Zum Inhalt der Seite

Kalendertage

Der Tag, an ...
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

55 - Der Tag, an dem wir gingen

Und plötzlich verflog die Zeit wie im Rausch. Eben noch hatte ich den Schneeflocken beim Fallen zugeschaut, schon wandelten sie sich zu den zarten Blättern der Kirschblüten. Viel zu früh in diesem Jahr. Alles verging so rasend schnell, dass ich kaum noch einzelne Tage beschreiben könnte. Es gab nur noch Szenen, die in meinem Kopf geblieben waren. Da waren viele facettenreiche Momente wie beispielsweise die Feier zur Abschlussprüfung an der Akademie.

Von einer Feier konnte man eigentlich gar nicht sprechen, denn die Aktion lief sehr unspektakulär ab. Es war heiß an diesem besonderen Tag. Brüllend heiß. So weit ich mich zurückerinnern konnte, hatte ich solche hochsommerlichen Temperaturen in Konoha noch nie erlebt. Selbst mein Freund musste zugeben, dass solch Hitzewellen Ende März äußerst selten in diesen Gefilden waren. Aber es wäre immerhin besser als Dauerregen, versuchte er das Saunaklima in der Aula der Akademie schön zu reden und warf mir sein unbekümmertes Honigkuchenpferd-Lächeln zu. Ninjas kannten nun mal keinen Schmerz, stellte ich im Stillen nüchtern fest, schüttelte aber dennoch den Kopf und rollte mit den Augen. Schmerz unterdrücken fand ich im großen und ganzen ziemlich bescheuert, da ich der Meinung war, dass es wenig förderlich für die eigene Seele wäre, immer alle Kröten schlucken zu müssen. Und wenn ich mir dann auch noch meinen Freund passend dazu betrachtete oder seinen nicht minder gestörten Freundeskreis, so gaben mir die Umstände recht. Kakashi aber behauptete immer oberflächlich, das wäre gar nicht so. Ich hätte genauso so viele Macken, obwohl ich niemals eine Kunoichi gewesen war. Es könnte also gar nicht am Beruf liegen.

Die Temperatur sägte wirklich hart an der Belastungsgrenze. Viel zu viele Menschen warteten in dem mittelgroßen Saal gespannt in Reih und Glied auf die Übergabe der Genin-Zertifikate an ihre Zöglinge. Währenddessen hatte man als geneigtes Publikum nur die Wahl zwischen Hitzeschlag, Dehydrieren oder Erstickungstod. Die Luft stand wie eine Bollwerk und hätte mit einem Katana scheibchenweise abgeschnitten werden können. Was war ich froh, einen Papierfächer und eine Trinkflasche dabeizuhaben. Man hätte eigentlich die Festlichkeiten voller Stolz auf den eigenen Nachwuchs begehen müssen, doch aktuell war man nur mit Schwitzen und Japsen beschäftigt.

Und endlich ging es los. Naruto und Kakashi betraten gemeinsam die Bühne. Das sorgte kurz für ein Raunen im Publikum, obgleich alle Anwesenden im Vorfeld informiert worden waren. Trotzdem war es ein absolutes Novum, dass zwei Kage gleichzeitig einen Auftritt wahrnahmen, zumal halt immer nur ein einziger der Amtierende war. Ihr erinnert euch? - Kakashi hatte Yuuki hoch und heilig schwören und versprechen müssen, dass er ihm persönlich und leibhaftig das Stirnband übergeben würde. Nun denn. So stand die beiden ranghöchsten Shinobi nun da oben am Rednerpult und hielten sich mit der Ansprache recht kurz, wofür man ihnen angesichts des glühenden Klimas dankbar sein musste.

„Ein Sprichwort sagt, dass man begonnene Dinge auch zu beenden hätte. Und da dieser Jahrgang vor zwei Jahren noch von mir eingeschult worden war, werde ich ihn nun auch ausschulen“, sprach Kakashi feierlich an die Menge und fügte witzelnd hinzu: „Der Siebte wird ordentlich darüber wachen, dass ich auch bloß keinen Fehler mache.“

Ein kurzes Lachen ging durch die Menge. Naruto grinste etwas verlegen, würde er hier und heute garantiert nicht seine Stimme gegen seinen ehemaligen Sensei erheben. Das tat er auch generell kaum, sondern war sogar froh, wenn Kakashi hin und wieder mit Rat und Tat zur Seite stand. Shikamaru war sicherlich die beste rechte Hand, die man sich jemals wünschen könnte. Allerdings war er in Narutos Alter und manche Dinge lagen viel länger zurück, als die beiden auf der Erde bereits gelebt hatten. Da bedurfte es einfach der Erfahrung eines Kakashis, der sich zurückerinnern konnte und in viel mehr Fäden verknüpft war, als man es hätte erahnen können. Insgesamt war der gerade ausgesprochene Grund, weshalb der Sechste noch einmal für eine knappe Stunde aus dem Ruhestand zurückgekehrt war, äußerst plausibel und geschickt gewählt, verriet er doch den wahren Hintergrund nicht, nämlich Yuukis Wunsch zu erfüllen. Der stand vor der Bühne mit den restlichen Klassenkameraden und kaute nervös auf seiner Unterlippe. Eine Macke, die er von mir geerbt hatte. Eigentlich hätte er stolz und fröhlich sein müssen. Dafür war er jedoch viel zu aufgeregt. Und als am Frühstückstisch mein Freund noch grinsend zum besten geben musste, dass der kleine „Schisser“ trotz seines „Ich-falle-durch-die-Prüfung“-Orakels zu den fünf Jahrgangsbesten gehörte, war mein Kind doch recht still geworden. Soviel Ruhm und Ehre vertrug er gar nicht. Yuuki hätte viel mehr von Asas Gelassenheit gebraucht. Die wiederum war das krasse Gegenteil und hätte etwas mehr von Yuukis Vernunft und Benehmen vertragen. Sie drehte gelangweilt ihren geflochtenen Zopf um den Finger, zerplatzte eine Kaugummiblase nach der anderen und schnappte sich ihr Stirnband auf der Bühne als Jahrgangsschlechteste. Oh Mann... „Lehrers Kind und Pastors Vieh gedeihen selten oder nie!“ konnte man dazu nur sagen. Ich beobachtete fächerwedelnd, wie jedes Kind sein Stirnband und seine Zertifikat erhielt und dass mein Sohn die ganze Zeit seines anstarrte und kurz vor dem Heulen war. Du meine Güte, was war denn nun kaputt? Ursprünglich dienten die Stirnbänder mit ihrem Metallbeschlag nur als Stirnschutz vor Angriffen durch Schläge oder Waffen. Als sie später mit dem Symbol des jeweiligen Shinobi-Reiches versehen worden waren, wurden sie zeitgleich auch ein Markenzeichen und wiesen dem Träger einen gewissen gesellschaftlichen Stand aus. So ein Konoha-Stirnband war schon eine große Hausnummer. Früher band man sie sich an einem langen Baumwollband um den Kopf oder trug es fast schon wie ein Modeaccessoire irgendwo am Körper. Die heutigen Bänder waren aus rundgewebten Stretchstoff. Das lästige Knoten war Vergangenheit. Und da bemerkte ich, dass Yuuki kein so modernes Stirnband in den Händen hielt, sondern noch so ein, ich möchte fast sagen, antikes Band. Es war dunkelblau und hatte wohl schon ein paar Jahre auf dem Buckel. Das sah mein geübtes Stoffauge immer noch, obgleich ich schon lange aus dem Stoffkontor raus war. Es schien mir auch viel breiter zu sein, als die anderen. Fast schon wie ein gerolltes Tuch. War das vielleicht der Grund für Yuukis Traurigkeit? Er hatte so einen alten Fetzen überreicht bekommen und die anderen Mitschüler ein nagelneues Modell?

Aber nein, Yuuki war ganz und gar nicht traurig. Als wir nach der Zeugnisübergabe das Akademiegelände verließen und ein kleines Restaurant ansteuerten, kullerten stumme Freudentränen über Yuukis Wange. Er hatte sich nicht nur seinen Traum vom Shinobi-Sein erfüllt, sondern obendrein noch den perfekten Talisman erhalten: Voller Stolz knotete er sein neues Band um, welches einst Kakashi durch unzählige Missionen und Schlachten begleitet hatte.
 

Ich kann mich noch so gut an diese ungewöhnlich lange Welle der Gluthitze erinnern, weil es auch die Zeit war, in welcher wir buchstäblich unsere Koffer packten und die Zelte nun endgültig in Konohagakure abbrachen. Kakashis Wohnung wollten wir als Ausgangspunkt für zukünftige Konoha-Besuche behalten, denn sie gehörte ihm ja auch. Meine hingegen wurde aufgekündigt. Traurig war ich darüber nicht gerade. Und so wanderten alle Dinge, die Konoha bald den Rücken kehren würden, von Kakashis Wohnung in die meinige, dass man bei mir in den heimischen vier Wänden keinen Fußbreit mehr Platz hatte. Drüben würden nur noch die Küche mit etwas Geschirr, das Bett und der Einbauschrank zurückbleiben. Mal abgesehen von der umfangreichen Büchersammlung meines Freundes, (der hatte mehr als man anzunehmen gedacht,) war dessen persönliches Hab und Gut recht überschaubar. Den Großteil machten Asas Sachen aus. Kleidung, Spielzeug, Schulsachen. So manches schlummerte immer noch in den verpackten Kartons, seit ihre Sachen aus der Wohnung ihrer Mutter hinüber ins Feuer-Reich gewandert waren. Es wäre eine günstige Gelegenheit, Asas Kartons noch vor dem nächsten Umzug einmal kräftig auszumisten, aber mein Freund war dagegen. Seine Tochter sollte selber entscheiden, wann sie hinschauen möchte, weil doch auch sicherlich Erinnerungsstücke an ihre Mutter darunter wären. Damit mochte Kakashi recht haben, obgleich mir die Erwähnung von Asas Mutter gleich wieder unbegründet ein Unbehagen in der Magengegend bereitete. Also blieben die Kisten wie sie waren und zogen ungeöffnet von einem Ort zum nächsten. Dieses Mal jedoch brauchte ich nicht den Shinobi-Notfall-Umzugsdienst in Anspruch nehmen, sondern buchte auf meinen Namen ein Umzugsunternehmen. Meine Freund fand es nämlich besser, wenn sich seine Spuren außerhalb des Dorfes nicht so leicht wiederfinden würden. Daher rührte auch die Idee, meine Wohnung als Sammelpunkt für unseren Hausrat zu nehmen und nicht seine. Als der Lastwagen am Vorabend den großen Eisenbahncontainer vor meinem Wohnklotz abstellte, erschrak ich doch sehr über das Volumen, das mir da aus geöffneten Metalltüren dunkel entgegen gähnt, und hielt es für absolut überdimensioniert. Ich ließ mich jedoch am nächsten Tage schnell eines besseren belehren. Eine Kiste nach der anderen verstauten die beiden Möbelpacker in dem eisernen Schlund, banden Möbelteile an den Innenwänden fest und verhüllten sie unter Filzdecken, um auch ja keine Kratzer oder gar einen Bruch beim Inventar zu riskieren. Die Sonne brannte mörderisch und die Packer ächzten leise, wenn sie wieder ein weiteres Teil die ganzen Stufen heruntergetragen hatten. Ab und an nahmen sie ihre Trinkflaschen zur Hand oder wischten sich mit einem Baumwollhandtuch den Schweiß von der Haut. Sie waren zu zweit und ich beobachtete sie eine Weile, wie sie kurz verwundert diskutierten. So viele Möbel könnten doch gar nicht praktikabel in meine kleine Wohnung gepasst haben, meinte der etwas Ältere. Er hatte die größere Not mit der Hitze, denn er war so hoch wie breit gewachsen und schien keine Chakrareserven zu haben. Der größere Jüngere war hingegen stattlich durchtrainiert, und schleppte meinen Hausstand mit Chakrahilfe spielend leicht durch die Gegend. Es wunderte mich schon, weshalb er keinen Shinobi-Dienst verrichtete, doch Kakashis Worte kamen mir in Erinnerung. Man bräuchte nicht mehr soviel Shinobis wie früher und es fühlten sich auch nicht mehr so viele zu dieser Ausübung berufen. Im Grunde war es in unsere Familie ähnlich. Yuuki würde sich unter der Leitung eines erfahrenen Sensei in ein Dreier-Team einordnen, um seine Ausbildung fortzusetzen, während Asa alles hinschmiss und lieber auf eine gewöhnliche Schule wechseln wollte. Dafür zog sie sogar mit uns ins Strandhaus. Ich hatte mich erkundigt, dass es zwar in dem Dorf, wo wir zukünftig wohnen würden, keine Schule gab, doch schon zwei Bahnstationen weiter gab es im nächstgrößeren Ort eine Schule mit gutem Ruf und kleinen Klassen. Asa meinte, sie bräuchte den Zug nicht. Mit Chakra wäre sie viel schneller vor Ort. Mir sollte es recht sein, wenn sie sich nur Wohlfühlen würde. Freunde hatte sie hier in Konoha nur spärlich finden können. Ich hoffte, es gefiel ihr in Kawaguchi-mura besser und sie würde schnell Anschluss finden.

Noch eine ganze Weile beobachtete ich die Möbelpacker. Der Jüngere war mittlerweile recht gut anzusehen, hatte er sich aufgrund der Temperaturen seines verschwitzenden T-Shirts entledigt und rannte mit freiem Oberkörper herum. Nur eine Viertelstunde später stand ich allein in meiner Wohnung. Nur noch der Besen zum Durchfegen leistete mir Gesellschaft, als es am Türrahmen klopfte. Mister Sexy-Möbelpacker brauchte noch eine Unterschrift, dass sie alle Dinge transporttauglich verpackt hätten. Wir wechselten noch einige belanglose Worte und scherzten banal, dann war ich wirklich allein. Noch am Abend würde ein LKW den Container zur Bahn bringen. Wie wir den dann wiederum an unserem neuen Wohnort vom Bahnhof bis zur Haustür bekommen sollten, soweit hatten wir uns noch keine Gedanken gemacht. Vermutlich würde ich dort vor Ort ganz einfach einen Kleintransporter auftun müssen. Doch so weit war es noch nicht. Erst einmal eilte ich mich mit dem Fegen der nun leeren Räume. So könnte ich noch rechtzeitig den Schlüssel beim Hausverwalter hinterlegen und das Thema Wohnklotz wäre Geschichte. Auf den Besenstiel gestützt, blickte ich verträumt durch das große Fenster über Konohagakure. Es war schon komisch, dass ich diese liebgewonnene Stadt bald nicht mehr sooft sehen würde. Solch ein Gefühl hatte ich damals nicht gehegt, als ich das Erd-Reich verließ. Ich war so in Träumereien versunken, dass ich gar nicht mitbekam, wie das Fenster von außen aufgeschoben wurde.

„Muss ich mir Gedanken machen?“

Kakashi schlüpfte herein, verriegelte hinter sich leise das Fenster und blickte mich prüfend an.

„Worüber? Dass ich jetzt auf die Schnelle noch pathetisch werde?“

„Das wohl weniger. Wer war'n das?“

Am liebsten hätte ich laut losgeprustet, weil Kakashi sein Eifersuchtsgespenst sogar bei solch Lappalien wie ein einfaches Gespräch nicht unterdrücken konnte und ich es ein wenig niedlich fand. Aber ein Lachen wäre nach hinten losgegangen, weshalb ich es unterdrückte. Die Frage war sowieso rein rhetorisch, denn niemand im Dorfe war besser informiert als Kakashi selbst. Trotzdem musste ich dem mit einer frechen Antwort entgegenhalten.

„Och, der junge Hüpfer war so frei, unseren Hausrat in den Container zu schleppen. Nett, nicht war? Und bei dem konnte man wenigstens was gucken, was bei dir ja nie so der Fall ist“, konterte ich mit zuckersüßer Zunge und verpasste ihm noch den Seitenhieb, dass man von ihm durch die Ninjakluft nur Haut an den Fingerspitzen und um die Augenpartie sah. Jene Augen hatten just in diesem Moment schwarze Pupillen bekommen und starrten ganz bedrohlich böse.

„Oh menno, sei nicht eingeschnappt!“, tadelte ich ihn zärtlich, wie er da wie ein bockiges Kind mit verschränkten Armen stand.

Er konnte nicht lange sauer sein. Etwas hatte seine Aufmerksamkeit erhascht. Zumindest drehte er den Kopf zum Fenster, blickte dann aber ohne ein bestimmtes Ziel zu fokussieren in die Ferne. Wenn hier einer von uns beiden einen Grund zum Pathetisch werden hatte, so wohl eher Kakashi, der zeit seines Leben nie woanders als hier in Konoha gewohnt hatte. Zumindest hätte man einen Hang zum Bereuen seiner Entscheidung so verstehen können, wenn man ihn von der Seite her beobachtete. Hände in den Hosentasche, müde, fast traurige Augen und recht lax mit der Körperhaltung stand er still und stumm einfach nur da und schaute hinaus. Ein ganzer Bildroman an Erinnerungen musste sich gerade in seinem Kopf umblättern, obwohl er mir mehrmals glaubhaft versichert hatte, der Wohnortwechsel käme genau zum rechten Zeitpunkt, um alte Kapitel abzuschließen und Abstand zu gewinnen. Es würde ihm rein gar nichts ausmachen. Tat es aber eben gerade wohl doch. Darüber hinaus bewahrheitete sich meine Vermutung, dass er später öfters zwischen Haus und Wohnung pendeln würde, als man es angenommen hatte. Man konnte alte Zöpfe doch nicht so einfach abschneiden.

Fünf, vielleicht sechs Besenstriche später fiel die Tür hinter mir ins Schloss. Dieses Kapitel hier war definitiv beendet.
 

Alles passierte, wie es passieren musste. Der sorgfältigste Plan konnte noch so ausgefeilt sein, er ging in unserem Falle völlig in die Hose. Der Plan war eigentlich ganz einfach gewesen: Wir hatten zwar verlauten lassen, dass wir umziehen würden, aber keinen exakten Tag genannt. Wir würden uns einfach klammheimlich aus dem Staube machen. Und das hatte auch seine wohldurchdachten Gründe. Doch daraus wurde nichts, wie es im Folgenden noch zu berichten sein wird.

Nachdem wir Vier in Kakashis Wohnung alles zusammengepackt hatten, was man für die ersten Tage im neuen Haus brauchen würde, waren wir noch durch die Stadt marschiert und hatten bei allen Menschen Lebewohl gesagt, die uns über den Weg liefen und uns zugleich wichtig waren.

„Ach, wie schade!“, hörten wir da über den Gartenzaun hinweg. „Wann geht es denn los?“

„Sobald wir alles gepackt haben“, war die lakonische Antwort.

Bei dem einen gab es warme Worte und einen dicken Kloß im Hals, bei anderen blieb mal hier und da eine Träne im Knopfloch hängen. Im großen und ganzen bummelten wir uns gut durch die Straßen voran, aßen in einer Garküche zu Abend und kauften noch einen Haufen Krempel, dass wir schlimmer bepackt waren als die Kamele einer Karawane. So suchten wir Rast an einem ganz besonderen Ort, nämlich oberhalb der in Stein gemeißelten Hokage-Köpfe. Es stimmte schon, wenn man sagte, von hier oben wäre die Aussicht über das Dorf am besten. Die rote Abendsonne verpasste dem Ort einen rötlichen Anstrich, fast schon kitschig. Die Kinder plapperten allerlei Blödsinn und zeigten sich gegenseitig Dinge, die sie von hier oben entdeckt hatten.

„Schau mal! Da drüben ist das Internat“, wies Asa Yuuki auf eine längliches, mehrgeschossiges Gebäude hin und dieser nickte bestätigend.

Mein Sohn würde dort wohnen. Das war mir tausend Mal lieber, als ihn allein in Kakashis Wohnung zu lassen. Mich trieb eine zu große Angst an, dass er nicht zurecht käme. Er könnte krank werden und niemand wäre sofort bei ihm. Oder er könnte den Topf auf dem Herd vergessen und die Bude abbrennen. Oder die Waschmaschine würde auslaufen. Oder, oder oder. Himmel, er war doch auch erst elf Jahre alt! Nein, nein. Wenn ich mein Kind schon hergeben und zurücklassen musste, so war es doch im Internat gut aufgehoben. Und da Yuuki schon nach einigen Tagen wieder nach Konoha zurückfahren würde, so störte ihn weniger die räumliche Veränderung, als denn die personelle. Seine Familie wäre nicht mehr greifbar vor Ort. Das bedrückte ihn, aber er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Asa in ihrer unbekümmerten Art saugte kräftig an dem Strohhalm ihres Milchshakes. Erdnussbutter-Honig-Geschmack. Bäh! Auf so was musste man erstmal kommen. Sie konnte sich das Zeug literweise einverleiben. Dabei überlegte sie schon, wie sie ihr Zimmer einrichten wollte. Endlich ein eigenes Zimmer, welches zur Abwechselung mal größer als ein Schuhkarton war. Sie freute sich unbändig. Kakashi hatte sich ein wenig von und abgekapselt, kauerte mit angezogenen Knien auf dem Boden und hatte seinen Kinn auf die Arme abgelegt. Kakashis sensible Seite, die kaum jemand jemals zu Gesicht bekommen hatte. Nur die Häupter seiner allerliebsten Lieblinge kannten diese Seite, die er uns nun ohne Gegenwehr präsentierte. Es nahm ihn im Herzen also doch mit. Meine Kodderschnauze war in solchen Situationen viel zu blöde, um die passenden Worte zu finden. Und sie war noch blöder, dass ich sie nicht einfach abschließen konnte. Es mussten Fettnapfstolperer herauspurzeln.

„Es ist doch nicht so einfach für dich, wie du behauptest hattest“, stellte ich fest und bekam Panik, er würde es sich nun anders überlegen. „Sieh mal, es ist dein Dorf und bleibt dein Dorf... Wir wohnen ja fast schon quasi um die Ecke... Nur ein bisschen... maritimer als hier...“

Ich konnte mich brillant um Kopf und Kragen reden. Aber zu meinem Erstaunen lächelte er und deutete auf einen Platz neben sich.

„Früher standen hier oben noch keine Häuser. Auch die Wege und kleinen Parks gab es noch nicht. Da war ich oft hier oben ganz mit mir allein, wenn ich nachdenken musste, weil wieder nichts so lief, wie ich es wollte. Oder wenn ich einfach nur traurig und verzweifelt war.“

Ein trauriges Geständnis, welches aber ein Happy End hatte:

„Diesmal hab ich euch mit dabei. Alles ist gut.“

„Sicher?“, bohrte ich mit aufkeimendem Zweifel nach.

„Ganz sicher. Ich freue mich wirklich sehr darauf. Du siehst ja selber, dass ich hier vor Ort kaum Ruhe bekomme, weil die Leute einen immer noch stets Ansprechen, wenn sie einen auf offener Straße sehen. Dann grüßen sie nicht nur, sondern laden auch Probleme ab oder fragen um Rat. Ich meine, dass ist wirklich nett und zeigt ja auch, dass ich meinen Job gut gemacht hatte. Aber irgendwie habe ich eben, wie soll ich sagen, alles über. Vielleicht geht es in ein paar Wochen oder Monaten wieder besser.“

Ich nickte stumm als Zeichen meiner Zustimmung, denn ich konnte sehr gut nachvollziehen, wie er sich fühlte und was er mir sagen wollte.

Die Sonne versank langsam hinter den fernen Bergen, doch die Nächte blieben tropisch. Wir hatten beschlossen, den letzten Zug zu nehmen, der nach Keishi fuhr. Es war ein Bummelzug, der brav an jeder Station auf Mitreisende warten würde. Daher würden wir doppelt so lange bis zur Hauptstadt fahren. Es wäre der Vorteil, dass wir in Keishi auf den Anschlusszug am nächsten Morgen kaum Wartezeit hätten. Eine Mütze Schlaf könnte man schon wohl schon im Zug ergattern. Je näher wir der Bahnstation kamen, desto ruhiger wurde es in den abendlichen Straßen, denn der Bahnhof lag nicht zentral, sondern abseits. Es verirrten sich nur noch Menschen hierher, die entweder Reisende waren, jemanden vom Bahnsteig abzuholen gedachten oder lediglich in einer die vielen winzigen Hauskneipen gingen, die sich hier wie Perlen auf der Schnur aneinanderreihten. Wir hatten gerade die untersten Stufen der Bahnhofstreppe erreicht, als wir hinter uns auf der anderen Straßenseite eine Tür schlagen hörten. Laute Quietschgeräusche und lallende Schimpftiraden über Mitmenschen ohne den Funken eines jugendlichen Frühlings im Blute komplementierten das Bild auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal erinnern: Unser Plan war der stille Abgang.

„Kakashi?!“, fauchte ich wie eine kratzbürstige Katze auf und schoss Giftpfeile aus meinen Augen.

„Ich habe nicht gewusst, dass er hier abhängt“, erwiderte ein sichtlich erstaunter Kakashi zurück, der unerwartet perplex auf das grüne Häufchen Elend starrte, welches just in dieser Sekunde besoffen aus der Kneipe geflogen war und nun mit dem Rollstuhl kämpfte. Und um seine Unwissenheit zu unterstreichen, ergänzte mein Freund noch:

„Wirklich nicht!“

„Ich dachte, du hättest es ihm schon vor ein paar Tagen klipp und klar erklärt...“, tuschelte ich, weil ich nicht weiter Aufsehen erregen wollte.

Dafür war es bereits zu spät.

Eben noch recht benebelt in der Birne, hatte Gai es trotz alledem tatsächlich geschafft, seinen Rollstuhl mit sich selbst darin wieder in die korrekte Senkrechte zu definieren. Plötzlich war jedoch sein Geist glasklar, wie ausgerechnet seine Sichtachse nun die unsere kreuzte. Kakashi samt Familie und Koffer? Das konnte doch nur eines bedeuten.

„KAKASHI?!“, brüllte es entsetzt herüber und nur den Bruchteil einer Sekunde war der auch schon exakt vor uns.

Und zwar so exakt, dass er uns sogar noch mit den Rädern seines Rollstuhls über die Zehen fuhr. Das tat nun wirklich nicht Not.

„Lässt du mich jetzt alleine?“, datterte Gai verzweifelt los.

Voll wie zehn Haubitze starrte uns Gai an und erinnerte mich an Yuukis Reaktion, wie ich ihn damals als Dreijährigen nach der Eingewöhnungsphase zum allerersten Mal allein im Kindergarten zurückgelassen hatten. Die Augen meines Sohnes hatten sich dann mit Tränen gefüllt, weil er die zeitweilige Trennung überhaupt nicht hatte vertragen können. Danach hatte er hemmungslos geplärrt. Die Erzieherin war äußerst umsorgt und bemüht gewesen, aber Yuuki hatte das überhaupt nicht interessiert. Und genauso so sah nun auch Gais Gesicht aus. Mensch, Gai! Mach uns jetzt bloß keine Szene.

„Wenn alle Sachen halbwegs ausgepackt sind, kannst du uns doch mal besuchen kommen...“ unternahm Kakashi einen abwiegelnden Versuch.

Gai entschloss sich jedoch lieber dazu, die prophezeite Szene durchzuziehen und heulte lauthals wie ein Schlosshund. Besorgte Menschen schaute aus ihren Fenstern nach dem vermeintlichen Unglück, entdeckten aber nur Gai und zogen sich seufzend und beruhigt wieder zurück, dass nichts Ernstes geschehen war.

„Ich dachte immer, wir wären Freunde...!“, heulte es nun vorwurfsvoll.

„Wir sind immer noch Freunde.“

Aber Gais Ohren waren wohl vernäht. Kakashi wies uns mit einem Kopfnicken gen Bahnhofstreppe. Er käme nach. Wir sollten nicht warten. Ich konnte ahnen, was sich mein Freund nun anhören müsste. Gai würde nun in Selbstmitleid versinken. Das kam immer mal wieder vor, wenn er betrunken war. Das konnte man noch nachvollziehen. Doch bei einer ganz bestimmten These würde er auf Granit beißen, nämlich diejenige, dass alles meine Schuld wäre. Nun hätte ich ihm Kakashi doch weggenommen. Nicht nur zeitlich, sondern auch räumlich. Und auf diese Diskussion ließ sich Kakashi überhaupt nicht ein. Darauf konnte ich mich verlassen. Niemand konnte Kakashi „wegnehmen“. Der „gehörte“ auch niemanden. Der machte prinzipielle nur das, was er wollte und ich konnte voller Dankbarkeit sein, dass er in seinem bewegten Leben auf dem ungeplanten Wege von Station zu Station ausgerechnet bei mir Halt gemacht hatte. Mittlerweile wusste ich das sehr zu schätzen, wo doch schon so viele versucht hatten, auf welcher Ebene auch immer, eine Beziehung zu ihm aufzubauen. Es mochte wohl auch der Grund sein, weshalb ich meine dominante Haltung gelegentlich zurückfuhr und für ihn aufgab. Sonst wären wir niemals auf einen grünen Zweig gekommen.

Zusammen mit den Kindern schleppten wir die Koffer und unsere unzähligen Einkaufstüten die Treppen hinauf. Bei der Menge hoffte ich, keinen Gepäckzuschlag zahlen zu müssen. Vielleicht hatten wir auch Glück und zu der späten Stunde hätten wir den Bummelzug ganz für uns.

„Kommt Papa nun nicht mit?“, fragte Asa ängstlich.

„Na klar tut er das. Der hüpft dem Zug genauso hinterher, wie ihr das auch immer auf dem Weg zur Schule macht. Dabei sollt ihr doch nicht immer auf dem Zugdach Schwarz fahren“, sprach ich salopp, konnte aber einen ungemütlichen Unterton nicht ganz vermeiden.

Der bezog sich aber auf das ungeplante auftauchen Gais und weniger auf die Unart der Kinder, häufig auf dem Zugdach zu hocken, weil sie zu gehfaul waren.

Tatsächlich teilten wir uns das Großraumabteil nur mit mit zwei Damen, die schon nach wenigen Stationen ausstiegen, so dass es nicht weiter störte, wie Asa eine halbe Stunde später lang ausgestreckt auf dem gepolsterten Doppelsitz schlief. Yuuki daddelte an seinem Handheld herum und war in eine ferne Spielewelt abgetaucht.

Das gleichmäßig Rattern des Nachtzuges wog mich bald ebenso in den Schlaf. Es ging so schnell, dass ich noch nicht einmal merkte, wie Kakashi einen Arm um mich legte und zu sich zog, damit ich nicht ständig mit dem Kopf nach vorne nickte. Natürlich war er dem Zug hinterher gehüpft. Versprochen war versprochen.
 

Endlich am Ziel angekommen, fühlte ich mich wie gerädert, doch die Vorfreude schubste ausreichend Adrenalin durch meinen Körper. Damit war ich wohl die einzige, die frisch fröhlich die staubige Straße hinunterstürmte. Der Rest folgte wie ein Schluck Wasser in der Kurve. Und als ich dann durch die Haustür trat, hatte ich schon fast das Gefühl, ich würde wie durch ein Portal in eine andere Welt wechseln. Wir waren im Morgengrauen angekommen. Ich mochte schon sagen, wir hatten dann ganz ungeniert den halben Tag verschlafen. Das Haus war ja nicht komplett leer. Jedes Mal, wenn wir zwischendurch hier waren, hatten wir schon Nützliches hinterlassen. Futon-Matten, Kochgeschirr, Essensvorräte, Waschzeug. Hätte es nicht gen Nachmittag an der Tür lange und schrill geläutet, wir wären wohl noch sehr lange dem Urlaubsmodus, der so schnell nicht enden würde, verfallen. Da wäre ein Container am Bahnhof abgestellt worden. Ob das wohl unserer wäre, wurde höflichst gefragt und sogleich sehr misstrauisch an mir vorbei ins Innere des Hauses gespäht. Man wollte im Dorfe unbedingt wissen, welche Gestalten sich nun in der Nachbarschaft tummelten. Ich unterdrückte ein Gähnen und nickte bejahend. Mit meiner verwegenen Wischmoppfrisur so eben aus dem Bett gefallen musste ich sehr gruselig ausgesehen haben. Nichtsdestotrotz fand ich schnell zu Worten, dankte höflichst und versprach, dass wir uns am späten Nachmittag der Sache annehmen würde.

„Wie lange kann der Container dort stehen bleiben? Hast du etwas mit der Umzugsfirma vereinbart?“, wollte Kakashi wissen, als wir uns nach einem schnellen Mittagsessen zur Teezeit auf den Weg machten.

„Wenn man es bezahlt, bestimmt sehr lange“, antwortete ich und beschloss, umgehend dort in der Firma anzurufen.

Wie erwartet konnten wir den Container gegen Gebühr noch bis Ende des Monats behalten. Das war eine gute Idee, denn so konnte man nach und nach alles mitnehmen, was man zuerst brauchte und gleich aufbauen. Weder Kakashi, noch ich gehörten zu der Sorte Mensch, die stets die heimischen vier Wände umdekorieren mussten. Einmal aufgebaut, stünde es dort für die nächsten Jahre. Demnach musste der Platz im neuen Haus gut gewählt werden. Also suchten wir als erstes die Teile der Betten und Kleiderschränke zusammen. Innenarchitekten und Raumausstatter würden die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, denn unser Haus war ein einziger Stilbruch. Dann folgten die Klamotten und so weiter und so fort. Zur Dämmerung war zu meiner Verwunderung schon gut die Hälfte des Containers ausgeräumt. Es lief unglaublich glatt. Erschöpft saßen wir dann auf dem Engawa, genossen das Rauschen des Meeres und den salzigen Luftzug.

Am nächsten Tag betrachteten wir den restlichen verpackten Hausrat nüchternen. Kakashi hatte vorgeschlagen, ganz viele der Umzugskartons in dem Verschlag neben dem Haus zwischenzulagern. Das Wetter würde die nächsten Tage so bleiben, so dass in dem alten Verschlag mit dem zerborstenen Dach unsere Sachen keinen Schaden nehmen würde, und dann könnte man nach und nach sich von allem Trennen, was nur noch Ballast wäre. Zumindest aber wäre der Container leer und würde nicht länger für Dorfklatsch sorgen. Es war nicht so, dass uns hier niemand kannte. Immerhin hatte man mich schon häufiger zu Gesicht bekommen, doch nun waren wir als Neulinge offiziell angekommen und wurden neugierig beäugt. Auf jeden Fall war der Wechsel vom Container zum Verschlag beschlossenen Sache. Man könnte es beinahe schon Ritual nennen, wenn in den nächsten Tagen, Wochen, Monaten mal eine der Kisten hervorgekramt und geöffnet wurde. Ganz, wie es uns beliebte. Da tauchten auch Erinnerungsstücke, alte Fotos und viele mehr auf, von dem man dachte, es wäre längst verschollen. Besonders Kakashi war erstaunt, wie viel sich noch aus seinem Leben wiederfand, zumal Konoha in seinem Leben dreimal zerstört worden war. Das mochte nicht zuletzt daran liegen, dass er immer alles in fein säuberlich nach und nach ins Regal gestapelt hatte und dann nie wieder ansah. Man wusste schon gar nicht mehr, was man alles mal so gesammelt hatte. Man barg es nur aus den Trümmern, um es in den nächsten Räumlichkeiten wieder genauso und unberührt ins Regal zu stellen. Dann konnten wir bis in die Nacht auf dem Engawa oder bei schlechtem Wetter im Wohnzimmer sitzen, ein Teil nach dem anderen aus der Kiste bergen und lange Geschichten dazu erzählen. Ich glaube, dass waren Moment, wo wir uns erst so richtig gegenseitig kennenlernten. So blöde das auch klingen mag. Doch es fühlte sich richtig an und so war es auch.
 

Wenn ich auf viele, vergangene Jahre zurückblicke, seit wir dieses Haus bezogen hatten, so mochte ich nur alleinig davon sprechen, dass es ein Synonym für gewesen Glück war. Viel zu spät nahmen wir die dunklen Wolken am Horizont wahr, die bedrohliche aufzogen. Und als sie sich entluden, war es bereits zu spät.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück