete er ruhig und gelassen. Mimi ignorierte seine Selbstsicherheit und kam direkt zur Sache.

„Ich brauche deine Hilfe.“

„Wofür?“

„Das weißt du.“

Schweigen.

„Bist du dir sicher?“, fragte Kyle nach einer Weile. „Wenn wir das wirklich durchziehen, gibt es kein Zurück mehr.“

Mimi holte nicht einmal Luft, um zu antworten. „Ich bin mir sicher“, entgegnete sie schnell. „Lass es uns tun.“

„Okay“, antwortete Kyle mit eiskalter Stimme. Sie wusste, sie konnte sich auf ihn verlassen. „Bist du zu Hause? Ich komme vorbei.“

„Ja, bis gleich“, antwortete Mimi noch, ehe sie auflegte und einen weiteren großen Schluck von dem Wodka nahm, um das aufgeregte Kribbeln in ihrer Brust zu unterdrücken. Adrenalin schoss durch ihre Adern und beflügelte sie. Die Flasche stellte sie auf den Nachttisch neben dem Bett ab. Dann zerriss sie Daryls Foto in zwei Hälften. Allein das fühlte sich unglaublich gut an.

So befreiend.

Wie würde es sich dann erst anfühlen, wenn er endlich seine gerechte Strafe erhielt?
 

***
 

„Sie geht nicht ans Telefon“, sagte Izzy in die Runde, als sie gerade auf den Weg zu Mimis Apartment waren. Er hatte jetzt schon mehrmals versucht, sie zu erreichen, doch sie hob nicht ab. Aber wen wunderte es?

„Hast du es mal bei Tai probiert?“, fragte Sora. Matt warf ihr einen vielsagenden Blick zu.

„Meinst du ernsthaft, er würde rangehen? Wohl kaum.“

Sora seufzte und ließ die Schultern hängen. Kari und Sora waren inzwischen in alles eingeweiht und auch sie wurden allmählich nervös. So langsam rann ihnen die Zeit davon. Was, wenn Kyle seine Drohung wirklich wahrmachen würde? Er hatte einfach zu viel gegen Tai in der Hand.

„Wir sind da“, verkündete Izzy und blieb vor dem Eingang eines luxuriösen Hochhauses in der Upper East Side stehen. Kari staunte, während ihr Blick nach oben wanderte.

„Wow, Mimis Vater scheint es weit gebracht zu haben.“

Izzy nickte, während sich ihm der Magen umdrehte, bei dem Gedanken, dass sie kurz davorstanden, Mimi und im schlimmsten Fall auch Tai erneut zu überfallen. Was wollten sie hiermit erreichen? Als ob Tai sofort mit ihnen mitgehen und in den nächsten Flieger steigen würde, ohne dass er auch nur eine Erklärung von ihnen bekam. Aber sie konnten ihm keine geben, das wussten sie alle.

„Ich weiß echt nicht, ob das eine gute Idee ist“, fing nun auch Matt an zu zweifeln und legte die Stirn in Falten.

„Jetzt sind wir hier“, entgegnete Sora entschlossen. „Jetzt gehen wir auf jeden Fall auch hoch. Und wenn Tai nicht da ist, ist das auch nicht so schlimm. Vielleicht kriegen wir ja aus Mimi raus, wo er sich gerade aufhält.“

Izzy hätte sich am liebsten mit der flachen Hand gegen den Kopf geschlagen. Dieser Schnellschuss brachte doch niemanden etwas.

Gerade, als Sora voran gehen und das Gebäude betreten wollte, hielt Izzy sie am Handgelenk fest und zog sie mit einem Ruck zurück.

„Autsch! Was ist denn?“, beschwerte sich die Rothaarige.

„Warte mal.“

Izzys Blick wurde scharfsinnig und er schielte unauffällig die Straße hinunter. „Scheiße!“, fluchte er und riss Sora sofort mit sich. „Wir müssen hier weg!“

„Hey, was soll denn das? Zieh nicht so!“, meckerte Sora ihn an. Matt und Kari folgten ihnen, als Izzy im nächsten Hauseingang Schutz suchte.

„Kannst du mir mal erklären, was plötzlich in dich gefahren ist?“ Sora rieb sich ihr Handgelenk, da Izzy sie wohl etwas zu grob angepackt hatte.

„Was ist los, Izzy?“, hakte nun auch Kari nach. Ihr Blick wirkte beunruhigt. Und das konnte sie auch sein.

Izzy sah vorsichtig um die Ecke und beteuerte mit einer Handbewegung, dass alle hinter ihm stehen bleiben sollten.

„Da ist Kyle.“

Matt fiel sofort alles aus dem Gesicht. „Was?“, sagte er entsetzt und riskierte nun ebenfalls einen Blick. „Was macht der denn hier?“

„Das weiß ich leider nicht. Aber wir können auf keinen Fall zu Mimi, wenn er auch hier ist“, flüsterte Izzy, während er dabei zusah, wie Kyle kurz vor dem Eingang des Gebäudes stehen blieb und etwas auf seinem Handy nachsah. Dann steckte er es wieder in seine Hosentasche und ging durch den Haupteingang.

„Verdammt!“, fluchte Matt, der aussah, als würde er am liebsten auf die Hauswand einschlagen.

„Wenn dieser Kyle dort ist, dann heißt das, dass Tai auf keinen Fall gerade bei Mimi sein kann“, schlussfolgerte Kari. Izzy nickte.

„Nein, da hast du recht. Ich glaube, es ist besser, wenn wir uns erst mal zurückziehen. Lasst uns zu mir nach Hause gehen und abwarten. Wir versuchen es ein andermal und probieren solange Tai irgendwie zu erreichen.“

Diesmal gab es keinen Widerspruch, worüber Izzy sehr erleichtert war. Kyle hatte mehr als deutlich gemacht, was passierte, wenn nicht nach seinen Regeln gespielt wurde. Was ihn allerdings noch mehr beunruhigte, war die Frage, was Kyle bei Mimi zu suchen hatte …

Der bittersüße Geschmack der Rache

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Keine halben Sachen

Tai hatte wirklich keine Ahnung, was plötzlich in Mimi gefahren war.

Warum war sie wie von der Tarantel gestochen aus dem Auto gesprungen und ohne ein Wort davongelaufen? Irgendetwas musste sie tief in ihrem Inneren erschüttert haben. Sie wirkte mit einem Mal so … verstört. Es war, als wäre sie nicht mehr sie selbst.

So kannte er sie gar nicht.

Tai machte sich Sorgen um sie – ernsthafte Sorgen. Mimi öffnete sich ihm nicht und er hatte das Gefühl, dass sie sich immer weiter von ihm entfernte. Früher standen sie sich so nahe, sie waren wie Seelenverwandte. Und jetzt? Jetzt entglitt sie ihm immer mehr. Sie war wie Sand, der durch seine Finger rann.

Tai seufzte und ging in eine der vielen Seitenstraßen, um ein wenig Ruhe vor dem Lärm der Straße zu haben. Eben hatte er den Leihwagen zurückgebracht, mit dem er Mimi überrascht hatte, was deutlich in die Hose gegangen war. Jetzt versuchte er schon zum wiederholten Male sie zu erreichen, doch sie war wie vom Erdboden verschluckt.

Ihr Handy war abgeschaltet.

Frustriert legte Tai auf und schlug mit der Faust gegen die Wand, an die er lehnte. Was war nur los mit ihr? Er würde ihr so gerne helfen. Was auch immer sie durchmachte, er war sich sicher, dass sie es gemeinsam überwinden konnten.

Aber wie sollte er ihr helfen, wenn sie ihn ausschloss?

Verdammt, dafür war er nicht hergekommen.

Es half alles nichts, er musste zurück in sein Hotelzimmer gehen und es morgen noch mal versuchen. Er könnte bei ihr vorbeigehen und …

Sein Handy klingelte und sein Herz machte einen Satz.

Eilig zog er es aus der Hosentasche und hob ab, ohne nachzusehen, wer anrief.

„Mimi?“, fragte Tai aufgeregt.

Und fiel im nächsten Moment zurück auf den Boden.

„Äh, nein … hallo, Tai.“

„Kari“, seufzte der Braunhaarige und ließ den Kopf hängen. „Du bist es.“

„Tut mir leid, dass du jemand anderen erwartet hast. Ist alles in Ordnung?“

Tai lehnte die Stirn gegen die kalte Mauer und schloss die Augen.

„Ja“, log er, auch wenn es ihm schwerfiel. „Ja, es ist alles in Ordnung.“

„Bist du sicher?“ Kari klang misstrauisch.

„Ja, bin ich. Warum rufst du an?“

Was auch immer seine Schwester jetzt von ihm wollte, es musste warten.

„Wir sind in New York. Sora und ich.“

Tai hob überrascht den Kopf. „Was? Seit wann? Tut mir leid, ich habe total vergessen, dass ihr kommen wolltet.“

„Jaah, ist nicht so wichtig“, sagte Kari. Sie klang irgendwie gehetzt. „Hör zu, ich muss dir etwas sagen …“

Plötzlich hörte Tai ein Rascheln am Telefon.

„Tai, ich bins“, erklang nun Izzys Stimme. Tai unterdrückte ein Stöhnen.

„Izzy, ich habe gerade wirklich keine Zeit für eure Verschwörungstheorien und nein, ich fliege nicht zurück.“ Tai machte kein Geheimnis daraus, wie genervt er inzwischen von ihm und Matt war. Solange sie nicht vorhatten mit offenen Karten zu spielen, würde er sich auf keinen Kompromiss einlassen. Das müssten sie eigentlich wissen. Sie kannten ihn schließlich lange genug.

„Deswegen rufe ich nicht an.“

Stutzend wandte Tai sich um und blickte in die dunkle Gasse vor sich. Ein paar Meter weiter kämpften einige Straßenkatzen erbittert um etwas zu Essen aus einer Mülltonne. Ein wildes Fauchen drang durch die Dunkelheit.

Herr Gott, jede Minute, die er hier und nicht bei Mimi verbrachte, war verschenkte Zeit.

„Was willst du dann? Und beeil dich, ich hab’s eilig.“

Das Letzte, was er nach seinem verpatzten Date mit Mimi brauchte, waren Freunde, die ihn dazu drängten, das Flasche zu tun. Weil sie alle dachten, dass sie es besser wussten.

„Ich wollte dich nur warnen“, sagte Izzy und klang dabei sehr ernst. „Wir haben eben Kyle bei Mimi gesehen.“

Bei den beiden Namen wurde Tai hellhörig. „Wie? Ihr seid bei Mimi gewesen? Wann? Wieso? Und … was hat Kyle da zu suchen?“

„Das wissen wir leider auch nicht“, gestand Izzy ihm sorgenvoll, ohne auf seine anderen Fragen einzugehen. „Und nein, wir waren nicht wirklich bei Mimi. Wir wollten, aber … das ist jetzt egal. Tai, hör mir jetzt gut zu. Kyle hatte uns von Anfang an in der Hand. Dich, mich, uns alle. Es tut mir leid, dass ich dir nichts Genaueres erklären kann, aber wir wollten dich wirklich nur schützen. Es ist einfach …“ Izzy geriet ins Stocken, während Tai versuchte zu begreifen, was er da redete. Was hatte das alles zu bedeuten? Es war wirres Zeug, was da aus seinem Mund kam.

„Pass einfach auf dich auf, Tai. Ich habe ein ganz ungutes Gefühl.“

Tai griff sich mit der freien Hand an die Stirn und richtete den Blick nach unten. Gott, hörte das denn nie auf?

„Izzy …“, sagte er gedehnt, denn er war es leid. „Ich habe wirklich keine Ahnung, was das soll und wieso du das sagst. Ja, Kyle ist nicht ganz dicht und sicher ist er auch gefährlich, aber komm schon. Was soll er noch machen, außer mich ins Gefängnis bringen? Er hat bereits versucht mich loszuwerden und es hat nicht funktioniert. Also bitte, lass diesen Quatsch und hört endlich alle damit auf. Und richte bitte Matt von mir aus, dass er…“

Das Handy glitt aus seiner Hand und fiel zu Boden.

Den stumpfen Schlag nahm er erst einige Sekunden, nachdem er passiert war wahr.

Warum tat sein Kopf plötzlich so weh?

Seine Hand griff nach hinten in sein Haar und dann …

Warmes, klebriges Blut an seinen Fingerspitzen.

Und das Gefühl von nassem Asphalt in seinem Gesicht.

Er war zusammengebrochen.

Ein pochender Schmerz.

Izzy’s Stimme im Hintergrund.

„Iz-Izzy …“

Seine eigene Stimme hörte sich befremdlich weit weg an. Als würde sie nicht mehr aus seinem Körper kommen.

Er streckte die Hand nach seinem Telefon aus, aber jemand kickte es zur Seite.

Tai versuchte nach oben zu sehen, doch sein Blick verschwamm immer mehr. Er konnte die Gestalt nicht ausmachen, die ihn niedergeschlagen hatte. Alles, was er sah, war ein Baseballschläger, an dem sein Blut klebte.

Die Person stand direkt vor ihm. Eine dunkelblaue Jeans, mit einer Schlüsselkette am Hosenbund. Dann ließ sie den Schläger fallen, machte auf dem Absatz kehrt und rannte davon.

Nein!

Verdammt!

Verdammt, verdammt, verdammt!

Nein, das durfte einfach nicht sein. Nicht jetzt.

Er spürte, wie der Schmerz in seinem Kopf – dieser unfassbar pochende Schmerz – sich langsam zurückzog. Plötzlich fühlte es sich stumpf an, genau wie sein ganzer Körper. Er konnte sich nicht mehr bewegen und sein Blick verschwamm immer mehr, bis er gar nichts mehr spürte …
 

***
 

„Scheiße!“, fluchte Izzy und schleuderte Karis Handy voller Wut gegen die Wand. Es zersprang in seine Einzelteile und alle um ihn herum zuckten zusammen.

„Was ist passiert?“, wollte Kari sofort wissen. Sie und Sora saßen auf dem Sofa in seinem Apartment und tauschten sorgenvolle Blicke mit Matt, der wie gebannt neben dem kaputten Telefon stand und Izzy schockiert musterte.

„Ich glaube, Tai wurde gerade niedergeschlagen. Zumindest hat es sich so angehört“, erzählte Izzy mit zusammengebissenen Zähnen.

Kari und Sora erschraken.

Völlig unerwartet machte Matt einen Satz nach vorne und packte Izzy am Hemdkragen.

„Was? Warum hast du ihn nicht gefragt, wo er steckt? Wie sollen wir ihn denn jetzt finden?“, schrie er ihn an. Matts Gesicht brannte vor Wut und auch Izzy war außer sich.

„Es war keine Zeit, ihn zu fragen, das hast du doch mitbekommen.“

„Du hättest das Reden lieber mir überlassen sollen. Was, wenn er unsere Hilfe braucht?“

„Denkst du, ich bin bescheuert? Ich mache mir genauso Sorgen um Tai, wie du“, schrie Izzy zurück, während Matt so aussah, als würde er ihm jeden Moment eine reinhauen.

„Hört auf! Sofort!“, befahl Kari und sprang vom Sofa auf. Tränen glitzerten in ihren Augen. „Das bringt doch nichts. Tai ist vermutlich verletzt und ihr beide habt nichts Besseres zu tun, als zu streiten. Das hilft uns kein Stück weiter.“

Matt ließ Izzy los und trat einen Schritt zurück, allerdings nicht ohne, dass die zwei sich noch ein mal bitterböse anfunkelten. Die Pferde waren mit ihnen durchgegangen und sie hatten ihre Emotionen nur schwer im Griff. Izzy hatte gerade mit anhören müssen, wie einer seiner Freunde angegriffen wurde. Er hatte es nicht verhindern können – und das machte ihn fertig.

„Kari hat recht“, sagte nun auch Sora bestimmt und stand ebenfalls auf. Sie legte Kari beruhigend eine Hand auf die Schulter. „Wir sollten lieber überlegen, wie wir Tai helfen können. Izzy, hast du eine Idee, wie wir ihn finden können?“, wandte sie sich nun an den Rothaarigen, in dessen Kopf es bereits ratterte. Dann nickte er.

„Tai’s Handy könnte immer noch aktiv sein, insofern der Angreifer es nicht zerstört oder mitgenommen hat. Ich könnte versuchen, ihn über GPS zu finden.“

„Sehr gut, einen Versuch ist es wert“, meinte Sora zustimmend und Izzy rannte sofort los, um seinen Laptop zu holen. Dann ging sie auf Matt zu und sah ihn bedeutungsvoll an.

„Bitte versprich mir, dass du jetzt nicht die Nerven verlierst.“

Matt blickte bedrückt zu Boden. Seine Hände hatte er zu Fäusten geballt. Er zitterte.

„Matt“, sagte Sora noch mal eindringlich und umfasste sein Gesicht. „Tai braucht dich jetzt.“

Kari fing an zu schluchzen.

Matt nickte und plötzlich war die Wut verschwunden. Stattdessen spiegelte sich die blanke Angst in seinen Augen wider.

„Bitte mach, dass es ihm gut geht.“

Seine Stimme bebte. Alle konnten die Furcht spüren, die über ihnen im Raum schwebte, aber keiner wagte es, den Gedanken laut auszusprechen. Den Gedanken, ob sie Tai überhaupt noch helfen konnten oder ob es bereits zu spät war.
 

***
 

„Lief alles nach Plan?“, wollte Kyle wissen, nachdem er sich kurz aus Mimis Zimmer geschlichen hatte, während sie duschen war. Er presste das Handy an sein Ohr und ging die Treppen nach unten in die Küche.

„Natürlich“, antwortete Scott am anderen Ende der Leitung. „Der steht so schnell nicht wieder auf.“

Ein teuflisches Grinsen legte sich auf Kyles Lippen.

Botschaft angekommen. Na, das lief doch wie geschmiert.

Es würde ihn doch sehr wundern, wenn Tai sich jemals wieder bei Mimi blicken lassen würde. So lebensmüde konnte er gar nicht sein. Niemand wäre so dumm.

„Sehr gut. Ich will, dass dieser Wichser dahin zurückgeht, wo er hergekommen ist.“

Kyle nahm sich ein Glas aus einem der oberen Schränke und befüllte es sich am Spülecken mit frischem Wasser.

„Keine Sorge, das wird er. Wenn er noch gehen kann.“ Scott lachte kurz auf, was Kyle eine angenehme Genugtuung verschaffte. Zu gern wäre er dabei gewesen und hätte seine Fäuste sprechen lassen. Aber das wäre zu riskant gewesen.

„Was hast du mit seinem Handy gemacht?“", wollte Kyle wissen. Scott stutzte.

„Äh … seinem Handy?“

Kyle stützte sich am Spülbecken ab. „Sag mir nicht, du hast sein Handy dort gelassen.“

„Wieso? Sollte ich es mitnehmen?“

„Scott …“ Fassungslos fuhr Kyle sich mit der Hand übers Gesicht.

„Bist. Du. Bescheuert?“

Manchmal fragte er sich, wie Scott überhaupt geradeaus gehen konnte. Er war wirklich zu nichts zu gebrauchen, außer für ihn die Drecksarbeit zu erledigen.

„Du … Herr Gott noch mal, du kannst ihn doch nicht niederschlagen und dann alle Wertgegenstände bei ihm lassen. Wie soll es denn sonst nach einem Raubüberfall aussehen? Hast du wenigstens seine Brieftasche eingesteckt?“

„Äh …“

Alles klar.

Jegliche Erklärung war zwecklos. Kyle raufte sich die Haare, weil sein Handlanger so schwer von Begriff war. Dann stemmte er die Hand in die Hüfte.

„Wie dämlich bist du eigentlich?“

„Davon hast du nichts gesagt.“

„So was müsste ich auch nicht extra sagen, wenn du wenigstens eine deiner wenigen Gehirnzellen aktivieren würdest. Manchmal denke ich echt, du …“

Er stockte und horchte auf. Oben ging die Tür und Schritte waren zu vernehmen.

„Ich muss Schluss machen. Halt mich auf dem Laufendem. Das kriegst du ja wohl noch hin.“

Noch bevor Scott etwas erwidern konnte, legte Kyle auf und legte das Handy neben sich auf die Arbeitsplatte.

Mimi kam in die Küche.

„Hey, Babe“, begrüßte er sie mit einem anzüglichen Grinsen, denn sie war nur in ein Handtuch gewickelt. Ihre Haare waren noch nass und fielen ihr in Wellen über die Schulter. Nachdem sie den ganzen Abend im Bett verbracht hatten, waren sie beide so durchgeschwitzt gewesen, dass sie dringend eine weitere Dusche nötig hatten.

„Mit wem hast du telefoniert?“, wollte Mimi wissen und ging auf ihn zu, um ihm beide Hände auf seine nackte Brust zu legen.

Verdammt, ihr entging aber auch nichts.

„Ein Freund“, log Kyle, ohne mit der Wimper zu zucken. „Ich habe ein paar Leute eingeladen. Ich hoffe, das ist dir recht. Wir müssen unbedingt eine Party feiern.“ Zumindest das war nicht gelogen. Schon vor zwei Stunden hatte er über Social Media ein paar seiner Leute informiert, dass heute Abend bei Mimi eine Party stieg.

Die Brünette runzelte die Stirn.

„Meinst du, das ist jetzt das Richtige? Wir haben vorhin beschlossen, dass wir Daryl … na, du weißt schon … und jetzt feiern wir eine Party? Ich finde das irgendwie unpassend.“

„Unpassend?“, wiederholte Kyle und packte sie an der Taille, um sie mit einem Ruck an sich zu ziehen. „Ich finde, das ist genau der richtige Zeitpunkt. Wir müssen die nächsten Tage gut planen, wie wir vorgehen wollen, aber wir dürfen uns jetzt nicht verkriechen. Das passt nicht zu uns und macht uns verdächtig. Wir sollten alles so weiter machen, wie bisher. Je auffälliger, desto besser. Außerdem habe ich einen Freund von mir angerufen, der mir noch etwas schuldig ist. Er kann uns eine Waffe besorgen.“

Bei dem Wort Waffe spürte er, wie Mimi unter seinen Händen leicht zusammenzuckte. Kurz dachte er, sie würde ihren Plan bereuen. Aber dann sah sie entschlossen zu ihm auf.

„Okay, wahrscheinlich hast du recht. Aber … eine Waffe, Kyle? Wirklich?“

Kyle lachte kurz auf. „Was hast du denn gedacht? Dass wir ihm Rattengift in sein Müsli schütten? Wie sollen wir das anstellen?“

Mimi legte den Kopf leicht schief und biss sich auf die Unterlippe. Sie wusste, dass er recht hatte. Entweder sie taten es ganz oder gar nicht. Bei so einem Plan gab es keine halben Sachen.

„Bist du sicher, dass du das mit mir durchziehen willst?“

Was? Das fragte sie ihn allen Ernstes?

„Mimi“, sagte er schief grinsend. Wie süß, dass sie dachte, ausgerechnet er würde einen Rückzieher machen. „Ich bin schon einmal mit dir durch die Hölle gegangen. Und ich würde es wieder tun, jederzeit. Hast du vergessen, was ich bereit war für dich zu tun? Für uns zu tun?“

Mimi ließ die Stirn an seine nackte Brust sinken und seufzte. „Nein, wie könnte ich das je vergessen?“, flüsterte sie. „Aber es wird alles verändern, für immer. Es wird uns verändern.“

„Das ist mir egal“, erwiderte Kyle mit harter Stimme. „Dieser Mistkerl wird verdammt noch mal dafür bezahlen, dass er dir das angetan hat. Es war sein Gesicht, das du nach dem Unfall als letztes gesehen hast. Lass uns dafür sorgen, dass dein Gesicht das Letzte ist, was er sieht.“

Er hörte, wie Mimi schniefte und ihre Schultern begannen zu beben. Aber sie nickte.

Sie würden es durchziehen.

Mimi bekam ihre Rache.

Und er bekam das, was er wollte – sie.

Tais Entscheidung

Schwerfällig öffnete er seine Augen. Das Letzte, woran er sich erinnern konnte, war Blut. Und der Schmerz, der durch seinen Kopf schoss, als er niedergeschlagen wurde. Jetzt war der Schmerz verschwunden.

Stattdessen fühlte er sich wie betäubt. Seine Muskeln fühlten sich so schwer an, dass er nicht einmal wusste, ob er sich überhaupt noch bewegen konnte.

„Was zum Teufel …“, krächzte Tai und wollte sich aufrichten, doch irgendetwas drückte ihn nieder.

„Bleib liegen“, befahl die Stimme seiner Schwester in besorgtem Ton.

Er blinzelte und kniff die Augen zusammen, weil das grelle Licht ihn blendete. Ergeben ließ er sich zurück in die Kissen sinken. Sein ganzer Körper fühlte sich an wie Blei.

„Was ist passiert?“, presste er gequält hervor und öffnete langsam die Augen, damit sie sich an das Licht gewöhnen konnten. Zuerst blickte er in das Gesicht von Kari, die neben seinem Bett saß und seine Hand hielt. Dann sah er sich um und erkannte Matt und Sora und Izzy, die ebenfalls da waren und von dem weißen, hellen Licht der Decke angestrahlt wurden.

Dieses Bild war unheimlich. Als würde er auf dem Sterbebett liegen. Und alle sahen ihn so sorgenvoll an.

„Ich habe gerade ein Déjà-vu“, sagte Tai und ein ungläubiges Grinsen huschte über seine Lippen.

Matt wurde wütend.

„Das ist nicht witzig!“, schnauzte er ihn an. „Du könntest tot sein.“

Tai zog eine Augenbraue in die Höhe.

„Bin ich aber nicht.“

Warum reagierte er denn gleich so giftig?

Sora schossen bei diesen Worten sofort die Tränen in die Augen und sie wandte sich ab.

Wow. Dieses Wiedersehen mit ihr und Kari hatte er sich irgendwie anders vorgestellt.

„Weißt du noch, was passiert ist?“, wollte Izzy wissen, der mit verschränkten Armen neben Matt stand. Er war der Einzige von den Vieren, der anscheinend nicht gleich in Panik verfiel.

Tai richtete sich etwas in seinem Bett auf und zuckte mit den Schultern.

„Ich wurde überfallen, denke ich mal. Ich kann mich nur noch daran erinnern, dass wir telefoniert haben und dann muss mich jemand von hinten niedergeschlagen haben.“

Sora fing bei seinen Worten an zu schluchzen und flüchtete sich in Matts Arme, während Kari scharf die Luft einsog.

„Hast du gesehen, wer es war?“, bohrte Izzy weiter.

Tai schüttelte den Kopf. „Ich habe eine blaue Jeans gesehen, das ist alles. Ich denke mal, die trägt gefühlt jeder dritte New Yorker?“

Er war einfach so verdammt unvorsichtig gewesen. Wie konnte er so leichtsinnig sein und sich in eine dunkle, einsame Gasse stellen? War doch klar, dass er überfallen werden würde.

„Bin wohl noch mal mit einem blauen Auge davongekommen“, sagte Tai und kratzte sich am Kopf, um den ein Verband gewickelt war. Immerhin hatte er keine Schmerzen. Kari und Matt sahen ihn an, als hätte er eben die Untertreibung des Jahrhunderts gemacht.

„Mein Handy ist vermutlich weg, nehme ich mal an.“

Zu blöd. Sobald er hier raus war, musste er sich dringend ein Neues besorgen.

Kari griff in die Nachttischschublade neben seinem Bett und holte eine Tüte raus, die sie ihm auf den Schoß legte.

Darin befanden sich sein Handy, was einige Kratzer abbekommen hatte und sogar seine Brieftasche.

„Oh, eigenartig …“, überlegte Tai und inspizierte die Sachen, als wären es nicht seine. „Wer überfällt denn jemanden und vergisst dann, die Wertsachen zu klauen?“

Der Braunhaarige hob den Kopf und sah in die Runde.

Ein Blick genügte. Es war glasklar, was alle dachten.

„Leute … ernsthaft?“

Tais Mundwinkel wollten belustigt in die Höhe wandern, doch Kari fuhr hoch.

„Was denkst du denn? Ist es nicht ganz offensichtlich, wer dahintersteckt? Wie kannst du nur so blind sein und immer noch glauben, dass das alles Zufälle sind?“

Tai sah sie erschrocken an. Kari war richtig wütend. So hatte er sie noch nie gesehen.

„Das ist kein Spiel mehr, Tai“, schrie Matt seinen besten Freund an. „Kyle ist hier der Drahtzieher und niemand sonst. Und er macht das alles nur, weil er dich loshaben will. Weil du ihm im Weg stehst. Weil er Mimi für sich alleine haben will. Und ganz ehrlich, Kumpel, er hat sie schon längst. Also hör auf, dir was vorzumachen und steig endlich in dieses verdammte Flugzeug und flieg nach Hause. Sie ist es nicht wert.“

Matt funkelte seinen besten Freund an, während Tai ihn nur mit offenem Mund anstarrte. Er war wie vor den Kopf gestoßen. Sie ist es nicht wert? Wäre er nicht wortwörtlich ans Bett gefesselt, wäre er drauf und dran gewesen, aufzuspringen und Matt eine runterzuhauen.

Alle waren gegen ihn.

Einfach alle.

„Tai, hör mal“, versuchte es nun Kari, einen Tick sanfter. Sie griff nach seiner Hand und drückte sie fest, als würde es hier um alles oder nichts gehen. „Du hast drei Tage im Koma gelegen.“

Tai riss die Augen auf.

Was?

„Dass du gerade keine Schmerzen spürst, liegt einzig an dem Morphium, was sie dir gegeben haben. Du hast ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten. Sie mussten dich ruhigstellen, damit der Kopf sich etwas erholen kann. Du warst mehrmals in den letzten 24 Stunden wach, während die Ärzte dich untersucht haben.“

Wie bitte? Was erzählte sie da? Er war wach gewesen? Mehrmals sogar?

Daran konnte er sich gar nicht erinnern.

„Sie sagen, es wird noch eine Weile dauern, bis du dich erholt hast. Und so lange musst du noch hierbleiben. Wenn es dir besser geht, wollen sie noch ein paar Tests machen, um zu sehen, ob dein Gehirn irgendwelchen Schaden genommen hat.“

Kari berichtete dies alles so ruhig und gefasst, doch Tai bekam immer mehr Angst. Was, wenn er wirklich bleibende Schäden davongetragen hatte? Und wie sollte es nun weitergehen? Mit ihm? Mit Mimi? Was sollte er tun?

Plötzlich drehte sich sein Magen um.

„Ich glaub, mir wird schlecht.“

Kari reagierte schnell, als Tai sich eine Hand vor den Mund presste, und reichte ihm eine Schale. Er übergab sich darin, während er Schweißausbrüche bekam. Mimi hatte seitdem nichts mehr von ihm gehört. Was sollte sie nur von ihm denken? Dass er sie nicht mehr wollte? Er musste unbedingt irgendwie Kontakt zu ihr aufnehmen und ihr alles erklären. Und noch viel wichtiger, er musste sie von diesem Kyle wegholen.

Als er den Kopf hob, sahen ihn alle so mitleidig an, dass sein Magen sich erneut verkrampfte. Er konnte es nicht ertragen, wenn sie ihn so ansahen, als wäre er komplett hilflos. Nur ein Opfer seiner selbst.

„Könnt ihr mich bitte mit Izzy allein lassen? Ich möchte mit ihm reden.“

Die anderen tauschten fragende Blicke aus. Vermutlich hatten sie damit gerechnet, dass Izzy der letzte Mensch ist, mit dem Tai gerade allein sein wollte. Und auch Izzy schien etwas überrascht. Aber Tai musste unbedingt mit ihm sprechen – allein.

„Ist gut“, nickte Kari schließlich und stand von ihrem Stuhl auf. „Wir warten vor der Tür.“

Matt war es deutlich anzusehen, wie wenig ihm diese Idee gefiel. Er warf Izzy einen warnenden Blick zu, ehe sie alle das Zimmer verließen.

Betretenes Schweigen legte sich über die beiden und dass dieses weiße Zimmer so unnatürlich hell beleuchtet wurde, machte das Ganze nicht besser. Es war eine Szene, wie aus einem Albtraum.

Und im Grunde war es das ja auch.

Schließlich räusperte sich Izzy und trat zu Tai ans Bett. Er setzte sich auf den Stuhl, auf den eben noch Kari gesessen hatte und sah Tai fragend an.

„Möchtest du ein Glas Wasser?“

Tai versuchte den bitteren Geschmack von Galle, der sich auf seiner Zunge verbreitet hatte, hinunter zu schlucken, aber es gelang ihm natürlich nicht. Seine Kehle war staubtrocken, also nickte er und nahm das Glas Wasser dankend an, das Izzy ihm nun reichte. Wie ein Verdurstender leerte er es in einem Zug.

„Was möchtest du wissen?“

„Ich …“, begann Tai, doch er wusste nicht, wie er anfangen sollte und sah deshalb verlegen auf seine Bettdecke. „Ich habe das Gefühl, dass du gerade der Einzige bist, der mir nichts vormacht. Deshalb wollte ich mit dir alleine sprechen. Ich brauche ein paar Antworten, Izzy.“

Er blickte auf und sah dem Rothaarigen fest in die Augen. Schluss mit den Lügen und den Märchen. Tai wollte endlich die Wahrheit wissen. Über alles.

Izzy erwiderte seinen Blick und man konnte deutlich sehen, wie er mit sich haderte. Doch dann wurde auch sein Gesichtsausdruck entschlossen und er lehnte sich im Stuhl zurück, während er die Hände im Schoß miteinander verschränkte, wie zu einem Gebet.

„Okay, und was genau soll ich dir erzählen?“

„Warum bin ich hier?“, legte Tai sofort los. Er musste dringend die Wahrheit erfahren. Das alles hatte ihn bereits schon zu viel gekostet und wenn das weiter so ging, würde bald noch mehr auf dem Spiel stehen, als nur Mimi.

„Weil du zusammengeschlagen wurdest“, antwortete Izzy.

Tai schüttelte ungeduldig den Kopf. „Nein, nicht, warum ich im Krankenhaus bin. Warum ich in New York bin. Warum bin ich wirklich hier?“

Er hatte schon länger das Gefühl, dass es hier schon lange nicht mehr nur um Mimi und seine Beziehung zu ihr ging.

Izzy überlegte einige Sekunden und stieß dann die Luft aus.

„Also schön …“, sagte er, stützte die Ellenbogen auf seine Knie und beugte sich nach vorn. „Du bist hier, weil wir dich dringend aus Tokyo wegbringen mussten.“

Tais Herz machte einen Satz. Also war er doch nicht verrückt gewesen. Die ganze Zeit über hatten sie ihm was vorgemacht.

„Du warst da in so eine Sache verwickelt. Du und dein Freund Ray, aus der Uni.“

Ray? Was hatte er damit zu tun?

Ray war so ein dunkles Kapitel in seinem Leben und gehörte nicht zu der Sorte Mensch, mit denen er sich sonst umgab.

Ray war kriminell. Tai und er hatten sich während des ersten Semesters kennengelernt. Mimi hatte ihn gerade verlassen und er war am Boden zerstört. Genau das, wonach Ray gesucht hatte – nach leichten Opfern. Sein Studium war nichts weiter als eine Tarnung gewesen. Worauf er eigentlich abzielte, waren junge, leicht beeinflussbare Menschen, die dem Druck, dem Alltag und dem Stress nur allzu gerne mal entflohen.

Und hier kam Ray ins Spiel.

Seit Jahren schon verkaufte er ziemlich erfolgreich Drogen an Studenten. Dabei ließ er andere die Drecksarbeit machen und war selbst der Kopf der Bande, wie Tai später von ihm selbst erfuhr. Und zu allem Überfluss freundete er sich mit ihm an. Zu diesem Zeitpunkt wusste er noch nicht, wer Ray wirklich war. Zufälligerweise belegten sie dieselben Kurse und zufälligerweise war Tai zu dieser Zeit ziemlich empfänglich für alles, was ihn vergessen ließ. Ein gefundenes Fressen also.

„Ich … ich habe schon lange nichts mehr von ihm gehört“, fiel Tai plötzlich auf, woraufhin Izzy nickte.

„Kein Wunder. Ich kann mir vorstellen, dass er den Teufel tun und dich kontaktieren wird.“

Tai verstand nur Bahnhof. Irritiert sah er Izzy an.

„Was ist passiert? Und was hat Ray damit zu tun?“

Izzy atmete schwerfällig aus, bevor er ansetzte und Tai die ganze Wahrheit erzählte.

„Es hat mit deinem letzten Krankenhausaufenthalt zu tun. Du erinnerst dich? Du hattest ziemlich viel Alkohol getrunken und standest unter Drogen. Ich weiß, dass du dich nicht mehr erinnern kannst, aber …“

Izzy schluckte, als würden ihm die nächsten Worte nur schwer über die Lippen kommen.

„An dem Abend zuvor warst du mit Ray zusammen. Anscheinend habt ihr euch übel abgeschossen. Ray hat eine Party bei sich im Haus gefeiert, zu der du später dazu gestoßen bist.“

Tai kramte wie verrückt in seinem Gedächtnis nach irgendeiner Erinnerung. Doch was Izzy da erzählte … davon wusste er nichts. Das war alles wie in Nebel getaucht, durch den er nicht hindurchsehen konnte. Er wusste nur das, was seine Schwester und die anderen ihm damals im Krankenhaus erzählt hatten, als er wieder zu sich kam. Sie sagten, er hätte gefeiert und es übertrieben und er hatte ihnen sofort geglaubt, weil er zu diesem Zeitpunkt so ziemlich auf dem Tiefpunkt angelangt war. Es war also nicht unwahrscheinlich. Ray hatten sie allerdings mit keiner Silbe erwähnt.

„Wir wissen auch nicht genau, was passiert ist“, erzählte Izzy weiter. „Zu dem Zeitpunkt, als Matt dich gefunden hat, warst du bereits bewusstlos und lagst vor Rays Haus, was lichterloh gebrannt hat.“

Was? Tai riss vor Entsetzen die Augen auf. Es hatte einen Brand gegeben? Aber … daran müsste er sich doch erinnern, oder?

„Oh Gott“, hauchte er und schlug sich die Hand vor den Mund. „Geht es Ray gut? Und was ist mit den anderen Gästen passiert? Du sagtest, es gab eine Party.“

Izzy schüttelte schnell den Kopf. „Beruhig dich, von den Gästen ist niemand zu Schaden gekommen. Die Party war wohl schon vorbei, als du dort ankamst.“

Tai lehnte sich in seinem Bett zurück, während sein Kopf zu dröhnen begann. Anscheinend ließ das Schmerzmittel nach. Das ergab alles keinen Sinn …

„Wir wissen nur, dass du und Ray als Letzte in dem Haus gewesen seid. Ray hat es ziemlich übel erwischt, viel schlimmer als dich. Er wäre fast in den Flammen umgekommen. Er konnte sich wohl gerade noch aus dem Küchenfenster retten, aber er hatte eine Rauchvergiftung und auch einige schwere Verbrennungen. Du hingegen bist mit einem blauen Auge davongekommen, und das noch bevor die Feuerwehr und die Polizei kamen. Matt hat dich weg und in ein Krankenhaus gebracht.“

Fassungslos griff sich Tai an die Stirn, die immer mehr schmerzte. Was zum Teufel erzählte ihm Izzy da? War an dieser wilden Geschichte tatsächlich etwas dran?

„Wieso kann ich mich an nichts erinnern?“, fragte Tai mit bebender Stimme.

Izzy zuckte mit den Schultern. „Du warst total zugedröhnt, Tai. Wenn wir mal ehrlich sind, das war zu der Zeit nicht das erste Mal, dass du einen Blackout nach einer Party hattest.“

Richtig. Wie schon gesagt, es war eine dunkle Zeit in seinem Leben gewesen. Wenn nicht, sogar die Schwärzeste.

„Und … und ihr glaubt …“ Er traute sich beinahe nicht, die Worte überhaupt auszusprechen. Allein der Gedanke daran, dass er beinahe einen anderen Menschen auf dem Gewissen hatte, war unerträglich. Alles in ihm verkrampfte sich und ihm wurde erneut übel.

„Ihr glaubt, der Brand war meine Schuld?“

Izzy seufzte und ließ den Kopf hängen. „Das wissen wir nicht mit Sicherheit. Es waren nur noch Ray und du im Haus, also … einer von euch beiden muss daran schuld sein.“

Natürlich, jetzt ergab alles Sinn, warum er seitdem auch nichts mehr von Ray gehört hatte. Er hatte sich keine Gedanken darüber gemacht, denn Ray war meist schwer beschäftigt, alle seine Kunden mit Drogen zu versorgen. Aber im Nachhinein war es schon komisch.

„Wie geht es Ray?“, erkundigte er sich dennoch sorgenvoll. Er wollte auf keinen Fall daran schuld sein, dass Ray sein Leben lang mit den Folgen des Brandes zu kämpfen hatte – egal, was für ein Mensch er war.

„Es geht ihm gut, soweit ich von Kari weiß“, sagte Izzy und sah Tai an. „Er lag natürlich einige Zeit länger im Krankenhaus als du. Aber sie konnten seine Wunden gut versorgen und er wird kaum Narben zurückbehalten. Auch er sagt, dass er sich an nichts erinnern kann, was geschehen ist, weshalb die Polizei es momentan als einen Unfall abtut. Allerdings sind die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen und noch hat Ray dich mit keinem Wort bei der polizeilichen Vernehmung erwähnt. Das kann sich allerdings jederzeit ändern. Sobald er sich erinnern sollte, wird die Polizei zwangsläufig auf dich aufmerksam.“

Tai drehte sich der Magen um und er legte sich eine Hand auf den Bauch. Das durfte alles nicht wahr sein!

„Deswegen sollte ich mit dir nach New York gehen.“

„Ja“, sagte Izzy. „Matt und die anderen wussten von meinem Plan, eine Zeit lang in New York zu arbeiten und sie baten mich, dich mitzunehmen. Sie … Wir wollten dich einfach nur beschützen, Tai. Aber jetzt …“ Izzy geriet ins Stocken, was Tai aufhorchen ließ. Ein noch schlechteres Gefühl überkam ihn. Sein Mund wurde staubtrocken und er versuchte, das Zittern seiner Hände unter Kontrolle zu halten. Das war alles zu viel für ihn.

„Jetzt ist alles irgendwie aus dem Ruder gelaufen. Ich … ich war unvorsichtig, Tai. Ich habe Mist gebaut und jetzt weiß Kyle von dem Brand und davon, dass du darin verwickelt warst. Er weiß, dass wir dich von der Polizei fernhalten wollen. Seitdem setzt er es gegen uns ein. Er hat uns quasi in der Hand.“

Izzys Gesicht wirkte gequält und die Schuldgefühle spiegelten sich in seinen Augen wider. Aber das alles war nichts im Vergleich zu der Schuld, die Tai empfand. Er hätte um ein Haar einen Menschen auf dem Gewissen gehabt. Er war eine Gefahr für sich selbst und für andere. Die ganze Zeit dachte er, sein größtes Problem wäre, Mimi zurückzugewinnen. Und nun erfuhr er, dass er selbst das größte Problem war.

„Und das heißt, entweder ich fliege zurück nach Tokyo oder er sagt der Polizei alles, was er weiß“, schlussfolgerte Tai. Izzy nickte gequält und fuhr sich gestresst durchs Haar.

„Genau so ist es. Ich sage ja, er hat uns in der Hand.“

„Welche Beweise hat er?“

„Vermutlich hat er ein Gespräch mitgeschnitten, das ich mit Kari darüber geführt habe.“

Verdammt!

Tai biss sich auf die Unterlippe. Kyle gewann. Schon wieder.

„Wir haben versucht, dir ein Alibi zu verschaffen“, sagte Izzy, was Tai aufsehen ließ.

„Ein Alibi? Wie?“

Verstohlen sah Izzy sich um, als würde er sicher gehen wollen, dass niemand mithörte.

„Ich habe dein Flugticket, deinen Passeintrag und die Ankunftszeit an der Universität gefälscht. Es steht auf dünnen Eis und bei genauerer Überprüfung würde es vermutlich auffliegen, aber auf den ersten Blick wird es niemand bemerken. Ich habe alles um genau eine Woche vordatiert. Laut der Unterlagen warst du zum Zeitpunkt des Brandes also gar nicht in Tokyo.“

Tai versuchte zuzuhören und irgendwie zu verinnerlichen, was Izzy gerade gesagt hatte. Doch es wollte einfach nicht in seinen Kopf gehen. Das alles erschien ihm wie ein schlechter Scherz. Und wie sehr er hoffte, es wäre einer.

„Sobald Kyle auspackt und Ray sich erinnert, bist du geliefert“, seufzte Izzy und ließ sich so tief auf dem Stuhl sinken, dass er fix und fertig aussah. „Allerdings sind wir inzwischen alle der Meinung, dass du in Tokyo sicherer aufgehoben bist als hier.“

So wie Tai Izzy kannte, hatte er sich tagelang den Kopf darüber zermartert. Dabei hatte er schon genug getan. Sie hatten alle bereits genug für ihn getan.

„Keine Sorge“, meinte Tai mit leiser Stimme. Er krallte die Finger in die Bettdecke. „Ich werde nach Hause fliegen.“

Fassungslos richtete Izzy sich auf und starrte ihn mit großen Augen an.

„Tai …“

„Ist schon gut“, erwiderte er. „Ihr hattet recht. Es war dumm von mir zu glauben, dass ich gegen Kyle eine Chance hätte. Und nachdem, was du mir gerade erzählt hast, hat er mir vermutlich den Schlägertyp auf den Hals gehetzt.“

Das alles konnte er ertragen. Er konnte ertragen, dass Kyle ihm immer einen Schritt voraus war. Er konnte ertragen, dass er ihn in den Knast gebracht hatte. Er konnte ertragen, dass er niedergeschlagen wurde. Er konnte sogar ertragen, dass er selbst an allem schuld war, was passiert war, auch an der Sache mit Mimi und mit Ray.

Was er nicht ertragen konnte war, dass er seine Freunde mit sich in den Abgrund riss. Das musste endlich aufhören.

„Ich werde es nicht zulassen, dass Kari, du und die anderen noch mehr mit in die Sache hineingezogen werdet. Ihr habt bereits zu viel Schuld auf euch geladen.“

Das alles musste aufhören. Und zwar auf der Stelle.

Sobald er genesen war, würde er in ein Flugzeug steigen und New York hinter sich lassen. Diese Stadt hatte ihm nur Ärger gebracht. Was ihm egal wäre, wenn nicht seine Freunde darunter leiden würden. Sie machten sich Sorgen um ihn und taten alles, um ihn zu beschützen – unter allen Umständen. Und dabei gerieten sie nach und nach selbst in die Schusslinie. Das konnte er nicht länger zulassen.

Auch wenn das bedeutete, sein eigenes Glück ein für alle Mal aufzugeben.

Mimi ein für alle Mal aufzugeben.

„Aber was ist mit …“, setzte Izzy sofort an.

„Mit Mimi?“

Nun konnte Tai das Zittern seiner Hände nicht mehr unterdrücken und auch der Schmerz in seinem Kopf wurde unerträglich. Und trotzdem war es nichts im Vergleich zu dem Schmerz, den er gerade in seinem Herzen empfand.

„Darüber würde ich gern mit Matt sprechen, wenn das ok ist. Danke Izzy, du hast bereits zu viel für mich getan.“

Einige Sekunden lang schwieg Izzy, dann richtete er sich auf.

„Ich habe es gern getan“, sagte er bedrückt und legte Tai eine Hand auf die Schulter. Dann ging er zur Tür.

„Izzy?“

Der Rothaarige drehte sich noch ein mal um.

„Danke, für deine Aufrichtigkeit.“

Ein kurzes Grinsen huschte über Izzys Lippen.

„Jederzeit, Kumpel.“

Schatten der Vergangenheit

Tai streckte seine müden Glieder und griff dann nach seinem Handy, was neben ihm auf dem Nachttisch lag und hell erleuchtete. Es vibrierte ein paar Mal und kündigte eine SMS an.
 

„Hey man, wo bleibst du? Die Party ist fast vorbei :-P“
 

Tai seufzte und legte es wieder weg. Ray hatte ihm schon den ganzen Abend immer wieder Nachrichten geschickt, wie viele heiße Girls auf seiner Party wären und dass er sich nur eine aussuchen müsste. Aber Tai wollte nicht irgendein Mädel abschleppen, nur weil er es konnte. Er wollte nur eine. Und die … war tausende Kilometer von ihm entfernt.

Er drehte sich zur Seite und sah auf die Uhr seines Weckers.

Es war 01.09 Uhr, mitten in der Nacht.

Häufig lag er noch um diese Uhrzeit wach, weil er wusste, dass Mimi es auf der anderen Seite der Welt auch war. Und wieder einmal überkam ihn die Hoffnung, dass sie vielleicht heute rangehen würde.

Erneut vibrierte sein Handy. Wieder Ray.
 

„Schwing deinen Arsch hier her, Alter. Ich hab dir extra ne Braut klargemacht und die wartet darauf, dass du sie mal ordentlich ran nimmst.“
 

Gott.

Auch das noch.

Warum fühlte dieser Typ sich eigentlich dazu berufen, sich um sein Sexualleben zu kümmern? Ray war manchmal wirklich etwas daneben und fühlte sich für Dinge verantwortlich, die ihn absolut nichts angingen. Aber das war wahrscheinlich der Preis dafür, wenn man mit jemanden wie ihm befreundet war.

Seufzend und mit den Augen rollend ignorierte Tai die Nachricht. Er streckte sich und stand auf, um zu seinem Schreibtisch zu gehen. Sein Laptop war geöffnet und er setzte sich davor. Dann klickte er auf Skype und scrollte zu Mimis Namen.

Er konnte nicht mehr zählen, wie viele Male er in dieser Woche schon versucht hatte, sie zu erreichen.

Nachdem er sie Monate lang in Ruhe gelassen und sie sich auch nicht bei ihm gemeldet hatte, sehnte er sich nun danach, wieder Kontakt zu ihr aufzunehmen. Und diese Sehnsucht wurde von Tag zu Tag ein Stück unerträglicher.

In den letzten Tagen hatte er ihr Mails geschrieben, SMS, hatte versucht sie anzurufen, doch sie antwortete nicht – kein einziges Mal.

Die Mails kamen nicht an. Die Anrufe gingen ins Bodenlose. Vermutlich hatte sie ihre Nummer geändert. Selbst Sora hatte schon ewig nichts von ihr gehört. Kari auch nicht. Niemand wusste etwas von ihr – was sie tat oder wo sie gerade steckte, wie es ihr ging …

Hätte er gewusst, dass sie auf diese Art und Weise für immer aus seinem Leben verschwinden würde, hätte er alles Menschenmögliche getan, um sie zurückzugewinnen. Er vermisste ihre Stimme. Er vermisste ihre Albernheiten, ihr Lachen, ihre unbeschwerte Art. Er vermisste es mit ihr zu tanzen und verrückte Dinge mit ihr anzustellen. Die Zeit zusammen mit Mimi – auch wenn sie von Lügen geprägt war – war die Schönste in seinem Leben gewesen.

Alles an ihr war gut.

Und jetzt …

War gar nichts mehr gut.

Tai schluckte den Kloß in seinem Hals runter und ignorierte das leichte Zittern seiner Finger, als er auf anrufen klickte.

Es klingelte ein paar Mal und mit jedem Tuten, stieg die Hoffnung, dass sie diesmal abnahm.
 

Abgebrochen.
 

Der Anruf wurde nicht erwidert. Er hatte keine Ahnung, ob Mimi überhaupt noch Skype benutzte oder ob sie ihn sogar blockiert hatte.

Er biss sich auf die Unterlippe und versuchte es noch mal, wartete weitere quälende Sekunden auf eine Antwort.
 

Abgebrochen.
 

„Verdammt!“, stieß er wütend aus und klappte den Laptop knallend zu. Tai raufte sich die Haare. Er kam sich so erbärmlich vor. Wie so ein naives Kind saß er da und trauerte einer verpassten Chance hinterher. Einer Chance, die nie wiederkommen würde. Und er hatte es immer noch nicht eingesehen, hatte es immer noch nicht begriffen, dass es endgültig vorbei war. Wahrscheinlich hatte sie schon längst einen anderen und dachte keine Sekunde mehr an ihn.

Verflucht, sie war seit Monaten weg, natürlich hatte sie jemanden. Ein hübsches Mädchen wie Mimi, blieb nicht lang alleine.

Scheiße!

Allein bei dem Gedanken daran, es könnte so sein, drehte sich ihm der Magen um.

Wütend über sich selbst sprang er von seinem Stuhl auf und tigerte in seinem Zimmer umher. Er musste sie endlich aus seinem Kopf kriegen. Er musste abschalten – jetzt sofort!

Entweder er würde sie jetzt ein für alle Mal vergessen können, oder er würde auf der Stelle durchdrehen.

Kurzentschlossen griff er nach seinem Handy, obwohl er genau wusste, was das bedeutete. Doch auch diesmal war er zu schwach, um der Versuchung, für ein paar Stunden alles zu vergessen, zu widerstehen.
 

„Bin auf dem Weg.“
 

Die SMS wurde an Ray versandt. Tai zog sich seine Klamotten über und verließ eilig die Wohnung. Alles, was er jetzt noch wollte, war sich abzuschießen und zu vergessen.
 

Bei Rays Haus angekommen, konnte er gerade noch sehen, wie die letzten Gäste die Party verließen. Anscheinend war schon alles vorbei, bevor Tai überhaupt die Gelegenheit hatte, mitzufeiern. Aber dafür war er ja auch nicht hergekommen.

Er schlenderte über den Rasen, doch sie nahmen keine Notiz von ihm. Sie lachten und waren viel zu vollgedröhnt. Sie hatten das, was er auch haben wollte. Was er haben musste …

Die Tür war offen, also ging er einfach rein, wie er es schon dutzende Male zuvor getan hatte. Inzwischen war er deutlich öfter bei Ray als zu Hause.

Er ging geradewegs ins Wohnzimmer, wo Ray mutterseelenallein auf dem Sofa hockte. Er hatte sich weit nach vorne gebeugt und hielt einen Controller in der Hand, auf dem er wie verrückt drauf rumdrückte. Auf dem Fernseher, der vor ihm an der Wand hing, rasten Autos durchs Bild. Der Gestank von Zigarettenrauch und Alkohol hing schwer in der Luft.

Erst registrierte er ihn gar nicht, doch als Tai sich wortlos neben ihn aufs Sofa schmiss, zuckte Ray hefig zusammen.

Sein Rennwagen krachte gegen die nächste Wand und die Worte GAME OVER blinkten auf.

„Alter“, hauchte Ray erschrocken und blinzelte. „Musst du dich so anschleichen?“

Tai grinste schief zur Begrüßung und schmiss einen Arm über die Lehne.

„Hast du Schiss, dass ich ein Bulle bin?“

„Nein“, kommentierte Ray trocken und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Bildschirm. „Aber wegen dir habe ich verloren, danke auch.“

„Immer wieder gern“, antwortete Tai.

Ray schmiss den Controller vor sich auf den Tisch und stand auf, um in die angrenzende Küche zu gehen.

„Dachte, du kommst nicht mehr. Hast das Beste verpasst, es waren ein paar echt heiße Schnecken hier. Willst du auch ein Bier?“

„Klar.“

Ray ging zum Kühlschrank und holte zwei eiskalte Flaschen Bier raus. Er öffnete sie und reichte Tai eine, als er sich wieder aufs Sofa setzte.

Nach dem ersten Schluck stöhnte Ray auf, als hätte er plötzlich einen Geistesblitz.

„Gott, ich hab vergessen, Ami deine Nummer zu geben.“

Tai zog irritiert eine Augenbraue in die Höhe.

„Wer ist Ami?“

Ray verdrehte die Augen. „Na, die Kleine, von der ich dir erzählt habe. Erinnerst du dich? Sie ist nicht die hellste Kerze auf der Torte, aber sie macht einen verdammt guten Job, wenn du verstehst, was ich meine.“

Ray zwinkerte ihm vielsagend zu und machte eine eindeutige Geste mit seiner Hand und seinem Mund. Tai schüttelte es. Den Gedanken, mit einer Frau im Bett zu landen, die vorher seinem Kumpel einen geblasen hatte, fand er widerlich. Zumal er nicht auf emotionslose Bettgeschichten aus war.

Trotzdem zwang er sich zu einem Lächeln.

„Vielleicht ein ander mal.“

„Jaah“, meinte Ray und zuckte mit den Schultern, ehe er noch einen großen Schluck von seinem Bier nahm. „Also, warum bist du doch noch gekommen? Ich dachte, du pennst schon.“

Tai versuchte cool zu bleiben und sich nichts anmerken zu lassen. Doch die Wahrheit war, dass er sich jedes Mal, wie ein beschissener Kleinkrimineller vorkam, der seiner Mama Geld klaute.

„Hast du … hast du … Also, ich dachte, du könntest vielleicht …?“

„Oh, man“, stieß Ray frustriert aus und lehnte sich weiter zu ihm rüber. „Soll ich dir etwa einen blasen?“

Tai hob abwehrend die Hände. „Nein, danke, kein Bedarf.“

„Na also, warum stotterst du dann so rum?“, entgegnete Ray lachend und holte ein Tütchen aus seiner Hosentasche, wie andere einen Kaugummi.

„Sag doch einfach, dass du deswegen hier bist. Ist doch so, oder?“

Er schmiss ihm das Tütchen mit dem weißen Inhalt auf den Schoss und lehnte sich zufrieden zurück, während Tai betreten zu Boden sah.

Er hasste es, wenn Ray so tat, als wäre das alles völlig normal und nicht der Rede wert. Für ihn war es das vermutlich auch. Drogen waren ein fester Bestandteil seines Lebens. Sie waren sein Business. Für Tai hingegen war es der allerletzte Ausweg. Doch heute konnte er mal wieder nicht anders. Er brauchte sie, um sich besser zu fühlen. Weil es sonst nichts mehr gab, womit er sich gut fühlte.

„Danke“, murmelte er und machte sich daran, das Tütchen zu öffnen und eine Line auf dem mit Bierdosen überfüllten Tisch zu ziehen.

„Bedank dich später, wenn du mein nächstes Referat vorbereitest“, sagte Ray. „Ohne dich und deinen schlauen Kopf wäre ich sicher schon längst von der Uni geflogen. Und wo sollte ich dann meine ganzen Kunden herbekommen?“

Ja, natürlich musste er ihn auch noch ausgerechnet jetzt an ihren beschissenen Deal erinnern: Drogen gegen Hausarbeiten und Referate. Aber Tai hatte keine andere Wahl, wenn er dieses Zeug wollte. Ray wollte von ihm kein Geld. Er wollte sein Wissen ausnutzen, um an der Uni weiter Drogengeschäfte abzuwickeln – und das war weitaus schlimmer, als wenn er ihm jeden Monat sein Taschengeld abgezogen hätte.

Tai wischte sich über die Nase, nachdem er das Crystal weggezogen hatte. Er ignorierte Rays Kommentar, lehnte sich zurück und genoss stattdessen die Wirkung der Droge, die sich bereits jetzt in seinem ganzen Körper bemerkbar machte.

Er fühlte sich federleicht. Als könnte er Bäume ausreißen. Und Mimi … die war meilenweit weg.

Gut so. Endlich fühlte er sich besser.

„Hey, hast du noch ein Bier?“, fragte Tai, noch bevor er seine Flasche ansetzte und weg exte.

„Klar, Kühlschrank“, sagte Ray. Tai stand auf und ging in die Küche. „Fühl dich wie zu Hause, Kumpel.“

Das musste er ihm nicht zwei Mal sagen. Tai und Ray zockten noch eine ganze Weile das Autorennspiel und Ray fluchte wie wild, weil Tai ständig gegen ihn gewann, während dieser einfach nur wie irre lachte. Völlig benebelt zog er sich ein Bier nach dem anderen rein und zwischendurch schenkte Ray ihnen noch ein paar Shots ein. Er fühlte sich berauscht und hatte alles andere um sich herum vergessen. Er wusste nicht einmal mehr, wie spät es war, geschweige denn welcher Tag gerade war.

„Ha!“, stieß er aus und schmiss sich zurück in die Kissen. „Ich hab dich schon wieder besiegt.“

„Verdammte Scheiße!“ Ray schmiss den Controller auf den Tisch, der dort aufprallte und danach krachend zu Boden fiel. „Wie kannst du so zugedröhnt und trotzdem noch so gut sein?“

„Tja, ich bin eben ein Naturtalent“, grinste Tai überheblich und Ray zischte.

„Du hat einfach nur ein zu großes Ego, das ist alles.“

„Die einen sagen so, die anderen sagen so.“

Ray musste lachen und zündete sich eine Zigarette an. „Willst du auch?“

Er hielt sie Tai vor die Nase und dieser nahm dankend an. Normalerweise rauchte er nicht, aber es fiel ihm von mal zu mal leichter sich in Rays Gegenwart anzupassen.

„Danke“, sagte Tai und nahm einen Zug von dem Glimmstängel, während sich Ray eine Neue anzündete. Dann lehnte er sich zurück und musterte Tai fragend.

„Was ist los mit dir?“

Tai zuckte mit den Schultern und nahm noch einen Zug. „Was meinst du?“

„Ach, komm schon“, entgegnete Ray ungläubig. „Du verpasst absichtlich eine Party und tauchst dann mitten in der Nacht auf, um ein paar Drogen abzugreifen? Das ist selbst für dich ungewöhnlich. Also, was ist passiert?"

„Nichts“, brummte Tai und gönnte sich noch einen Schluck Bier, aber er stellte es schnell wieder auf den Tisch, denn so langsam bemerkte er den Nebel, der sich in seinem Kopf breit machte.

„Es ist wieder diese Kleine, hm?“, bohrte Ray weiter. Tai wandte den Blick ab. Ray lachte und klopfte ihm auf die Schulter.

„Man, wann vergisst du sie endlich?“

„Ich bin dabei.“

„Du lügst.“

„Ja, vielleicht.“

Was wollte er denn hören? Dass ihm Mimi egal war? Das würde leider niemals passieren.

„Du solltest dich echt mal mit anderen Frauen treffen“, schlug Ray zuversichtlich vor und knetete ihm die Schulter, als hätte er den absoluten Durchblick.

„Du musst dich endlich wieder auf was anderes konzentrieren, als immer nur auf diese Mimi. Das ist nicht gesund, man.“

„Wem sagst du das“, seufzte Tai und nahm noch einen letzten Zug von seiner Zigarette. „Aber sie geht mir nun mal einfach nicht aus dem Kopf. Sie ist … wie ein Geist. Ein Geist, der in meinem Hirn rum spukt und sich dort festgesaugt hat.“

Ergab das Sinn?

Vermutlich nicht.

Tai wusste selbst nicht mehr, was er hier eigentlich redete. Er war einfach schon zu vollgedröhnt und sein Blick verschwamm immer mehr. Sein Kopf war ein einziges Kettenkarussell.

Kettenkarussell … toll. Und schon wieder dachte er an Mimi.

„Wenn das so ist“, sagte Ray und überlegte laut. „Musst du sie dir aus dem Hirn vögeln.“

Stirnrunzelnd wandte sich Tai zu ihm um.

„Was?“

„Du. Musst. Sie. Dir. Aus. Dem. Hirn. Vögeln“, wiederholte Ray, als wäre er taub. Oder bescheuert.

„Ich hab dich schon verstanden, ich bin nicht dämlich“, maulte Tai ihn an, während Ray nur verstohlen grinste.

„Sorry Bruder, aber das ist das Einzige, was dir noch helfen kann. Sex hat bisher noch jedem geholfen.“

Er sagte das, als hätte er gerade ein Heilmittel gegen Krebs erfunden.

„Vielleicht schreibst du doch mal dieser Ami. Ich sage dir, es lohnt sich. Und, wenn das nicht reicht, kann ich dir auch noch eine verschaffen. Oder noch eine. Wir könnten einen wilden Dreier machen oder … vielleicht gleich eine Orgie …“

„Okay!“, unterbrach Tai ihn in seiner Euphorie, bevor er sich zu sehr reinsteigerte. „Das ist definitiv der Zeitpunkt, an dem ich gehen werde.“

Er drückte den Rest seiner Zigarette in einem Aschenbecher aus und erhob sich. Dann machte er einen ungeschickten Schritt zur Seite.

Woah. War der Boden schon immer so schief gewesen?

„Hey, warum hast du`s plötzlich so eilig?“, lachte Ray. „Willst du jetzt wirklich noch nach Hause? Du kannst gerne hier pennen.“

„Nein, danke“, erwiderte Tai mit schwerer Zunge. „Du bist mir unheimlich. Das mit der Orgie war echt zu viel des Guten.“

Ray lachte noch lauter, hielt sich den Bauch und ließ sich rücklings aufs Sofa fallen.

„Ich schicke Ami deine Adresse.“

Tais Antwort war der erhobene Mittelfinger.

„Fick dich, Ray.“

Doch Ray lachte einfach immer weiter. Dieser Typ war vollkommen irre.

Tai verließ das Haus und atmete die frische Nachtluft ein. Gott, er konnte inzwischen keinen klaren Gedanken mehr fassen. Und verflucht, alles vor seinen Augen wankte gefährlich. Wie viel hatte er noch mal getrunken? Definitiv mehr als er gemischt mit den Drogen vertragen konnte. Wenn er das Crystal nahm, verzichtete er danach in der Regel auf Alkohol. Das heute war einfach zu viel.

Zu viele Drogen.

Zu viel Alkohol.

Zu viele quälende Gedanken.

Er wagte einen Schritt nach unten und die erste Stufe schaffte er ohne Probleme. Die Zweite auch. Bei der dritten geriet er ins Stolpern und stürzte förmlich die restlichen Treppenstufen hinunter.

Taumelnd versuchte er irgendwie, das Gleichgewicht zu halten, doch der nächste Schritt brachte ihn zu Fall.

Er landete mit seinem Gesicht im Gras und ein stechender Schmerz zuckte durch seine Glieder.

Alles drehte sich. Oben war unten und unten war oben. Der tiefschwarze Nachthimmel tauchte alles in Dunkelheit und Tai hatte das Gefühl, sie würde ihn verschlucken.

Was nicht weiter schlimm war, denn er fühlte sich schon längst eins mit der Dunkelheit. Und dieses Gras war so verdammt weich. Und wie das duftete … so frisch und blumig und irgendwie ein bisschen nach Mimi.

Mimi …

Wie sehr er sie vermisste. Das tat so verdammt weh in seiner Brust.

Sie war immer der letzte Gedanke, bevor er einschlief.

Er dachte an ihre weiche Haut.

An den Klang ihrer Stimme.

Die Farbe ihrer Augen.

Daran, wie ihre Lippen schmeckten und wie sie …

Tai schloss die Augen und ließ sich endgültig und ohne Wiederkehr fallen. Die dunkle Nacht verschluckte ihn und bettete seine müden Gedanken in eine Wolke aus Nebel.
 

„Tai … Tai …“

Jemand rüttelte an ihm. Unsanft. Grob.

„Geeeh“, murrte er. Weg mit ihm. Er wollte jetzt nicht aufstehen. Sein Bett war so schön weich und roch so gut. Es war nur etwas erhitzt. Und auch sein Rücken brannte.

Er rollte sich mit einem gequälten Laut auf die Seite. Irgendjemand rüttelte immer noch an ihm. Und es stank ganz entsetzlich. Etwas zerrte an seinem Arm.

„Waaas?“

„Tai, jetzt wach auf, verdammt!“

Irgendwoher kannte er diese Stimme. Seine Mutter war es jedenfalls nicht.

„Tai, du dummer Idiot. WACH. AUF.“

Matt? Das war doch eindeutig Matts Stimme. Oder … na klar, das bildete er sich ein. Eine Nebenwirkung der Drogen und des Alkohols. Ganz klar. Matt konnte ja unmöglich hier sein, in seinem Zimmer. Und wenn doch, dann sollte er ihn einfach nur in Ruhe lassen.

Im nächsten Moment, während Tai schon wieder drohte abzuschweifen, packte ihn jemand unter den Armen und hievte ihn hoch.

Widerstrebend öffnete Tai die Augen.

Bei dem Anblick, der sich ihm bot, erschrak er so heftig, dass er rückwärts taumelte.

Was zur Hölle …?

Ja, das war sie. Es war die Hölle und sie brannte lichterloh. Rauch stieg in einer dicken, undurchdringlichen Wolke zum Himmel auf und verpestete die Luft. Er musste husten. Verdammt, wie lange hatte er den Rauch schon eingeatmet? Und wo war er überhaupt?

„Komm, schon. Wir müssen hier weg“, hörte er wieder Matts Stimme, so dicht an seinem Ohr und so voller Panik. Und trotzdem fragte er sich, ob er sie sich nicht doch eingebildet hatte. Doch sein Freund zerrte weiter an seinem Arm. Weiter weg vom Höllenfeuer, das ihn verschlucken wollte.

„Tai, man jetzt komm endlich. Die Feuerwehr wird gleich hier sein und die Polizei auch. Wir müssen von hier verschwinden.“

„Das ist …“, stammelte Tai wie benommen und konnte seinen Blick nicht von dem Höllenfeuer abwenden, was vor seinen Augen immer weiter gen Himmel stieg. „Das ist der Teufel. Er ist gekommen, um mich zu holen. Weil ich so ein verdammtes Arschloch war.“

Matt schmiss ihn auf die Rückbank eines Autos, wo Tai wie ein nasser Sack liegen blieb. Er begann zu husten und seine Kehle brannte mit einem Mal, als hätte er Feuer geschluckt.

Gott, das war der heftigste Tripp, den er jemals hatte.

So was Abnormales war ihm zuvor noch nie passiert.

„Du bist zwar ein dummer Idiot, aber deshalb ist noch niemand in der Hölle gelandet“, sagte Matt gehetzt. „Lass uns einfach von hier abhauen. Schnell!“

Tais Gedanken tanzten wie die Flammen, sein Kopf schmerzte und er betete, dass die Wirkung der Drogen schnell nachlassen würden. Er bekam mit einem letzten Augenblinzeln gerade noch mit, wie Matt nach vorn auf die Fahrerseite sprang und den Motor startete.

Dann glitt er erneut davon …
 

Tai schreckte so heftig hoch, dass sein Kopf sofort zu hämmern anfing.

„Oh, fuck“, stöhnte er gequält auf und kniff die Augen vor Schmerz zusammen.

„Hey, alles in Ordnung?“

Schon wieder war da Matts vertraute Stimme, doch diesmal hörte er sie so klar und deutlich, dass er wusste, es war keine Einbildung.

Er öffnete die Augen und war zurück in der Realität. Was für ein krasser Traum … Oder war es eher eine Erinnerung?

„Geht es dir gut?“, fragte Matt, der neben seinem Bett saß und ihn besorgt musterte.

„Alles okay“, log Tai und ließ sich behutsam zurück in sein Kissen sinken. „Hab nur schlecht geträumt.“

Dabei fühlte es sich so real an, als wäre es wirklich passiert.

„Wie lange war ich weg?“, erkundigte sich Tai mit belegter Stimme.

„Fast drei Stunden“, erwiderte Matt. „Nachdem Izzy rausgegangen war, bist du sofort wieder eingeschlafen. Der Arzt hat dir in der Zwischenzeit eine weitere Dosis Schmerzmittel verabreicht.“

„Jaah“, meinte Tai gedehnt und griff sich an den Kopf. „Ich fühle mich ganz gut.“

„Du sollst trotzdem noch liegen bleiben.“

„Kommt die Anweisung von dir oder von dem Arzt?“

Matt seufzte. „Warum bist du so bissig? Ich bin schließlich nicht daran schuld, dass du jetzt hier liegst.“

„Nein“, entgegnete Tai eine Spur zu gereizt und richtete den Blick auf die leere Wand gegenüber, anstatt seinem Freund in die Augen zu sehen. „Und wer ist dann deiner Meinung nach daran schuld? Mimi? Kyle? Ich selbst?“

Matt verschränkte die Arme vor der Brust. „Das hat doch gar keiner gesagt, Tai. Es ist nur …“

„Es ist nur so, dass ihr mich die ganze Zeit angelogen habt“, beendete Tai seinen Satz und warf ihm einen giftigen Blick zu. Er konnte ja in gewisser Weise verstehen, dass sie ihn nur beschützen wollten. Aber von seinem besten Freund hätte er mehr erwartet. Letztendlich war es Izzy gewesen, der ihm die ganze Wahrheit erzählt hatte. Er hätte sich von Matt dieselbe Aufrichtigkeit gewünscht.

„Hör mal, Tai. Ich hab die ganze Zeit nur versucht, dich zu beschützen.“

„Das habe ich in letzter Zeit wirklich zu oft gehört.“

„Aber es ist die Wahrheit.“

Tai wusste, dass Matt es ernst meinte. Trotzdem war er enttäuscht von ihm. Aber das konnte noch warten. Er hatte noch alle Zeit der Welt, um auf seinen besten Freund sauer zu sein. Zunächst musste er sich um eine andere Sache kümmern, bevor er New York für immer verließ.

„Ich möchte nicht mit dir streiten, Matt“, sagte Tai versöhnlich, was den Musiker aufsehen ließ. „Ich möchte dich um einen Gefallen bitten.“

„Klar, alles, was du willst.“

Tai wandte den Kopf und sah Matt in die Augen. „Geh zu Mimi und bitte sie her.“

Matts Miene versteinerte sich und sein Blick wurde kühl. Tai runzelte die Stirn. Er wusste, dass Matt schon seit längerem nicht gut auf die Brünette zu sprechen war. Aber in seinen Augen lag mehr als nur Verachtung. Das kannte er so nicht von ihm. Seit wann war er Mimi gegenüber so feindselig gestimmt?

„Bitte, Matt“, flehte Tai, doch Matt ließ sich nicht erweichen.

„Vergiss es“, antwortete er entschieden und lehnte sich mit verschränkten Armen im Stuhl zurück. „Du hast durch sie bereits genug Probleme bekommen, findest du nicht?“

„Matt, komm schon.“ Betrübt ließ Tai den Kopf sinken. „Ich bitte dich ja nicht, sie für mich zu fragen, ob sie mich heiraten möchte. Ich möchte mich lediglich verabschieden. Das ist alles.“

Tai hoffte inständig, dass sein bester Freund ihn verstand. Er musste doch verstehen, dass er nicht einfach so verschwinden konnte, ohne ihr alles zu erklären. Ohne sie ein letztes Mal zu sehen. Aber Matts Gesichtsausdruck blieb eiskalt.

„Bitte, Matt. Kannst du mich nicht verstehen?“

„Doch, ich verstehe dich besser als du denkst. Aber trotzdem … nein.“

Tai schürzte die Lippen und krallte die Hände ins Laken. Wieso war er nur so verdammt stur?

„Findest du nicht, ich habe was gut bei dir?“

Eigentlich wollte er diese Karte nicht ausspielen, aber Matt ließ ihm gerade keine andere Wahl.

Matt sah ihn widerstrebend an und öffnete den Mund, um etwas zu sagen. Doch dann verstummte er.

„Ja, hast du.“

„Danke.“

„Wieso fragst du nicht Izzy oder Kari? Oder Sora?“

Tai legte den Kopf schief und zog eine Augenbraue in die Höhe.

„Ist das nicht offensichtlich? Izzy ist viel zu stark mit in diese Sache mit Kyle involviert. Er ist quasi sein Boss. Ich habe keine Lust darauf, Izzy ebenfalls von der Straße kratzen zu müssen, wenn Kyle ihn bei Mimi sieht. Und Kari und Sora? Im Ernst? Willst du wirklich, dass die beiden dort hin gehen, wenn Kyle eventuell auch da sein könnte und der Typ, der mir das angetan hat?“

Er zeigte mit dem Finger auf seinen Kopf und Matt nickte entschieden.

„Stimmt, daran hatte ich nicht gedacht.“

Sein bester Freund verengte die Augen zu Schlitzen. „Aber nur, dass das klar ist. Ich werde sie nur ein mal fragen. Wenn sie nein sagt, werde ich sie nicht anbetteln.“

Tai presste die Kiefer aufeinander.

„Okay.“

Hoffentlich würde es nicht dazu kommen. Er musste Mimi unbedingt sehen.

Gnadenlos ehrlich

Als Matt zusammen mit Sora das Apartment von Mimi betrat, schlug ihm sofort ein beißender Geruch, gemischt mit etwas Süßem ins Gesicht.

Er verzog die Mundwinkel, während Sora einen Schritt hinter ihm blieb. Es war tierisch laut und in jeder Ecke standen irgendwelche Menschen. Ein paar davon bewegten sich zum Beat der Musik, andere knutschten und wieder andere lagen völlig breit auf dem Sofa. Einer schlief sogar im Sitzen auf der Treppe. Matt musste sich gar nicht erst fragen, wie sie bei diesem Lärm schlafen konnten. Sie waren alle völlig zugedröhnt.

„Oh mein Gott“, hörte er Sora dicht an seinem Ohr sagen.

Matt schnaufte. „Du sagst es.“

Seine Freundin klang hörbar schockiert. Er hingegen hatte irgendwie schon mit so was gerechnet.

Was war nur in dieses Mädchen gefahren, dass sie sich so aufführte? War ihr denn alles scheißegal?

„Wo sollen wir anfangen?“, fragte Sora.

„Du musst das nicht tun“, sagte Matt. „Mir wäre es lieber, du würdest wieder zu Kari und Izzy gehen.“

Doch er wusste schon jetzt, dass es keinen Zweck hatte. Sobald Sora von Tais Bitte an Matt erfahren hatte, hatte sie darauf gedrängt, mit ihm zu kommen. Sie wollte Mimi sehen und sich selbst davon überzeugen, dass sie nicht mehr die Freundin war, die sie einst kannte. Sie konnte nicht glauben, dass sie sich so sehr verändert hatte. Doch vermutlich wurden gerade all ihre Hoffnungen mit einem Schlag zu Nichte gemacht. Und trotzdem hätte Matt sich denken können, dass Sora nicht so schnell aufgab.

„Nein, auf keinen Fall. Ich bleibe und will mit ihr reden, genauso wie du.“

Matt schnaufte. „Von Wollen kann hier keine Rede sein.“ Er tat das schließlich nur Tai zu Liebe. In Wahrheit war Mimi die letzte Person, die er sehen wollte.

Trotzdem sah er sich suchend nach ihr um. Scheiße, was für ein Chaos. Wo, verdammt nochmal, waren ihre Eltern? Wohnte sie hier ernsthaft alleine und konnte tun und lassen, was sie wollte? Er sah den Wald vor lauter Bäumen nicht. Wahrscheinlich mussten sie das ganze Apartment auf den Kopf stellen, um Mimi zu finden. Wenn sie überhaupt hier war.

„Hey“, hielt er einen Kerl am Arm fest, der gerade an ihm vorbei ging. „Hast du Mimi gesehen?“

Der Typ sah ihn verdutzt an.

„Wen?“

Matt ließ den Kopf sinken. „Schon gut“, sagte er und klopfte ihm auf die Schulter. Er ging weiter, während Matt sich fragte, ob von den Leuten hier überhaupt einer Mimi kannte.

„Kannst du oben nachsehen?“, fragte er dicht an Soras Ohr, damit sie ihn verstand. „Und ich suche hier unten nach ihr.“

Sora nickte und ging die Treppe nach oben. Matt befragte unterdessen noch einige andere Leute, aber entweder sie wussten nicht, was er überhaupt wollte oder sie hatten Mimi seit Stunden nicht mehr gesehen.

Vielleicht hatte Sora ja mehr Erfolg.

Doch als sie kurze Zeit später wiederkam und er ihren Gesichtsausdruck sah, wusste er, dass sie das nicht hatte. Sie schüttelte mit dem Kopf und ging zu ihm.

„Ich habe alle Räume durchsucht und man … das willst du nicht sehen. Aber Mimi habe ich nicht gefunden. Ein Raum war abgeschlossen, aber ich glaube, dort war ohnehin niemand drin.“

Der Musiker seufzte und fuhr sich durchs Haar, was vermutlich bereits den Gestank des Rauches aufgesaugt hatte.

„Egal, was soll’s. Dann müssen wir Tai eben sagen, dass wir sie nicht …“

Er stockte, denn die Aufzugtür öffnete sich.

Mimi trat heraus, zwei Einkaufstüten in der Hand. Als sie die beiden erblickte, erstarrte sie zu Eis.

Na, das nannte man wohl eine Überraschung.

Matt spürte, wie Sora sich neben ihm versteifte, während sich sein Blick verfinsterte und starr auf der Brünetten ruhte.

„Mimi“, sagte er und nickte ihr zu.

Mimi sah erst Sora an und dann ihn. Sie blinzelte ein paar Mal, bis sie sich wieder fing und sich in Bewegung setzte.

„Matt, Sora …“, sagte sie im Vorbeigehen. „Was wollt ihr hier?“

Eine sehr freundliche Begrüßung nach so langer Zeit, doch Matt hatte nichts anderes erwartet. Offensichtlich hatte Mimi dieselbe hohe Meinung von ihm, wie er von ihr.

Die beiden folgten ihr in die Küche, wo es erheblich ruhiger zuging. Mimi stellte die Einkaufstüten ab, während Sora sich an Matt vorbeidrängte.

„Mimi, es ist so schön, dich wiederzusehen“, sagte sie etwas zu euphorisch. „Warum hast du dich plötzlich nicht mehr gemeldet? Was hast du die ganze Zeit gemacht?“ Die Fragen prasselten auf Mimi ein, doch diese ignorierte sie.

Sie sah Sora nicht einmal an, sondern räumte weiter ihre Einkäufe aus, als wären sie gar nicht da, was Matt unglaublich wütend machte.

Mimi antwortete ihr nicht und Sora ließ die Schultern sinken.

„Kannst du ihr wenigstens antworten?“, fuhr er die Brünette an, die mitten in der Bewegung innehielt und sich nun langsam zu ihnen umdrehte, als würde sie erst jetzt Notiz von ihnen nehmen.

„Was genau möchtest du, dass ich ihr sage, Matt?“ Mimi ließ die Hand, in der sie eine Flasche Milch hielt sinken und legte den Kopf schief. „Sag du ihr doch, weshalb ich mich nicht mehr gemeldet habe.“

Soras Blick huschte zwischen ihm und Mimi hin und her, während Matt sich anspannte und die Kiefer aufeinanderpresste. Natürlich hatte er Sora nichts davon erzählt, dass Mimi vor Monaten bei Tai angerufen und er rangegangen war. Dass er Mimi bedrängt hatte, Tai ein für alle Mal in Ruhe zu lassen, endlich aus seinem Leben zu verschwinden. Dass er Tai nichts von Mimis Anruf erzählt hatte. Das war eine Sache, von der nur Mimi und er wussten und das sollte auch so bleiben. Es hätte sowieso keiner seiner Freunde den Mut dazu gehabt, ihr das ins Gesicht zu sagen. Ihr zu sagen, dass sie nicht gut für Tai war und es für sie und ihn am besten wäre, wenn sie sich nicht wiedersehen würden. Aber er hatte es getan. Und er würde es ganz sicher nicht zurücknehmen. Auch wenn er gerade aus einem völlig anderen Grunde hier war.

Als er nicht antwortete und Mimi stattdessen anfunkelte, grinste diese schief.

„Dachte ich es mir doch.“

Vermutlich wollte sie ihn damit reizen, doch auf dieses Spielchen würde er sich jetzt und hier nicht einlassen. Er war nur Tai zu Liebe hergekommen, nicht mehr und nicht weniger.

Mimi verstaute weitere Sachen im Kühlschrank, während Matt tief durchatmete, um bei den kommenden Worten ganz ruhig zu bleiben.

„Tai möchte dich sehen.“

Für einen winzigen Moment stockte Mimi in ihrer Bewegung. Dann machte sie weiter, ohne ihn anzusehen.

„Warum sollte ich ihn sehen wollen?“

Matt schnaufte und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Das fragst du noch? Ernsthaft?“ Er zischte. „Weil du es ihm schuldig bist.“

Mimi knüllte die leere Einkaufstüte zusammen und drehte sich zu ihm um. Ihr Blick war kalt. Anders, als er es in Erinnerung hatte. Er hätte es niemals zugegeben, aber ihre Kälte traf ihn unvermittelt.

„Ich bin niemanden etwas schuldig“, sagte sie tonlos und nahm sich ein sauberes Weinglas aus dem Schrank. Dann öffnete sie den Kühlschrank und nahm eine halbvolle Rotweinflasche heraus. Ohne mit der Wimper zu zucken, schüttete sie erst den gesamten Inhalt in das Glas, bis es randvoll war, setzte es dann an ihre Lippen und leerte es in einem Zug. Sora verzog das Gesicht, während Matt nur eine Augenbraue in die Höhe zog. Anscheinend hatte nicht nur Tai einige Laster entwickelt. Gott, diese beiden waren unfassbar. Sie waren geradezu selbstzerstörerisch, wenn sie nicht zusammen sein konnten. Als hätte ihre Trennung all das Schlechte in ihnen zum Vorschein gebracht.

„Bitte überleg es dir noch mal“, sagte Sora flehend an Mimi gewandt, die sich inzwischen an der Arbeitsplatte abstützte. „Tai liegt im Krankenhaus. Er wurde zusammengeschlagen.“

„Was?“ Mimis Kopf schnellte herum. Ihre Augen weiteten sich schockiert und in ihrem Blick lag die pure Angst. Wow, das war die erste ehrliche Gefühlsregung, die Matt bei ihr wahrnahm.

„Es geht ihm nicht gut, Mimi. Und er möchte dich sehen. Kannst du ihm das abschlagen?“

„Wie ist das passiert? Wann und … wo?“, wollte Mimi wissen und der Anflug von Panik erfüllte ihre Stimme.

„Ist das wichtig?“, entgegnete Matt resigniert. Er wusste bereits jetzt, wie dieses Gespräch ausgehen würde. „Tai wird zurück nach Tokyo fliegen. Er wollte sich von dir verabschieden. Nicht mehr und nicht weniger. Entweder kommst du mit uns mit oder du lässt es. Deine Entscheidung.“

Klare Ansage. Sollte sie es doch endlich tun, und dem Ganzen ein Ende setzen. Tai würde es das Herz brechen, aber es war definitiv besser so, wenn sie sich so weit wie möglich von ihm fernhielt. Matt hatte der ganzen Sache sowieso nur zugestimmt, um Tai aus der Schussbahn zu schaffen. Er wollte nicht, dass sein bester Freund für etwas verurteilt wurde, wofür er vermutlich nichts konnte. Aber nun, da feststand, dass Ray sich sowieso an nichts aus der Brandnacht erinnern konnte, war er zu Hause deutlich besser aufgehoben als in New York. Alles war besser für ihn, als in Mimis und Kyles Nähe zu sein.

„Ich …“, stammelte Mimi und Matt erkannte in ihrem Blick, wie sie mit sich haderte.

Komm schon. Sag es! Sag, dass du ihn nicht wiedersehen willst. Mach endlich ein Ende damit.

„Ich … ich möchte wissen, wie es ihm geht.“ Die Brünette biss sich auf die Unterlippe und wirkte irgendwie gehetzt. Als würden ihre Gedanken gerade Achterbahn fahren. Als könne sie sich nicht entscheiden.

„Aber …“ Sie schluckte schwer und hob dann entschieden den Kopf. „Aber es geht nicht. Es tut mir leid.“

Wusste er es doch. Sie war zu feige, um zu kämpfen.

Ha, wie lächerlich.

Warum machte ihn diese Antwort so wütend? Er selbst hatte doch gewollt, dass sie Tais Bitte ablehnte. Dass sie ihn endlich gehen ließ. Wieso also wollte er sie packen und schütteln und fragen, was zum Teufel in sie gefahren war? Das Gefühl von Enttäuschung traf ihn mit einem Mal so heftig, dass er einige Sekunden brauchte, um zu antworten.

Dann zischte Matt und vergrub die Hände in den Hosentaschen.

„Ich wusste, dass du das sagen würdest. Du bist echt so schwach, Mimi.“

Irritiert blinzelte Mimi, während seine Worte zu ihr durchdrangen.

„Was sagst du da?“

„Ich sagte, du bist schwach“, wiederholte Matt seine Worte, ohne Rücksicht auf ihre Gefühle zu nehmen. Und diesmal traf er sie. Direkt. Hart. Mitten ins Herz. Als hätte er ihr gerade körperlich wehgetan, verzog Mimi schmerzverzerrt das Gesicht und legte eine Hand auf ihren Bauch.

„Das ist nicht wahr“, flüsterte sie, während Sora zu Matt herumfuhr.

„Matt, hör auf“, ermahnte sie ihn, doch er dachte nicht daran. Dieses Mädchen machte ihn so wütend. Warum verhielt sie sich so? Warum tat sie Tai das an? Er wusste, Tai hatte ihr wehgetan, doch das, was sie ihm angetan hat, war weitaus schlimmer. Sie hatte ihn zerstört. Sie hatte jemanden aus ihn gemacht, der er niemals sein wollte. Nur durch sie musste Tai so leiden. Nur durch sie hatte er Drogen genommen und wäre fast dabei draufgegangen.

Nein, das konnte er ihr nicht verzeihen. Niemals.

„Du bist schwach, Mimi und du wirst es immer bleiben. Denn du kannst nicht dafür kämpfen, was dir wichtig ist. Du bist einfach nach New York abgehauen, anstatt dich deinen Problemen mit Tai zu stellen. Du hast ihn allein gelassen, weil das der einfachste Weg für dich war. Und du willst ihn jetzt nicht sehen, weil auch das der einfachste Weg für dich ist. Du hast noch nicht mal um ihn gekämpft, als ich dich am Telefon angeschnauzt habe, dass du ihn in Ruhe lassen und dich nie wieder bei ihm melden sollst.“

Schockiert zuckte Sora zurück, was Matt nicht entging. Doch das konnte er ihr später noch erklären, denn er war noch lange nicht fertig mit Mimi. Jetzt war sowieso alles egal.

„Du hattest so viele Chancen, Mimi. Und du hast sie alle vermasselt. Weil du nie wirklich wolltest, dass Tai dich liebt. Er hat dir sein verdammtes Herz zu Füßen gelegt und du hast nichts Besseres zu tun, als darauf rum zu trampeln. Tai hatte wenigstens den Mut, um um dich zu kämpfen. Er ist zu dir geflogen, um dich zurückzugewinnen. Und es war dir scheißegal.“

„Das … n-nein, das … das stimmt nicht. Er ist mir nicht egal“, stammelte Mimi mit bebender Stimme.

Matt konnte sehen, wie Mimi zu zittern begann. Tränen schossen ihr in die Augen und er wusste, er hatte sie mit seinen Worten verletzt.

Gut so. Sie sollte wissen, was sie seinem besten Freund angetan hatte. Und sie sollte wissen, wie er sie sah.

„Du bist ein schwaches, kleines Mädchen, das zu feige ist, jemanden aufrichtig zu lieben. Denn jemanden aufrichtig lieben bedeutet Schmerz. Es bedeutet Ehrlichkeit. Es bedeutet den anderen in sein Leben zu lassen. Es bedeutet sich seinen Ängsten zu stellen. Aber dafür hast du nicht den Mut, Mimi. Du bist so erbärmlich. Und wenn du mich fragst, kann Tai froh sein, dass du ihm den Laufpass gegeben hast.“

Mimis Finger krallten sich in die Arbeitsplatte hinter ihr, während ihr ganzer Körper bebte und Matt Schwierigkeiten hatte, seine Atmung zu kontrollieren. Er fühlte sich, als wäre er kurz vorm durchdrehen. Alles musste raus. All das musste einmal gesagt werden. Er spürte, wie es in ihm kochte und all die angestaute Wut drohte explosionsartig aus ihm raus zu brechen. Doch als er den Mund erneut öffnete, um seinen Emotionen Luft zu verschaffen, schob Sora sich in sein Blickfeld.

„Es reicht jetzt, hörst du?“

„Oh, nein“, entgegnete Matt bissig und versuchte sie zur Seite zu drücken. „Ich bin noch nicht fertig mit ihr.“

„Hey“, fuhr Sora ihn mit einem Mal an und schubste ihn zurück, damit Matt von ihr abließ. „Ich habe gesagt, es reicht. Lass gut sein, Matt, okay?“ Ihr Blick war fest, genauso wie ihre Stimme.

Sie hatte sich in sein Blickfeld geschoben, so dass er Mimi nicht mehr sehen konnte. Er hörte nur noch ihr Schluchzen und er wusste, seine Worte hatten ihr Ziel nicht verfehlt. Trotzdem fiel es ihm schwer, sich zurückzuziehen.

„Matt“, sagte Sora noch einmal mit Nachdruck und sah ihm eindringlich in die Augen. Sie legte eine Hand auf seine Brust und auf sein vor Aufregung viel zu schnell pochendes Herz. Er erwiderte ihren Blick und blinzelte.

„Okay“, sagte er und stieß dabei ein tiefes Knurren, wie das eines Wolfes aus.

„Okay“, flüsterte Sora und drängte ihn zurück. „Lass uns gehen.“ Sie verließen die Küche, jedoch nicht, ohne noch einen letzten Blick auf das zu richten, was Matt angerichtet hatte. Mimi stand immer noch an ihrem Platz, die Finger fest in die Arbeitsplatte gekrallt, völlig zerstört. Sie weinte und schluchzte und die Tränen liefen ihr in Strömen übers Gesicht, während ihre Schultern unaufhaltsam bebten und sie drohte, in sich zusammenzubrechen.

Bei diesem Anblick, verspürte Matt den Drang, sie in die Arme zu nehmen.

Er hasste sie.

Er hasste sie so sehr.

Er hatte ihr Herz in Fetzen gerissen und ihr endlich all das gesagt, was ihm die ganze Zeit über auf der Seele brannte.

Und doch wollte er es, als er sie so bitterlich weinen sah, wieder zusammenflicken.

Verdammt, es tat ihm nicht leid, was er zu ihr gesagt hatte. Nein, er würde es sofort wiederholen, wenn es nötig wäre. Doch das änderte alles nichts daran, dass sie immer noch Mimi war. Sie waren einst Freunde gewesen. Sie war das Mädchen, das sein bester Freund über alles liebte.

Gott, sie war mit Abstand der vermutlich einzige Mensch auf der Welt, der derart widersprüchliche Gefühle in ihm auslöste. Er hasste sie und trotzdem verstand er irgendwie, warum Tai sie nicht aufgeben wollte, denn irgendwie konnte er es auch nicht.

Aber was auch immer gesagt war, konnte nicht zurückgenommen werden und er wollte es auch gar nicht. Mimi musste das hören, um endlich zu verstehen, was sie da anrichtete. Um endlich die Augen für das zu öffnen, wovor sie sie viel zu lang verschlossen hatte – dass Tai und sie zusammengehörten. Vielleicht hatte er mit seinen Worten das erreicht, was so bitter nötig war: nämlich sie wachzurütteln.

Aussprache

„War das wirklich nötig?“, stellte Sora ihn endlich zur Rede, nachdem sie den ganzen Weg zurück zum Krankenhaus kein einziges Wort miteinander gewechselt hatten.

Matt schlug die Tür zum Taxi zu.

„Ja, war es.“

„Matt“, stieß seine Freundin fassungslos aus und ging ihm hinterher. „Du hast sie total fertig gemacht.“

Oh ja, allerdings. Er hatte Mimi den Spiegel vorgehalten und er bereute es noch immer nicht. Im Gegenteil. Das alles musste endlich einmal gesagt werden.

„Und was ist mit dieser einen Sache?“, fragte Sora.

„Welcher Sache?“

„Ihr habt telefoniert? Du und Mimi? Du hast ihr … was gesagt? Dass sie sich von Tai fernhalten soll?“, stellte ihn Sora giftig zur Rede. Matt schluckte und versteifte sich.

„Habe ich. Sie hat Tai kaputt gemacht“, rechtfertigte er sich.

„Aber er liebt sie, du Idiot!“, fuhr sie ihn an, woraufhin Matt kurz zusammenzuckte. Doch dann wandte er sich ab.

„Das alles war längst überfällig.“

Schnellen Schrittes durchquerten sie die Eingangshalle des Krankenhauses, bis hin zu den Fahrstühlen. Matt betätigte den Knopf und vergrub die Hände in den Hosentaschen, während Sora sich neben ihn stellte und ihre Blicke in ihn bohrte.

„Das meinst du nicht ernst.“

„Doch, tue ich.“

„Aber Matt …“

„Sora“, erwiderte er seufzend und drehte seinen Kopf in ihre Richtung. „Ich werde mich nicht dafür entschuldigen, dass endlich mal jemand ehrlich zu Mimi war. Sie war schon immer eine kleine Prinzessin und ich weiß, du hattest schon immer das Bedürfnis, sie beschützen zu müssen. Aber sie ist erwachsen, Sora. Sie muss nicht beschützt werden. Sie muss die Wahrheit hören. Und sie muss verdammt noch mal dazu stehen, was sie tut.“

„Du bist mir sympathisch.“

Sora und Matt drehten sich gleichzeitig um, als sich eine unbekannte Stimme von hinten in ihre Unterhaltung einmischte.

Matt zog bedächtig eine Augenbraue in die Höhe und musterte das Mädchen, mit den eigenwilligen Klamotten und der Brille.

„Entschuldige, und du bist …?“

„Oh“, machte sie und hielt ihm schnell die Hand entgegen. „Hi, ich bin Alison.“

Sora runzelte die Stirn, aber bei Matt machte es Klick.

„Du bist die Freundin von Tai.“

Alison grinste schief. „Naaa, nicht ganz. Eigentlich bin ich die Freundin von Mimi, aber wenn du damit meinst, dass ich im Team Tai bin, dann ja verdammt. Ich bin so was von im Team Tai.“

Sora kicherte. „Team Tai, das ist irgendwie schräg.“

Auch Matt musste grinsen. Schräg traf es irgendwie ganz gut. Das war also Alison. Tai hatte sie erwähnt, aber er wusste nichts genaueres über sie. Er ergriff ihre Hand.

„Hi, ich bin Matt und das ist meine Freundin Sora.“

„Oh, ich weiß“, antwortete Alison eifrig nickend, während hinter ihnen die Fahrstuhltür aufsprang. „Tut mir leid“, fügte sie noch hinzu, als sie alle einstiegen und Matt den Knopf betätigte. „Es muss unheimlich sein, dass ich mehr über euch weiß als ihr über mich.“

„Nur ein bisschen“, entgegnete Matt grinsend und Sora musste erneut kichern.

„Was machst du hier? Willst du Tai besuchen?“, fragte sie dann.

Alison nickte. „Ja, ich habe mir Sorgen um ihn gemacht, weil er seit mehreren Tagen nicht in seinem Hotelzimmer war und auch nicht an sein Handy gegangen ist. Also habe ich Izzy gefragt. Er hat mir erzählt, was passiert ist und dass Kyle ihn …“

Sie brach unvermittelt ab. Es war auch nicht nötig, dass sie weiterredete. Jeder wusste, dass Kyle hinter der Sache steckte. Niemand musste es aussprechen.

„Mein Bruder ist so ein Arschloch.“

Matt und Sora wirbelten gleichzeitig herum.

„Dein Bruder?“, entfuhr es ihnen und Alison ließ beschämt den Blick sinken.

„Ja, wir sind nicht blutsverwandt, aber er ist mein Bruder. Und irgendwann werd ich ihm so richtig in den Hintern treten.“

Matt knurrte und sein Blick verfinsterte sich bei dem Gedanken an Kyle. Auch, wenn er ihn nicht persönlich kannte, würde er ihm am liebsten höchstpersönlich in den Arsch treten.

„Ihr dürft nicht sauer auf Mimi sein“, fing Alison plötzlich an, woraufhin Matt und Sora überrascht aufsahen.

„Sie kann nichts dafür.“

„Was meinst du damit?“, fragte Sora.

„Ich meine damit, dass mein Bruder sehr manipulativ sein kann. Außerdem haben er und Mimi eine Menge zusammen durchgemacht, weshalb sie irgendwie glaubt, an ihn gebunden zu sein.“

In Matts Kopf tauchten mit einem Schlag hunderte von Fragen auf und Sora ging es anscheinend nicht anders, ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen. Aber sie kamen nicht mehr dazu, sie zu stellen, denn der Fahrstuhl stockte und die Türen öffneten sich.

Nur zu gerne hätte Matt noch einige Dinge mehr von Alison erfahren, denn er war sich ziemlich sicher, dass sie die Person war, die am meisten über Kyle und Mimi wusste. Doch gerade hatte er ein ganz anderes Problem:

Wie sollte er seinem besten Freund beibringen, dass Mimi nicht kommen würde? Darüber hatte er sich noch gar keine Gedanken gemacht, weil er so sehr damit beschäftigt war, sauer auf Mimi zu sein.

Sora klopfte an Tais Tür und die drei traten ein. Tai lag in seinem Bett, während Kari im Schneidersitz am Fußende und Izzy links neben dem Bett auf einem Stuhl saß. Der Fernseher lief, doch als Tai die drei bemerkte, schaltete er sofort aus. Alle sahen erwartend auf.

„Und?“, wollte Tai sofort wissen. „Wird sie kommen?“

Die Hoffnung in seinem Blick versetzte Matt einen Stich. Verdammt, hätte er Mimi nicht so angefahren, wäre sie vielleicht mitgekommen, um sich zu verabschieden. Jetzt würde Tai in ein paar Tagen zurückfliegen und die beiden würden sich wahrscheinlich nie wiedersehen. Das würde Tai definitiv das Herz brechen – zum zweiten Mal.

„Ähm … ich“, begann Matt, doch während er noch die richtigen Worte suchte, drängte sich Alison an ihm und Sora hinein ins Zimmer.

„Hey Sportsfreund.“

Tais Gesicht erhellte sich augenblicklich und er setzte sich im Bett auf.

„Alison? Was machst du denn hier?“

„Wollte nur mal sehen, ob du wirklich so entstellt aussiehst, wie Izzy behauptet hat.“

„Hey! Ich habe gar nichts behauptet“, protestierte der Rothaarige und stand auf, während Tai und Alison gleichzeitig losprusteten.

„Wenn du dich das nächste Mal prügelst, gibst du bitte vorher Bescheid, okay? Dann können wir dem Wichser zusammen eine reinhauen.“

Tai grinste schief. „Ich werd’s mir merken.“

Matt atmete erleichtert auf, als er seinen Freund so entspannt sah. Alison schien eine gute Freundin für Tai geworden zu sein. Sie tat ihm gut. Er wünschte, er könnte dasselbe auch von Mimi behaupten.

Alison trat zu Tai ans Bett und stellte sich Kari vor. Danach fing die an, aus dem Nähkästchen zu plaudern, wofür Matt sehr dankbar war, denn das verschaffte ihm ein paar weitere Minuten, in denen er überlegen konnte, wie er seinem Freund am besten das Herz in Stücke riss.

Alison erzählte von der Uni und von den Vorlesungen, bot Tai ihre Mitschriften an und berichtete vom schlechten Essen der Mensa und dass sie sich neulich nach dem Schokoladenpudding fast übergeben hätte.

Kein Wort über Kyle. Kein Wort über Mimi.

Doch es war unvermeidbar. Vor allem, als Alison der Gesprächsstoff ausging und Tai schließlich doch den Kopf hob und Matt ansah, der immer noch wie versteinert im Raum stand.

„Matt … hast du mit ihr gesprochen?“

Gesprochen? Er hatte sie völlig fertig gemacht.

Der Musiker schluckte, während sich nach und nach alle Blicke auf ihn richteten. Sora sah schuldbewusst zu Boden, ihr war die Situation merklich unangenehm.

„Ja, also ich …“, begann Matt und kratzte sich am Hinterkopf. Er wusste nicht so recht, wie er es sagen sollte. Aber egal wie, er würde Tai auf jeden Fall damit verletzen.

Scheiße. Hätte er dieses Mädchen nicht einfach packen und mitschleifen können?

„Entschuldigt bitte.“

Matt sog scharf die Luft ein, als hinter ihm Mimis Stimme erklang und alle Augenpaare auf einmal von ihm zu ihr wanderten. Er drehte sich um und da stand sie tatsächlich im Türrahmen. Sie trug ein weißes Shirt, darüber einen dicken grauen Mantel mit pinkem Schal und eine Jeanshose mit Stiefel. Allerdings sah man ihrem Gesicht noch deutlich den kürzlichen Streit zwischen ihnen an, denn ihre Augen waren verweint und gerötet. Sie wirkte geknickt und unsicher, vor allem als sie Matt erblickte.

„Äh, ich hoffe, ich störe nicht.“

„Gar nicht“, antwortete Tai sofort und setzte sich auf. „Könntet ihr uns bitte allein lassen?“

„Na klar, Brüderchen“, sagte Kari und stand auf. „Schön, dich zu sehen, Mimi“, begrüßte sie Mimi im Vorbeigehen, die ihr ein unsicheres Lächeln schenkte.

„Ich find’s gut, dass du gekommen bist“, flüsterte Sora ihr zu, nachdem auch Izzy und Alison, die sie kurz, aber innig umarmt hatten, ebenfalls den Raum verließen.

Mimi atmete tief ein, als sie an Matt vorbei ging. Er ergriff ihr Handgelenk und hielt sie sanft zurück.

„Ich warne dich, Prinzessin. Tu ihm nicht weh“, wisperte er ihr zu, so dass nur sie es verstehen konnte. Mimis Miene verhärtete sich und sie schenkte Matt einen kühlen Blick, ehe er sie losließ und die Tür hinter sich schloss …
 

„Hi du.“

„Selber hi“, erwiderte Tai grinsend und sah sie an, wie sie langsam auf sein Bett zukam und ihren Mantel auf dem Stuhl, auf dem eben noch Izzy gesessen hatte, ablegte.

„Danke, dass du gekommen bist“, sagte Tai und sie schenkte ihm ein zaghaftes Lächeln.

„Ich habe mich ja schließlich noch nicht für den schönen Abend neulich bedankt“, sagte sie ruhig und strich sich eine ihrer langen Haarsträhnen aus dem Gesicht.

Tai musste fast lachen. „Welchen schönen Abend meinst du denn? Den, als du aus dem Wagen geflüchtet und weggerannt bist?“

Mimi seufzte und setzte sich an den Rand seines Bettes. Dann ergriff sie seine Hand.

„Es tut mir so leid. Einfach alles, Tai.“

Tränen stiegen ihr in die Augen und am liebsten hätte er sie sofort in den Arm genommen und geküsst.

„Das ist alles meine Schuld. Wäre ich nicht weggelaufen … nein, hätte ich mich doch niemals an diesem Abend mit dir getroffen, dann wäre das alles nicht passiert.“

„Du gibst dir die Schuld daran?“

Fassungslos sah er sie an. Wie kam sie nur darauf?

„Hey, du kannst nichts dafür, dass dein Freund krankhaft eifersüchtig ist.“

Mimi senkte den Blick und wagte es nicht ihn anzusehen.

„Du denkst also auch, dass er es war.“

„Du etwa nicht?“

„Ich weiß es nicht …“

Tai seufzte resigniert. Was sah sie nur in ihm? Wieso konnte sie ihn nicht als das sehen, was er war? Ein kranker Psychopath.

„Wie geht es dir?“, wechselte sie schnell das Thema und wischte sich die letzten Tränen aus dem Gesicht, bevor sie sich zusammenriss.

Tai schenkte ihr ein Lächeln. „Ganz gut. Du weißt doch, Unkraut vergeht nicht.“

„Jaah“, sagte sie geknickt und senkte erneut den Blick. „Ich hoffe, du kannst bald hier raus.“

„Mmh“, machte Tai und ein dicker Kloß bildete sich in seinem Hals. Anscheinend war jetzt der Zeitpunkt des Abschiedes gekommen. Viel zu früh und er fühlte sich alles andere als bereit dafür. Aber er hatte es sich und seinen Freunden versprochen…

„Genau deshalb wollte ich, dass du herkommst.“

„Matt sagte, du willst dich von mir verabschieden“, begann sie nun zu schniefen und erneut stiegen ihr Tränen in die Augen.

„Ja, ich denke, es ist besser, wenn ich …“

„Bitte geh nicht!“, stieß Mimi mit einem Mal aus und wirbelte herum. Flehend sah sie ihn an. In ihren Augen spiegelte sich so viel Leid, so viel Kummer.

„Bitte, Tai … bitte, geh nicht. Bitte geh nicht, bitte geh nicht … Ich …“

Mimis Stimme brach und sie fing bitterlich an zu weinen. Sie vergrub das Gesicht in ihren Händen und ihre Schultern bebten vor Erschütterung. Völlig perplex über diesen plötzlichen Gefühlsausbruch, sah Tai sie an und wusste nicht, was er tun oder sagen sollte. Sie schien mehr als nur verzweifelt zu sein. Mimi so zu sehen, so am Boden zerstört, versetzte Tai einen Stich ins Herz.

„Ich weiß nicht, was ich ohne dich tun soll. Es fühlt sich an, als würde ich am Rande der Hölle stehen und wenn du weg gehst … dann werde ich fallen und ich werde nie wieder allein da rauskommen. Bitte, Tai. Ich brauche dich so sehr. Ich weiß einfach nicht weiter …“

„Mimi …“

Tai griff nach ihren Händen und zog sie ruckartig an sich. Sie sank in seine Arme und klammerte sich an seine Brust, um zu weinen. Was war nur los mit ihr? Tai wurde das Gefühl nicht los, dass alles miteinander in Verbindung stand. Dass sie neulich panisch aus dem Auto geflüchtet war, dass sie niemanden an sich ranließ, dass sie mit Kyle zusammen war und nicht von ihm loskam … ihre tiefe Traurigkeit. Alles hatte miteinander zu tun und es fehlte nur noch das letzte Puzzlestück, um es zusammen zu setzen.

„Ich möchte dich so gerne verstehen, Mimi“, hauchte er in ihre Haare und gab ihr einen Kuss. „Aber ich kann dir nicht helfen, wenn du nicht aufrichtig zu mir bist.“

Die Brünette nickte, schluchzte dabei aber unaufhörlich weiter. Er wusste, sie würde ihm gerne alles erzählen, doch irgendetwas hielt sie zurück. Die eine Sache, die sie die ganze Zeit über von ihm ferngehalten hatte.

„Rede mit mir, Prinzessin“, sagte er nun fast schon flehend, weil er ihr so unbedingt helfen wollte. „Bitte, rede mit mir.“

Wieder nickte Mimi und diesmal richtete sie sich auf, um ihn anzusehen.

„Ja … du hast recht“, sagte sie schwer atmend und unter Tränen. „Ich werde dir alles erzählen …“

Nur ein paar Sekunden

Rückblick
 

Mimi war so aufgeregt, als sie das kleine schwarz-weiß Foto in den Umschlag steckte und Tais Namen und seine Adresse drauf kritzelte. Ihr Herz raste, bei dem Gedanken daran, wie er reagieren würde, wenn er den Brief öffnete.

Unfassbar – sie konnte es selbst noch nicht richtig glauben, als sie vor ein paar Wochen die Praxis verließ.
 

„Sie sind schwanger. In der 8. Woche, Fräulein Tachikawa.“
 

Es waren nur ein paar Worte. Nur ein paar Sekunden und ihre Welt veränderte sich für immer.
 

Seit dieser Diagnose waren weitere 7 Wochen vergangen und endlich hatte sie sich dazu durchgerungen, Tai einen Brief zu schreiben. Aufgeregt trat sie von einem Bein aufs andere, während sie draußen auf der Straße auf Kyle wartete. Es war bereits dunkel und eigentlich wollte sie heute bei ihm und Alison übernachten. Er wollte sie abholen – vor über einer halben Stunde. Leider kam er wie fast immer zu spät, was ihr Gelegenheit gab, noch mal in Ruhe darüber nachzudenken, ob sie auch das Richtige tat. Ihre Gedanken und Gefühle fuhren geradezu Achterbahn, besonders in den letzten Wochen.

Die ganze Zeit über fragte sie sich, wie Tai wohl reagieren würde. Würde er es genauso lieben wie sie es bereits jetzt tat? Würde er für sie da sein? Würde er sich freuen?

Wie sie und Tai auseinander gegangen waren, war alles andere als schön gewesen. Hätte sie zu diesem Zeitpunkt schon gewusst, dass sie eine Nacht vorher ein Wunder erschaffen hatten, hätte sie ihn dann auch verlassen? Sicher nicht.

Mimi hatte Angst. Sie hatte es bis jetzt nicht geschafft, sich bei ihm zu melden. Schon gar nicht, nachdem sie selbst völlig von dieser Nachricht überrumpelt wurde. Wie sollte es dann erst Tai gehen, der nichts von alledem ahnte? Den sie am Flughafen hatte stehen lassen?

Gott … das Herz schlug ihr bis zum Hals. Aber eins war sicher: egal, wie Tai reagieren würde, er musste es erfahren.

Natürlich wünschte sie sich einen Vater für ihr Baby. Sie war selbst noch sehr jung und war sich sicher, dass sie Unterstützung brauchen würde. Sicher würde es hart werden. Sie würde ihr Studium unterbrechen müssen. Sie musste sich um eine Bleibe kümmern. Erst mal hatte sie zwar die Möglichkeit bei ihren Eltern zu bleiben, aber das war keine dauerhafte Lösung. Mimi war realistisch. Vermutlich würde es sogar noch schwieriger werden, als sie es sich jetzt vorstellte.

Und trotzdem hatte sie keine einzige Sekunde daran gezweifelt, dass sie dieses Kind zur Welt bringen wollte. Dass sie es über alles lieben und es immer beschützen würde. Ganz egal, was passieren sollte.

Mimi war sehr froh darüber, dass ihre Eltern es mit Fassung getragen hatten. Natürlich waren sie nicht begeistert gewesen, aber sie versprachen, sie zu unterstützen, so gut es nur ging. Genauso wie Alison. Oder wie Kyle. Sie und er waren nicht zusammen. Bestenfalls waren sie gute Freunde mit gewissen Vorzügen, die sich schon seit ein paar Jahren kannten. Nachdem sie nach New York zurückgekehrt war, hatte sie ihn unverhofft wiedergetroffen und seitdem viel Zeit mit ihm verbracht.

Kyle war anders als Tai. Er war nicht die Sorte Mensch, der etwas für jemand anderen aufgeben oder der selbstlos handeln würde. Das wusste einfach jeder, der Kyle kannte. Trotzdem war er seit der Schwangerschaft für sie da gewesen und hatte sie nicht fallengelassen. Vermutlich wollte er mehr von ihr, aber … solange Mimis Herz immer noch an Tai hing, war das einfach unvorstellbar.

Sanft strich sie sich über den Bauch, der inzwischen eine kaum erkennbare Wölbung angenommen hatte. Bis jetzt konnte sie ihre Schwangerschaft an der Uni gut verheimlichen, denn bei genauerer Betrachtung hätte man bestenfalls denken können, sie hätte am Vorabend ein bisschen zu viel gegessen. Grinsend blickte sie auf sich hinab und fragte sich insgeheim, wann sie wohl die allerersten Tritte spüren würde. Oder ob es Tais wilde, braune Haare bekommen würde.

Ein Seufzen drang aus ihrer Kehle. „Dann wollen wir dich mal deinem Papa vorstellen.“ Sie steckte den Brief mit dem Ultraschallbild in ihre Handtasche, genau in dem Moment, als ein Wagen vor ihr anhielt. Das Fenster war heruntergekurbelt und ein hübscher Typ mit Sonnenbrille beugte sich zu ihr rüber und grinste sie an.

„Hallo, schöne Frau. Kann ich Sie irgendwohin mitnehmen?“

Mimi musste lachen. Kyle war manchmal so ein Idiot. Aber meistens fühlte es sich auch gut an, dass er das Leben nicht so ernst nahm. Das war irgendwie genau das, was sie gerade brauchte.

„Nein, danke. Mein Freund hat mich versetzt. Ich glaube, ich gehe lieber wieder rein“, sagte sie gespielt eingeschnappt und wollte auf dem Absatz kehrt machen.

„Oh, nicht doch Prinzessin“, antwortete Kyle geknickt. „Scott hat mich aufgehalten. Es war also nicht meine Schuld.“

Mimi verschränkte die Arme vor der Brust. „Schläft Scott in deinem Bett?“

Kyle runzelte die Stirn. „Äh, nein?“

„Ich bald auch nicht mehr, wenn du mich noch mal versetzt“, sagte sie giftig, schmunzelte jedoch.

„Okay, ich werde mich bessern. Versprochen“, grinste Kyle und öffnete ihr von innen die Tür, damit sie einsteigen konnte. Sie ließ sich auf den Beifahrersitz fallen und stöhnte. „Es ist echt heiß heute.“

„Ist es nicht“, antwortete Kyle, während er losfuhr. Mimi bedachte ihn mit einem fragenden Blick. Er trug eine Lederjacke. Bei gefühlt 35 Grad. Und das am Abend.

„Dir ist nur heiß, weil du schwanger bist. Hab ich gelesen. In Wirklichkeit sind es nur milde 18 Grad.“

Jetzt sah sie ihn skeptisch an. „Du liest dir Artikel über Schwangerschaften durch? Wo? In einer Frauenzeitschrift oder was? Ich glaube, ich muss mir ernsthafte Sorgen um dich machen.“

Kyle lachte, während sie an der nächsten Kreuzung abbogen. „Bist du verrückt? Ich habe das nur gelesen, weil meine Schwester es mir geschickt hat. Sie hat mir so ziemlich alles geschickt, was auch nur irgendwie mit diesem Thema zu tun hat. Das Mädchen ist wie besessen von dir. Echt unheimlich.“

Mimi zuckte mit den Schultern. „Sie macht sich eben Gedanken. Ist doch nett von ihr.“

„Ja, die kann sie sich mal schön alleine machen“, schnaufte Kyle. „Die ganze Zeit tut sie so, als wäre ich der Vater.“

Mimi schluckte. Was sollte sie darauf antworten? Das es schön wäre, wenn sie einen Vater für ihr Kind hätte, das aber momentan eine ziemlich wage Vorstellung war, was sich echt beschissen anfühlte? Sie kreuzte die Finger, rutschte tiefer in ihren Sitz und warf einen Blick aus dem Fenster.

„Ach, fuck! Tut mir leid, Babe“, schob Kyle schnell noch hinterher, als er merkte, dass Mimi nichts darauf antwortete. Diese jedoch schüttelte nur den Kopf.

„Schon gut. Du kannst ja nichts dafür. Aber wo wir gerade beim Thema sind …“ Sie zog den Briefumschlag aus ihrer Tasche. „Kannst du beim nächsten Briefkasten anhalten?“

Kyle warf einen kurzen Blick auf den Umschlag und zog dann bedächtig eine Augenbraue in die Höhe.

„Willst du das wirklich tun?“

„Natürlich“, fuhr Mimi sofort hoch. „Er muss es wissen.“

Kyle stöhnte. „Muss er? Ich meine … du hast doch auch noch mich.“

Diesen Satz hatte er in den letzten Tagen oft zu Mimi gesagt und sie wusste nie genau, was sie davon zu halten hatte.

„Kyle“, sagte sie vorsichtig und versuchte ihre nächsten Worte mit Bedacht zu wählen. „Du bist nicht für mich verantwortlich.“

„Ich weiß“, zuckte dieser mit den Schultern. „Aber ich würde es tun. Ich meine, ich bin ehrlich noch nicht bereit für eine Familie und ich kann mir nicht vorstellen, dass es deinem Tai da anders geht …“

Diese Worte versetzten Mimi einen Stich ins Herz. Denn sie wusste, dass es gut möglich war, dass Kyle recht hatte.

„… aber für dich würde ich es tun.“

„Was?“, flötete Mimi und grinste unsicher. „Den Daddy spielen? Kyle … wir sind noch nicht mal richtig zusammen und so was ist doch gar nicht dein Ding.“

„Nein, da hast du recht“, sagte er und hielt an einer roten Ampel. Dann grinste er sie breit an. „Aber du bist mein Ding. Und dass wir nicht zusammen sind, liegt allein an dir.“

Mimi lachte, als er sich zu ihr beugte und sie auf die Wange küsste. Manchmal wusste sie wirklich nicht, was sie von ihm zu halten hatte. Sie waren schließlich kein Paar – noch nicht. Und trotzdem tat Kyle manchmal so, als wäre das alles nur ein Spiel. Sicher war er naiv genug, um nicht zu wissen, was er da eben gesagt hatte. Dass er ernsthaft vorschlug, für sie und das Baby da zu sein, war … nett. Aber auch ein wenig dumm. Denn im Grunde wussten sie beide, dass er niemals der geborene Vater sein könnte.

„Danke“, sagte sie dennoch aufrichtig, als er sich zurücklehnte und sich wieder auf die Ampel fokussierte.

„Ich weiß diese Geste zu schätzen und es ist süß, was du gesagt hast, aber … du weißt genauso gut wie ich, dass du keine Kinder haben willst.“

Stirnrunzelnd sah er sie an. „Wer sagt das?“

„Du. Neulich. Als du betrunken warst.“

„Oh.“

„Ja, oh“, lachte Mimi, während Kyle irgendwie ertappt wirkte. „Also Kyle, willst du wirklich mein Plan B sein? Das kann ich mir nicht vorstellen. Und außerdem ist es völlig okay, wenn du keine Kinder willst. Nicht jeder muss Babys machen. Ich denke, deine Berufung liegt eher woanders.“ Und das war die Wahrheit. Er war definitiv klug genug, um das zu verstehen.

Kyle legte den Kopf schief und tat, als ob er überlegte.

„Hast recht“, gab er schlussendlich zu. „Aber falls dieser Kerl dich abblitzen lässt, bin ich dein Mann.“ Er zeigte mit dem Finger auf sich und grinste.

„Einverstanden“, lachte Mimi auf und legte eine Hand auf ihren Bauch, in der Hoffnung, dass es nicht so weit kommen würde. Sie wollte Tai als Vater ihres Kindes. Niemanden sonst.

„Oh, sieh mal“, meinte sie plötzlich und zeigte an die angrenzende Straßenseite, als die Ampel endlich wieder auf grün sprang. „Da vorne ist ein Briefkasten.“ Dann sah sie freudestrahlend zu Kyle rüber, bis ein Licht sie von vorn blendete. „Kannst du kurz dort an- … Kyle, pass auf!“
 

Es dauerte nur ein paar Sekunden.

Ein paar Sekunden und ihre Welt veränderte sich.

Für immer.
 

Der Aufprall war so hart, dass die Scheiben zersprangen.

Ihr Kopf schlug hart gegen das Armaturenbrett. Der Wagen schlitterte mehrere Meter weit, bis er mit quietschenden Reifen zum Stehen kam. Mimi wollte schreien, doch ihre Lunge war so gepresst, dass sie keinen einzigen Ton herausbrachte. Mit verklärtem Blick sah sie rüber auf die Fahrerseite.

„Ky … Kyle?“

Kyle war bewusstlos und sein Kopf lag auf dem Airbag, während sein Körper schlaff im Gurt hing und er kein Lebenszeichen von sich gab. Mimi wollte die Hand nach ihm ausstrecken, doch ihr Arm schmerzte so sehr, dass sie aufschrie. Sie spürte, dass er gebrochen war. Mehrere Glassplitter hatten sich in ihre Haut gebohrt, die wie tausend kleine Nadelstiche schmerzten.

Ihr Baby.

Panisch sah sie nach unten.

Ihr Puls raste und das Blut rauschte in ihren Ohren, während sie versuchte, zu erkennen, was genau geschehen war. Sie konnte es nicht sehen. Alles war so verschwommen. Wahrscheinlich hatte die eine Gehirnerschütterung und würde jeden Moment das Bewusstsein verlieren.

Aber … irgendetwas stimmte nicht, das spürte sie.

Sie hob den Kopf. Ein anderes Auto war einfach so frontal in sie hinein gerast. Vor dem Zusammenstoß hatte Mimi die Lichter gesehen, die im Bruchteil einer Sekunde auf sie zugekommen waren. Es war, als wäre der Wagen aus dem Nichts gekommen.

Sie tastete nach ihrer Handtasche, in der sich ihr Handy befand, aber sie konnte sie nicht finden. Verdammt. Sie musste unbedingt Hilfe holen.

Mit zittrigen Händen öffnete sie die Beifahrertür und fiel wie eine leblose Puppe auf den Asphalt. Ein höllischer Schmerz durchzuckte ihren ganzen Körper. Sie schrie ihn hinaus und versuchte sich weiter nach vorne zu robben. Doch mit jeder Bewegung, schob sich etwas weiter schmerzhaft in ihren Körper. Ihre Finger fanden die Stelle.

Ein Stück der zersprungenen Frontscheibe hatte sich in sie gebohrt. In ihren Bauch.

Ihr blieb die Luft weg.

Mimi wusste, egal, was jetzt noch passieren würde – es war zu spät. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, während sie sich auf den Rücken rollte. Sie konnte kaum atmen. Ihre Lunge brannte und ihre Hand glitt von ihrem Bauch zurück. Sie hob sie hoch und betrachtete das frische, warme Blut, das an ihren Fingern klebte.

„Nein …“, murmelte sie. Dann schrie sie nach Hilfe.

Immer wieder.

Doch niemand kam.

Ihr Puls ging immer schneller und die Welt drehte sich vor ihren Augen.

Dann plötzlich, als ihre Stimme immer leiser wurde, hörte sie, wie jemand eine Autotür zuschlug und hustend auf der Straße zusammenbrach.

„K- … Kyle?“

Mimi versuchte, den Kopf zu drehen, aber sie konnte sich kaum noch bewegen. Alles, was sie sah, waren zwei schwarze Stiefel, die sich humpelnd auf sie zubewegten. Es war der Kerl, der mit ihnen zusammengestoßen war. Der Kerl, der viel zu schnell gefahren war. Der Kerl, der ihr Baby und vielleicht sogar Kyle auf dem Gewissen hatte.

„Oh, fuck“, stieß der Typ aus und ließ sich neben Mimi auf die Knie sinken. Mimi betrachtete den jungen Mann, sah in sein verstörtes Gesicht. Er hatte eine Platzwunde am Kopf, aus der dickes, rotes Blut sickerte. Sein Blick glitt an ihr hinab und seine Augen weiteten sich, als er an ihrem Bauch hängen blieb. Mimi wollte etwas sagen. Wollte ihn anflehen, Hilfe zu holen. Doch ihre Stimme versagte ihr jeglichen Dienst. Stattdessen schmeckte sie nur den bitteren Geschmack von Eisen auf ihrer Zunge.

„Oh, nein. Nein, nein, nein, nein! Nein, fuck!“ Der Typ fuhr sich gestresst durch die Haare, während Mimi ihn flehend ansah. Warum zum Teufel holte er denn keine Hilfe? Worauf wartete er?

Plötzlich hob er den Kopf. In seinen Augen spiegelte sich die blanke Angst wider. Jetzt vernahm auch Mimi das Heulen der Sirenen in weiter Ferne. Mit jeder Sekunde kamen sie näher. Irgendjemand musste den Unfall bemerkt und die Polizei alarmiert haben.

Mit einem Mal sprang der Kerl auf die Füße.

Was?

Nein!

Wo wollte er hin?

Er warf Mimi einen letzten Blick zu.

„Hör zu … es tut mir leid“, wisperte er aufgebracht. Dann war er weg.

Er war einfach davongelaufen. Einfach so.

Am liebsten hätte Mimi aufgeschrien, hätte ihm hinterhergeschrien, dass er verdammt noch mal hierbleiben sollte. Aber sie konnte nicht mehr. Jetzt nicht mehr. Sie spürte, wie ihr Puls schwächer wurde und ihr Blick verklärte.

Noch vor fünf Minuten war sie voller Vorfreude gewesen.

Ihr letzter Gedanke galt ihrem Baby und dem Brief, den sie Tai hatte schicken wollen.

Nur noch ein paar Sekunden …

Dann war alles vorbei.

Zerbrochene Zukunft

Wie versteinert saß Tai auf seinem Bett, unfähig sich auch nur einen Millimeter zu rühren.

Was Mimi ihm gerade gebeichtet hatte, war das Schlimmste gewesen, was er jemals gehört hatte.

Ihre Worte hallten wie ein weitentferntes Echo in seinem Kopf wider.
 

„Ich war schwanger, von dir.“

„Ich liebte es.“

„Autounfall …“

„… Verloren …“

„… knapp überlebt.“
 

Sein Magen zog sich krampfartig zusammen, während Mimi vor ihm im Schneidersitz auf seinem Bett saß und weinte. Tapfer hatte sie sich immer wieder die Tränen aus dem Gesicht gewischt und weitererzählt. Sie war völlig aufgelöst. Es war das erste Mal, dass sie darüber sprach.

„Mein Airbag hatte sich nicht geöffnet. Es ist ein Wunder, dass ich diesen Unfall überhaupt überlebt habe“, erzählte sie weiter. Tai schluckte den Kloß in seinem Hals hinunter. In seinem Kopf wirbelten eine Million Fragen umher, doch alles, woran er gerade denken konnte, war Mimi. All das hatte sie die ganze Zeit mit sich rumgeschleppt. All diesen Kummer und diesen Schmerz. Die ganze Trauer. Wie hatte sie das nur durchstehen können?

„Mimi, ich …“

Er biss sich auf die Lippe. Dann lehnte er sich ein Stück nach vorn und griff nach ihrem Handgelenk. Mit einem Ruck zog er sie in seine Arme, sodass sie in seine Brust sank. Sie vergrub das Gesicht in seinem Hemd und weinte hemmungslos. Ihr Körper bebte und er versuchte, sie so fest zu halten, wie es nur ging.

Ihm wurde bewusst, dass er und Mimi ein Baby gehabt hätten. Inzwischen hätte es das Licht der Welt erblickt. Und es wäre wunderschön geworden. Genauso wie sie.

Schweigend lagen sie sich in den Armen. Nur ein leises Schluchzen erfüllte ab und zu den Raum. Tai spürte, dass Mimis Herz gebrochen war – denn nun war auch seins gebrochen.

Ihr Schmerz war zu seinem geworden.

„Was ist danach passiert?“, fragte er schließlich flüsternd, nachdem sie sich etwas beruhigt hatte. Ihr Atem ging wieder regelmäßig, doch bei dieser Frage sog sie scharf die Luft ein.

„Die Sanitäter brachten Kyle und mich in ein Krankenhaus. Während er nur eine Gehirnerschütterung und eine ausgerenkte Schulter hatte, hatte es mich voll erwischt. Na ja, das kannst du dir ja denken …“

Tai schluckte schwer, bei der Vorstellung, wie Mimi blutend und allein auf der Straße lag. Bei dem Gedanken zog sich alles in ihm zusammen. Das war einfach nur grausam.

„Ich hatte innere Blutungen und wurde operiert, sobald wir im Krankenhaus eintrafen. Mein Arm war mehrfach gebrochen und nachdem er verheilt war, musste ich eine mehrwöchige Reha machen. Ich habe immer noch zwei Schrauben im Ellenbogen.“

Tai fuhr mit den Fingern über Mimis Arm und das erste Mal fiel es ihm auf – die kleine Verhärtung unter der Haut.

„Als ich nach der OP aufwachte …“, wisperte Mimi und ihre Stimme brach erneut. „ … dachte ich, das alles wäre nur ein böser Traum gewesen. Dass ich gleich aufstehen und wie jeden Morgen meinen Bauch im Spiegel bewundern würde. Doch mal abgesehen von den Schmerzen, die ich hatte, spürte ich nichts. Da war so eine Leere in mir. Als wäre sämtliche Hoffnung und Liebe, die mir dieses Baby gegeben hatte, plötzlich verschwunden. Anstatt eines runden Bauches, konnte ich nur noch diese verdammte Narbe spüren, wo vorher die Glasscheibe drin gesteckt hatte. Mein ewiges Andenken an diesen Tag.“

Tai holte tief Luft und hielt sie noch fester.

„Es tut mir so, so leid, Mimi. Ich kann mir vorstellen, wie schrecklich das für dich gewesen sein muss. Und es tut mir leid, dass ich nicht für dich da war. Wieso hast du dich nach dem Unfall nie gemeldet?“

Mimi zuckte kurz zusammen. „Ich … ich wollte, aber …“

Sie schwieg.

„Es ist okay“, meinte Tai eilig und strich ihr über den Kopf. Das Letzte, was Mimi jetzt gebrauchen konnte, waren Vorwürfe. Eine ganze Weile sagte keiner von beiden etwas. Tai hielt Mimi im Arm und sie klammerte sich an ihn wie eine Ertrinkende. Sie brauchte unbedingt Hilfe. Nun war Tai auch klar, warum sie neulich aus seinem Wagen geflüchtet war. Sie hatte die ganze Sache noch überhaupt nicht verarbeitet, nicht im Ansatz.

„Was ist mit deinen Eltern?“, durchbrach Tai die Stille. Mimi schnaufte.

„Ich habe sie weggeschickt.“

„Warum?“

„Weil sie mich nach dem Unfall förmlich erdrückt haben. Meine Mutter dachte, es würde schon alles wieder gut werden, wenn sie mir nur noch mehr Aufmerksamkeit schenken würde. Fast täglich kam sie mit irgendeinem Flyer um die Ecke – Gruppentherapie, Hypnosetherapie, Traumabewältigung, alles Mögliche. Ich weiß, sie hat es nur gut gemeint und wollte mir helfen, aber es war zu viel. Ich habe meinen Dad überreden können, mit ihr eine Weile auf Reisen zu gehen und mich allein zu lassen.“

Tai wurde stutzig. „Und das fanden sie nicht komisch? Ich meine, hatten sie denn keine Angst, dass du dir etwas antun könntest?“

Mimi zuckte mit den Schultern, setzte sich hin und sah ihn an. „Nein, sie wussten ja, dass Kyle und Ali da sind und dass ich nicht ganz allein sein würde. Ich brauchte einfach eine Auszeit von dieser übertriebenen Fürsorge. Das hat mich kein Stück weitergebracht. Stattdessen erinnerte es mich jeden Tag aufs Neue daran, was ich verloren hatte. Dabei wollte ich doch nur vergessen …“

Tai senkte den Blick und starrte auf seine Hände. Vergessen wollte er auch. Und er wusste, was er bereit war, dafür zu tun. Ob es Mimi wohl ähnlich ergangen war? Hatte auch sie versucht, mit allen Mitteln zu vergessen, was geschehen war?

Schnell verdrängte er diese Gedanken wieder. Dies war nicht der richtige Zeitpunkt für dieses Thema.

„Was ist aus dem Kerl geworden, der den Unfall verursacht hat?“, fragte Tai wütend. „Wie konnte er einfach abhauen und dich dort liegen lassen? Du hättest sterben können.“

Mimi schluckte schwer und ihr Blick veränderte sich. Der pure Hass lag in ihren Augen.

„Ich habe ihn der Polizei beschrieben. Den Wagen, den er fuhr, hatte er kurz zuvor geklaut, um damit an einem illegalen Straßenrennen teilzunehmen. Was auch erklärt, warum er an dem Abend viel zu schnell unterwegs war. Er hatte uns einfach nicht gesehen.“

„Aber …“, protestierte Tai schockiert. „Sie müssen ihn finden. Er darf doch nicht einfach ungeschoren davonkommen. Er ist schließlich daran schuld, dass du …“ Tai brach ab. Mimi sah ihn an und ihr Gesicht spiegelte eine Eiseskälte wider, die er zuvor nie bei ihr gesehen hatte. Als würde sie diesem Typen den Tod wünschen …

„Keine Sorge, sie haben ihn gefunden. Er wird seine gerechte Strafe erhalten.“

Tai nickte. Er wusste, das war nur ein geringer Trost, aber jemand, der solche Dinge tat, tat es mit großer Wahrscheinlichkeit wieder. Und das durfte unter keinen Umständen passieren.

Plötzlich seufzte Mimi auf und ihre Miene wurde etwas sanfter.

„Manchmal frage ich mich, ob es ein Junge oder ein Mädchen geworden wäre.“

Tai sah auf. Ihre Augen begannen zu leuchten und ein trauriges Lächeln legte sich auf ihre Lippen.

„Wolltest du es nicht wissen?“ Auch ihn hätte es interessiert, ob sie beide einen Jungen oder ein Mädchen bekommen hätten. In seiner Fantasie wäre es definitiv ein Mädchen geworden – eins, was genauso aussah wie Mimi.

„Nein. Die Ärzte wollten es mir nach der OP sagen, aber ich wollte es nicht hören. Es existiert nicht mehr, richtig? Es hat keinerlei Bedeutung mehr. Es hätte alles nur noch schwieriger gemacht, als es ohnehin schon war.“

Ihr Lächeln erstarb, das Leuchten in ihren Augen erlosch wieder und wisch dieser tiefen Trauer, die Tai selbst fühlen konnte.

„Verstehe“, sagte Tai und schüttelte den Kopf. Plötzlich ergab alles einen Sinn. Warum Mimi sich so verändert und warum sie diese selbstzerstörerische Art entwickelt hatte.

„Bist du deshalb mit Kyle zusammen? Weil er dich vergessen lässt, was wir hätten haben können?“

Mimi hob perplex den Kopf. Diese Frage war direkt. Aber um Mimi helfen zu können, musste er die ganze Wahrheit wissen. Und er hatte das Gefühl, dass es immer noch etwas gab, dass sie vor ihm verborgen hielt. Und diese Sache hatte mit Kyle zu tun …

Schließlich nickte sie. „Ja, irgendwie schon, denke ich. Kyle war nach dem Unfall die ganze Zeit über für mich da. Er hat mich nicht gedrängt, irgendeine Therapie zu machen, wie meine Eltern. Er hat diesen Unfall nie wieder in meiner Gegenwart erwähnt. Für ihn war alles wie vorher und genau das brauchte ich. Ich denke, er ist der einzige Mensch, der mich jetzt noch so akzeptieren kann, wie ich bin.“

„Das ist nicht wahr!“, fuhr Tai dazwischen und Mimi zuckte zusammen. Wie konnte sie nur so etwas behaupten?

„Du denkst, er ist der einzige Mensch, der dich liebt? Was ist mit mir? Ich liebe dich, Mimi. Das weißt du. Ich liebe dich und ich würde mit dir durch die Hölle gehen.“

Tränen glitzerten in ihren Augen und sie schüttelte energisch den Kopf.

„Nein, das stimmt nicht. Du kannst mich nicht so lieben, wie er mich liebt. Das kannst du einfach nicht.“

„Was redest du denn da? Natürlich kann ich.“ Wie konnte sie auch nur eine Sekunde lang denken, dass es nicht so wäre? Dass er sie weniger lieben würde, als dieser Kyle, der sie ganz offensichtlich manipulierte und ausnutzte. Allein, dass sie das dachte, verletzte ihn zutiefst.

„Nein, kannst du nicht“, beharrte Mimi weiter und wischte sich die Tränen von der Wange. „Wieso nicht?“, entgegnete Tai wütend und ballte die Hände zu Fäusten. Was war los mit ihr?

„Weil ich kaputt bin.“ Mimi sprang vom Bett auf, doch Tai ließ sich nichts einreden.

„Hör auf so einen Unsinn zu erzählen. Du bist nicht weniger wert, nur weil dir das passiert ist und du kannst nicht ernsthaft glauben, dass ich …“

„Ich kann keine Kinder mehr bekommen.“

Tai stockte und starrte sie an.

„Was?“

„Du hast es gehört. Ich kann keine Kinder mehr bekommen. Nie wieder. So, jetzt ist es raus“, lachte Mimi gequält auf und warf die Arme in die Luft.

„Das …“ Tai wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Ihm blieben die Worte im Hals stecken, während abermals eine Welle aus Emotionen auf ihn einprallte. Er konnte es nicht verhindern, aber in dem Bruchteil einer Sekunde, veränderten sich seine Gedanken. Er hatte immer ein klares Bild von seiner Zukunft vor Augen gehabt. Eine Zukunft, die Mimi definitiv miteinschloss.

In seiner Vorstellung war sie immer seine Mimi gewesen. Irgendwann seine Frau. Die Mutter seiner Kinder.

Es dauerte nicht einmal eine Sekunde und dieses Bild veränderte sich für immer.

„Ist okay“, sagte Mimi nun deutlich ruhiger. „Du musst nichts dazu sagen. Verstehst du jetzt, warum wir nicht zusammen sein können?“

„Das …“, setzte Tai erneut an und hob endlich den Blick. „Das ist der größte Schwachsinn, den ich je gehört habe.“

„Was?“ Mimi sackte in sich zusammen und sah ihn an, als hätte er den Verstand verloren. Als hätte er nicht verstanden, was sie ihm eben erzählt hatte. Doch er hatte es gehört, klar und deutlich.

„Wie kannst du so etwas sagen?“, fragte Mimi.

„Mimi“, begann Tai und streckte die Hand nach ihr aus. Erst zögerte sie, doch dann ergriff sie sie und ließ sich von ihm zu sich aufs Bett ziehen.

„Wieso denkst du, wir könnten deshalb nicht zusammen sein? Nicht alles im Leben dreht sich um Babys oder darum, eine Familie zu gründen. Es gibt noch so viel mehr für uns. Was ist mit uns? Was ist mit unseren Gefühlen füreinander?“

Doch Mimi schüttelte nur traurig den Kopf. „Du weißt überhaupt nicht, was du da redest.“

„Doch, natürlich. Meinst du, ich würde dich weniger lieben, nur weil du und ich niemals ein Kind zusammen haben können?“

Sie hob den Kopf und sah ihn an.

Verdammt. Genau das dachte sie. Sie dachte allen Ernstes, Tai würde sie fallen lassen. Weil sie nicht perfekt für ihn sein konnte.

„Das ist Unsinn, Mimi“, sagte er einfühlsam und drückte ihre Hand fester. „Du weißt, ich liebe dich.“

Mimi seufzte. „Liebe ist nicht die Lösung für alles, Tai. Ich weiß, wie sehr du deine Familie liebst und wie sehr du deine kleine Schwester liebst und ich weiß auch, wie schlimm es für dich ist, so etwas selbst nicht haben zu können.“

„Ist es nicht“, tat Tai das Thema ab, doch Mimi blieb hartnäckig.

„Jetzt in diesem Moment vielleicht nicht. Aber irgendwann.“ Sie suchte seinen Blick. Dann lächelte sie sanftmütig.

„Jetzt bist du noch jung, Tai. Genauso wie ich. Wir haben viel zu viele Pläne, um jetzt an so was wie Familie zu denken. Aber irgendwann wirst du es tun. Du wirst es dir wünschen und du wirst es dir so sehr wünschen, dass es furchtbar weh tun wird, wenn alle deine Freunde Kinder kriegen, nur du nicht. Wie wirst du dich fühlen, wenn Matt Vater wird? Wie wirst du dich fühlen, wenn Kari Mutter wird? Was wirst du tun, wenn du das eine, was alle haben, nicht haben kannst? Und das nur wegen mir.“

Tai schüttelte den Kopf und zuckte mit den Schultern.

„Ich bin dann eben der coole Onkel. Das macht mir nichts aus.“

Mimi musste lachen. Das war typisch Tai. Er schaffte es einfach, jeder noch so beschissenen Situation irgendwas Gutes abzugewinnen.

„So einfach ist das nicht“, lächelte Mimi traurig. „Bitte sei einmal ernst und stell dir vor, was ich eben gesagt habe.“

Tai senkte den Blick und biss sich auf die Unterlippe. Er ließ Mimis Worte auf sich wirken. Diese Vorstellung war … merkwürdig. Aber sie war auch meilenweit weg. Würde er sich wirklich so schrecklich fühlen, wie Mimi es vorher sagte? Das konnte sie doch gar nicht wissen. Außerdem …

„Es gibt andere Optionen“, schlug er hoffnungsvoll vor. „Eine Adoption zum Beispiel.“

Mimi legte den Kopf schief. „Das kann ich dir nicht versprechen und niemand weiß, ob so was auch wirklich klappt. Willst du dich immer auf ein ‚vielleicht‘ verlassen?“

Tai runzelte die Stirn. „Du möchtest also nicht mehr mit mir zusammen sein, weil du denkst, ich kann mit der Situation nicht umgehen? Denkst du, ich würde dich irgendwann deswegen verlassen?“

Mimis Blick wurde sanft.

„Nein, das würdest du nicht“, sagte sie wissend. „Du würdest es ertragen. Du wärst lieber selbst dein Leben lang unglücklich, als mich zu verlassen.“

Tai ließ Mimis Hand los. Er ballte die Hand zur Faust, weil er so wütend darüber war. Wütend, weil sie dachte, dass Kyle die bessere Wahl wäre. Wütend, weil sie dachte, er könnte sie nicht genug lieben. Und wütend, weil sie recht hatte. Sie hatte verdammt noch mal recht damit, dass er sie niemals verlassen würde, egal ob dieser Wunsch, irgendwann eine eigene Familie zu haben, in Erfüllung gehen würde oder nicht. Er würde für immer bei ihr bleiben und seine eigenen Bedürfnisse hintenanstellen.

„Ich würde damit klarkommen, ehrlich Mimi“, beharrte er dennoch darauf, aber Mimi schüttelte seufzend den Kopf.

„Ach, Tai … Als du das eben mit der Adoption vorgeschlagen hast … da lag so viel Hoffnung in deiner Stimme. Du wirst immer hoffen, Tai. Aber ich kann dir diese Hoffnung nun mal nicht erfüllen. Damals bei dem Unfall …“ Mimi schluckte. „ … Ich hatte schlimme, innere Blutungen und … sie konnten nichts mehr retten. Außer mein Leben. Als sie mir danach sagten, ich könne keine Kinder mehr bekommen, brach für mich eine Welt zusammen. Ich war so wütend. Einfach auf alles. Ich habe die ganze Welt gehasst. Und ich möchte nicht, dass du diesen Hass auch irgendwann empfindest.“

Erneut stiegen ihr Tränen in die Augen, doch sie versuchte weiter stark zu sein.

„Ich kann plötzlich keine Mutter mehr sein. Weder für das Baby, das ich verloren habe, noch für eines, das ich vielleicht irgendwann einmal gehabt hätte. Wenn man sich niemals mit der Frage ‚Was wäre wenn?‘ auseinandersetzt und dann urplötzlich damit konfrontiert wird, stellt man einfach alles in Frage.“

Alles?

Auch die Liebe, die sie für Tai empfand?

Einen kurzen Moment überlegte Mimi, als würde sie mit sich hadern. Doch dann straffte sie kaum merklich die Schultern, als bräuchte sie Rückendeckung, für das, was sie gleich sagen würde.

„Verstehst du jetzt, warum Kyle die bessere Wahl ist?“

Stur sah Tai ihr in die Augen, fest entschlossen, nicht nachzugeben.

„Nein. Er ist definitiv nicht gut für dich.“

Mimi stöhnte auf und rieb sich mit der Hand gestresst über die Stirn.

„Doch, das ist er. Kyle möchte keine Kinder. Wollte er nie. Wird er nie wollen. Mag ja sein, dass er mich nicht so sehr liebt, wie du mich liebst. Das ist okay für mich. Aber ich bin lieber mit ihm zusammen, als dich ein Leben lang unglücklich zu machen.“

Wow.

Das hatte gesessen.

Mimi schüttelte frustriert den Kopf, als hätte es keinen Sinn mehr, weiter darüber zu diskutieren.

Fassungslos und wütend sah Tai ihr nach, als sie einfach so aufstand und zur Tür ging.

„Mimi“, rief er ihr hinterher. Sie blieb stehen und drehte sich zu ihm um.

„Was du eben gesagt hast“, sagte er und sah ihr dabei fest in die Augen. „Das ist Bullshit.“

Mimi zuckte zusammen und wich seinem Blick aus. Dann murmelte sie nur noch ein „Mach’s gut, Tai“ und weg war sie. Als die Tür hinter ihr zu fiel, wäre Tai am liebsten aufgesprungen und ihr nachgelaufen. Er hätte sie am liebsten so lange geschüttelt, bis sie endlich die Wahrheit erkannte.

Die Wahrheit war, dass Kyle nicht ihre Lösung sein konnte. Mochte ja sein, dass er keine Kinder wollte, aber er liebte sie dennoch nicht so sehr, wie Tai es tat.

Er hätte sich mit der Situation abgefunden. Nichts anderes kam für Tai in Frage.

Sicher war die Vorstellung, vielleicht niemals eine eigene Familie zu gründen ungewohnt. Aber sie war lange nicht so angsteinflößend, wie eine Zukunft ohne Mimi. Ohne sie würde er sich immer nur wie ein halber Mensch fühlen. Nur sie vervollständigte ihn, machte ihn komplett.

Tai ließ sich stöhnend zurück ins Kissen fallen und legte einen Arm über seine Augen, um die Tränen zurückzuhalten.

In seinen Augen war das, was er für sie aufgeben müsste, ein vergleichbar geringes Opfer. Nur leider sah Mimi das anders …

Vorahnung

Als Tai zwei Wochen später entlassen wurde und nun in Izzys Apartment seine Sachen packte, wurde ihm schwer ums Herz. Seit ihrem letzten Besuch im Krankenhaus, war Mimi nicht noch mal aufgetaucht. Auch die anderen hatten nichts mehr von ihr gehört. Tai fiel es schwer zu glauben, dass das ihre letzte Begegnung sein sollte.

Das konnte doch unmöglich das Ende sein.

Da war noch so viel, was er ihr sagen wollte …

In den letzten beiden Wochen hatte er viel Gelegenheit dazu gehabt, über alles nachzudenken, was Mimi gesagt hatte. Über ihre Vorstellung einer möglichen Zukunft nachzudenken.

Es fühlte sich immer noch falsch an. Egal, wie er es drehte und wendete. Für ihn gehörten sie immer noch zusammen, ganz egal, ob da nun irgendwann ein Baby sein sollte oder nicht. Und er wusste, dass Mimi insgeheim genauso fühlte. Leider verfolgte sie die irrwitzige Idee, Tai vor einer grausamen Zukunft mit ihr, die durch viel Kummer und Leid geprägt sein könnte, beschützen zu müssen. Und er hatte keine Ahnung, wie er sie vom Gegenteil überzeugen sollte. Sie hatte sich entschieden – für Kyle und gegen ihn. Musste er das dann nicht akzeptieren?

„Hey.“

Das Klopfen an seiner Zimmertür ließ ihn aufsehen.

„Ist alles in Ordnung mit dir?“, fragte Kari, die gerade ihren Kopf zur Tür reinsteckte. Tai schenkte ihr ein gequältes Lächeln und packte weiter seinen Koffer.

„Natürlich. Alles ist gut.“

Kari schob die Tür ein Stück weiter auf und betrat das Zimmer. Sie setzte sich neben Tais Koffer aufs Bett und faltete die Hände.

„Du warst noch nie ein guter Lügner.“

Tai lachte und legte weiter seine Sachen zusammen.

„Du kannst einfach nicht mit ihr abschließen, oder?“ In Karis Stimme schwang weniger Vorwurf, als Sorge mit. Alle machten sich Sorgen um ihn. Zu viel, wie er manchmal fand. Tai zuckte mit den Schultern.

„Könntest du das denn? Nachdem, was sie mir alles erzählt hat?“

Seine Schwester ließ den Kopf hängen und schwieg. Nachdem die anderen ihn tagelang genervt hatten, was zwischen ihm und Mimi im Krankenhaus vorgefallen sei, hatte er es ihnen erzählt. Er wusste, es war hart, aber für ihn war es dennoch kein Thema, was totgeschwiegen werden sollte. Mimi hatte eine schreckliche Erfahrung machen müssen. Und er wollte, dass die anderen verstanden, warum sie nicht mehr die Alte war. Und warum es ihm so schwerfiel, sie zurückzulassen.

„Tai“, sagte Kari schließlich ruhig, als Tai den Koffer schloss. „Du musst dich endlich wieder auf dein eigenes Leben konzentrieren. Mimi hat entschieden, nicht mit dir zusammen zu sein. Und wenn ich ehrlich bin, sehe ich das ähnlich wie sie und Matt. Wir glauben alle, dass es so das Beste ist.“

Jetzt sie auch noch.

Von allen Seiten hörte er ständig nur das Gegenteil von dem, was sein Herz ihm sagte. Und es war verdammt schwer zu ertragen.

„Sie hat es ja nicht getan, weil sie dich nicht liebt, Tai. Ich denke, ihre Gefühle für dich sind nach wie vor sehr stark. Das sieht jeder, der euch beide auch nur eine Sekunde lang anguckt. Aber sie hat trotzdem die richtige Entscheidung getroffen. Dass sie dich gehen lässt, ist sehr vernünftig von ihr.“

„Und das macht es besser?“, zischte Tai. „Dass sie eine vernünftige Entscheidung getroffen hat?“

„Na ja“, meinte Kari und zuckte frustriert mit den Schultern. „Irgendwie schon.“ Dann stand sie auf und sah Tai in die Augen. „Sie sorgt sich um dich und um deine Zukunft. Das tun wir alle. Diese Sache mit Ray und dieser Brand … du hast genug wegen ihr durchmachen müssen.“

„Nichts von alledem, was passiert ist, war Mimis Schuld. Es war meine, ganz alleine, und das weißt du, Kari“, fuhr Tai ungeduldig dazwischen. Er hatte es satt, dass Mimi bei allen als böses Mädchen dastand, das Tai ins Verderben gestürzt hatte. Wenn einer Schuld an allem war, dann war er das.

Hätte er damals diese Nummer mit Izzy nicht abgezogen, Mimi gemeinsam hinters Licht zu führen, wäre es nie soweit gekommen. Dann wäre das alles gar nicht passiert. Wahrscheinlich hätte sie sich dann auch nie in ihn verliebt und er nicht in sie. Aber wenigstens wären sie beide jetzt nicht so kaputt. Wäre das alles nicht passiert, wäre es niemals zu diesem Unfall gekommen. Mimi könnte irgendwann eine große Familie, mit eigenen Kindern haben.

Diese Zukunft gab es jetzt nicht mehr für sie.

Und es war seine Schuld. Die Sache mit Izzy damals hatte die ganze Geschichte ins Rollen gebracht. Was damals in Tokyo zwischen ihnen Dreien passiert war, würde er sich nie verzeihen. Wer hier frei von Schuld war, werfe den ersten Stein, denn sie hatten sich alle nicht mit Ruhm bekleckert. Wieso also sollte Mimi allein für das verantwortlich sein, was geschehen war? Das wäre unfair gewesen.

„Vergiss es“, winkte Tai ab und stellte seinen Koffer vom Bett auf den Fußboden. Es hatte keinen Sinn mit ihr darüber zu diskutieren. „Ich fliege zurück nach Tokyo. Ihr habt also, was ihr alle wolltet. Mimi mit eingeschlossen.“

Kari ließ beschämt den Blick sinken, als es erneut an der Tür klopfte.

„Hey, bist du bereit?“, fragte Izzy, der nun ebenfalls das Zimmer betrat.

„Nein“, sagte Tai, nahm seinen Koffer und marschierte an Izzy vorbei aus dem Zimmer. Für diesen Schritt würde er niemals bereit sein. Aber hatte er denn überhaupt noch eine Wahl?
 

***
 

„Hey, ich hab dich schon überall gesucht“, meinte Kyle, als er das Zimmer betrat. Mimi saß im Schneidersitz auf dem Bett im Gästezimmer, was einst ein Kinderzimmer werden sollte und jetzt nur noch die Höhle ihrer endlosen Qualen darstellte. Zugepflastert mit den Bildern eines Typen, der ihr ganzes Leben zerstört hatte.

„Du warst plötzlich weg, als ich aus dem Bad kam“, sagte Kyle und setzte sich ihr gegenüber aufs Bett. Mimi sah auf ihre Hände, in denen sie die Waffe hielt, die Kyle besorgt hatte.

Das hatte sie in letzter Zeit öfter getan. Sie hatte sie gedreht und gewendet, sich mit ihr vertraut gemacht. Aber egal, wie oft sie sie in den Händen hielt, das kalte, harte Metall fühlte sich immer noch befremdlich an.

„Bist du dir unsicher?“, fragte Kyle.

Mimi sah ihn nicht an, sondern fixierte sich ganz auf die Pistole in ihrer Hand. Wenn sie geladen war, war sie deutlich schwerer, als wenn sie keine Kugeln im Magazin hatte. Plötzlich legte Kyle eine Hand auf die Waffe und Mimi hob den Kopf.

„Das musst du nicht“, sagte er. „Wir tun das Richtige.“

„Ich weiß“, murmelte Mimi. Das sagten sie sich immer wieder. Warum fühlte es sich dann nicht richtig an? Das Bild von Tai blitzte vor ihrem inneren Auge auf. War es seinetwegen? Wenn er wüsste, was sie vorhatte, was würde er dann sagen?

Sie wusste, er würde das alles hier ablehnen. Wahrscheinlich hatte sie deshalb immer noch Hemmungen.

„Der Kerl bekommt, was er verdient hat“, sagte Kyle und nahm seine Hand von der Pistole. Mimi nickte.

Dann zielte sie auf Kyles Kopf.

„Meinst du, ich kann das?“, fragte sie, fixierte ihre Schusshand mit der anderen Hand, um besseren Halt zu haben und legte den Finger auf den Abzug. „Einfach so einen anderen Menschen erschießen?“

Kyle saß ungerührt da. Er hatte nicht mal mit der Wimper gezuckt, als Mimi die Waffe auf ihn richtete.

„Ich denke, wir alle sind in der Lage, in extremen Situationen extrem zu handeln“, gab er zurück.

Mimi ließ die Waffe sinken. „Ja, aber … bringe ich das wirklich fertig?“

„Findest du, er hat es verdient?“

„Ja.“ Mimis Antwort war klar und deutlich, ihr Blick entschlossen.

„Dann kannst du es auch.“

Kyle nahm ihr die Waffe aus der Hand und legte sie neben sich aufs Laken. Dann rutschte er näher an Mimi heran und nahm ihr Gesicht in beide Hände.

„Wir stehen das zusammen durch. So wie wir alles seit dem Unfall zusammen durchgestanden haben.“

Er küsste sie, so entschlossen, so begierig, dass es jeglichen Rest Zweifel aus Mimis Kopf wegfegte.

„Komm, lass uns noch mal den Plan durchgehen“, flüsterte er an ihren Lippen, als er sich von ihr löste. Mimi nickte. Sie wusste, sie würde keine Ruhe finden, bis sie diese Sache endlich hinter sich lassen konnte. Sie hatte es so sehr versucht, es anders in den Griff zu kriegen. Aber die Depressionen und die psychischen Anfälle wurden nicht besser. Nicht, solange dieser furchtbare Mensch immer noch frei da draußen rumlief und sich einen Dreck darum scherte, was er angerichtet hatte. Wer weiß, wen er inzwischen noch alles auf dem Gewissen hatte …

Nein. Das ging so nicht weiter. Das alles sollte heute endlich ein Ende finden.
 

***
 

„Weißt du schon, was du geplant hast, wenn du wieder in Tokyo bist?“, fragte Izzy neugierig.

Tai murrte.

Izzy grinste unsicher.

„Auf jeden Fall denke ich, dass du in deinem Studium von deiner Zeit im Ausland profitieren kannst. Auch wenn die Zeit hier an der Uni kürzer war als geplant.“

„Hmm.“

Tai starrte weiter aus dem Fenster des Taxis.

„Nun, also …“ Izzy suchte nach den richtigen Worten. „Schade, dass du Matt’s Auftritte hier in New York nicht mehr besuchen kannst. Das ist irgendwie blöd. Aber ich denke …“

„Izzy“, seufzte Tai auffallend und wendete nun den Kopf in die Richtung seines Freundes, der auf der Rückbank neben ihm saß.

„Du bist der klügste Mensch, den ich kenne. Und du verstehst nicht, wenn dir jemand eindeutige Signale sendet, dass er keine Lust auf Small-Talk hat?“

„Oh“, machte Izzy und legte die Stirn in Falten, als hätte er gerade eine Erleuchtung gehabt. Tai seufzte erneut und richtete dann den Blick wieder nach draußen auf die Straße.

„Lass uns das einfach schnell hinter uns bringen.“

Mit „hinter uns bringen“ meinte er seinen Flug zurück nach Hause. Er flog zurück, ohne auch nur irgendetwas bei Mimi erreicht zu haben. Sein Plan, sie zurückzugewinnen war kläglich gescheitert. Und seine Schwester und seine zwei besten Freunde saßen hinter ihnen in einem anderen Taxi, um dieses Ereignis zu feiern. Sicher hatten sie Champagner dabei und ließen die Korken knallen, sobald Kari und er im Flieger zurück nach Tokyo sitzen würden. Echt super.

Tai war wirklich enttäuscht. Während er sich geschlagen gegeben hatte, konnten Izzy, Sora und Matt in New York bleiben. Sora für ihr Praktikum. Matt für seine Auftritte. Und Izzy …

Was hatte Izzy eigentlich vor?

„Wirst du weiterhin für die Kendler’s arbeiten?“, erkundigte sich Tai missmutig und stützte sein Kinn auf seinen Handballen ab.

„Ähm …“, sagte Izzy und sah nun ebenfalls aus dem Fenster. „Ich weiß es nicht. Sie haben mich nicht aus dem Projekt entlassen, aber ich denke nicht, dass eine Zusammenarbeit mit Kyle als inoffiziellen Vorgesetzten weiterhin möglich ist. Ich denke, ich werde das beenden und spätestens nächste Woche ebenfalls im Flieger nach Hause sitzen.“

Tai drehte den Kopf und sah Izzy zweifelnd an.

„Aber das war eine riesen Chance für dich.“

„Ich weiß“, zuckte Izzy mit den Schultern. „Aber schließt sich eine Tür, öffnet sich eine Neue, oder?“

Na toll.

Jetzt hatte er nicht nur Mimi nicht helfen können, sondern war auch noch dafür verantwortlich, dass Izzy die Chance seines Lebens verlor. Noch mehr Schuld, die auf seinen Schultern lastete.

Sein Magen drehte sich um. Er hatte das Gefühl, komplett versagt zu haben. Er war hergekommen, um Mimi nah zu sein. Sie davon zu überzeugen, dass sie zusammengehörten. Insgeheim hatte er wahrscheinlich nie eine Chance gehabt. Mimi hatte sich eindeutig zu ihm hingezogen gefühlt, genauso wie er sich zu ihr. Sie hatte immer noch Gefühle für ihn, das war nicht zu übersehen. Doch sie weigerte sich, diese Gefühle zuzulassen.

Weil sie dachte, dass sie schlecht für Tai wäre.

Weil sie dachte, dass sie nicht gut genüg für ihn wäre. Dass sie allein ihm nicht genügen würde.

Das war so eine schwachsinnige Scheiße. Und das alles wegen irgend so eines dahergelaufenen Idioten, der illegale Straßenrennen fuhr.

„Ich bin froh, dass sie wenigstens den Kerl, der Mimi das angetan hat, geschnappt haben und er bald hinter Gittern sitzt“, sprach Tai seine Sorgen laut aus. Wenigstens ein kleiner Trost für all den Kummer, den Mimi erleiden musste.

Izzy sah ihn an. Er verengte die Augenbrauen.

„Du meinst den Typen, der den Unfall verursacht hat?“

Tai nickte. „Ja, wen denn sonst?“

„Es ist nur …“ Izzy stutzte. „Von wem hast du das, dass er verhaftet wurde?“

„Mimi hat es mir erzählt.“

Nun wirkte Izzy noch skeptischer.

Tai wurde langsam unruhig, denn er kannte diesen Blick von Izzy nur zu gut. Vor allem, wenn er den Kopf schief legte und offensichtlich über etwas nachdachte.

„Was ist?“, wollte Tai wissen.

„Hmm“, machte Izzy und legte einen Finger ans Kinn. „Wahrscheinlich gar nichts. Es ist nur … nachdem du uns von Mimis Unfall erzählt hast, habe ich ein paar Nachforschungen angestellt. Meine Neugier, du weißt ja. Jedenfalls konnte ich nichts darüber finden, dass sie den Täter geschnappt haben. Das Auto, was er an diesem Abend fuhr, war offensichtlich gestohlen und es gab keine weiteren Hinweise auf den Täter, außer Mimis Beschreibung. Berichten zufolge konnte also niemand für den Unfall zur Rechenschaft gezogen werden. Leider.“

Tai legte die Stirn und Falten und dachte nach. Aber sie sagte doch, …

Konnte es sein, dass …?

„Aber sicher irre ich mich. Wahrscheinlich wird es Mimi besser wissen, wenn sie dir sagt, dass sie ihn haben“, fügte Izzy schnell noch hinzu, als er Tais sorgenvolle Miene sah.

„Sie sagte …“, meinte Tai leise. „ … dass er seine gerechte Strafe erhalten würde.“

Konnte es wirklich sein, dass sie … nicht die Wahrheit gesagt hatte?

Tai hatte ein ganz ungutes Gefühl. Und je länger er darüber nachdachte, umso mehr verfestigte sich ein Gedanke in seinem Kopf, den er nicht wagte laut auszusprechen.

„Aber das ist doch gut“, sagte Izzy begeistert. „Oder etwa nicht?“

„Wir drehen um.“

„Was?“, fuhr Izzy hoch.

„Wir drehen um“, wiederholte Tai kurz entschlossen. Wenn seine Vermutung stimmte, dann musste er schnell zu Mimi. Und sie vor einer riesengroßen Dummheit bewahren. Allerdings hoffte er inständig, dass er falsch lag. Dass es einfach nur ein blödes Gefühl war, was nichts zu bedeuten hatte. Vielleicht hatte er Mimis Worte auch falsch interpretiert. Aber, wenn nicht, dann …

„Wir können jetzt nicht umdrehen“, widersprach Izzy. „Dein Flug geht in 90 Minuten.“

Der Taxifahrer warf den beiden über den Rückspiegel einen genervten Blick zu.

„Ihr müsst euch schon entscheiden, Jungs. Da vorne kommt `ne Kreuzung. Entweder wir wenden dort oder wir fahren weiter geradeaus Richtung Flughafen.“

„Wir fahren geradeaus, danke“, antwortete Izzy eilig und lehnte sich zurück in seinen Sitz.

„Wir drehen um“, sagte Tai erneut.

„Wir fahren weiter.“

„Nein.“

„Tai!“, sagte Izzy wütend. „Verdammt! Ich dachte, wir hätten das besprochen. Wir waren uns doch alle einig, dass es gefährlich für dich ist, wenn du länger in New York bleibst. Kyle wird dich nicht in Ruhe lassen, solange du hier bist.“

„Ich … ich will ja gar nicht länger bleiben“, stammelte Tai, während seine Gedanken längst woanders waren. „Aber Mimi braucht mich.“

Izzy stöhnte und presste zwei Finger auf die Nasenwurzel.

„Tai. Sie braucht dich nicht. Sie will dich nicht. Das hat sie dir doch deutlich gesagt.“

Das Taxi hielt an der Kreuzung, die Ampel schaltete auf Rot. Der Fahrer legte einen Arm über die Beifahrerlehne und drehte sich zu ihnen um.

„Letzte Chance, Jungs.“

Tai richtete sich etwas in seinem Sitz auf und sah Izzy eindringlich an.

„Izzy, es ist wirklich wichtig. Ich habe ein ganz ungutes Gefühl“, versuchte er seinen Freund zu überzeugen. „Nenn es von mir aus, eine Intuition oder so was. Ich glaube, Mimi hat mich angelogen, als ich sie fragte, ob der Kerl, der den Unfall verursacht hat, gefasst wurde. Ich denke, sie will sich selbst darum kümmern. Oder hat es bereits getan.“

Was Tai sagte musste total absurd klingen, denn auf Izzys Lippen schlich sich ein unsicheres Grinsen.

„Das meinst du ja wohl nicht ernst. Ich meine, was willst du mir denn damit sagen? Dass Mimi sich den Typen krallen will und dann … was? Ihn foltern will? Ihn umlegen will?“

Tai verdrehte ungeduldig die Augen. Die Zeit rannte ihm davon. Und Izzy hielt ihn zum Narren.

„So wie du das sagst, klingt das wie aus einem Liam Neeson Rache-Film.“

Die Ampel sprang auf Gelb.

„Izzy, bitte. Vertrau mir einfach“, flehte Tai und legte bereits eine Hand an den Türgriff. „Wenn du nicht mitkommst, mache ich es alleine.“ Innerlich schwor er sich, in spätestens drei Sekunden aus diesem Taxi zu springen, sobald es losfuhr. Denn es war ihm scheißegal, ob er hier gerade irgendeinen Flug verpasste. Er würde erst in Ruhe nach Hause fliegen können, wenn er sich davon überzeugt hatte, dass sein Gefühl falsch lag.

Die Ampel sprang auf grün.

Izzy sah gestresst nach vorne, dann zu Tai, dann wieder nach vorne.

„Ach, scheiße“, fluchte er und lehnte sich nach vorne zum Taxifahrer. „Wir drehen um.“

„Alles klar“, sagte der Fahrer und wendete. Eine Sekunde später klingelte Tais Handy. Kari rief an. Sie saß immer noch mit Sora und Matt im Taxi hinter ihnen und fragte sich sicher, warum sie umkehrten. Aber Tai hatte weder die Zeit, noch die Lust, ihr das zu erklären. Die drei würden ihn nur für verrückt und inkonsequent erklären.

„Wenn du falsch liegst, drehen wir sofort um und du nimmst den nächsten Flug nach Tokyo“, sagte Izzy und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Geht klar.“

Izzy hatte keine Ahnung, wie sehr er hoffte, dass er unrecht hatte.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Hi ihr Lieben :) Ich hoffe, ich habe mit diesem Kapitel einige Fragen aufgeworfen und ihr seid gespannt darauf, wie es weiter geht. Im nächsten Kapitel wird nicht nur Izzy, sondern auch Kyle seinen ersten richtigen Auftritt haben und der wird es in sich haben! Also bis dann...
Achso und noch einen kleinen Song zum Kapitel... :) Huma - I can't sleep in silence Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hi ihr Lieben! Es tut mir wahnsinnig leid, dass ihr so lang auf ein neues Kapitel warten musstet... irgendwie hatte ich eine kleine Schreibblockade :( Die ich hoffentlich jetzt überwunden habe und gerade deshalb hoffe ich, dass euch das neue Kapitel gefallen und auch ein wenig Hoffnung gemacht hat ;) Ein wenig dabei geholfen hat mir dieser Song von Coldplay: Army of one
Eure Khaleesi <3 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo Leute! ;) Was meint ihr, was Kyle von Tai will...? Nichts Gutes oder? >.<
Ich hab noch ein richtig tolles Lied für euch, welches mich irgendwie inspiriert hat und was ich in der Serie "the originals" das erste Mal gehört habe: Banks - Beggin for thread
bis bald <3 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
So, ihr Lieben, es geht also weiter :P Heute gibt es keine langen Reden, nur ein schönes Lied von Adele, welches ich schon vor Jahren unglaublich toll fand und es immer noch tue. Turning Tables
ciao ciao <3 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo ihr Lieben :*
Tut mir leid, dass ich euch habe so lang warten lassen ;/ Momentan komme ich oft nicht zum schreiben :'D Dabei würde ich so gerne mehr Zeit in diese Geschichte investieren. Ich hoffe, das neue Kapitel hat euch gefallen. Bis zum nächsten... hoffentlich bald ;D Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
So... jetzt ist ja wirklich einiges passiert :O was meint ihr, wie Tai aus dieser Nummer wieder rauskommen wird? :<
Bis zum nächsten Mal ;)
Eure Khaleesi26 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hui... Ein Kapitel auf einen Montag? Was ist denn da los? :P
Sorry, dass ich euch so lange habe warten lassen... aber es ist endlich fertig und ich wollte es nicht länger für mich behalten. Aber jetzt mal ehrlich: wer hat gedacht, dass Matt doch eigentlich genau das Gegenteil von dem wollte, was die anderen wollten, als sie ihn nach New York geschickt haben? Oder glaubt ihr, die anderen waren auch mit eingeweiht und verfolgten insgeheim alle ein anderes Ziel? Wollen sie Tai und Mimi wirklich wieder zusammen sehen?
Ich bin echt tierisch auf eure Meinung gespannt!
Achso. Und bevor ich es vergesse, wollte ich es hier auch noch mal erwähnt haben (auch, wenns einige sicher schon nervt xD), aber da vermehrt Anfragen kamen, wann es bei meinen Geschichten (insbesondere bei dieser hier) weitergehen wird, habe ich mir auf Instagram extra für euch *räusper* ein Autorenprofil angelegt, auf dem ich euch über aktuelle Geschichten und kommende Projekte auf dem Laufenden halten werde.
Puh... langer Satz *:D Hier der Link zu meinem Profil: k.leesi.author.by.passion
Einfach auf "Folgen" klicken und so immer up to date sein :D
So, jetzt hör ich aber auch auf zu schwafeln, versprochen.
Ich hoffe, dass euch das Kapitel gefallen hat ;)
Bis bald <3
Eure Khaleesi26 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Dann lüften wir doch mal im nächsten Kapitel Mimis Geheimnis... :) Ich hoffe, ihr seid gespannt.
Bis dann <3
Eure Khaleesi Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Claire Wyndham - My Love Will Never Die

Kurzes Nachwort: Mir persönlich hat es nichts ausgemacht, diese Szene zu schreiben. Ich hoffe, euch hat es auch nichts ausgemacht, sie zu lesen :)
Morgen kommt das nächste Kapitel, in dem es ein aufschlussreiches Gespräch zwischen Mimi und Tai geben wird.

Bis dann <3
Eure Khaleesi Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Puuh, irgendwie fiel mir das Kapitel schwerer als das davor ^^* Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich denke, ich muss die Geschichte um das Genre Thriller ergänzen :D Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (78)
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Von:  Hallostern2014
2021-03-21T19:29:17+00:00 21.03.2021 20:29
Huhu meine Liebe

Was soll ich nun dazu sagen ? Ich habe mal wieder Kopfkino wie es weiter gehen könnte 😂.

Ich kann zwar Kari verstehen, dass sie sich Sorgen um Tai macht. Aber wie alle es angehen finde ich nicht schön. Zumal er vieles verkraften musste. Tai sollte auf sein Herz und Bauch hören und nicht auf die anderen.

Danke Izzy. Dank deine Äußerungen ist bei Tai der Groschen gefallen..zum Glück. Ich hoffe die kommen rechzeitig..die Szene im Taxi war der kracher 😂.

Zum Mister ........ und Mimi. Ich hatte gehofft das Mimi nach dem Treffen mit Tai unsicher wird was den Plan betrifft. Aber nein da kommt ein Kalye und versaut alles. Man Mimi man kann doch 1000 andere Möglichkeiten dieses Arschloch eine gerechte strafe zu geben. Lass dich doch nicht von so einen Kriminellen in die scheiße reiten😭. Und eine Waffe ? Oje da kann so vieles Passierten. Es kann daneben gehen oder sonst was. ( Hier Spielt das Kopfkino 🙈)

Ich hoffe sehr das alle noch rechtzeitig kommen und Mimi retten..

Ich freue mich schon aufs neue Kapitel😍

Von:  Kleines-Engelschen
2021-03-21T18:15:20+00:00 21.03.2021 19:15
na da bin ich gespannt ob sie mimi aufhalten können! tolles kapitel

greetz
Von:  Hallostern2014
2021-03-20T12:34:36+00:00 20.03.2021 13:34
Huhu meine Liebe ❤

Auch ein trauriges Kapitel 😭

Man konnte förmlich hören wie das Herz von Tai gebrochen ist als er es gehört hatte. Und auch das von Mimi. Das dieser Arsch auch noch entkommen ist.....und Tai glaubt es auch noch was sie ihn erzählt hat. Hoffe aber es bleibt nicht so.

Ich finde es süß wie sehr Tai Mimi überzeugen wollte das es wieder gut wird und er sie nimmt wie sie ist. Auch wenn sie keine eigene Kindern bekommen können. Auch wenn es ihn schwer fallen wird. Dennoch glaube ich ihn das es für ihn kein Problem ist. Und wie er schon sagte es gibt eine andere Möglichkeit. Aber Mimi ist so verbissen. Sie merkt nicht was gut für sie ist. Sondern will lieber weiter ins verderben rennen..

Aber Mimi hat Tai nicht Lebewohl gesagt. Tai sollte jetzt erstrecht bleiben und Kämpfen. Alleine auch darum das Mimi endlich richtig die Sache verarbeiten kann. Fenn das sie die Hilfe nicht annehmen wollte die ihre Eltern ihr geben wollten ist nicht gut. Aber vielleicht schaft es ja Tai. Am besten mit ihr zusammen. Aber sie muss es wirklich wollen.

Ich bin so gespannt wie es weiter geht 😍

Ich freue mich schon sehr darauf
Antwort von:  Khaleesi26
21.03.2021 09:48
Huhu :*

oh, das stimmt. Ich fand es schlimmer als das Letzte :'D

Hmm, es ist wirklich ein schwieriges Thema. Da kann ich beide Seiten gut verstehen. Tai möchte natürlich trotzdem bei Mimi bleiben und Mimi glaubt, er denkt nur an den Moment und nicht daran, was in ein paar Jahren sein könnte. Sie nimmt Tai somit die Entscheidung ab, was auch nicht gut ist... :/

Oh ja, das stimmt. Mimi hat die Hilfe nicht angenommen, die sie gebraucht hätte. Da hat Tai noch ein ganzes Stück Arbeit vor sich, wenn er sie vom Gegenteil überzeugen will :D Aber vllt fliegt er ja auch einfach zurück nach Hause und gibt auf.
Das werdet ihr noch erfahren :D
Ich wünsche dir schon mal viel Spaß beim Weiterlesen & noch ein schönes Wochenende!
Von:  Kleines-Engelschen
2021-03-18T22:14:02+00:00 18.03.2021 23:14
uff was für ein kapitel. ein harter schlag für alle beide. bin gespannt wie es weitergeht

greetz
Antwort von:  Khaleesi26
19.03.2021 13:34
ja, da sagst du was :(
Das muss Tai erst mal verdauen... aber es wird definitiv spannend weitergehen ^^*
Von:  Hallostern2014
2021-03-18T04:12:25+00:00 18.03.2021 05:12
Huhu meine Liebe ❤

Ohman, was für ein trauriges Kapitel. Arme Mimi 😭. Tai hätte sich so gefreut gehabt. Wäre wieder der alte geworden. Wäre zu ijr gefolgen und hätte sie viel ehrer von dem Arsch geretttet.

Denn das er das alles nur macht um Mimi bei sich zu behalten war klar. Deswegen wollte er ja nicht das sie den Brief abschickt und mit Sicherheit hätte er den auch verschwinden lassen.. Das beide da schon eine art Beziehung führten gefiel mir gar nicht. Aber ein Lichtpunkt gab es, Tai. Sie hätten Kyle für ihn verlassen.

Und dann kommt so ein scheiß Arsch, der bestimmt was genommen hat oder nicht aufgepasst hatte und fährt das Auto an. Schade das Kyle nicht umgekommen ist. Dafür musste aber Mimi und Tais Baby gehen 😭. So schrecklich. Jetzt versteht man auch einiges mehr warum Mimi so geworden ist wie sie jetzt ist. Und das es Kyle in den Händen spielt ist klar. Ich denke auch das Mimi sich keine hilfe geholt hat um es zu verarbeiten. Dank Kyle.

Auch warum Mimi bei Tai angerufen ist somit klar. Und wenn Matt es herrausfindet wird er ein megs schlechtes gewissen haben.

Ich bin gespannt wie Tai darauf reagiert. Ich denke er wird geschockt sein. Und bleibem. Er sie nicht mehr alleine lassen. Nicht mit Kyle. Er wird nun richtig kämpfen. Und hoffentlich vorher von ihren Plan erfahren. Sie davon abbringen.

Ich freue mich schon auf später.

Ganz liebe Grüße 😘
Antwort von:  Khaleesi26
18.03.2021 17:42
Hallo meine Liebe :)
Sag mal... wie früh bist du denn bitte wach? xD Kurz nach 5? Oh Gott, da habe ich ja noch geschlummert. Aber ich habe mich sehr über dein Kommentar gefreut.

Oooh das stimmt, es hätte alles so schön sein können, was?! Aber leider hat das Schicksal es nicht gut gemeint mit den beiden. So ein Kind hätte sie sicher wieder zusammen gebracht...

Naja, zu dem Zeitpunkt hatten sie noch keine richtige Beziehung. Er war für Mimi mehr eine willkommene Ablenkung, um über Tai hinweg zu kommen. Leider wurde nach dem Unfall daraus ja doch etwas mehr, wie wir ja schon wissen :'D

Ja, da könntest du recht haben... nach allem, was wir von Mimi wissen, und wie sehr sie sich verändert hat... hat sie sicher nicht die Hilfe in Anspruch genommen, die sie nach dem Unglück gebraucht hätte. Und Kyle war sicher auch nicht das, was sie gebraucht hat... aber das denkt sie leider :D

Oh stimmt, ich möchte jetzt auch nicht in Matts Haut stecken und diese Schuld auf mich nehmen.

Ja, das wäre natürlich wünschenswert. Aber wie du weißt, kommt ja eh immer alles anders als man denkt xD Es wird noch einiges passieren.

Viel Spaß später beim Weiterlesen :)

Liebe Grüße!
Von:  Kleines-Engelschen
2021-03-17T19:42:12+00:00 17.03.2021 20:42
Uff was für ein krasses Kapitel. Jetzt kann man vieles verstehen, bin auf das Gespräch gespannt!

greetz
Antwort von:  Khaleesi26
18.03.2021 11:40
Ja das stimmt :( arme Mimi... aber das war ja noch nicht alles...
Von:  Hallostern2014
2021-02-23T18:59:54+00:00 23.02.2021 19:59
Huhu meine Liebe ❤

Ein sehr schönes Kapitel😍

Ich finde es gut das Sora Matt so angemacht hatte. Aber Matt hat ebend wie ein bester Freund gehandelt. Nun ja ich denke das da nochmal zwischen den beiden ein Gespräch kommt. Ich musste echt bei der stelle Lachen als Alison sich da eingemischt hatte 😂. Na, da hat sie ja nich welche gefunden außer Tai. Und ich denke während Mimi Tai erzählt was passiert ist tut sie es bei den anderen.

Das Mimi doch noch auftaucht hatte ich mega gehofft. Für Tai und für Mimi. Aber ich glaube das Matt bei ihr verkackt hat. Der Spruch von ihn hätte nicht sein müssen. Ich hoffe das Mimi Tai bald mal glaubt das dieser ..... in alles Schuld ist was Tai in der letzten Zeit passiert ist. Auch sollte sie sich nicht deswegen die Schuld geben. Sie kann nichts dafür das sie ihn einen so kranken Typen reingefallen ist.

Als es darum ging sich zu verabscheiden hatte ich gehofft das Mimi es nicht zulässt. Und wie sie drum gebeten hat. Und endlich lässt sie sich helfen. Wir werden endlich erfahren wad passiert ist. Und hoffentlich hält Tai ihr von den Plan mit ......... ab. Ich hoffe sie hört dann auf ihn und lässt sich auch wirkich helfen.

Ich bin so mega gespannt auf das nächste Kapitel 😍
Antwort von:  Khaleesi26
17.03.2021 10:35
Hey meine Liebe :)

Ja, da ist der liebe Matt wirklich übers Ziel hinausgeschossen. Aber gut, dass Sora ihm ein bisschen kontra gegeben hat. Und Alison hat zum Glück mit ihrem Auftauchen die Situation etwas entschärft.

Leider ist Matt immer noch nicht sehr gut auf Mimi zu sprechen. Aber Tai und Mimi haben einiges zu klären. Wahrscheinlich wird sie ihm nicht gleich auf die Nase binden, was sie mit Kyle schlimmes vor hat. Aber auf jeden fall wird sich vieles aufklären in den nächsten beiden Kapiteln. Ich hoffe, du bist gespannt :P

Ganz liebe Grüße und viel Spaß beim weiterlesen! :-*
Von:  Kleines-Engelschen
2021-02-22T21:44:28+00:00 22.02.2021 22:44
Na jetzt bin ich ja gespannt wie es weitergeht.

Ich freue mich schon auf das nächste Kapitel.

greetz
Antwort von:  Khaleesi26
17.03.2021 10:31
Hi :) Danke für dein Kommi. Ich bin mal gespannt, ob du dich nach dem nächsten Kapitel immer noch freust ^^*

Von:  Kleines-Engelschen
2021-02-20T10:56:15+00:00 20.02.2021 11:56
Was für ein tolles Kapitel. Da hat Matt ja mal ordentlich dampf abgelassen.. Das waren echt harte Worte und ich bin gespannt was Mimi daraus macht.. Wie sie nun im Endeffekt reagieren wird..
Bin gespannt auf das nächste Kapitel.

greetz
Antwort von:  Khaleesi26
22.02.2021 11:45
Huhu :)
Oh ja, das kann man wohl sagen... ziemlich hart, was er alles gesagt hat. Aber vllt war ja genau das nötig ;)
Bis bald :*
Von:  Hallostern2014
2021-02-19T11:31:56+00:00 19.02.2021 12:31
Huhu meine Liebe ❤

Oje, was für ein Kapitel

Ich weiß gar nicht auf welche Seite ich hier stehen soll. Matt war richtig gemeint. Aber er hat auch halt in manche Sachen recht. Aber dennoch ist er so zu sehen auch Schuld das Tai später noch tiefer gefallen ist. Hätte er es damals nie zu Mimi gesagt wäre er wohl zu ihr und hätte ihr geholfen. Beide wären wieder sich näher gekommen und beide hätten sich niemals so tief unten wieder gefunden wo sie jetzt sind.. Ich bin mal gespannt wad Sora dazu sagt, dass Matt Mimi den Kontakt zu Tai verbot.

Und das Mimi Tai noch liebt hat man doch auch eindeutigt gesehen. Alleine wie sie reagiert hatte. Wäre er ihr Egal hätte ihr es nicht Interessiert. Aber warum will sie ihn nicht sehen ? Da bin ich mal gespannt. Ich denke ich kenne den Grund. Und der Gefällt mir nicht..kann der nicht endlich mal verschwinden.

Hmm, also Matt das alles gesagt um ihr so zusagen das sie Kämpfen soll ? Das sie und Tai zusammen gehören ? Ich bin gespannt ob sie es nun auch einsieht. Oder ob sie sich weiter Drogen umbewusst verabreichen lässt.

Ich freue mich schon sehr aufs neue Kapitel 😍
Antwort von:  Khaleesi26
22.02.2021 11:58
Hallo meine Liebe :)

Jetzt komme ich auch endlich mal dazu, dir hier zu antworten.
Nun, ich weiß nicht, ob man Matt hier wirklich einen Vorwurf machen kann, dass er Tai nichts von Mimis Anruf erzählt hat, bzw. sie angemacht hat, sie soll sich nicht mehr bei ihm melden. Klar, es war falsch, keine Frage. Er darf einfach nicht so hart in Tais Leben eingreifen. Aber er hat es aus Liebe zu seinem Freund getan und Matt konnte ja nicht wissen, dass Mimi Tai so sehr gebraucht hat. Bzw. hat er einfach gedacht, es wäre so das Beste für Tai... war leider die falsche Entscheidung, aber das wusste er nicht.

Ich denke, er wollte Mimi einfach mal ordentlich wachrütteln :) Weil er gemerkt hat, dass sie und Tai noch starke Gefühle füreinander haben und es den beiden allein definitiv schlechter geht als zu zweit. Vielleicht war es gut, dass er mal Klartext mit ihr geredet hat ;)

Ich denke, ich werde es heute noch schaffen, das nächste Kapitel hochzuladen und dann ist es auch nicht mehr weit, bis wir endlich erfahren, was Mimi in der Vergangenheit passiert ist.

Bis bald meine Liebe :*


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