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Seelenkrank

von

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Freunde sind doch die besten Therapeuten

Ich stolperte aus der Haustür und wollte nur noch weg von meiner Mum. Jetzt hatte ich sie genauso verletzt, wie sie mich. Wohin sollte ich jetzt gehen? Bis zur Bandprobe waren es immerhin noch zwei Stunden. Ja, der Proberaum. Dieser Ort schien mir jetzt sehr passend.

Mit zittrigen Händen öffnete ich das Schloss. Der Proberaum war nicht übermäßig groß, aber auch nicht zu klein. In der hinteren linken Ecke war eine kleine Bar mit einer Sitzecke und in der gegenüberliegenden Ecke ging es zum Keller, wo wir alle Instrumente verstaut hatten. Zwischen Bar und Keller erhob sich eine kleine Empore, die uns als Bühne diente.

Kurz vor der Wand hing noch ein schwerer roter Vorhang und dahinter war noch ein kleiner Raum, wo wir uns vor unseren Auftritten aufhielten. Unerwarteter Weise tauchte auch Basti plötzlich auf. Ich ging in den Keller hinab, wo sich außer den Instrumenten die ganzen Alkoholvorräte befanden. Ich nahm den Wodka mit hoch und trank einen großen Schluck. Normalerweise betrank ich mich vor Auftritten eher selten, aber heute war es irgendwie nötig. Ich schaute auf mein Handy. Es war schon kurz vor sieben. Basti sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.

„Alles klar?“

„Sicher, besser als zuvor.“

„Stress zu Hause?“

Ich nickte und mein Freund legte seinen Arm um meine Schulter.

„Aber nich der Rede wert, lass uns nen cooles Konzert spielen.“

Wir setzen uns auf den Bühnenrand. Wenn man den Raum so betrachtete, sah er recht interessant aus. Die Wand gegenüber von der Bühne war von Basti und seinem Bruder künstlerisch mit Graffiti besprayt worden, die Wand rechts davon war knallrot. Die Wand gegenüber war ebenfalls rot und da hatten Tim und ich blaue, rote und grüne Neonleuchten angebracht. Der Proberaum war aber noch nicht ganz fertig, wir wollten irgendwo noch ein paar Sofas und Sessel oder Stühle zum sitzen auftreiben, weil die eine Sitzecke war für die ganzen Wochenendveranstaltungen eindeutig zu wenig.

Mein Blick schweifte zur Tür, die sich gerade öffnete. Flo kam mit Jenny, Bastis Bruder Mike und dessen Kumpel Thilo. Mike und Thilo machten für den heutigen Abend die Türsteher und kassierten den Eintritt. Thilo hieß eigentlich Konrad, aber er sah fast so wie Thilo Wolf von Lacrimosa aus und deshalb war er halt Thilo. Seine Klamotten waren echt der Hammer. Ich würde zwar nie so herumlaufen, aber zu ihm passte es. Er trug ein weißes Hemd mit einem schwarzen Pullunder darüber, seine schwarze Lederhose war mit Spitznieten übersät und die Absätze seiner Stiefel waren zur Hälfte aus Eisen. Seine Haare hatte er locker mit einem Lederband zusammengebunden. Mike war nicht ganz so extrem, obwohl er auch ein Gothic war. Er trug ein schwarzes In Extremo T- Shirt und eine normale schwarze Jeans. Doch seine Stiefel waren genauso ausgeflippt, wie die von Thilo. Mike hatte auch lange Haare, die er zu einem Iro auf gestylt hatte.

„Hey ihr zwei, wie geht’s?“

„Soweit gut. Übrigens danke, dass ihr das heute Abend macht. Hättet bestimmt auch was Besseres zu tun, als den ganze Abend Türsteher zu spielen.“

„Ach das ist schon okay. Außerdem wollen wir doch mal sehen, was ihr so drauf habt.“

Die zwei sahen vielleicht abschreckend aus, aber waren echt richtig nett.

Ich fragte Basti, ob er mir schon mal half, die Instrumente heraufzutragen.

Als wir alles oben hatten, machten sich Tim und Mike daran, die ganzen Geräte anzuschließen. In der Zeit waren auch die anderen gekommen.

Als alles so weit fertig war saßen wir noch in einer gemütlichen Runde zusammen und plauderten. Ich merkte wie mir der Alkohol allmählich zu Kopf stieg.

Es war dreiviertel acht, Mike und Thilo stellen sich an die Tür und Flo, Basti, Christian, Tim und ich verschwanden hinter der Bühne. Unser Barkeeper war ein Glück auch noch rechtzeitig erschienen. Es war alles perfekt, jetzt musste nur noch alles mit dem Auftritt klappen, aber dabei hatte ich auch schon keine Bedenken mehr. Alle meine Sorgen und den Streit mit meiner Mum hatte ich verdrängt.

Über der Bühne leuchtete jetzt der Schriftzug Nocturna und ich konnte mir ein stolzes Lächeln nicht verkneifen.

Der Saal war reichlich gefüllt, der Anblick der Menschenmenge erfreute mich sehr.
 

Es war fast acht und um neun würde das Konzert beginnen. Nici war sich immer noch nicht ganz sicher, ob sie hingehen sollte. Nadja hatte ihr davon abgeraten und sie war auch nicht bereit gewesen ihre Freundin zu begleiten, weil sie der Meinung war, dass Lukas Nici sowieso längst vergessen hätte. Doch irgendetwas in ihr sagte ihr, dass es nicht so war. Aber sie fragte sich trotzdem immer wieder, warum er sie dann nicht mehr besucht hat oder sich wenigstens nach ihr erkundigt hatte?

Das viertel Jahr Krankenhaus und die Therapien hatte Nici ganz schön zugesetzt und sie fühlte sich noch immer schlapp und doch wollte sie ihren Lukas unbedingt sehen. War sie wirklich naiv, so wie Nadja es behauptete? Nur, weil sie einen Jungen liebte, den sie als ihre Freundin nicht akzeptierte? Sie wusste auch, dass Lukas eine dunkle Vergangenheit hatte, aber warum sollte sie ihn deshalb im Stich lassen? Nadja war einfach nur eifersüchtig!

Nici war erleichtert, dass die Ärzte ihr helfen konnten. Die Nacht, in der sie vergewaltigt wurde, saß mir immer noch tief in den Knochen. Wenige Verletzungen sind zwar noch nicht ganz verheilt, aber lange dauerte das sicherlich auch nicht mehr. Bis auf ein paar Prellungen war so gut wie alles verheilt.

Etwas ängstlich machte sich Nici dann doch auf den Weg zum Proberaum, in dem das Konzert von Nocturna stattfinden sollte. In der Stadt herrschte ein reges Treiben und keiner beachtete das Mädchen. Als sie in die Straße einbog, wo sich der Proberaum befand, vernahm sie plötzlich Schritte hinter sich und drehte sich um. Ein junger Mann kam hinter ihr her. Er war hochgewachsen, schlank und asiatischer Herkunft. Mit seinen weißblonden Haaren hätte er fast aus einem Manga entsprungen sein können.

„Ach du willst wohl auch zum Konzert, ja?“

„Äh, Ja.“

Eigentlich wollte Nici etwas früher da sein, um Lukas vielleicht noch zu sehen. Doch sie wollte auch nicht unhöflich sein und den jungen Mann einfach abwimmeln.

„Ich bin übrigens Nici.“

Auf einmal blieb er stehen und starrte sie mit interessiertem Blick an. Das verwirrte das Mädchen.

„Hab ich was Falsches gesagt?“

„Nein, nein. Ist schon okay. Bist du Lukas seine Nici? Er hat dich schon oft erwähnt.“

Nun war sie diejenige, die verblüfft war. Warum unterhielt sich Lukas mit fremden Menschen über sie? Doch dann fiel ihr auf, dass sie ihn irgendwo schon mal gesehen hatte. Zumindest auf Bildern.

„Kennst du Lukas schon lange?“

Er zuckte mit den Schultern.

„Wir haben uns mal in einer Bar kennengelernt, das dürfte jetzt ungefähr ein Jahr her sein.“

Jetzt hatte Nici keine Zweifel mehr, das musste der hübsche Japaner sein, von dem Lukas manchmal gesprochen hatte.

„Ähm, ja, ich erinnere mich, das hat er mir erzählt.“

„Ich bin übrigens Juka.“

„Freut mich deine Bekanntschaft zu machen.“

Er schaute Nici eine ganze Weile an.

„Lukas hat Recht gehabt, als er gesagt hat, dass du wunderschön bist.“

„Meinst du, dass er mich noch mag?“

„Da bin ich mir ziemlich sicher!“

Jetzt war das Verlangen, Lukas zu sehen, noch größer. Doch was sollte sie ihm sagen? Die Angst, dass er sie nicht mehr mochte, war trotz Jukas aufbauender Worte immer noch da.

Es wurde langsam dämmrig und Nici empfand diese Gegend dann immer unheimlich. Überall standen alte, baufällige Häuser und Neubaublöcke. Juka und Nici beschlossen vor dem Raum zu warten, bis er sich gefüllt hat und dann ganz hinten von der Wand aus zuzugucken. Solange nahmen sie auf der Bank davor platz. 
 

Flo zog mich kurz vor die Tür und nahm mir meine Wodkaflasche aus der Hand.

„Süßer…du kannst das meinetwegen später tun, aber nich vor dem Konzert. Ich brauch dich auf der Bühne halbwegs nüchtern, okay?“

Ich umarmte meinen Freund und sah über seine Schulter hinweg etwas, was ich vielleicht bei heißem Wetter für eine Fata Morgana gehalten hätte. Das Mädchen sah Nici verdammt ähnlich. Flo merkte, dass ich zur Salzsäule erstarrt war und drehte sich ebenfalls um. Auch Juka war da und begrüßte uns beide. Ich war völlig durch den Wind. Konnte es möglich sein, dass Nici hier stand? Langsam näherte sie sich und wir standen uns gegenüber als wären wir Fremde. Juka und Nici. Meine vermeintliche Freundin und der Typ, mit dem ich sie betrogen hatte. Nein, das war einfach zu viel. Ich schwankte leicht rückwärst und meine Hände suchten Halt an der Wand. Als ich mich wieder gefangen hatte, zog ich Nici um die Ecke, damit wir etwas ungestört reden konnten. Mein Herz hämmerte schneller und unsere Lippen formten sich langsam zu einem Lächeln. Fuck, das war schlimmer, als in einem Liebesdrama. Vielleicht sollte ich meine eigene Daily Soap verfilmen lassen.

„Bist du das echt?“

„Eigentlich schon.“

„Wow! Sorry, ich bin gerade echt leicht überfordert. Was soll ich sagen, schön dich zu sehen.“

„Ist das alles? Keine Umarmung? Kein Kuss?“

Mein Schwindelgefühl kehrte zurück und so sehr ich Nici vermisst hatte, wusste ich jetzt nicht, wie ich mich ihr gegenüber verhalten sollte. Doch dann nahm sie mich in die Arme und alle Angst und die Ungewissheit, Nici niemals wieder zu sehen, waren verflogen. Ich konnte das gerade gar nicht fassen. Dann ergriff ich die Initiative und küsste sie. Automatisch schlichen sich Bilder in meinen Kopf. Bilder von der Nacht mit Juka. Der Kuss und sein verführerisch nackter Körper. Ich trat einen Schritt zurück. Nici entging natürlich nicht, dass etwas so ganz und gar nicht zu stimmen schien.

„Ich muss leider erst mal wieder rein. Sehen wir uns später noch mal?“, versuchte ich die Situation zu retten.

„Natürlich. Kommst du dann wieder hier her? Ich gucke nur von ganz hinten zu und gehe dann wieder an die frische Luft. Ich freue mich.“

Ich wagte es erneut und drückte Nici noch einen Kuss auf den Mund.

Der Raum verdunkelte sich und ich betrat die Bühne. Grelles Scheinwerferlicht blendete mich und ich suchte Halt am Mikroständer. Das Zittern meiner Hände versuchte ich zu verstecken und schloss die Augen, um mich auf die Musik zu konzentrieren. Schließlich verließen die Worte von ganz allein meinen Mund, drangen in melodischer Form über die Lippen und erfüllten mich. Erweckten den toten Teil in mir zum Leben und schon fast schmerzhaft krochen meine Gefühle aus den tiefen meiner kaputten Seele und erfüllten den Raum mit Worten. Mit Gesang, der meine Fans zum Jubeln animierte. Feine Schweißtröpfchen bahnten sich einen Weg über meine Wangen und ich zog mein Oberteil aus. Stellte meinen geschundenen Körper zur Schau und versank noch mehr in meinen Texten. Verschmolz mit de Musik und gab mich vollends den Gefühlen hin.

Unser Konzert endete mit einem langsamen Lied. Es war echt ein voller Erfolg, damit hätten wir glaub ich alle nicht gerechnet.

Als ich mir dann noch bewusst machte, dass ich Nici wiederhatte, konnte ich das immer noch nicht fassen.

Ich musste dringend eine Zigarette rauchen und machte mich wieder auf den Weg nach draußen. Nici erwartete mich schon sehnsüchtig und wir beschlossen, uns ein Stück von dem Trubel hier zu entfernen, weil es sehr viel zu bereden gab. Ich wartete schon fast auf ihre Frage.

„Sag mal, was hast du in den letzten Monaten eigentlich gemacht?“

Eigentlich war ich auch wütend auf mich selbst, dass ich so ein Mist gebaut hatte, denn welches intelligente junge Mädchen möchte schon mit einem vorbestraften Junkie zusammen sein, der sie betrogen hatte?

„Das ist ne lange, unschöne Geschichte. Es ist echt ne Menge passiert, während du weg warst.“

Jetzt auf einmal war die Ungewissheit wieder da, dass ich Nici trotzdem noch verlieren konnte. Ich entschloss mich letztendlich, ihr nicht alles zu sagen.

„Ich war sogar einen Tag in Untersuchungshaft, weil ich Gras kaufen wollte.“

Das würde ihr sicher nicht passen, aber ich wollte ehrlich zu ihr sein. Ein bisschen zumindest. Während wir so redeten, schweifte mein Blick umher und suchte nach Juka. Dieser Krieg, der gerade in mir tobte, ich konnte ihn kaum noch ignorieren.

„Und ich dachte deine Drogenzeit ist vorbei?“

„Keine Ahnung, ich hab ja nichts Ernstes genommen, war halt alles nur sehr turbulent“, sagte ich. Sie hackte auch nicht weiter. Wo war er bloß? Oder hatte er das Konzert gar nicht gesehen?

„Warum hast du mich nicht mehr besucht?“, riss sie mich wieder aus den Gedanken.

„Hab ich doch“, antwortete ich unsicher und musste unbedingt was trinken.

„Ja, am Anfang. Aber Nadja hat mir erzählt, dass du dann überhaupt nicht mehr da warst.“

Ich zündete mir noch eine Zigarette an. Nadja wieder, toll.

„Ich konnte nich…ich meine, ich hatte schreckliche Angst vor dem, was mich erwarten würde. Verstehst du?“

Ich sah ihr tief in die Augen.

„Aber ich denke, du liebst mich?“

Ich seufzte und nahm einen tiefen Zug.

„Nici, ich war einfach total am Ende! Ich hatte oder habe im Moment auch noch andere Sachen, die mich extrem belasten. Das soll jetzt auch nicht heißen, dass du unwichtig für mich bist, aber es sind eben Kleinigkeiten, die sich irgendwann zu wahnsinnig großen Problemen entwickeln und dann kann man ihnen nicht mehr aus dem Weg gehen.“

Ich wusste nicht, ob sie mich verstand.

„Also geht es doch um Drogen?“

„Verflucht, nein! Muss es denn nur immer das sein? Es geht um meine Familie verdammt, die keine mehr ist. Es geht um meine Mum, die nur noch sich und ihren Klaus sieht und um meine Schwester, die in der Schule nich mehr klarkommt. Meine Mutter lebt gerade in ihrer eigenen Welt. Sie verdient ne Menge Geld, ist voll in ihren Typen da verknallt und was aus ihren Kindern wird is ja egal! Und ich muss Jojo dann wieder aus dem Schlamassel helfen, weil meine Mutter sich nich um sie kümmert. Dafür bin ich gut genug. Aber, dass sie sich mal nen Kopf macht, warum Jojo so is, daran verschwendet sie keinen Gedanken. Ich bin sowieso nur noch jemand im Haus, den sie begrüßt oder verabschiedet. Ich wüsste nich, wann wir mal miteinander geredet haben.“

„Tut mir leid, ich konnte ja nicht ahnen, was momentan bei dir zu Hause los ist.“

„Konntest du auch nich. Ich glaub, ich bin seelisch ein totales Wrack. Lange halte ich das nich mehr aus.“

Sie lächelte mich an und ich versuchte es zu erwidern.

„Deshalb komme ich ja jetzt, um dich zu retten.“

„Du bist süß...irgendwie…aber ich bin nich sicher, ob das noch möglich is…“

Nici lachte wieder.

„Es tut mir echt leid, dass ich dich missverstanden habe, aber es war auch nicht leicht für mich. Nadja hat auch so einige Dinge über dich gehört und hat mir gleich wieder davon abgeraten, dich zu treffen.“

Da konnte ich nur hoffen, dass Nici mir mehr vertraute, als ihrer Nadja, denn das, was sie über mich gehört hat, war mit Sicherheit nicht so ganz unwahr.

Ich fühlte mich schlecht, weil ich Nici belogen hatte, doch was sollte ich machen? Flo kam zu uns brachte mir ein Bier mit.

„Mein Wodka bekomm ich wohl nich zurück?“, scherzte ich, doch meine Freundin schien das nicht so witzig zu finden.

„Können wir noch was Schönes machen? Oder willst du dich hier besaufen.“

Vermutlich drückte sie absichtlich etwas krasser aus. Ich warf Flo einen hilfesuchenden Blick zu, doch er zuckte nur mit den Schultern und zischte wieder ab.

„Nici…hör zu, ich freue mich voll, dass du wieder da bist,…nimm mir das jetzt nich übel, aber für mich tickte die Zeit weiter…ohne dich und jetzt bist du hier und alles ist auf einmal wieder toll? Das kann ich nich…von mir aus können wir gern noch wohin gehen, reden oder was du willst, nur bitte gib mir Zeit.“

„Na gut, ich verstehe dich…dann lass uns zu dir gehen okay?“

Es war kurz nach Mitternacht und wir schlichen auf Zehenspitzen in mein Zimmer rauf. Ich ließ mich erschöpft aufs Bett fallen, in meinem Kopf drehte sich alles.

„Nici.......bitte sei mir nicht böse, aber es ist besser, wenn du jetzt nach Hause gehst. Ich brauche echt mal ein bisschen Schlaf und den habe ich die letzten zwei Wochen kaum bekommen.“

Sie schaute mich etwas verwundert an, lächelte dann aber.

„Ich verstehe dich schon. Hast du morgen Zeit oder bessergesagt noch heute?“

„Klar. Ruf dich dann an, wenn ich munter bin.“

Ich brachte sie noch nach Hause, wartete, bis die Tür hinter ihr ins Schloss fiel und ging wieder zurück.

Eigentlich hatte ich gelogen, müde war ich keinesfalls. Jedoch konnte ich nicht, fassen, dass sie auf einmal wieder da war. Dieses wunderschöne Mädchen war zu mir zurückgekehrt und doch konnte ich im Moment nicht mit ihr zusammen sein. Alles kam wieder hoch und jetzt musste ich heulen. All der Frust und Schmerz, der sich in mir aufgebaut hatte, drang an die Oberfläche. Geistesabwesend hockte auf den Stufen vor meinem Haus kam mir so hilflos und verlassen vor. Ich schlug mit den Fäusten vor die Hauswand, bis sie schmerzten. Was hatte ich eigentlich getan? Würde ich es irgendwann schaffen, mich mit meiner Mum zu verstehen? Ich wusste nicht, was ich denken oder fühlen sollte. Mich beherrschte das Unglück und der Schmerz zerfraß meine Seele.

Auf einmal vernahm ich das Geräusch schwerer Plateaustiefel hinter mir. Und da stand er vor mir, als ob er mich von meinem Elend befreien wollte. Liebevoll beugte er sich zu mir herab und zog mich auf die Beine. Lange schauten wir uns an.

„Komm mit. Ich nehm dich erst mal mit in meine Wohnung.“

Ohne etwas zu sagen stolperte ich neben Juka her. In seiner Wohnung war ich immer wieder gern und fühlte mich dort geborgen. Er brachte mir noch eine Kuscheldecke und kochte mir Tee. Dann setzte er sich zu mir. Ich zündete mir eine Zigarette an und lehnte den Kopf in den Nacken.

„Es ist nicht so, wie du denkst.“

„Wie denk ich denn?“, fragte er ein bisschen amüsiert. Ich zögerte einen Augenblick und nahm einen tiefen Zug.

„Naja, vielleicht, dass ich wieder irgendwas genommen habe?“

Ich sah ihm in die Augen und seine wunderschönen Lippen formten sich zu einem Lächeln. Diese süßen Lippen, die mich neulich so begierig geküsst hatten. Ahhhh. Beschissenes Gehirn, schweig endlich!

„Glaub mir, den Unterschied zwischen einem traurigen Menschen und einem, der gerade Drogen genommen hat, erkenne selbst ich. Eigentlich wollte ich zu eurem Konzert bleiben, aber leider ist mir etwas dazwischen gekommen. Und später warst du nicht mehr da.“

„Du hättest ja auch bei den anderen bleiben können. Das wäre sicher lustiger geworden, als hier mit so nem depressiven Typ wie mir zu sitzen.“

„Jetzt hör aber auf. Vielleicht hab ich mir ja Sorgen um dich gemacht?“

Es war faszinierend. Juka schaffte es einfach immer, innerhalb von wenigen Minuten Licht in meine so dunkle, trostlose Seele zu bringen. Und dafür war ich ihm dankbar. Jetzt legte er seinen Arm um meine Schulter.

„Du weißt doch genau, dass ich dich am liebsten hab.“

„Ich seh bestimmt grad furchtbar aus. So fühl ich mich zumindest.“

Juka lächelte wieder.

„Ich finde dich trotzdem süß. Was bedrückt dein Herzchen?“

Und da war er wieder, der unerträgliche Schmerz und die Tränen stiegen mir erneut in die Augen, doch ich biss mir auf die Unterlippe. Auf einmal war da noch etwas anderes.

„Ich hab es geschafft, dass meine Mum mich jetzt endgültig aufgibt. Sie wollte sich wieder mit mir vertragen, über alles reden, doch ich…aber ich…konnte einfach nicht…“

Nun rollten mir doch vereinzelte Tränen über die Wangen.

„Es ist zu viel passiert.“

Juka nahm mich behutsam in die Arme und ich hatte das Gefühl, dass der Schmerz in seiner Nähe nur halb so schlimm war.

„Meinst du es geht gar nicht?“

„Ich weiß es nich.“

„Willst du ein paar Tage hier bleiben und mal in Ruhe über alles nachdenken?“

Ich wollte Juka nicht zur Last fallen, doch ich konnte mir auch nichts Schöneres vorstellen. Nicht mal Nici konnte das ersetzen, was Juka mir gab.

Den Tag, den ich bei Juka verbrachte, gab mir wieder Kraft. Er hatte sich sogar Urlaub genommen, um bei mir zu sein und ich mied die Schule. Einmal rief mich meine Mutter auf dem Handy an, doch ich ging nicht ran. Zum ersten Mal sah ich meinen bezaubernden Freund ohne Make up und teuren Fummel. Und ich musste feststellen, dass Juka als Mann verdammt sexy war. Wir teilten sogar ein Bett und das mochte schon was heißen. Er bekochte mich oft mit japanischen Spezialitäten und je länger ich mit ihm zusammen war, desto mehr wuchs mein Vertrauen zu ihm.

„Heut gefällst du mir schon besser Luki“, bemerkte Juka am Frühstückstisch und ich warf ihm ein charmantes Lächeln zu.

„Naja, du verwöhnst mich ja auch. Danke dafür….“

Rührend sah er mich mit seinen glänzenden Augen an.

„Du weißt doch, dass ich gerne deinen Seelsorger spiele, also nichts zu danken.“

Ich schlürfte einen Schluck Kaffee und beschmierte mein Brötchen mit Marmelade.

„Ich denk, ich werde Nici heut mal besuchen gehen. Sie macht sich sonst noch unnötige Sorgen.“

„Willst du dann auch mal bei deiner Mama vorbeischauen?“

„Schon. Vielleicht kann ich ja doch noch mal mit ihr reden.“

„Das ist vernünftig.“

Juka verabschiedete mich nur ungern, jedoch versprach ich, ihn bald wieder besuchen zu kommen. Das Thema, unsere gemeinsame Nacht erwähnten wir beide nicht und ich riss mich auch zusammen. Juka schien es nicht anders zu gehen. Mein Herz zog sich zusammen, als ich gehen musste. Oder wollte, wie auch immer. Ein letztes Mal drehte ich mich um und sein sehnsuchterfüllter Blick traf mich wie ein Schlag. Ich rannte zurück, schlang meine Arme um seinen Hals und küsste ihn. Dieser Kuss lud meine Batterie wieder auf.

„Das war weniger vernünftig, sorry…wir sehn uns!“, sagte ich und verschwand. Was tat ich nur? Was tat Juka mit mir? Mit zittrigen Händen fingerte ich eine Kippe aus meiner Schachtel und zündete sie an.

Ich hatte keine rechte Lust jetzt zu Nici zu gehen. Doch ich hatte versprochen, dass ich zu ihr kommen würde.

Sicherlich war sie sauer auf mich, weil ich mich ja schon gestern bei ihr melden wollte und dies nicht getan hatte. Doch ich hoffte, dass sie den Grund dafür verstand.

Und wie ich es erwartet hatte, empfing sie mich mit Enttäuschung und wütend schien sie ebenfalls zu ein. Trotzdem ließ sie mich eintreten. Bevor sie sie etwas sagen konnte, ergriff ich das Wort.

„Bitte nicht. Das ist jetzt das Letzte, was ich gebrauchen kann. Mir ging es die letzten Tage einfach mies.“

„Naja, ist schon okay. Geht es dir jetzt wieder besser?“

Ich nickte und versuchte zu lächeln. Nici setzte sich auf meinen Schoß und strich mir über die Wange.

„Du Lukas, ich soll am Wochenende zu meinen Eltern kommen. Macht dir das etwas aus?“

Was für eine Frage.

„Eigentlich habe ich mir gedacht, dass wir da etwas zusammen unternehmen, weil wir uns so lange nicht mehr gesehen haben.“

„Ja es tut mir auch leid. Aber meine Eltern wollen mich auch erst mal sehen.“

Ich seufzte.

„Ja. Solange du nur übers Wochenende bleibst.“

Ich gab ihr einen Kuss.

„Ich komm Sonntag auch nicht so spät zurück, da können wir uns nochmal treffen, in Ordnung? Außerdem würde ich Nadine gern wiedersehen.“

Es war süß, wie sie sich versuchte zu rechtfertigen.

„Hey, es ist schon gut. Ich mach dir doch deshalb keine Vorwürfe.“

„Ja, aber ich hab ein bisschen Bedenken gehabt, weil es dir ja gerade nicht so gut geht.“

Wieder lachte ich.

„Na die drei Tage werd ich schon überstehen, keine Angst.“

Ich legte meine Arme um ihre Hüften und küsste sie auf den Mund.

Zu Hause saß meine Mum im Wohnzimmer über ihrem Schreibkram. Neben ihr auf dem Tisch stand eine halbvolle Flasche Prosecco. Das machte mich wütend. Ich stellte mich in die Tür und es dauerte einen Augenblick, bis sie endlich Notiz von mir nahm.

„Ach Lukas.“

„Du kannst deine Arbeit wohl nur noch im Suff ertragen oder was?“

Sie lächelte.

„Nein. Das habe ich mir nur mal so gegönnt. Jetzt, wo es uns wieder so gut geht.“

Uns? Du meinst wohl eher dich, was?“

Ihr Blick wurde skeptisch.

„Na, ich meine, sind wir nicht wieder eine Familie?“

Ich zuckte nur mit den Schultern.

„Wenn du der Meinung bist, wird es wohl so sein.“

Es machte mich wahnsinnig traurig, dass meine Mum so egoistisch war. Jetzt, da sie Geld hatte, konnte sie ja Prosecco trinken. Ich flüchtete auf den Balkon, um eine zu rauchen. Meine Lunge schrie nur so nach Nikotin. Meine Mutter kam mit ihrem Glas hinterher.

„Wenn dich etwas bedrückt, können wir auch darüber reden.“

Reden? Du kapierst ja doch nich, was mich bedrückt. Du kostest dein Leben im Moment voll aus. Es ist nich so, dass ich dir das nich gönne. Aber du redest davon, dass es uns gut geht. In Wahrheit kennst du mich und Jojo doch gar nich mehr. Wir sind zwar da, aber du siehst nur Klaus. Das ist wichtig und deine Kinder? Ach, die sind egal. Es reicht, wenn du uns Geld gibst oder? Wir kommen ja schon irgendwie klar.“

„Ach nun hör doch auf Lukas. Wer ist es denn, der den ganzen Tag nicht da ist? Du oder ich? Und deine Schwester saß schon oft mit mir und Klaus zusammen.“

„Wie oft denn? Das kannst du dir ja wohl an einer Hand abzählen. Vielleicht solltest du dich mal fragen, warum ich so selten zu Hause bin. Aber ich sag ja, es ist sinnlos. Das scheiß Geld muss immer alles kaputt machen.“

„Krieg dich mal wieder ein! Ich nehme jetzt ein Bad.“

Sie tänzelte mit ihrem Glas ins Badezimmer. Wütend und enttäuscht latschte mit meinem nackten Fuß gegen die Metallstäbe am Balkon. Wie konnte ein Mensch nur so sein? Und auch noch meine Mum? Ich schloss mich in meinem Zimmer ein legte Manson auf und versank in Gedanken. Irgendwie inspirierte mich dieser Mensch und die Tatsache, dass uns beiden unser selbstverletzendes Verhalten irgendwie gefiel, verband uns auf unbewusste Weise. Wenn ich beobachten konnte, wie das Blut über meinen nackten Körper floss, beruhigte mich das. Was war ich nur für ein Mensch geworden, dass solche kranken Gedanken durch mein abgefucktes Hirn spukten? Meinen Spiegel hatte ich versucht wieder zusammenzukleben, was mir auch, abgesehen von ein paar kleinen Teilen, gelungen war. Trotzdem, diese eine Scherbe lag noch immer da und ich wiegte sie in meiner Hand hin und her. Die drei anderen Wunden heilten schon, doch diese sollte noch tiefer sein, sodass der Schmerz verschwand. Ich stellte mir vor, dass diese unerträglichen Gefühle durch meine Selbstzerstörung ins Freie dringen konnten. Nicht mal das Gesicht verzog ich, obwohl es brannte wie Hölle. Ich zündete ein paar Kerzen an und öffnete mir die Flasche Rotwein, die ich mitgenommen hatte. Es fühlte sich gut an so anders zu sein, ich wiegte meinen Kopf zur Musik und streckte die Beine auf dem Sofa aus. Trotz dieses unerträglichen Zustandes zu Hause war mein Zimmer immer ein Ort, an dem ich mich gern zurückzog. Ansonsten war ich an jedem Ort lieber, nur nicht hier. Denn ich hielt es nicht aus, wie meine Mum sich jetzt gab. Ich schrieb mit Juka und wir verabredeten uns für später.

 

 

 

Sie tänzelte mit ihrem Glas ins Badezimmer. Wütend und enttäuscht latschte mit meinem nackten Fuß gegen die Metallstäbe am Balkon. Wie konnte ein Mensch nur so sein? Und auch noch meine Mum? Ich schloss mich in meinem Zimmer ein legte Manson auf und versank in Gedanken. Irgendwie inspirierte mich dieser Mensch und die Tatsache, dass uns beiden unser selbstverletzendes Verhalten irgendwie gefiel, verband uns auf unbewusste Weise. Wenn ich beobachten konnte, wie das Blut über meinen nackten Körper floss, beruhigte mich das. Was war ich nur für ein Mensch geworden, dass solche kranken Gedanken durch mein abgefucktes Hirn spukten? Meinen Spiegel hatte ich versucht wieder zusammenzukleben, was mir auch, abgesehen von ein paar kleinen Teilen, gelungen war. Trotzdem, diese eine Scherbe lag noch immer da und ich wiegte sie in meiner Hand hin und her. Die drei anderen Wunden heilten schon, doch diese sollte noch tiefer sein, sodass der Schmerz verschwand. Ich stellte mir vor, dass diese unerträglichen Gefühle durch meine Selbstzerstörung ins Freie dringen konnten. Nicht mal das Gesicht verzog ich, obwohl es brannte wie Hölle. Ich zündete ein paar Kerzen an und öffnete mir die Flasche Rotwein, die ich mitgenommen hatte. Es fühlte sich gut an so anders zu sein, ich wiegte meinen Kopf zur Musik und streckte die Beine auf dem Sofa aus. Trotz dieses unerträglichen Zustandes zu Hause war mein Zimmer immer ein Ort, an dem ich mich gern zurückzog. Ansonsten war ich an jedem Ort lieber, nur nicht hier. Denn ich hielt es nicht aus, wie meine Mum sich jetzt gab. Ich schrieb mit Juka und wir verabredeten uns für später.
 

„Tut mir leid, dass ich immer nur zu dir komme, wenn ich Probleme habe.“

„Ach, mach dir doch deshalb keinen Kopf. Ich bemuttere dich gerne, das weißt du doch! Was hast du denn auf dem Herzen?“

Ich erzählte ihm, was vorgefallen war und wie immer hörte er mir bis zum Schluss zu, ohne mich in irgendeiner Art und Weise zu unterbrechen.

„Weißt du, ich komm da einfach nich drauf klar. Früher haben wir uns zwar auch oft gestritten, aber im Moment erkenne ich meine Mum kaum wieder.“

„Oh mein Schatz, ich würde dir so gern helfen.“

„Tust ja schon…irgendwie.“

Jukas Blick war so voller Liebe und seine Finger strichen über meine Wangen. Leicht zuckte ich zusammen, weil er mit seinem Ellenbogen meine Brust streifte und ich irgendwie nicht wollte, dass er von meiner neusten Verletzung Wind bekam. Moment Mal, sonst war mir das auch egal und ich stellte meine Narben offen zur Schau. Ich lehnte am Geländer vom Balkon und fühlte es nicht zum ersten Mal bewusster. Doch war es unmöglich laut darüber zur reden, vor allem mit Juka.

„Wie läuft es gerade mit Nici und dir?“

Die Sonne brannte im Nacken und Juka zog genüsslich an seiner Zigarette, dabei musterten mich seine Augen über den Rand seiner Sonnenbrille hinweg.

„Weiß auch nich…es läuft halt…irgendwie. Mal besser mal schlechter.“

Ich war mir nicht sicher, ob es an der Hitze lag oder daran, dass Juka nur in Shorts auf der Liege saß, dass mein Herz so unregelmäßig schlug. Diese Art von Gefühlen überforderten mich total.

„Sie bemüht sich, mir alles recht zu machen. Dann is da noch Johanna . Sie versteht sich zwar ganz gut mit unserer Mum, aber sie weiß auch nich, dass ich so ein großes Problem mit ihr hab. Weißt du, sie kümmert sich kaum um meine Schwester. Macht mir aber Vorwürfe, wenn Jojo schlechter in der Schule wird oder so! Ich habe auch viel um die Ohren und nich immer Zeit für Jojo. Ich kann einfach nich mehr.“

Juka legte seinen Arm um meine Schulter. Dabei streiften meine Hände seinen nackten Oberkörper.

„Das hört sich aber nicht gut an. Ich bin auch nicht sicher, was ich dir raten soll Luki.“

Ich zuckte nur mit den Schultern.

„Du müsstest sie echt mal erleben.“

Eigentlich führten wir hier ein echt ernstes Gespräch, doch ich spürte, wie mein Blut vom Gehirn in ein anderes Körperteil schoss. Verdammt. Hoffentlich bekam Juka das nicht mit. Ich verdrückte mich kurz aufs Klo. Was zur Hölle passierte hier gerade? Ich spritzte mir kaltes Wasser ins Gesicht und so allmählich ließ meine Erregung nach.

Als ich wieder zurückkehrte, saß er noch immer halb nackt auf der Liege.

„Alles okay?“, fragte er und ich nickte nur. Wie würde es sich anfühlen ihn noch einmal zu küssen? Der Gedanke warf mich nun wieder völlig aus der Bahn. Juka war mein Freund und ein Mann! Doch war das nicht egal? Plötzlich kam er auf mich zu, legte seine Arme um mich und sah mir tief in die Augen. Mein Herz schlug immer schneller und ich konnte fast an nichts anderes mehr denken, als daran, wie weich sich seine Lippen anfühlten. Seine Hände glitten an meinen Seiten entlang und wanderten unter mein Shirt. Fuck, was passierte hier gerade? Augenblicklich spürte ich eine Leidenschaft in mir aufflammen, die mir bisher unbekannt gewesen war und wenn ich jetzt keinen Rückzieher machte, würde ich diese eine Grenze ein weiteres Mal überschreiten. Deshalb nahm ich behutsam Abstand von meinem Freund, doch schluckte ich, als ich seinen enttäuschten Blick sah.

„Ich sollte jetzt los…wir sehen uns.“

„Okay…pass auf dich auf mein Süßer“, hauchte er mir viel zu Nahe zu und gab mir einen Kuss auf die Wange. Tränen stiegen mir in die Augen und ich fragte mich, wie lange ich dieses Spiel noch spielen konnte.

Nach dem Gespräch mit Juka ging es mir etwas besser. Meine Mum kam gerade aus dem Nagelstudio wieder und scherzte im Wohnzimmer mit ihrem Klaus. Johanna saß am Tisch im Flur und machte Hausaufgaben. Ich gab ihr einen Kuss und verkroch mich in meinem Zimmer. Dort hörte ich etwas lauter Musik und rauchte. Meine Mum kam tatsächlich hoch. Die Tür ließ sie offen.

„Ich will dann noch mit Klaus schick Essen gehen. Könntest du dich um deine Schwester kümmern?“

„Klar, kein Problem.“

Ich konnte den Sarkasmus in meiner Stimme nicht ganz unterdrücken.

„Hast du ein Problem damit?“

„Nein. Ich hab nur ein Problem mit dir, mit deiner Art, wie du gerade gibst!“

„Ach, das hatten wir doch heute schon mal. Ich habe jetzt keine Zeit, sinnlose Diskussionen mit dir zu führen.“

Sie merkte nicht, wie sie mich verletzte.

„Sinnlos für dich. Siehst du, da haben wir es doch schon wieder! Wann hattest du überhaupt mal Zeit, dich mit mir zu unterhalten? Fast nie! Oder?“

„Ich arbeite eben viel. Jemand muss ja hier das Geld verdienen. Hast du schon mal daran gedacht, in den Ferien für Geld zu arbeiten?“

„Ich bekomme genug Kohle, wenn ich mit meiner Band auftrete. Weißt du, dein Geld ist mir so was von egal, mach doch damit, was du willst! Stecke es in Friseurbesuche, Shoppingtouren oder sonst was! Mich brauchst du damit auf jeden Fall nicht mehr zu versorgen. Ich brauch deine scheiß Kohle nicht!“

Ich wurde immer lauter. Irgendwann musste die Wut ja mal raus. Meine Mutter schaute mich etwas verdutzt an.

„Na, wenn du so später dein Geld verdienen willst, viel Spaß. Einen armen Musiker als Sohn. Das ist ja wohl das letzte! Meinst du, dein Vater und ich haben so viel Geld in deinen Gymnasiumbesuch gesteckt damit du Musiker wirst? Ich will, dass du später studierst oder einen ordentlichen Beruf erlernst. Hast du verstanden?“

„Was du willst, ist mir schon lange egal! Ich hätte dich echt nicht für so blöd gehalten!“

Das hatte endlich mal gesessen und dafür musste ich Ohrfeige einstecken.

„Ich habe echt noch nie einen so egoistischen, gefühlskalten Menschen, wie dich gesehen. Ich kann nicht mehr… Ich halte das echt nicht mehr aus! Aber mach nur weiter so.“

Sie sagte nichts darauf, schaute mich nur erbittert an. Auch meine Schwester hatte das Gespräch verfolgt und stand nun mit total verheultem Gesicht in der Tür. Nicht mal das merkte meine Mutter.

„Komm, verschwinde aus meinem Zimmer, ich will dich nicht mehr sehen.“

„Wie redest du denn mit mir?“

Sie knallte mir noch eine.

„So, wie du mich behandelst.“

Ich schrie sie jetzt an und sie schrie zurück.

„Ich verbitte mir diesen Ton Lukas! Hast du denn niemals gelernt, wie man sich anständig benimmt?“

„Von dir oder was? Guck dich erst mal selbst an, dann können wir weiter reden!“

„Das muss ich mir von dir nicht bieten lassen!“

Ich sank auf meiner Couch zusammen. Meine Mutter drehte sich um und wollte gerade gehen.

„Du merkst echt nicht, wie verletzend du sein kannst. Oder?“

Darauf erwiderte sie nichts. Jetzt erblickte sie Johanna und wollte ihr über die Wange streicheln, sie jedoch wehrte sich dagegen. Ich knallte meine Zimmertür zu und drehte mir mit zittrigen Händen einen Joint. Und plötzlich war alles wieder schön. Meine Probleme schienen sehr, sehr fern zu sein. Nur leider hielt dieses Glücksgefühl nicht lange an. Ich bekam große Lust, meine Mutter zu provozieren. Deshalb stattete ich meinem Lieblingsfriseur einen Besuch ab und ließ mir einen Undercut schneiden, denn lang genug waren meine Haare ja. Wie ich mir erhofft hatte, war meine Mutter von meiner neuen Frisur geschockt. Und ich ließ mir mein langersehntes Tattoo am Hals stechen. Jetzt hatte ich wahrscheinlich eine Katastrophe heraufbeschworen, aber das war mir langsam egal. Denn meine Mutter nahm schließlich auch keine Rücksicht auf mich.

Eines Abends hörte ich sie mit Klaus über mich reden und das nicht gerade positiv. Klaus sagte, dass ich mich wahrscheinlich gerade in einer Phase befand, wo ich selbst nicht wüsste, was ich wirklich wolle.
 

In der Schule wurde innerhalb kürzester Zeit vom Klassenbesten zum Klassenschlechtesten. Ich hatte einfach keinen Bock mehr und versuchte meine Probleme in der Musik zu verarbeiten. Nici sah ich eher selten.

„Chris hat erzählt, dass du voll schlecht in der Schule geworden bist“, sagte sie eines Nachmittags zu mir. Ich zündete mir eine Zigarette an und zuckte nur mit den Schultern.

„Hab halt keinen Bock mehr. Stört dich das?“

„Nein, das ist dein Problem. Aber ich finde sowieso, dass du in letzter Zeit ein bisschen komisch bist.“

„Mag sein. Du Nici, ich muss noch mal in den Proberaum. Sehen wir uns später?“

„Ja klar. Ich habe mich langsam dran gewöhnt von dir immer hinten dran gesetzt zu werden.“

„Hey, es tut mir leid. Ich verspreche dir, dass ich heut Abend noch mal zu dir komme, okay?“

Mir tat es wirklich leid, aber ich konnte jetzt irgendwie nicht mit ihr zusammen sein.



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