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Lorem Ipsum

Sommerwichteln '17 "Fremde Ufer"
von

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meins!

Er gab es nicht gerne zu, aber Gretchen hatte Ben mittlerweile mit ihrem Misstrauen gegenüber Scotts neuer Bekanntschaft angesteckt. Eine Weile hatte er sich dagegen gewehrt, dass sie Recht haben könnte, aber irgendetwas stimmte nicht mit diesem Typen. So hatte er Scott nicht gekannt. Nicht mal zu seinen schlimmsten Zeiten war er so unberechenbar gewesen.

Nachdenklich tippte Ben das Foto an, das Scott vor zwei Wochen in der Toilette dieser ranzigen Bar geschossen hatte. Es war nicht schwer, zu erraten, was der Auslöser von Scotts plötzlichem Sinneswandel war. Doch die einzige Frage, die blieb, war noch immer unbeantwortet.

Ben tippte den Messenger an und kontrollierte noch einmal, ob die Antwort wegen des schlechten Empfangs nur nicht zu ihm durchgegangen war, aber nichts dergleichen traf zu. Der Empfang hier war sogar ausgezeichnet. Besser, als er es von jedem öffentlichen Wi-Fi in der Stadt her kannte. Er befand sich hier immerhin gerade mitten auf dem Land und trotzdem konnten sich hier Fuchs und Hase per Highspeed Gute Nacht wünschen.

Der einzige Tag, an dem hier tote Hose herrschte, war Montag. Da war die Bar geschlossen. Vermutlich hatte Scott es irgendwann gewusst, warum es bis Dienstag gedauert hatte, bis sich Vic bei ihm gemeldet hatte, aber diese Frage hatte er ihm ja auch nicht beantwortet. Konnte er wohl auch nicht mehr.

Ben hob den Blick und betrachtete sich das Wandgemälde, das Scott bei ihrem ersten Besuch hier so fasziniert hatte. Er hielt sein Handy mit dem Foto neben das Gemälde und verglich beide miteinander. Es schien, als wären ein paar Augen dazugekommen, hier rechts unten.

Die mit toten Insektenleibern gefüllte Neonröhre an der Decke flackerte und Ben beugte sich ein wenig näher zu dem Graffiti hin, um noch alles erkennen zu können. Sein Zeigefinger fuhr die schwarzen Linien nach, die sich mal hier hin und mal da hin wanden.

Was war der Sinn hinter diesem Gemälde? Wieso diese Mühe?

Noch einmal flackerte die Neonröhre an der Decke erschöpft auf. Ben sah nach oben und im gleichen Augenblick erlosch das Licht.

 

Die Dunkelheit war so tief und undurchdringlich, dass Ben im ersten erschrockenen Moment völlig vergaß, dass er ein Handy besaß. Sekunden später glomm das Display kalt in der Dunkelheit auf. Das bläuliche Licht strich über das Graffiti und brachte die Fliesen zum Schimmern.

Gretchen würde das toll finden. Endlich ein Grund mehr, weswegen sie Ben als Idioten bezeichnen konnte. Und es traf zu, wie er neidlos zugeben musste. Er war ein Idiot, genau wie Scott. Immerhin stand er hier, wo alles seinen Anfang genommen hatte und das trotz genügend Warnungen. Aber wenn er ehrlich war, hätten die Warnungen schon vor zwei Wochen nichts mehr genutzt, als noch alles normal schien.

Der Starter der Neonröhre klackte unaufhörlich. Es passte ganz gut zum Rhythmus des tropfenden Urinals und zu dem leise murmelnden Lüfter.

Es wurde Zeit, dass er hier verschwand. Keine der Fragen, die sich angehäuft hatten, bekam er hier beantwortet. Weder Scotts seltsames Verhalten, noch sein plötzliches Verschwinden vor fünf Tagen.

Mit dem Handy leuchtete sich Ben den Weg aus der Toilettenkabine raus. Er fühlte den Luftzug der Toilettentür im Rücken, als sie hinter ihm zuschwang. In der gleichen Sekunde empfing er eine Nachricht.

Boo! stand in dem kleinen Fenster und dahinter ein Geister-Smiley.

Ben sah auf und schrak zurück.

 

„Victor“, blaffte ihn der junge Mann vor sich an, der förmlich aus dem Nichts hier aufgetaucht war, und seine heisere Stimme hallte dabei von den Wänden wider. Er stand so still da, dass man ihn für einen Schatten hätte halten können. Die schmale dunkle Silhouette hob sich deutlich gegen die hellen Fliesen im Vorraum der Toilette ab. Mit katzenhaften Bewegungen näherte er sich Ben, der den Fluchtweg zwischen sich und dem Fremden abzuschätzen versuchte.

Victor hielt ebenfalls ein Smartphone in der Hand, dessen Licht das blasse Gesicht des Unbekannten noch bleicher wirken ließ. „Das war doch eine deiner Fragen, nicht wahr?!“

Bens Herz schlug ihm so fest gegen die Rippen, dass er kaum noch Luft holen konnte. Er öffnete den Mund, um zu antworten, doch seine verkrampfte Kehle ließ nicht den winzigsten Laut durch. Er nickte, was sein Gegenüber mit einem selbstgefälligen Lächeln quittierte.

Victor sah auf sein Handy hinab. „Tut mir leid, aber ich weiß nicht, wo er ist“, sprach er weiter. „Möglich, dass er wieder zurückkommt, sobald er verstanden hat, was mit ihm passiert ist.“ Victor machte eine kurze Pause, in der er Ben treuherzig anlächelte. „Er hat sicher spannendes zu erzählen, wenn er wieder da ist, jede Wette.“ Er lachte und es klang so kratzig wie rostige Nägel auf einer Schiefertafel.

Ben machte einen Schritt rückwärts. Die Tür zur Toilette schwang ein Stück auf, als er mit dem Rücken dagegen stieß.

„Ich wusste, dass ich euch beide bekomme.“ Victor hatte es nicht eilig, Ben zu folgen. Wo sollte der schon großartig hin? „Ach ja, die nächste Frage“, schien es Victor einzufallen. Ohne Eile holte er den Abstand, den Ben zwischen sie gebracht hatte, wieder auf und stand nun so dicht vor Ben, dass dieser einen durchdringenden muffig-süßen Geruch wahrnahm, den der junge Mann verströmte.

Victor hob den Arm und lächelte mild, als Ben instinktiv zusammenzuckte. Er griff an dem zitternden Häufchen vorbei zur Tür und drückte sie ein bisschen weiter auf.

Ben fiel fast rückwärts zu Boden. Im letzten Moment konnte er sich mit einer Hand am Türrahmen festhalten.

„Das Bild“, säuselte Victor und Ben lief es dabei kalt den Rücken hinunter.

Er zwang sich dazu, Victor nicht aus den Augen zu lassen. Victor konnte ja kaum älter als er selbst sein. Er sah aus wie einer von ihnen mit einem etwas veralteten Modegeschmack. Wie konnte jemand so normal wirken und dabei jedes Wort, das er aussprach, so grauenvoll klingen lassen, dass es einen kalt überlief? Er sah gar nicht aus wie ein irrer Killer. Aber was wusste er schon über Killer?

Ben fielen plötzlich tausend weitere Fragen zu den tausend schon bestehenden ein.

„Das Bild“, wiederholte Victor seinen begonnenen Satz. „Es ist so eine Art Familienportrait.“ Er lächelte Ben wieder so treuherzig an, wie kurz zuvor.

Ein Familienportrait. Natürlich. Das normalste auf der Welt... Ben nickte erneut. Wenn er eines aus dem Fernsehen gelernt hatte, dann, dass man Irren nicht widersprechen durfte.

„Du hast ja keine Ahnung, wie irre das alles tatsächlich ist“, flüsterte Victor und amüsierte sich über Bens ertappten Gesichtsausdruck.

Das Licht an der Decke flammte wieder auf und Ben hätte am liebsten laut geschrien. Im gleichen Moment, in dem er die raubtierhaften Eckzähne seines Gegenübers sah, schlugen sich eben diese auch schon in seinen Hals, so dass jeder aufkommende Laut erstickt wurde. Es fühlte sich an, als reiße ihm der Fremde bei lebendigem Leib die Kehle raus, und die Ohnmacht, die sich kurz darauf ankündigte, war Ben mehr als willkommen.

 

 

Wenige Minuten später schlug Ben die Augen langsam wieder auf. Er hatte nicht damit gerechnet, überhaupt wieder zu Bewusstsein zu kommen, und doch war es so. Sein Hals schmerzte wie die Hölle und er merkte, wie etwas Feuchtes dort hinab floss. Geträumt hatte er das alles also scheinbar nicht.

Vor ihm stand Victor und grinste ihn etwas beschämt an. Sein Mund und sein Kinn waren mit Blut beschmiert. Mit seinem Blut, wie Ben vermutete. Entsetzt sah Ben auf seine Brust hinab, über die sich ein breiter Strom aus Blut ergoss. Mit jedem Pulsieren wurde es mehr.

„Das hört gleich auf, keine Sorge“, erklärte ihm Victor seelenruhig. „Tut mir leid, normalerweise kann ich mich eigentlich ganz gut beherrschen“, entschuldigte er sich so arglos, als hätte er sich einfach nur am Buffet zu viel auf den Teller geladen, anstatt Bens Hals zerfetzt zu haben.

Zitternd betastete Ben die Bescherung. Ihm wurde schlecht, als er die Hautfetzen unter den Fingern spürte, unter denen weiteres Blut hervorquoll.

„Entschuldige bitte vielmals.“ Victor verdrehte theatralisch die Augen. „Oh, da fällt mir noch was ein: das Familienportrait.“

Mit einer Hand packte Victor den überrumpelten Ben am Hals und zwang ihn gewaltsam, auf dem Toilettensitz Platz zu nehmen. Bens Hinterkopf stieß dabei so hart gegen die gekachelte Wand hinter ihm, dass er einen Moment benommen die Luft anhielt.

Victor war ungewöhnlich stark. Selbst mit einer Hand hielt er den zappelnden Ben ohne Schwierigkeiten in Schach. Seine Fingernägel bohrten sich wie Stacheldraht in seine Haut, so dass Ben es schließlich aufgab, sich dagegen zu wehren. Er spürte wie seine Halsschlagader heftig unter dem unnachgiebigen Griff pulsierte und langsam wurde ihm flau.

Mit seiner freien Hand kramte Victor nun in seiner Hosentasche, aus der er schließlich einen schwarzen Permanentmarker zu Tage förderte. Er klemmte sich das Ende mit der Verschlusskappe in den Mund und zog dann kräftig an dem Stift. Victor spuckte die Kappe aus, die klappernd über den gefliesten Boden sprang und irgendwo verschwand. Dann wandte er sich wieder an Ben, der keuchend dasaß und sein Gegenüber aus panisch aufgerissenen Augen anstarrte.

„Und jetzt schön stillhalten und mich anschauen“, raunte Victor verschwörerisch und lächelte Ben so freundlich an, wie wohl nur ein Raubtier seine Beute anlächeln würde.

 

 

* E N D E *



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2017-12-27T16:33:03+00:00 27.12.2017 17:33
Wieder erschauert es mich. Das letzte Kapitel ist toll und gruselig zugleich, was vor allem an Victor liegt. Er ist so gelassen und kühn, dass es einem den Atem stockt, aber er ist auch so gruselig und gefährlich, dass man nicht mit Ben tauschen möchte. Das Geheimnis um das Gemälde hatte mich sehr überrascht. Als Vic sagte, es wäre ein Familienportrait, dachte ich erstdaran, dass er alle Augen jener verewigte, die er verwandelt hat. Aber es sind vielmehr seine Opfer, was die Angelegenheit wieder sehr gruselig macht. Auch wenn Ben es nun nicht mehr beherzigen kann, möchte ich sagen: „Ganz ehrlich, man muss kein Genie sein, um zu wissen, dass bei Nummern, die in Toiletten an der Wand stehen, nichts Gutes herauskommt.“
 
Deine Geschichte ist, und ich kann mich da nur wiederholen, einmalig toll. Ich liebe deinen Schreibstil, deine Art Spannung aufzubauen und dein Detailreichtum. Ich bin sicher, wenn du die Geschichte richtig veröffentlichen würdest (außerhalb von Animexx meine ich), würde sie sehr viele Liebhaber finden! Allein aus Neugierde, was aus Scott und Victor wird, würde ich nach einer Fortsetzung verlangen.Hat Scott sich für die Verwandlung entschieden, oder ist er tot, wie Ben glaubt?


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