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Kalendertage

Der Tag, an ...
von

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32 - Der Tag, an dem ich auf Reisen ging

Ich hatte ganz klar geschummelt. Ganz dreist ohne Ansage war ich abgehauen. Anstelle früh morgens zum eigentlichen Missionsstart mit dem ersten Zug gen Feuer-Reich-Grenze zu fahren, hatte ich bereits den allerletzten Nachtzug davor genommen und stand nun mutterseelenallein auf dem Bahnsteig eines winzigen Grenzbahnhofs zwischen Feuer-Reich und Fluss-Reich. Und in dem Moment, wo ich die bereits warme Nachtluft einatmete, wusste ich, wie goldrichtig dieser kleine Betrug war. Ich hatte nicht nur einen halben Tag an Zeitvorsprung gewonnen, sondern würde noch eine halbwegs erträglich Temperatur für meinen Marsch haben. Schon jetzt schmeckte man die Feuchtigkeit beim Atmen am Gaumen. Sobald die Sonne aufsteigen würde, könnte man mit dicker, stickiger Luft rechnen. Jetzt aber kam man hoffentlich noch gut voran.

Es war Neumond und das Licht des sternenklaren Himmel reichte nicht durch das Laub der Bäume bis hinunter auf den Waldweg, um etwas Licht zu spenden. Dieser war wenigstens gut befestigt, so dass ich bald die Taschenlampe löschte und halbblind voranstolperte. Der schwankende Lichtkegel auf dem Weg hatte mich nämlich so sehr irritiert, dass es mir schummerig vor den Augen wurde. Doch ohne Lampenschein gewöhnten sich die Augen schneller als gedacht an die düsteren Umstände. Erst fürchtete ich mich in der Dunkelheit. Es knackte und knarrte im Gehölz. Hier schrie ein Käuzchen, dort piepte eine Maus. Mir war das alles fremd und unheimlich. Hinter jedem Geräusch vermutete ich Tagediebe und Wegelagerer, die sich hinter den Baumstämmen versteckten. Von den stetigen Geräuschen erschreckt, zuckte ich noch lange zusammen. Hoffentlich geriet ich nicht Räubern in die Fänge. Andererseits könnte man auch genauso gut am Tage überfallen werden. Und hätte mich mein Freund wirklich allein auf den Weg geschickt, wenn es für mich gefährlich wäre? Wohl kaum, konnte ich da nur hoffen. Also redete ich mir Mut zu, ließ fern ab der Dunkelheit meine Gedanken sich helle Geschichten ausmalen und lief eisern meine auserwählte Strecke ab. Das ging besser als erwartet.

Zumindest glaubte ich das, weil ich in der Nacht noch weniger Orientierung hatte als am Tage. Der Wald sah überall gleich aus. Besonders in Schwarz gekleidet. Ein Baum nach dem anderen zog an mir vorbei. Doch da kam nichts, was man auf der Landkarte einem geographischem Punkt zuordnen konnte. Kein Fluss, kein Berg, keine Höhle. Noch nicht einmal ein Gehöft. Lediglich, dass ich öfters mal leicht bergab gehen musste, verwirrte mich, denn ich hatte eigentlich einen Weg auf der Hochebene ausgewählt. Das Fluss-Reich hatte neben vielen Schluchten mit Flüssen und kleinen, aber sehr schroff empor stehenden Bergen viele bewaldete Hügel und weite Hochebenen mit Felderwirtschaft. Erst zum Wind-Reich würde das Land trockener und felsiger werden. Doch so weit würde mein Weg mich nicht führen. Tanigakure lag nördlich der Bahnstrecke, wo der Boden noch ertragreich war. Ich konnte nur hoffen, nicht im Kreis zu laufen. Das wäre nicht nur verschwendete Energie, einen Weg mehrmals laufen zu müssen, sondern obendrein auch ziemlich peinlich, schon auf den ersten Metern die Richtung zu verlieren.

Langsam wurde es dämmerig. Die Sonne stieg empor. Erst jetzt gönnte ich mir eine kleine Verschnaufpause und sah auf mein Handy. Sonnenaufgang. 4:13 Uhr. Huch, ich war schon gute zwei Stunden unterwegs? Das hatte ich gar nicht wahrgenommen. Aber ich nahm hingegen sofort wahr, dass ich definitiv in der allertiefsten Wildnis war: kein Netz. Sowas war man ja gar nicht mehr gewohnt. Unbehagen machte sich breit. Nun konnte ich nicht einmal auf dem Handy nachschauen, wo ich mich auf diesem Planeten befand. Wie war man früher eigentlich ohne dieses Wunder der Funktechnik ausgekommen?

Maulig zog ich weiter, denn mein Wettergespür hatte mich nicht getäuscht. Es wurde sehr schnell sehr tropisch heiß. Schon bald war meine Kleidung verschwitzt und klebte wie eine zweite Haut am Körper. Dabei trug ich bloß ein ärmelloses Shirt und eine kurze, weite Hose. Gekrönt wurde das Ganze von der ersten Blase am Hacken und der ersten Scheuerstelle auf der Haut an der Innenseite der Oberschenkel durch den klebrig nassen Hosenstoff. Meine Stimmung sank auf den Nullpunkt. Jeder Schritt schmerzte höllisch. Das Atmen war durch die hohe Luftfeuchtigkeit eine Tortur. Wie spät auch immer es sein mochte, es war mir mittlerweile völlig egal. Die Sonne war recht schnell aufgestiegen, hatte aber nach meiner Schätzung den Höchststand noch nicht erreicht. Ich gab auf. Ich war müde, hungrig und ausgetrocknet. Alles tat weh. So ließ ich mich an einem klaren Bächlein nieder, trank ausgiebig, kühlte die dick geschwollenen Füße und schlief an einem Baumstamm ein. Was sollte man bei der Hitze auch sonst schon bewerkstelligen?

Als ich wieder erwachte, hatte die Sonne ihren Weg schon weit fortgesetzt, und mein Handy bestätigte mir eine Nachmittagszeit. Mein Mittagsschlaf war demnach sehr umfangreich ausgefallen. Es war noch immer unbeschreiblich schwül. Der Weg war an seinen Rändern mit feinstem Gras bewachsen. Barfuß, um die schmerzende Blase nicht länger ertragen zu müssen, schlenderte ich lustlos weiter. So ein bescheuerter Ausflug! Wo war ich überhaupt? Wie weit mochte ich gekommen sein? Und noch viel wichtiger: Wie groß war der Abstand zum angestrebten Nachtlager?

Wie ich schon alles hinschmeißen und kampflos aufgeben wollte, entdeckte ich hinter einer Weggabelung ein naturbelassenes Tôri und dahinter eine von Steinlaternen flankierten Treppe. Ein Schrein! Ob ich dort nun jemanden antreffen würde oder nicht: Hier konnte ich wenigstens eine Rast machen und die Karte studieren. Ich war mittlerweile so erschöpft, dass mich innere kriminelle Energien antrieben, vor Hunger die Opfergaben des Schreins aufzufuttern und die Gebetshalle als Schlafstätte zu missbrauchen. Im heiligen Brunnen könnte man sich garantiert auch gut den Schweiß abwaschen. Leider zerplatze mein Traum wie eine Seifenblase, als ein junger Bengel hinter einer Gebäudeecke auftauchte. Er bemerkte mich erst gar nicht, da er emsig den Hof fegte.

Naja, vielleicht ist er ja ganz hilfreich, dachte ich mir voller stiller Hoffnung, und das war er dann zu meinem Glück auch.

Überschwänglich wurde ich als vermeintliche Pilgerreisende empfangen und mir zur Begrüßung eine Schüssel mit dampfendem Reis in die Hand gedrückt. Kurz darauf rekapitulierten wir zu zweit meine Wanderroute vom Bahnhof bis zum Schrein. Tatsächlich hatte ich in der Nacht wohl einen Abzweig übersehen und war parallel zu meinem Planweg immer leicht abschüssig gelaufen, anstelle auf der Hochebene zu bleiben. Daher war ich auch nicht an den markanten Punkten vorbeigekommen, die ich mir als Orientierungshilfe ausgeguckt hatte. Aber es würde auf der Karte schlimmer aussehen, als es wirklich wäre, beruhigte mich der freundliche, junge Herr. Ich wäre gar nicht mehr so weit entfernt von dem Ort entfernt, an dem ich nächtigen wollte. Es gäbe einen Trampelpfad, der mich wieder in die richtige Richtung bringen würde. Allerdings hätte es der Pfad in sich, denn er wäre sehr zugewuchert und stellenweise extrem steil. Dafür aber relativ kurz. Er schätze die Strecke auf gute vier oder fünf Kilometer ein. Ich könnte es bis zum Anbruch der Nacht schaffen.

Puh, doch noch so weit … Da atmete ich einmal kräftig durch, dankte für Speis' und Trank und kaufte noch ein Ema-Täfelchen. Die pilgernden Leute schrieben ihre Wünsche darauf und erhofften sich davon Glück, Gesundheit und Wohlstand. An so etwas glaubte ich zwar nicht, was es aber als Ritual ganz reizend. Ich skizzierte mit einfachen Strichen ein vierblättriges Kleeblatt und schrieb auf die einzelnen Blätter Yuuki, Asa, Kakashi und Sherenina. Sollten die Vorbeiziehenden, die die Namen vielleicht eher zufällig lesen würden, doch denken, was sie wollten. Ein Kleeblatt war nur zusammen komplett und brachte Glück. Ich hoffte, es würde bei uns Vieren auch so gut zusammenwachsen und halten. Ich vermisste die Drei sehr und überlegte, wie es eben wohl den Kindern da draußen in der Wildnis ergehen würde. Sicherlich besser, denn immerhin waren sie nicht allein. Ob Kakashi noch im Büro hocken würde? Was hatte der geplant, wenn ich am Zielort eintreffen würde? Da hatte der sich nicht in die Karten schauen lassen. Alles, was ich wissen müsste, gäbe es bei der Ankunft vor Ort zu erfahren. Ich strich nochmal über die einzelnen Blätter des Kleeblattes. Wie eine kleine Patchwork-Familie. Ich freute mich. Dann war es Zeit für den stillen Abschied.

Barfuß stiefelte ich weiter. Der schmale Trampelpfad wurde alsbald sehr steinig, weshalb ich meine Schuhe wieder anziehen und den wunden Blasenschmerz ertragen musste. Kurzum: Ich erreichte nach ungezählten Zwischenpausen das kleine Dorf mit geplantem Nachtlager, als die Sonne gerade untergegangen war. Freundlich im Ryokan empfangen, bezog ich mein kleines Zimmer. Die folgenden Schritte kann ich kaum noch aus dem Gedächtnis abrufen. Als ich ein heißes Bad zur Entspannung nahm, war ich beinahe in dem Becken vor Müdigkeit ertrunken. Das leckere Abendessen schaufelte ich nur noch mechanisch mit Streichhölzern in den Augen in mich hinein. Und dann musste ich auch schon sofort eingeschlafen sein. Noch nie war ich so froh, mich in eine weiche Decke kuscheln und meinen erschöpften Körper zur Ruhe betten zu können. Und hätte ich nicht auf der Stelle in den tiefen Schlaf gefunden, ich hätte wohl noch jeden Muskel und jeden Knochen gespürt.
 

Der zweite Tag meiner Reise sollte ein absoluter Reinfall in Bezug auf das Wetter werden. So richtig zum Abgewöhnen. Es begann schon mehr als ungünstig, dass ich komplett verschlief. Der kräftige Landregen hatte so gleichmäßig auf das Hausdach getrommelt, dass er mich weiter und weiter im Schlaf wog. Bis zur Mittagszeit hinweg. Hastig und angesäuert war ich dann aufgesprungen, hatte gefrühstückt und mit einem Blick auf die fast pechschwarze Wolkendecke erkennen müssen, dass es wohl heute mit dem Sonnenschein nicht allzu weit her wäre. Eine ganze Etappe durch den Regen. Na toll!

Wenigstens gut gestärkt von einem mehr als ausreichenden Frühstück trabte ich vom Hof. Dabei hatte ich die Kapuze tief ins Gesicht gezogen und meine Nase hinter dem Kragen versteckt. Erstaunlicher Weise hatte sich mein Körper während des Schlafes sehr gut erholt. Kein Muskelkater, keine schmerzenden Gelenke. Lediglich chronische Unlust wegen des Dauerregens musste ich selbst ertragen.

Das Antlitz der Landschaft hatte sich gewandelt. Der Weg führte aus dem Wald, dessen Blätterdach den Regen noch halbwegs abgefangen hatten, heraus und schlängelte sich nun um Gemüsefelder herum. Und genau das machte meine Wanderung noch unerträglicher. Durch die vielen Zickzack-Kurven um die Anbauflächen zog sich die Strecke ins Unermessliche. Man sah schon am Horizont das Ziel und lief immer wieder mit dem nächsten Bogen davon weg oder drum herum. Bei Sonnenschein wäre es sicherlich ein herrlicher Ausblick gewesen. Nun aber klatschten mir die großen, kalten Tropfen von allen Seiten entgegen. Der Weg verwandelte sich in eine schlammige Rutschbahn. Bei jedem Schritt gluckste und gurgelte es unter den Schuhen. Irgendwann machte es in meinem Hirn „klick“ und mein Körper reagierte nur noch mechanisch. Stur setzte ich einen Fuß vor den anderen. Ich dachte nicht mehr nach und ging und ging und ging. Immer mit gesenktem Kopf, um das Nass von oben auf meinen Wangen nicht so ertragen zu müssen. Vielleicht hatte ich sogar ein bisschen geheult, aber der Regen verwischte alle Tränen. Einmal machte ich doch eine kurze Rast, weil ich mal musste. Dabei entdeckte ich ein Erdbeerfeld. Erdbeeren bis an den Horizont. Und alle knallrot. Ich klaute ungeniert mehrere Hände voll von den Früchten und steckte sie mir sofort in den Mund. Zuckersüß und lecker! Wenigstens ein kleiner tröstender Farbtupfer an einem grauen Tag.

In meinem Frust hatte ich die Strecke erstaunlich schnell gemeistert und wäre wohl auch recht früh angekommen, hätte mich ein breiter Fluss nicht von dem Dorf getrennt, welches ich als zweites Etappenziel auserkoren hatte. Es hätte eine Brücke geben müssen … hätte … Ein mickriges Schild kommentierte die Brückenüberreste. Ein Hochwasser vor wenigen Tagen hatte den Rest mitgenommen. Maannnn, das darf doch alles nicht wahr sein! Es war nun richtig zum Heulen. Also nochmal eine gute dreiviertel Stunde flussaufwärts zur nächsten Brücke. Und dann alles wieder auf der anderen Flussseite zurück. Der Tag war wirklich zum Abschminken.

Wenigstens war die Unterkunft zwar sehr rustikal-spartanisch, aber ebenso gemütlich wie die der letzten Nacht. Und man bot mir sogar an, meine Kleidung zu waschen und die Schuhe zu reinigen. Na, das war doch mal ein Service! Dennoch lag ich auf meinem Futon noch länger wach, als ich wollte, weil der Frust so an mir nagte. Morgen. Da könnte ich meinen Weg endlich geschafft haben. Wenn ich aber die Sache weiterdachte, dass ich auch alles wieder zurücklaufen müsste, wurde mir echt schlecht. Hoffentlich würde morgen mal das Wetter ein bisschen netter zu mir sein. Am Liebsten hätte ich Kakashi mal übers Telefon mitgeteilt, was ich mittlerweile von der ganzen Spaßmission hielt, doch ich hatte nach wie vor keinen Empfang. Haha, das hatte der doch garantiert eingeplant, weil er sich meine Motzerei nicht antun wollte. Aber davon mal ab, hätte mich auch interessiert, wie es Yuuki und Asa auf deren Trainingsmission gehen würde. Alle Drei fehlten mir.
 

Am nächsten Morgen kitzelte mich zu einer viel zu frühen Uhrzeit ein Sonnenstrahl an der Nase. Meine Gebete an den Wettergott, die ich gar nicht gesprochen hatte, waren trotzdem erhört worden. Die Sonne strahlte von einem einzigartigem, blauen Himmel. Keine einzige Wolke war zu sehen. Schnell schwang ich mich aus meinem Nachtlager und musste mich erst mal kräftig strecken. Obwohl ich sehr gut geschlafen hatte, spürte ich nun die Anstrengungen der letzten zwei Tage. Meine Unsportlichkeit rächte sich nun. Überall zwickte und zwackte es. Aber heute, heute würde ich ankommen. Und wehe, es hätte sich nicht gelohnt! Für solch eine Plackerei müsste meiner Ansicht nach auch wirklich etwas herausspringen.

Der Wettergott meinte es tatsächlich gut mit mir. Zur Mittagszeit sogar viel zu gut. Die Sonne brannte gnadenlos vom Himmel, jedoch war es nicht so schwül wie vor zwei Tagen. Dafür hatte ich mir fix einen kräftigen Sonnenbrand eingefangen. Meine Reise führte mich nun durch Wiesen und an Waldrändern entlang. Rechts und links wuchsen die Berge immer höher in den Himmel. Der Fluss zwischen jenen schwoll immer weiter an und wurde zu einem breiten Strom. Und irgendwo flussabwärts musste dann Tanigakure liegen.Da ich immer weiter in dieses Tal hinabstieg, hatte ich aus der Höhe am Horizont das Dorf schon einmal kurz erspähen können. Das motivierte mich ungemein. Meine Schritte wurden flinker. Nur noch durch ein Waldstück hindurch und ich hätte es wohl in gut einer Stunde geschafft.

Und ab da geschah etwas, was ich mir in dem Moment, als es passierte, nicht erklären konnte. Es war so bizarr und zugleich so unheimlich, dass es mir noch lange im Hirn eingebrannt war. Gerade wollte ich den Wald passieren, als mich das einholte, was ich auf gar keinen Fall erleben wollte: Räuber! Vier an der Zahl traten aus dem Buschwerk heraus, bauten sich vor mir auf und blickten sehr abfällig auf mich. Das Quartett hätte unterschiedlicher nicht sein können. Sie trugen alle dieselben Ponchos und Gesichtsmasken, dass man nicht sehen konnte, mit wem man es zu tun hatte. Noch nicht einmal, ob es nun Männlein oder Weiblein wären. Nur ihre Größen in die Länge und in die Breite waren nicht miteinander kompatibel. Allerdings spielte es nun auch keine Rolle mehr, woher sie kamen und wer sie waren. Schon in wenigen Minuten würde ich dieses Wissen nicht mehr brauchen, weil ich hier mit aufgeschlitzter Kehle im Straßengraben läge. Vermutlich auch noch ausgeraubt und missbraucht. Wem da nicht sofort die Düse ginge, der hinge wohl nicht an seinem Leben. Zu den Schweißperlen durch die Hitze kamen nun die Angstperlen dazu.

„Taschenkontrolle!“, trällerte der Größte von ihnen los und empfand wohl seine Form des Überfalls als extrem komisch.

Zwei von ihnen zogen Messer. Der Vierte hockte sich hin und formte ein Fingerzeichen. Nicht lustig!

Nein, nein! Ich wollte nicht! Bloß weg! In meinem Kopf schaltete sich sämtliche Logik aus. Auf dem Absatz kehrtmachend rannte ich quer von ihnen weg ins Dickicht. Dabei dachte ich weder darüber nach, ob mir die diebischen Vier wohl sportlich überlegen sein könnten, noch wie sehr ich vom Weg abkam. Meine Beine verfingen sich in Kletterpflanzen, Äste schlugen mir ins Gesicht. Plötzlich raunte es in mein Ohr:

„Hab' dich!“

Boah, wo kam der denn plötzlich her? Es war einer der beiden Mittelgroßen. Er wollte mich packen, doch ich schlug einen Haken wie ein Feldhase und spürte nur noch, wie Fingerkuppen an meinem Unterarm vorbeistriffen. Puh, das war knapp! Wohin nur? Wohin? Umsehen war völlig unmöglich. Die Bande war definitiv schneller als ich.

Und nun geschah das Unheimliche. Nebel! Dicker, fetter Nebel, dass man noch nicht einmal seine Hand vor Augen sehen konnte. Wie konnte es bei dieser Wetterlage aus heiterem Himmel so nebelig sein? Ein Jutsu? Gab es ein Nebel-Jutsu? Bestimmt! Ich erinnerte mich, dass Kakashi von Shinobis erzählt hatte, die aufgrund der schlechten Auftragslage in Friedenszeiten ihrem Dorfe den Rücken gekehrt hatten und sich nun durch Wegelagerei oder Zirkustricks über Wasser hielten. Das wurmte ihn sehr, denn immerhin trieb da nun teuer ausgebildetes und hochqualifiziertes Personal sein Unwesen in der Weltgeschichte und versetzte die Bevölkerung in Angst und Schrecken. Die Abtrünnigen zu fassen, war schier unmöglich. Man kannte alle Shinobitricks untereinander. Kakashi sah in den Dorfverrätern schon eine gewisse Landplage, die es zu kontrollieren und beseitigen galt. Eine Handvoll Teams hatte daher nichts anderes zu tun, als in den Wäldern des Feuer-Reiches zu patrouillieren und am Besten die Gesuchten sofort zu eliminieren. In dem Punkt war Hokage-sama schier gnadenlos. Ich möchte schon fast sagen, ein wenig verbohrt.

Doch all das Hintergrundwissen nutze mir wenig, denn Kakashi war weit, weit weg zuhause und ich rannte hier gerade um mein Leben. Der künstliche Nebel tat wohl das, was er sollte. Ich sah nichts mehr. Aber anscheinend die Angreifer auch nicht. Das machte mich stutzig. Was sollte denn ein Nebel bewirken, der einem selber als Täter nur Nachteile brachte? Da stand ich nun mitten im Nebel und bewegte mich keinen Millimeter. Ich lauschte in die weiße Wand hinein, doch sie schluckte alle Geräusche. Meine größte Sorge war, dass ich entweder zufällig einem Verfolger in die Arme stolperte oder umgekehrt. Beides wäre wohl mein Ende. Von einer Sekunde auf die andere teilte sich vor meinen Füßen die Nebelbank in zwei Hälften. Ging es da aus der Not heraus oder in eine Falle hinein? Ich hatte Angst und wollte nur noch weg. Also nahm ich beide Beine in die Hand und rannte den frisch entstandenen Korridor entlang, der sich hinter mir sofort wieder schloss. So schnell war ich wohl in meinem Leben nicht gerannt. Meine Lungen pfiffen auf dem letzten Loch. Da wurde es schon heller am Ende des Nebeltunnels. Das Ende des Nebels. Das Ende des Waldes.

Ich kam dort bei dem Weg heraus, wo ich noch gerade eben auf die Räuber getroffen war. Ich hielt nicht an, hing mir die Panik im Nacken, man würde mich auch außerhalb des Waldes verfolgen, weil ich ein lästiger Zeuge wäre. Doch als ich den Wald hinter mir gelassen hatte, versagten meine Beine und der Kreislauf. Am Feldrand brach ich zusammen, rollte mich auf den Rücken und schnaufte wie eine Lokomotive. Ich drehte den Kopf zum Wald, konnte aber keinen Verfolger ausmachen. Hatten sie wohl doch von mir abgelassen?

Mit geschlossenen Augen holte ich tief Luft. Das war echt gruselig. Ein Zittern erfasste meinen gesamten Körper. Das war doch eben alles nur ein ganz böser Albtraum. Und jetzt war wieder alles so, wie es vorher war. Blauer Himmel, strahlender Sonnenschein, singende Vögel und ein laues Lüftchen. Der Spuk war vorbei. Ich konnte es kaum glauben.

Erst als ich mich beruhigt hatte, setzte ich meinen Marsch fort. Tanigakure lag zum Greifen nahe und sah wirklich sehr beeindruckend aus. Das Dorf wurde von drei Seiten mit einer hohen Stadtmauer geschützt. Die vierte Seite wurde durch den Abgrund einer gewaltigen Schlucht begrenzt. Der Fluss, der mich am heutigen Tage begleitet hatte, stürzte als übermächtiger Wasserfall tosend in die Tiefe hinab, nur um sich dort unten mit dem Wasser von anderen Flüssen und Bächen zu vereinen, welche an vielen Stellen ebenfalls über die Kante flossen. Ich hielt inne und beobachtete in dem Naturschauspiel einen wunderschönen Regenbogen. Die hohe Stadtmauer gab nicht viel von den Stadtgebäuden preis, wohl aber von einer kleinen, aber nicht weniger majestätischen Burg. Hier musste wohl ein Daimyo das Sagen haben. Auf alle Fälle machte der Ort Lust auf mehr.

Planlos ging ich durch die Straßen und sah mich um. Schön war es hier. Schlichte Häuser, saubere Straßen, kleine Läden, wenig Bevölkerung. Ein wenig Dornröschenschlaf hielt das Dorf in seinem Bann. Mein Ziel war es gewesen, hier anzukommen. Das hatte ich nun geschafft. Doch wie sollte es nun weitergehen? Hm, eine Unterkunft wäre so oder so sinnvoll. Ich fragte mich durch nach einer preiswerten, aber guten Schlafstätte und wurde von den netten Einwohnern zu eben jener gelotst. Dumm nur, dass das Gasthaus gerade geschlossen hatte. Ich würde mich also in dem übersichtlichen Ort weiter umsehen müssen. Etwas mürrisch schlürfte ich die Straße hinunter und machte an einem Teeladen halt. Tee war an sich super. Aber Kaffee wäre noch besser. Den hatte ich hier nur noch nicht entdecken können. Kaffee. Ein Königreich für einen Pott Kaffee! Müde saß ich da auf einem Höckerchen und sah dem Tee beim Ziehen zu. Meine Kleidung stank nach Schweiß, überall hatte ich noch Dreck von meiner Flucht durch den Wald auf der Haut. Meine lockigen Haare drehten sich zu wilden Rasterzöpfchen. Wie ein kleiner, zerrupfter Spatz. Hässlich und abstoßend. Da war ich doch total von der Rolle, als ich von der Seite ganz höflichst angesprochen wurde.

„Ist hier noch frei?“

Klar, war ja nicht viel los. Viele Plätze waren noch frei. Und trotzdem sollte es ausgerechnet der Platz neben mir sein. Und als ich dann aufsah, bekam ich Schnappatmung. Bei allen Sinnen, die ich besaß: Wären wir auf offener Straße aneinander vorbei gegangen, ich hätte ihn nie und nimmer erkannt. Und auch jetzt, so wie er mir direkt gegenüberstand, bedurfte es einen zweiten oder gar dritten Blickes, um das zu erkennen, was es zu erkennen galt. Ich dachte, ich träumte. Shinobis sind Meister der Täuschung und der Verwandlung. Aber das hier übertraf echt alles. Braune Haare mit langen Strähnen, die ihm bis in die Augen hingen. Braune Augen, ebenso braun wie die Haare. Lila Streifen unter den Augen und ein übertünchtes Tattoo auf dem Oberarm. Dazu ein schlichtes T-Shirt und eine knielange Hose. Allerdings hatte er viel mehr Gepäck als ich dabei. Ein großer, prallgefüllter Rucksack stand neben ihm auf dem Boden.

Doch die farbigen Kontaktlinsen konnten nicht das neckische Augenblitzen verstecken und das etwas verlegene Grinsen. Ich kannte es. Ich würde es überall wiedererkennen.

Verdattert formten meine Lippen seinen Namen, doch er fiel mir sofort ins Wort, noch ehe ich es ausgesprochen hatte.

„Darf ich mich vorstellen? Ich heiße Sukea“, und reichte mir dazu höflich die Hand.

Langsam löste sich meine Schockstarre auf, wie ich den Händedruck erwiderte. Ich musste gestarrt haben, als hätte ich den heiligen Gral entdeckt.

„Angenehm. Ich bin heute zum ersten Mal hier. Wie lange verweilen Sie schon in diesem Ort?“, murmelte ich und stieg somit in das abgedrehte Spiel ein. Es war unglaublich. Einfach nur unglaublich.

Er erzählte mir, dass er gegen Mittag den Grenzbahnhof erreicht, sich dann querfeldein geschlagen und mich sogar an dem Ort meines Überfalls überholt hätte. Er hatte mich überholt... Der Nebel...

„Das warst du?!“, rief ich lauthals aus und kam meinem Zustand der Schockstarre schon wieder sehr nahe.

Nur sein Zeigefinger auf seinen Lippen als Geste, meine Lautstärke zu zügeln, erinnerte mich daran, dass wir in einem Teeladen mitten in der Öffentlichkeit saßen und unsere Anwesenheit nicht unbedingt auffliegen sollte. Das war ja einerseits total super, dass er mich eingeholt hatte, weil mich sein Nebel-Jutsu rettete. Aber andererseits war es auch total frustrierend. Da hatte ich mich dreieinhalb Tage meines Lebens durch Wind und Wetter gequält, mich nachts zu Tode gefürchtet, hatte Hunger und Schmerz ertragen und war so unendlich stolz über meine erbrachte Leistung. Was aber musste man dann hören? Ein Shinobi brauchte für die Gesamtstrecke sage und schreibe poplige fünf Stunden, weil er geschwind von Ast zu Ast hüpfte. Das war böse und gemein. Und frustrierend. Nein, es war niedermachend! Nun saß ich hier, spürte einen Kloß im Hals wachsen und wurde auf meinem Stuhl immer kleiner. Warum hatte ich mir ausgerechnet den als Freund ausgesucht und nicht irgendeinen ganz anderen Kerl? Einen, der normal war und nicht so durchgeknallt in der Birne wie der da.

„Du bist doof“, schmollte ich ihn an. „Und was machen wir nun hier?“

„Erzähl ich dir unterwegs.“

Und da wurde ein kleiner zerrupfter Spatz tröstend von einer Vogelscheuche mitgenommen.



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