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Kalendertage

Der Tag, an ...
von

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17 - Der Tag, an dem die Aufnahmeprüfung war

Es gab Dinge, die erstaunten einen immer wieder aufs Neue. Natürlich hatten ich damit gerechnet, dass sich unzählige Bewerber um einen Akademieplatz am Prüfungstage einfinden würden. Sicherlich würde man wohl sogar etwas Wartezeit in Kauf nehmen müssen, um die Formularien zu klären und eine Startnummer zu erhaschen. Soviel hatte ich mir nämlich schon bei einem Pott Kaffee in meiner Küche von Hokage-sama berichten lassen.

Es war nur ein inniger Wunsch gewesen, nicht immer diese zwischenzeitliche Stille zwischen uns beiden ertragen zu müssen. Sie machte mich übellaunig, doch ich sprach mein Problem ihm gegenüber nicht aus. Trotzdem meldete er sich unaufgefordert nun regelmäßig, um nicht zu sagen, er spammte mich zu. Und zwei Tage später stand er sogar auf der Matte. So wie immer: Unangemeldet kam er wie üblich durchs Fenster. Ziemlich spät in der Nacht, als wir hier zuhause eigentlich schon alle im Bett lagen. Aber zur Abwechselung ohne Anbu-Kluft, sondern in seiner alltäglichen Shinobiuniform. Erstere war eh nur Mittel zum Zweck gewesen. Erwartet hatte ich ein Treffen so schnell nicht, gefreut hatte ich mich trotzdem riesig, ihn wiederzusehen. Es musste ihm wohl doch sehr ernst mit uns beiden sein, auch wenn er sich überrumpelt fühlte, als ich ihm einfach so überschwänglich um den Hals fiel und mich lange an ihn schmiegte. Damit konnte er noch nicht umgehen. Wird bestimmt noch, sagte ich mir selbst immer wieder.

Wie dem auch sei, kamen wir um das Thema Aufnahmeprüfung bei dem besagten Pott Kaffee nicht herum, stand doch schon in fünf Tagen das große Event an. Kakashi meinte so nebenbei, da kämen immer mal so „ein paar mehr“ vorbei. Ich sollte mich nicht wundern, dass es sich über den ganzen Tag hinziehen würde. Dann schwieg er zu dem Thema, doch sein Grinsen war nicht zu übersehen. Ich konnte nerven, betteln und zickig sein, wie ich wollte. Es war nichts aus ihm herauszubekommen. Da war doch wieder etwas, was mir nicht passte und genau aus diesem Grunde nicht ausgesprochen wurde. Mein Gefühl sollte mich nicht enttäuschen.

Wir hatten uns überlegt, meinem Sohn bis zur Aufnahmeprüfung nichts zu verraten. Weder welche Person sich hinter „Inu“ verbarg, noch dass wir Gefühle füreinander hegten. Natürlich hätte Kakashi mein Kind jederzeit selber per Brief und Siegel ohne Prüfung auf die Akademie holen könne, doch für Yuuki wäre es ein sehr viel größerer, persönlicher Erfolg, wenn er die Prüfung aus eigenen Stücken bestehen würde. Außerdem bestand die Gefahr, dass futterneidischen Mitschüler ihm von Beginn an Bevorzugung unterstellen würden. Immerhin war Yuuki keine Verwandtschaft von Kakashi, sondern ein kleines Mischlingsnichts ohne Clan-Tradition des Feuer-Reiches, und das würde für neugieriges Staunen im Dorfe sorgen. Ein alberner Spießroutenlauf wäre die Folge. Das wäre zwar dummes Zeug, doch so etwas konnte man ja schon im Vorfeld steuern und ausblenden. So, wie es jetzt war, wäre Yuuki bei der Prüfung ein Kind wie jedes andere auch. Und das war gut so.

Also gingen ein extremst aufgeregt zappelnder Yuuki und ein im Vorfeld genervtes Ich mehr als zeitig in aller Herrgottsfrühe aus dem Haus, um dann an der Arena einen ersten Schock zu bekommen. Was auch immer Kakashi unter „ein paar mehr“ verstanden hatte, so hatte er definitiv eine komplett andere Definition von Menschenmassen als ich. Um es anders auszudrücken, mein werter Sohn und ich kamen gar nicht erst zur Arena, da die Warteschlange schon gefühlte hunderte Kilometer lang war und mindestens halb Alt-Konoha umrundete.

„Manche melden sich jedes Mal wieder, auch wenn sie schon -zigmal durchgefallen sind.“, hatte Kakashi erklärt. „Und die sind zum Teil wirklich talentiert. Früher wären die allesamt aufgenommen worden. Aber in Friedenszeiten braucht man keine so große Truppe mehr. Und die Anzahl der Aufträge nimmt in Zeiten von moderner Kriegsführung auch stetig ab. Da kann ich nicht jeden auf die Akademie lassen und schon gar nicht in den Dienst übernehmen. Selbst wenn der- oder diejenige noch so gut ist. Ich muss ja auch zusehen, dass ich die ganze Bande irgendwie finanziert und bezahlt bekomme. Zur Abwechselung mal ohne Stress mit dem Feudalherren.“

Das klang in den Ohren einer Kauffrau wie mir alles mehr als plausibel und vernünftig. Hokage-sama musste nicht nur seine Bande hüten, sondern auch die Kriegskasse verwalten. Und ich hatte auch schon mitbekommen, dass Konoha in Bezug auf die Missionspreisliste im Gegensatz zu anderen Dörfern doch recht teuer war. Ich konnte nicht widerstehen, ihn über seinen Job aufzuziehen. Er könnte es mal so machen, wie ich es beim quartalsmäßigen Ausverkauf mit meinen Stoffen anbot: Zwei Missionen zum Preis von einer. Wenigstens nahm er so was immer mit Humor und winkte lachend ab.

Dann verstummt ich und nagte an meiner Unterlippe. Mir schoss eine Erinnerung durch den Kopf. Als wir uns beide zum ersten Mal begegnet waren, hatte ich mit meiner Aussage wohl einen wunden Punkt getroffen. Bis heute hatte ich mich dafür nicht bei ihm entschuldigen oder gar mit ihm darüber reden können.

„Stimmt das, dass du keine Missionen mehr an Kinder vergibst? Aber neulich lief da bei den Anbu der Größe nach auch ein Kind mit herum.“

Kakashi sah mich überrascht an und dachte kurz nach. Mir war weder die Ausbildungs-, noch Karriereleiter der Shinobiwelt bekannt. Also musste sie mir kurz und knapp erklärt werden.

„Es ist tatsächlich so, dass man Missionen nach Ausbildungsrang und Fähigkeiten und nicht nach dem Alter des Shinobi vergibt. Und in den ersten zwei oder drei Jahren habe ich das auch so gehandhabt. Wie meine Vorgänger es eben auch getan hatten. Ich selber kannte es ja auch nicht anders. Es war total klar, dass man in Konoha geboren zum Shinobi ausgebildet wird. Alternativen waren unvorstellbar. Erst als meine ehemalige Schülerin mich ansprach, dass sie ein Sanatorium für traumatisierte Kinder aufbauen möchte, haben wir uns zum ersten Mal ernsthaft mit dem Thema auseinandergesetzt. Seitdem können Jugendliche zwar auch an C- oder B-Missionen teilnehmen, werden aber nicht bezahlt. Das heißt, sie brennen zwar darauf, endlich auf Mission zu gehen, haben aber gar keinen Anreiz oder erhalten eine Belohnung. Das hat die Reihen ganz schön ausgedünnt. Auf A- oder S-Mission schicke ich die grundsätzlich nicht. Das war ein ganz schwieriger Mittelweg, dass mit dem Hohen Rat und dem Feudalherren auszumachen. Und tatsächlich ist so manch ein Talent aus Konoha abgewandert.“

Kakashi machte eine Pause und hing für einen Moment seinen Gedanken nach. Was auch immer da mal wieder in seinem Kopfkino für ein Film lief, es machte keinen Sinn nach dem Inhalt seines Streifen zu fragen. Müde erhob ich mich und griff mit einer Hand die Henkel der beiden Tassen, um sie in den Spüler zu räumen. Dabei streifte ich Kakashi, der wortlos den Arm ausstreckte, um meine Taille schlang und mich zu ihm heranzog. Er vergrub sein Gesicht an meinem Bauch und hielt mich einfach nur fest. Schweigend und bedrückt. Mit einem langen Arm streckte ich mich, um mich der Tassen zu entledigen. Dann tat ich es ihm gleich und umarmte ihn, als bräuchte er Schutz und Geborgenheit.
 

Nun aber war also der große Tag gekommen. Es ging recht zügig in der Warteschlange voran. Schneller als gedacht erhielten wir unsere Startnummer zugeteilt und eine dünne Mappe mit einem langem Fragebogen und dem Tagesablauf ausgehändigt. Dabei sah mich der Shinobi am Ausgabetisch für den Bruchteil der Sekunde ziemlich skeptisch an, als er mir die Mappe überreichte. Seine Augen stachen scharf zu mir. Mit kleinen schwarzen Pupillen wurde ich von oben bis unten gescannt. Was auch immer mich zu etwas Besonderem machte, es überforderte den Shinobi am Tisch vor mir. Und genau das war wohl auch der Grund, dass er mir plötzlich nur noch ein höfliches „Auf Wiedersehen!“ schenkte und mir argwöhnisch hinterher blickte, wie ich mich mit Yuuki auf die Tribüne der Arena verzog. Ich konnte seinen Gesichtsausdruck im ersten Moment nicht einordnen. Während des Wegdrehens kam mir der passende Blitzgedanke. Ja klar, Kakashis Chakraspur! Die war sicherlich genauso auffällig und bekannt wie ein bunter Hund. Knallrot lief ich an und war froh, dass mir der Farbwechsel im Gesicht erst beim Weggehen passierte und nicht, als ich von dem Shinobi angestarrt wurde.

Der Aufnahmetest bestand aus zwei Prüfungsteilen. Beim ersten Teil sollte man ein beliebiges Jutsu anwenden. Die Prüfer würden es beurteilen und vielleicht noch die eine oder andere Frage dazu stellen. War man erfolgreich, wurde man für den zweiten Teil zugelassen: ein Zweikampf. Yuuki war zwar aufgeregt, aber hochmotiviert und guter Dinge. Mir hingegen wurde schlecht und der Boden begann sich unter meinen Füßen zu drehen. Das war es also, was Kakashi mir verschwiegen hatte! Von unserem guten Warteplatz auf der Tribüne aus tackerte ich übelst sauer eine Hassansprache nach der anderen an Hokage-sama, dass ich so was wie einen Zweikampf gerne vorher gewusst hätte. Nicht auszudenken, wenn Yuuki zu Tode käme.

„Hätte ich es dir gesagt, hättest du gleich wieder einen Aufstand gemacht.“, war die lakonische Rückantwort.

Boah, Kakashi! Wenn du wieder bei mir zu Hause auftauchst, dann knallt's, dass die Wände wackeln! Jawohl! Wo steckte der eigentlich? Mit schnellen Blicken suchte ich die Arena ab, konnte ihn aber noch nirgends ausmachen. Hatte er nicht gesagt, er würde dabei sein? Müsste er das als Hokage nicht so oder so? Heißer Atem schnaufte aus meiner Nase. Kakashis innere Uhr entsprang nicht unserer weltlichen Zeitmessung. Vermutlich kreuzte er erst auf, wenn alles vorbei wäre und seine Truppe bereits die ganze Arbeit in seinem Namen erledigt hätte. Faule Socke! Wenn er zu Yuukis Auftritt zu spät käme, knallt's nochmal! Und bei mir ihm Bett bräuchte der dann auch nicht schlafen. Pfff! Meine Fingernägel bohrten sich in das Fleisch meiner Hände, dass die Haut schon ganz weiß wurde. Unsere Sitznachbarn rutschen erschrocken ein paar Meter auf der Sitzbank von uns weg. Vermutlich sahen sie meinen hochroten Kopf, die imaginären Hörner an meiner Schädeldecke und die Dampfschwaden, die ich beim Atmen ausstieß. Nur schwer beruhigte ich mich.

Wie ein kleines Häufchen Elend sackte ich auf meinem Sitzplatz zusammen, kaute an einem Onigiri, welche ich extra für unseren Picknickrucksack gemacht hatte und starrte bedröppelt Löcher in die Luft. Erst mein Sohn holte mich aus meinem Tagalbtraum zurück in den Trubel der Arena, als er mich anstieß und auf ein kleines Mädchen mit grauen Zöpfen wie Rattenschwänzen hinwies. Es sah recht süß aus mit ihren dunklen Augen und ihrem viel zu großen Pullover. Ihr Fingerzeichen verhedderten sich ständig in den Ärmeln. Sie machte einen angestrengten Gesichtsausdruck als würde sie ein achtes Weltwunder heraufbeschwören wollen. Doch spannender als das Mädchen war das Jutsu, welches sie zeigte. Eine kleine Windhose kreiselte vor ihr im Sand. Das wäre wohl allein nichts Ungewöhnliches an sich, doch die Windbewegung wuchs und wuchs und wuchs, wurde zu einem meterhohen Tornado, der lose Dinge selbst hier oben auf der Bühne mit sich riss. Mittlerweile hatte das Mädchen die komplette Aufmerksamkeit der ganzen Arena auf sich gezogen. Plötzlich schlug die anfänglich aufkommende Bewunderung des Publikums in Unruhe um. Der Tornado geriet außer Kontrolle, tanzte und hüpfte dort unten von einer Wand zur nächsten und zog seine Verwüstungsspuren im Sand. Nur mit Mühe konnte die Kleine ihren Sturmteufel wieder bändigen und warf sich einen Moment später überglücklich einer Frau Ende Zwanzig um den Hals, die wohl ihre Sensei sein musste. Erst jetzt fiel mir auf, wie ich die nachfolgenden Teilnehmer musterte, dass die so gut wie alle ihren Ausbilder anbei hatten. Ich schielte zu meinem Sohn hinüber, der nervös eine alte Konservendose mit seinen Fingern umspielte. Ob es ihn traurig machte, dass er allein antreten musste ohne Sensei-Unterstützung?

Es kamen noch einige interessant anzuschauende Jutsus. Und schlussendlich starrte auch ich wie alle die anderen hinunter in die Arena und war ziemlich beeindruckt von dem, was dort unten geboten wurde. Für einen Weile vergaß ich meine Ängste und Sorgen. Ich fühlte mich wohl.

Dann war es endlich soweit: Yuuki betrat den Platz und reichte seinem Prüfer den Anmeldebogen. Der nickte ihm aufmunternd zu und fragte noch etwas. Leider konnte man das Gespräch hier oben auf den billigen Plätzen nicht verstehen. Doch das geknickte Kopfschütteln meines Sohnes konnte eigentlich nur eine Sache bedeuten: Er trat allein an. Inu stand ihm nicht bei. Yuuki stellte die Dose in einer recht weiten Entfernung auf den Boden, schritt einige Meter ab und versuchte sich zu konzentrieren. Der Prüfer beobachtete jede Bewegung und machte gelegentlich Notizen auf seinem Klemmbrett. Wer Yuuki nicht kannte, der würde in ihm dort unten ein zielsicher, selbstbewusstes Kind sehen, doch ich wusste es besser. Er hatte Angst. Riesengroße Angst. Prüfungsangst war seit jeher das Hauptproblem für unzählige schlechte Klassenarbeiten, die viermal wiederholte Schwimmprüfung und sein Rausschmiss aus dem Baseballteam, weil er sich nie aufs Spielfeld traute, wenn er sich als Mittelpunkt des Geschehens beobachtet fühlte. Ich war jetzt schon stolz, dass er den Weg dort hinab marschiert war ohne panisch in Tränen auszubrechen. Und er war so allein. Sollte ich an die Brüstung rennen und aufmunternd zurufen oder würde ihn das irritieren? Ich wusste nicht, ob ich nun verzweifelt sein sollte, weil ich mein Kind nicht unterstützen konnte, oder ob ich stinksauer auf Kakashi sein sollte, weil er nahe dran war, sein Versprechen zu brechen.

Dann sah ich, wie Yuuki mit seinen Händen eine Höhle formte und der orangene Energieball zum Leben erweckt wurde. Aus einem schwachen Glimmen wuchs es bis gleißende Strahlen sich zwischen seinen Fingern hervor mogelten. Dann öffnete er seine Hände, zentrierte die Laserkugel wie einen Handball in seiner rechten Hand, nahm Anlauf und warf aus dem Sprung ab. Die Kugel flog so schnell wie ein Blitz, dass man sie mit bloßem Auge gar nicht fliegen sehen konnte, doch die Auswirkungen folgten auf dem Fuß. Die Konservendose zerfetzte in viele kleine Metallsplitter. Yuuki hatte es geschafft!

Es raunte bewundernd durch die Mengen. „Ah!s“ und „Oh!s“ waren zu vernehmen. Vereinzelt klatschte es Beifall. Meine Gefühle waren gemischt. Ich war sehr stolz, dass er diese Aufgabe gemeistert und seine Kräfte beherrschen gelernt hatte. Allerdings kannte ich auch seinen Ehrgeiz. Dieses Jutsu war sein Paradestück. Er konnte es tausendmal besser als diese gezwungene Aufführung und war sicherlich mit sich selber mehr als unzufrieden, dass sein Glanzstück nur so mickrig ausgefallen war. Wenigstens wussten das nur wie beide, aber nicht das Publikum und der Prüfer. Die Leute befanden das Gesehene als gut. Trotzdem schlurfte Yuuki weiterhin geknickt durch den Arenasand. Die beeindruckte Mine seines Prüfers nahm er gar nicht mehr wahr, wie er seinen Startzettel wieder in die Hand gedrückt bekam. Zwischendurch hielt er inne, suchte mit seinen Augen die Ränge ab, sah aber nur mich und nicht denjenigen, den er gesucht hatte. Ein trauriges Lächeln warf er mir zu, dann wandte er sich wieder ab. Ich hätte nie gedacht, wie viel es ihm bedeutete, Inu-sensei wäre hier.

Ich suchte unseren Tribünenplatz wieder auf, goss mir einen Kaffee ein und wartete auf die Rückkehr meines Sohnes. Es dauerte. Er ließ sich Zeit. Meines Erachtens ließ er sich viel zu viel Zeit. Da wird doch wohl nichts passiert sein? Als ich meine Tasse geleert hatte, packte ich alles zusammen. Es beunruhigte mich, dass der immer noch nicht aufgekreuzt war. Ich wollte ihn suchen. Aber wo? Instinktiv wählte ich einen Weg, der zur Arena führen müsste und hoffte, dass er einfach unterwegs aufgehalten worden war. Ich musste nicht lange suchen. In dem schlecht beleuchten Gang zwischen den vielen Menschen saß er auf dem Fußboden, lehnte rücklings an der Wand und vergrub seinen Kopf in den Händen. Ich kämpfte mich durch den Strom der Leute, kam aber nur schlecht voran. Es sollte jemand anderes vor mir bei ihm ankommen, dass ich perplex auf halben Wege stehen blieb und einfach nur staunte.

„Warum bist du traurig? Du hast es geschafft.“, wurde ein am Boden zerstörter Yuuki angesprochen, der nicht aufsah, sondern nur die Stimme hörte.

„Inu-sen... !“

Der Rest blieb im Hals stecken, als er seinen Kopf ruckartig hob. Mit weit aufgerissenen Augen wie zur Eisfigur erstarrt, stierte er sein Gegenüber an, als könnte er es gar nicht glauben, wer da in einem Anbu-Mantel vor seiner Nase hockte und ihn unter der Kapuze anstrahlte wie die aufgehende Morgensonne. Yuukis Hirn war total überfordert mit der neuen Information.

Die beiden bildeten einen eigenen kleinen Kreis für sich, als sie kurz miteinander sprachen. Da blendeten sie vollkommen alle anderen aus, die an ihnen vorbeigingen, teilweise stehen blieben und neugierig herab schauten, tuschelten und dann weiterzogen. Ich beobachtete, wie sich bei meinem Kind ein Schalter im Inneren umlegte. Zufrieden sprang er auf und schwor hochmotiviert seinem Sensei den kommenden Wettkampfsieg. Eine kleine Gruppe an jodelnden Menschen rempelte mich an, ich verlor mein Gleichgewicht und strauchelte. Die Wand fing mich auf. Und als ich wieder aufschaute, so strahlte mich ein überglücklicher Yuuki an. Seine Stimme überschlug sich fast vor Aufregung. Mit glänzenden Augen und roten Wangen schnatterte er fröhlich los.

„Mama, weißt du wer Inu ist?“

Das Thema war mir ein zu heißen Eisen, als dass es nun hier unters Volk gebracht werden musste. Kakashi war längst wieder entschwunden. So wie immer. Mit meinem Kind am Arm suchte ich den Weg zurück zur Tribüne. Natürlich waren unsere Plätze bereits weg, denn die angekündigte Pause hatte bereits begonnen. Die Prüfer trugen ihre Aktennotizen zusammen und trafen nun die Auswahl, wer es in die zweite Runde schaffen würde. Es summte und brummte wie in einem Bienennest. Alle fieberten gebannt den Ergebnissen und den zukünftigen Wettkampfpaarungen entgegen. Mir war es hier definitiv zu laut, zu voll und zu stickig. Die Ergebnislisten würden nicht vor dem späten Abend ausgehängt werden. Uns war bereits bei der Anmeldung mitgeteilt worden, dass es sehr viele Anmeldungen gegeben hatte und dass man einen zweiten Prüfungstag festlegen würde. Für uns, die aus Konoha kamen, machte es Sinn, nicht die Zeit auf der überfüllten Tribüne totzuschlagen, sondern zwischenzeitlich nach Hause zu gehen. Also schlug ich meinem Sohnemann vor, ein verspätetes Mittagessen in einem Lokal seiner Wahl einzunehmen. Man könnte ja später, wenn der große Ansturm vor dem schwarzen Brett abebben würde, die Listen sichten. Auf den Weg durch die Straßen von Alt-Konoha pingte es in meiner Jackentasche. Ich kramte mein Handy hervor.

„Sorry für die Planänderung, aber Yuuki saß da wie ein Trümmerhaufen. Wir sehen uns übermorgen. Ok?“

Ja, das hatte ich schon gemerkt. Hokage-sama änderte gerne und oft den Plan ohne Absprache. Unerklärlicher Weise funktionierte der Plan dann trotzdem immer noch. Nun waren wir also beide die Inu-Eingeweihten. Mal sehen, wie sich das zukünftig entwickeln würde.

„Ja, ist ok. Kommt er denn eine Runde weiter?“

Es pingt noch zweimal. Schnappschüsse von handschriftlichen Zetteln.

„Muss ich noch abtippen...“

Ich zoomt die Fotos heran und brauchte etwas Zeit, bis ich mich in den fotografierten Tabellen zurecht fand. Yuuki war eine Runde weitergerutscht. Als Nummer 35 von 50. Immerhin! Und er würde übermorgen als einer der ersten an den Start gehen. Das war gut. So müsste er nicht allzu lange warten und das Lampenfieber samt Prüfungsangst ertragen. Ich behielt die Infos für mich. Sollte doch Yuuki heute Abend seinen Namen am schwarzen Brett auf den Listen selber finden und sich freuen.
 

Übermorgen kam schneller als erwartet. Nervös wie Kinder am Einschulungstag rutschten wir auf unserer Tribünenbank unruhig hin und her. Mein Sohn zitterte vor Versagensängsten. Ich zitterte vor Panik, ich müsste ihn in Einzelteilen aus dem Sand sammeln. Auch wenn es bei Strafe verboten war, seinen Gegner umzubringen, so ging man hier nicht zimperlich um. Bereits der erste Kampf war schon nach wenigen Minuten beendet, weil der eine Junge den anderen überraschte und im wahrsten Sinne das Wortes gegrillte. Jaulend ging der Verlierer in einer Flammenwand unter. Ich war total geschockt und auch Yuuki wurde es mulmig zu Mute. Immerhin wusste er über seinen Gegner rein gar nichts. Auch hatten wir schon die Feststellung gemacht, dass viele der Kinder und Jugendlichen schon intensiveres Training und erste Kampferfahrung hinter sich hatten. Für diese war es ein Leichtes, sich binnen Sekunden eine Strategie zurecht zu legen. Yuuki aber musste auf sein Bauchgefühl hören. Da beruhigte es ihn auch nicht, dass schräg gegenüber der Arena Kakashi lässig an der Brüstung lehnte und das Treiben aufmerksam verfolgte. Yuuki stierte mit einem Tunnelblick auf den Kampfplatz und hatte vor Aufregung für Freund und Feind keine Augen und Ohren mehr übrig. Ein Kampf nach dem anderen wurde absolviert. Der eine dauerte länger, der andere war kürzer. Noch zwei Kämpfe und Yuuki würde sein Können und Talent unter Beweis stellen müssen. In meiner Begleitung fand er sich am Treffpunkt ein. Dort musste ich ihm dem Wettkampfrichter übergeben. Ich musterte Yuukis Gegner. Es war ein junges, hageres Mädchen. Vielleicht schon elf oder zwölf Jahre alt und daher ein ganzes Stück größer als mein Kind. Ihr wasserstoffblondes Haare hatte sie zu einem einfachen Zopf gebunden. Ansonsten war sie wohl ein stilles, unscheinbares Kind. Ihre Augen waren so wässerig und leer. Ihr Haut so blass wie Schnee. Aber stille Wasser sind bekanntlich tief und dreckig. Da dürfte man sich nicht täuschen lassen.

Ich eilte zu meinem Platz zurück und bohrte die Fingernägel ins Fleisch. Dabei hockte ich so angespannt auf der Bank wie ein Affe auf dem Schleifstein beim Kacken. Welch ein peinliches Bild. Ich merkte gar nicht, dass ich derart unter Strom stand und stetig zappelte.

„Hör doch mal mit dem Hampeln auf. Die ganze Arena wackelt schon!“, wurde ich trocken aus einer schwarzen Kapuzenöffnung heraus aufgezogen.

Erschrocken zuckte ich zusammen und blickte zwischen der Brüstung und dem Platz neben mir hin und her.

„Du warst doch vor einer Sekunde noch da drüben?“

Eine Antwort erwartete ich gar nicht erst. Reflexartig griff ich nach Kakashis Hand, die ich trotzdem fand, obwohl sie sich irgendwo im schwarzen Ärmelstoff des Anbu-Umhanges versteckte.

Dann ging es los. Yuuki und das Mädchen stellten sich gegenüber auf, der richtende Shinobi gab das Startzeichen und sofort griff das Mädchen auf eine erstaunliche Art an. Sie hockte sich hin wie ein Sprinter am Startblock, legte die Hände flach auf den Boden und verwandelte selbigen in Lava. So schnell wie die Lava näher kam, konnte Yuuki gar nicht weglaufen. Er tat es trotzdem. Doch als er eingekesselt wurde, musste er schnell handeln. Ein Wasserschwall quoll unter seinen Füßen aus dem Boden. Er erhob sich zu tanzenden Wellen. Einerseits kühlte das Wasser die Lava ab und brachte sie zu Gestein erstarrt zum Stehen. Andererseits verdampfte die Hitze des Lavas auch eine große Menge an dem kostbaren Nass. Bald schon füllt der Wasserdampf die komplette Arena aus. Es wurde stickig und heiß. Die Kleidung klebte durch die Luftfeuchtigkeit am Körper. Das Atmen fiel einem unerträglich schwer. Man sah nichts mehr. Weder ob das Mädchen mit der Lava die Oberhand gewann, noch ob Yuuki die Arena fluten konnte. Es war ein chakrafressendes Spiel und wer zuerst kein Chakra mehr hatte, müsste aufgeben. Plötzlich durchschoss ein Lavaball den Dunst. Das Mädchen musste in ihrer Verzweiflung versucht haben, Yuuki zu treffen, um ihn aus dem Rhythmus zu bringen. Man hörte es platschen. Also musste dort unten sehr viel Wasser sein. Die Dunstschwaden verzogen sich schnell, denn das Lava-Mädchen hatte ihr Justu aufgeben. Sie kauerte im Wasser und keuchte vor Entkräftung. Aber auch bei Yuuki sah es nicht besser aus. Der war fix und fertig mit den Nerven, hatte sich in eine von Wasser umgebenen Luftblase zurückgezogen und schwamm mit ihr auf seinem künstlichen angelegten See dahin. Er hatte es tatsächlich geschafft, die komplette Arena unter Wasser zu setzen. Wenn man nun gedacht hätte, der Kampf wäre beendet, so irrte man gewaltig.

„Isses endlich vorbei?“, fragte ich ängstlich.

Mein Gesicht vergrub sich in Kakashis Ärmel. Irgendwann hatte ich aufgehört, dem Kampf zuzusehen.

„Nein, sie wird noch zwei oder drei Lavabälle zustande bringen können.“, war die seelenruhige Antwort.

Wie konnte man da nur so ruhig und gelassen zuschauen? Ich war währenddessen schon tausend Tode gestorben und versteckte mich wieder. Eisern hielt ich seine Hand und schmiegte meinen Kopf an seine Schulter.

„Schau mal!“

Nein, ich wollte nicht schauen. Aber seine Stimme war so leise und ruhig, dass es sich auf mich übertrug. Langsam wandte ich mein Gesicht wieder dem Szenario zu. Ich konnte es nicht anders beschreiben: Obwohl es so tödlich war, war es doch so unglaublich schön. Das Mädchen hatte es geschafft, die Luftblase zum Platzen zu bringen, doch mein Sohn hatte all seine allerletzten Chakrareserven mobilisieren können. Er streckte seine Hand gen Himmel und die Laserkugel fing an zu strahlen. Nein, es war der falsche Ausdruck. Sie gleißte nur so dahin, als würde er einen millionenfach geschliffenen orangenen Diamanten in das Sonnenlicht halten. Feinstes und reinstes Licht als filigranes Kunstwerk. Selbst Kakashi schien zur Abwechselung mal erstaunt zu sein.

„Er hat ja wirklich geübt ...“, murmelte er mir leise zu.

„Jede freie Sekunde, wo du nicht da warst...“, murmelte ich ebenso zurück.

Es war ein Augenblick später, in welchem zeitgleich das Mädchen einen allerletzten Lavaball und Yuuki seine Lasersonne aufeinanderkrachen ließen. Es blitze so hell auf, dass ein jeder seine Augen schließen musste. Und als man sie wieder öffnete lagen beide Kinder wie Tod im Wasser. Am Ende sämtlicher Kräfte, völlig ausgepowert. Nur ein leichtes Zucken verriet ihren Hauch des Lebens. Es war mucksmäuschenstill in der Arena. Nur das Plätschern des ablaufenden Wassers gurgelte durch die Tunnelgänge hinaus. Was würde nun geschehen? War es ein unentschieden?

„Wer hat gewonnen?“

„Ehrliche Meinung?“

„Hmmm...“

„So wie es ausschaut, wäre es oberflächlich gesehen eine Pattsituation. Man muss jetzt mal hinter die Kulissen schauen. Da ist zum einen das Chakra. Yuuki hätte noch genügend, um noch einen zweiten Angriff zu starten. Der wäre zwar äußerst schwach, aber es würde im Ernstfall ausreichen, einen Gegner zu töten. Bei Seren ist es anders. Ihr Chakra ist so gut wie aufgebraucht. Da kommt nichts mehr. Das ist in so fern äußerst bedauerlich, weil sie schon seit vielen Jahren privat trainiert, aber nun zum vierten Mal durchgefallen ist. Sie entwickelt sich nicht weiter, obwohl sie die Jutsus sauber und perfekt ausführt. Da hätte sie heute aufgrund ihrer Vorerfahrung eindeutig mehr leisten müssen. Bei Yuuki ist das, wie du selber weißt, anders. Der ist absoluter Anfänger und wäre ihr gegenüber deshalb eigentlich im Nachteil gewesen. Ich habe sie trotzdem beide in dieser Konstellation ausgewählt, weil sie beide ein Kekkei Genkai besitzen. Wobei man anmerken muss: Yuukis „Sturm“ ist Serens „Lava“ von Natur aus überlegen. So hat sich der Nachteil wieder ausgeglichen. Kurzum, Yuuki müsste den Sieg davontragen. Und ich denke, das sieht der Rest auch so.“, analysierte Kakashi die Gesamtsituation nüchtern.

Ich spürte, wie sich seine Hand aus meiner Hand löste. Er konnte doch jetzt noch nicht gehen? Entgeistert sah ich ihn an. Doch, er musste jetzt gehen. Bevor seine engste Truppe wieder nachhaken würde, wo er sich herumgetrieben hätte. Das ginge die Truppe im Prinzip zwar nichts an, aber Nervtöterei wäre äußerst lästig. Immerhin hielt er sich hier nicht privat, sondern leider, leider beruflich auf. Ja, er hatte recht. Traurig war ich trotzdem.

Der Shinobi, welcher den Wettkampf leitet, schritt die beiden Kinder ab, die sich langsam wieder berappelten. Er prüfte ihr Befinden, wechselte wenige Worte mit beiden und stellte sich in die Mitte der Arena, die nun aussah wie ein ausgetrockneter Teich mit seinem Lavagrund. Nach einer gefühlten Ewigkeit wurde die weiße Siegesfahne dann in Yuukis Richtung erhoben. Yuuki hatte gewonnen! Und ich war platt. Der tosende Applaus aus den Rängen löste die angespannte Atmosphäre auf und holte mich zurück in die Realität.

Nur wenige Minuten später stand ich in einem Krankenzelt neben der Arena an der Krankenliege meines Kindes, dass schon wieder ziemlich munter war und sich freute wie ein Schneekönig im Sommer. Uns hatten die beiden Prüfungstage viel Angst, Stress und Aufregung in der Seele und einen angebrochen Fuß, einige Verbrennungen zweiten Grades und drei gequetschte Finger am Körper eingebracht. Wobei die Finger nicht die von Yuuki waren, sondern Kakashis, weil ich so energisch seine Hand gehalten hatte.



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