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Casino Wonderland

Between midnight and tomorrow
von

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Down the rabbit hole

Piep. Piep. Piep.
 

Das Mädchen erwachte wie immer von dem penetranten Piepen der Maschine, doch es schlug seine Augen nicht auf. Wozu auch, es wusste was es sehen würde. Es würde die selbe Decke sehen, den sterilen Kalk mit dem winzigen roten Fleck, und es würde ganz leicht im Augenwinkel die Maschine sehen. Dieses...Ding, diese technische Abomination war es, weswegen sie die Augen geschlossen hielt. Sie musste sich erst innerlich wappnen, konnte und wollte noch nicht aus der warmen Umarmung des Schlafes in die kalte, gnadenlose Realität. Es war grausam, niemand konnte dies von ihr verlangen. Das sie sich jetzt schon dem Anblick des Bildschirmes stellte, der ihr mal wieder klar machte wieso sie noch immer hier war. Früher, da hatte das Mädchen eine seltsame Fantasie, eine närrische Hoffnung die sie jeden Abend lächelnd einschlafen ließ. Sie stellte sich vor was wäre, wenn sie eines Tages aufwachen würde und und sah, dass der Bildschirm anzeigte das alles gut war. Das sie wieder gesund war und endlich Heim könnte. Endlich zu ihrer Familie könnte. Endlich ein normales Kind sein könnte.

Das Mädchen hatte nie eine Chance gehabt. Sie war krank zur Welt gekommen und seitdem krank geblieben. Die Ärzte hatten bei ihrer Geburt um ihr Leben gekämpft und auch lange danach war sie in steter Lebensgefahr. Sie sagten ihr ständig wie stark sie sei und was für ein tapferes Kind sie doch war. Vielleicht war sie stark, das wollte sie nicht abstreiten auch wenn es etwas hochtrabend klang, doch ihr Körper war es offensichtlich nicht. Ihr Herz, dies war das Problem. Ihr Herz war nicht stark genug um ihren Körper alleine zu versorgen, so wurde es ihr erklärt als sie noch ein kleines Mädchen war. Mittlerweile wusste sie auch, dass es niemals stark genug sein würde. Sie war hier im Krankenhaus, weil sie nicht alleine lebensfähig war und ohne Spenderherz es auch nicht sein würde. Früher, da hatte sie noch gehofft das alles würde sich eines Tages ändern. Das sich ein Herz für sie finden würde, das jemand ein Herz für sie übrig hatte. Ihre Mutter würde sich sicherlich ihres herausreißen und ihr überreichen wenn sie denn könnte, doch so einfach war es nicht. Heute, an ihrem 17ten Geburtstag hier in der Klinik, wusste sie das es niemals so einfach sein würde. Sie hatte einen eigenwilligen Bluttyp oder so, hatte ihr der Arzt nervös erklärt. Sehr selten, sie sei etwas ganz besonderes. Doch das Mädchen wusste inzwischen was er ihr in Wahrheit sagen wollte. Sie würde kein neues Herz bekommen. Sie würde hier nicht mehr heraus kommen. Sie wäre dazu verdammt, jeden Morgen vom Piepsen der Maschine zu erwachen und sich zu fragen, wieso sie noch erwachte. Doch die Antwort wäre ihr klar, wie jedes Mal.

Ihre Familie. Dies waren die Menschen, die sie nie aufgegeben haben selbst wenn sie selbst es tat. Ihre Mutter, die ihr selbst nach all den Jahren Dinge wie Sportschuhe oder Badeanzüge kaufte auch wenn sie sie nicht brauchte, einfach nur weil sie daran glaubte das es jeden Tag so weit sein könnte. Ihr Vater, der sich jeden Tag neben ihr Bett setzte und mit ihr sprach, ihr von der Welt draußen erzählte damit sie sich nicht ganz so allein und isoliert fühlte. Ihre Schwester, die trotz wöchentlich wechselnder Freunde und stetigem Streit mit ihren Eltern immer wieder Zeit für das Mädchen fand. Selbst ihr Lehrer, der ihr tagtäglich Dinge beibrachte die sie vermutlich niemals brauchen würde war ihr ans Herz gewachsen. Wenn das Mädchen mal wieder keine Hoffnung hatte, dann gaben sie ihr etwas von ihrer Hoffnung ab. Denn sie hatten genug davon, mehr als genug. So viel das es das Herz des Mädchens erwärmte wenn sie daran dachte. Für diese Menschen wollte sie leben. Auch wenn sie selbst bereits die Nase voll hatte, von einem Leben das sich ohne sie abspielte wie ein Film. Sie saß da, doch sie war nicht beteiligt. Ja, sie wollte leben. Das war es, was sie mehr als alles andere begehrte. Ein Leben, auch wenn sie sehr genau wusste das sie niemals eines besitzen würde.
 

Das Mädchen schlug die Augen auf.
 

Kennt ihr das, wenn ihr etwas seht das so unbegreiflich und merkwürdig ist dass man es gar nicht mit den Gedanken erfassen kann? Man sieht es und denkt sich, huh. Für Worte reichen die Denkkapazitäten in diesem Moment nicht aus. Man ist nicht erschrocken, nicht erstaunt oder überrascht. Alles was man empfindet ist eine tiefe, stumpfe, bodenlose Gleichgültigkeit. Nicht weil es einem egal ist, sondern eher weil man noch nicht weiß was es ist das man da ansieht. Genau einen solchen Moment hatte das Mädchen nun, als sie die Augen aufschlug und nicht die weiße, sterile Krankenhausdecke sah die sie erwartet hatte. Oder doch, sie sah diese, doch sie war so unheimlich weit weg. Das Mädchen lag im Bett, im selben Krankenhausbett wie immer, doch dieses stand nicht im Zimmer. Es stand am Boden eines Loches, so unheimlich tief das die Zimmerdecke mit dem roten Fleck nur ein weißer Punkt in der Ferne war. Wie ein Stern im Nachthimmel, so fern und bedeutungslos war es für das Mädchen. Langsam, bedächtig, richtete es sich auf.

"Hallo? Ist da jemand?" fragte sie in die Schwärze hinein die sie umgab. Doch es kam keine Antwort, bis auf das Piepen der Maschine. Die Maschine, ihr tiefster Vertrauter kannte sie das Mädchen doch besser als es irgendjemand sonst tat. Doch nein, etwas war seltsam. Das Piepen war kein Piepen. Es war eben noch ein Piepen, doch nun hatte es sich verändert. Es war anders, anders als es noch gestern oder auch heute war und definitiv kein Piepen mehr.

Tick tack, Tick tack, Tick tack

"Maschine? Wo bist du?" fragte das Mädchen und drehte sich um, hin und her und einmal im Kreis ehe es aufstand und unter das Bett schaute.
 

Tick tack, Tick tack, Tick tack

Die Maschine war eine Uhr geworden.
 

Da stand sie, auf dem Podest auf dem sonst die Maschine stand. Direkt neben ihrem Bett. Eine große, runde Uhr war es die metallisch glänzte. Das war auch das einzige was sie mit der Maschine gemein hatte, war sie doch sonst ganz anders. Nicht einmal einen Bildschirm hatte die Uhr, sie war vollkommen undurchsichtig und ganz aus Metall.

"Welchen Zweck hat eine Uhr ohne Zeiger?" fragte das Mädchen verwundert und trat auf die Uhr zu.

"Welchen Zweck hat ein Mädchen ohne Herz?" antwortete die Uhr schnarrend.

Das Mädchen erschrak schrecklich und wich zurück.

"Du sprichst?!"

"Du doch auch. Siehst du mich deswegen einen Aufstand machen?"

Das ergab Sinn, musste sich das Mädchen eingestehen. Einigermaßen beruhigt trat sie wieder auf die Uhr zu und strich über die glatte Oberfläche.

"Tut mir leid, Uhr, ich wollte nicht unhöflich sein. Aber wie zeigst du die Zeit an ohne Zeiger?" fragte das Mädchen, nun in einem deutlich höflicheren Ton.

"Gar nicht. Es ist nicht meine Aufgabe die Zeit anzuzeigen, ich zähle sie nur. Und manchmal, wenn sie mich ganz lieb bittet, dann zähle ich auch rückwärts. Das gefällt der Zeit immer besonders"

Das Mädchen wusste nicht was der Zeit an einer rückwärts zählenden Uhr so gefiel, doch sie wollte nicht schon wieder unhöflich sein und fragte darum nicht nach. Stattdessen legte sie den Kopf in den Nacken und sah hoch, den unendlich hohen Schacht hinauf. Wie war sie nur hier herab gekommen?

"Liebe Uhr, sag mir bitte, schlafe ich?" fragte sie vorsichtig, nicht gewillt den Zorn der Uhr erneut auf sich zu ziehen.

"Du träumst. Das ist ein Unterschied"

"Worin besteht der Unterschied?"

"Wenn du schläfst, existierst du nicht. Doch wenn du träumst, dann existiert Alles"
 

Alles. Aus irgendeinem Grund hatte dieses Wort eine so große Bedeutung das das Mädchen es mit seinen dünnen Gedankenärmchen nicht umfassen konnte. Es war so...riesig. So schwer und unhandlich das es unmöglich ein Wort war welches sie mit sich herum tragen wollte. Nein, Alles war ein Wort welches ihr nicht gefiel. Sie wollte es hierlassen, bei der Uhr, diese schien das Wort ja zu mögen. Doch die Uhr hatte anscheinend andere Pläne als das Wort zurück zu nehmen, denn in diesem Moment klapperte es in dem metallischen Gehülse bedeutungsschwer. Erst einen Moment später begriff das Mädchen, das die Uhr sich soeben geräuspert hatte. Zugleich merkte sie, dass die Uhr aufgehört hatte zu zählen.

"Wir sind da. Wir befinden uns nun zwischen Mitternacht und Morgen"

Das Mädchen wollte fragen was das nun wieder bedeutete, ob es eine Ortsangabe oder eine Zeitangabe war, doch sie kam nicht dazu als hinter ihr etwas knarrte. Es war nicht sehr laut, doch es war wichtig. Ein unheimlich, unglaublich wichtiges Knarren welches sie nicht mit ihrer Stimme unterbrechen wollte. Langsam, als könnte sie die Quelle des Knarrens verscheuchen, drehte sie sich um.
 

Es war eine Tür.

Direkt vor ihr, dort wo bis eben noch ihr Krankenbett stand, war nun eine Tür aufgetaucht. Woher sie kam und wohin sie führte war ein Rätsel, doch das sie da war war offensichtlich eine Tatsache. So sicher, dass das Mädchen mit der Hand welche sie langsam hob über das raue, rote Holz streichen konnte. Es roch nach Rosen, jene Rosen welche die Tür umringten wie einen Kranz. Sehr seltsam, bis eben roch es hier doch noch nach Metall und Desinfetionsmittel. Doch nein, es war nun der süßliche Rosenduft der ihr in die Nase drang und sie begriff das sie weinte. Wieso weinte sie? Langsam, als bestünde sie aus Porzellan, hob das Mädchen eine Hand und wischte mit zitternden Fingern die Tränen fort.

Was war es nur was sie so traurig machte? Darüber nachzudenken hatte sie keine Zeit, schließlich war die Uhr stehen geblieben. Ohne weiter zu zögern schob das Mädchen die schwer aussehende Tür auf, welche jedoch ganz leicht war. Manchmal waren die Dinge eben nicht wie sie wirkten.
 

Hinter ihr fiel die Tür hämisch lachend zurück ins Schloss.



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