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Kalendertage

Der Tag, an ...
von

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54 - Der Tag, an dem ein Haus wuchs

Mit der Beerdigung meines Vaters wurden familiäre Dinge begraben, die längst nicht repariert worden waren. Das kapierte man aber immer erst, wenn man vor vollendete Tatsachen gestellt wurde. Dies und jenes ging mir durch den Kopf und ich grübelte viel, wenn ich allein weit weg von zuhause in meinem provisorischen Arbeitszimmer im Hotel saß, durch die großen Fenster in die Abenddämmerung starrte und stets mit mir haderte, warum und wieso ich das alles hier und jetzt überhaupt machte. Ich vermisste meine Familie, meine Freunde und Konoha.

Die Kehrseite unser ganzen Überraschungsaktion war jene gewesen, dass man Ankündigungen anschließend auch umsetzen musste, wollte man glaubhaft bleiben. Ansonsten würde man sich obendrein nur der Lächerlichkeit preisgeben. Und das wurde folglich der Beginn einer endlosen scheinenden Schlammschlacht mit allem Drum und Dran. Ich hatte eine Vorahnung, was alles folgen würde, doch die Dimensionen hatte ich dann letztendlich völlig falsch eingeschätzt. Nun hockte ich hier in der Hotelzimmersuite, wo wir vor ein paar Wochen allesamt schon zur Beerdigung einquartiert waren und kämpfte mit meinem Innersten selbst und dem Papierkram.

Längst hatte ich aufgehört, die Gerichtstermine zu zählen, weil meine Mutter und Lana das Testament angefochten hatten. Wenn man gerade dachte, man hätte sich gütlich geeinigt, dann kam von der gegnerischen Seite schon wieder die nächste Schote angeflogen. Weil es sich hier nicht um einen kleinen Handwerksbetrieb drehte, sondern um einen weltweit agierenden Konzern, war das öffentliche Interesse und Medienecho enorm. Ständig kam hinter irgendeiner Mülltonne ein Reporter hervorgesprungen. Noch nie hatte ich Paparazzi im Leben ertragen müssen. Bis dato hatte ich sogar geglaubt, die Mülltonnen-Geschichten wären nur Märchen. Es war nur noch gruselig. Niemals hätte ich außerdem gedacht, dass solch ein Hotelzimmer einen wie ein Kokon schützen würde. Ich igelte mich darin ein und war froh, Kakashis Vogelbande um mich herum zu haben. Denen konnte ich vertrauen, gaben sie mir die notwendige Geborgenheit und hielten mir so ziemliches alles vom Leibe, was ich außerhalb meiner schützenden Hotelzone nicht ertragen konnte.

Etwas anders sah es mit denjenigen aus, die ich gezwungenermaßen als neues Kompentenzteam zusammenstellt. Persönliches Vorsprechen meinerseits bei den unterschiedlichsten Institutionen war in diesem Rahmen einfach nicht mehr machbar. Mittlerweile hatte ich mir einen Stab an Rechtsverdrehern, Steuerfüchsen und Wirtschaftsexperten zusammengetrommelt, weil ich die Sachlage nicht mehr ohne fachkundige Hilfe überblicken konnte. Das Team konnte man auch hervorragend zu solchen Terminen schicken, die ich nicht mehr über mich ergehen lassen wollte, und sie hatten mir dann später nur Rede und Antwort zu stehen. Wie froh würde ich werden, wenn endlich alles geregelt wäre, dass ich aus der Ferne nur noch administrativ auftreten müsste.

Verträumt schaute ich über die Dächer der Stadt hinweg in die fernen Baumwipfel. Das Abendlicht tauchte die Szenerie in Gold. Ich verspürte den Drang, spazieren zu gehen und den Käfig zu verlassen, fröstelte aber sogleich bei dem Gedanken, dass ich garantiert wieder einmal nicht meine Ruhe hätte und auf offener Straße angesprochen würde. Ruri schien meinen Wunsch zu erraten, denn er erhob sich nebenan vom Sofa, schaltete den Fernseher aus und lehnte kurz darauf am Türrahmen. Seine beiden Geschwister waren aktuell auf anderen Missionen unterwegs. Da Kakashi sie nun nicht mehr als Hokage-Geleitschutz brauchte, mussten sie nun wieder mit „normalen“ Missionen ihr Geld verdienen.

„Na, denn man los!“, forderte er mich fröhlich auf.

„Ich weiß nicht recht ...“, murrte ich zurück. „Ich wollte eh gleich noch telefonieren.“

„Du telefonierst den ganzen Tag. Und den Rokudaime hast du auch schon zweimal angerufen.“

Ich schmunzelte etwas. Obwohl die Vogelbande offiziell nicht mehr in Kakashis Dienst stand, war er nicht nur für diese, sondern auch immer noch für das ganze Dorf „Rokudaime-sama“. Da sprach keiner seinen Namen aus, nur seinen Titel. Ein merkwürdiges Volk. Mal von dieser Gepflogenheit abgesehen, so hatte Ruri recht: Kakashi nervte ich häufig auf dem Telefon, weil ich die Einsamkeit seit der Entführung nicht mehr in dem Maße ertrug wie früher. Es half mir mental auch nichts, dass ich jedes zweite Wochenende kurz nach Hause fuhr. Ich glaubte, Kakashi müsste sich allmählich genauso durch mich bestalkt fühlen, wie ich durch die Journalisten. Aber mein Freund hatte sich noch nicht darüber beschwert, also schien es wohl in Ordnung zu sein. Andererseits konnte die Geduld meines Freundes auch groß wie ein Ozean sein. Da war es bei ihm fast unmöglich, den Strand zu treffen. Ich dachte oft an meine Familie, was sie wohl so alles ohne mich treiben würde. So weit weg von mir. Und wie sie wohl zurecht kommen würden. Bestimmt machte ich mir zu viele Sorgen und Gedanken, denn Kakashi sagte einmal an Telefon:

„Wenn du nichts hörst, geht’s uns gut!“

Tatsächlich hörte ich unglaublich wenig von meiner Familie, was mich ja doch beunruhigte, denn Kenta hatte so etwas auch immer gesagt. Im Endeffekt war dann nichts in Ordnung gewesen. Ich dachte an die Kinder. Es war Januar und die Vorbereitungen für die Abschlussprüfungen würden schon in gut drei Monaten stattfinden. Bis dahin wollte ich auf jeden Fall wieder dauerhaft daheim sein. Es grämte mich allein schon, dass ich zu Yuukis Geburtstag nur einen Kurztrip nach Konoha unternehmen könnte. Dann war ich bereits wieder kurz davor, alles hinzuschmeißen, die Zelte im Erd-Reich abzubrechen und einfach Heim zu fahren. Sollten doch dann alle machen, was sie wollten. Ich war die letzten Jahre auch ohne meine Verwandtschaft und die Firma klar gekommen. Da bräuchte ich sie jetzt theoretisch auch nicht mehr. Ich wischte die dunklen Gedanken beiseite und widmete mich gedanklich wieder den schulischen Zukunftsplänen der Kinder. Asa hatte uns immer in dem Glauben gelassen, es wäre ihr im Gegensatz zu Yuuki nicht so wichtig, die Prüfung zu bestehen. Doch selbst sie hatte es nun insofern gepackt, dass ein Durchfallen eine ziemlich peinliche Sache wäre. Wenigstens müsste man schon ein Genin werden und die Akademie abschließen. Die Akademie war eh nicht ihr Ding. Wenn man nun sitzenbleiben würde, dann müsste man aber folglich noch ein weiteres Jahr dort auf der Schulbank verbringen. Wie nervig! Nee, lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende. Das wäre doch das Mindeste.

„Ich denke, dass sie so oder so bestehen wird“, meinte Kakashi.

„Wieso? Weil sie den Hokagekindbonus hat?“, lästerte ich freundschaftlich.

„Nee, weil Iruka sonst fürchtet, sie würde die Akademie vor Wut in Schutt und Asche legen“, war die nüchterne Antwort. „Und es ist sicher für beide Seiten förderlich, wenn sie sich trennen.“

Ich nickte lachend. Ja, das war wahrlich eine logische Begründung. Mehr Kummer bereitete mir Yuuki und seine Art der Erlebnisverarbeitung, denn es war so, wie ich es schwarzmalerisch vorhergesehen hatte: Der Angriff auf den feindlichen Shinobi hatte ihn seelisch mitgenommen. Er kam damit zwar besser zurecht, als gedacht, aber er wurde stiller und zurückgezogener, als er es eh schon war und grübelte über die Situation nach. Darüber hinaus hatte er sich in den Kopf gesetzt, ein eigenes Jutsu zu erfinden. Eines, welches den Gegner kampfunfähig machen, ihn aber nicht verletzen würde. Ein äußerst hochgestecktes Ziel. Und damit nervte er stundenlang Kakashi um dessen Rat. Dieser wiederum wollte ihm zwar nicht die Hoffnung nehmen, so etwas hinzubekommen. Aber er versuchte ihm trotzdem schonend beizubringen, dass seine angeborenen Chakrafähigkeiten dafür nicht die Voraussetzungen mit sich brächten. Es gäbe wohl eine Kunoichi in den Reihen der ANBU, welche eine Art von Laser-Justu beherrschte und damit Chakrapunkte blockierte, doch ihre Elementaffinität wäre eine andere als die von Yuuki. Meinem Sohn wäre das aber herzlichst egal und bettelte solange, bis Kakashi den Kontakt zwischen beiden herstellt. Zu einem Training hätte sich beide jedoch wohl noch nicht getroffen, weil die ANBU-Frau häufig auf Mission war.

Apropos Mission: Auf so was trieb sich mein Freund nun auch noch herum. Nein, nein. Nicht auf Bezahlebene, sondern aus reiner Freizeitgestaltung unentgeltlich. Und weil ihn die Neugier und die Langweile nicht an einen Ort fesseln konnte. Außerdem hatte auch Kakashi noch Geschichten aus seiner Amtszeit, die er nicht abgeschlossen hatte. Zum einen, weil er aus dem Büro nicht herauskam und zum anderen, weil es nicht unbedingt immer der günstigste Zeitpunkt gewesen wäre, Öl ins Feuer zu gießen.

„Du findest überall in allen Reihen schwarze Schafe. Man hätte gleich nach dem Krieg den ganzen Shinobihaufen ausmisten und auch den Sumpf der ANBU trocken legen müssen. Tsunade hatte da ziemlich schnell den Überblick verloren, wer da noch welche anderen Strippen hinter ihrem Rücken zog. Aber nach dem Krieg lag auch alles in Trümmern. Die Verluste waren sehr hoch und die Bevölkerung litt. Das war wie eine Entscheidung zwischen Pest und Cholera, die Täter erst einmal alle ungestraft ziehen zu lassen, um Konoha wieder in geordnete Bahnen zu bringen. Trotzdem sind da viele Dinge nicht vergessen.“

Dann schwieg Kakashi nachdenklich eine kurze Weile und machte sich dann auf ins Unbekannte, um ja nichts zu vergessen. Manchmal, so meinte er dann hinterher, wäre aber Unwissenheit ein Segen gewesen. Selber Schuld, dachte ich dann wiederum bei mir, wenn man alte Geschichten nicht ruhen lassen konnte und im Dreck der Anderen stocherte. Aber mein Freund konnte nun mal nicht anders. Somit ward er dann tagelang wieder nicht gesehen. Da kam es auch schon mal vor, dass die Kinder mal eine ganz kurze Weile allein waren. Ihr wisst, dass mich so etwas störte. Meine Familie fand das aber völlig normal. Ich blieb dabei, dass ich schon viel zu lange aus Konoha weg war und nach solch vernommenen Geschichten dringend wieder zurück müsste.

„Träumst du wieder, Nina?“

Ruri wedelte mit der Hand vor meinen Augen herum und holte mich zurück aus meinen Gedanken in das Hotelzimmer. Mein Wunsch wurde erfüllt. Jeder mit einem Heißgetränk im Thermobecher in der Hand spazierten wir los durch die Straßen, die ich früher ständig gegangen war und hing alten Erinnerungen nach. Lange verweilten wir jedoch an den unterschiedlichsten Plätzen nicht, denn ein eisiger Wind pfiff uns um die Nase. Auch verdrängte die aufziehende Dunkelheit die goldene Dämmerung. Die Witterung mochte wohl die Erklärung sein, dass wir fast einsam durch die Stadt zogen. Kaum jemand kam uns entgegen. Die ersten Straßenlaternen entflammten sich. Es war erstaunlich, wie wenig sich doch im Stadtbild verändert hatte. Ich begann Ruri in kurzen Sätzen zu erzählen, wo wir waren und warum der eine oder andere Ort so wichtig für mich war. Ich musste einfach reden, denn so verarbeitete ich meine Stimmung und den Ablauf des verflossenen Tages. Da war Ruri ein gefundenes Opfer, durfte er doch nicht einfach mal so eben abhauen. Erst hatte ich nur gedacht, ich würde ihn langweilen. Erstaunlicherweise hört der aber ganz interessiert zu und fragte zu meiner großen Überraschung nach, wenn ihm manche Erklärungen nicht genügten. Da konnten wir in einem Park minutenlang vor einer Statue stehen. Das Mädchen mit dem Sonnenhut. Aus Kupfer gegossen und längst ergrünt. Dass sie noch nicht des Nächtens von Kunstdieben geklaut worden war, verwunderte schon sehr. Immerhin war allein der Materialpreis schon ansehnlich. Angeblich würde sie hier immer auf ihren Liebsten gewartet haben. Eine alte Dorfklatschgeschichte. Ruri interpretierte den Grünspan im Gesicht als Tränen und ich musste zugeben, er könnte recht haben. So genau hatte ich mir die Statue noch nie angeschaut. Zum Schluss kamen wir sogar ins Plaudern.

Aus dem Straßenzug rechter Hand drang Musik an unsere Ohren. In einer Kneipe spielte eine Band. Nur Gesang und Gitarre. Das klang schön und noch ehe ich mich versah, schubste mich Ruri voran durch die Eingangstür ins Innere. Damit ich nicht weiterhin so traurig gucken würde, meinte er und drängte mich zu einem kleinen Tisch in der hintersten Ecke. Wobei die hinterste Ecke direkt am Eingang lag. So klein war die Kneipe. Unsicher schaute ich mich um. Ich hatte keine Lust auf verwackelte Paparazzi-Schnappschüsse und blöde Boulevard-Kommentare unter dem Foto, obgleich ich bis dato noch so gut wie nie in einer Regenbogenpresse aufgetaucht war. Ausnahmen waren mein Besuch auf der Beerdigung und Gerichtstermine.

Es gab jedoch tatsächlich ein Bild, da hatte ich mir von dem Reporter mal einen Abzug schicken lassen. Es war der Tag, an dem Kakashi seinen Abschied vom aktiven Hokagedienst gegeben hatte. Ich hatte gar nicht bemerkt, wie die Aufnahme von uns gemacht worden war. Doch das Bild verriet, dass wir gerade im Begriff waren, den Hokageturm zu verlassen und uns auf dem Innenhof noch mit jemanden verquatschten. Ich weiß nicht mehr, von wem Kakashi angesprochen worden war, zeigte das Foto doch nur ihn und mich, wie wir beide dicht nebeneinander standen. Ein äußerst schönes und natürliches Bild. Es hatte mir, als es mich aus der Zeitung anlächelte, sofort gefallen. Es gab ja auch sonst so gut wie keine Bilder von mir und Kakashi zusammen. Daher war der Zeitungsfund um so wertvoller.

Da lachte Ruri kurz auf, wie ich meine Bedenken über die Presse schilderte und fragte, ob ich Rokudaimes Worte im Hause meiner Mutter vergessen hätte: Wer sich in sein Leben und in das seiner Familie einmischen würde, bekäme Stress. Da lag es doch ganz klar auf der Hand, dass daher auch keine unnötigen Schlagzeilen in den Klatschblättern auftauchten. Das wäre wohl alles geregelt. Da musste ich verdutzt geschaut haben, denn soweit hatte ich noch gar nicht gedacht.

„Sag`mal, hast du keine Angst, dass du tot umfällst?“, wollte ich dann doch genauer wissen, als Ruri mein bestelltes Getränk der Bedienung aus der Hand nahm und als Erster probierte. So ein Getränk könnte ja nicht nur flüssigen Alkohol, sondern auch Gift enthalten.

„Is' halt mein Job...“, gab er gutgelaunt an, weil der Alkohol sein Übriges tat, und umschiffte meine Frage geschickt.

Mein Bauchgefühl offenbarte mir aber, dass es ihm gar nicht so herzlich egal wäre. Stattdessen tat er dann doch erstaunlich wissbegierig bei einem ganz anderen Punkt.

„Wie lange wird denn deine Büroarbeit im Hotel noch dauern?“

„Warum fragst du? Gefällt es dir nicht an meiner Seite?“, forderte ich ihn munter heraus.

„Doch, doch. Das ist echt mal eine Easy-going-Mission“, winkte er sofort ab, weil er nicht falsch verstanden werden wollte und erklärte: „Aber du siehst so unglücklich aus.“

„Ja, das stimmt wohl“, äußerte ich mich nun etwas geknickt. „Ich denke aber, wir werden in wenigen Tagen alles geregelt haben. Stell dir mal die Firma wie ein riesengroßes Tier vor. Wenn du den Kopf abschlägst oder das Herz herausreißt, dann kann das Tier nicht überleben. Die Firma bricht zusammen. Aber wenn man nur einen Arm oder Bein abtrennt, dann wäre sie zwar angeschlagen, könnte sich aber berappeln. Ich versuche nun, dass meine Mutter und Lana symbolisch einen Arm oder ein Bein abbekommen, der ihrem Pflichtteil entspricht. Wenn sie den nun in den Ruin treiben, dann ist es ihr Problem, aber der ganze Konzern wird nicht mitgerissen. Natürlich wird der ohne Arm oder Bein erstmal straucheln. Aber es geht weiter. Es ging mir ja nie darum, das alles haben zu wollen. Es ging mir nur ums Prinzip, weil ich so hinterrücks behandelt worden bin. Sollen sie alle mit ihrem Anteil glücklich werden. Wenn ich keine Lust mehr habe, kann ich alle meine Anteile zu einem späteren Zeitpunkt abstoßen und verkaufen.“

Ich zuckte die Schultern als Zeichen, dass ich mir darüber noch gar keine rechten Gedanken gemacht hatte, ob ich die Firma nun bis zum bitteren Ende behalten wollte. Ruri hingegen fand meine Erklärung super verständlich, denn er selber gestand, so rein gar keine Ahnung von wirtschaftlichen Dingen zu haben. Die Band hatte mittlerweile ihr letztes Set gespielt und stimmt nach einer kurzen Trinkpause und ein wenig Bandgeplauder nun die Zugabe an. Ruri und ich hingegen machten uns langsam auf den Rückweg.
 

Eine kräftiger Wind wehte uns um die Ohren. Zwar milde temperiert, aber mit voller Breitseite. Nur mit Mühe konnte man sich auf den Füßen halten, wenn man es der Vegetation gleich tat und sich ebenso auf eine Halb-Acht-Krümmung bog. Nie hätte ich gedacht, dass Palmen so biegsam sein könnten. Und bei diesem Sturm sollte nun ein Haus entstehen? Na, Tenzô! Häng dich rein im wahrsten Sinne des Wortes! Hoffentlich wurde unser neues Domizil durch die Witterungsbedingungen nicht windschief. Die Situation war bizarr. Ich fühlte mich wie im Jetlag. Vor wenigen Stunden noch in einer kalten Winternacht aus dem Erd-Reich abgereist, stand ich nun hier am Strand in wehende Frühlingsluft gehüllt, schmeckte den salzigen Sand zwischen den Zähnen und nahm wahr, wie allmählich die Sonne aufging und mit ihren Strahlen die dunklen Wolkenfetzen jagte. Ich sollte mich mal äußern, wie ich mir mein zukünftiges Traumhaus vorstellte, wurde mir gesagt. Doch wenn ich den Mund öffnen wollte, dann war er entweder sofort voller Sand oder Haarsträhnen. Oder der Wind riss einem die Worte von den Lippen. Hätte ich von dem schlagartigen Überfall meines Freundes gewusste, der urplötzlich und unerwartet mit viel Tatendrang im Hotelzimmer aufgekreuzt war, um mich zu diesem Hausbautrip abzuholen, so hätte ich ihn garantiert zuvor gebeten, aus meiner Wohnung in Konoha die Skizzen des Grundrisses mitzunehmen. Die lagen nun weiterhin vor Wind und Wetter gut behütet im Bücherregal. Da lagen sie super.

Während ich mich zu erinnern versuchte, wie der Grundriss auf dem Papier ausgesehen haben mochte, kämpfte ich mich durch Wind, Gebüsch und Hausruine. Genauso groß oder größer? Hier noch ein Zimmer mehr oder lieber doch dort als Anbau? Ebenerdig oder zweistöckig? Tenzô meinte, die Größe und die Lage wären ihm vollkommen egal. Aber er wollte eine recht genau Angabe bekommen, weil Änderungswünsche im Nachhinein Chakrafresser wären. Und er machte auch sofort klar, dass er hier bestimmt nicht die nächsten Stunden, Tag, Wochen verbringen und Wände verrücken würde, nur weil wir unschlüssig wären. Da ich wohl mit der Entscheidung noch etwas brauchen würde, hatte er sich eine Strandmuschel aus Holz wachsen lassen und ward dorthin mit den Worten „arschkalt“ und „sauwindig“ entschwunden. Meine Güte, welche Laus war dem den über die Leber gelaufen? Es war wohl nicht unbedingt sein Lieblingswetter. Anscheinend auch nicht das von meinem Freund. Der packte mich nun doch energisch am Arm und zog mich ebenfalls zur hölzernen Muschel. Dort hockten wir nun zu dritt nebeneinander und beobachteten recht still einen aufkommenden Regenschauer. Die ersten Tropfen fielen und hinterließen in dem feinen Sand erst dunkle Flecke und später winzige Kratereinschläge. Dann goss es Bindfädenund wir drei lugten aus der Muschel heraus wie Wartende aus einem Bushäuschen. Eine Gedanke kam in mir auf. Verwunderte Blicke erntete ich, als ich leise kicherte.

„Erinnert ihr euch noch an das erste Treffen auf dem Trainingsplatz? Damals hatte es auch so geregnet und wir saßen da in Tenzôs Unterstand und haben gewartet“, klärte ich mein Gekichere auf.

„Stimmt. Aber das ist doch schon ewig her“, gab Kakashi zu und kratzte sich verlegen am Kopf, weil er wohl unser erstes Treffen auf besagtem Platze zeitlich gar nicht mehr einordnen hundertprozentig konnte. Aber zweieinhalb Jahre sind nun wirklich schon ein größerer Zeitraum.

„Ja, und Sempai kam mal wieder eine halbe Ewigkeit zu spät“, ergänzte Tenzô.

Es wurden noch einige alte Geschichten in „Weißt du noch...“-Manier hervorgekramt, was ich auf diese lockere Art und Weise von den beiden gar nicht so kannte, aber wusste, dass sie so unter sich sprachen, wenn sie ihre melancholischen fünf Minuten hatten.

Das Prasseln auf unserer Holzmuschel wurde weniger. Kurz darauf war der Regen abgezogen. Hätte der Wind nicht ebenso verschwinden können? Dafür glänzte nun durch die Feuchtigkeit der Strandabschnitt wie mit einer frischen Klarlackschicht überzogen.

„Weißt du was, Tenzô? Wir lassen es so, wie es ist. Ich mag das Haus so, wie ich es gefunden hatte. Nur die verfaulten Hölzer tauschen. Das wäre super. OK?“, meinte ich nun.

„Sicher?“, wollte Tenzô noch einmal eine offizielle Bestätigung.

„Sicher!“, bekräftigte ich die geplante Aktion.

„Sempai?“

„Tu dir keinen Zwang an“, kam auch von Kakashi die Zustimmung.

Der Budenzauber konnte beginnen. Obgleich ich das Jutsu nun schon kannte und einige Male bewundern durfte, faszinierte es mich bei jedem Male aufs Neue. Tenzô ging in die Hocke, formte Fingerzeichen und hielt dann seine Hände ineinander verschränkt vor sich. Sein Gesichtsausdruck verriet höchste Konzentration. Ich kannte das Sprichwort, dass man dem Rasen beim Wachsen zusah, aber das hier war echt irre. Aus intakten Holzbalken entsprangen neue Äste, die sich zu kräftigen Balken formten und die alten Fauligen zerbarsten. Schon nach wenigen Minuten stand an Ort und Stelle ein funkelnagelneues Haus, das ebenso glänzte wie der gelackte Strand. Stumm verharrte ich und staunte über dieses Wunder.

„Haste prima gemacht“, lobte Kakashi unseren Hausbauer erhob sich und schlenderte voran.

Draußen wäre es ungemütlich und drinnen bestimmt trocken, meinte er beim Weggehen. Wo er recht hatte, hatte er recht.

„Und das hält nun wirklich bis in alle Ewigkeiten?“, wollte ich es nun ganz genau wissen.

Es wäre ein Albtraum, wenn das Haus einfach so mir nichts dir nichts verschwinden würde. Und zwar nur, weil Tenzô eventuell nicht an Ort und Stelle wäre. Da malte ich mir schon aus, wie es mitten in der Nacht „Plopp“ machen würde und mein Bett stünde unter freiem Sternenhimmel. Nein, so etwas wäre absolut ausgeschlossen. Doch Tenzô beruhigte mich, es würde so lange hier stehen, bis die Zeit es zerfressen und zernagt hätte. Ich solle mir doch Konoha als Beispielobjekt ansehen. Der Stadtkern stünde seit dem Wiederaufbau tadellos, was größtenteils alles sein Verdienst wäre. Ich entgegnete, dass ich im Falle einer Beschwerde ja genau wüsste, an wen ich mich zu wenden hätte. Voller Freude umarmte ich als Zeichen meiner Dankbarkeit eine überrumpelten Tenzô, der mit meinem Gefühlsausbruch in der ersten Sekunde nichts anfangen konnte. Dann schlossen wir zu Kakashi auf, der bereits in der Tür stand. Der erste Rundgang war überwältigend und ein großes Gefühl von stolz machte sich in mir breit. Sicher, es gab noch einige wenige Dinge zu erledigen, denn Elektro, Sanitär und Fenster gehörten definitiv nicht zu Tenzô Gewerken, doch das eilte nicht. Ich war glücklich und freute mich sehr auf diesen neuen Abschnitt.

Doch erst mussten alte Abschnitte abgeschlossen werden. Mir standen noch zwei Gerichtstermine bevor, bei denen ich persönlich aufzutreten hätte. Die Kinder standen kurz vor dem Akademieabschluss. Asa fand den Umzugsplan super. Yuuki nicht. Der wollte in Konoha bleiben und seine Shinobi-Ausbildung fortsetzen. Mal sehen, was beide für eine Meinung hätten, wenn wir umgezogen wären. Und bestimmt ließ sich auch für Yuukis Zukunftspläne eine Lösung finden. Und Kakashi quälte sich mit dem Luxusproblem, dass er Gai irgendwann vor Ewigkeiten mal versprochen hatte, sie würden zusammen Urlaub machen. Nun erinnerte Gai Kakashi ständig daran und Kakashi wiederum fielen so allmählich keine triftigen Ausreden mehr ein, warum die Reise immer wieder verschoben wurde. Am liebsten würde Kakashi sich allein auf den Weg machen. Von Hier nach da, von A bis Z. Vielleicht, so hatte er gesagt, könnte er dann auch mal Kapitel abschließen und nachts besser schlafen, wenn er nur mal die Zeit hätte, Dinge zu verarbeiten.

Vielleicht, vielleicht...

Doch nun hatten wir es eilig. Yuuki hatte heute Geburtstag und wir wollten pünktlich wieder in Konoha sein, wenn er aus der Schule käme.

Alles andere würde sich in den nächsten Wochen klären.



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