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Kalendertage

Der Tag, an ...
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16 - Der Tag, an dem ich in fremden Betten schlief

Mein Schlaf war unruhig. Eine wilde Achterbahnfahrt dominierte meine Träume. Und irgendwie gab es nur Loopings. Dabei wären geradeführende Streckenteile anstelle kurviger echt mal eine Erlösung gewesen. Wenn man jedoch einen Fuß unter der Bettdecke an die kühle Nachtluft hervor schob, so ergab das ein illusorisches Gegengewicht, welches einen auf einer halbwegs geraden Bahn hielt. Doch immer, wenn meine Gondel wieder Fahrt aufnahm und dann zackig durch die nächste Kurve donnerte, war ich heilfroh, mich mit beiden Armen an der vorderen Gondelstange festhalten zu können. Das mag alles sehr albern klingen. Es beschrieb aber genau die Art von Schlaf, die ich gerade durchleben und überleben musste.

Als es mich wieder einmal mehr eine Schraubdrehung abwärts in die Tiefe riss und ich mich festkrallte, erwachte ich nur für den einen Moment. Ich öffnete kurz die Augen, nahm das Abbild vor mir wahr, aber verarbeitete es überhaupt nicht. Und das, was ich sah, musste ein Traum im Traum sein, weil es so unwirklich war. Nahe meines eigenen Gesichts ruhte ein weiteres Gesicht. Es bettete sich auf dem selbigen Kissen wie meines und schlief in aller Stille. Dessen Mimik war vollkommen entspannt. Obgleich es feine Gesichtszüge hatte, sah man ihm erste Spuren seines Alter an, denn rechts und links neben der schmalen Nase zog sich eine angehende Falte. Mehr erhaschte ich nicht mehr, verfiel ich doch wieder dem tiefen Schlaf der Ausnüchternden.
 

Ein Sonnenstrahl kitzelte mich an der Nasenspitze und stupste mir in die Augen. Ziemlich mit mir selbst verknotet, lag ich bäuchlings unter einer verhedderten Bettdecke. Nach einer durchzechten Nacht hatte ich zwar nie einen Schädel oder gar einen Filmriss, doch ich fühlte mich zumeist gerädert und hegte keine Ambitionen, solch einen Ort der Gemütlichkeit zu verlassen. So zog ich mir die olivgrüne Decke über den Kopf. Olivgrün... Seit wann hatte ich olivgrünes Bettzeug?

In meinem Kopf begann ich an einem Groschen zu feilen. Wie war das noch letzte Nacht? Ich bin gefunden und mitgenommen worden. Dabei war ich eingeschlafen. Als ich in das Bett gelegt wurde, war ich kurz aufgewacht und sofort wieder weg gedämmert. Und alles war stockdunkel. Ratternd rollte der Groschen einen recht langen Weg durch meine Hirnwindungen, bis er endlich fiel. Das Bett... Mein Bett... Das war gar nicht mein Bett!

Wo war ich überhaupt? Langsam drehte ich den Kopf unter der Bettdecke etwas hervor und blinzelte. Nur schwerlich gewöhnten sich meine Augen an die Helligkeit des bereits laufenden Tages. Total verwirrt schaute ich in ein mir völlig fremdes Zimmer. Vielleicht hätte ich mich auch noch weiter umgesehen, wenn mein Blick nicht augenblicklich am Zimmerbesitzer hängen geblieben wäre. Der saß nämlich nahe bei mir auf einem Stuhl, hatte lässig die Beine übereinandergeschlagen und war ganz vertieft in sein Tablet. Munter bewegten sich seine Augen über den Bildschirm. Der Finger scrollte die Seiten weiter. Erst als ich mich in seinem Bett regte, wandte er sich mir zu und legte das Tablet auf den Schreibtisch neben ihm.

Ich wurde scheu angelächelt, und ich musste sagen, dass es ein wirklich schönes Lächeln war. Es gefiel mir sofort. Dazu die dunklen, frechen Augen und die zerzausten hellgrauen Haare, welch trotz ihrer mittleren Kürze in alle Richtungen standen. Obgleich seine Haut wohl nie viel Sonne abbekam, war seine Teint eine Nuance dunkler als meine. Ebenso, wie hier alle in Konoha eher dunklerer Hautnatur waren. Das harmonierte ausgesprochen gut mit seinen hellen Haaren. Mit den dunklen Augen zusammen schmolz ich dahin. Nun auch verstand ich, warum ich die Narbe quer über seine linke Gesichtshälfte zwar ertastet, aber damals bei unserer Begegnung nicht sofort gesehen hatte. Sie musste schon viele Jahre alt sein und war demnach ziemlich verblasst und verwachsen. Ansonsten steckte er in einem einfachen weißen T-Shirt, einer gräulichen knielangen Baumwollhose und hatte Schlappen an den Füßen. Wenn man es wusste, so konnte man die Anbu-Tätowierung erahnen, welche unter dem linke Ärmel hervorlugte. Und schlank war er, obgleich er schon mal behauptet hätte, durch das viele Herumsitzen bei seiner Arbeit hätte er schon am Bauch angesetzt. Ja, er mochte wohl mindestens 500g zu viel Fett auf den Rippen haben. Luxusproblemchen! In der Situation wäre ich auch gerne mal, mich bei meiner Figur über ein paar Gramm aufzuregen. Pfff! Innerlich seufzte ich kurz auf, doch der Seufzer wurde sofort von dem Gesamtpaket, was sich da mir so gegenüber präsentierte, verdrängt. Kurzum, mit dem Fisch, den ich mir da geangelt hatte, konnte ich zufrieden sein. Obwohl man ja eher sagen musste, dass er gezielt bei mir angebissen hatte, wobei ich die Angel gar nicht bewusst ausgeworfen hatte.

Ich hatte mich aufgerichtet ohne meinen Blick von ihm abzuwenden. Das registrierte ich aber erst, nachdem sich sein Lächeln zu einem leicht spöttischen Grinsen wandelte. Zugegeben lief ich peinlich berührt ein wenig rot an. Es war aber auch einfach zu bizarr. Vorher kannte ich ihn nur in die Anbu-Kleidung gehüllt und nun saß er hier völlig enttarnt. Was auch immer mein Gesicht für Bände sprach, es amüsierte ihn nicht nur, es malte auch ihm einen Rotschimmer auf die Wangen. Er wich dem Ganzen aus, indem er die Stille durchbrach:

„Jaa...“, zog er das Wort nachdenklich in die Länge, als wüsste er nicht so recht, wie er den Satz beenden sollte. „... mich gibt`s auch in zivil. Das ist zwar für 99,9% der Bevölkerung schwer vorstellbar... aber naja ...“

Es schien ihm sehr schwer zufallen, nun ein richtiges Gespräch mit mir anzufangen. Unsere Ausgangslage war nicht die einfachste. Wir waren uns schon mehr als nahe gekommen, schwammen aber wie zwei verlorene Seelen im Goldfischglas umeinander herum. Meine Kodderschnauze kehrte, ob nun gut oder schlecht, mal wieder früher zu meinen Lebensgeistern zurück, als der rational denkende Teil des Hirns.

„Und wer sind die 0,1%?“, fragte ich neugierig.

„Nur Tenzô und du,“ war die Antwort.

„Das sind 0,1% von der Gesamtbevölkerung?“, grübelte ich vor mich her, denn mein kaufmännisches Hirn konnte nicht anders und musste solche Sachverhalte genaustens überprüfen ohne, dass man es dazu aufforderte.

Nein, in Konoha musste viel mehr Leute wohnen als zweitausend Menschen. Man, ich war so durcheinander, dass ich den Witz überhaupt nicht kapiert und es tatsächlich ausgerechnet hatte. Wie doof war ich eigentlich? Kakashi lachte und meinte, es wären so um die sechshundertsiebzigtausend Einwohner. Er musste es ja wissen.

„Nina-chan hat wieder nur Zahlen im Kopf. Auch einen?“

Sein Kopfnicken deutete auf eine leere Kaffeetasse auf dem Schreibtisch. Mein plötzlich einsetzendes Strahlen musste so hellleuchtend und eindeutig gewesen sein, dass er sich von seinem Stuhl erhob und durch die Tür davonzog. Man hörte es nebenan klappern. Wasser floss rauschend in eine Kanne.

Ebenso rauschte es in meinem Kopf. Nur zwei Personen kannten ihnen? War der nie beim Arzt? Oder hatte der noch nie eine Freundin? Also da musste ich da doch definitiv mal nachhaken, wenn sich die Gelegenheit böte.

Nun erst hatte ich endlich Zeit, die Schlafstätte meiner letzten Nacht zu begutachten. Ich saß unverrückbarer Weise in Kakashis Bett. Spannend, wie wohnte denn ein Hokage so? Ziemlich gewöhnlich und schlicht, kaum persönlich. Allerdings hatten mir meine Mitarbeiter in einer der Mittagspausen auch mal berichtet, dass durch die wiederholte Zerstörung Konohas neben Haus und Hof auch sehr viele persönliche Dinge verloren gegangen waren. Vielleicht mochte das bei Kakashi auch so sein, dass da nicht viel übrig geblieben war. Und in seiner Position als Hokage war er wohl eh nicht oft daheim, sondern im Büro oder auf Sitzungen anzutreffen, weshalb er wohl nur zum Schlafen nach Hause kam. Das erklärte natürlich sofort, weshalb der mir so selten geantwortet hatte. Der war ständig dauerbeschäftigt. So langsam wurde ich erleuchtet. Die ganze Anbu-Maskerade hatte ihm einen winzigen Freiraum verschafft, in welchem er unabhängig und unbeobachtet von allem und jeden er selbst sein konnte. Ich kaute auf meiner Unterlippe. Das übliche Zeichen, dass ich mal wieder viel zu viel grübelte. Wie lebte man eine Beziehung, die so ein Versteckspiel war? Hatten wir überhaupt eine Beziehung? Ich wusste es wirklich nicht. Auch nicht, ob ich zu so etwas bereit war. Ja, meine elendigen, persönlichen Prinzipien: Ich hatte mir geschworen, nie wieder einen Jonin an meiner Seite haben zu wollen, nun hatte ich wohl mit Hokage-sama den Jackpot erwischt. Ausgerechnet, Kakashi!

Ich schaute auf Fotos, die eingerahmt auf dem Schreibtisch standen. Das eine zeigte eine Vierergruppe und einen sehr jungen Kakashi, sichtlich genervt, fast schon arrogant. Vermutlich waren die Personen dort sein damaliger Sensei samt Team. Ha, die Haare waren ja tatsächlich mal dunkler. Irgendwie in Richtung sturmgrau. Und auch etwas länger als heute. Wenn man meinte, sie würden heute vom Winde verweht wachsen, so musste damals ein Sturm auf seinem Haupt gewütet haben. Doch das Foto daneben toppte noch alles. Definitiv Orkan. Ich kicherte. Wie alt mochte er da gewesen sein? Mit der Maskierung überhaupt nicht einzuschätzen. Vielleicht Mitte zwanzig? Doch seine Schülertruppe überraschte mich. Die Gesichter der damaligen Kinder und somit heute Erwachsenen waren selbst mir nicht entgangen. Na sowas!

Was gab es noch zu sehen? In diesem Raum war das Bett, auf dem ich saß. Gegenüber ein relativ aufgeräumter Schreibtisch, aber darüber ein überquellendes Pinbrett. Ein mannshohes Bücherregal, das genauso aus allen Nähten platzte wie das Pinnbrett, stand quer zum Tisch wie ein Raumteiler. Obig am Kleiderschrank war ein Kleiderbügel eingehakt. Er trug den Hokagemantel nebst Hut und Schlaufschal. Erst da fiel mir auf, dass ich die Nacht schlafend in meiner Kleidung verbracht hatte. Nur die Stiefel an den Füßen fehlten mir. Na, das war doch anständig von ihm, dass ich hier nicht ausgenutzt und halb entkleidet aufgewacht bin. So hätte ich ihn auch gar nicht eingeschätzt. Andernfalls hätte ich vermutlich arge Bedenken gehabt, ob ich nicht doch einen Filmriss gehabt hätte und meine Menschenkenntnisse so derart schlecht wären.

Doch dann wurde es mir siedendheiß: Yuuki! Das Kontor! Wie spät war es überhaupt? Ich raufte mir die Haare. Heute war Freitag. Yuuki würde früher als sonst aus der Schule heimkommen und eine leere Wohnung vorfinden. Dazu war er durch die Übernachtung beladen wie ein Packesel mit dem Schlafsack und allerlei Klimbim. Auch meine Mitarbeiter würden sich sicherlich sorgen, dass ich, ohne eine Nachricht von mir zu hinterlassen, nicht in meinem Büro sitzen würde. So gerne ich hier geblieben wäre, die Pflicht rief mich mahnend. Wo lag Kakashis Wohnung überhaupt in Konoha? Weit weg vom Kontor? Ich reckte meinen Hals, sah aus dem Fenster, doch die Häuser draußen kamen mir nicht bekannt vor. Man sah wohl vom Dorfzentrum weg und nicht hinzu. Da war nicht ein einziges markantes Gebäude zu sehen oder wenigstens der Hokagefelsen, an dem man sich hätte orientieren können. Dazu müsste ich mich wohl direkt zum Fenster bewegen, um mir eine bessere Übersicht zu verschaffen.

Noch bevor ich eine Entscheidung fällen oder in tiefste Verzweiflung versinken konnte, ging die Tür auf und zwei heiße Kaffeetassen schoben sich samt Träger hindurch. Mir wurde eine Tasse mit Milchkaffee in die Hand gedrückt. Ich pustete und probierte. Eine leichte Süße schmeichelte meine Zunge. Ja, das war super! Ein vollwertiges Getränk mit Eiweiß, Kohlenhydrate und Koffein. Kakashi hatte sich wieder auf seinem Stuhl platziert und trank wie so üblich seinen Kaffee schwarz.

„Geht's dir wieder einigermaßen gut?“, fragte er mich.

Ich musste verdutzt geschaut haben. Eigentlich müsste ich mich doch bei ihm entschuldigen. Ich war letzte Nacht so wütend auf ihn gewesen und hatte es heftig an ihm ausgelassen. In dem Punkt schien er aber nicht nachtragend zu sein. Trotzdem fand ich es angebracht, eine halbherzige Entschuldigung loszuwerden.

„Ich fühle mich nur ein bisschen gerädert. Wenigstens ist mir nicht mehr schwindelig. Tut mir leid.“

„Für was?“

„Ich war sauer auf dich.“

„Hab' ich gemerkt. Erst wurde ich übelst beschimpft und dann auf mich eingeprügelt. Und als du endlich eingeschlafen warst, hast du dich die ganze Nacht an meinen Arm geklammert, dass er kurz vor dem brechen war.“, rekapitulierte er trocken die vergangenen Stunden, doch das amüsierte, leichte Grinsen blieb. „Ja, du hattest ja recht mit dem, was du gesagt hattest. Aber mir fiel so schnell kein anderer Weg ein.“

Betretendes Schweigen.

Ich hatte recht? Wenigstens wusste ich nun, dass die Gondelstange aus meinem Traum in Wirklichkeit Kakashis Arm gewesen war. Mir fiel nichts ein, was ich nun sagen sollte. Eigentlich hätte ich so viel sagen und fragen wollen, doch ich war überfordert, eine sinnvolle Reihenfolge meiner Anliegen zu basteln und vorzubringen. Es brauchte Zeit, einen klaren Gedanken zu fassen. Leise trank ich meine Tasse aus und starrte auf den Fußboden.

„Ich muss nach Hause. Yuuki macht sich sonst bestimmt Sorgen. Und das Kontor wird auch eine Vermisstenanzeige starten. Wie spät ist es eigentlich?“

„Es ist schon kurz vor elf. Aber um den Rest brauchst du dich nicht kümmern. Ist schon erledigt. Soll ich dich nach Hause bringen?“

Was ist schon erledigt? Es war interessant, ihn zu beobachten. Nach außen tat er so unglaublich cool und gefasst, doch innerlich brach bei ihm eben eine komplette Welt zusammen, als ich ihm sagte, ich müsste nun gehen. Er hatte wohl gehofft, ich würde noch etwas bleiben. Ich warf die Bettdecke beiseite und stand auf. Meine Kleidung war ziemlich zerknittert. Meine Haare waren dem eines Wischmopps ähnlich. Insgesamt fühlte ich mich müde und ungepflegt. Ein herzhaftes Gähnen entwich mir. Ich machte mir nicht die Mühe, es zu unterdrücken.

„Bad ist nächste Tür links,“ sagte er, als könnte er Gedanken lesen und versteckte seine Enttäuschung hinter der Kaffeetasse.

Übermüdet schlurfte ich los. Auf dem Flur entdeckte ich im Vorbeigehen meine Stiefel und meinen Mantel. Im Bad angekommen umkurvte ich einen voll behangenen Wäscheständer und gelangte zum Waschbecken. Eine Ladung kaltes Wasser trieb die Lebensenergie rasant durch den Körper und machte mich wach. So schlimm, wie ich befürchtet hatte, sah ich gar nicht aus. Nur halt etwas müde. Nach dem Toilettengang verließ ich wieder das Bad und stieß auf Kakashi, der sich schon längst wieder in seine Ninja-Uniform gekleidet hatte. Er war gerade dabei, seine Weste anziehen. Den Rollkragen hatte er noch nicht zur Halbmaske hochgezogen. Tenzô und ich wären die einzigen, die ihn so kennen würden, schoss es mir wiederholt durch den Kopf. Seine Identität musste also ein großes Geheimnis sein, und wenn nur Tenzô und ich eingeweiht wären, so herrschte seinerseits schon eine unglaublich große Vertrauensbasis zu uns. Das verblüffte mich, welchen Stellenwert ich bereits nach der kurzen Zeit für ihn haben musste. Manch einer sagte solch Floskeln wie „Ich hab' dich lieb“ oder so was. Kakashi hatte damit wohl so seine Schwierigkeiten, hingegen er eher mit anderen Gesten sein seelisches Innerstes offenbarte. Musste er auch, denn so wie es bis jetzt gelaufen war, hatte das Ganze einen bitteren Beigeschmack. Da galt es ein paar Pluspunkte zu sammeln. Ich musterte ihn in seiner Arbeitskleidung. Er wirkte so total anders als eben. Unnahbarer, unantastbarer, respektvoller. Irgendwie hätte ich gerne lieber wieder den Kakashi vom Stuhl gehabt, als den Kakashi als Shinobi.
 

Wir schlenderten zusammen los. Kakashis Wohnung lag relativ zentral, aber in einer ruhigen Seitenstraße. Ich kannte mich hier in diesem Stadtteil absolut nicht aus, benutzte ich doch wie so oft nur die Hauptstraßen drumherum. Konohas Nebenstraßen konnten äußerst verwinkelt und eng sein. Meist passt noch nicht einmal ein Wagen durch. Wie in einem Labyrinth konnte man sich dort innerhalb der verbauten Häuserblöcke verirren. Dennoch prägte ich mir den Weg gut ein, denn wir gingen bis jetzt immer nur geradeaus. An einer unscheinbaren Häusernische stoppte Kakashi abrupt. Neugierig lugte ich hinein und staunte. In diese kleine Nische zwischen zwei Häusern quetschte sich ein winziger Onigiriladen. Ohne zu fragen, schob mich Kakashi durch die Eingangstür, um direkt dahinter mit einem Wandregal und den unterschiedlichsten Onigiri konfrontiert zu werden. Am Ende des schwach beleuchteten Ganges war die Küchenecke und die Kasse. Man konnte nur hintereinander gehen, wollte man zur Kasse gelangen.So schmal war es dort drin. Überholen wäre nur mit engstem Körperkontakt möglich.

„Kurz vor Mittag ist die beste Auswahl“, klärte mich Kakashi auf. „Noch bevor die ganzen Leute zur Mittagspause gehen und hier einfallen.“

Ich hatte noch nie so viele Onigirisorten gesehen. Ich wählte den Standard mit Mayo-Thunfisch und eine ausgefallene Variante mit Erdnuss. Für Yuuki wählte ich Huhn süß-sauer. Kakashi zog mit drei scharfen Auberginen und zwei Makrelenpasten davon. Meine Güte, wo versteckt der all die Kalorien? Und als er sich an mir vorbei zur Kasse mogelte, schlang er nur für den Augenblick streifend seinen Arm um meine Taille und ließ seine Finger über meinen Bauch gleiten. Es zauberte mir ein Lächeln ins Gesicht. Frecher Schleimer! Ich folgte ihm zur Kasse. Ein junges Ding mit rötlichen Haaren und blauen Augen von vielleicht gerade mal zwanzig Jahren begrüßte uns mit den feinsten Höflichkeitsfloskeln. Sie war so ein dünnes Mädchen, worauf Männern abfuhren: Klein, süß und niedlich. Ein Blick sagte mehr als tausend Worte. Während sie bei Kakashi schmachtend einen Rosaschimmer auf den Wangen hatte, wurde ich mit den tödlichsten Giftpfeilen belegt. Typischer Fall von total verknallt. Obwohl ich nicht glaubte, dass das Mädel auch nur den Hauch einer Chance hätte, so grummelte es tief in mir, weil ich von diesen Niedlichkeitsfaktoren keinen einzigen erfüllen konnte. Und bestimmt gab es unzählige solcher Mädels in Konoha, die Hokage-sama auf diese Weise anstarrten. Mein Grummeln hörte auch nicht auf, wie ich beobachtet, dass Kakashi sie freundlich, aber bestimmt abfertigte. Nur ein „Hallo“ und „Tschüß“. Ich bräuchte also gar keinen Grund zum Grummeln haben. Trotzdem musste ich noch draußen vor der Tür einen Gesichtsausdruck zwischen fragend und bodenlos eifersüchtig aufgehabt haben, denn Kakashi kommentiert nur unbeeindruckt:

„Lass das! Das steht dir nicht.“

Block um Block ließen wir kauend hinter uns. Die Onigiri waren wirklich ausgezeichnet. Vermutlich die Besten, die ich bis dato gegessen hatte. Plötzlich änderte sich die Szenerie. Es waren nur noch wenige Meter zu gehen, bis wir an einer größeren Straße standen, die ich sogar wiedererkannte. Nur zwei Häuser weiter ging es die Serpentinenstraße hinauf zum Hochplateau. An der Ecke, wo wir uns befanden, war auch ein Kaffeehändler, den ich gerne besuchte. Ja, das war leicht zu merken! Den Weg zu Kakashis Wohnung würde ich wiederfinden.

Im Schatten der Häuser an einer Wand standen wir uns nun nahe gegenüber. Hier war unser Spaziergang unausweichlich zu ende. Kakashi musste links herum zum Turm und ich rechts die steile Straße hoch. Unsere Kultur im Erd-Reich war herzlich und offen. Menschen, die man mochte und liebte, wurden nicht nur hinter verschlossenen Türen, sondern auch auf offener Straße überschwänglich begrüßt, gedrückt und geküsst. Das hier im Feuer-Reich nicht so. Man war sehr viel verschlossener außerhalb seiner vier Wände und zeigte wenig Emotionen, obwohl zu beobachten war, dass die jüngere Generation sich in diesem Punkt weniger zurückhaltend zeigte.

Wir verabschiedeten uns und ich ging trat hinaus aus dem Schatten ins Sonnenlicht. Zur Mittagszeit war hier regelrechter Hochbetrieb. Noch während ich die Straßenseite wechselte, drehte ich mich einmal um die eigenen Achse, um ihn vielleicht noch einmal sehen zu können. Er wartete tatsächlich noch dort drüben und sah mir aufmerksam nach. Selbst auf die Entfernung und des Häuserschattens konnte man deutlich sehen, dass er strahlte wie die Sonne. Dann hob ich lässig wie immer kurz seine Hand zum Abschied und war schon im nächsten Wimpernschlag verschwunden.

Ich setzte meinen Weg fort und merkte gar nicht, wie schnell ich vor der Tür des Kontors stand, weil ich innerlich hin- und hergerissen war, wie es zukünftig weitergehen würde. Schon im Geschäftsraum stürmte eine Mitarbeiterin auf mich zu.

„Oh, Sie sind wieder da, Jibek-san. Wir waren ganz in Sorge, als wir hörten, Sie wären wegen eines Schwächeanfalls im Krankenhaus. Geht es Ihnen wieder gut?“, platze sie sogleich heraus.

Krankenhaus? Schwächeanfall? Blitzartig machte es „Klick“ in meinem Hirn.

„Ja, äh.. Ich hatte gestern auf dem Rückweg einen Kreislaufzusammenbruch und ... Ähm, nichts ernstes. Es geht mir gut. Ich war nur zur Beobachtung im Krankenhaus“, stammelte ich vor mich her.

Ich ließ mich entschuldigen, dass ich für heute noch Ruhe bräuchte und mich in meine Räume zurückziehen würde. Man nickte mir aufmunternd zu. Nur die alte Akka war heute mal wieder im Laden und grinste mich an wie ein Brummkreisel. Ahnte die etwas?

Als ich die Haustür aufschloss, erschrak ich sehr. Zur Salzsäule erstarrt blieb ich mitten in der geöffneten Tür stehen und wagte es nicht, mich auch nur einen Meter zu bewegen. Mitten auf dem Flur lag ein großer, braunschwarzer Hund und schlief. Eine Bulldogge. Es war nicht so, dass mir Hunde Angst machten, doch ich hatte keinen in meiner Wohnung erwartet. Doch der Höhepunkt ließ nicht auf sich warten. Der Mops von letzter Nacht hatte wohl das Türöffnen gehört, kam also aus meinem Wohnzimmer getrabt und stand nun vor mir.

„Wir müssen nicht mehr auf Yuuki warten. Sie ist wieder da!“, rief Pakkun in meine Wohnung hinein.

Meine Güte, wie viele von den Viechern gab es denn noch? Die Antwort folgte auf dem Fuße. Auf einen Schlag war ich umzingelt von acht, noch einmal zum Mitschreiben ACHT (!), Hunden unterschiedlichster Rasse. Sie hörten auf solche Namen wie Pakkun, Buru, Urushi, Shiba, Bisuke, Akino, Ûhei und Guruko. Das brachte mein Kurzzeitgedächtnis völlig zum Überlaufen. Noch immer starrte ich perplex auf das Rudel, das sich untereinander angeregt über mich unterhielt. Ich war mir nicht sicher, ob das gut oder schlecht war.

„Ist das die Neue?“

„Riecht nach ihm.“

„Hat sie's nicht lange bei ihm ausgehalten, oder warum ist sie so früh wieder da?“

„Sie scheint nett zu sein.“

„Ist Kakashi im Büro?“

Fassungslos konnte ich nur sprachlos nicken oder den Kopf schütteln. Und als ob sie einem inneren Befehl folgen würden, stürmten sie alle Acht urplötzlich wie vom Blitz getroffen an mir vorbei die Treppe hinab. Ich war wieder allein, immer noch zur Salzsäule erstarrt, mit der Türklinke der geöffneten Tür in der Hand.

Der Ninja-Wahnsinn, den ich so viele Jahre gehasst und verflucht hatte, hatte mich wieder eingeholt. Es war der Moment, wo ich eine Entscheidung in Bezug auf Kakashi getroffen hatte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  emymoritz
2017-05-19T11:13:47+00:00 19.05.2017 13:13
Ich glaub ich hätte auch eine Schreck bekomme wenn in meiner Wohnung Hund sind wo ich weiß das da keine sind
Antwort von:  sakemaki
19.05.2017 16:45
Und dann auch noch so viele... und sprechen können sie auch​ noch ... Ohje, arme Nina. Da wird sie sich an einiges gewöhnen müssen. XD


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