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Kalendertage

Der Tag, an ...
von

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33 - Der Tag, an dem ich Tenzô beeindruckte

Wie zwei unscheinbare Rucksacktouristen schlenderten wir durch die Straßen und Gassen des kleinen Ortes. Ich konnte Kakashi überhaupt nicht lange sauer sein. Lieber genoss ich es, so unbeschwert meine Zeit mit ihm verbringen zu können. Niemand erkannte ihn, also beachtete man ihn auch gar nicht oder sprach ihn gar an. Einzig und allein, dass er so frisch und munter und ich hingegen so dreckig und abgekämpft daherkamen, brachte uns vereinzelt stutzige Seitenblicke von Entgegenkommenden ein. Unsere Kombination schien im Gesamtbild nicht so ganz zusammenzupassen. Es war wohl das erste Mal überhaupt, dass wir so viel ungestörte Zeit am Stück füreinander in aller Öffentlichkeit hatten.

Im Gegensatz zu seinen Vorgängern zog Kakashi ziemlich viel außerhalb seines Büros durch Konoha. Meist allein, weil er dann besser nachdenken konnte. Das Hocken in den vier Wänden würde ihn auf Dauer wahnsinnig machen. Eine tagtägliche Frischluftkur durch die Parks und am Fluss entlang waren da eine willkommene Wohltat. Aber irgendein Passant oder Shinobi quatschte ihn dann doch immer mal wieder von der Seite an. Es gab kaum einen Rundgang durchs Dorf ohne Smalltalk. Zu offiziellen Anlässen zog er meist mit Gefolge im Schlepptau los. Zwar war sein Stab an vertrauten Köpfen recht wenig an der Zahl, aber immerhin war der gezwungenermaßen zugegen. Und wenn es mal über die Stadtgrenze von Konoha hinausging, dann war so ein Hokage im Dienst grundsätzlich nie allein. Ohne Aufpasser in der freien Wildbahn herumspazieren? Ohne Begleitung Zugfahren? Undenkbar! Da war bei solchen Ausflügen neben dem Beraterstab noch eine Handvoll ANBU beschäftigt. Kakashi fand die ganze Aufregung um seine Person viel zu übertrieben. Wenn ihm etwas passieren sollte, so gäbe es immer irgendjemanden, der nachrücken könnte. Jeder war nun mal ersetzbar. Das Hofprotokoll jedoch verlangte nach einer Horde an Fußvolk und dem hatte man sich seufzend zu beugen. Ihn nervte das ganze Amt, welches ihm von Tsunade aufgedrückt worden war. Lieber wäre er wieder ein ganz normaler Jonin, wie alle anderen auch. Aber wer in seinem Leben so viel Mist verzapft hätte wie er, der müsste dafür halt auch mal geradestehen. „Sukea“ war schon fast der Ausbruch aus dem goldenen Käfig.

„Ich wusste, dass du mich sofort erkennst“, wurde ich gelobt. „Gai hat es bis heute nicht rausbekommen, obwohl er damals nur gefühlte zwei Zentimeter vor mir stand.“

„Naja, seine Inselbegabung liegt ja auch beim Tai-Jutsu...“, gab ich zu bedenken, dass wir beide kurz über diesen kleinen Witz schmunzeln mussten.

„Befriedigst du nun meine Neugier?“, bohrte ich nach, denn nur allein meiner Bespaßung wegen lohnte sich dieser ganze Maskerade-Aufwand hier absolut nicht. „Oder erahnst du hier zu viele unliebsame Mithörer, dass du nicht darüber sprechen kannst?“

„Der Feind hört mit? Nein, sicherlich nicht. Die Sache ist recht einfach. Die Daimyô der fünf Großreiche können es sich aufgrund ihrer politischen Machtstellung leisten, sich ein feste Shinobi-Truppe samt Kage zu finazieren. Da wir in friedlichen Zeiten leben und wir Kage uns meist einig sind, können wir gut miteinander kommunizieren. Deshalb war das auch gar kein Problem, wenn man es gut begründen kann, fremde Personalakten anzufordern. Wie damals beispielsweise die Unterlagen von deinem Freund ...“

Kakashi stoppte seinen Satz, weil er genau wusste, dass er da einen ganz wunden Punkt getroffen hatte. Dieses Vorab-Ausspionieren, bevor wir überhaupt zusammengekommen waren, bohrte tief in mir. Und das hatte ich ihm auch mal zu einer passenden Gelegenheit genau so und nicht anders um die Ohren geschlagen. Ich konnte vergeben, aber nicht vergessen. Es hatte anschließend zwar eine tagelange Eiszeit zwischen uns eingeläutet, doch so schien das Thema halbwegs geklärt. Deshalb tat ich nun so, als hätte ich mich noch nie über diesen wunden Punkt aufgeregt. Und weil Kakashi von mir keine Reaktion bekam, fuhr er dann mit seinen Ausführungen fort.

„Das Fluss-Reich hat wenig Einfluss auf die Großreiche. Sie können sich darüber hinaus nicht so ein militärisches System leisten wie wir. Hier gibt es zwar auch eine Handvoll Shinobis, um den Daimyô beizustehen oder um als Bote zu dienen, mehr aber auch nicht.“

Zwischenzeitlich hatten wir an einem Verkaufsstand halt gemacht. Mein Magen hing schon in den Kniekehlen. Wenn mein Freund mich nun mit so vielen Informationen abfüllen wollte, die ich auch alle noch kapieren und behalten sollte, dann musste dieses Hungergefühl am besten jetzt sofort enden. Ein paar Münzen später kaute ich hochkonzentriert auf ein paar Dangos herum. Natürlich bot ich ihm mit dem Hinweis „Die sind echt nicht so doll süß!“ auch welche an, doch er lehnte dankend ab. Da ich nun ganz viele für mich allein zum Kauen hatte, kamen mir auch gute Schlussfolgerungen in den Sinn.

„Hm, wenn ich das also richtig verstanden habe, dann hängt es wohl mit diesem Gerücht zusammen, was du gerne geklärt haben möchtest“, dachte ich laut nach. „Und weil hier kein Kage oder sonstige verbündete Person ist, kannst du auch niemanden befragen. Richtig?“

„Sehr richtig!“

„Und warum schickst du dann nicht einfach deine Truppe los, um es herauszufinden?“

„Weil das hier eine reine Privatsache ist. Das geht niemanden etwas an.“

„Ahaa...!“, grübelte ich, denn das wurde ja immer mysteriöser.

So langsam dämmerten mir die Zusammenhänge. Ein Team auf Mission zu schicken, bedurfte eines Auftrages gegen Geld. Also hätte er seine eigenen Leute aus eigener Tasche bezahlen müssen, weil es hier um etwas ging, was nichts mit der Sicherheit Konohas zu tun hätte. Es wäre schwer, solch eine Mission zu rechtfertigen, wäre sie unentgeltlich. Da es zumal etwas sein musste, was wohl auch nicht für jeder Ohren bestimmt wäre, blieb Kakashi wohl im Endeffekt nichts anderes übrig, als der Sache selber auf den Grund zu gehen. Und weil er wiederum nicht einfach so aus dem Dorf abhauen durfte, musste er schon etwas tiefer in die Trickkiste treiben.

„Was hast du vor? Willst den Fall nun allein lösen? Ich bin da sicher keine große Hilfe bei. Und was ist, wenn dir was passiert? Dann ist doch garantiert zu Hause das Geschrei riesig“, teilte ich nun das Ende meiner Gedankengänge mit.

„Bei dir nicht?“ fragte er gespielt enttäuscht.

„Schatz, ich nehme auch das von dir, was hinterher übrig bleibt und hab es ganz doll lieb!“, konterte ich zynisch mit schnippischem Unterton, weil er meine Meinung dazu ganz genau kannte.

Wir beide hatten schon einen echt schrägen Humor.

„Dann bin ich ja beruhigt. Aber um deine Frage zu beantworten: Wir müssen noch auf Tenzô warten.“

Tenzô. Ja, wer auch sonst? Das dynamische Duo unterwegs. Also musste die ganze Angelegenheit doch größer sein, als geahnt. Sonst hätte er auch Gai oder „wen-auch-immer“ mitnehmen können. Was sollte ich eigentlich hier? Na egal, würde ich schon noch mitbekommen. Erstmal freute ich mich über meine heißgeliebte Gesellschaft.

Tanigakure lag nicht nur zwischen den Bergen versteckt, sondern spiegelte auch das Fluss-Reich in kleinen Facetten wider. Viele Brunnen, Kanäle und Kaskaden durchzogen den kleinen Ort und machten seinen ganz besonderen Charme aus. Da war es völlig normal, dass es in vielen Winkeln des Dorfes kleine Badehäuser gab. Schon beim nächstbesten, öffentlichen Bad hielten wir inne, welches an einer begrünten Kreuzung mit schattigen Bäumen lag.

„Ich würde sagen, du verschwindest im Bad und ich besorge was zu essen. Und dann warte ich dort drüben auf dich“, schlug Kakashi vor, da ich noch immer aussah, als hätte ich den ganze Weg nicht zu Fuß abgeschritten, sondern mit dem Spaten gepflügt.

Er deutete unauffällig auf eine abgelegene Parkbank am Rande des Platzes. Ja, das war ein guter Plan, konnte ich mich schon selbst nicht mehr ausstehen. So dreckig und zerzaust. Das Badehaus war sehr traditionell. In einem Vorraum, wo man den Eintritt zahlte, standen ordentlich in Regale sortiert nummerierte Weidenkörbe mit Badeutensilien von regelmäßig einkehrenden Badegästen. Für Gelegenheitsgäste wie mich gab es einen Extrakorb mit Seife, Waschlappen, Handtuch und Yukata. Am Ende des Raumes ging es weiter durch die Umkleide, von dort in den Duschraum mit den Badehockern und Waschschüsseln, dahinter lag ein kleines Becken mit heißem Wasser zum Entspannen. Gern hätte ich mich da länger aufgehalten, doch ich wollte Kakashi ungern warten lassen und stand recht schnell wieder vor dem Bad auf der Straße.

Tatsächlich war er mit dem Einkauf schon fertig. Eine große braune Papiertüte stand gut gefüllt neben dem Rucksack auf dem Boden. Auf der Bank saß Kakashi und döst. Unglaublich, aber wahr: Kein Schmöckern in längst ausgelesenen und zerfledderten Kitschromanen mit detailgetreuem Techtelmechtel, sondern nur stumpfes Dahindämmern. Ein Bild für die Ewigkeit. Obgleich man sich bei ihm nie sicher sein konnte, wie weit er gerade von seiner Umwelt abgeschaltet hatte. Da müsste nur ein Blatt im Busch schieftönig rascheln und schon wäre der mit allen Sinnen wieder hier bei uns.

Ich betrachtete ihn eine Weile aus der Entfernung, wie er da so mit lang ausgestreckten Beinen und verschränkten Armen saß. Es erinnerte mich, wie er zum allerersten Mal bei mir in der Küche in eben dieser Haltung auf meinem Stuhl gesessen hatte. Damals, als ich noch gar nicht wusste, wer mir da ins Haus geschneit war. Wenn ich zurückdachte, wie viel Angst ich damals vor ihm hatte, konnte ich jetzt darüber lachen.

Zurückblickend gab es da für mich oder Yuuki nichts zu fürchten. Es war Kakashis Unsicherheit, die ihn auf die Idee gebracht hatte, sich als ANBU zu tarnen, um sich uns Stück für Stück annähern zu können. Wäre die Idee nicht so verlaufen, wie geplant, hätte man sich auch ebenso wieder zurückziehen können. Ohne Aufsehen, ohne Drama. Eine ganz geschickte Masche, um ein vom Lebenslauf aufgedrücktes Handicap in Bezug auf zwischenmenschliche Beziehungskisten zu vertuschen. Kakashi, der sonst immer so überlegen und selbstsicher wirkte, hatte da seine Schwierigkeiten, auf andere zuzugehen. Man distanzierte sich lieber und blieb förmlich höflich, aber immer mit einer Prise Arroganz, damit bloß niemand auf die Idee kommen könnte, es länger mit ihm aushalten zu wollen. Außerdem hätte man so schnell durchschauen könne, was bei ihm alles Können wäre und was nur Fassade war. Trotzdem hatte ich schon herausgefunden, dass er auch eine verdammt große Portion Traurigkeit in sich trug, die getröstet werden wollte.

Und viel Dunkelheit. Diese Dunkelheit konnte sehr verstörend und erschreckend sein. Seit er mir seine Geschichte erzählt hatte, konnte ich es sogar verstehen. Fremd war es mir dennoch. Akzeptieren war schwer möglich. Sie brach einfach aus heiterem Himmel bei ihm durch und ging auch ebenso schnell wieder. Manchmal konnte man gar nicht nachvollziehen, warum es so war. Dann hatte er Phasen, in welchen er einfach nur nachdenklich nostalgischen Erinnerungen und Selbstzweifeln nachhing.

Da wollte ich auch gar nicht so genau wissen, was er vorhin mit den vier Gestalten im Wald gemacht hatte. Es mochte nur ein Zufall gewesen sein, dass Kakashi just in der Sekunde auftauchte, als ich in Not war. Aber ich war mir sicher, dass er so etwas spüren konnte und Yuuki und ich nun auch zu dem Kreis gehörten, die es neben Asa mehr als alles andere zu beschützen galt. Als ich aus dem Wald herauskam, hatte ich mich schon fast gewundert, weshalb die Angreifer von mir abgelassen hatten. Nun war ich zwar nicht unbedingt schlauer, weil wir über den Überfall noch kein weiteres Wort verloren hatte. Doch ich konnte mir vorstellen, dass die entweder tot über'm Zaun oder verscharrt in der Erde lagen. Alle Vier. Keine Zeugen. Beschützer-Mission erfüllt. Mir jagte diese Art der Problemlösung einen eiskalten Schauer über den Rücken. Manchmal war er einfach so. Dann spulten sich fest antrainierte Muster in seinem Kopf ab.

Ich befreite mich von all den Gedanken und hielt schnurstracks auf die Bank zu. Sofort drehte er seinen Kopf zu mir. Ein Lächeln begrüßte mich. Konnte man so einem wirklich auf Dauer böse sein? Nein, das klappte nicht.

Weiter ging's! Keineswegs würden wir innerhalb der Dorfmauern nächtigen. Sukea wollte wieder Kakashi werden, und Tenzô hätte es leichter, im frühen Morgengrauen zu uns zu stoßen, wenn er nicht jedes einzelne Haus abklappern müsste. Knapp außerhalb böte sich ein Waldgebiet als Unterschlupf an. Man nannte es „Mosaikhain“, weil viele Lichtungen und Bachläufe den Wald zerschnitten. Und so war es tatsächlich. Der Hain erinnerte mich sehr an den Tag, wie Asa und Yuuki den Trainingsplatz überschwemmt hatten und die Bäume wie Leuchttürme aus den Fluten ragten. Allerdings war es hier in keinster Weise sumpfig. Erst hatte ich schon Mückenplagen befürchtet, aber Kakashi beruhigte mich. Mücken würden nicht mehr oder weniger als anderswo kreisen. Es wären ja alles Fließgewässer um uns herum. Der Erdreich wäre erstaunlich trocken.

Es war wie in einem Märchenwald. Die mittlerweile tiefstehende Sonne leuchtete mit warmen Strahlen wie orangene Scheinwerferlichter zwischen den Stämmen der hohen Laubbäume auf den Boden. Das Licht überzog die Fauna mit einem Kupferton. Überall flogen die Pflanzenpollen umher und wirkten wie kleine Elfen. Das Surren einzelner Insekten klang wie das Schlagen von Elfenflügeln. Die kleinen Bächlein waren bestimmt verwunschene Quellen. Auf den vielen Lichtungen standen Pflanzen in voller Blüte. Wildblumen in Hülle und Fülle. Wunderschön!

„Warum hast du diesen Wald ausgewählt?“, fragte ich neugierig.

„Ich mag ihn einfach“, lautete die lakonische Antwort.

Aha, da war ich aber platt. Ich hatte irgendetwas Strategisches erwartet, nicht die pure Geschmacksbefriedigung. Es ging noch etwas tiefer in den Wald hinein, bis man den Waldrand und das Dorf nicht mehr erspähen konnte. Logisch, wir wollten ja ein Feuer machen. Das würde man sonst später in der Dunkelheit sehen können. Drei oder vier Lichtungen später war Kakashi mit dem Rastplatz zufrieden. Unsere auserkorene Lichtung war nicht größer als eine Gartenparzelle. Aber es genügte, um über unseren Köpfen den wolkenlosen Farblauf des Abendhimmels zu sehen. Neidisch blickte ich auf Kakashis Finger, die sich blitzschnell formten und ein kleines Feuerchen entfachten. Ich selbst hätte hier wohl ewig mit einem Feuerzeug gesessen. Bei meinem Glück wäre dieses dann auch noch defekt und ich müsste wie die Steinzeitmenschen zwei Feuersteine aufeinander schlagen. Feuertraum ade! Vermutlich würde ich später bestimmt auch das Pech einkassieren, weit und breit auf dem einzigen Ameisenhügel zu schlafen, sämtlichen Zecken auf meiner Haut ein neues Quartier zu bieten und am nächsten Morgen Millionen von Mückenstiche aufzukratzen, auch wenn mein Freund behauptete, es gäbe nicht so viele. Ein Seufzer entfuhr mir über diese Horrorvision, während ich ausgehungert die Einkaufstüte plünderte. Tanigakure war bekannt für seine Süßwasserfische. Demnach fand ich eben jene im Inneren. Ich spießte sie auf lange Zweige, damit sie über der Flamme grillen konnten. Süßkartoffeln rollte ich an die Glut, dass sie gar werden würden. In einem Becher war eine würzig-scharfe Öltunke. Mit einem trockenen Weißwein spülten wir das Mahl herunter. Alles zusammen schmeckte unerwartet göttlich. Der Hunger trieb es rein, aber es war wirklich gut.

Wir sprachen kaum. Das hätte auch irgendwie nicht so gepasst. Die Müdigkeit holte mich ein. Längst bettete sich mein Kopf auf seinem Oberschenkel, während ich meinen Fisch vom Zweig knabberte und genoss das Kraulen auf meinem Rücken.

„Was issen das da?“ nuschelte ich verschlafen und zeigte grobmotorisch hinüber zum Wald.

Da hatte ich etwas entdeckt. Es waren keine Feuerfunken. Aber mit der halben Flasche Weißwein im Kopf und der Müdigkeit war ich mir nicht mehr so sicher, ob ich dort drüben wirklich kleine Lichtpunkte sah oder lediglich halluzinierte. Obgleich der Wein laut Etikett kaum Umdrehungen aufwies, lag der bei mir schwer im Magen und noch schwerer zwischen den Ohren.

„Meinst du die Glühwürmchen?“

„Echt jetzt?“

Glühwürmchen. Ich hatte noch nie Glühwürmchen gesehen. Da wollte ich mich flugs aufrichten, um genauer sehen zu können, kam mit meinem Kopf aber nur bis zu seiner Schulter, wo ich die schwere Hirnkugel gleich wieder ablegte. Die letzten drei Tagen waren ein totaler Raubbau an meinem untrainierten Körper gewesen. Nun war ich ausgepowert und müde und sehnte mich nach Streicheleinheiten. Ganz automatisch schlang ich meine Arme um ihn und hielt mich wie an einem Kuscheltier fest. Dort, wo meine Lippen seine Haut berührten, küssten sie ihn. Meine Finger suchten ihren Weg überall entlang und streiften Haarsträhnen, die nun wieder weißgrau waren. Meine Augen trafen auf seine Augen, die nun wieder dunkel waren.

„Ich hab' dich so vermisst!“, gab ich kleinlaut zu, denn sonst tat ich immer so, als könnte ich alles ertragen ohne mit der Wimper zu zucken.

„Ich weiß. Und es tut mir leid.“

„Was tut dir leid?“

„Dass ich dich viel zu oft allein lassen musste.“

Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich es mitten im Wald auf einer Lichtung unter freiem Himmel trieb. Es war irgendwie anders. Intensiver, leidenschaftlicher, wilder. Sterne tanzten vor meinen Augen und damit meinte ich nicht die, die über uns von einem nachtblauen Firmament herabschienen. In den Sternenbildern verlor ich mich erst später, kurz bevor mir die Augen zufielen.
 

Es war eine weit vorgerückte Stunde, als ich erwachte. Hoch oben zwischen den Baumwipfeln graute schon der Morgen. Mich hatte nichts ungewöhnliches geweckt. Kein verdächtiges Geräusch oder ein ungutes Gefühl. Das Bedürfnis war rein menschlicher Natur, weshalb ich mich aus dem warmen Schlafsack und von Kakashis Seite schälte. Es war frisch. Fröstelnd schlich ich zum nächsten Baum, erleichterte mich und wollte den Rückweg antreten.

„Guten Morgen!“, trafen mich da geflüsterte Worte, dass ich vor Schreck zusammenzuckte.

Sachte wurde mir eine Hand auf den Mund gehalten, damit ich nicht laut aufschrie. Nach dem Ende des Schreckens wurde sie auch sogleich zurückgezogen. Natürlich kannte ich die Stimme und noch mehr die Person, die sie ausgesprochen hatte. Allerdings hatte ich sie nicht hier und jetzt erwartet. Im Halbschlaf dauerte die Stapelverarbeitung im Gehirn eh länger.

„Seit wann bist du denn hier?“, fragte ich irritiert und dann schoss mir etwas komplett absurdes durch den schlaftrunkenen Kopf.

„Hast du mir etwa beim Pinkeln zugeschaut?“, fragte ich streng.

Völlig überfahren zuckte Tenzô zusammen und schüttelte sofort den Kopf.

„Nein, ich bin doch gerade erst gekommen ...“

„Gekommen? Schwein!“, zog ihn meine Kodderschnauze auf.

Ich kicherte und unterdrückte ein lautes Auflachen. Ha, diesen Spaß liebte ich sehr. Sowohl Kakashis, als auch Tenzôs Gesichtsfarbe konnte man mit solch Zweideutigkeiten sofort in ein hübsches Rot verwandeln. Keiner der beiden nahm es einem krumm, denn sie konnte beide ebenso austeilen, wenn auch weit seltener, als ich es tat.

Er ging nicht weiter auf meine Frechheit ein, lehnte sich mit verschränkten Armen an den Baum und beobachtete Kakashi. Der schlief dort drüben wie ein Stein. Tief und fest.

„Wie hast du das gemacht?“

„Was denn?“

Mein Gesicht musste ein einziges Fragezeichen sein. Also nahm er seinen Rucksack oben an der Schlaufe in die Hand und schwenkte ihn zweimal kurz vor und zurück, um dem Ding etwas Schwung zu verleihen.

„Na, dann pass' mal auf!“, hörte ich Tenzô grinsend sagen, der zeitgleich den Rucksack losließ.

Er flog in einem flachen Bogen über die Grashalme und landete polternd unweit von dem Schlafenden.

Nichts! Keine Reaktion! Ich kapierte immer noch nicht.

„Das meine ich.“

Argh, Tenzô! Nun lass mich doch nicht doof sterben. Worum zum Henker geht es hier?

„Wir reden selten darüber, was den anderen bedrückt. Eigentlich tun wir das nie.“

Er überlegte eine Weile, ob er mir seinen Gedanken anvertrauen konnte. Es war Ehrensache, dass man nicht mit Dritten über Angelegenheiten sprach, die man nur untereinander teilte.

„Aber jemand, der schläft, hat keinen Einfluss darauf, was er verrät. Unterwegs kriegt man dann doch das eine oder andere mit. Kakashi schlief nie viel. Wenn er es dann tat, so wälzte er sich häufig hin und her, war bei jedem fallenden Staubkorn aufgewacht oder schreckte durch Albträume hoch. So wie eben, hab ich den noch nie schlafen sehen. Für seine Umstände ist das schon ein Koma.“

So hatte ich das noch nie gesehen. Klar, die Beobachtungen von Tenzô waren noch nie die meinigen gewesen. Da hatte ich ein völlig anderes Bild. Nun war ich schlagartig entsetzt.

„Meinst du, der kriegt gar nichts mit? Da hätten uns Räuber nachts welche mit dem Knüppel über die Rübe ziehen können?“

Tenzô lachte.

„Keine Sorge. Sein Unterbewusstsein weiß ganz genau, dass nur wir beide hier stehen und sonst niemand. Im Notfall wäre der hellwach.“

Stille kehrte wieder ein. Ich verschränkte die Arme vor der Brust und rieb mir mit den Handflächen die Oberarme, weil ich fror. Immerhin hatte ich nur ein langes T-Shirt und eine knielange Hose an. Der Schlfamangel steckte mir noch in den Knochen, und die Temperaturen waren in den paar Minuten keineswegs gestiegen. Tenzô war aufmerksam und drückte mir, zuvorkommen wie er war, seinen Poncho in die Hand. Wie in einer großen Decke versank ich bis zur Nasenspitze darin. Verlegen kratzte er sich am Kopf, sah mich prüfend an und meinte dann:

„Weißt du, damals, als er mich fragte, ob ich ihn zu dir begleiten würde, kam mir das alles sehr merkwürdig vor. Aber wie er dann bei dir in der Küche saß, war mir sofort klar, dass Yuukis Jutsu nur ein Vorwand war. Es ging ihm von Anfang an nur um dich.“

Nun war ich doch hellwach. Es war mir immer ein Rätsel gewesen, warum sich ausgerechnet Kakashis und meine Wege gekreuzt hatten. Alles basierte nur auf Vermutungen. Tenzô Aussage brachte da ein wenig Klarheit. Ich war im sehr dankbar dafür. Mehr würde er mir nicht erzählen. Mir reichte es.

In den schlafenden Stein auf der Lichtung kam Bewegung. Ein unmerkliches Strecken, dann saß Kakashi aufrecht. Ich war ein wenig überrascht, weil sein Gesicht nach wie vor unverhüllt war. Doch da fiel mir ein, dass neben mir auch Tenzô eingeweiht war. Das war übrigens damals von Kakashi gelogen, als er behauptet, es gäbe nur zwei Mitwisser: Asa wusste es auch. Mittlerweile auch Yuuki. Der Kreis der Eingeweihten hatten sich vergrößert.

„Was macht ihr denn da? Mitternachtsparty?“

„Nur Lästereien und Unwahrheiten“, entgegnete Tenzô.

Wie auf Kommando verließen wir gleichzeitig unseren Platz unter dem Baum. Nun kam wohl der unangenehme Teil der Reise. Ich saß auf dem Boden und legte die alles zusammen, was in den Rucksack sollte, während Kakashi in Nullkommanichts seine alte Joninkluft überzog. Dann hockte er sich zu mir und sah mich aufmunternd an. Bei mir aber bewirkte es genau das Gegenteil. Es brach mir fast das Herz, ihn so zu sehen. Ich kaute auf meiner Unterlippe, versuchte einen überdimensionalen Kloß hinunterzuschlucken und unterdrückte die Tränen, die mir in den Augen standen. Was immer er auch vorhatte, ich wollte das nicht.

„Hey...“, wollte er mir die Angst nehmen. „Wir sehen uns doch nachher wieder und heute Abend sind wir auch wieder zuhause.“

„Das hat Kenta auch immer gesagt!“, giftete ich zurück.

Solche Sprüche hatte Kenta jedesmal vom Stapel gelassen. Dass alles glatt laufen würde und so'n Kram. Kenta … Seit mein Ex-Freund verschollen war, hatte ich seinen Namen nicht mehr in den Mund nehmen können.

„Das glaub' ich dir sofort.“

Ein Stoffkuss drückte sich auf meine Stirn. Dann wurde ich mit acht Ninken allein gelassen. Ich sah den beiden nach, wie sie zwischen den Baumwipfeln verschwanden. Nur ein oder zwei Hüpfer und schon waren sie weg. Sie würden sich im Dorfe umsehen, ich würde mich mit der Hundemeute auf den Weg nach Nordosten machen. Nicht länger als ein einstündiger Spaziergang. Der Güterverkehr würde dort seine Route haben. Bei den Gebäuden einer Rangieranlage würden wir uns wiedersehen.



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