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Teamgeist

von
Koautor:  Seki

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Das Interview

„Crime Division, Scottland Police, Sutherland spricht“, erklang die Stimme des Chief Inspectors müde aus Kyras Telefon.

„Guten Morgen, Inspector Sutherland“, erwiderte Kyra. „Kyra Hare hier.“

„Ah, Ms. Hare.“ Der Polizist klang deutlich mitgenommen. Offenbar hatte er wenig Schlaf gehabt. „Entschuldigen Sie, dass ich Sie noch nicht zurückgerufen habe. Ich war gestern außer Haus.“

„Schon gut“, entgegnete Kyra. „Haben die Eltern von Graham etwas gesagt?“

„Wie?“ Für einen Moment klang Sutherland verwirrt. „Ach. Nun, nicht wirklich.“ Er zögerte für einen langen Moment. „Ms. Hare?“, fragte er dann. „Würde es Ihnen etwas ausmachen zur Station zu kommen?“

Kyra sah zu Watson, der noch immer nicht ganz getrocknet war. „Ähm. Nein. Nicht wirklich. Wenn Sie mir etwa eine Dreiviertelstunde geben …“

„Natürlich“, erwiderte Sutherlang fahrig. „Natürlich. Kommen Sie dann einfach zu meinem Büro.“

„Kann ich machen“, antwortete Kyra, etwas verwirrt, warum sie herkommen sollte. Ein mulmiges Gefühl sagte ihr, dass Sutherland sie wahrscheinlich von dem Fall abziehen wollte. Vielleicht hatte er die Antwort schon auf anderem Wege gefunden? Oder er war genervt, weil sie bisher keine Antworten gefunden hatte?

Sie würde warten müssen, sagte sie sich und holte ein Handtuch aus dem Bad, um Watson trocken zu rubbeln.

Immerhin konnte sie ihn kaum wieder mit Jason allein lassen. Zwar hasste sie es, ihn im Auto allein zu lassen, doch gab es kaum eine Alternative.

Also machte sie sich daran ihn zu trocknen, ehe sie ihn und die Hundedecke mit ins Auto nahm. Sie deckte Watson zu, während sie zur Polizeistation in der Fettes Avenue fuhr.

Wieder musste sie durch die Schleuse, sagte, dass sie zu Sutherland wollte und wurde dann durchgebuzzt. Wieder ging es in den zweiten Stock, nur an das andere Ende des Flures. Und irgendwie war Kyra froh, nicht auf Molly zu treffen.

Sie klopfte – ziemlich genau eine Dreiviertelstunde nachdem sie telefoniert hatten – an der Tür von Chief Inspector Sutherland.

Als er „Herein“ antwortete klang seine Stimme noch immer genau so müde, wie zuvor am Telefon, und als sie in das Büro kam, sah er auch nicht minder müde aus.

Er hatte deutliche Ringe unter den Augen.

Für einen Moment überlegte Kyra etwas dazu zu sagen, unterließ es aber. Sie wollte immerhin professionell wirken und kannte den Mann kaum.

„Ah, Ms. Hare“, begrüßte er sie und stellte seinen Kaffeebecher ab. „Gut, dass Sie herkommen konnten.“

„Kein Problem.“ Kyra war ein wenig unsicher, als sie die Tür hinter sich schloss, setzte sich aber, als er auf den Stuhl ihm gegenüber gestikulierte. „Warum sollte ich herkommen?“, fragte sie dann schließlich.

„Ah, ja“, erwiderte er und rieb sich kurz die Schläfen, als müsse er sich erst sammeln. „Entschuldigen Sie.“

„Kein Problem“, antwortete Kyra mit einem angedeuteten Schulterzucken.

„Nun, ähm …“ Er sah kurz auf seinen Rechnerbildschirm. „Ja … Ms. Hare. Würde es Sie stören, wenn ich Sie von Ihrem aktuellen Fall abziehe?“

Wusste sie es doch! Ach, verdammt. Nun, zumindest zwei Tage bezahlte Arbeit. „Natürlich nicht“, log sie. „Das ist Ihre Entscheidung.“

„Ah, gut“, erwiderte er. „Ich habe nämlich einen anderen Fall reinbekommen. Noch von heute Morgen. Und ja, ähm, ich brauche dringend Leute.“

Moment. Meinte er das, was sie glaubte, das er meinte? „Äh, wie?“

„Ähm, ja, entschuldigen Sie“, sagte er. „Wir haben heute morgen einen neuen Mordfall reinbekommen und … Nun, es gibt einige Leute, die mit dem Opfer zu tun hatten. Da der Fall von öffentlichen Interesse ist, haben wir Interesse daran ihn, wenn möglichst, schnell aufzuklären. Ich würde daher Sie damit beauftragen, die Interviews mit den Kollegen des Opfers durchzuführen. Sind Sie mit den Prozeduren vertraut?“

Für einen Moment starrte Kyra ihn vollkommen überfordert an, ehe seine Frage an ihr Bewusstsein durchdrang. „Ähm, ja, natürlich.“ Immerhin war sie lange genug mit Molly zusammen gewesen und hatte auch entsprechende Kurse belegt. Irgendwann einmal zumindest. „Natürlich“, wiederholte sie dann noch einmal. „Ähm … Ja.“

„Gut, gut“, antwortete der Polizist. „Sehr gut.“ Dieses Mal hatte er die Erklärungen offenbar bereits vorbereitet, denn er reichte sie ihr zum Unterschreiben hinüber.

Neben den üblichen Verschwiegenheitserklärungen gab es auch noch eine zu der Umstellung des Falls. Doch hey, wenn es wirklich ein Fall „öffentlichen Interesses“ – was auch immer dies bedeutete – war, konnte sie ja keinen allzu schlechten Eindruck zuvor hinterlassen haben. Sie klopfte sich mental auf die Schulter.

„Also, folgendes“, sagte Sutherland schließlich geschäftsmäßig und mit schneller Stimme, so als würde er sie möglichst schnell einweisen wollen, um dann selbst weiterarbeiten zu können. „Thalia von den Hibernian F.C. Ladies wurde vor wenigen Stunden ermordet aufgefunden. Da sie Teil der Mannschaft war und wir aktuell noch keinen Hinweis auf ein Motiv haben, sollen die anderen Mannschaftsmitglieder interviewt werden.“ Er reichte ihr eine neue Mappe herüber. „Da drin finden Sie eine Liste. Ein Teil der Teamkollegen werden wir selbst verhören. Es geht nur darum, einzugrenzen, wer möglicher Weise ein Motiv gehabt hat, sowie wo die einzelnen Teamkollegen vergangene Nacht waren.“ Er lächelte sie matt an. „Niemand erwartet von Ihnen mehr, als diese Interviews, ja?“

Aka, „Sie lösen nicht den Fall, das machen wir“, dachte sie sich. Ja, das war eine sehr übliche Grundlage, um einen Privatdetektiv anzuheuern. Immerhin war es die etwas langweilige Realität, dass es eher selten war, dass die Polizei selbst einen Privatdetektiv anheuerte, um à la Sherlock Holmes einen Mordfall aufzuklären. Viel eher wurden Privatdetektive hinter Papierkram, der aufgespürt werden musste, hergeschickt, oder eventuell irgendwelchen Erbstücken, die direkt oder indirekt mit dem Mord zu tun haben könnten. Oder sie wurden angeheuert um Leute, die mit einem etwaigen Mordopfer zu tun hatten, aber nicht prinzipiell verdächtigt wurden, zu interviewen, wie Sutherland es gerade mit ihr machte. Immerhin hatte die Polizei einfach nicht die Leute und nicht die Zeit, um den gesamten Bekanntenkreis des Opfers zu befragen, was jedoch oft genug notwendig war. Immerhin war das Leben keine Fernsehserie, wo der Kreis der möglichen Täter sich meist auf übersichtliche fünf beschränkte.

Sie öffnete die Mappe und fand darin eine Liste mit 14 Namen. Offenbar alles Fußballerinnen aus der Damenmannschaft der Stadt. Nun, das schien machbar, zumal die Adressen und Telefonnummern direkt dabei standen.

„Natürlich“, antwortete sie schließlich mit dem professionellsten Lächeln, dass sie zustande brachte. „Überlassen Sie das mir.“

„Danke.“ Sutherland nickte und schien tatsächlich dankbar zu sein. „Ich gebe Ihnen noch ein paar weitere Unterlagen mit. Wenn Sie die Befragungen bis in zwei Tagen abgeschlossen hätten, wäre ich Ihnen sehr verbunden.“

Blieb nur zu hoffen, dass alle 14 in den zwei Tagen zu erreichen waren. Doch Kyra nickte. „Natürlich.“
 

Kyra musste zugeben, noch immer überrascht zu sein. Klar, sie konnte verstehen, was Sutherlands Gedankengang gewesen sein musste. Denn ja, auch wenn es am Ende nur die „Frauenmannschaft“ war, war es eine lokale Fußballmannschaft, die – wie ein kurzer Blick auf Wikipedia ihr gesagt hatte – nicht einmal gänzlich schlecht abgeschnitten hatte bisher. Entsprechend war es zumindest für lokale Verhältnisse fraglos ein Mord, der öffentliches Interesse erregen würde, und sei es nur weil sich die lokalen Medien davon angezogen werden würden, wie Motten vom Licht.

Umso mehr war es jedoch überraschend für sie, dass er sie damit beauftragt hatte. Klar, sie würde nicht die einzige Detektivin sein, die das Umfeld des Opfers abklopfen würde, aber hey, für ihre Verhältnisse war es definitiv ein Schritt nach oben.

Irgendwo wurmte es sie, dass sie dem Fall mit Graham nicht weiter nachgehen konnte, doch was war schon eine illegale Operation gegenüber einem echten Mordfall?

Ja, eventuell war sie ein wenig zu erfreut darüber, in einem Mord zu ermitteln oder besser gesagt Leute befragen zu dürfen.

Dennoch: Sie wollte zeigen, dass es keine schlechte Entscheidung war. Entsprechend hatte sie sich zurück im Auto auch zuerst daran gemacht, die Unterlagen, die Sutherland ihr gegeben hatte, durchgeschaut.

Das Opfer, Talia Russel, war Verteidigerin der Mannschaft gewesen und von allem, was Kyra herauslesen konnte, eine der Spielerinnen, die meistens auch in Spielen aufgestellt wurden. Sie war mir 23 jung, doch dies schien nicht besonders ungewöhnlich im Profisport. Jedenfalls war sie am Morgen um kurz vor sieben von einer Mannschaftskollegin – Charleigh Aitken – tot aufgefunden worden. Bisher ging man davon aus, dass die Todesursache Stichwunden waren, die sie erlitten hatte. Der Autopsiebericht war noch nicht da, entsprechend wusste man es nicht mit Sicherheit, doch die Beschreibung der Leiche sprach von sieben Stichen in den Oberkörper, die wahrscheinlich mit einem Küchenmesser erfolgt waren.

Oh, die Politiker würden sich freuen. Ein Grund mehr, Nutzmesser einzuschränken.

Ms. Aitken würde von der Polizei befragt werden – natürlich. Dasselbe galt für Marcel Reilly, den Manager der Fußballmannschaft und wahrscheinlich ein paar andere Personen, die näher mit dem Opfer vertraut waren. Eltern, der Bruder, der erwähnt war, und sobald man darüber mehr wusste wahrscheinlich auch Lebensgefährte und, beziehungsweise „oder“ Expartner.

Kyras Liste umfasste die anderen Mannschaftsmitglieder. 14 an der Zahl. Und da sie nicht wusste, was sie sonst machen sollte, entschloss sie sich einfach oben in der Liste anzufangen, da den Adressen nach gleich zwei der Mitglieder im selben Haus lebten: Schwestern, offenbar, mit den Namen Lilly und Alexa Bell.

Offenbar war Alexa Bell die Mannschaftskapitänin. Es wunderte Kyra beinahe, dass sie als solche nicht direkt von der Polizei befragt wurde. Aber gut, was sollte sie sich beschweren?

Für einen Moment überlegte sie zuerst anzurufen, wie es die Höflichkeit diktierte. Dann jedoch entschloss sie sich dagegen. Hey, wenn eine der beiden mit dem Mord zu tun hatte, wollte sie ihr nicht lange Zeit geben, sich eine Ausrede zurecht zu legen.

Ja, sie dachte schon daran, den Fall zu lösen. Etwas, das sie explizit nicht tun sollte. Aber hey, wenn es sich so ergeben würde, dass sie den Fall durch einen Zufall lösen konnte, dann wäre ihr niemand deswegen böse, oder? Vielleicht könnte es dafür sorgen, dass sie häufiger angeheuert wurde.

Von dieser glorreichen Vorstellung beseelt fuhr sie zur Adresse, die in ihren Unterlagen angegeben war. Ein Haus das, wie sie feststellen durfte, in der Nähe von Silverglow lag. Nun, sie konnte nur Hoffen nicht Wright über den Weg zu laufen.

Mittlerweile hatte der Regen tatsächlich aufgehört, was ihr nur zu gelegen kam. In der Straße, an deren Rand sich Neubauten mit für Städteverhältnisse großen Gärten drängten, war es schwer einen Parkplatz zu kommen, so dass sie ein ganzes Stück entfernt von dem Haus mit der Nummer 21 parken musste, in dem die Geschwister lebten.

Die Bell-Geschwister waren 25 und 22 Jahre alt. Die Ältere, Alexa, war nicht nur Kapitänin, sondern auch Torwärtin der Mannschaft. Lilly war Stürmerin und laut ihren Unterlagen außerdem Sportstudentin.

Kyra kam ja nicht umher sich zu fragen, ob Frauenfußball, selbst in der ersten Liga, genug war, um davon zu leben. Immerhin hörte man alles in allem doch recht wenig davon.

Nun, hätte sie auch nur versucht eine Karriere als Sportlerin zu verfolgen, hätte sie sich wohl eher blamiert und dann den Hals gebrochen. Vielleicht auch in der umgekehrten Reihenfolge. Jedenfalls war Sport nie ihre Stärke gewesen, selbst wenn sie eine recht gute Ausdauer hatte und zumindest in Leichtathletik ganz gut abgeschlossen hatte.

„Magst du mitkommen?“, fragte sie Watson, der auf dem Rücksitz unter seiner Hundedecke lag und in einem wohligen Halbschlaf gefallen war.

Seine Ohren richteten sich auf, als er ihre Stimme hörte, und er hob müde den Kopf und sah sie fragend an.

„Magst du mitkommen, Junge?“, wiederholte sie ihre Frage und strich ihn über den Kopf.

Ein Schnauben, gefolgt von einem kurzen Bellen, war seine Antwort. Er stand auf und sein wedelnder Schwanz wischte über die Decke der niedrigen Wagenkabine.

„Na, dann komm mal“, meinte Kyra. Sie war ganz froh, ihn so mitnehmen zu können. Immerhin bedeutete es weniger schlechtes Gewissen und weniger vorwurfsvolle Hundeblicke. Blieb zu hoffen, dass die Fußballerinnen keine Hundehaarallergie oder vergleichbares hatten.

Diese Befürchtung stellte sich als unnötig heraus, wenngleich sie nicht an eine andere Möglichkeit gedacht hatte.

Das Haus schien ein Einfamilienhaus zu sein. Es war ein relativer Neubau und komplett weiß gestrichen, während das Dach mit blauen Ziegeln gedeckt war. Eine dreistufige Treppe führte zur Haustür hinauf, wo ein kupfernes Klingelschild verkündete, dass hier Familie – oder in diesem Fall wohl eher die Geschwister – Bell hier lebte.

Kyra klingelte und hörte bald darauf ein heiseres Kläffen aus dem Inneren. Etwas offenbar eher kleines schien eine Treppe herunterzukommen und sich auf der Innenseite der Haustür zu positionieren, um diese feindselig anzubellen.

Watson gefiel das natürlich gar nicht und erwiderte das Kläffen seinerseits mit einem tiefen Bellen.

„Ist ja gut“, meinte Kyra und hockte sich neben ihn, um ihn festzuhalten. Das letzte, was sie brauchte, war ein Watson, der auf einen kleineren Hund losging und ihr damit die Ermittlung, beziehungsweise Befragung erschwerte. Sie tätschelte seine Seite. „Ist gut, Junge. Ist nur ein Bettvorleger. Kein Grund zur Aufregung.“

Watson hörte zumindest auf zu bellen, ließ jedoch weiterhin ein leises Knurren hören, während das Bellen von drinnen nicht verstummte.

Dann hörte Kyra Schritte, gefolgt von einer Stimme. „Ist ja gut, Blake“, sagte die Stimme. Dann war es kurz still, ehe die Tür von einer jungen, kräftig gebauten Frau, die einen vor Aufregung zitternden Spitz auf dem Arm hatte, geöffnet wurde.

„Ja?“, fragte die Frau und schob verwirrt die Augenbrauen zusammen, als sie Kyra sah. „Ähm, was kann ich für Sie tun?“

Wie immer spulte Kyra ihre Begrüßungsformel ab. „Guten Tag. Mein Name ist Kyra Hare. Ich bin Privatdetektivin und bin im Auftrag der Polizei hier.“ Wie kramte ihre Zulassung und den Wisch, den Sutherland ihr gegeben hatte, hervor.

Misstrauisch musterte die Frau, die wohl Alexa Bell war, Kyra. Dann begutachtete sie die Zulassung und seufzte. „Sie sind wegen Talia da, oder?“

„Das ist korrekt“, erwiderte Kyra. „Sie haben schon davon gehört?“

Alexa Bell nickte nur. „Wie kann ich Ihnen helfen?“

„Ich soll Sie kurz zum Opfer befragen“, antwortete Kyra. „Also Sie und ihre Schwester, Lilly Bell. Ist sie hier?“

„Klar“, erwiderte die ältere Bell-Schwester. „Sie ist aber unter der Dusche.“ Sie zögerte, offenbar unsicher, ob sie Kyra herein lassen sollte, trat dann aber bei Seite. „Wollen Sie hineinkommen?“

„Gern.“ Kyra kam herein, gefolgt von Watson, der dem schwarzen Spitz einen herabwürdigenden Blick zuwarf. Watson mochte keine kleinen Hunde.

Ganz begeistert war Alexa Bell wohl nicht, dass auch Watson reinkam. Jedoch schien sie nichts dagegen sagen zu wollen. Stattdessen führte sie Kyra in eine relativ kleine Küche und zeigte auf den Tisch. „Wenn Sie sich setzen würden“, meinte sie gestelzt. „Ich sage meiner Schwester kurz Bescheid.“

Kyra nickte nur zustimmend und sah der jungen Frau hinterher.

Alexa Bell hatte eine recht abgetragene Jeans und ein ziemlich weites T-Shirt an. Sie sah nicht aus, als ob sie das Haus noch verlassen wollte.

Für einen Moment ärgerte sich Kyra, dass sie Sutherland nicht gefragt hatte, wie das überhaupt mit dem Training der Mannschaft aussehen würde. Fiel es aus? Wann trainierten sie? Immerhin, so fiel ihr nun ein, hätte sie auch Pech haben können und niemanden antreffen können. Das wäre unpraktisch gewesen, vor allem wenn sie bedachte, dass das Trainingscenter ein ganzes Stück außerhalb der Stadt lag.

Wartend musterte Kyra die Küche, die wirklich erstaunlich klein war, wenn man das Haus bedachte. Sie schätzte die Küche nur auf dreiviertel der Größe der Küche ihrer Wohnung. Dafür wirkte alles hier nagelneu. Die Schränke waren in einem modernen, weißen Plastikdesign gehalten und auch die Bodenfliesen, sowie die Fliesen an der Wand waren strahlend weiß. Offenbar wurde hier nicht viel gekocht.

Bevor sie wieder von Alexa hörte, kam der Spitz – Blake – wieder die Treppe runter und stellte sich in die Küchentür, um Watson erst einmal ausgiebig anzukläffen.

Watson knurrte zurück, bis Kyra ihn anstupste und dafür einen beleidigten und verständnislosen Blick erntete.

„Nun, ähm“, meinte Alexa Bell, als sie keine zwei Minuten später die Treppe hinab kam. „Was wollen Sie denn wissen?“

Kyra holte ihren Block heraus. „Fangen wir damit an, was Sie mir über Ms. Russel sagen können.“

„Talia?“ Alexa zögerte und setzte sich erst einmal auf einen der anderen beiden Stühle in der Küche. „Sie war eine gute Spielerin.“ Wieder hob sie den Spitz vom Boden auf und streichelte Geistesabwesend seinen Kopf. „Allerdings … Wir waren nie wirklich Freunde.“

„Aha?“ Überrascht sah Kyra sie an. Normal waren das etwas, was kaum jemand in der Befragung nach einem Mord sagte. Entweder, weil sich die Leute fürchteten, verdächtig zu wirken, oder weil sie nicht schlecht über den Toten reden wollten.

„Sie war neidisch auf Lilly“, meinte Alexa. „Lilly hat als Stürmer mehr Aufmerksamkeit bekommen als Talia in der Verteidigung. Daher … Na ja, Talia meinte halt immer, dass ich Lilly nur weil sie meine Schwester ist als Stürmer aufgestellt habe.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Dachte, es wäre nur fair, sowas zu erwähnen.“

„Ja …“, murmelte Kyra nur und notierte sich das.

„Ansonsten … Außerhalb von Spielen und Training hatten wir wenig miteinander zu tun“, fuhr Alexa Bell fort, weiterhin eine Hand auf dem Kopf des Hundes. „Also klar, wir waren mal ab und an auf Partys zusammen, mit anderen Leuten in der Mannschaft. Aber nicht mehr. Entsprechend weiß ich wenig über sie.“ Ein erneutes Schulterzucken.

„Okay, verstehe“, sagte Kyra, um sich eine kurze Pause zu erwirtschaften, ehe sie weiter fragte: „Was ist mit Freunden innerhalb der Mannschaft? Oder auch so? Hat sie vielleicht mal jemanden mitgebracht?“

Alexa schien auf die Innenseite ihrer Wange zu beißen, während sie überlegte. „Halt Charleigh. Charlyn und Willow. Also das waren die in der Mannschaft, mit denen sie abgehangen ist.“ Ein weiteres Schulterzucken. „Ansonsten … Da war mal dieser Kerl … Jamie. Den hatte sie vor 'ner Weile mal auf eine Feier mitgebracht. Wahrscheinlich der damalige Macker.“ Als sie Kyras fragenden Blick sah, fügte sie hinzu: „Den Nachnamen von dem kenne ich nicht.“

Kyra nickte und notierte sich den Namen Jamie mit einem Fragezeichen dahinter. Vielleicht wusste ja jemand anderes was über ihn. „Sonst irgendwas? Mit wem kam sie nicht gut aus?“

„Mit den meisten“, erwiderte Alexa. „Na ja, okay, das ist übertrieben. Aber sie hat halt viel gezickt wegen Kleinkram, nicht? Also sie und Eleanor hatten sich irgendwann mal in den Haaren … Irgendwas, weil sie Eleanor wohl den Freund ausgespannt hat. Weiß' nicht, was dran ist. Da fragst du am besten Elly.“

„Okay.“ Eine weitere Notiz.

„Außerdem hat sie sich vor zwei Wochen ziemlich mit Irene gezofft“, fügte eine weitere Stimme hinzu und Kyra bemerkte, dass die jüngere Schwester, die etwas kleiner und sehniger als Alexa war, nun in der Tür stand. Ihr braunes Haar war relativ kurz geschnitten, so dass es nur knapp über die Ohren fiel. „Ich weiß aber nicht, worum es da ging. Die beiden haben nur in der Umkleide auf einmal einen Streit angefangen. Irgendwas ging Irene nicht an.“ Auch sie zuckte die Schultern und wirkte dabei trotz unterschiedlichem Körperbau und anderer Frisur ihrer Schwester sehr ähnlich.

Kyra sah sie an. „Lilly Bell, nehme ich an.“

Die jüngere Schwester nickte und kam hinüber, um sich auf den letzten Stuhl zu sitzen. „Und Sie sind die Privatdetektivin?“

„Kyra Hare“, stellte Kyra sich vor.

Lilly nickte und sah dann mit einem kindlichen Glänzen in den Augen unter den Tisch und streckte eine Hand nach Watson aus. „Und das ist?“

„Watson“, erwiderte Kyra, während Watsons Schwanz begann gegen den Stuhl zu wedeln.

„Wie bei Sherlock Holmes?“, fragte Lilly.

„Genau so.“

Mittlerweile war Watson aufgestanden und hatte zwei Hundeschritte auf Lilly zugemacht, die ihn nun am Hals kraulte. „Braver Junge. Brav.“

Ein Bellen, das den Spitz zusammenfahren ließ, war die Antwort.

„Ähm ja“, meinte Kyra. „Ich müsste übrigens gleich noch ihre Ausweise sehen.“ Das war ihr auch gerade erst wieder eingefallen. Sie machte das ganze für die Polizei eindeutig zu selten.

„Kein Problem“, meinte Alexa mit hochgezogener Augenbraue. „Ähm, jetzt direkt.“

„Reicht nachher.“ Nun war es Kyra, die mit den Schultern zuckte und sich der jüngeren Schwester zuwandte. „Ich nehme an, auch Sie haben schon gehört …“

„Dass Talia tot ist?“ Der Blick auf dem Gesicht der jungen Frau wurde ernster und sie setzte sich wieder ganz auf. „Ja.“

„Können Sie mir noch etwas über Ms. Russel erzählen?“, fragte Kyra.

Lilly zuckte mit den Schultern. „Sie war neidisch auf meine Position und hat immer Streitereien mit allen angefangen.“ Sie legte den Kopf auf die Seite. „Ansonsten … Ja … Halt nicht viel?“

„Sie wirken wenig betroffen von ihrem Tod“, stellte Kyra fest und wieder war ein Schulterzucken die Antwort.

„Na ja, ich meine, es ist schon hart“, meinte Lilly Bell defensiv. „Als ich heute morgen davon gehört habe, ist es mir schon ganz schön zu Magen geschlagen. Also mehr, dass es ein Mord war, als alles andere, ne? Aber … Ich mein, ich bin ehrlich, ich mochte die Zicke nicht besonders und … Ja, ich mein. Ja …“ Sie schien nach den richtigen Worten zu suchen. „Ich habe ihr nicht den Tod gewünscht, aber … Ich bin nicht wirklich überrascht?“ Sie formulierte es beinahe wie eine Frage, während sie nun zu ihrer Schwester sah.

„Inwiefern nicht überrascht?“, fragte Kyra.

Noch ein Schulterzucken. „Weiß nicht. Sie wurde ja in ihrer Wohnung gefunden, nicht? Und ja … Das heißt ja, dass jemand mit ihr in der Wohnung war, den sie reingelassen hat, oder?“

Kyra schwieg nur. Natürlich war sie auch schon zu diesem Schluss gekommen, aber es konnte genau so gut sein, dass man noch irgendwo Einbruchspuren fand oder der Mörder einen Schlüssel gehabt hat.

„Ich geh' davon aus, dass jemand da war und sie einen Streit angefangen hat“, meinte Lilly. „Sie konnte manchmal unausstehlich sein.“

„Aha“, machte Kyra nur und notierte sich auch das.

„Also ich mein, ich hätte sie nicht getötet“, setzte Lilly schnell nach und verschränkte die Arme. Ihr war offenbar klar geworden, wie das ganze klang. „Aber ja, ich mein, ich hätte ihr einige Male echt gern den Hals umgedreht, wenn Sie verstehen.“

„Ja …“ Kyra unterdrückte nur schwer ein Seufzen. „Würde Ihnen denn jemand einfallen, der auf so ein Verlangen hin handeln würde?“

„Ne“, meinte Lilly nur und sah zu ihrer Schwester.

Diese fügte hinzu: „Ich glaube nicht, dass es jemand aus dem Verein war. Eher … Keine Ahnung, vielleicht ein Freund oder sowas?“

Kyra nickte. Dann zögerte sie. „Nur der Vollständigkeit halber: Wo waren Sie letzte Nacht?“

„Zu Hause“, antwortete Alexa.

„Beide“, fügte Lilly hinzu.

„Wir können es gegenseitig bestätigen“, stimmte Alexa zu.

Noch einmal nickte Kyra und notierte sich das. Dann seufzte sie. „Darf ich dann nur fürs Protokoll ihre Ausweise sehen?“

Wenn es stimmte, was die Schwestern sagten, konnte das noch heiter werden. Sie beneidete die Polizisten nicht, denn wenn die beiden Recht behielten, gab es mehr als eine Person mit einem Motiv – die beiden eingeschlossen.

Training

Kyras Gedanken sollten sich bestätigen, als sie weiterfuhr um mit den anderen Spielerinnen zu sprechen.

Als nächstes besuchte sie Eleanor Anderson, diejenige von der die Bellschwestern behauptet hatte, Russel hätte ihr einen Freund ausgespannt. Eleanor derweil schwor, sie hätte es nur versucht, wäre aber nicht damit durchgekommen. Dennoch beschwerte auch sie sich über Russel und darüber, dass diese einfach keine Teamspielerin gewesen sei.

Was hatte sie dann in einer Fußballmannschaft gemacht?

Ms. Anderson erzählte zudem, dass Maia – Kyra schloss mit Blick auf die Liste, dass es sich um Maia Kerr handeln müsste – auf einer Feier nach einem Spiel vor knapp zwei Wochen sich ziemlich mit Russel gestritten hatte. Außerdem meinte sie beiläufig, dass Russel hätte Marcel, den Teammanager, vor einer Weile abblitzen lassen. Zumindest – so ihre Worte – „sagte man sich das“.

Die nächste Spielerin, Miley Bruce, war schon etwas erschütterter von Russels Tod, war laut eigenen Aussagen jedoch auch nicht mit ihr befreundet gewesen. Auch sie erzählte von dem Streit zwischen Russel und Irene Duncan und dass Irene ihr nur hatte helfen wollen, immerhin hätte Russel seid einer Weile bedrückt gewirkt.

Danach besuchte Kyra Kelsi Craig – oder versuchte dies zumindest. Am Ende jedoch stand sie nur fünf Minuten vor einer geschlossenen Wohnungstür.

Das war der Moment, wo sie beschloss, das mit der mehr oder minder alphabetischen Reihenfolge sein zu lassen und als nächstes Regina Hunter zu besuchen, da sie nur eine Straße von Craig entfernt lebte.

Ms. Hunter wiederum wirkte eher mitgenommen. Von ihr bekam Kyra zum ersten Mal das übliche Unverständnis, das sie erwarten würde, zu hören. „Aber wer würde so etwas tun?“ Sie war sich mehr als sicher, dass es niemand aus der Mannschaft gewesen sein könnte und auch sie erwähnte diesen „Jamie“ ohne einen Nachnamen zu wissen. Allerdings stimmte sie nach einer Weile zu, dass Russel vor allem im letzten Jahr immer wieder angeeckt sei.

Danach beschloss Kyra erst einmal den aktuellen Tag zu beenden – nicht zuletzt da sie auf der letzten Seite ihres Notizblocks angekommen war. Sie fuhr nach Hause, schrieb ihren Bericht, schickte diesen Sutherland und war danach froh ihre Beine ein wenig hochlegen zu können.

Am nächsten Tag machte sie bei Abbey Crawford weiter. Auch sie konnte sich nicht vorstellen, dass es jemand gewesen war, den sie kannte. Allerdings war sie offenbar auch jene Art von Tratschtante, die gerne noch dies und jenes erzählte. So erfuhr Kyra von ihr, dass das Team aktuell keinen eigenen Trainer hatte, da sich vor zwei Monaten herausstellt hatte, dass der letzte Trainer eine Beziehung mit einem Mannschaftsmitglied geführt hatte und seither suspendiert war – wie auch das Mannschaftsmitglied, eine Veronica Hearth. Irgendwas, irgendwas, offenbar hatte er sie bevorzugt behandelt. Weiter ging es mit der Geschichte die Kyra schon am Vortag gehört hatte: Offenbar hatte „Marcel“ Interesse an Russel gehabt und diese hätte ihn abblitzen lassen. Einfach so. Aber wahrscheinlich war dies ja auch besser für ihre Karriere. Noch eine Spielerin an sowas zu verlieren, das brauchte man ja nicht, so Crawford.

Auch wenn Kyra kein Fan von Klatsch und Tratsch war schrieb sie bereitwillig mit. Immerhin lag vielleicht in genau diesen Dingen gerade etwas, das man gebrauchen konnte.

Danach schaffte sie es Kelsi Craig endlich in ihrer Wohnung aufzufinden, die erklärte, dass sie nach den Neuigkeiten am Vortag zu ihren Eltern gefahren war. Neues hatte sie jedoch auch nicht zu erzählen.

Im Alphabet kam Irene Duncan als nächstes, die allerdings auch in der Nähe von Ishita Javinja und Isabelle Lee lebte. Die drei Is, dachte Kyra sich selbstironisch, als sie in der Straße vorfuhr. Sie lernte hier noch ganz neue Gegenden der Stadt kennen.

Alle drei lebten in der Nähe der botanischen Gärten und da Watson auf dem Rücksitz langsam etwas verzweifelt wirkte, machte sie mit ihm – bevor sie mit den Befragungen fortfuhr – einen kleinen Spaziergang am Rand des Parkgeländes entlang. Immerhin war das Wetter heute bewölkt und kühl, aber nun gänzlich trocken.

Ironischer Weise war es hier, ein ganzes Stück von Silverglow entfernt, dass sie der Person, mit der sie am wenigsten zu tun haben wollte über den Weg lief. Während sie mit Watson an der Leine einen der Wege entlang lief, kam ihr eine auf den zweiten Blick vertraute Gestalt entgegen. Wright. Großartig.

Der Kleidung und Fortbewegungsart nach zu schließen, kam er hierher um zu joggen.

Schon spannte sie sich an, darauf gefasst, dass er irgendeinen Blödsinn machte, doch er nickte ihr nur mit einem grimmigen Gesichtsausdruck zu und lief weiter, während Watson sich einmal mehr an Kyras Beine drückte und zwischen Knurren und Winseln schwankte.

Nun, zumindest hatte Wright sie nicht erneut bedroht. Zumindest etwas. Arschloch.

Bald darauf machte sie sich auf den Rückweg zur Straße in der Duncans Wohnung lag. Überraschung, sie war nicht da. Zumindest schloss Kyra das nach mehrmaligem Klingeln.

Entsprechend entschloss sie sich mit einem Seufzen es erst einmal mit Javinja und Lee zu probieren. Vielleicht war Duncan ja nur einkaufen. Ansonsten … Am nächsten Tag – so viel hatte sie mittlerweile erfahren – würde das Training wieder stattfinden. Also sollte Duncan ja da sein, oder?

Während sie in der Küche der beiden offenbar nicht miteinander verwandten Fußballspielerinnen saß, die ebenso wenig neues erzählten, fragte sich Kyra, ob die beiden nur befreundet waren oder in einer Beziehung waren. Sie fühlte sich unwillkürlich an diesen Mädchen-Fußball-Film mit Keira Knightley erinnert, in dem die Hauptcharaktere ursprünglich hatten lesbisch sein sollen. Immerhin war der Hauptcharakter in dem Film auch indischer Abstammung gewesen.

Natürlich waren die beiden einander das Alibi und waren am entsprechenden Abend offenbar mit anderen Freunden unterwegs gewesen, die man wohl auch fragen könne. Allerdings hatten auch sie wenig mit Russel zu tun gehabt. Lee gab offen zu, nicht besonders gut mit ihr ausgekommen zu sein, aber das nur, weil sie selbst meistens auf der Ersatzbank saß und wie Russel eine Verteidigerin war. So sagte sie. Dennoch schienen beide angemessen über den Todesfall schockiert.

Als sie die Wohnung der beiden verließ, machte sie noch einmal einen Abstecher zu dem Haus in dem Irene Duncan lebte, doch erneut ohne Erfolg. Vielleicht war auch sie irgendwo anders hin gefahren?

Eventuell sollte sie bei Sutherland nachfragen. Technisch gesehen hatte sie auch die Handynummer von Duncan und noch immer hatte sie die Möglichkeit einfach am nächsten Tag beim Training zu schauen.

Abwarten, sagte sie sich.

Der Nachmittag war durch all die Gespräche und die Herumfahrerei erstaunlich weit voran geschritten, als Kyra schließlich noch Aleesha Murphy besuchte. Diese lebte mit ihrem Freund und dessen Bruder zusammen und warf Watson einen bösen Blick zu, als dieser ihre Katze anknurrte und jagen wollte. Nachdem Kyra Watson ins Auto zurück gebracht hatte, froh, dass das Wetter kühl war, sprach Ms. Murphy am Ende jedoch mit ihr.

Sie schien mehr wütend als irgendetwas anderes über den ganzen Vorfall zu sein und begann nach einer Weile vor allen Irene Duncan zu beschuldigen. Immerhin hätte sie sich oft mit Russel gestritten, das eine Mal vor zwei Wochen war – laut ihr – nur die Spitze des Eisbergs gewesen.

Auch das notierte sich Kyra und beschloss am kommenden Tag andere Spielerinnen des Teams dazu zu befragen. Was blieb ihr auch anderes übrig?

Kurz überlegte sie noch ein oder zwei weitere Befragungen durchzuführen, doch dann beschloss sie es für diesen Tag sein zu lassen. Immerhin wäre es am nächsten Tag ohnehin einfacher durchzuführen – mit all ihren „Opfern“ an einer Stelle.

Außerdem hatte sie Hunger, da sie seit dem Frühstück nicht mehr als ein wenig Teegebäck gegessen hatte.

Entsprechend fuhr sie nach Haus, machte sich daran Spaghetti zu kochen und schrieb schmatzend – und unfreiwillig die ein oder andere Nudel mit Watson teilend – ihren Bericht für den Tag mit einer Zusammenfassung aller Befragungen. Nach einem Bad, das sie sich eindeutig verdient hatte, legte sie sich schließlich, auch wenn es noch früher Abend war, ins Bett, um noch ein wenig zu lesen.
 

Am nächsten Tag stand sie – für ihre Verhältnisse – früh auf. Das Training begann laut den Informationen, die Sutherland ihr gegeben hatte, bereits um 10 Uhr in der Früh und da das Trainingscenter in East Lothian lag, also gut eine halbe Stunde bei guter Verkehrslage entfernt, während sie auch mit dem morgendlichen Rushhour-Verkehr rechnen musste. Da sie die Zeit optimal nutzen wollte, wollte sie nicht riskieren zu spät zu kommen. Sie konnte sich immerhin denken, dass es wesentlich schwerer werden würde, Leute zu befragen, wenn sie diese aus dem Training herausnehmen musste.

Sie stand gerade vor einer Ampel, als ihr Handy klingelte. Molly, sagte ihr der Bildschirm. Na wunderbar. Was wollte Molly nun von ihr?

Für einen Moment überlegte sie nicht dran zu gehen. Immerhin saß sie gerade am Steuer und sie wollte doch keine Ordnungswidrigkeit begehen oder gar riskieren, dass sie einen Unfall baute. Dennoch. Vielleicht war es was wichtiges. Oder Molly wollte nur sicher gehen, dass sie nichts „falsches“ machte.

Grummelnd ging Kyra dran. „Was gibt es, Molly?“, fragte sie direkt, ohne sich zu melden.

„Nichts besonderes“, erwiderte ihre Exfreundin. „Ich wollte eigentlich nur hören, wie du voran kommst.“

„Hat Sutherland nichts gesagt?“

„Ich arbeite nicht an dem Fall“, entgegnete Molly nur tonlos.

Kyra konnte nicht anders: Ein leichtes Grinsen breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Na so etwas. „Dann weißt du, dass ich dir auch nichts sagen darf.“

Ein kurzes Schweigen, dann eine sehr gepresste Antwort: „Ja. Ich wollte nur sicher gehen, dass …“

„Ich keinen Unsinn mache?“, versuchte Kyra genervt den Satz zu beenden.

„Dass alles in Ordnung ist“, entgegnete Molly mit Nachdruck. „Wenn du Hilfe brauchst …“

„Dann rufe ich Sutherland an“, antwortete Kyra. Sie zuckte mit den Schultern, auch wenn Molly es nicht sehen konnte. „Entspann dich mal. Es ist alles in Ordnung. Ist rede mit ein paar Leuten, mehr nicht.“

„Uhum“, machte ihre Exfreundin nur, als wolle sie das nicht so ganz glauben.

Kyra seufzte leise. „War das alles?“

Für einen Augenblick zögerte Molly. „Ja“, sagte sie dann schließlich. „Du weißt, wenn etwas ist …“

Natürlich wusste Kyra, was sie sagen wollte, doch sie kam nicht umher sich wieder einmal ob des vermeintlichen Misstrauens verletzt zu fühlen, weshalb sie antwortete: „Dann wende ich mich an Chief Inspector Sutherland.“

Wieder ein kurzes Schweigen, dann: „Ja, genau.“ Ein halb unterdrücktes Seufzen folgte. „Mach das.“

„Werde ich“, erwiderte Kyra. „Mach dir nicht so viele Gedanken.“ Dann fügte sie hinzu: „Ich muss auflegen. Ich bin fast da.“

Wieder zögerte Molly. „Okay“, sagte sie schließlich ehe Kyra auflegte.

Was musste Molly nur alles so kompliziert machen? Konnte sie nicht einmal darauf vertrauen, das alles nach Plan lief?

Kyra schüttelte den Kopf und sah sich an der nächsten Ampel zu Watson um, der entspannt auf der Rückbank lag. „Was soll ich nur wegen ihr machen?“, fragte sie ihn.

Überrascht hob der den Kopf und sein Schwanz begann zu wedeln. Er bellte kurz auf.

„Ich versuch's“, murmelte sie und seufzte noch einmal, ehe sie sich wieder auf die Straße konzentrierte.

Zumindest kam sie ohne große Zwischenfälle an dem Trainingsplatz an und parkte auf dem kleinen Parkplatz vor dem Center, das offenbar die Umkleiden und wahrscheinlich auch ein paar andere Einrichtungen behauste. Immerhin teilte sich die Damenmannschaft das Center sowohl mit der U20 Herrenmannschaft, als auch der normalen Herrenmannschaft. Kyra hatte sich das ganze auf Google Maps angesehen, wo man gut erkennen konnte, dass eine ganze Hand voll Spielfeldern zu dem Center gehörte, das vor knapp zehn Jahren gebaut worden war.

Zugegebener Maßen war sie ein wenig unsicher, was sie nun genau machen sollte. Immerhin war sie nicht angekündigt und war sich nicht sicher, ob sie überhaupt herein gelassen werden würde. Nun, sie hatte alles Recht hier zu sein und wenn es ein Problem gab, würde sie genau das machen, was sie Molly gesagt hatte: Sutherland anrufen.

Also musste sie es einfach probieren.

„Komm, Watson“, sagte sie und klappte den Fahrersitz vor, damit Watson hinter ihr herausspringen konnte.

Natürlich hing auch hier einmal wieder ein „keine Hunde erlaubt“ Schild. Wirklich. Was sollte Watson denn schon in einem Trainingscenter kaputt machen können? Er war ja immerhin gut genug erzogen, um sich nicht in irgendwelchen Zimmerecken zu erleichtern.

Sie seufzte und sah sich dann um. Gerade als sie die Hand auf den Türgriff gelegt hatte, hörte sie Schritte hinter sich und sah eine junge, dunkelhäutige Frau, deren Haare in dünne Zöpfe geflochten waren, welche wiederum von einem Haarband zurückgehalten wurden, auf sich zukommen. Die Frau sah übermüdet aus, ihre Augen rot unterlaufen, sah Kyra aber mit so etwas wie Freundlichkeit in den Augen an. „Guten Morgen“, sagte sie und musterte Kyra.

„Guten Morgen“, erwiderte Kyra. Wenn sie nach den Bildern auf der Webseite der Mannschaft ging, musste dies Charleigh Aitken sein, diejenige, die die Leiche gefunden hatte. Derweil wartete sie selbst nur auf eine Frage, die fraglos kommen würde – und natürlich kam sie, wenngleich nicht ganz so, wie Kyra gedacht hatte.

„Sie sind die Detektivin, ja?“

„Ähm, ja.“ Etwas nervös hielt Kyra ihr die Hand hin. „Kyra Hare.“

Ms. Aitkin schüttelte ihr die Hand. „Charleigh Aitkin.“

Kyra nickte. Sie wollte nicht sagen, dass sie sich das gedacht hatte. Wäre das nicht rassistisch gewesen, wenn man bedachte, dass Charleigh das einzige Mannschaftsmitglied mit so dunkler Haut war.

„Sie sind wegen der Befragungen hier?“, schloss Ms. Aitkin.

Erneut nickte Kyra. „Ja. Ich habe mir gedacht, ich werde heute niemanden bei sich zuhause finden“, erwiderte sie.

„Da könnten Sie recht haben“, erwiderte Aitkin und schien sich um ein Lächeln zu bemühen.

Kyra musste zugeben überrascht zu sein, dass die junge Frau überhaupt hier war. Wenn man einen Freund von ihr ermordet hatte, wäre sie wohl kaum in der Lage zwei Tage darauf wieder normal arbeiten zu gehen. Entsprechend zögerte sie. Was sollte sie sagen? Zumal sie Ms. Aitkin ja nicht befragen sollte. „Ähm …“ Ach, verdammt noch mal! „Sie waren es, die …“ Sie hielt sich davon ab „die Leiche“ zu sagen. „Sie waren es, die Ms. Russel gefunden hat, nicht wahr?“

Aitkin nickte. „Ja.“ Sie seufzte und sprach mit eher tonloser Stimme weiter. „Wir … Normal gehen wir jeden Morgen gemeinsam joggen. Aber vorgestern … Sie ist nicht zur Tür gekommen, als ich geklingelt habe. Ich wusste, dass etwas nicht stimmte und bin nachsehen gegangen. Und als ich durch das Küchenfenster geschaut habe lag sie da.“

Kyra nickte, unsicher was sie dazu sagen sollte. Dagegen hatte Watson eine recht gute Idee. Er machte einen Schritt auf die junge Frau zu und stupste ihr Bein mit seiner Schnauze an. Dann sah er sie an.

Wieder zeigte sich ein mattes Lächeln auf dem Gesicht Aitkins und sie strich über Watsons Kopf, woraufhin dieser mit den Schwanz wedelte. „Ihr Hund?“, fragte sie.

„Ja“, erwiderte Kyra. „Das ist Watson. Mein treuer Assistent.“

Aitkin nickte und lächelte erneut ob des Namens. „Ich verstehe.“ Dann sah sie zur Tür. „Eigentlich sind keine Hunde erlaubt.“

„Er jagt schon keine Fußbälle“, meinte Kyra halb scherzend. „Wie sollte ich ohne ihn arbeiten?“

Daraufhin nickte die andere. „Nun, ich werde nichts sagen. Sie sollten sich eher Gedanken um Marcel machen …“

„Der Manager?“

„Genau“, erwiderte Aitkin. „Er nimmt ein paar Sachen in letzter Zeit zu genau … Wahrscheinlich seit der Sache mit Victoria und Johnny.“

„Der alte Trainer?“, schloss Kyra.

Zur Antwort nickte Aitkin nur.

„Ich glaube, Marcel …“ Sie brach ab und schüttelte den Kopf. „Das hat nichts mit all dem zu tun.“ Sie holte tief Luft, während sie einen Flur, der Kyra an die Sporthalle ihrer Schule erinnerte, hinabliefen.

Irgendwie hatte sie sich das ganze glamouröser vorgestellt.

„Ich kann es immer noch nicht ganz glauben“, meinte Aitkin schließlich und blieb stehen, da sie offenbar vor der Umkleide angekommen waren.

Unsicher sah Kyra zu Watson, in der Hoffnung, dass er etwas machen würde. Natürlich tat er das nicht sondern sah nur mit leicht aufgestellten Ohren zu ihr hinauf.

„Ich …“, begann sie, hielt aber noch rechtzeitig inne. „Ich bin mir sicher, die Polizei wird den Täter ausfindig machen.“

Aitkin nickte. „Wenn ich irgendwie helfen kann …“

Nun, eigentlich war sie nicht hier um zu ermitteln. Es sei denn natürlich, es ergab sich eine gute Möglichkeit. „Dann komme ich darauf zurück“, meinte sie mit einem – so hoffte sie – sanften Lächeln. Selbst wenn sie nicht angeheuert worden war um zu ermitteln, kam es ihr unfair vor, dies der jungen Frau so zu sagen.

Erneut bekam sie nur ein Nicken zu Antwort und fühlte sich ein wenig unwohl, ehe sie sich etwas anderes überlegte.

„Ich habe ehrlich gesagt nicht damit gerechnet, dass Sie heute schon wieder hier sind“, meinte sie.

Daraufhin zuckte die junge Frau hilflos mit dem Schultern. „Es bringt mich auf andere Gedanken“, murmelte sie. „Außerdem … Es ist für die Mannschaft. Wir dürfen deswegen doch nicht …“ Sie wich ihrem Blick aus und seufzte. Dann schüttelte sie den Kopf. „Ich sollte mich umziehen gehen.“ Sie machte eine Kopfbewegung in Richtung der Tür. „Aber … Ja, wenn es irgendwas gibt, das ich tun kann, um zu helfen.“

Kyra nickte nur. „Schon gut.“

Dann seufzte sie und sah sich um, während Ms. Aitkin in den Raum ging.

Was also sollte sie nun tun?

Sie sah sich um. Irgendwie musste sie ja auf das Spielfeld kommen. Also dahin, wo trainiert wurde. Sie war echt froh, dass das Wetter mittlerweile besser war.

Immerhin hätte sie wenig Lust darauf gehabt, bei strömenden Regen, wie in den vergangenen Tagen draußen rumzustehen für die Befragungen.

Tatsächlisch stellte sich das Innere des Gebäudes als halbes Labyrinth heraus. Sie war sich zwar sicher, dass es durch die Umkleiden auch irgendwie nach draußen ging, aber man würde es ihr wohl übel nehmen, würde sie gerade jetzt dort hindurch marschieren. Selbst wenn sie sich sicher nicht beschweren würde, dachte sie sich halbherzig.

Am Ende jedoch fand sie einen Gang der in Richtung der Spielfelder führte und fand dort bereits die ersten paar Spielerinnen mit Aufwärmübungen beschäftigt.

Kyra holte ihr Handy hervor, um die Gesichter der jungen Frauen besser zuordnen zu können. Neben den Bell-Schwestern, die sie bereits kannte, sowie auch Eleanor und Aleesha, waren vier weitere Spielerinnen hier draußen. Sie identifizierte sie als Abbey Crawford, Madleine MacKey, Rebecca Rowell und Maia Kerr. Es war letztere, die Kyra bemerkte und sowohl ihr, als auch Watson einen beinahe schon feindseligen Blick zuwarf.

Sie hörte mit den Streckübungen, die sie gerade machte, auf, und kam zu ihr hinüber gejoggt.

„Hunde sind hier nicht erlaubt“, meinte sie kühl.

Die junge Frau – wenn Kyra nicht irrte war sie laut den Akten 23 Jahre alt gewesen – hatte recht kurzes, braunes Haar und sonnengebräunte Haut. Auch sah man noch deutlich verblassende Sommersprossen auf ihrer Nase, während sie ebenso Kyra musterte.

„Wer sind Sie überhaupt?“, fügte sie dann hinzu. „Das hier ist keine öffentliche Veranstaltung.“

Wunderbar, dachte sich Kyra. Zumindest konnte sie so die Anmerkung zu Watson ignorieren. „Mein Name ist Kyra Hare,“ spulte sie ihre Vorstellung herunter. „Ich bin Privatdetektivin und wurde von der Scottland Police beauftragt die Mitglieder dieser Mannschaft ob des Todes von Talia Russel zu beauftragen.“ Ohne eine große Pause zu machen fügte sie hinzu: „Und Sie sind Maia Kerr, liege ich da richtig?“ Sie hielt ihr mit einem gekünstelten, professionellen Lächeln eine Hand hin, die prompt ignoriert wurde. Hatte dem Mädel niemand Manieren beigebracht?

„Und?“, war die einzige Antwort, die sie bekam.

Okay, die Göre war ihr unsympathisch. „Kann ich Sie kurz zu der Verstorbenen befragen?“, fragte Kyra, die sich so leicht nicht verunsichern lassen wollte.

„Ich habe keine Zeit“, erwiderte Kerr und wandte sich zum Gehen.

„Ich werde sie so früher oder später befragen müssen“, meinte Kyra nüchtern. „Ich dachte, es würde Sinn ergeben, dies vor dem Anfang des eigentlichen Trainings zu machen.“

Kerr gab ein genervtes Stöhnen von sich. „Gut. Okay.“ Sie drehte sich wieder zu Kyra um und legte eine Hand in die Seite, um sie beinahe herausfordernd anzusehen. „Was wollen Sie wissen?“

„Wie war ihr Verhältnis zu Ms. Russel?“, fragte Kyra gerade heraus.

Ein Schulterzucken war die Antwort. „Konnte sie nie wirklich leiden. Sie war unverschämt, hat Leute, die sie nicht leiden konnte, wie Scheiße behandelt und konnte sich generell nicht benehmen.“

Dann hättet sie ja wunderbar miteinander auskommen müssen …

„Okay“, meinte Kyra nur, ihre Gedanken für sich behaltend, und notierte sich die Aussage. „Haben Sie irgendwelche Vermutungen, wer etwas gegen sie gehabt haben könnte?“

„Alle?“, erwiderte Kerr nur genervt. „Mal ehrlich, so wie die sich aufführen konnte, würd' es mich nicht wundern, wenn sie jemand im Affekt abgestochen hat.“

„Also niemand konkreten?“, fragte Kyra.

Ein erneutes Schulterzucken. „Keine Ahnung.“ Sie überlegte kurz. „Ich mein', ich glaub' ja eigentlich nicht, dass es jemand von uns war. Aber wie gesagt … Talia hat doch echt jeden auf die Palme bringen können.“ Sie sah sich um. „Sie hat sich häufig mit den Zwillingen gezofft und mit Eleanor. Und in den letzten Wochen hatte sie oft Streit mit Irene. Das heißt Irene Duncan.“ Letzteres fügte sie in einem beinahe besserwisserischen Tonfall hinzu, als könnte Kyra das nicht wissen. Dann hielt sie kurz Inne. „Wobei … Sie sollten mal mit Abbey sprechen, wenn sie da ist. Ich meine, Irene wollte Talia besuchen. K A, Friedensangebot oder so.“ Ein weiteres Schulterzucken, während Kyra sich alles notierte. Dann fragte sie genervt. „War das alles?“

Kyra seufzte. „Nur eine Sache noch. Wo waren sie an dem Abend?“

„Kino“, erwiderte Kerr wie aus der Pistole geschossen. „Mit einem alten Schulfreund von mir. Jonas Schumer. Ich habe das Ticket und Sie können ihn fragen.“

„Ich bin nicht die Polizei“, meinte Kyra nur.

Noch ein genervtes Schulterzucken.

Während sie mit Kerr geredet hatte, hatte Kyra nicht bemerkt, wie ein anderes Mädchen – nun, eine andere junge Frau, zu ihnen hinüber gekommen war. Madleine MacKey.

Mittelfeldspielerin, nach ihren Akten. Gerade 20 Jahre alt und mit einem noch recht kindlichen Gesicht. Sie war ziemlich blass und wirkte auf Kyra beinahe etwas ängstlich. Die Assoziation mit einem gejagtem Reh kam ihr in den Kopf.

„Was ist los, Maia?“, fragte sie zurückhaltend.

„Nichts wirklich“, erwiderte Kerr genervt. „Das ist die Detektivin, die von der Polizei beauftragt wurde oder so.“ Sie sah zu Kyra. „Kann ich jetzt gehen?“

Kyra nickte. „Ja.“ Eigentlich hätte sie sie die ganze Zeit nicht dran hindern können. „Darf ich dafür nun mit Ihnen sprechen, Ms. MacKey?“

Überrascht sah das blasse Mädchen sie an. „Sie kennen meinen Namen?“

„Ich habe die Unterlagen der Polizei durchgearbeitet“, erklärte Kyra nur. „Da waren alle Mannschaftsmitglieder enthalten.“

Unsicher sah MacKey zwischen ihr und Ms. Kerr hin und her. Kyra kam nicht umher, den Blick, den sie der anderen Frau zuwarf, als Hilfesuchend zu interpretieren.

„Red' einfach mit ihr“, meinte Kerr in einem beinahe herrischen Ton und joggte dann zu den anderen Spielerinnen – mittlerweile hatten sich ein paar mehr versammelt – hinüber.

MacKey nickte. „Was … Kann ich Ihnen sagen, Ms.  …?“ Fragend brach sie ab.

„Hare“, erwiderte Kyra. „Mein Name ist Kyra Hare.“

„Okay“, flüsterte das Mädchen. „Was kann ich Ihnen erzählen, Ms. Hare?“

Kyra bemerkte, dass MacKey ihr nie ganz in die Augen sah und immer, wenn sie ihren Blick suchte, diesem auswich. Nun gut. Also gut. „Nun, ich soll die Teammitglieder zu Ms. Russel befragen. Wie standen Sie zu ihr und würde Ihnen jemand einfallen, der ein mögliches Motiv gehabt hätte?“

„Nein!“, sagte die junge Frau vielleicht ein wenig zu schnell.

Irgendetwas stimmte hier nicht. Sie verbarg etwas, soviel war deutlich zu sehen. MacKey verhielt sich wie ein Charakter in einem dieser Detektiv-Computerspiele, in die Kyra vor einer Weile aus purer Langeweile geschaut hatte. Dort verhielten sich Täter, Mittäter oder bedrohte Zeugen immer etwas übertrieben, doch genau so erschien MacKey.

Kyra musterte sie und wartete darauf, dass die junge Frau weitersprach.

„Nun“, murmelte MacKey mit leiser Stimme. „Nun … Talia hatte ein paar Probleme mit ein paar Leuten. Aber deswegen würde sie niemand umbringen, oder? Ich meine, sie war vielleicht ein wenig …“ Sie pausierte kurz und sah offenbar nach einem passenden Wort. „Sie war ein wenig grob und unhöflich, aber sie meinte es doch meistens nicht so. Und das wussten die meisten, oder?“ Die Frage schien beinahe erst gemeint zu sein.

„Ich weiß es nicht, Ms. MacKey“, erwiderte Kyra. „Ich habe Talia Russel nie kennen gelernt.“

„Natürlich.“ MacKey wich ihrem Blick wieder aus und wandte den Kopf zu Seite, was Kyra aufmerken ließ.

Die junge Frau trug die Haare offen, was sie bereits die ganze Zeit verwundert hatte, doch nun glitt eine Strähne des Haares weit genug zur Seite, um eine Rötung der Haut an ihrem Hals zu zeigen.

Beinahe instinktiv, wohl wissend, dass es unhöflich und nicht besonders respektvoll war, streckte Kyra die Hand aus und hob das Haar des Mädchens an. Die Rötung war der Rand eines Strichs an ihrem Hals, der in der Mitte bläulich war. Würgemale. Wenn Kyra nicht irrte von einem Seil oder vielleicht einem Gürtel. Fuck.

MacKey schreckte zurück, instinktiv eine Hand zum Hals hebend.

„Wer war das?“, fragte Kyra vorsichtig und bemüht einfühlsam zu klingen.

„Was?“ Die Frage klang eher panisch als etwas anderes. Sie sah sich um, beinahe als suche sie nach Hilfe.

„Das ist ein Würgemal“, sagte Kyra leise. „Wer war das?“

Wenn sie nicht irrte, wurde MacKey etwas rot. Ihre Augen richteten sich zu Boden, doch leichte Bewegungen ihrer Pupillen verrieten Kyra eine gewisse Unruhe. Das war keine bloße Verlegenheit.

„Ich …“, meinte das Mädchen. „Ich habe einen neuen Freund und …“ Sie trat unwillkürlich zwei Schritte zurück. „Das geht Sie nichts an!“ Dabei bemühte sie sich ihren Blick zu festigen.

Kyra biss sich auf die Unterlippe, sagte aber nichts.

Was sollte sie auch sagen?

„Sonst noch etwas?“, fragte MacKey schließlich und schien sich zu bemühen ihrer Stimme denselben ungeduldigen Klang zu geben, wie Kerr zuvor, woran sie jedoch glorreich scheiterte.

„Wo waren Sie vor drei Nächten?“

„Zuhause“, sagte MacKey schnell. „Mit meinem Mitbewohner.“

Kyra musterte sie. Sie kam nicht umher so etwas wie Mitleid zu verspüren. Dann gab es da noch eine weitere Frage: Hatte das Würgemal etwas mit dem Mord zu tun? Ein Bauchgefühl sagte ihr, dass es so war. Vielleicht wegen der Art, wie das Mädchen sich verhielt. Natürlich war ein Bauchgefühl kein besonders guter Beweis, aber zumindest sollte sie es vielleicht notieren.

„Das wäre alles“, sagte sie schließlich langsam. „Aber … Sie wissen, dass es Stellen gibt, an die man sich als Opfer häuslicher Gewalt wenden kann, ja?“ Sie wusste, dass es gestelzt klang, doch sie war sich nicht sicher, wie sie sonst mit dem Mädchen reden sollte, das sie ja kaum kannte.

Das Mädchen jedoch schien gar nicht richtig zuzuhören. Stattdessen sah sie auf einen Punkt hinter Kyra, wo diese, als sie sich selbst umsah, einen Mann – etwa Mitte 30 – erkannte. Das musste Marcel Reilly sein. Der Manager. Und nun kam er genau auf Kyra zu, die kurz zu der erstarrten MacKey sah.

Sie zog ihre eigenen Schlüsse. Das war so oder so etwas, das Sutherland interessieren konnte.

„Sie sind die Detektivin“, schloss nun auch Reilly, als er noch etwa acht Schritte von ihr entfernt war und musterte sie.

Er wirkte durchaus athletisch gebaut. Nicht wirklich muskulös, aber auch nicht zu schlaksig und war gute eineinhalb Kopf größer als Kyra. Sein Haar war braun, seine Augen grau und das müde Lächeln auf seinen Lippen wirkte falsch. Okay, vielleicht war das auch nur ein Vorurteil zu dem sie gerade gekommen war.

„Ja, die bin ich“, erwiderte sie steif und streckte ihm nach kurzem Zögern die Hand entgegen. „Kyra Hare.“

„Inspector Sutherland hat Sie bereits erwähnt.“ Er ergriff ihre Hand und schüttelte sie kurz und ohne wirklich zuzugreifen.

„Gut“, antwortete Kyra schnell und bemühte sich wieder um ihr professionelles Lächeln. „Nun, ich wollte Sie eigentlich fragen, ob Sie mir auch noch ein paar Fragen beantworten können.“

Der Mann zog eine Augenbraue hoch. „Ihnen?“ Er musterte sie. „Ich dachte, ich hätte alles, was ich wusste, der Polizei gesagt.“

„Ja, schon“, antwortete Kyra. „Ich … Wollte jedoch noch ein paar Dinge abklären.“

„Nun, vielleicht nachher“, erwiderte Reilly schließlich. „Ich muss mich zuerst um das Training kümmern. Sie verstehen …“ Er musterte sie noch einmal von oben bis unten und warf dann Watson, der die Ohren angelegt hatte einen kurzen Blick zu. „Eigentlich sind hier keine Hunde erlaubt.“

Kyra sagte nichts.

Für einen Moment schwieg auch er, ehe er sagte: „Nun, ich würde Sie bitten, das Training nicht zu sehr zu stören.“ Er zögerte. „Ich denke, es wäre auch im Sinne von Talia, wenn wir weiterhin unser bestes geben.“ Dabei wirkte seine Stimme reuevoll oder – dachte Kyra – vielleicht versuchte er zumindest, sie so klingen zu lassen.

Verdammt. Vielleicht machte sie wieder ihren üblichen Fehler. Sie neigte dazu, zu schnell und ohne jeglichen Beweis zu voreiligen Schlüssen zu springen, aber verdammt noch mal, der Typ wirkte so verdächtig. Und das letzte Mal, als sie jemanden verdächtig gefunden hatte, hatten diese Leute sie darin auch irgendwo bestätigt. Also … Nein, sie konnte ihn nicht einfach konfrontieren. Immerhin war es nicht ihre Aufgabe. Allerhöchstens konnte sie schauen, ob sie noch irgendwelche Beweise finden konnte, um diese dann an Sutherland zu leiten.

„Keine Sorge“, meinte sie nur. „Ich würde nur gerne mit den anderen Spielerinnen sprechen. Ich soll den vollständigen Bericht bis heute Abend anfertigen.“

Ein Zögern. „Nun, gut …“ Er seufzte. „Tun Sie das. Solange sie keins meiner Mädchen zu lange vom Training abhalten.“

„Das wird wohl nicht vorkommen“, erwiderte Kyra. Sie sah sich auf dem Spielfeld um, wo sich mittlerweile mehr oder weniger die gesamte Mannschaft versammelt hatte, als ihr noch etwas einfiel: „Übrigens. Ich sehe Irene Duncan nicht. Wissen Sie, wo sie ist?“

„Irene hat sich krankgemeldet“, antwortete Reilly nur. „Soweit ich weiß, ist sie bei ihren Eltern.“

Kyra nickte. „Danke.“ Noch einmal zögerte sie. MacKey hatte sich mittlerweile zu den anderen gesellt und sprach, wie sie feststellte, nun leise am anderen Ende des Spielfelds mit Kerr. „Könnten Sie mir Abbey Crawford herüber schicken?“, fragte sie dann.

Und so sprach sie einige Minuten später auf einer Bank am Rand des Spielfelds sitzen mit Ms. Crawford, einer sehr kräftigen, blonden Frau, während Watson aufmerksam den anderen Frauen zusah, die nun Runden um das Spielfeld liefen.

Crawford erzählte Kyra erneut, was sie schon wusste: Ja, es hatte diesen Streit mit Irene Duncan gegeben. Irene hatte ihr helfen wollen, sagte Crawford. Russel hätte vorher für gute zwei Wochen sehr bedrückt und angespannt gewirkt, wäre auch beim Training nicht richtig dabei gewesen.

„Und dann ist Talia einfach explodiert“, schloss sie dann. „Einfach so. Hat Irene beleidigt und all das. Obwohl sie nur helfen wollte.“ Sie seufzte. „Na ja, vielleicht hat sie ja wirklich etwas belastet. Ich meine, vielleicht hat sie jemand bedroht oder erpresst? Ich meine, ich komme die ganze Zeit nicht drum herum sowas zu denken, wissen Sie?“

„Haben Sie eine Ahnung wer?“, fragte Kyra.

Natürlich hatte sie das nicht. Niemand schien das zu haben. Für jemand, der so viele Streitereien und Rivalitäten gehabt hatte, gab es angeblich doch sehr wenig mit einem Mordmotiv, dachte sich Kyra. Doch wer war sie darüber zu urteilen.

Zumindest eine Sache kam aus ihrem Gespräch mit Crawford. Eine Bestätigung von Reillys Worten: „Ja. Irene ist bei ihren Eltern in Dalkeith. Sie macht sich solche Vorwürfe, weil sie nicht weiter nachgehakt hat. Ich meine … Meinen Sie wir hätten es verhindern können?“ Aus der Frage klangen ernsthafte Selbstvorwürfe hervor.

„Wahrscheinlich nicht“, erwiderte Kyra mit einem matten Lächeln. Sie legte der Frau eine Hand auf die Schulter. „Denken Sie nicht zu viel darüber nach.

Aber auch ihre nächsten drei Gespräche brachten wenig neues. Cailyn Hughes und Jess Munro, mit denen sie als nächstes sprach, waren beides Freunde von Talia gewesen und wirkten entsprechend erschüttert und wütend. Gerade die rothaarige Munro wirkte verweint und war Kyra auch beim Training soweit alles andere als konzentriert erschienen, auch wenn sie wenig Ahnung von Fußball hatte.

Auch wenn niemand direkt jemanden beschuldigen wollte – natürlich nicht – beschuldigte Munro indirekt Eleanor, die die Sache mit ihrem Freund oder viel eher Exfreund zu genau genommen hatte. Offenbar war es nur ein Partyspiel nach dem zu viel Alkohol geflossen war gewesen. Wahrheit oder Pflicht, wenn man so wollte. Jemand hatte mit Talia gewettet, dass sie sich nicht trauen würde, Eleanors Freund zu küssen. Sie hatte sich getraut und darüber war es – wenig überraschend – zum Streit gekommen. Das erklärte zumindest diese Gerüchte, doch da das ganze nun mehr als zwei Monate her war, fragte sich Kyra, ob es wirklich ein Grund für einen Mord war.

Hughes derweil beschuldigte – erneut indirekt – Kerr und merkte an, wie oft diese ohne jedwede Provokation Streitereien mit Russel angefangen hätte. Vor allem in den letzten vier Wochen wäre es schlimm gewesen.

Dies konnte sich Kyra zumindest vorstellen. Immerhin hatte Kerr wie eine äußerst reizbare und auch allgemein eher unangenehme Person auf sie gewirkt. Außerdem war sie nicht drumerherum gekommen, sich zu fragen, ob Kerr nicht irgendetwas verborgen hatte. Sie schüttelte den Kopf. Nicht ihre Aufgabe.

Außerdem erfuhr sie, dass der bereits erwähnte Freund von Talia, oder viel mehr Exfreund, auf den vollen Namen James Swan hörte, kurz Jamie. Ja, Swan war ein nicht so unüblicher Nachname, aber dennoch hätte Kyra bei der Nennung des Namens beinahe aufgelacht.

Nun, zumindest war Mr. Swan mittlerweile unter „Exfreund“ zu verbuchen. Außerdem war er wohl selbst ein Student der angewandten Physik. Das würde Sutherland fraglos ebenfalls interessieren.

Dann sprach sie mit Lara Yates, doch auch diese wollte von nichts wissen. Sie hatte wenig Zeit mit Russel direkt verbracht, meinte sie nur. Auch wenn sie mit Munro befreundet war und daher öfter mal mit ihr „abgehangen hatte“, aber etwas neues erzählte sie Kyra nicht. Nur dieselben Dinge, die sie schon gehört hatte.

Unter anderem erwähnte sie allerdings den Streit mit Irene Duncan, was Kyra feststellen ließ, dass sie wirklich mit diesem Mädchen sprechen musste.

Provokation

Seufzend saß sie da, wohl wissend, dass es noch zwei Anwesende gab, mit denen sie noch nicht gesprochen hatte: Erin Woodward und Rebecca Powell. Doch während sie darauf wartete, dass Yates eine der beiden herüberschickte, war es Charleigh Aitkins, die zu ihr hinüber kam.

„Irgendetwas neues herausgefunden?“, fragte sie und blieb vor Kyra, die den Kopf auf einem Arm abgestützt hatte, während sie ihren Notizblock studierte, stehen.

Kyra schüttelte den Kopf. „Nicht wirklich“, murmelte sie in Gedanken versunken. „Außer, dass MacKey irgendetwas verheimlicht und außerdem einen Freund hat, der sie misshandelt …“

Ein kurzes Schweigen. „Du meinst Madleine?“, fragte Aitkins dann.

Überrascht sah Kyra auf. „Ja.“

Aitkins sah sich zum Spielfeld um und folgte offenbar MacKey mit ihrem Blick. „Fuck“, murmelte sie dann, ehe sie sich wieder Kyra zuwandte. „Woran machst du das fest?“

„Würgemale an ihrem Hals“, erwiderte Kyra. „Und sie wirkte verängstigt. Nicht so, als würde sie das ganze freiwillig mitmachen und einfach nur verlegen.“

„Huh.“ Noch einmal sah sich Aitkins zu MacKey um. „Können wir irgendetwas für sie tun?“

„Vielleicht“, erwiderte Kyra. „Ihr einfach anbieten, dass sie mit euch reden kann. Sie darauf aufmerksam machen, dass man ihr helfen kann. So etwas …“ Sie dachte noch immer darüber nach.

Auch wenn sie wusste, dass es gar nicht ihre Aufgabe war, diesen Fall zu lösen, so frustrierte sie es doch, dass sie soweit keine wirklich konkreten Hinweise gefunden hatte, die darüber hinaus gingen, dass sie Marcel Reilly verdächtig fand und dass sie glaubte, dass Madleine MacKey etwas verbarg, dass vielleicht, vielleicht auch nicht mit dem Mord an Talia Russel zu tun hatte.

Genau diesen Gedanken schien nun auch Aitkins zu haben. „Glaubst du, das ganze hat was mit Talia zu tun?“, fragte sie.

Kyra zuckte mit den Schultern. „Weiß nicht.“ Sie seufzte. „Ist auch nicht meine Aufgabe“, murmelte sie dann. „Ich soll euch nur zu der Sache befragen …“ Sie biss sich auf die Unterlippe und sah wieder auf ihren Notizblock.

Für einen Moment sah Aitkins sie schweigend an. „Nun, wenn du noch etwas findest … Sag mir Bescheid.“

„Ja. Mach ich“, erwiderte Kyra. „Sofern es die Ermittlung nicht behindert.“

Aitkins nickte und lief wieder los, als sie sah, dass Rebecca Powell auf dem Weg zur Bank war.

Also machte Kyra weiter mit ihren Befragungen, während die Mannschaft Dribbelübungen machte, wenig überrascht, dass auch Powell und Woodward nichts neues zu erzählen hatten.

Vielleicht, so dachte sie sich, war es ja auch einfach niemand aus der Mannschaft gewesen. Vielleicht war es ja das Jamie Schwänchen gewesen oder irgendein anderer Liebhaber. Vielleicht war es ein Familienmitglied gewesen. Immerhin sagte niemand, dass sie ausgerechnet mit der Gruppe sprach, in der sich der Mörder aufhielt. Sicher, sie wollte, dass es so war, und ihr Bauchgefühl war davon de facto überzeugt. Aber wer war ihr Bauchgefühl schon?

Es war wahrscheinlich viel eher ihr eigener Wunsch Molly und natürlich auch Sutherland zu beeindrucken, indem sie ihnen eine fertige Falllösung, hübsch verpackt und mit Schleife, auf den Tisch legte. Selbst wenn Molly nicht mal an dem Fall arbeitete. Aber hey, man konnte nicht alles haben im Leben und es würde absolut reichen, wenn sie ihre Aufgabe – die Befragungen durchzuführen – ordentlich erfüllte. Und das hatte sie hiermit. Also konnte sie genau so gut gehen.

Und doch … Zumindest mit Reilly wollte sie reden. Ja, es war explizit nicht ihre Aufgabe, da Reilly bereits von der Polizei befragt worden war, aber sie sollte verdammt sein, wenn sie nicht ein paar Fragen stellte.

Selbst wenn sie damit bis zur nächsten Pause warten musste.

Es blieb die Frage, was sie bis dahin tun sollte.

Geistesabwesend kraulte sie Watson, der aufmerksam neben ihr saß und den jungen Frauen zusah, am Hals. Sie selbst ging noch einmal ihre Notizen durch. Sie musste noch unbedingt mit Irene Duncan sprechen, vor allem wenn sie die Anschuldigungen gegen sie bedachte. Vielleicht sollte sie bis zur Pause zu ihr hinüber fahren? Ihre Eltern lebten von hier aus nicht so weit weg und sollte aktuell gut erreichbar sein.

Oder aber …

Ein Gedanke schlich sich in ihren Kopf, während sie nun auch die Fußballspielerinnen beobachtete, ohne sie wirklich zu sehen.

Nein, sagte sie sich. Das war eine furchtbar blöde Idee. Sie würde sich nur in Probleme bringen und gerade jetzt wollte sie das gar nicht. Immerhin war es eine Sache wenn sie sich selbst in Probleme brachte, eine ganz andere, wenn sie es im Auftrag der Polizei tat. Es hatte nichts mit ihrem aktuellen Fall zu tun – glaubte sie – und vor allem hatte es nichts mit ihrer tatsächlichen Aufgabe zu tun.

Es ging sie nichts an, herauszufinden, mit wem Madleine diese Probleme hatte. Klar, an sich sah das britische Gesetz es mittlerweile vor, dass man auch als außenstehender deswegen Anzeige erstatten konnte – weil es immerhin offenbar nicht mehr vorgesehen war, dass erwachsene Menschen einvernehmlichen Kink-Sex miteinander hatten … Doch auch wenn es die Medien so aufspielten, wurde es bei weitem nicht so stark durchgesetzt, wie manche zuerst befürchtet hatten.

Also …

Was aber, wenn es mit dem Fall zu tun hatte?

Dann würde sie hier eine Chance verpassen. Eine Chance, die sie eigentlich der Polizei überlassen sollte.

Verdammt.

„Komm, Watson“, meinte sie dann leise. „Lass uns ein wenig die Beine vertreten.“

Watson beobachtete das Spielfeld ein wenig, wandte sich dann aber ihr zu und bellte zwei Mal laut, ehe er ihr schwanzwedelnd folgte, jedoch nicht, ohne noch einmal kurz zum Spielfeld zu schauen.

Kyra hätte viel dafür gegeben zu wissen, was er sich dabei dachte. Hatte er vielleicht auch eine Vermutung? Hatte er bei einem der Mädchen oder – ja, sie hatte sich zu schnell eine Meinung gebildet – bei Marcel ein Gefühl, dass etwas mit einem von ihnen nicht stimmte?

Oder war er vielleicht nur um Madleine MacKey oder Aitkin, die er ja offenbar gemocht hatte, besorgt?

Leider aber konnte sie nicht mit ihm reden. Entsprechend blieb ihr nichts anderes übrig, als ihren eigenen Instinkten zu folgen. Und so machte sie sich auf zum eigentlichen Gebäude des Trainingscenters. Natürlich nicht mit dem Ziel, sich die Beine tatsächlich zu vertreten, sondern viel mehr im Versuch etwas herauszufinden.

Dankbarer Weise hatte sie vorher Aitkins begleitet, bis diese in die Umkleide gegangen war, und da sie davon ausging, dass die jungen Damen sich dieselbe Umkleide teilten, konnte sie hoffen, hier vielleicht etwas zu finden.

Natürlich gab es da ein Problem, stellte Kyra fest, als sie in die Umkleide kam, die im Vergleich zur Umkleide in ihrer Highschool erstaunlich sauber roch: Es gab Schließfächer in denen auch ein guter Teil der Wertgegenstände sein würde. Und wenn sie hier irgendwo einen Hinweis finden konnte … Vor den Schließfächern standen nur die Schuhe und in ein paar Fällen vielleicht auch ein paar Hosen – in unterschiedlich ordentlichen Zuständen.

Eigentlich machte sie es sich zu kompliziert, sagte sie sich und wies Watson mit einer Geste an, an der Tür stehen zu bleiben. Vielleicht sollte sie zuerst etwas anderes nachschauen.

Sie holte ihr Smartphone heraus und fand sich schon sehr bald auf Facebook und Instagram, nur um ein, zwei Sachen zu überprüfen und außerdem eine andere Schlussfolgerung zu ziehen.

Oh Gott, wenn jetzt jemand hier rein kam, würde sie so einen Ärger bekommen.

Zumindest eine Sache konnte sie nach dem Checken von MacKeys relativ aktiven Facebook-Accounts feststellen: Von einem neuen Freund fehlte jede Spur. Tatsächlich gab es nur zwei Personen, mit denen sie Augenscheinlich sehr viel Zeit verbrachte: Maia Kerr und Thomas Hober, der offenbar ihr Mitbewohner war.

Bildete Kyra sich das nur ein, oder wirkte MacKey wirklich in allem Bildern, die sie von sich und Kerr gepostet hatte, angespannt?

Vielleicht hatten die beiden etwas damit zu tun?

Vielleicht war es auch Kerr gewesen, die MacKey gewürgt hatte? Immerhin wusste Kyra nichts über die Sexualität der beiden.

Sie ging die Schließfächer durch, auf die davor abgestellten Schuhe achtend. MacKey war relativ petit, Kyra schätzte ihre Schuhgröße nicht über fünf. Damit dürfte sie herausstechen. Wenn sie außerdem nach den Bildern auf Facebook sah, schien sie tatsächlich relativ hübsche Schuhe zu tragen – sie hatte sogar zwei Einträge in letzter Zeit zum Thema Schuhe geschrieben.

Wie Klischee. Doch gerade half es Kyra.

Sie fand ein Paar, das dazu passte.

Aus ihrer Jackentasche fischte sie ein Paar Einmalhandschuhe hervor und zog es sich über.

Nun, dankbarer Weise hatte sie zu viel Freizeit gehabt, während diese Schließfächer mit einfachen Vorhängeschlössern gesichert waren. Dabei noch jene Art, die nicht besonders schwer zu knacken waren, selbst wenn man nur eine stereotype Haarnadel dabei hatte. Natürlich war Kyra besser vorbereitet als das. Sie hatte ein Dietrichset dabei, dass sie die meiste Zeit in ihrer Innentasche mit sich herum schleppte, wohl wissend, dass es meistens nicht zum Einsatz kam, da es rein rechtlich gesehen das auch nicht durfte.

Sie horchte kurz und dann machte sie sich daran, das Schloss zu öffnen, was ihr sogar – ihrer eigenen Meinung nach – recht elegant gelang.

Noch einmal lauschte sie und sah prüfend zu Watson hinüber, dessen Ohren nicht aufgestellt waren. Sie hoffte, dass er ein guter Wachhund war.

Vorsichtig öffnete sie das Schließfach und kramte vorsichtig MacKeys Handtasche heraus. Eine relativ handliche, aber sportliche kleine Umhängetasche.

Sie ging die Handtasche durch, auf der Suche nach einem Foto oder irgendetwas, das entweder mit dem aktuellen Fall oder demjenigen, dem sie wohl die Würgemale zu verdanken hatte, zu tun hatte. Viel fand sie jedoch nicht. Keine Adressen, keine Fotos, nichts.

War vielleicht auch ein zu weit gefasster Versuch.

Eine Sache konnte sie jedoch noch machen. Eine Sache, die sie eventuell in noch mehr Schwierigkeiten bringen konnte, doch viel schlimmer konnte es gerade nicht mehr werden. Da war ihr Handy, das, wie sie feststellte, nicht einmal ordentlich mit einem Muster oder Entsperrungs-PIN gesichert war. Einfach ein Swipe nach rechts und das Handy war entsperrt. Wunderbar.

Noch einmal lauschend, ob sie jemand näherte, öffnete sie die Chronik der vergangenen Telefonate. Diese war erstaunlich einseitig: „Mama“, „Maia“, „Marcel“, „Thomas“, „Anastasia“ und – zu Kyras Überraschung – auch zwei Telefonate mit „Talia“ vor knapp zwei Wochen kurz nacheinander.

„Hmm“, machte Kyra unwillkürlich und schrieb sich das Datum auf.

In der Nacht des Mordes hatte MacKey mehrfach versucht Marcel anzurufen, hatte ihn nach den Gesprächsdauern nach zu urteilen erst um drei Uhr erreicht.

Auch über WhatsApp hatte sie vorrangig mit Maia, Marcel, Thomas und dieser Anastasia geschrieben, auch wenn es einen Gesprächsverlauf einer Mannschaftsgruppe gab, in der sie jedoch offenbar wenig geschrieben hatte.

Sie ging den Verlauf der Dreiergruppe, in der sie mit Maia und Marcel war, durch, in der festen Erwartung irgendetwas zu finden, dass ihr einen Hinweis gab. Doch nichts dergleichen fand sich hier. Stattdessen nur kurze Anfragen, wie „Morgen Abend, 8 Uhr?“ und „Morgen nach dem Training?“. Ab und an ein paar durchaus kokett wirkende Nachrichtenabfolge zwischen Marcel und Maia, an denen sich MacKey jedoch selbst nicht beteiligt hatte.

Zu schade.

Sie hatte gehofft. Ja, was hatte sie eigentlich gehofft? Auf weitere Hinweise in ihrem Fall oder einen Hinweis darauf, wer sich an MacKey vergangen hatte. Wenn es unfreiwillig gewesen, merkte eine Stimme in ihrem Kopf an, der sie unwillkürlich Ruhe gebot.

Da richtete Watson seine Ohren auf und gab einen leise knurrenden Laut von sich – dankbarer Weise kaum Hörbar.

Kyra lauschte noch einmal und dieses Mal hörte sie Schritte.

„Verdammt noch mal“, murmelte sie leise, beendete die aufgerufenen Programme auf den Smartphones und stellte es wieder in den Standby, ehe sie es in die Tasche und diese zurück in das Schließfach steckte. Dankbarer Weise war es nicht schwer, das Schloss wieder zu verriegeln, doch bis sie das getan hatte, hatten die Schritte beinahe die Tür erreicht.

Also. Wohin?

Ihr Blick viel auf die Tür zu den anliegenden Duschen. Nun, hoffentlich kam da niemand rein.

Sie schnappte sich Watson am Halsband und zog ihn mit sich, um in den Duschen zu verschwinden.

Keinen Moment zu früh, da sie einen Augenblick später ein Paar Stimmen hörte.

„Alles okay?“, fragte jemand. Kyra glaubte, dass es Crawford war.

„Ja“, erwiderte ein zierliches Stimmchen, das wiederum ohne Frage zu MacKey gehörte. „Nur Schwindelig.“

Das wunderte Kyra nicht. Es brachte sie nur umso mehr in Verlegenheit. Was, wenn MacKey jetzt bemerkte, dass jemand an ihren Sachen gewesen war? Was, wenn sie jetzt duschen und nach Hause ging?

Die zweite Stimme bestätigte sie darin: „Willst du nicht doch lieber gehen?“

Ein kurzes Schweigen. Kyra meinte, dass das Schließfach geöffnet wurde.

„Nein“, sagte MacKey dann. „Es geht schon. Nur ein bisschen Ruhe und etwas zu trinken.“ Eine Flasche wurde geöffnet, wie Kyra am Zischen entweichender Kohlensäure festmachte. „Danke, Abbey.“

Also hatte sie richtig gelegen.

Crawford schien zu zögern. „Bist du dir sicher?“

„Ja …“ MacKeys Stimme klang matt. „Geh ruhig schon zurück.“

„Ganz sicher?“

Stille machte sich breit, ehe MacKey antwortete: „Ja. Schon gut.“

„In Ordnung“, antwortete Crawford langsam und zurückhaltend. „Bis nachher …“ Dann öffente sich eine Tür und Schritte schienen sich zu entfernen.

Kyra sah zu Watson. Was sollte sie jetzt tun? Wenn die Mannschaft bald Pause machte, kam sie hier nicht raus, um mit Marcel zu reden. Aber sie konnte auch nicht einfach rausgehen, während MacKey hier war. Es sei denn, sie konfrontierte sie direkt. Wenn sie mit ihrem Bauchgefühl – oder eher ihrem bestandslosen Verdacht – richtig lag, hatten entweder Kerr oder Reilly etwas mit den Würgemalen zu tun und vielleicht war es einfacher darüber zu sprechen, wenn die beiden nicht gerade in der Nähe waren.

Dann wiederum konnte sie es dennoch in Probleme geben, wenn sie zugab, dass sie überhaupt hier gewesen war. Aus welchem Grund auch immer.

Nervös sah sie Watson an, der dankbarer Weise genug verstand, um in dieser Situation still zu sein, während sie wartete.

Sie holte ihr eigenes Handy heraus, um auf die Uhr zu schauen. Wenn sie nachdem ging, was ihr vorher gesagt worden war, würden es noch etwa 15 Minuten sein, ehe die Pause war.

Also konnte sie noch hoffen, dass MacKey vorher wieder raus ging.

Oder, kam ihr ein Gedanke, sie ging aufs Klo, wofür sie in den Duschraum, neben dem die Toiletten gelegen waren, musste.

„Fuck“, flüsterte sie leise und zog Watson erneut mit sich, um ihn in eine der Duschkabinen zu ziehen. Diese hatten zwar keine Türen, boten aber zumindest etwas Sichtschutz, wenn man nicht gerade in den Raum ganz hinein ging, was für die Toiletten nicht notwendig war.

So hockte sie hier auf dem Boden, mit einem Ohr lauschend, darauf wartend, dass MacKey die Umkleide verließ. Gleichzeitig sah sie auf ihr Handy, um die Zeit im Blick zu behalten.

Sie hatte doch gewusst, dass es eine dumme Idee war.

Was sollte sie jetzt tun?

Was konnte sie überhaupt tun?

Die ehrliche Antwort war: Nicht viel.

Allerdings konnte sie darüber nachdenken, was sie erfahren hatte. Denn in einer Sache war sie sich sicher: Irgendetwas stimmte nicht mit MacKey und Kerr. Die einzige Sache, die sie nicht sicher sagen konnte, war, ob das ganze nur etwas zwischen ihnen und eventuell Reilly war, ob es mit einem Verbrechen zu tun hatte oder ob es tatsächlich auch mit Russels Tod in Verbindung stand.

Sie ließ sich zu Boden gleiten und zog ihre Beine an sich heran, wobei sie es zuließ, dass Watson seinen Kopf auf ihre Knie legte und sie fragend ansah. Es war ja gar nicht ihre Aufgabe, sagte sie sich noch einmal. Nicht ihre Aufgabe. Alles was sie noch machen sollte, war zu Irene Duncan zu fahren, sie zu befragen und dann das ganze abzugeben. War es ihr Stolz, der sie davon abhielt, oder ihr Gerechtigkeitssinn? Vielleicht auch ein mangelndes Vertrauen in die Polizei. Schon ironisch, wenn sie ihre Situation bedachte.

Ach, verdammt.

Die Tür öffnete sich. und Kyra hielt den Atem an, als langsame Schritte zur Toilettentür gingen und diese öffneten.

Angespannt stellte Watson seine Ohren auf, machte dankbarer Weise jedoch keinen Mucks.

Kyra schloss die Augen und wartete angespannt, wohl wissendlich, dass sie ohnehin nichts tun konnte, während ihre Gedanken rasten.

Dann auf einmal kam ihr ein Gedanke. Sie öffnete die Augen. Etwas, das mit Kerrs Aussage nicht gestimmt hatte. Sie hatte es bei der Befragung nicht bemerkt, aber sie hatte etwas gesagt, dass sie eigentlich – wahrscheinlich – nicht wissen sollte. Es sei denn man hatte es Marcel Reilly oder Aitkins gesagt und diese hätten ihr es weitererzählt … Das konnte sie nicht ausschließen, aber sie war sich beinahe sicher, dass es nicht so war.

„Abgestochen“, hatte sie gesagt. Eigentlich hatte sie das nicht wissen sollen. Oder?

Hmm. Vielleicht hatte sie es auch einfach nur so daher gesagt.

Eine Toilettenspülung wurde betätigt, dann lief ein Wasserhahn, ehe sich noch einmal Schritte durch den Raum bewegten. Dann schloss sich die Tür.

Rasch stand Kyra auf und lauschte. Auch in der Umkleide wurde eine Tür geöffnet und geschlossen, also war MacKey gegangen. Sehr gut.

Vorsichtig schaute Kyra und den Raum, ehe sie schnellen Schrittes hindurch lief und auf demselben Weg, den sie gekommen war, zum Trainingsfeld zurückkehrte.

Sie bemerkte, dass einige zu ihr hinübersahen, doch dankbarer Weise sprach sie niemand an. Sofern es also keine Sicherheitskamera gab, die sie übersehen hatte, war alles im grünen Bereich. Und hey, in der Umkleide selbst würde es schon keine Sicherheitskamera geben.

Also wartete sie die letzten vier Minuten, ehe Alexa Bell, die das Training vorerst zu leiten schien, in eine Pfeife bließ und eine Pause ansagte. Sie ging kurz zu Reilly hinüber, der mit ihr sprach.

Die Hände in ihren Jackentaschen vergaben, ging sie zu ihnen hinüber, gerade als sich Alexa Bell abwandte und den anderen jungen Frauen folgte, die teilweise zum Center gingen, teilweise zum Rand des Spielfeldes, wo ein Teil die Getränkeflaschen abgestellt hatte.

„Mr. Reilly?“, fragte Kyra und wurde sich erst zu spät dessen bewusst, dass ihre Stimme unnötig kühl klang.

„Ms. Detective“, erwiderte der Mann trocken und sah sich kurz um. „Was kann ich denn noch für sie tun?“

„Wie gesagt“, begann sie, „ich wollte nur ein paar Dinge mit Ihnen abklären.“

Er musterte sie, zuckte dann mit den Schultern. „Würde es Sie stören, mir ins Trainerbüro zu folgen? Dort haben wir ein wenig mehr Ruhe.“

Unsicher zögerte Kyra für eine Weile. Der paranoide Teil ihres Gehirns warnte sie davor. Immerhin konnte sie nicht wissen, ob er nicht wirklich ein Mörder war und was würde er dann machen?

Dann erinnerte sie sich daran, dass die wenigsten Mörder Serienkiller waren. Also sollte sie sich keine Sorgen machen. Wenn sie mit ihrer Paranoia so weiter machte, konnte sie ihren Job bald vergessen. Auf der anderen Seite hielt ein gesundes Maß Paranoia einen auch am Leben …

Sie nickte. „Natürlich nicht. Gehen Sie voraus.“

Auch er nickte kurz und ging los, wobei er sich jedoch zu bemühen schien, sie im Blick zu behalten.

Gerade hatten sie den Rand des Spielfeldes erreicht, als er die Stimme erhob: „Sagen Sie, haben Sie überhaupt die Erlaubnis mich noch einmal zu befragen?“

Kyra zuckte mit den Schultern. „Ich habe nicht die konkrete Aufgabe, aber sofern sie keine Einwände haben, spricht auch nichts dagegen, dass ich sie noch einmal befrage.“ Sie bemühte sich wieder einmal um ein profesionelles Lächeln, befürchtete aber, dass es dieses Mal reichlich kühl ausfiel. „Sie müssen nicht, aber ich wollte eigentlich nur ein paar Dinge, die ich gehört habe mit Ihnen abklären. Das würde mir und sicher auch der Polizei sehr helfen. Und ich bin mir sicher, dass es für Sie auch angenehmer ist, als morgen oder übermorgen noch einmal zur Polizeistation zu fahren.“

„Ich habe keine Einwände“, erwiderte Reilly, wobei auch seine Stimme reichlich kühl klang. „Ich wollte nur nachfragen.“

Kyra nickte nur noch einmal und folgete ihm weiter – in das Gebäude hinein und dort in einen Raum, von dem aus man einen guten Blick auf die verschiedenen Trainingsspielfelder hatte.

Hier setzte Reilly sich an einen reichlich kleinen Schreibtisch, hinter dem die Wand mit Bildern der Mannschaft und einigen Urkunden geschmückt war, und sah sie an. „Also. Was kann ich für Sie tun?“

Er bot ihr nicht an, sich auf den auf Sitzpolster und Lehne mit verblassten roten Stoff überzogenen Stuhl zu setzen, was sie jedoch dennoch tat. Watson hockte sich neben sie und sah zum Rand des Schreibtisches hinauf.

„Nun, ich hatte gehofft, dass sie mir zu ein paar Dingen etwas sagen könnten“, meinte Kyra und holte ihren Block hervor. „Zum einen: Ich habe gehört, dass es vor einigen Wochen einen Streit zwischen Ms. Russel und Ms. Anderson gegeben hat. Wissen Sie darüber mehr?“

Reilly lehnte sich zurück, die Arme vor der Brust verschränkt und musterte sie erneut ein, zwei Sekunden lang, ehe er antwortete. „Ich habe davon gehört, war aber selbst nicht dabei. Von allem, was ich gehört habe, hatte sich die Sache jedoch relativ schnell geklärt. Die beiden hatten zumindest keine ungewöhnlichen Probleme mehr.“

Kyra notierte sich das. „Ungewöhnlich? Sie meinen, wegen Russels Art, sich oft mit anderen Mannschaftsmitgliedern zu streiten?“

„Nun, Talia war halt eine Persönlichkeit.“ Die Stimme des Mannes klang matt und ein wenig reumütig. Er deutete ein Schulterzucken an. „Sie hatte oft eine Meinung und wollte nicht von dieser zurückweichen.“ Er pausierte und sah aus dem Fenster. „Aber wir haben ein paar Persönlichkeiten dieser Art, da sind Streitigkeiten nicht ausgeschlossen. Das ist normal in einem Team, oder?“

„Vielleicht“, erwiderte Kyra unverbindlich.

„Sie müssen sehen, Ms. Detective, dass es in letzter Zeit einigen Leistungsdruck gab“, meinte er. „Letztes Jahr haben wir in der Liga nicht besonders gut abgeschlossen und dann ist vor ein paar Wochen dieses … Malleur passiert mit unserem letzten Trainer. Sie haben davon sicher schon gehört?“

„Ja, habe ich.“ Kyra musterte ihn. „Da wäre das letzte, was die Mannschaft gebrauchen konnte, noch eine Spielerin wegen ähnlichen Dingen zu verlieren, oder?“

Reilly hob nun eine Augenbraue und lehnte sich noch weiter zurück. „Wollen Sie damit irgendetwas bestimmtes implizieren?“

„Nein“, murmelte sie. „Ich meine nur. Ich habe ein wenig Klatsch in der Richtung gehört, wissen Sie?“ Sie sah ihn mit Absicht nicht direkt an, sondern musterte ihn viel mehr aus den Augenwinkeln, in der Hoffnung, dass er sich so weniger beobachtet fühlte.

Für einen Moment wirkte er verunsichert. „Was für Klatsch?“

Kyra zuckte die Schultern. „Einige Ihrer Spielerinnen haben gemeint, Sie hätten Ms. Russel Avancen gemacht.“

„Ich versichere Ihnen, dass an diesen Gerüchten nichts dran ist“, antwortete er und setzte dann hinzu: „Sonst noch etwas?“

„Tatsächlich“, erwiderte Kyra. „Zwei weitere Dinge: Können Sie mir etwas zu dem Streit zwischen Ms. Duncan und Ms. Russel von vor zwei Wochen erzählen? Und zum anderen: Was können Sie mir sagen, wie die Beziehung zwischen Ms. Kerr und Ms. Russel war?“

„Von allem was ich gehört habe – das ganze ist wohl in der Umkleide passiert, wo ich natürlich nichts zu suchen habe“, begann Reilly, „war Irene Talia ein wenig zu besorgt gewesen und Talia war gereizt und hat deswegen einen Streit begonnen. Wie gesagt, wir stehen aktuell alle ein wenig unter Druck.“ Er ließ ein schweres Seufzen hören. „Nun natürlich umso mehr.“ Dann pausierte er. „Was die Sache mit Maia angeht … Maia ist halt auch so eine Persönlichkeit, wissen Sie? Sie und Talia haben immer eine explosive Mischung abgegeben.“

„Wie explosiv?“, fragte Kyra kurz angebunden.

Ein Schulterzucken. „So genau kann ich das leider nicht einschätzen.“

Missmutig biss sich Kyra auf die Unterlippe, sagte aber nichts. Stattdessen schrieb sie sich auch das einfach nur auf und fragte dann langsam. „Was ist mit Ms. MacKey?“

„Was sollte mit ihr sein?“

„Sie wirkt irgendwie sehr abgelenkt und bedrückt“, erwiderte Kyra. „Beinahe verängstigt.“

Er räusperte sich auf eine beinahe schon herablassende Art. „Ms. Detective …„

Kyra unterbrach ihn: „Ms. Hare, bitte.“

„Ms. Hare“, verbesserte er sich. „Ich mache Sie noch einmal darauf aufmersam: Eine Teamkollegin von Ms. MacKey und den anderen Damen ist vor drei Tagen ermordert worden. Natürlich sind sie alle angespannt und bedrückt. Was erwarten Sie?“

Kyra musterte ihn. „Sie wirken nicht besonders bedrückt“, stellte sie dann trocken fest.

Seine Stimme gewann an Anspannung. „Wollen Sie damit etwas implizieren?“

Anstatt zu antworten, schüttelte Kyra nur mit dem Kopf und zuckte dann mit den Schultern.

„Ich sage Ihnen etwas, Ms. Hare“ – dieses Mal sprach er ihren Namen mit übertriebenem Nachdruck aus – „ich bin um jede meiner Spielerinnen besorgt und natürlich trifft mich Talias Tod. Immerhin sind wir so etwas, wie eine Familie.“ Er funkelte sie an.

„Eine Familie, in der jeder Missgunst gegen die Hälfte der anderen hegt?“, konterte Kyra.

„Ist das nicht beinahe normal in einer Familie?“

Erneut zuckte Kyra nur mit den Schultern, um abzuwarten, was er sonst noch zu sagen hatte.

„Ich bin betroffen von Talias Tod, das können Sie mir glauben“, fuhr er schließlich fort. „Aber ich habe einen Job den ich dennoch zu tun gedenke. Vor allem nun, da wir zwei Spielerinnen und einen Trainer verloren haben.“

„Gut, gut“, meinte Kyra nur. „Ich meine ja nur …“ Sie war sich dessen bewusst, dass sie provozierte. Nicht, dass es bei ihr je unktioniert hätte, aber rein theoretisch sollte es das ja. „Ich meine nur … Mir sind ein paar Dinge aufgefallen. Unter anderem, dass Ms. MacKey vor Ihnen Angst zu haben scheint.“

„Woran machen Sie das fest?“, fragte er herablassend.

„Sie ist merkwürdig steif geworden, als Sie auf das Spielfeld gekommen sind“, antwortete Kyra nüchtern. „Beinahe, als hätten Sie ihr etwas angetan.“

Da war etwas. Er zuckte zusammen und für einen Moment wich er ihrem Blick deutlich aus, ehe er sich wieder fasste. „Sie gehen zu weit“, sagte er langsam, aber mit einer deutlichen Drohung in der Stimme.

„Vielleicht“, meinte Kyra. Sie wusste, dass sie besser aufhören sollte, doch konnte sie sich einfach nicht beherrschen. Vielleicht schaffte sie es noch ein wenig mehr aus ihm heraus zu kitzeln, wenn sie weiter provozierte. Wenn nicht, würde es ihr zumidnest auf eine gewisse Art und Weise Genugtuung verschaffen, da es irgendetwas an diesem Kerl gab, dass sie auf die Palme brachte. „Soll ich Ihnen sagen, was ich glaube?“

„Nein“, antwortete er kühl.

Natürlich hörte sie nicht auf Ihn. „Ich glaube, dass Sie Ms. Russel und einigen anderen Spielerinnen sexuelle oder vielleicht auch romantische Avancen gemacht haben und einen Streit mit Ms. Russel hatten, da diese Sie bereits mehrfach abgewiesen hat. Deswegen haben Sie sie umgebracht.“

Reilly sah sie mit verengten Augen an, doch als sie seinen Blick erwiderte, wich er dem ihren aus. Einige Male holte er tief Luft, dann zeigte er auf die Tür. „Das reicht, Ms. Hare“, sagte er langsam, leise, aber mit leicht zitternder Stimme. „Gehen Sie. Ich werde keine Fragen mehr beantworten und verweise Sie hiermit vom Gelände.“

Kyra musterte ihn nur, nicht ganz schlüssig, ob es Wut oder Angst war, die sie in seinen Augen sah.

Als sie sich nicht rührte, hob er die Stimme. „Raus!“

Schließlich zuckte sie mit den Schultern, stand auf und verließ den Raum, hielt aber noch einmal Inne.

„Verschwinden Sie!“, rief Reilly daraufhin. „Ich werde Ihr ungebührliches Verhalten melden.“

„Tun Sie das“, erwiderte Kyra nur, bemüht ihre Stimme gleichgültig klingen zu lassen. „Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.“

Dann ging sie und wurde sich erst jetzt dessen bewusst, dass fünf der Spielerinnen im Flur standen – sie waren offenbar eigentlich wieder auf dem Weg nach draußen gewesen – und sie verblüfft anstarrten, während Kyra einfach nur an ihnen vorbei ging, um Selbstsicherheit in ihren Schritten bemüht.

Sie durfte sich nicht anmerken lassen, dass sie unsicher war. Denn eigentlich war sie sich einer Sache bewusst: Sie hatte sich gerade massiv viel Ärger eingehandelt.

Wut und Trauer

Kyra war gerade auf dem Weg zu ihrem Wagen hinüber, als sie eine Stimme hinter sich rufen hörte: „Warten Sie, Ms. Hare!“

Sie drehte sich um und stellte fest, dass Aitken ihr folgte. Die junge Frau hatte sie mit ihren langen Schritten schnell erreicht und stand nun vor ihr, sie kurz von oben bis unten musternd.

„Was ist?“, fragte Kyra vorsichtig.

„Ich wollte nur wissen, was gerade passiert ist“, erwiderte Aitken, die – natürlich – kein Bisschen von ihrem kurzen Sprint außer Atem war. Sie wirkte jedoch besorgt.

Kyra zuckte einmal wieder nur mit den Schultern. „Ich habe nur ein wenig provoziert.“

Die junge Frau schwieg kurz, ehe ihr offenbar etwas klar wurde. „Sie verdächtigen Marcel?“

Unsicher biss sich Kyra auf die Unterlippe. „Vielleicht“, erwiderte sie. „Ich weiß es nicht.“

Aitken holte tief Luft und sah so aus, als würde sie ernsthaft in Betracht ziehen, sich umzudrehen, und selbst in das Center zurückzulaufen, um den Manager zu konfrontieren.

„Wie gesagt, ich weiß es nicht“, sagte Kyra noch einmal mit Nachdruck. „Aber ich habe das Gefühl, dass Madleine MacKey etwas wissen könnte.“ Sie seufzte. „Und sei es nur, wer sie gewürgt hat.“

„Soll ich sie fragen?“, bot Aitken an und sah noch einmal zum Gebäude.

Kyra seufzte. „Warten Sie lieber. Nicht während des Trainings. Zumal ich selbst gerne noch einmal mit ihr reden würde – aber wie Sie vielleicht mitbekommen haben, wurde ich gerade des Geländes verwiesen.“

Daraufhin nickte Aitken, wenngleich sie unzufrieden wirkte. „Also was? Wann?“

Für einen Moment dachte Kyra nach. Sie sollte das Mädchen eigentlich nicht mit hineinbeziehen. Eigentlich sollte sie sich selbst nicht einmal mit einbeziehen, doch der Zug war schon lange abgefahren. Fakt war, dass MacKey Aitken kannte und ihr vielleicht – anders als der fremden Detektivin – zumindest etwas Vertrauen entgegen bringen sollte. Sie seufzte. „Bis wann habt ihr Training?“

„Alles in allem? Nachmittag. Gegen drei.“

Kyra nickte. „Weißt du, wo MacKey lebt?“

„Madleine?“, erwiderte Aitken. „Ja, sicher. Ich mein', wir sind nicht befreundet, aber ich war schon mal da. An ihrem Geburtstag letztes Jahr. Treffen wir uns da?“

„Ja. Aber erst um sechs.“ In der Hoffnung, dass MacKey dann da wäre.

Aitken lächelte matt. „Super. Dann kriegen wir das Arsch vielleicht dran.“

Und einigen Ärger, dachte sich Kyra. „Ich bitte dich nur, das ganze erst einmal für dich zu behalten.“

„Geht klar, Detective.“ Aitken nickte ihr zu.
 

„Wir bringen uns wieder in Schwierigkeiten, Watson“, seufzte Kyra zwanzig Minuten später, als sie vor dem Gebäude, in dem laut ihren Unterlagen Irene Duncans Eltern lebten, stand.

Watson bellte nur, stand auf dem Rücksitz auf und wedelte mit dem Schwanz, so dass dieser die ohnehin schon extrem haarige Decke der Kabine entlangwischte.

„Du nimmst das ganze viel zu sehr auf die leichte Schulter“, murmelte Kyra, zog den Schlüssel aus der Zündung und öffnete die Tür. Sie ließ Watson wie immer nach sich aussteigen und ging dann zu dem Haus, froh, hier einen relativ nahen Parkplatz gefunden zu haben.

Bei dem Haus handelte es sich um eins jener beinahe schon klischeehaften Vorstadthäuser. Ein relativer Neubau – vielleicht aus den späten 90ern oder frühen 2000ern – dessen Front mit weißen Steinen verklinkt war. Die Dachziegel glänzten silbrigschwarz und auch die Tür war aus dunklem Holz. Ein für Mittelstandsverhältnisse edles Haus, befand Kyra, oder zumindest eins, das möglichst Edel wirken wollte.

Auch der Vorgarten, der durch eine niedrige Mauer von der Straße getrennt war, wirkte ordentlich und gepflegt.

„Ach je“, murmelte Kyra, als sie über den gepflasterten Weg zur Haustür ging, Watson an ihrer Seite.

Es war halt immer eine andere Sache, wenn Eltern mit im Haus waren. Jetzt würde sie wohl erst mit Duncans Eltern sprechen müssen und dann mit dem Mädchen, das von allem, was sie gehört hatte, noch weit verstörter war, als ihre Kolleginnen.

Kurz sah Kyra zu Watson hinab, der gut gelaunt hechelte. Ja, er musste ja auch mit niemanden reden und Kyra zweifelte irgendwie auch, dass er ganz verstand, was es mit der ganzen Sache hier so auf sich hatte. Ein Hund würde kaum eine konkrete Vorstellung von Tod, Verlust und Mord haben, oder?

Seufzend klingelte sie an der Tür und wartete.

Tatsächlich hörte sie relativ bald stramme Schritte und durch die milchigen Fenster, die in der Mitte der Tür in einer senkrechten Reihe eingelassen waren, konnte sie eine Gestalt sehen.

Die Tür wurde geöffnet. „Ja, bitte?“, fragte eine ältere Frau um die fünfzig mit gelockten Haaren, die in recht gemütlicher Kleidung – einem ausgeleiherten Wollpulli und einem recht weiten Rock, der ihr bis knapp über die Knöchel reichte – nun vor ihr stand.

„Guten Tag“, sagte Kyra vorsichtig und bemüht höflich. „Mein Name ist Kyra Hare. Ich bin Privatdetektivin und um Auftrag der Scottland Police hier.“

„Aha“, erwiderte die Frau und musterte sie einmal von oben bis unten. Kyra war sich recht sicher, dass ihr Blick kurz an ihrem Piercing hängen blieb. „Ist es wegen diesem Mord?“

Kyra nickte mit einem Lächeln. „Ja, genau. Ich wurde beauftragt die Spielerinnen der Mannschaft zum Opfer zu befragen. Ich nehme an, Sie sind die Mutter von Irene Duncan?“

„Ja, die bin ich.“ Zurückhaltend bot die Frau ihr die Hand an. „Josephine Duncan.“

Kyra ergriff die Hand. „Erfreut Sie kennen zu lernen“, meinte sie dann, unsicher, was sie ansonsten sagen sollte. „Dürfte ich mit Ihrer Tochter sprechen?“

Offenbar zögerte die Frau. „Nun, ja. Ja. Natürlich.“ Sie trat mit mehreren kleinen Schritten zur Seite und warf Watson dann einen Blick zu. Fast rechnete Kyra damit, dass sie etwas sagen würde, und war umso überraschter, als sie es nicht tat. „Seien Sie nur vorsichtig“, meinte Mrs. Duncan dann. „Irene ist … Sehr aufgelöst, wegen der Sache.“

„Das kann ich verstehen“, erwiderte Kyra nur und log damit nicht einmal. Sie war tatsächlich noch immer überrascht, dass heute überhaupt Training stattgefunden hatte, selbst wenn sie rein rational verstand, dass auch ein Betrieb nicht freigeben würde, nur weil ein Mitarbeiter ermordet worden war.

„Ja …“ Unsicher sah Mrs. Duncan zwischen ihr und Watson hin und her, schloss dann aber die Tür hinter ihnen. „Sie können ins Wohnzimmer gehen“, meinte sie dann. „Folgen Sie mir bitte.“

Kyra nickte und fand sich wenig später in einem alten, mit karriertem Stoff bezogenen Ohrensessel wieder. Das hatte schon etwas Stil, dachte sie sich, und sah sich in dem im Kontrast zu dem eigentlich edel-modern gehaltenem Äußeren des Hauses eher klassisch dekoriertem Wohnzimmer um. Das Sofa war ebenfalls mit Stoff bezogen und wirkte älter – abgesessen. Die Möbel waren durchweg aus Massivholz.

„Wollen Sie vielleicht einen Tee?“, fragte Mrs. Duncan unsicher.

„Ähm.“ Kyra zögerte. „Ja, gerne.“ Eigentlich wollte sie nur mit Irene sprechen. Aber gut, gegen einen guten Earl Grey hatte sie selten etwas einzuwenden.

Watson warf ihr einen beinahe vorwurfsvollen Blick zu, als sie fünf Minuten später einen Tee, inklusive Gebäck serviert bekam, während die Mutter unschlüssig am Rand des Zimmers stehen blieb.

„Nun“, sagte sie langsam. „Ich … Ich hole dann Irene.“

Kyra nickte. Sie war sich nicht ganz sicher, was sie vom Verhalten der Mutter halten sollte. Lag sie vielleicht doch falsch? Lagen die anderen Spielerinnen wie Kerr richtig? Immerhin wirkte es beinahe so, als wolle die Mutter etwas verheimlichen?

Während sie wartete, dass Mrs. Duncan mit ihrer Tochter zurückkehrte, spann ihr Gehirn von ganz alleine diesen Gedanken weiter. Es konnte auch sein, dass Kerr, MacKey und Reilly nichts damit zu tun hatten, dass sie nur ihr eigenes Ding gehabt hatten, das vielleicht auch nicht ganz – wie sagte man so schön – „koscher“ gewesen war, aber eben kein Mord. Wenn die Sache mit dem Streit zwischen Irene Duncan und Talia Russel stimmte, dann konnte es auch sein, dass Duncan eventuell Russel besucht hatte, vielleicht, weil sie wirklich besorgt gewesen war. Dann war die Situation irgendwie eskaliert und es hatte eine Affekthandlung gegeben?

Von allem, was sie gehört hatte, klang Duncan nicht nach einer gewalttätigen Person, aber sie hatte auch schon mit anderen eigentlich harmlos wirkenden Damen und Herren zu tun gehabt, die mit dem richtigen Trigger zur Furie werden konnten.

Vorsichtig nippte sie an dem heißen Tee, während Watson noch immer auf das Gebäck sah.

Kyra seufzte. „Hier.“ Damit gab sie ihm einen der Kekse, vorsichtig, dass er danach nicht wieder ihre Hand abschlabberte. Sie wollte immerhin Irene Duncan keine speicheltriefende Hand reichen.

Watson tat mit einem kurzen, gedämpften Bellen und einem Schwanzwedeln seine Anerkennung der Geste kund, ehe er sich hinlegte und zusammen mit ihr zu warten schien.

Schließlich, etwa acht Minuten später, hörte Kyra Schritte auf den Flur und eine junge Frau, die Kyra von den Fotos als Irene Duncan erkannte, trat in Begleitung ihrer Mutter in das Zimmer. Sie wirkte verweint und unausgeschlafen und kam nun mit unsicheren Schritten zu Kyra hinüber.

„Sie sind die Detektivin“, stellte sie heiser fest.

Kyra nickte und stand auf, um ihr die Hand zu geben. „Genau. Kyra Hare ist mein Name.“ Sie zögerte für einen Moment. „Es tut mir leid“, fügte sie dann hinzu.

Das Mädchen nahm ihre Hand, ohne wirklich zuzudrücken, sah sie an und ließ sich dann mit einer fahrigen Bewegung auf das Sofa fallen.

Noch immer stand ihre Mutter in der Tür des Wohnzimmers und zwang so Kyra dazu, sich ihr zuzuwenden. „Könnten Sie uns bitte für fünf Minuten allein lassen?“, bat sie betont freundlich.

Auch die Mutter wirkte fahrig, als sie nickte. „Ja“, sagte sie nur wieder. „Ja. Natürlich.“ Noch einmal warf sie ihrer Tochter einen besorgten Blick zu und verließ dann, hörbar seufzend, den Raum.

Nachdem die Tür geschlossen war, wandte sich Kyra Irene Duncan zu. „Es tut mir leid, dass ich Sie belästigen muss, Ms. Duncan“, sagte sie vorsichtig. „Ich bin beauftragt, mit allen Kolleginnen Ms. Russels zu sprechen. Verstehen Sie das bitte.“

Ein stummes Nicken war die Antwort.

Irene Duncan trug einen labbrigen, grauen Jogginganzug, an dessen Ärmelenden Kyra feuchte Spuren erkennen konnte. Abgewischte Tränen, schloss sie. „Was wollen Sie wissen?“, fragte Irene schließlich heiser.

Kyra holte ihren Notizblock hervor. „Eigentlich will ich nur wissen, wie Ihr verhältnis zu Ms. Russel war und ob Sie jemanden kennen, der vielleicht Probleme mit ihr gehabt hatte.“

Noch einmal nickte Irene, blieb aber wieder für einige Sekunden still. „Talia und ich waren nie Freunde“, sagte sie dann. „Wir waren auch keine Feinde oder so. Aber nie Freunde.“ Tränen quollen in ihren Augen hervor. „Sie war … Wählerisch was Freunde anging.“ Sie wischte sich die Tränen mit ihrem linken Ärmel fort. „Entschuldigen Sie.“

„Kein Problem“, meinte Kyra und wartete geduldig.

„Ich meine“, begann Irene Duncan dann, doch ihre Stimme versagte ihr auf halben Weg, so dass sie schluckte und dann noch einmal begann: „Ich meine, Talia konnte fies sein, aber ich hatte nie etwas gegen sie. Verstehen Sie? Im Gegenteil … Ich fand es teilweise unfair, wie die anderen mit ihr umgegangen sind. Und jetzt …“ Sie schüttelte den Kopf, wischte sich erneut Tränen weg und sah dann für einige Sekunden aus dem Fenster.

„Hätten Sie irgendeine Ahnung, wer ein Problem mit Ms. Russel gehabt haben könnte?“, fragte Kyra und spürte so etwas wie Mitleid in ihrer Brust.

„Ja, natürlich“, flüsterte das Mädchen. Nun, Mädchen. Eigentlich war auch sie 23 Jahre alt, doch so verweint und das braune Haar unordentlich auf ihrem Kopf liegend, hatte sie wirklich etwas kindliches an sich. „Ich meine … Sie hatte mit so vielen Streit. So viele mochten Sie nicht … Aber deswegen würden sie sie doch nicht töten, oder?“ Ihre Stimme wurde bei den letzten Worten lauter.

Watson gab ein leises Jaulen von sich und stand auf. Er sah zu Kyra und dann zu Irene Duncan.

Wenn sie nur wüsste, was er ihr sagen wollte.

Kyra seufzte. Es gab da noch eine Frage, die sie wohl oder übel stellen musste: „Ich habe gehört, dass Sie sich vor zwei Wochen ziemlich mit Ms. Russel gestritten haben.“

Ms. Duncan nickte. „Ja“, flüsterte sie dann. „Habe ich. Ich weiß gar nicht, wie es dazu gekommen ist.“ Ihre Stimme klang verzweifelt. „Talia war schon seit einer Weile so … Komisch. Sie hat immer so abwesend gewirkt und gar nicht konzentriert und ich habe mir Sorgen gemacht, dass irgendetwas nicht stimmt.“ Sie schüttelte den Kopf und holte nun ein bereits gebrauchtes Taschentuch aus ihrer Tasche hervor, um sich die Nase zu putzen. „Ich wollte mich gar nicht streiten, aber als sie mich abgewiesen hat, habe ich sie irgendwie noch mehr bedrängt. Ich habe mir wirklich Sorgen gemacht“, versicherte sie. „Und dann ist sie auf einmal wütend geworden und hat mich angeschrien. Und ich … Ich habe zurückgeschrien, weil es so unfair war und dann … Dann haben wir uns halt gestritten.“

Wie immer schrieb Kyra das mit.

„Aber Sie müssen mir glauben“, sagte Ms. Duncan dann auf einmal, „ich war nicht wütend auf Talia. Nur auf mich selbst, dass ich sie so bedrängt habe. Das war nicht richtig. Aber ich habe mir doch Sorgen gemacht!“

Daraufhin nickte Kyra. Zu gerne hätte sie „Ich glaube Ihnen“ gesagt, doch sie wusste, dass sie das in dieser Situation vermeiden msuste. „Schon gut“, sagte sie stattdessen nur und tätschelte zurückhaltend die Hand des Mädchens.

„Ich mache mir solche Vorwürfe“, brach es dann aus Irene Duncan hervor. „Was auch immer sie bedrückt hat, es hatte sicher damit zu tun! Vielleicht hatte sie einen Stalker oder jemand hat sie bedroht und sie jetzt umgebracht!“ Sie schüttelte den Kopf. „Hätte ich das ganze anders angegangen, hätte sie vielleicht geredet. Vielleicht mit einer ihrer Freundinnen. Und dann hätte man etwas tun können.“ Sie seufzte leise und sah Kyra verzweifelt an. „Ich meine, ich hätte es wissen müssen. Ich meine, ich kenne sie doch. Sie ist immer so stolz und dann wollte sie sicher nicht mehr …„

Nun begann Kyra sich zunehemnd unwohl zu fühlen. Sie biss sich auf die Unterlippe und wartete für einen Augenblick. „Seit wann war Ms. Russel denn so 'anders'?“, fragte sie.

Ms. Duncan zögerte. „Ich weiß es nicht genau“, sagte sie dann kleinlaut. „Ich weiß es nicht. Seit … Etwa fünf Wochen? Aber vor etwas mehr als zwei Wochen ist es schlimmer geworden. Sie wirkte immer so als würde sie über etwas nachdenken. Und … Sie müssen wissen, Talia hat manchmal dumme Sachen gemacht. Wenn sie einmal etwas beschlossen hatte … Und ich dachte, vielleicht würde sie darüber denken, die Mannschaft zu wechseln oder so. Verstehen Sie?“

Kyra nickte nur höflich.

„Deswegen … Aber vielleicht war es ja eben doch was anderes“, murmelte Ms. Duncan. „Vielleicht hatte sie darüber nachgedacht zur Polizei zu gehen oder so.“ Sie sah zu Kyra. „Was glauben Sie?“

Na, großartig. „Ich weiß es nicht“, erwiderte Kyra und fühlte sich schlecht. „Es tut mir leid.“ Noch einmal zögerte sie kurz. „Gab es irgendein besonderes Ereignis, nachdem das Verhalten von Ms. Russel sich verändert hat?“

Ms. Duncan schwieg und schien nachzudenken. „Ich weiß es nicht … Ich glaube … Es müsste nach der Geburtstagsfeier von Maia gewesen sein. Sie hatte die ganze Mannschaft eingeladen. Sie und Talia hatten sich dort auch ein wenig gestritten …“ Sie schien auf ihrer Zunge zu kauen, als sie nachdachte. „Ich weiß aber nicht wieso.“

Kyra nickte und tätschelte noch einmal die Hand. „Das soll die Polizei heraus …“ Herausfinden, hatte Kyra sagen wollten, doch genau in diesem Moment schellte die melodische Türklingel durch das Haus und ließ sie innehalten.

Sie sah zur Tür und wartete.

Wieder erklangen die Schritte von Mrs. Duncan und dann hörte Kyra Stimmen aus der Diele, jedoch zu gedämpft, um Worte auszumachen.

Der Blick von Irene Duncan wirkte verschreckt, doch sie stand langsam auf. „Entschuldigen Sie mich“, murmelte sie leise und ging zur Tür hinüber.

Kyra folgte ihr. Sie hatte ein ungutes Gefühl bei der Sache.

Als sie zur des Wohnzimmers kam, die Irene gerade geöffnet hatte, konnte sie zwei Polizisten in der Tür sehen. Einer von ihnen war – und das überraschte Kyra schon beinahe etwas – Sutherland. Sie ahnte, was es hieß, doch selbst dann war es unüblich, dass Sutherland selbst hier war.

Nun sah Sutherland zu Irene hinüber. „Sie sind Irene Duncan?“, fragte er und musterte sie. Dann bemerkte er Kyra. „Ah, sie sind auch hier, Ms. Hare.“

Kyra nickte nur.

„Ja“, beantwortete Irene Duncan derweil seine Frage zurückhaltend und sah eingeschüchtert zu ihm hinüber.

„Ich muss Sie bitten, mit mir mitzukommen“, sagte der Inspektor. „Sie stehen unter Verdacht, Talia Russel ermordet zu haben.“

Kyra wusste, dass sie neutral bleiben sollte. Doch in diesem Moment sah sie ihn genau so schockiert an, wie es auch Mrs. Duncen tat.
 

Positiv war zu bemerkte, dass Reilly sein „Versprechen“ offenbar doch nicht eingehalten hatte, Kyras Fehlverhalten bei der Polizei zu melden. Negativ jedoch war, dass Kyra ein furchtbares Gefühl in der Magengegend hatte.

Sie hatte mit Sutherland gesprochen und von ihm erfahren, dass am Tatort Führerschein von Irene gefunden worden war. Außerdem hatte man daraufhin festgestellt, dass das Messer, das irgendwo in der Küche Russels gefunden worden war, zu einem Set gehörte, dass auch Duncan besaß. Ein Messerblock. Offenbar hatte es bereits eine Durchsuchung von Duncans Wohnung am Morgen gegeben, schloss Kyra, nach allem was sie hörte, denn Sutherland deutete an, dass ausgerechnet das Messer, was man gefunden hatte, aus Duncans Block gefehlt hatte.

Natürlich konnte Kyra nicht mit aufs Revier kommen. Um genau zu sein, war alles, was sie tun konnte, anzumerken, dass sie kein gutes Motiv auf der Seite Duncans für einen Mord sah. Schon gar nicht für einen berechneten Mord und ein Messer von ihrer Küche mit zu Russel zu nehmen, sprach für Berechnung. Sicher, sie konnte nicht ausschließen, dass das Mädchen im Affekt etwas dummes getan hatte, doch war sie sich sicher, dass sie in diesem Fall ein Messer aus Russels Küche genommen hätte.

Ganz so, sagte sie es jedoch nicht.

Sutherland wirkte unsicher, sagte ihr am Ende jedoch nur, sie solle einfach ihren Bericht abgeben.

Also fuhr Kyra am Ende missmutig nach Hause und verbrachte die Zeit, bis zu ihrem Treffen mit Aitken damit, ihren Tagesbericht zusammen zu tippen.

Beweise hin oder her. Das ganze wirkte ein wenig zu passend. Wer würde bitte seinen Führerschein am Tatort verlieren. Zur Hölle, wenn Duncan wirklich dort gewesen war: Was für einen Grund hätte sie haben sollen, ihren Führerschein hervor zu holen?! Das schrie doch nach gefälschten und absichtlich dort gelassenen Beweisen.

Wahrscheinlich wusste das Sutherland auch, aber es gab Protokolle, denen er folgen musste.

Kyra war nicht an Kontrolle gebunden. Sehr wohl aber an das Gesetz. Ja, sie wusste, wenn sie jetzt einen Fehler machte, konnte das dem eigentlichen Täter zu gute kommen, aber verdammt noch mal, sie wollte das ganze nicht so stehen lassen.

Ihr Bauchgefühl sagte ihr, dass Irene Duncan unschuldig war. Ihr Bauchgefühl sagte ihr auch, dass MacKey, Kerr und Reilly viel eher etwas damit zu tun hatten. Jedoch war es eben nur ihr Bauchgefühl, was kaum als Beweis reichen musste. Also brauchte sie etwas konkretes. Einen Beweis. Irgendetwas, dass die drei damit in Verbindung brachte. Eine Aussage von einem der drei würde natürlich auch reichen. Zumindest für den Anfang. Danach sollte sich dann die Staatsanwaltschaft oder wer auch immer drum kümmern.

Ha ha. Wenn sie wirklich das ganze so gut vorbereitet hatten, wie es schien, hatten sie sich auch perfekte Alibis besorgt. Natürlich hatten sie das.

Aber das einzige, was sie soweit dagegen tun konnte, war, zu sehen, ob einer der drei gegen die anderen beiden aussagte.

Und genau deswegen fuhr sie am Abend – wie mit Aitken verabredet – zu der Wohnung in der Madleine MacKey und ihr Mitbewohner lebten. Immerhin hatte MacKey so gewirkt, als wäre sie nicht ganz freiwillig bei was auch immer dabei.

Nun, mal sehen, was sie sagte.

Sie zählte die Hausnummern, ehe sie endlich das Apartmentgebäude fand, in dem MacKey lebte.

Etwa zwei Minuten später hatte sie auch einen Parkplatz gefunden und war zusammen mit Watson auf dem Weg zurück zu dem Haus.

Da es später Oktober war, war die Sonne mittlerweile untergegangen und Kyra suchte im Licht der Eingangsleuchte nach der richtigen Klingel.

Watson hob ein Ohr und auch Kyra kam es für einen Moment so vor, als hätte sie etwas gehört. Sie lauschte. Irgendetwas war da. Stimmen, die zu streiten schienen, meinte sie, aber genaueres konnte sie nicht hören.

Nun, sie würde sehen.

Sie zögerte. War Aitken schon da? Es wäre besser auf sie zu warten, wenn nicht. Immerhin kannte MacKey sie, Kyra, ja nicht.

Sie sah auf ihr Handy. Es war etwa fünf vor Sechs. Also vielleicht sollte sie noch warten. Oder … Ach, sie konnte einfach versuchten Aitken anzurufen. Wenn sie im Wagen war, würde diese wahrscheinlich nicht dran gehen, wenn sie aber schon da war …

Sie wählte die Nummer und war überrascht, das Aitken bereits nach dem ersten Klingeln dran ging. „Ms. Hare?“ Dabei klang sie leicht außer Atem.

„Ja“, erwiderte Kyra. „Ich bin jetzt bei MacKeys Haus. Wo …“ Weiter kam sie nicht, da Aitken sie unterbrach.

„Moment. Ich buzz dich rein.“

Und tatsächlich erklang etwa drei Sekunden später der Buzzer und Kyra betrat das Treppenhaus.

„Zweite Etage“, sagte Aitken und Kyra hörte ihre Stimme durchs Treppenhaus echoen, ehe sie auflegte. Nun gut. Hier waren sie.

Vorsichtig sah sie zu Watson, der Aufmerksam, aber nicht über die Maßen angespannt wirkte. Dann sollte sie wohl sehen, was da oben los war. Denn ein Gefühl sagte ihr, dass bereits etwas los war.

Vier Treppen später kam sie auf einen Absatz, von dem zwei Türen abgingen. Aitken stand in der einen, der schmale Flur hinter ihr von Licht geflutet.

„Hey“, meinte sie mit angespannten Gesicht und nicht ohne leichte Wut in der Stimme.

Kyra hob eine Augenbraue. „Hey“, erwiderte sie dann vorsichtig. „Hast du schon mit MacKey gesprochen?“

„Nein.“ Aitken trat zur Seite, um sie reinzulassen und schlug dann – mit weit mehr Kraft als notwendig – die Tür zu. „Sie will einfach nicht mit mir reden!“

Damit ging sie zu einer der vier Türen, die vom Flur abführten, und begann an diese zu hämmern. „Komm jetzt endlich daraus, Madleine! Die Detektivin ist da! Die kann dir helfen!“

Großartig, kommentierte Kyra in Gedanken. Einfach nur großartig.

Ihr Gehirn rekonstruierte, was sich hier seit Aitkens Auftauchen abgespielt haben musste. Ganz offenbar war MacKey alleine hier gewesen und Aitken hatte sie offen konfrontiert. Und wahrscheinlich hatte MacKey sich daraufhin in ihrem Zimmer eingeschlossen – etwas, das Kyra durchaus verstehen konnte, wenn sie die kalte Wut in Aitkens Gesicht sah. Doch auf der anderen Seite: Ihre beste Freundin war erstochen worden, also vielleicht hatte sie ohnehin schon seit einer Weile für ein Ventil für diese Wut gesucht.

„Madleine! Mach endlich auf!“, brüllte sie nun.

Eine brüchige Stimme antwortete aus dem Zimmer: „Geht weg.“ Ein halb ersticktes Schluchzen. „Das geht euch nichts an!“

„Du bist eine Kollegin also geht uns das was an!“, erwiderte Aitken laut und erneut gegen die Tür hämmernd. „Wenn es etwas mit Talias Tod zu tun hat umso mehr!“

„Geht weg!“, war nur wieder die Antwort.

Aitken schnaubte. „Verflucht noch mal, Madleine! Mach diese verdammte Tür auf oder ich mache sie auf!“ Sie trat einen Schritt zurück, ganz so als wolle sie Anlauf nehmen.

„Lass mich einfach in Ruhe!“, schluchzte es hinter der weißen Zimmertür hervor.

„Erst wenn du mir verflixt noch mal sagst, wer Talia umgebracht hat!“, schrie Aitken. „Ich zähle jetzt bis drei und …“

Kyra legte ihr die Hand auf die Schulter. „Ruhig“, sagte sie, auch wenn sie wenig Hoffnung hatte, dass es etwas brachte. „Ms. Aitken, bitte. Mit Gewalt können sie hier nichts erreichen.“

„Ich kann's versuchen“, grummelte Aitken und wollte an ihr vorbei zur Tür.

„Bitte“, erwiderte Kyra, halb verzweifelt, und hielt ihr entgegen. Sie überlegte kurz, ehe sie sich entschloss, auf eine persönlichere Ebene zu wechseln. „Lass mich mit ihr reden, Charleigh. Lass es mich versuchen, ja?“

Aitken schien die Zähne zu fletschen, doch am Ende verschränkte sie nur die Arme und zeigte ein kurzes, missmutiges Nicken, ehe sie sich an die gegenüberliegende Wand in dem nicht allzu breiten Flur lehnte.

Erleichtert seufzte Kyra, ehe sie sich an die Tür stellte und ihrerseits leicht klopfte. „Ms. MacKey, sind Sie da drin?“ Natürlich war es eine dumme Frage, da sie es bereits wusste. Jedoch erschien es ihr als halbwegs höflich.

Keine Antwort. Nur ein leises Schluchzen war zu hören.

Watson wimmerte leicht, so als würde ihm diese Situation ebenfalls so gar nicht gefallen.

Also holte Kyra tief Luft und klopfte noch einmal. „Ms. MacKey? Machen Sie bitte auf. Wir wollen Ihnen nur helfen.“

Weiteres Schluchzen, ehe eine leise Stimme erwiderte: „Das könnt Ihr nicht.“

Nur schwerlich unterdrückte Kyra ein genervtes Seufzen und biss sie kurz auf ihre Unterlippe, um sich zu beruhigen.

„So kommst du nicht weiter“, meinte Aitken harsch und wollte wieder auf die Tür zugehen, doch Kyra bat sie mit einer knappen Geste noch zu warten.

„Ich bitte Sie, Ms. MacKey“, sagte sie erneut. „Lassen Sie uns reden. Wenn Sie etwas wissen, dann können Sie nur helfen – uns, der Polizei und auch sich selbst. Wenn es sie beruhigt: Ich glaube nicht, dass sie direkt in den Mord von Ms. Russel verwickelt waren, aber ich glaube, dass Sie dennoch mehr darüber wissen, was vorgefallen ist und das jemand sie erpresst.“ Okay, der Teil war nur geraten, aber sie wollte – auch wenn es vielleicht so nicht unbedingt professionell war – nicht den Anschein erregen, MacKey zu beschuldigen. „Also reden Sie bitte mit uns.“

Wieder waren Schweigen und ein unterdrücktes Schluchzen ihre einzige Antwort.

Nun drehte sie sich zu Aitken, Charleigh, um. „Versuch du es noch einmal. Aber vielleicht … Ein bisschen weniger zornig und gewaltsam.“

„Aber sie …“, begann Aitken.

„Sie ist vielleicht auch nur ein Opfer und verängstigt“, meinte Kyra. „Und wenn es so ist, wollen wir ihr nicht noch mehr Angst einjagen, oder?“

Für einige Sekunden musterte Charleigh sie, dann holte sie tief Luft und ließ die Schultern etwas hängen. „In Ordnung“, stimmte sie dann – sehr langsam – zu.

Sie trat erneut vor die Tür und atmete noch einmal, zwei Mal tief ein und aus, ehe sie die Stimme wieder erhob. „Madleine?“

Natürlich gab es wieder keine Antwort.

„Madleine?“, fragte Charleigh noch einmal. Es schien sie einige Anstrengung zu kosten, ruhig zu bleiben und Kyra konnte sehen, wie ihre Hände leicht zitterten. „Hör' mal. Wir wollen dir wirklich helfen, ja? Also bitte rede mit uns.“

„Ihr könnt mir nicht helfen“, erwiderte MacKey kleinlaut von der anderen Seite der Tür.

„Woher willst du das wissen?“ Trotz ihrer augenscheinlichen Mühen schwang noch immer etwas Wut, aber auch Verzweiflung in Charleighs Stimme mit.

Keine Antwort.

Ratlos sah Charleigh zu Kyra mit einer unausgesprochenen Aufforderung, noch etwas zu sagen.

Kyra brauchte einen Moment um ihre Gedanken zu ordnen. Sie konnte relativ deutlich sagen, dass jemand MacKey bedroht hatte, auch wenn sie sich nicht sicher war, womit. Sie seufzte. „Ms. MacKey“, begann sie und stellte eine Vermutung an. „Wenn Sie etwas darüber wissen und vom eigentlichen Täter bedroht werden, gibt es Dinge, die die Polizei tun kann, um Sie zu beschützen. Sie müssen uns da vertrauen. Hören Sie?“ Als erneut nur Schweigen herrschte, fuhr sie fort. „Wenn Sie uns nicht helfen, könnten noch andere Leute zu schaden kommen und das wissen Sie.“ Kurz zögerte sie, ehe sie noch eine wesentlich größere Vermutung anstellte. „Vielleicht sogar andere Mitglieder ihrer Mannschaft. Freunde von Ihnen sogar!“

Fragend sah Charleigh sie an, doch Kyra zuckte nur mit den Schultern. Das ganze war kaum mehr als ein Bluff. Sie versuchte zu erraten, was hier vor sich ging und es konnte sehr gut sein, dass sie meilenweit daneben lag.

Dies schien auch Charleigh zu verstehen, spielte nun aber mit. „Genau. Komm, Madleine. Bitte. Ich will nicht, dass sowas noch jemanden anderen passiert! Ich will wissen, was mit Talia passiert ist, und ich will dir auch wirklich, wirklich helfen!“ Sie klopfte noch einmal gegen die Tür und nun klang doch wieder Verzweiflung in ihrer Stimme mit. „Bitte, Madleine.“

Und wieder herrschte Stille, doch am Ende hörten sie ein Scharren, offenbar von einem Stuhl oder dergleichen, der zur Seite geschoben wurde. Dann wurde der Schlüssel in der Tür umgedrehte und wenige Sekunden später stand eine vollkommen verweinte Madleine, in T-Shirt und Leggins gekleidet, vor ihnen.

Für einige Sekunden stand sie da, während Kyra und offenbar auch Charleigh absolut unschlüssig waren, was sie tun sollten. Dann machte Watson einen Schritt nach vorn und quetschte sich an Charleigh vorbei zu MacKey, um ihre Hand zu lecken. Als sie nicht zurückschreckte, stellte er sich auf seine Hinterbeine und schleckte ihr zwei Mal über das Gesicht, was ihr zumindest kurzzeitig so etwas wie ein mattes Lächeln entlockte.

Sie hockte sich vor ihn und vergrub am Ende ihr Gesicht im Fell des Hundes – eine Geste die Kyra nur zu gut nachvollziehen konnte. Watson hatte einfach die besten Schultern zum Ausheulen.

Für einen Moment hielt sie Inne, ehe sie meinte: „Wenn Sie nichts dagegen haben, mache ich Ihnen einen Tee.“ Dabei konnte sie nur hoffen, dass es in diesem Haushalt Tee gab. Immerhin sollte es sogar Briten geben, die keinen Tee im Haus hatten. Blasphemie.

Sie meinte, ein Nicken von MacKey zu sehen, was sie als „Okay“ interpretierte und die Tür am Ende des Flurs probierte, in der Hoffnung dahinter die Küche zu finden. Es war das Klo, doch mit der Tür zu ihrer rechten lag sie schließlich korrekt. Sie fand einen Wasserkocher und – dankbarer Weise – auch Tee.

Die Küche war ausgesprochen klein, mit der gesamten Arbeitsfläche auf der einen Seite und nur einem kleinen Tisch auf der anderen, direkt unter einem Fenster. Es gab auch nur zwei Stühle.

Sie brühte den Tee auf und gab nach einer kurzen Überlegung eine ordentliche Portion Honig dazu. Sie war kein großer Fan von Honig – schon gar nicht in ihrem Tee – doch hatte sie einmal gehört, dass Honig eine beruhigende Wirkung haben konnte. Also war es einen Versuch wert, oder?

Als sie fertig war, kam schließlich auch MacKey in Begleitung von Charleigh und Watson in die Küche.

Charleigh manövrierte das andere Mädchen auf den Stuhl und hockte sich dann neben sie, während Watson einmal wieder den Kopf in den Schoß des Mädchens legte und sich bereitwillig streicheln ließ.

Kyra stellte MacKey einen Pott Tee hin, ehe sie sich nach kurzem Zögern ihr gegenüber auf den anderen Stuhl setzte.

Sie wartete eine Weile, dass das Mädchen etwas trank, ehe sie schließlich fragte: „Ms. MacKey?“

Langsam nickte MacKey und stellte den Pott ab. Sie sah weder Kyra, noch Charleigh direkt an, sondern versuchte sich erst auf die Augen des Hundes zu konzentrieren, ehe sie aus dem Fenster sah. „Es war Marcel“, flüsterte sie schließlich leise.

„Was?“, fragte Charleigh und machte Anstalten aufzustehen, hielt aber inne, als Kyra den Kopf schüttelte.

Eine ganze Weile herrschte Schweigen, ehe MacKey sagte. „Zumindest … Glaube ich das.“

Erneutes Schweigen, das Kyra schließlich mit einer vorsichtigen Nachfrage beendete: „Warum glauben Sie das?“

Mit glasigen Augen und noch immer weinend, sah MacKey aus dem Fenster. Wahrscheinlich unbewusst schlang sie ihre Arme um sich. „Er … Er und Maia wollten, dass sie bei uns mitmacht. Also Talia.“ Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. „Er und Maia … Haben irgendwas am laufen. Schon eine Weile. Ich glaube … Ich glaube für Maia ist es mehr, aber für Marcel … Er hat angefangen mich zu erpressen.“ Sie hob ein Bein, um es an sich heran zu ziehen und wischte sich abwesend die Augen.

Kyra wie sich Charleighs Blick bei diesen Worten immer weiter verdunkelte. „Hat das Arsch dich etwa vergewaltigt?“

Wieder biss Kyra sich auf die Unterlippe. Das war nicht die beste Frage gewesen und es überraschte sie nicht, dass MacKey nicht antwortete.

Einige Sekunden vergingen, ehe Kyra eine andere Frage stellte: „Womit hat er sie erpresst?“

MacKey sah weiter aus dem Fenster. Ein leichtes Schluchzen durchlief ihren Körper. „Er hat gedroht, mich aus der Mannschaft zu werfen.“

„Aber das kann er nicht so einfach!“, protestierte Charleigh und wollte sie an der Schulter greifen, um sie zu zwingen, sie anzusehen, doch MacKey zuckte zusammen.

„Das kann er“, flüsterte sie. „Er weiß Dinge … Damit könnte er das.“

„Aber was …“, begann Charleigh, hielt dann aber inne.

Als MacKey nicht wieder sprach, setzte Kyra mit einer Vermutung an: „Er hatte auch irgendetwas über Talia Russel herausgefunden und hatte sie erpressen wollen, ebenfalls“ – sie zögerte kurz – „Sex mit ihm zu haben?“

„Mit ihm und Maia“, kam die sehr leise Antwort.

„Aber Ms. Russel hat das nicht mit sich machen lassen“, schloss Kyra.

„Natürlich nicht!“, unterbrach Charleigh sie wütend. „So etwas würde sie nicht tun.“

Auch MacKey nickte leicht. „Ja. Sie … Ich habe nicht alles mitbekommen. Aber sie hat gewusst, was er macht und hat wiederum ihn damit erpresst, dass er, Maia und ich … Dass wir …“ Sie führte den Satz nicht zu Ende.

Fuck. Das war auf gewisse Weise weit düsterer, als erwartet. Vielleicht war Kyra gegenüber Morden auch nur dank zu vielen Krimis abgestumpft worden.

Sie wusste nicht, was sie dazu groß sagen sollte. Das Mädchen brauchte mehr als nur eine Schulter zum Ausheulen, aber das war etwas, womit sie nicht würde helfen können.

Da war allerdings noch etwas anderes, dass ihr durch den Kopf ging: Wenn Talia Russel wirklich gewusst hatte, was vor sich ging, und nichts getan hatte, dann war sie doch eine ziemlich Bitch gewesen – jedenfalls wenn man Kyra fragte. Sie behielt den Gedanken allerdings für sich.

„Und deswegen hat Marcel Talia umgebracht?“, fragte Charleigh.

MacKey schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht. Vielleicht … Vielleicht auch Maia. Ich glaub', sie hat Gefühle für ihn. Für Marcel. Er erpresst sie auch, glaube ich. Aber sie würde auch so …“ Sie schluchzte. „Sie war sauer auf mich, wenn ich …“, flüsterte sie. „Wenn ich … Nicht wollte. Sie hat mich bedroht. Und ich glaub', sie war eifersüchtig auf Talia.“

Wieder vergingen zwei, drei Sekunden, in denen niemand etwas sagte. Dann richtete Charleigh sich auf.

„Okay, es reicht“, verkündigte sie. „Ich fahre jetzt zu Marcel!“

Kyra sah sie mindestens genau so überrascht und schockiert an, wie es MacKey tat. Doch während sie noch die junge Frau anstarrte, die sich nun auf dem Absatz umdrehte und in Richtung der Wohnungstür losmarschierte, sprang MacKey auf und hielt sie am Arm fest.

„Bitte, warte!“, rief sie verzweifelt aus. „Das darfst du nicht! Wenn du das tust, dann … Dann …“

„Dann schlag' ich ihm die Fresse ein“, erwiderte Charleigh nur wütend und – wie Kyra feststellte – ebenfalls mit einigen Tränen in den Augen. „Das Arsch hat Talia umgebracht und wenn ich mit ihm fertig bin, fahre ich zu Maia!“

„Die bringen mich um!“, erwiderte MacKey.

Okay, die Situation war am eskalieren. Und Kyra war nicht gut darin, so etwas zu deeskalieren. Auch sie stand auf. „Können wir nicht erst in Ruhe darüber reden?“

„Ich habe keine Lust mehr auf reden“, schrie Charleigh und fuhr zu ihr herum. „Wenn das stimmt, dann hat der Bastard Talia auf dem Gewissen, hat sie vergewaltigen wollen und hat Madleine wirklich vergewaltigt!“

„Weshalb ich Inspector Sutherland anrufen sollte“, erwiderte Kyra. „Wir überlassen das der Polizei.“

„Nicht die Polizei!“, warf MacKey verzweifelt ein. „Ich kann nicht zur Polizei gehen!“

Kyra bemühte sich ihrer Stimme Ruhe zu verleihen – und scheiterte. „Warum nicht?“

MacKey wurde wieder klein und zog sich unbewusst ein Stück zur nächsten Wand zurück.

„Warum nicht?“, wiederholte Kyra voller Anspannung.

Wieder wich MacKey ihrem und auch Charleighs Blick aus. Sie stand mit dem Rücken zur Wand und noch immer liefen Tränen über ihre Wange. Schließlich flüsterte sie: „Als ich noch in der U20 war … Ich hatte ein paar Probleme und hab … Na ja … Marcel hat herausgefunden, dass ich … Dass ich gepusht habe.“ Sie verstummte für einige Sekunden. „Wenn das herauskommt, fliege ich nicht nur aus der Mannschaft, sondern kriege auch noch Probleme mit der Polizei.“ Verzweifelt sah sie die beiden an. „Deswegen können wir deswegen nicht zur Polizei gehen!“

Einige Sekunden vergingen, ehe Kyra verstand, was sie genau sagen wollte, doch während sich noch in ihr Unverständnis ausbreitete, machte Charleigh ihrer Wut bereits Luft:

„Und deswegen soll das Arschloch weiter frei herum laufen? Ernsthaft, Madleine!“ Sie machte einen Schritt auf sie zu und packte Madleine an der Schulter. „Der Typ hat Talia umgebracht!“, fuhr sie das verstörte Mädchen an. „Und du willst ihn davonkommen lassen, um deine Karriere zu retten?“

„Ich …“ MacKey wich ihrem Blick weiter aus. Sie hatte mittlerweile ihren Körper gänzlich an die weiß tapezierte Wand gedrückt und wirkte, als wäre sie am liebsten mit dieser verschmolzen.

„Du?“, fragte Charleigh gereizt. „Was?!“

Die Kiefer fest zusammengedrückt, sah Kyra zu den beiden hinüber. So würden sie nicht weiter kommen. Also, was sollte sie tun? An sich konnte sie Charleighs Reaktion irgendwo verstehen – aber hey, wieso sollte sie über all das urteilen? Sie hatte ihre Meinung und würde diese für sich behalten. Wenn irgendetwas, dann würde sie dafür Sorgen, dass dieser Mord auch von Seiten der Polizei aufgeklärt wurde und Marcel und wer auch immer sonst noch daran beteiligt war, vor Gericht kommen würde.

„Ich …“, setzte MacKey erneut an und sprach doch wieder nicht weiter.

Kyra trat vor und legte eine Hand auf Charleighs Schulter. „Beruhige dich. Wir sollten jetzt andere Prioritäten haben.“

Zumindest drehte sich Charleigh zu ihr um, noch immer mit Tränen der Wut und Verzweiflung in den Augen. „Die da wären?“, zischte sie.

Ja, eine ausgezeichnete Frage. „Ähm.“ Ohne Beweise konnte sie nicht zur Polizei. Gut, sie und Charleigh hatten die Aussage MacKeys gehört, doch sie vermochte nicht zu sagen, ob man ihnen glauben würde, wenn MacKey die Aussage verweigerte. „Wir könnten Mr. Reilly, also Marcel, konfrontieren?“, schlug sie schließlich unsicher vor.

Sie wusste, dass es am Ende zu demselben Problem führen würde, denn auch wenn Reilly ihnen gegenüber etwas zugab, brachte es ihnen nichts, solange sie es nicht aufnahm – und das war technisch gesehen ohne entsprechenden richterlichen Beschluss illegal.

„Gern“, meinte Charleigh mit Verachtung in der Stimme.

Kyra seufzte. „Wenn möglich ohne Gewalt.“

Die Erpressung

„Was genau ist los?“, fragte Maria leise über den Küchentisch hinweg.

Kyra war einfach nichts besseres eingefallen.

MacKey war in einem fürchterlichen Zustand gewesen. In einem Zustand, in dem Kyra sie nicht hatte allein lassen wollen. Zwar war sie sich nicht sicher gewesen, was sie genau befürchtete – die Topkandidaten waren wohl ein Selbstmordversuch und dass MacKey vielleicht versuchen konnte, Marcel Reilly vorzuwarnen – doch sie konnte zumindest sagen, dass es dumm und herzlos wäre, sie zurück zu lassen.

Mitnehmen konnten sie sie allerdings aus schlecht. Zur Hölle, Kyra versuchte noch immer sich eine Möglichkeit zu überlegen, die sie nicht in Probleme bringen würde. Soweit jedoch erfolgslos.

Letzten Endes war sie zu dem Ergebnis gekommen, dass es am intelligentesten wäre, MacKey irgendwo unterzubringen, wo sich jemand um sie kümmerte, da ihr Mitbewohner offenbar bei seiner Freundin war – oder zumindest so etwas in der Art, denn ihre Antwort war nicht gänzlich konsistent gewesen. Also hatte sie, da sie niemanden anderen kannte, dem sie zutraute, mit dem Mädchen umzugehen, letzten Endes Maria Turner angerufen.

Immerhin hatte sie in den letzten Wochen sich ein paar mal mit ihr getroffen und Maria schien nett und vor allem verständnisvoll und empathisch, beides Dinge, die Kyra nicht unbedingt war.

Nun saß MacKey auf dem Sofa in Marias Wohnzimmer, zusammen mit einer etwas kühlen Charleigh, einer neugierigen Kali und einem etwas verwirrten Watson, während Maria Kyra in die Küche gezogen hatte.

„Na ja“, meinte Kyra und überlegte, wie sie es am besten erklären konnte. Sie hatte es am Telefon schon probiert, jedoch offenbar nur mit mäßigem Erfolg. „Also, ich sollte die Spielerinnen von der Damenmannschaft des Hibernian zu der ermordeten Spielerin befragen.“

„Ja, das habe ich verstanden“, erwiderte Maria müde. „Aber wieso sind die beiden jetzt hier.“

„Nun, von allem was ich verstehe, hat der Manager der Mannschaft zwei Spielerinnen – unter anderem Ms. MacKey die drüben sitzt – erpresst, Sex mit ihm zu haben, und hat dasselbe mit der ermordeten probiert, sie hat ihn dann damit erpresst, dass er versucht hat, sie zu erpressen und er hat sie dafür ermordert. Ms. MacKey drüben ist also ein Opfer und hat außerdem Angst ihren Job in der Mannschaft zu verlieren wegen der ganzen Sachen. Ich konnte sie schlecht allein in ihrer Wohnung lassen, aber ich weiß auch nicht, was ich sonst mit ihr machen soll, da sie sich weigert mit zur Polizei zu kommen.“

Maria hörte ihr zu und musterte sie dabei, schließlich seufzte sie. „Aber ist es nicht auch eine Straftat, Informationen die zur Aufklärung eines Mordes oder so führen können, zurückzuhalten?“

„Ja, ist es“, erwiderte Kyra. „Aber was soll ich gerade mit ihr machen? Die Polizei rufen und ihr auf den Hals hetzen? Dann sagt sie doch nichts.“

Ein weiteres Seufzen war Marias Antwort und sie trank einen Schluck Tee. Kräutertee, da sie anders als Kyra offenbar kein so großer Fan eines gepflegten Earl Grey war. „Und was hast du dann vor?“

„Ich habe darüber nachgedacht, den Manager zu konfrontieren und zu schauen, ihn dazu zu bekommen, sich zu stellen“, erwiderte sie, biss sich dabei jedoch auf die Unterlippe.

„Ist das nicht auch illegal?“, fragte Maria.

„Ja und nein?“, erwiderte Kyra unsicher. „Solange wir keine Gewalt anwenden oder androhen …“

Für einen Moment sah Maria sie nur an. „Und wie willst du ihn dann zum Reden bekommen?“

Kyra zuckte mit den Schultern. „Bluffen?“

Darauf antwortete Maria nicht und Kyra seufzte nun selbst.

„Die Sache ist, dass ich irgendwie nicht glaube, dass Aitken, also Charleigh, die andere Spielerin drüben, es schaft, dem Arsch nicht in die Fresse zu schlagen. Also rein unter der Annahme, dass was MacKey sagt stimmt.“ Ihr Bauchgefühl zumindest sagte, dass es zumindest im Groben stimmte. Ob dasselbe auf alle Details zutraf, konnte sie nicht sicher sagen. „Aber ja, das wäre es dann mit der Gewalt.“

„Das klingt, als wäre das ganze eine echt dumme Idee“, meinte Maria.

Wieder zuckte Kyra mit den Schultern. „Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich nicht einfach mit Chief Inspector Sutherland, also dem Verantwortlichen für den Fall, sprechen sollte. Ich meine, der könnte diesen Reilly verhören und hoffentlich so etwas herausfinden. Aber ich weiß nicht, ob er mir glaubt, vor allem wenn Madleine MacKey nicht aussagt. Ich kann ja nicht einfach sagen: 'Ja, ein Vögelchen hat mir gezwitschert', oder?“ Sie seufzte genervt und stand auf, da sie einfach nicht ruhig sitzen konnte, während sie über diese Dinge nachdachte. „Ich meine, echt. Der nimmt mich doch nicht mehr ernst!“

Maria überlegte für eine kurze Weile. „Ich verstehe das Problem“, meinte sie dann. „Aber bringst du dich damit nicht nur noch mehr in Probleme.“

Nachdem sie zwei Mal die recht kleine Küche auf und ab gelaufen war, lehnte sich Kyra gegen die Spüle und sah auf die recht alt wirkende Uhr über der Essensecke, laut deren Zeigern es bereits kurz nach acht war. „Ja, tue ich. Aber …“ Sie wich ihrem Blick aus. „Ich will auch nicht, dass so ein Arsch einfach so davon kommt.“

„Also fängst du nun mit Selbstjustiz an?“, fragte Maria nur halb ernst.

„Nein“, erwiderte Kyra. „Aber irgendetwas …“ Sie gab ein genervtes Stöhnen von sich. „Ich weiß nicht, was ich sonst tun soll, okay?“

Im nächsten Augenblick ließ ein Klopfen an der Küchentür sie zusammenzucken. Sie fuhr herum, gerade als Charleigh – ohne auf eine Antwort zu warten – die Tür öffnete und sie ansah. Ihre Augen funkelten noch immer vor Wut, als sie fragte: „Was ist jetzt?“

Hilfesuchend sah Kyra zu Maria. Sie wusste einfach nicht, was sie tun sollte. Auf der einen Seite, wollte sie ihren Job nicht verhauen, aber auf der anderen Seite … Sie hatte so etwas wie einen Gerechtigkeitssinn. Verdammt noch einmal, dieser war zumindest ein klein wenig auch ein Grund gewesen, warum sie hatte Detektivin werden wollen.

Ihr Gerechtigkeitssinn teilte auf jeden Fall die Meinung Charleigh, dass man Marcel am besten einmal ordentlich – wie Charleigh es ausgedrückt hatte – die „Fresse polieren“ sollte. Doch der rationalere Teil ihres Hirns machte sie nur wieder und wieder darauf aufmerksam, was für eine dumme Idee das war. Es würde sie nicht weiter bringen!

Ach, verflucht. „Lass uns noch ein halbe Stunde warten. Ich habe keinen Bock vorbei zu fahren, wenn die Nachbarn noch etwaig draußen unterwegs sind.“ Vielleicht konnte sie sich so ein wenig Zeit verschaffen.

Wahrscheinlich durchschaute Charleigh sie. Sie verschränkte die Arme vor ihrer Brust, nickte am Ende aber grimmig und ließ sich auf die Eckbank der Essecke fallen. „Okay. Gut.“ Damit schlug sie ihr linkes Bein über das rechte.

Eine unangenehme Stille breitete sich aus, ehe Maria schließlich fragte: „Wie geht es Ms. MacKey?“

Charleigh zuckte mit den Schultern. „Dreckig. Glaub ich.“ Sie gab ein Grummeln von sich. „Ist mir auch egal.“

Kurz sah Kyra zu Maria und seufzte. Was sollte sie auch groß sagen?
 

Eine Stunde verging und Kyra war noch immer keine gute Lösung eingefallen. Verdammt. Sie hatte sich in dieser Situation irgendwie an eine Wand navigiert.

Immer wieder sagte sie sich, dass sie einfach Sutherland anrufen könnte und dafür sorgen könnte, dass dieser sich MacKey und vielleicht auch Charleigh annahm. Immerhin schuldete sie den ebdien nichts. Und doch tat sie es nicht, wohl wissend, dass dies einfach nur dumm war.

Doch was sollte sie tun?

Ach, wenn sie ehrlich mit sich war, wollte sie selbst dorthin fahren, wollte sie selbst Reilly konfrontieren. Nicht nur aus einem fehlgeleiteten Trieb zur Selbstjustiz, sondern weil ein sehr unvernünftiger Teil in ihr hoffte, dass sie Reilly vielleicht dazu bringen konnte sich zu stellen. Und hey, wenn sie es dann richtig anstellte konnte sie die Lorbeeren einheimsen.

Ja, natürlich wusste sie, dass es wahrscheinlich nicht passieren würdeu nd dass es viel wahrscheinlicher auf das genaue Gegenteil hinaus laufen würde. Doch am Ende stand sie doch auf und sagte: „Nun, wollen wir dann?“

Noch immer saß sie mit Charleigh in der Küche, die mit kühlem Blick auf die Uhr starrte. Sie hatte nicht mehr im selben Raum sein sollen, wie MacKey, zumindest nahm Kyra das an und konnte es durchaus auch verstehen.

Charleigh zuckte mit den Schultern. „Ja“, meinte sie düster.

Oh, es war so eine dumme Idee. Dennoch ging Kyra ins Wohnzimmer, wo Maria, zusammen mit Watson und Kali gerade damit beschäftigt war, MacKey etwas zu trösten, da diese noch immer weinte. Zur Hölle, das Mädchen sollte wirklich in eine psychologische Ambulanz oder so – Kyra hatte nur keine Ahnung, wie sie sie dahin bekommen könnte. Also konzentrierte sie sich auf die Sachen, die sie aktuell wusste.

„Maria“, flüsterte sie leise.

Die andere Frau sah auf, nickte ihr zu, strich MacKey noch einmal über die Schulter und stand dann auf, um leise mit ihr zu reden, während Kali deutlich lauschte. „Was ist?“

Kyra warf einen kurzen Blick zu Charleigh hinüber, die wieder die Arme verschränkt hatte. „Wir werden jetzt zu Reilly fahren.“

„Ich habe darüber nachgedacht“, sagte Maria. „Ich komme mit.“

„Was?“ Überrascht hob Kyra eine Augenbraue.

„Ich komme mit.“ Damit ging Maria an ihr vorbei und holte ihre Jacke. „Damit ihr beide mir keine zu großen Dummheiten macht.“

„Und was ist mit MacKey?“, fragte Kyra.

„Kali passt auf sie auf.“

„Kali?“ Kyra sah zweifelnd zu dem Mädchen, das mit MacKey auf der Couch saß. Sie wollte MacKey ungerne mit dem Teenager alleine lassen.

Maria nickte nur. „Sie kommt damit schon klar.“

Noch einmal wanderte Kyras Blick zu Kali, doch dann seufzte sie. „Okay, von mir aus …“ Sie wollte darüber jetzt nicht mehr streiten. Stattdessen ging sie zu Watson hinüber, der gerade in bester Tröstmanier seinen Kopf auf den Schoß von MacKey gelegt hatte und sie mit seinen großen, braunen Augen ansah.

Kyra stupste ihn an, woraufhin er sich zu ihr umdrehte und sie mit aufgestellten Ohren ansah.

„Watson“, sagte sie leise.

Er gab einen leisen Laut, nicht ganz ein richtiges Bellen, von sich.

„Ich habe eine Aufgabe für dich“, fuhr Kyra fort, auch wenn sie wusste, dass er sie kaum gut genug verstehen konnte dafür.

Der Hund legte den Kopf schief und sah sie an. Er schien zu verstehen, dass sie etwas von ihm wollte.

„Ich möchte, dass du hier bleibst und auf Madleine und Kali aufpasst“, sagte sie. „Verstehst du das?“

Er gab ein leises Wimmern von sich.

„Verstehst du?“, fragte sie und stand auf. „Pass auf, ja?“ Damit drehte sie sich um und ging ein paar Schritte zur Tür, was Watson offenbar als Aufforderung verstand, ihr zu folgen.

„Nein, Watson“, sagte sie und wandte sich ihm noch einmal zu. Sie hob den Finger und zeigte auf dem Boden. „Bleib.“

Dieses direkte Kommando verstand er sehr wohl. Er setzte sich hin und winselte, als wolle er sagen: „Lass mich nicht zurück.“ Doch viel konnte sie daran nicht machen.

Sie wiederholte nur ihr Kommando. „Bleib.“ Dann zeigte sie zum Sofa. „Geh zu Kali.“

Kurz sah sich Watson zu Kali um, dann noch einmal zu Kyra, doch als sie noch immer zeigte, wandte er sich mit angelegten Ohren ab und trottete tatsächlich zum Sofa hinüber.

„Kommst du?“, fragte Charleigh. Sie stand mittlerweile in der Wohnzimmertür.

Kyra seufzte. Jetzt oder nie.

Sie fand die Idee noch immer nicht ideal, ging aber dennoch zur Tür hinüber und folgte dann Charleigh und Maria aus dem Haus hinaus.

„Wir können meinen Wagen nehmen“, schlug Maria vor, als sie vor das Haus traten, und sah zu Kyras hellblauen Wagen hinüber. „Der Kombi ist weniger auffällig.“

Kyra zuckte nur mit den Schultern und so fanden sie sich kurz darauf im Auto wieder, Maria am Steuer.

Vielleicht war es gar nicht so schlecht. Immerhin würde es so nicht Kyra gewesen sein, die Charleigh zu Reilly gefahren hatte. Sie hatte sie nur durch Umstände begleitet. Ja, sicher, das würde ihr einen Vorteil bringen. Wie auch immer.

Zumindest zu einem Ergebnis hatten ihre Überlegungen sie gebracht. „Charleigh?“

Die Fußballerin, die mit ihr zusammen auf der Rückbank saß, blickte zu ihr hinüber. „Hmm?“

„Folgendes: Ich würde vorschlagen, dass du mit Reilly sprichst. Ich bleibe versteckt und nehme das ganze auf.“ So war sie am wenigsten direkt involviert. Okay, das klang irgendwie feige. Aber es gab auch noch ein anderes Argument dafür: „Reilly kennt dich und vielleicht kriegst du ihn eher dazu, etwas zu gestehen.“ Kürz hielt sie inne, fügte dann aber noch hinzu: „Wenn möglich ohne die Anwendung von Gewalt.“

Charleigh gab ein wütendes Schnauben von sich. „Ich kann nichts versprechen.“

„Bitte?“, versuchte es Kyra.

Nun war es Charleigh, die nur mit den Schultern zuckte.

„Ich bin auch noch da, wenn etwas schief läuft“, bot Maria an.

Kyra nickte nur.

Nun, sie würde sehen, wie das ganze enden würde. Das positive war, dass sie sich damit zumindest nicht ernsthaft strafbar machte. Je nachdem wie es lief, würde Sutherland davon zwar nicht begeistert sein, aber es würde sie nicht in zu große Probleme bringen. Hoffte sie.

Ganz vorbildlich, Kyra, kommentierte eine zynische Stimme in ihrem Kopf. Ganz professionell.

Sie befahl der Stimme die metaphorische Klappe zu halten und starrte missmutig aus dem Fenster.

Laut der Adresse, die Kyra in den Unterlagen gefunden hatte, lebte Reilly südlich der Innenstadt, relativ zentral in einem jener relativ alten Reihenhäuser, von denen es in Edinburgh so viele gab. In der Straße reiten sich relativ gleichförmige aus groben, grauem Stein behauene Häuser reih-an-reih. An sich keine konfortable Wohnsituation, soweit Kyra sagen konnte, doch wahrscheinlich zahlte man mittlerweile allein für die zentrale Lage viel.

Die Häuser hatten allesamt geschätzte drei Quadratmeter Vorgarten – sprich: Einen sehr schmalen Grünstreifen, der von einer niedrigen Mauer von der Straße getrennt wurde.

„Wo soll ich parken?“, fragte Maria schließlich und riss Kyra damit aus ihren Gedanken.

„Was?“ Sie sah sich um und verstand erst dann, was Maria von ihr wollte. „Oh. Wahrscheinlich besser eine Straße entfernt. Außer Sicht. Du weißt schon.“

Charleigh stöhnte genervt auf. „Man. Es ist nicht so, als wäre es illegal mal mit ihm zu sprechen.“

„Ja …“, murmelte Kyra und fügte in Gedanken hinzu: Ihn zu bedrohen aber schon.

Wie abgesprochen stellte Maria den Wagen eine Straße – und damit etwa zweihundert Meter entfernt – ab und Kyra seufzte. Sie sah auf ihr Handy, wo sie sich die Adresse abgespeichert hatte. Hausnummer 32. Nun gut.

„Dann …“ Sie führte den Satz gar nicht erst zuende, ehe sie die Tür öffnete und aus dem Wagen ausstieg.

Wortlos folgte ihr Charleigh und sah sich um. Ihre Muskeln waren angespannt und sie schien nervös zu sein. Kein Wunder, wenn man die Situation bedachte.

„Und jetzt?“, fragte Maria.

„Lass uns gehen“, murmelte Kyra missmutig und führte den Weg um die nächste Straßenecke an. Sie redete mit gesenkter Stimme, da sie immer noch das Gefühl hatte, etwas verbotenes zu tun. „Also, Charleigh …„

„Ja, ja, keine Gewalt“, erwiderte Charleigh mit einer grimmigen Entschlossenheit in der Stimme. „Ich will nur die Wahrheit wissen … Wenn es wirklich stimmt …“ Kurz schüttelte sie den Kopf heftig, wobei ihre dünnen Zöpfe durch die Gegend flogen. „Verdammt, ich kann es echt kaum glauben, aber dann wiederum …“ Ähnlich wie Kyra es immer tat, wenn sie überlegte, biss sie sich auf die Unterlippe. „Ich meine, ich fand Marcel schon eine Weile etwas komisch.“ Noch einmal schüttelte sie den Kopf. „Ach verdammt. Wenn es echt einer von unseren Leuten war … Fuck, man. Echt, was für eine Scheiße!“

Kyra schwieg und sah sie nur an. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, war aber zumindest beruhigt, dass Charleigh zumindest etwas Zweifel zeigte. Sie hatte sich in der vergangenen Stunde echt gesorgt, dass sie Reilly die Tür eintreten würde, um ihn de facto zu verhören.

Aber gut, sie würden sehen.

Kyras Blick wanderte die Häuser entlang, ehe sie das Haus mit der Nummer 32 fand. Offenbar waren die Häuser, wenngleich nicht sehr groß Einfamilienhäuser, anstatt von verschiedenen Parteien bezogen zu sein. Jap, sehr wahrscheinlich nicht wirklich billig, aber das tat wohl kaum etwas zur Sache.

Sie sah sich nach einem guten Versteck um, von dem aussie den Eingang von Marcels Haus beobachten konnte, ohne selbst gesehen zu werden und entschloss sich schließlich für die Lücke zwischen einem abgestellten Transporter und dem dahinterstehenden Wagen, der beinahe genau so heruntergekommen aussah, wie ihr eigener.

„Okay, Charleigh. Du gehst zu Reilly und versuchst vernünftig mit ihm zu reden, ja?“, meinte sie. „Maria und ich beobachten das und greifen im Notfall ein. Falls er, keine Ahnung, gewalttätig wird oder so. Ich meine, wenn es stimmt …“ Ja, wenn es stimmte und er der Mörder war, war die ganze Geschichte vielleicht eine noch dümmere Idee als ohnehin schon.

Charleigh nickte nur kurz, ehe sie mit weiten, zielstrebigen Schritten vorweg und in Richtung des Hauses, neben dessen Tür in bronzenen Lettern die Zahl 32 angebracht war.

„Und wir?“, fragte Maria leise und angespannt.

„Dahin.“ Kyra nickte in Richtung des Transporters und lief voran.

Am Transporter angekommen holte sie ihr Smartphone heraus. Es war nicht das beste Aufnahmegerät, aber es würde wohl für die notwendige, nicht ganz legale Beweisführung reichen.

Sie seufzte und während Maria hinter ihr Stellung bezog, beobachtete sie Charleigh, da ihr ohnehin kaum etwas anderes übrig blieb.

Diese lief zwei Mal, ganz offenbar nervös, vor Reillys Haus auf und ab, ehe sie sich schließlich überwandt, durch die Öffnung in der Gartenmauer ging und an der Tür klingelte.

Es geschah nichts.

Deutlich hörbar fluchte Charleigh und klingelte noch einmal. Dieses Mal, sofern Kyra sich nicht irrte, gleich drei Mal hintereinander.

Wieder geschah nichts.

„Verdammt noch mal“, zischte Charleigh und hämmerte mit der Faust gegen die Tür, ehe sie noch einmal klingelte. „Hey, Marcel, bist du da?“ Sie klingelte noch mehrfach.

Ein Licht ging im Flur an, durch das kleine Fenster in der Haustür deutlich zu sehen, ehe die Tür geöffnet wurde.

„Was soll das?“, grummelte eine raue Männerstimme, noch bevor die Tür ganz auf war. Dann schien er die Spielerin zu erkennen. „Charleigh? Was machst du hier?“

Als er die Tür etwas weiter öffnete, bekam Kyra auch einen etwas besseren Blick auf Reilly, der im Bademantel in der Öffnung stand und Charleigh verwirrt und auch etwas erbost ansah.

Beinahe damit rechnend, dass er ihr die Tür vor der Nase zuschalten würde, setzte einen Fuß nach vorn, um genau das zu verhindern. „Ich wollte mit dir über Talia sprechen“, sagte sie gerade heraus.

Reilly starrte sie verwirrt an. „Was?“ Er schüttelte den Kopf, so als wolle er sicher gehen, klar bei Verstand zu sein und sie richtig verstanden zu haben. Dann wiederholte er die Frage noch einmal, dieses Mal mit mehr Nachdruck: „Was?“

„Ich will mit dir über Talia sprechen“, sagte Charleigh erneut.

Noch immer schien er nicht ganz zu begreifen. „Und deswegen kommst du um halb zehn hierher?“, fragte er. „Ich meine, ich verstehe, dass sie deine beste Freundin war oder so, aber … Ich meine … Warum genau kommst du hierher?“

Daraufhin zögerte Charleigh für einen Moment, offenbar nicht ganz sicher, ob sie ihn direkt konfrontieren sollte. Sie schien sich am Ende für ein Mittelmaß zu entscheiden: „Ich wollte dich fragen, ob du irgendetwas über ihren Tod weißt.“

Wenn Kyra sich nicht ganz irrte, schreckte Reilly kurz zurück, beinahe als hätte er mit dieser Frage nicht gerechnet. Vielleicht sah sie aber nur, was sie sehen wollte. Auf jeden Fall schien er sich nur eine Sekunde später wieder gefangen zu haben.

„Nein.“ Er gab seiner Stimme ordentlich Nachdruck. „Nein. Charleigh. Verdammt, Mädel, wie kommst du darauf?“ Er schüttelte den Kopf und als sie nicht antwortete, fügte er hinzu: „Wenn ich etwas wüsste, hätte ich es der Polizei gesagt, oder?“

Charleigh schwieg. Von ihrer aktuellen Position aus konnte Kyra ihr Gesicht nicht sehen.

Schließlich überwandt sich Charleigh jedoch: „Es sei denn, du hattest etwas mit ihrem Tod zu tun“, gab sie zu bedenken.

Für einen Moment war Marcel gänzlich still, ehe er – wie erwartet – damit begann, den implizierten Vorwurf abzustreiten: „Um Himmel Willen, Charleigh, wie kommst du auf die Idee? Ich meine, hast du sie noch alle? Warum sollte ich etwas mit ihrem Tod zu tun haben?“

Charleigh zuckte mit den Schultern. „Das frage ich dich.“

Er schüttelte den Kopf. „Das ist mir zu blöd. Ich habe keine Ahnung, was gerade mit dir los ist, Mädel. Ich meine, ich verstehe, dass die ganze Sache dich besonders trifft und alles, aber das gibt dir noch kein Recht mich um diese Zeit zu belästigen und mit grundlosen Anschuldigungen um dich zu werfen.“

„Du hast versucht, Talia zu erpressen“, erwiderte Charleigh mit zitternder Stimme. „Du hast sie erpressen wollen.“

Kyra war überrascht, dass sie nicht erwähnte, dass sie diese Information von MacKey hatte. Aber vielleicht war es besser so. Immerhin konnte er annehmen, dass sie es vielleicht von Talia selbst erfahren hatte.

„Was redest du da?“ Reilly schien sie zu mustern. Er schüttelte den Kopf. „Charleigh. Ich muss darauf bestehen, dass du von hier verschwindest. Wenn du mich weiter belästigst, rufe ich die Polizei, verstehst du?“

„Dann tu das doch“, fauchte Charleigh und packte ihn am Arm. Ihre Stimme wurde lauter, als sie ihre Wut kaum noch unterdrücken konnte. „Dann ruf doch die Polizei! Dann können sie gleich hören, was für ein perverses Arschloch du bist!“

Er schien sich zu bemühen, ruhig zu bleiben. „Lass mich los“, sagte er sehr langsam und mit warnendem Tonfall. „Ich habe keine Ahnung, wovon du redest. Von allem was ich gehört habe, wird Irene aktuell verdächtigt, also wie kommst du …„

„Wer war es außer Talia und Madleine?“, unterbrach Charleigh ihn mit lauter Stimme. „Und Maia, aber ich nehme an sie zählt nicht richtig, oder?“ Aus ihrer Stimme waren Tränen hervor zu hören. „Wer war es noch? Sag es mir? Oder hast du erst angefangen an deinem persönlichen Harem zu arbeiten.“

Nun schien auch er sich nicht mehr beherrschen zu können. „Jetzt reicht es!“, rief er aus. „Verschwinde hier!“ Er griff nach ihrer Hand, um sie von seinem Arm zu lösen und schubste Charleigh dann zurück. Er griff nach der Tür und wollte sie zuschlagen, doch erneut hatte die junge Frau ihren Fuß im Weg.

„Verschwinde!“, erwiderte Reilly erneut.

„Erst wenn du mir sagst, was passiert ist!“, schrie Charleigh und schien sich nur schwerlich beherrschen zu können.

Okay, vielleicht eskalierte die Situation gerade zu sehr.

„Es ist nichts passiert, okay?“, entgegnete Reilly und trat vor, um sie erneut zurück zu schubsen. „Also hör endlich auf …„

„Madleine hat es mir erzählt“, rief sie. „Madleine hat mir erzählt, was du ihr angetan hast. Und dass du versuchst hast Talia auch dazu zu bekommen und dass sie dich erpresst hat! Madleine hat mir alles erzählt!“ Sie versuchte ihn daran zu hindern, sie noch einmal zu schubsen und brachte ihn dazu, noch etwas weiter aus dem Haus zu kommen.

Für einen Moment hielt er inne, sein Atem deutlich schwerer. „Ich warne dich ein letztes Mal. Verschwinde. Lass mich in Ruhe, Charleigh. Das geht dich nichts an.“

„Also gibst du es zu?“, erwiderte sie nun leiser.

„Hau ab. Oder …„

„Oder was?“, entgegnete Charleigh und wurde wieder lauter. „Oder was?!“

„Oder ich werde dafür sorgen …“ Doch weiter kam er nicht, ehe die junge Frau ihm einen gepfefferten Kinnhaken verpasste, der ihn beinahe zu Boden gehen ließ.

Ehe er sich versah, drängte sie ihn an die Hauswand. „Sag mir die Wahrheit, du Arsch!“, rief sie aus.

Dieses Mal erwiderte er nichts, sondern schaffte es stattdessen sich loszureißen. Sie war vielleicht athletisch, doch er war noch immer einen halben Kopf größer als sie und ganz offenbar auch nicht unsportlich. Er schaffte es ohne Probleme, sich aus ihrem Griff zu winden und hatte sie einen Moment später selbst gegen die Hauswand geworfen, ihren Arm hinter ihrem Rücken.

Charleigh schrie auf.

Verdammt, das eskalierte wirklich.

„Kyra?“, fragte Maria angespannt.

„Ich weiß“, gurmmelte sie, die Zähne zusammengepresst. Mehr sagte sie nicht, ehe sie losrannte. „Es reicht!“, rief sie aus.

Reilly fuhr überrascht zu ihr herum. „Sie?“

„Lassen Sie Ms. Aitken los“, sagte Kyra und ahnte doch irgendwie, dass sie nur ihren Atem verschwendete.

Reilly hatte Charleigh mit einer Hand bei der Schulter, mit der anderen am Handgelenk gepackt. Kyra erkannte den Griff, der auch von der Polizei angewendet wurde, um etwaige Flüchtige zu immobilisieren. Er schien also durchaus ein paar Grundlagen des Kampfsportes zu kennen – und damit wahrscheinlich mehr als sie.

„Haben Sie ihr diesen Floh ins Ohr gesetzt?“

Zu Kyras Überraschung, musste sie feststellen, dass Reilly vom Rand seines Mundes blutete. Ob es von der Lippe kam oder aus dem Mund konnte sie jedoch nicht sagen. Sie festigte sich und blieb gute drei Schrittlängen von den beiden entfernt stehen. „Madleine MacKey hat gegen Sie ausgesagt“, sagte sie schlicht. Er musste ja nicht wissen, dass MacKey nicht bei der Polizei aussagen wollte. Hey, immerhin konnte sich das noch ändern, bis es tatsächlich soweit war.

Seine Miene wurde grimmiger und er schien den Druck auf Charleighs Schulter zu verstärken. „Was hat sie Ihnen gesagt?“, fragte er grimmig.

„Sie hat von Ihren Sexspielchen erzählt und der Erpressung“, antwortete Kyra ruhig. „Sie hat außerdem erzählt, dass Talia Sie versucht hat im Gegenzug zu erpressen.“

„Und Sie sind keine Polizistin“, erwiderte Reilly nur. Er musterte sie. „Würde Madleine vor der Polizei aussagen wollen, wären Sie nicht hier.“

Volltreffer. Der Typ war doch nicht so dumm, wie Kyra gehofft hatte.

Auch er schien das zu erkennen. Ein mattes Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus. Doch schien er dabei – und sei es nur für einen Moment – seinen Griff zu lockern. Auf einmal warf sich Charleigh zurück und schaffte es damit, ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen. Sie versetzte ihm einen Tritt vor das Schienbein und warf ihn so zu Boden.

„Also ist es wahr!“, knurrte sie und warf sich auf ihn. „Also ist es wahr?“

Er versuchte sie von sich herunter zu bekommen, doch hatte sie nun die Überhand gewonnen. „Selbst wenn“, keuchte er. „Dann könntet ihr mir …“ Er stöhnte auf, als sie ihm noch einmal ins Gesicht schlug. „Verdammt, du bist eine verrückte …“ Sie schlug noch einmal zu.

Für einen Moment war Kyra in ihrer Position verharrt, doch dann erinnerte sie sich daran, dass Charleigh sich selbst und auch sie in Probleme bringen würde, wenn sie so weiter machte. Sie waren hergekommen, um mit Reilly zu reden, nicht um ihn krankenhausreif zu schlagen.

Sie stürmte nach vorne und griff Charleigh unter den Armen, um sie zurück zu ziehen. „Es reicht, Charleigh!“

„Lass mich los!“ Charleigh versuchte sich loszureißen, zuckte dann aber zusammen. Offenbar schien ihre Schulter noch immer deutlich zu schmerzen.

Irgendwie schaffte es Kyra sie von Reilly runterzubekommen.

Dieser stöhnte und rollte sich auf dem Bauch, um wieder auf die Beine zu kommen. „Ihr seid verrückt. Alle beide.“

Kyra musterte ihn. „Mr. Reilly“, sagte sie dann langsam. „Haben Sie Ms. Talia Russel umgebracht?“

Er lächelte sie auf eine seltsame Art und Weise an. „Nein“, erwiderte er. „Habe ich nicht.“ Er musterte sie abschätzig. „Das war alles Maia.“

„Auf ihren Auftrag hin?“, fragte Kyra.

Er zuckte mit den Schultern. „Selbst wenn, Spürnase. Was willst du tun? Du bist keine Polizistin. Und die Situation ist für dich so schon schlimm genug.“

Kyra schwieg für einen Moment, holte dann aber ihr Handy hervor. „Das hier mag vor Gericht nicht gültig sein“, sagte sie dann langsam. „Aber Sie werden der Polizei dennoch erklären müssen, was Sie damit genau meinen.“

Für einen Moment sah Reilly sie an. „Gib das her“, sagte er dann und machte einen Schritt auf sie zu.

Kyra ihrerseits ließ Charleigh gänzlich los und machte einen Schritt zurück.

Sirenen erklangen in der Ferne. Waren sie hierher unterwegs? Wenn ja: War das gut oder schlecht?

„Gib das her“, wiederholte Reilly nun noch einmal.

Kyra hob ihr Handy. „Oder was?“, fragte sie.

Er funkelte sie an und auf einmal kam ihr ein Gedanke.

„Wieso eigentlich?“, fragte sie dann. „Wenn Sie doch nichts damit zu tun haben? Wieso wollen Sie das Video, wenn es doch nur uns selbst belastet?“

Reilly musterte sie. „Diese Sache geht niemanden etwas an.“

Die Sirenen kamen definitiv näher.

„Lassen Sie mich meine Vermutung erzählen“, sagte sie langsam und war froh, dass Charleigh nicht wieder auf ihn losstürmte. „Talia hat Sie erpresst und dann haben Sie Maia Kerr ausgenutzt, da Ms. Kerr immer zu gerne getan hat, was Sie wollten, oder?“ Sie musterte ihn und hielt ihr Handy weiter vor sich. „Sie haben veranlasst, dass Ms. Kerr Talia Russel umgebracht hat und die Beweise gegen Ms. Duncan positioniert.“

„Gib das her, Mädchen!“, rief er aus und sprang auf sie zu, doch Kyra schaffte es mit einem Schritt zur Seite auszuweichen.

„Was ich mich frage“, fuhr sie fort und bemühte sich dabei ruhig zu bleiben, „ist, warum ausgerechnet Irene Duncan? Was hat Irene damit zu tun?“

Erneut versuchte er ihr das Handy wegzuschnappen, doch dieses Mal hielt Charleigh ihn wieder fest.

„Rede!“, rief sie aus – und Kyra wusste, dass das auf dem Video nicht gut für sie aussehen würde.

Reilly funkelte Kyra an. Blut tropfte von seinem Kinn zu Boden. Dann fuhr ein Polizeiwagen um die Straßenecke und blieb mit blinkendem Blaulicht vor dem Haus stehen.

Zwei Polizisten sprangen heraus. „Auseinander!“, rief einer.

Kyra ließ ihr Handy sinken und trat demonstrativ einen Schritt zurück. Das war es dann wohl – mehr würde sie nicht machen können. Noch einmal sah sie zu Reilly, froh, dass auch Charleigh von ihm zurückgetreten war und nun langsam die Hände hob.

Jetzt konnte sie nur hoffen, dass sie nicht in zu großen Problemen waren.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Es wird im Verlauf des Tages noch ein kleiner Epilog folgen Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (5)

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Von:  Taroru
2017-11-06T14:09:21+00:00 06.11.2017 15:09
ach mensch, jetzt wo es interessant wurde.....
schon wieder ein cliffhänger XD
okay... okay.... im grunde weiß man ja wie es weiter gelaufen sein muss XD
aber trotzdem *lach*
die aktion kam hier jedenfals nicht zu kurz, hat mir gut gefallen ^^
Von:  Taroru
2017-11-06T13:52:17+00:00 06.11.2017 14:52
also ich muss gestehen ich mag aitken XD
sie ist wunderbar tempramentvoll, immer schön mit dem kopf durch die wand *lach*
die situation ist jedenfalls super eskaliert, und wenn ich nicht schon wüsste wie es aus gehen würde.... (jaja... ich hätte erst hier weiter lesen sollen, bevor ich mich der hauptgeschichte widme XD )
an sich großartig, auch mit den verzweigungen intern, mit dem wer wie warum wieso. wunderbar verstrickt, gefällt mir gut wie die fäden da wieder zusammen laufen :-)
Von:  Taroru
2017-11-06T13:27:26+00:00 06.11.2017 14:27
oh... und wie sie sich wohl ärger eingehandelt hat XD
wunderschön drauf angelegt, würde ich sagen XD
ich finde es jedenfalls wahnsinnig stimmig geschrieben. Die Dialoge, sind großartig, und wirken sehr lebendig auf mich. So macht das Lesen echt spaß :-)
und tue das direkt weiter ;-)
Von:  Taroru
2017-10-11T10:36:45+00:00 11.10.2017 12:36
also ich hatte wie immer meinen spaß beim lesen :-)
und ich muss sagen.... es ist echt erstaunlich wie viele leute du unter einen hut bringen kannst, so viele namen.... und von den charakteren auch verschieden (auch wenn wir jetzt nicht bei allen direkt gespräche hatten)
ich freu mich auf mehr :-)
und verdammt.... ich möchte so langsam echt wissen was das motiv war, und wer es war o.O

Von:  Taroru
2017-10-07T11:55:12+00:00 07.10.2017 13:55
mehr lesefutter :-D
und es verspricht auch spannend zu werden ^^
(und mich hätte es auch nicht gestört, wenn es dennoch in der hauptstory gelandet hätte, manchmal sind auch kleine umwege, die mit der eigentlichen geschichte nichts zu tun haben, unterhaltsam und wichtig, um die charaktere noch besser kennen zu lernen ;-) oder einfach.... es gibt manchmal einfach storys, von denen ich nicht genug bekommen kann, und bin dann auch froh das es sidestorys gibt XD )
bin jedenfalls sehr gespannt, was für leute noch auftauchen werden, wie die anderen teamkollegen der manschaft sind, und wer letztendlich der täter ist, und vor allem warum :-)


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